Katechismus der Katholischen Kirche IV. Teil: Das christliche Gebet
Vierter Teil:Das christliche Gebet |
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(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 ERSTER ABSCHNITT: DAS GEBET IM CHRISTLICHEN LEBEN
- 2 ZWEITER ABSCHNITT: DAS GEBET DES HERRN: „VATER UNSER!“
- 2.1 ARTIKEL 1: „DIE ZUSAMMENFASSUNG DES GANZEN EVANGELIUMS“
- 2.2 ARTIKEL 2: „VATER UNSER IM HIMMEL“
- 2.3 ARTIKEL 3: DIE SIEBEN BITTEN
- 2.3.1 I „Geheiligt werde dein Name“
- 2.3.2 II „Dein Reich komme“
- 2.3.3 III „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“
- 2.3.4 IV „Unser tägliches Brot gib uns heute“
- 2.3.5 V „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“
- 2.3.6 VI „Und führe uns nicht in Versuchung“
- 2.3.7 VII „Sondern erlöse uns von dem Bösen“
ERSTER ABSCHNITT: DAS GEBET IM CHRISTLICHEN LEBEN
2558' Groß ist das „Geheimnis des Glaubens“. Die Kirche bekennt es im Symbolum der Apostel (erster Teil) und feiert es in der Liturgie der Sakramente (zweiter Teil), damit das Leben der Gläubigen im Heiligen Geist zur Ehre Gottes des Vaters Christus gleichgestaltet werde (dritter Teil). Die Gläubigen sollen an dieses Geheimnis glauben, es feiern und in einer lebendigen, persönlichen Beziehung zum lebendigen und wahren Gott daraus leben. Diese Beziehung ist das Gebet.
WAS IST GEBET?
„Für mich ist das Gebet ein Aufschwung des Herzens, ein schlichter Blick zum Himmel, ein Ausruf der Dankbarkeit und Liebe inmitten der Prüfung und inmitten der Freude“ (Theresia vom Kinde Jesu, ms. autob. C 25r).
Gebet als Gabe Gottes
2559 „Das Gebet ist die Erhebung der Seele zu Gott oder eine an Gott gerichtete Bitte um die rechten Güter“ (Johannes v. Damaskus, f. o. 3,24). Von woher sprechen wir, wenn wir beten? Von der Höhe unseres Stolzes und unseres Eigenwillens herab oder „aus der Tiefe“ (Ps 130,1) eines demütigen und reuigen Herzens? Wer sich erniedrigt, wird erhöht [Vgl. Lk 18,9–14]. Die Demut ist die Grundlage des Betens, denn „wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“ (Röm 8,26). Um die Gabe des Gebetes zu empfangen, müssen wir demütig gesinnt sein: Der Mensch ist vor Gott ein Bettler [Vgl. Augustinus, serm. 56,6,9] (Vgl. dazu auch 2613, 2736).
2560 „Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht“ (Joh 4,10). Das Wunder des Gebetes zeigt sich gerade da, am Rande der Brunnen, bei denen wir Wasser holen. Dort begegnet Christus jedem Menschen; er sucht uns, bevor wir ihn suchen, und er bittet: „Gib mir zu trinken!“ Jesus dürstet; seine Bitte kommt aus der Tiefe Gottes, der nach uns verlangt. Ob wir es wissen oder nicht, im Gebet begegnet der Durst Gottes unserem Durst. Gott dürstet danach, dass wir nach ihm dürsten [Vgl. Augustinus, quæst. 64,4].
2561 Du hättest „ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben“ (Joh 4, 10). Unser Bittgebet ist auf geheimnisvolle Weise eine Antwort – Antwort auf die Klage des lebendigen Gottes: „Mein Volk hat ... mich ... verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten!“ (Jer 2,13). Es ist gläubige Antwort auf die unverdiente Heilsverheißung [Vgl. Joh 7,37–39; Jes 12,3; 51,1]; liebende Antwort auf den Durst des eingeborenen Sohnes [Vgl. Joh 19,28; Sach 12,10; 13,1].
Gebet als Bund
2562 Woher kommt das Gebet des Menschen? Welches auch immer die Handlungen und Worte sein mögen, in denen sich das Gebet ausdrückt, es betet doch immer der ganze Mensch. Um aber den Ort zu bezeichnen, aus dem das Gebet hervorgeht, spricht die Schrift zuweilen von der Seele oder dem Geist, am häufigsten aber – mehr als tausendmal – vom Herzen. Das Herz betet. Ist dieses fern von Gott, ist das Gebet sinnentleert.
2563 Das Herz ist das Zuhause, in dem ich bin und in dem ich wohne (in semitischer oder biblischer Sprechweise: wo ich „absteige“). Es ist unsere verborgene Mitte, die weder unsere Vernunft noch andere Menschen erfassen können. Einzig der Geist Gottes kann es ergründen und erkennen. Im Innersten unseres Strebens ist das Herz Ort der Entscheidung. Es ist Ort der Wahrheit, wo wir zwischen Leben und Tod wählen. Es ist Ort der Begegnung, da wir nach dem Bilde Gottes in Beziehung leben. Das Herz ist der Ort des Bundes (Vgl. dazu auch 368, 2699, 1696).
2564 Das christliche Gebet ist eine Bundesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen in Christus. Es ist Handeln Gottes und Handeln des Menschen. Es geht aus dem Heiligen Geist und aus uns hervor. In Vereinigung mit dem menschlichen Willen des menschgewordenen Gottessohnes richtet es sich ganz auf den Vater.
Gebet als Gemeinschaft
2565 Im Neuen Bund ist das Beten die lebendige Beziehung der Kinder Gottes zu ihrem unendlich guten Vater, zu seinem Sohn Jesus Christus und zum Heiligen Geist. Die Gnade des Gottesreiches ist „die Vereinigung der ganzen heiligsten Dreifaltigkeit mit dem ganzen Geist“ des Menschen (Gregor v. Nazianz, or. 16,9). Das Leben des Gebetes besteht somit darin, dass wir immer in Gegenwart des dreimal heiligen Gottes und in Gemeinschaft mit ihm sind. Diese Lebensgemeinschaft ist stets möglich, da wir durch die Taufe mit Christus eins geworden sind [Vgl. Röm 6,5]. Das Gebet ist christlich, insofern es Gemeinschaft mit Christus ist und sich in der Kirche, dem Leib Christi, ausweitet. Es ist umfassend wie die Liebe Christi [Vgl. Eph 3,18–21] (Vgl. dazu auch 260, 792).
ERSTES KAPITEL: DIE OFFENBARUNG DES GEBETES
Die allgemeine Berufung zum Beten
2566 Der Mensch ist auf der Suche nach Gott. Durch die Schöpfung ruft Gott jedes Wesen aus dem Nichts ins Dasein. „Mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Ps 8,6), ist der Mensch, wie schon vor ihm die Engel, fähig anzuerkennen: „Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde“ (Ps 8,2). Selbst nachdem der Mensch durch seine Sünde die Ähnlichkeit mit Gott verloren hat, bleibt er nach dem Bilde seines Schöpfers geschaffen. Er behält das Verlangen nach Gott, der ihn ins Dasein ruft. Alle Religionen zeugen von diesem Suchen, das dem Wesen des Menschen entspricht [Vgl. Apg 17,27] (Vgl. dazu auch 296, 355, 28).
2567 Bevor der Mensch nach Gott ruft, ruft Gott den Menschen. Mag auch der Mensch seinen Schöpfer vergessen oder sich vor dessen Antlitz verstecken, mag er auch seinen Götzen nachlaufen oder Gott vorwerfen, er habe ihn verlassen, so ruft doch der lebendige und wahre Gott unermüdlich jeden Menschen zur geheimnisvollen Begegnung mit ihm im Gebet. Beim Beten geht diese Bewegung der Liebe des treuen Gottes zuerst von ihm aus; die Bewegung des Menschen ist immer Antwort. In dem Maß, in dem Gott sich offenbart und den Menschen sich selbst erkennen läßt, erscheint das Gebet als ein gegenseitiger Zuruf, als ein Geschehen des Bundes, das durch Worte und Handlungen das Herz miteinbezieht. Es enthüllt sich im Lauf der ganzen Heilsgeschichte (Vgl. dazu auch 30, 142).
ARTIKEL: 1 IM ALTEN BUND
2568 Die Offenbarung des Gebetes im Alten Bund geschieht zwischen dem Sündenfall und der Wiederaufrichtung des Menschen, zwischen dem schmerzlichen Anruf Gottes an seine ersten Kinder: „Wo bist du? ... Was hast du da getan?“ (Gen 3,9.13) und der Antwort des eingeborenen Sohnes bei seinem Eintritt in die Welt: „Ja, ich komme ... um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7). Das Gebet ist auf diese Weise mit der Geschichte der Menschen verbunden; es ist die Beziehung zu Gott in den Ereignissen der Geschichte (Vgl. dazu auch 410, 1736, 2738).
Die Schöpfung – Quelle des Gebetes
2569 Das Gebet lebt zunächst aus den Wirklichkeiten der Schöpfung. Die ersten neun Kapitel des Buches Genesis schildern diese Beziehung zu Gott als Darbringung der Erstlinge der Herde durch Abel [Vgl. Gen 4,4], als Anrufung des göttlichen Namens zur Zeit des Enosch [Vgl. Gen 4,26] und als „Weg mit Gott“ (Gen 5,24). Das Opfer Noachs ist Gott angenehm; Gott segnet Noach und durch ihn die ganze Schöpfung [Vgl. Gen 8,20 – 9,17], weil er ein rechtschaffenes und untadeliges Herz hat; auch er „ging seinen Weg mit Gott“ (Gen 6,9). Diese Art des Gebetes wird von vielen Gerechten aller Religionen gepflegt (Vgl. dazu auch 288, 58).
In seinem unerschütterlichen Bund mit allen Lebewesen [Vgl. Gen 9,8–16] ruft Gott die Menschen immerfort zum Gebet auf. In besonderer Weise wird das Gebet im Alten Testament seit der Zeit unseres Vaters Abraham geoffenbart (Vgl. dazu auch 59).
Die Verheißung und das Gebet des Glaubens
2570 Als Gott Abraham ruft, bricht dieser sogleich auf, „wie der Herr ihm gesagt hatte“ (Gen 12,4). Sein Herz ist „dem Wort ganz gefügig“; er gehorcht. Das Horchen des Herzens, das sich für Gott entscheidet, gehört wesentlich zum Gebet. Die Worte stehen im Dienst dieses Hörens. Doch das Gebet Abrahams äußert sich zunächst in Taten: Er ist ein Mann des Schweigens; überall, wo er sich niederläßt, errichtet er dem Herrn einen Altar. Später faßt er erstmals sein Gebet in Worte: Es ist eine verhüllte Klage. Sie erinnert Gott an seine Verheißungen, die sich nicht zu erfüllen scheinen [Vgl. Gen 15,2–3]. Gleich zu Beginn zeigt sich somit eine Eigenart des Betens: die Prüfung des Glaubens an die Treue Gottes (Vgl. dazu auch 145).
2571 Da der Patriarch Abraham Gott glaubt [Vgl. Gen 15,6] und vor ihm und im Bund mit ihm seinen Weg geht [Vgl. Gen 17,1–2], ist er bereit, einen geheimnisvollen Gast in seinem Zelt zu empfangen. Diese wunderbare Gastfreundschaft von Mamre ist das Vorspiel zur Verkündigung des wahren Sohnes der Verheißung [Vgl. Gen 18,1–15; Lk 1,26–38]. Seit Gott Abraham in seinen Ratschluss eingeweiht hat, stimmt dessen Herz in das Mitleid des Herrn für die Menschen ein. So wagt er in kühnem Vertrauen, für sie Fürsprache einzulegen [Vgl. Gen 18,16–33] (Vgl. dazu auch 494, 2635).
2572 Als letzte Läuterung seines Glaubens wird von Abraham, „der die Verheißungen empfangen hatte“ (Hebr 11, 17), verlangt, den Sohn zu opfern, den Gott ihm geschenkt hat. Sein Glaube wankt nicht: „Gott wird sich das Opferlamm aussuchen“ (Gen 22,8), sagt Abraham, denn „er verließ sich darauf, dass Gott sogar die Macht hat, Tote zum Leben zu erwecken“ (Hebr 11,19). So ist der Vater der Glaubenden [Vgl. Röm 4,16–21] Gott Vater ähnlich, der seinen eigenen Sohn nicht verschonen, sondern für uns alle hingeben wird [Vgl. Röm 8,32]. Das Gebet macht den Menschen wieder Gott ähnlich und läßt ihn an der Macht der Liebe Gottes teilhaben, die die Vielen rettet (Vgl. dazu auch 603).
2573 Gott erneuert seine Verheißung gegenüber Jakob, dem Stammvater der zwölf Stämme Israels [Vgl. Gen 28,10–22]. Bevor Jakob seinem Bruder Esau gegenübertritt, muss er eine ganze Nacht lang mit einem geheimnisvollen Mann ringen. Dieser weigert sich, seinen Namen bekanntzugeben, segnet aber Jakob, bevor er ihn in der Morgendämmerung verläßt. Die geistliche Überlieferung der Kirche hat darin ein Sinnbild des Gebetes gesehen, insofern dieses ein Glaubenskampf und ein Sieg der Beharrlichkeit ist [Vgl. Gen 32, 25–31; Lk 18,1–8] (Vgl. dazu auch 162).
Mose und das Gebet des Mittlers
2574 Als sich im Pascha, im Auszug aus Ägypten, im Geschenk des Gesetzes und im Bundesschluss die Verheißung zu erfüllen beginnt, wird das Gebet des Mose zum ergreifenden Bild des fürbittenden Gebetes, das sich im einzigen „Mittler zwischen Gott und den Menschen ... Christus Jesus“ (1 Tim 2,5), vollenden wird (Vgl. dazu auch 62).
2575 Auch hier kommt Gott dem Menschen zuvor. Er ruft Mose aus dem brennenden Dornbusch zu [Vgl. Ex 3,1–10]. Dieses Ereignis sollte in der jüdischen und in der christlichen geistlichen Überlieferung eines der Urbilder des Gebetes bleiben. Wenn nämlich „der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ seinen Diener Mose ruft, dann deshalb, weil er der lebendige Gott ist, der das Leben der Menschen will. Er offenbart sich, um sie zu retten; er will die Menschen aber nicht gegen ihren Willen oder ohne die Hilfe von Menschen retten. Darum ruft er Mose, um ihn zu senden und ihn an seinem Mitleid und seinem Heilswerk teilnehmen zu lassen. In dieser Sendung liegt gewissermaßen ein Flehen Gottes, und erst nach einer langen Zwiesprache richtet Mose seinen Willen am Willen Gottes, des Retters, aus. In diesem Gespräch, in dem Gott sich Mose anvertraut, lernt Mose beten: er sucht nach Ausflüchten, macht Einwände, vor allem aber stellt er Fragen. Der Herr antwortet, indem er ihm seinen unaussprechlichen Namen anvertraut, der sich in seinen großen Taten offenbaren wird (Vgl. dazu auch 205).
2576 „Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden“ (Ex 33, 11). Das Gebet des Mose ist das Vorbild des beschaulichen Gebetes, mit dessen Hilfe der Diener Gottes seiner Sendung treu bleibt. Mose „redet“ oft und lange mit dem Herrn. Er besteigt den Berg, um Gott zu hören und ihn anzuflehen, und steigt dann zum Volk hinab, um diesem die Worte seines Gottes zu wiederholen und um es zu führen. „Mein ganzes Haus ist ihm anvertraut. Mit ihm rede ich von Mund zu Mund, von Angesicht zu Angesicht, nicht in Rätseln“ (Num 12,7–8), denn „Mose war ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde“ (Num 12,3) (Vgl. dazu auch 555).
2577 Aus dem vertrauten Umgang mit dem treuen Gott, der langmütig und liebevoll ist [Vgl. Ex 34,6], schöpft Mose die Kraft zu hartnäckiger Fürbitte. Er betet nicht für sich, sondern für das Volk, das Gott sich erworben hat. Auch legt Mose schon während des Kampfes gegen die Amalekiter [Vgl. Ex 17,8–13] und um die Heilung der Miriam [Vgl. Num 12,13–14] Fürbitte ein. Doch vor allem nach dem Abfall des Volkes ist er vor Gott „in die Bresche gesprungen“ (Ps 106,23), um das Volk zu retten [Vgl. Ex 32,1 – 34,9]. Dadurch wird deutlich, dass die Fürbitte auch ein geheimnisvolles Ringen ist. Die Argumente, die Mose im Gebet vorbringt, ermutigen die großen Beter des jüdischen Volkes sowie der Kirche zur Kühnheit. Denn Gott ist Liebe und somit gerecht und treu. Er kann sich nicht widersprechen. Er soll sich an seine herrlichen Taten erinnern. Seine Ehre steht auf dem Spiel: Er darf das Volk, das seinen Namen trägt, nicht im Stich lassen (Vgl. dazu auch 210, 2635, 214).
David und das Gebet des Königs
2578 Das Gebet des Gottesvolkes entfaltet sich im unmittelbaren Umfeld der Wohnstätte Gottes; diese ist zuerst die Bundeslade und später der Tempel. Zunächst lehren die Priester und Propheten als Führer das Volk beten. Für den Knaben Samuel war das Verhalten seiner Mutter Hanna vor dem Herrn eine „Schule des Gebetes“ [Vgl. 1 Sam 1,9–18]. Beim Priester Eli lernte er, wie man auf das Wort Gottes hören soll: „Rede, Herr; denn dein Diener hört“ (1 Sam 3,9–10). Später wird auch er den Wert und die Bürde der Fürbitte erkennen: „Ich weise es weit von mir, mich am Herrn zu versündigen, und höre deshalb nicht auf, für euch zu beten; ich werde euch den guten und geraden Weg weisen“ (1 Sam 12,23).
2579 David ist der König „nach dem Herzen Gottes“ schlechthin, der Hirt, der für sein Volk und in dessen Namen betet. Seine Unterordnung unter den Willen Gottes, sein Gotteslob und seine Reue werden für das Volk zum Vorbild des Betens. Sein Gebet, das Gebet des von Gott Gesalbten, ist treues Festhalten an der göttlichen Verheißung [Vgl. 2 Sam 7,18–29], liebendes und freudiges Vertrauen auf den, welcher der einzige König und Herr ist. Vom Heiligen Geist inspiriert, erweist sich David in den Psalmen als der erste Prophet des jüdischen und christlichen Gebetes. Das Gebet Christi, der wahrer Messias und Sohn Davids ist, enthüllt und erfüllt den Sinn dieses Betens (Vgl. dazu auch 709, 436).
2580 Der Tempel von Jerusalem, das Haus des Gebetes, das David errichten wollte, wird von seinem Sohn Salomo gebaut. Das Gebet bei der Tempelweihe [Vgl. 1 Kön 8,10–61] stützt sich auf die Verheißung Gottes und auf den Bund mit ihm, auf die handelnde Gegenwart seines Namens in seinem Volk und auf die Erinnerung an die großen Taten beim Auszug aus Ägypten. Der König erhebt die Hände zum Himmel und fleht zum Herrn für sich selbst, für das ganze Volk und für die künftigen Geschlechter um die Vergebung der Sünden und um das, was man jeden Tag braucht. Denn alle Nationen sollen wissen, dass der Herr der einzige Gott ist und dass das Herz seines Volkes ihm ganz gehört (Vgl. dazu auch 583).
Elija, die Propheten und die Umkehr des Herzens
2581 Der Tempel sollte für das Volk Gottes der Ort der Einübung in das Gebet sein. Die Wallfahrten, die Feste und die Opfer, das Abendopfer, der Weihrauch und die „Schaubrote“ waren Zeichen der Heiligkeit und Herrlichkeit des erhabenen und doch ganz nahen Gottes. Sie waren Aufrufe zum Gebet und Wege des Gebetes. Aber der äußere Vollzug der religiösen Handlungen verleitete das Volk oft zu einem nur noch äußerlichen Kult. Es bedurfte der Erziehung im Glauben und der Bekehrung des Herzens. Dies war die Aufgabe der Propheten vor und nach dem Exil (Vgl. dazu auch 1150).
2582 Elija ist der Vater der Propheten, der „Menschen, die nach ihm fragen, die dein Antlitz suchen, Gott Jakobs“ (Ps 24,6). Der Name „Elija“ – „der Herr ist mein Gott“ – kündigt den Ruf des Volkes an, der als Antwort auf das Gebet des Propheten auf dem Berge Karmel ertönt [Vgl. 1 Kön 18,39]. Der hl. Jakobus verweist auf diesen Ruf, um uns zum Gebet zu ermuntern: „Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten“ (Jak 5, 16b).
2583 Nachdem Elija an seinem Zufluchtsort am Bach Kerit Barmherzigkeit erfahren hat, lehrt er die Witwe von Sarepta, an das Wort Gottes zu glauben. Er bestärkt diesen Glauben durch sein inständiges Gebet, und Gott läßt das Leben in den Sohn der Witwe zurückkehren [Vgl. 1 Kön 17,7–24].
Das Opfer auf dem Berge Karmel war eine für den Glauben des Gottesvolkes entscheidende Prüfung. Bei diesem Opfer verzehrt das Feuer des Herrn auf Bitte des Elija das Brandopfer, „zu der Zeit ... da man das Speiseopfer darzubringen pflegt“. Die ostkirchlichen Liturgien haben den Ruf des Elija „Erhöre mich, Herr, erhöre mich!“ in die eucharistische Epiklese übernommen [Vgl. 1 Kön 18,20–39] (Vgl. dazu auch 696).
Als Elija schließlich wieder in die Wüste geht, zum Ort, an dem der lebendige und wahre Gott sich seinem Volk geoffenbart hat, kauert er sich, wie einst Mose, „in eine Höhle“, bis die geheimnisvolle Gegenwart Gottes „vorüberzieht“ [Vgl. 1 Kön 19,1-14; Ex 33,19–23]. Doch erst auf dem Berg der Verklärung [Vgl. Lk 9,30–35] wird sich Gott, dessen Antlitz die Menschen suchen, enthüllen. Auf dem Antlitz des gekreuzigten und auferstandenen Christus erkennen sie die Herrlichkeit Gottes [Vgl. 2 Kor 4,6] (Vgl. dazu auch 555).
2584 Im Alleinsein mit Gott empfangen die Propheten Licht und Kraft für ihre Sendung. Ihr Gebet ist nicht eine Flucht aus der ungläubigen Welt, sondern ein Hören auf das Wort Gottes. Dieses Gebet ist manchmal eine Aussprache oder eine Klage, immer aber eine Fürbitte, die das Eingreifen des rettenden Gottes, des Herrn der Geschichte, erwartet und vorbereitet [Vgl. Am 7,2.5; Jes 6.5.8.11; Jer 1,6; 15,15–18; 20,7–18] (Vgl. dazu auch 2709).
Die Psalmen, Gebet der Gemeinde
2585 Aus der Zeit zwischen David und dem Kommen des Messias finden sich in den heiligen Büchern Gebetstexte, die davon zeugen, dass das Beten für sich selbst und für die anderen an Tiefe zugenommen hat [Vgl. Esra 9,6–15; Neh 1,4–11; Jona 2,3–10: Tob 3,11–16: Jdt 9,2–14]. Die Psalmen [Loblieder] wurden nach und nach in einer fünfteiligen Sammlung zusammengestellt. Das Buch der Psalmen ist ein hervorragendes Zeugnis des Betens im Alten Testament (Vgl. dazu auch 1093).
2586 Die Psalmen sind Nahrung und Ausdruck des Gebetes des Gottesvolkes, das sich an den großen Festen in Jerusalem und jeden Sabbat in den Synagogen versammelt. Dieses Gebet ist zugleich persönlich und gemeinschaftlich: Es betrifft die Betenden selbst und alle Menschen. Es erhebt sich aus dem Heiligen Land und den Gemeinden der Diaspora und umfängt doch die ganze Schöpfung. Die Psalmen erinnern an die Heilsereignisse der Vergangenheit und weisen auf die Vollendung der Geschichte hin. Im Gebet der Psalmen gedenkt das Volk der schon in Erfüllung gegangenen Verheißungen Gottes und erwartet den Messias, der sie endgültig vollenden wird. In Christus gebetet und erfüllt, bleiben die Psalmen für das Gebet der Kirche von wesentlicher Bedeutung [Vgl. IGLH 100–109] (Vgl. dazu auch 1177).
2587 Der Psalter ist das Buch, in dem das Wort Gottes zum Gebet des Menschen wird. In den anderen Büchern des Alten Testamentes verkündigen „die Worte die Werke“ Gottes für den Menschen und lassen „das in ihnen enthaltene Geheimnis ans Licht treten“ (DV 2). Im Buch der Psalmen drücken die Worte des Psalmisten die Heilswerke Gottes als Gesang zu dessen Ehre aus. Der gleiche Heilige Geist inspiriert sowohl das Wirken Gottes als auch die Antwort des Menschen. Christus vereinigt beides. In ihm lehren uns die Psalmen unablässig beten (Vgl. dazu auch 2641).
2588 Die vielfältigen Ausdrucksformen des Psalmengebetes nehmen zugleich in der gemeinsamen Liturgie des Tempels und im Herzen des einzelnen Menschen Gestalt an. Ob als Lob-, Klage- oder Danklied, als persönliche oder gemeinschaftliche Bitte, als Königs- oder Wallfahrtslied oder Nachsinnen über die Weisheit, spiegeln die Psahmen die großen Taten Gottes in der Geschichte seines Volkes und die vom Psalmisten erlebten menschlichen Situationen wider. Wenn ein Psalm ein Ereignis der Vergangenheit wiedergibt, tut er dies so nüchtern, dass er von den Menschen jeden Standes und jeder Zeit gebetet werden kann.
2589 In den Psalmen kommt viel Gemeinsames zum Ausdruck. Dazu gehören die Schlichtheit und die Spontaneität des Betens und das Verlangen des Betenden nach Gott, das er mit allem, was in der Schöpfung gut ist, teilt. In den Psalmen wird auch die schwierige Lage des Glaubenden ausgedrückt, der wegen seiner Liebe zum Herrn zahlreichen Feinden und Versuchungen ausgesetzt ist, der aber im Warten auf das, was der treue Gott tun wird, der Liebe des Herrn gewiss bleibt und sich dessen Willen überläßt. Der Grundzug des Psalmengebetes ist das Lob, und der Titel dieser Sammlung entspricht dem, was sie uns bietet: „Lobgesänge“. Für den Gottesdienst der Gemeinde zusammengestellt, lassen die Psalmen den Aufruf zum Gebet vernehmen und singen zur Antwort: „Hallelu-Ja!“, „Preiset den Herrn!“ (Vgl. dazu auch 304).
„Was gibt es Besseres als einen Psalm? Deshalb sagt David sehr treffend: ‚Lobet den Herrn, denn der Psalm ist etwas Gutes; unserem Gott sei liebliches, schönes Lob!‘ Und das stimmt. Der Psalm ist ja eine vom Volk gesprochene Preisung, ein Lob Gottes durch die Versammlung, Beifall von allen, gemeinsam gesprochenes Wort, Stimme der Kirche, wohlklingendes Glaubensbekenntnis (Ambrosius, Psal. 1,9).
KURZTEXTE
2590 „Das Gebet ist die Erhebung der Seele zu Gott oder eine an Gott gerichtete Bitte um die rechten Güter“ (Johannes v Damaskus, f. o. 3 24).
2591 Gott ruft jeden Menschen unermüdlich zur geheimnisvollen Begegnung mit ihm. Das Gebet begleitet die Heilsgeschichte als ein Rufen Gottes nach dem Menschen und ein Rufen des Menschen nach Gott.
2592 Das Gebet Abrahams und Jakobs ist wie ein Kampf des Glaubens, der im Vertrauen auf die Treue Gottes geführt wird, in der Gewissheit des Sieges, der dem Ausdauernden verheißen ist.
2593 Das Gebet des Mose beantwortet das Eingreifen des lebendigen Gottes zum Heil seines Volkes. Er ist Bild der Fürbitte des einzigen Mittlers Christus Jesus.
2594 Das Gebet des Gottesvolkes entfaltet sich im Einflußbereich der Wohnstätte Gottes, nämlich der Bundeslade und des Tempels; dies geschieht unter der Führung seiner Hirten, insbesondere des Königs David und der Propheten.
2595 Die Propheten rufen zur Bekehrung des Herzens und legen für das Volk Fürsprache ein, während sie selbst – wie Elija – mit Feuereifer das Antlitz Gottes suchen.
2596 Die Psalmen sind das hervorragende Zeugnis des Gebetes im Alten Testament. Sie haben zwei untrennbare Bestandteile: einen persönlichen und einen gemeinschaftlichen. Die Psalmen erstrecken sich auf alle Zeiten der Geschichte: sie gedenken der schon erfüllten Verheißungen Gottes und hoffen auf das Kommen des Messias.
2597 Da die Psalmen in Christus gebetet und erfüllt werden, gehören sie wesentlich und bleibend zum Gebet der Kirche. Sie entsprechen den Menschen aller Stände und Zeiten.
ARTIKEL 2: IN DER FÜLLE DER ZEIT
2598 Das Ereignis des Betens wird uns vollständig geoffenbart im Wort, das Fleisch geworden ist und das unter uns wohnt. Das Gebet Christi so zu verstehen, wie seine Zeugen es uns im Evangelium verkünden, bedeutet, sich Jesus, dem Herrn, als dem brennenden Dornbusch zu nähern: Zunächst betrachten wir, wie er betet, dann hören wir, wie er uns beten lehrt und schließlich erkennen wir, wie er unser Gebet erhört.
Jesus betet
2599 Der Sohn Gottes, der Sohn der Jungfrau geworden ist, hat in seinem menschlichen Herzen beten gelernt. Er lernt die Gebetsformen von seiner Mutter, die alle großen Dinge des Allmächtigen im Gedächtnis bewahrt und in ihrem Herzen bedenkt [Vgl. Lk 1,49; 2,19; 2,51]. Jesus betet mit jenen Worten und Formen, mit denen sein Volk in der Synagoge von Nazaret und im Tempel betet. Sein Gebet entspringt aber einer verborgeneren Quelle; er läßt dies im Alter von zwölf Jahren erahnen: „Wußtet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). Hier beginnt sich das Neue des Betens in der Fülle der Zeit zu offenbaren. Das kindliche Gebet; das der Vater von seinen Kindern erwartete, wird endlich vom einzigen Sohn in seiner Menschennatur mit den Menschen und für sie gelebt (Vgl. dazu auch 470, 584, 534).
2600 Das Evangelium nach Lukas hebt das Wirken des Heiligen Geistes und den Sinn des Gebetes für den Auftrag Jesu hervor. Jesus betet jeweils vor den entscheidenden Schritten seiner Sendung: bevor der Vater ihn bei der Taufe [Vgl. Lk 3,21] und der Verklärung [Vgl. Lk 9,28] bezeugt und bevor er durch sein Leiden den liebenden Ratschluss des Vaters erfüllt [Vgl. Lk 22,41–44]. Jesus betet auch vor den für die Sendung seiner Apostel entscheidenden Schritten: bevor er die Zwölf auswählt und beruft [Vgl. Lk 6,12]; bevor Petrus ihn als den „Messias Gottes“ bekennt [Vgl. Lk 9,18–20]; schließlich betet er darum, dass der Glaube des Hauptes der Apostel in der Versuchung nicht wanke [Vgl. Lk 22,32]. Im Beten des Herrn vor den Heilsereignissen, die der Vater ihm zu vollbringen aufträgt, überläßt sich sein menschlicher Wille demütig und vertrauend dem liebenden Willen des Vaters (Vgl. dazu auch 535, 554, 612, 858, 443).
2601 „Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten !“ (Lk 11,1). Wünscht der Jünger Christi nicht in erster Linie deshalb zu beten, weil er seinen Meister beten sieht? Er kann das Gebet vom Meister lernen: im Betrachten und Hören, wie der Sohn zum Vater betet, erlernen es auch die Kinder (Vgl. dazu auch 2765).
2602 Jesus zieht sich oft, mit Vorliebe in der Nacht, auf einen Berg in die Einsamkeit zurück, um zu beten [Vgl. Mk 1,35; 6,46; Lk 5,16]. Da er in seiner Menschwerdung die Menschennatur annimmt, trägt er die Menschen auch in seinem Gebet und bringt sie dem Vater dar, indem er sich selbst darbringt. Er, das Wort, das „Fleisch angenommen hat“, nimmt in seinem menschlichen Beten an all dem teil, was seine „Brüder“ (Hebr 2,12) erleben; er fühlt ihre Schwächen mit, um sie davon zu befreien [Vgl. Hebr 2,15; 4,15]. Dazu hat ihn der Vater gesandt. Seine Worte und Werke sind also gleichsam sichtbarer Ausdruck seines Gebetes im Verborgenen (Vgl. dazu auch 616).
2603 Die Evangelisten haben zwei Gebete Christi aus der Zeit seines Wirkens ausdrücklich festgehalten. Beide beginnen mit einer Danksagung.
Im ersten Gebet [Vgl. Mt 11,25–27; Lk 10, 21–23] bekennt und preist Jesus den Vater, weil er die Geheimnisse des Gottesreiches denen, die sich für weise halten, verborgen, den Kleinen aber – den Armen der Seligpreisungen – geoffenbart hat. In seinem Jubelruf „Ja, Vater“, äußert sich die Tiefe seines Herzens: das Einverständnis mit dem, was dem Vater gefällt. Es klingt das „Fiat“ der Mutter Jesu bei seiner Empfängnis nach. Der Ausruf Christi ist wie ein Vorspiel zu dem Ja, das er dem Vater vor seinem Tod sagen wird. Das ganze Gebet Jesu hat seinen Platz in dieser liebenden Zustimmung seines menschlichen Herzens gegenüber dem Vater und dem „Geheimnis seines Willens“ (Eph 1,9) (Vgl. dazu auch 2546, 494).
2604 Das zweite Gebet wird vom hl. Johannes wiedergegeben. Es wird im Zusammenhang mit der Auferweckung des Lazarus überliefert [Vgl. Joh 11,41–42]. Dem Geschehen geht die Danksagung voraus: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.“ Dies bedeutet, dass der Vater stets Jesu Bitten erhört. Und Jesus fügt gleich hinzu: „Ich wußte, dass du mich immer erhörst.“ Dies drückt aus, dass Jesus seinerseits immerfort bittet. Das Gebet Jesu, das von Danksagung getragen ist, offenbart uns, wie wir bitten sollen: Schon bevor die Gabe geschenkt wird, stimmt Jesus Gott zu, der gibt und der sich selbst in seinen Gaben schenkt. Der Geber ist wertvoller als die gewährte Gabe. Er ist der „Schatz“, und bei ihm ist das Herz seines Sohnes. Die Gabe selbst wird „dazugegeben“ [Vgl. Mt 6,21.33] (Vgl. dazu auch 478).
Das „hohepriesterliche“ Gebet Jesu [Vgl. Joh 17] nimmt einen einzigartigen Platz in der Heilsökonomie ein. Es wird am Schluss des ersten Abschnitts betrachtet. Es offenbart das immer gegenwärtige Beten unseres Hohenpriesters und enthält gleichzeitig, was dieser uns für unser Gebet zu unserem Vater lehrt. Dieses Gebet wird im zweiten Abschnitt dargelegt (Vgl. dazu auch 2746).
2605 Als die Stunde gekommen ist, in der er den Ratschluss der Liebe seines Vaters erfüllt, läßt Jesus die unergründliche Tiefe seines Gebetes als Sohn erahnen. Diese Tiefe zeigt sich nicht nur, bevor er sich freiwillig ausliefert (,‚Vater ... nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“: Lk 22,42), sondern selbst in seinen letzten Worten am Kreuz, wo Gebet und Hingabe völlig eins sind (Vgl. dazu auch 614):
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43).
„Frau, siehe, dein Sohn! ... siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26–27). „Mich dürstet“ (Joh 19,28).
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) [Vgl. Ps 22,2].
„Es ist vollbracht“ (Joh 19,30).
„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46).
Zuletzt schreit Jesus laut auf und haucht den Geist aus [Vgl. Mk 15,37; Joh 19,30b].
2606 In diesem Schrei des menschgewordenen Wortes liegt alles Elend der Menschen aller Zeiten, von Sünde und Tod geknechtet, und jede Bitte und Fürbitte der Heilsgeschichte. Der Vater nimmt sie alle an und erhört sie in einer Weise, die über alle menschliche Hoffnung hinausgeht, durch die Auferweckung seines Sohnes. Darin erfüllt und vollendet sich der Weg des Gebetes in der Schöpfungs- und der Erlösungsordnung. In Christus erschließt uns das Buch der Psalmen das Gebet. Denn im „Heute“ der Auferstehung spricht der Vater: „Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir, und ich gebe dir die Völker zum Erbe, die Enden der Erde zum Eigentum“ (Ps 2,7–8) [Vgl. Apg 13,33] (Vgl. dazu auch 403, 653, 2587).
Der Hebräerbrief bringt dramatisch zum Ausdruck, wie das Gebet Jesu den Sieg des Heils bewirkt: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden. Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“ (Hebr 5,7–9).
Jesus lehrt beten
2607 Wenn Jesus betet, lehrt er uns schon beten. Der gottgemäße Weg unseres Betens ist Jesu Beten zu seinem Vater. Aber das Evangelium bietet uns darüber hinaus eine ausdrückliche Unterweisung Jesu über das Gebet. Als weiser Erzieher nimmt er uns dort, wo wir sind, an der Hand und führt uns Schritt für Schritt zum Vater. In seinen Worten an die Menschen, die ihm folgen, geht Jesus von dem aus, was diesen über das Gebet aus dem Alten Bund bereits bekannt ist, und öffnet ihre Herzen für das Neue des kommenden Reiches. Dann offenbart er der Menge dieses Neue in Gleichnissen. Schließlich spricht er zu den Jüngern, die in seiner Kirche als Erzieher zum Gebet wirken sollen, offen vom Vater und vom Heiligen Geist (Vgl. dazu auch 520).
2608 Schon in der Bergpredigt legt Jesus Gewicht auf die Bekehrung des Herzens. Bevor wir eine Opfergabe zum Altar bringen, sollen wir uns mit dem Bruder versöhnen [Vgl. Mt 5,23–24]. Wir sollen die Feinde lieben und für unsere Verfolger beten [Vgl. Mt 5,44–45]. Wir sollen zum „Vater, der im Verborgenen ist“, beten (Mt 6,6) und dabei nicht viele Worte machen [Vgl. Mt 6,7], im Gebet von Herzen verzeihen [Vgl. Mt 6,14–15], ein reines Herz haben und das Reich Gottes suchen [Vgl. Mt 6,21.25.33]. Diese Bekehrung ist ganz auf den Vater ausgerichtet. Sie ist kindliche Hinwendung zum Vater (Vgl. dazu auch 541, 1430).
2609 Wenn sich das Herz zur Umkehr entschließt, lernt es, im Glauben zu beten. Der Glaube ist kindliche Zustimmung zu Gott über unser Fühlen und Verstehen hinaus. Diese Hingabe ist möglich geworden, weil der vielgeliebte Sohn uns den Zugang zum Vater eröffnet. Der Sohn kann von uns verlangen zu „suchen“ und „anzuklopfen“, denn er selbst ist das Tor und der Weg [Vgl. Mt 7,7–11. 13–14] (Vgl. dazu auch 153, 1814).
2610 Im Gebet zum Vater dankt Jesus, noch bevor er dessen Gaben empfängt. So lehrt er uns, in derselben kindlichen Kühnheit zu handeln: „Alles, worum ihr betet und bittet – glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt“ (Mk 11,24). Dies macht die Kraft des Gebetes aus, denn „alles kann, wer glaubt“ (Mk 9,23) und in diesem Glauben „nicht zweifelt“ (Mt 21,21). Sosehr Jesus über den „Unglauben“ (Mk 6,6) seiner Angehörigen und die „Kleingläubigen“ unter seinen Jüngern (Mt 8,26) betrübt ist, sosehr ist er auch von Bewunderung erfüllt über den „großen Glauben“ des römischen Hauptmanns (Mt 8,10) und der kanaanäischen Frau [Vgl. Mt 15,28] (Vgl. dazu auch 165).
2611 Das Gebet des Glaubens besteht nicht nur darin, dass man „Herr, Herr!“ sagt, sondern dass man sein Herz darauf einstellt, den Willen des Vaters zu tun [Vgl. Mt 7,21]. Jesus fordert seine Jünger auf, dieses Bemühen, am göttlichen Ratschluss mitzuwirken, im Gebet zu tragen [Vgl. Mt 9,38; Lk 10,2; Joh 4,34] (Vgl. dazu auch 2827).
2612 In Jesus ist das Reich Gottes ganz nahe. Jesus fordert zur Bekehrung und zum Glauben auf, aber auch zur Wachsamkeit. Im Gebet wartet der Jünger aufmerksam auf den, der ist und der kommt, im Gedenken an das erste Kommen in der Demut des Fleisches und in der Hoffnung auf seine zweite Ankunft in Herrlichkeit [Vgl. Mk 13; Lk 21,34–36]. Das Gebet der Jünger ist ein Kampf, der in der Gemeinschaft mit dem Meister bestanden wird: Wer im Gebet wacht, gerät nicht in Versuchung [Vgl. Lk 22,40.46] (Vgl. dazu auch 672, 2725).
2613 Der hl. Lukas überliefert uns drei wichtige Gleichnisse über das Gebet (Vgl. dazu auch 546):
Das erste handelt vom aufdringlichen Freund [Vgl. Lk 11,5–13] und fordert zu inständigem Gebet auf: „Klopft an, dann wird euch geöffnet“. Dem, der so betet, wird der Vater im Himmel geben, was er benötigt, vor allem den Heiligen Geist, den Inbegriff aller guten Gaben.
Das zweite erzählt von der zudringlichen Witwe [Vgl. Lk 18,1–8]; dieses Gleichnis zielt auf eine weitere Eigenschaft des Betens: in gläubiger Geduld unablässig zu beten. „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde Glauben vorfinden?“
Das dritte Gleichnis, jenes vom Pharisäer und vom Zöllner [Vgl. Lk 18,9–14], verlangt beim Beten ein demütiges Herz. „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Die Kirche macht sich dieses Gebet immer wieder zu eigen: „Kyrie eleison!“ (Vgl. dazu auch 2559)
2614 Als Jesus den Jüngern das Geheimnis des Betens zum Vater anvertraut, enthüllt er ihnen, wie ihr – und damit auch unser – Gebet sein soll, wenn er in seiner verherrlichten Menschennatur zum Vater zurückgekehrt sein wird: Neu ist das Bitten in seinem Namen [Vgl. Joh 14,13–14]. Der Glaube an Christus führt die Jünger in die Erkenntnis des Vaters ein, denn Jesus ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Der Glaube bringt Frucht in der Liebe: wir halten uns an das Wort und die Gebote Jesu; wir bleiben im Vater, der uns in Christus so sehr liebt, dass er in uns bleibt. In diesem neuen Bund gründet die Gewissheit, dass unsere Bitten erhört werden, auf dem Gebet Jesu [Vgl. Joh 14,13–14] (Vgl. dazu auch 434).
2615 Mehr noch: Wenn unser Gebet sich mit dem Gebet Jesu vereint, erfüllt er die Verheißung: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14, 16–17). Diese neue Dimension des Gebetes wird in den Abschiedsreden offenbar [Vgl. Joh 14, 23–26; 15, 7.16; 16,13–15; 16,23–27]. Im Heiligen Geist ist das christliche Gebet Gemeinschaft in der Liebe mit dem Vater, nicht nur durch Christus sondern auch in ihm: „Bis jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei“ (Joh 16,24) (Vgl. dazu auch 728).
Jesus erhört das Gebet
2616 Das an Jesus gerichtete Gebet wird schon während seines Wirkens von ihm erhört durch Zeichen, die die Wirkkraft seines Todes und seiner Auferstehung vorwegnehmen. Jesus erhört das gläubige Gebet, das in Worte gefaßt ist (die Bitten des Aussätzigen [Vgl. Mk 1,40–41], des Jaïrus [Vgl. Mk 5,36], der kanaanäischen Frau [Vgl. Mk 7,29] und des guten Schächers [Vgl. Lk 23,39–43]), aber auch unausgesprochene Bitten (die der Träger des Lahmen [Vgl. Mk 2,5]; der blutflüssigen Frau, die sein Gewand berührt [Vgl. Mk 5,28]; die Tränen und das Salböl der Sünderin [Vgl. Lk 7,37–38]). Die eindringliche Bitte der Blinden: „Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids!“ (Mt 9,27); „Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,48) wurde in die Überlieferung des Jesusgebetes übernommen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir Sünder!“ Jesus erhört stets das Gebet, das ihn gläubig um die Heilung von Krankheiten oder die Vergebung der Sünden anfleht: „Geh im Frieden; dein Glaube hat dir geholfen.“ (Vgl. dazu auch 548, 2667)
Der hl. Augustinus faßt die drei Dimensionen des Betens Jesu großartig zusammen: „Er betet für uns als unser Priester; er betet in uns als unser Haupt; wir beten zu ihm als unserem Gott. Vernehmen wir also unsere Stimme in ihm, und seine Stimme in uns“ (Psal. 85, 1) [Vgl. IGLH 7].
Das Gebet der Jungfrau Maria
2617 Das Gebet Marias wird uns beim Anbruch der Fülle der Zeiten geoffenbart. Vor der Menschwerdung des Sohnes Gottes und der Ausgießung des Heiligen Geistes wirkt ihr Gebet einzigartig am gnädigen Ratschluss des Vaters mit: für die Empfängnis Christi bei der Verkündigung [Vgl. Lk 1,38] und für die Entstehung der Kirche, des Leibes Christi, zu Pfingsten [Vgl. Apg 1,14]. Im Glauben seiner demütigen Magd findet die Gabe Gottes die Aufnahme, auf die sie seit dem Anfang der Zeiten wartete. Vom Allmächtigen „mit Gnade erfüllt“, antwortet Maria durch die Hingabe ihres ganzen Wesens: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort“. Fiat! – das ist das christliche Gebet: ganz ihm gehören, weil er ganz uns gehört (Vgl. dazu auch 148, 494, 490).
2618 Das Evangelium offenbart uns, wie Maria gläubig betet und Fürbitte einlegt: In Kana [Vgl. Joh 2,1–12] bittet die Mutter Jesu ihren Sohn um das Nötige für das Hochzeitsmahl. Dieses Mahl ist Zeichen eines anderen Mahles: jenes der Hochzeit des Lammes, in dem Christus auf die Bitte der Kirche als seiner Braut Leib und Blut hingibt. Zur Stunde des Neuen Bundes wird Maria zu Füßen des Kreuzes [Vgl. Joh 19,25–27] erhört. Denn sie ist die Frau, die neue Eva, die wahre „Mutter aller Lebendigen“ (Vgl. dazu auch 2674, 726).
2619 Deshalb ist der Lobgesang Marias [Vgl. Lk 1,46–55] [lateinisch: „Magnificat“, byzantinisch: „Megalinárion“] zugleich das Loblied der Gottesmutter und der Kirche, der Lobgesang der Tochter Zion und des neuen Gottesvolkes. Er ist ein Danklied für die Fülle der Gnaden, die in der Heilsökonomie gespendet werden, ein Lied der „Armen“, deren Hoffnung überreich erfüllt wird, gehen doch die Verheißungen in Erfüllung, die „Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ gegeben worden sind (Vgl. dazu auch 724).
KURZTEXTE
2620 Im Neuen Testament ist das Gebet Jesu, des Sohnes Gottes, das vollkommene Vorbild des Betens. Das Gebet Jesu – oft in Einsamkeit und im Verborgenen – besteht in der liebenden Zustimmung zum Willen des Vaters bis hin zum Kreuz und im absoluten Vertrauen, erhört zu werden.
2621 In seiner Unterweisung lehrt Jesus die Jünger, mit geläutertem Herzen, mit lebendigem und beharrlichem Glauben, sowie mit kindlicher Kühnheit zu beten. Er fordert sie zur Wachsamkeit auf und lädt sie ein, in seinem Namen Gott ihre Bitten vorzubringen. Jesus Christus selbst erhört die Gebete, die an ihn gerichtet werden.
2622 Das Gebet der Jungfrau Maria in ihrem „Fiat“ und im „Magnificat“ ist durch die großmütige Hingabe ihres ganzen Wesens im Glauben gekennzeichnet.
ARTIKEL 3: IN DER ZEIT DER KIRCHE
2623 Am Pfingsttag wurde der Geist der Verheißung über die Jünger ausgegossen. Sie „befanden sich alle am gleichen Ort“ (Apg 2,1), „verharrten dort einmütig im Gebet“ (Apg 1,14) und erwarteten den Heiligen Geist. Der Geist, der die Kirche lehrt und sie an alles erinnert, was Jesus gesagt hat [Vgl. Joh 14.26], wird sie auch zu einem Leben des Gebetes heranbilden (Vgl. dazu auch 731).
2624 Die Gläubigen der ersten Gemeinde von Jerusalem „hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Diese Reihenfolge ist bezeichnend: Das Gebet der Kirche gründet auf dem Glauben der Apostel, wird durch die Liebe beglaubigt und in der Eucharistie genährt (Vgl. dazu auch 1342).
2625 Die Gläubigen halten sich zunächst an die Gebete, die sie in der Schrift hören und lesen. Sie beziehen diese jedoch auf die Gegenwart. Dies gilt insbesondere von den Psalmen, die ja in Christus erfüllt sind [Vgl. Lk 24, 27.44]. Der Heilige Geist, der seiner betenden Kirche Christus in Erinnerung ruft, führt sie auch in die ganze Wahrheit ein. Er regt an, das unergründliche Mysterium Christi, das im Leben, in den Sakramenten und in der Sendung der Kirche am Werk ist, neu in Worte zu fassen. Diese neuen Ausdrucksweisen entfalten sich in den großen liturgischen und geistlichen Überlieferungen. Die Gebetsformen, die in den kanonischen Schriften der Apostel weitergegeben werden, bleiben für das christliche Beten maßgebend (Vgl. dazu auch 1092, 1200).
I Segen und Anbetung
2626 Der Segen stellt die Grundbewegung des christlichen Betens dar: die Begegnung zwischen Gott und dem Menschen. Im Segen vereinen sich die Gabe Gottes und deren Annahme durch den Menschen im gegenseitigen Anruf. Das segnende Gebet ist Antwort des Menschen auf die Gaben Gottes. Weil Gott Segen spendet, kann das Herz des Menschen dafür den lobpreisen, der die Quelle allen Segens ist [Im Lateinischen hat das Wort „benedicere“ die doppelte Bedeutung von „segnen“ und preisen“ (Anmerkung des Übersetzers)] (Vgl. dazu auch 1078).
2627 Diese Bewegung hat im wesentlichen zwei Richtungen: Einerseits steigt sie – getragen vom Heiligen Geist – durch Christus zum Vater auf: wir preisen ihn, weil er uns gesegnet hat [Vgl. Eph 1,3–14; 2 Kor 1,3–7: 1 Petr 1,3–9]. Andererseits fleht unser Gebet um die Gnade des Heiligen Geistes, die vom Vater durch Christus herabkommt: Gott segnet uns [Vgl. 2 Kor 13,13; Röm 15,5–6. 13; Eph 6,23–24] (Vgl. dazu auch 1083).
2628 Anbetung ist die erste Haltung des Menschen, der sich vor seinem Schöpfer als Geschöpf erkennt. Sie verherrlicht die Größe des Herrn, der uns geschaffen hat [Vgl. Ps 95,1–6], und die Allmacht des Retters, der uns vom Bösen befreit. In der Anbetung wirft sich der Geist vor dem „König der Herrlichkeit“ (Ps 24,9–10) nieder und schweigt ehrfürchtig vor dem „je größeren Gott“ (Augustinus, Psal. 62,16). Die Anbetung des dreimal heiligen und über alles zu liebenden Gottes erfüllt uns mit Demut und gibt unserem Bitten Zuversicht (Vgl. dazu auch 2096–2097, 2559).
II Bittgebet
2629 Bezeichnungen für die Bitte sind im Neuen Testament vielfältig: bitten, ersuchen, flehen, anrufen, schreien, laut schreien, ja sogar „im Gebet kämpfen“ [Vgl. Röm 15,30; Kol 4,12]. Der gebräuchlichste und naheliegendste Ausdruck ist jedoch „bitten“. Im Bittgebet spricht sich das Bewusstsein unserer Beziehung zu Gott aus. Wir sind Geschöpfe und darum weder unser eigener Ursprung, noch Herr über unsere Lage und sind auch nicht unser letztes Ziel. Als Sünder wissen wir Christen aber auch, dass wir uns immer wieder von unserem Vater abwenden. Die Bitte ist schon eine Rückkehr zu Gott (Vgl. dazu auch 396).
2630 Das Neue Testament enthält kaum Klagegebete, wie sie im Alten Testament häufig vorkommen. Im auferstandenen Christus ist das Gebet der Kirche von Hoffnung getragen, auch wenn wir noch warten und uns Tag für Tag bekehren müssen. Das christliche Bitten entspringt einer größeren Tiefe. Der hl. Paulus nennt diesen Ursprungsort des Bittens Seufzen und meint damit die Schöpfung, die „seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Er meint auch uns, denn wir „seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Röm 8,23–24). Der hl. Paulus meint schließlich den Heiligen Geist, der für uns eintritt „mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“. Auf diese Weise nimmt sich „der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“ (Röm 8,26) (Vgl. dazu auch 2090).
2631 Die Bitte um Vergebung ist die erste Regung des Bittgebetes. Sie findet sich etwa im Gebet des Zöllners: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Lk 18,13). Sie ist die Voraussetzung zum rechtschaffenen und lauteren Beten. Vertrauensvolle Demut stellt uns wieder in das Licht der Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus und damit in die Gemeinschaft unter uns Menschen [Vgl. 1 Joh 1,7–2,2]. Dann „empfangen wir von ihm“ all das, „was wir erbitten“ (1 Joh 3,22). Die Bitte um Vergebung muss der Eucharistiefeier und dem persönlichen Gebet vorausgehen (Vgl. dazu auch 2838).
2632 Gemäß der Lehre Jesu steht im Mittelpunkt des christlichen Bittens das Verlangen und die Suche nach dem Reich Gottes [Vgl. Mt 6,10.33; Lk 11,2.13]. Dabei gibt es eine Rangordnung der Bitten: Zuerst erbitten wir das Reich und dann alles, was uns notwendig ist, um es aufzunehmen und an seinem Kommen mitzuarbeiten. Dieses Mitwirken an der Sendung Christi und des Heiligen Geistes, die nun die Sendung der Kirche ist, ist Gegenstand des Betens der apostolischen Gemeinde [Vgl. Apg 6,6; 13,3]. Das Gebet des Apostels Paulus zeigt uns, wie die göttliche Sorge um alle Kirchen das christliche Gebet beseelen soll [Vgl. Röm 10,1; Eph 1,16–23; Phil 1,9–11; Kol 1,3–6; 4,3–4.12]. Durch das Gebet arbeitet jeder Getaufte am Kommen des Reiches Gottes mit (Vgl. dazu auch 2816, 1942, 2854).
2633 Wer so an der rettenden Liebe Gottes teilnimmt, begreift, dass jedes Bedürfnis Gegenstand des Bittens werden kann. Christus, der alles angenommen hat, um alles zu erlösen, wird durch die Bitten, die wir in seinem Namen dem Vater darbringen, verherrlicht [Vgl. Joh 14,13]. Mit dieser Zuversicht ermahnen uns Jakobus [Vgl. Jak 1,5–8] und Paulus [Vgl. Eph 5,20; Phil 4,6–7; Kol 3, 16–17; 1 Thess 5, 17–18], jederzeit zu beten (Vgl. dazu auch 2830).
III Fürbittgebet
2634 Die Fürbitte ist ein Bittgebet, das uns dem Beten Jesu gleichförmig macht. Er ist der einzige Fürsprecher beim Vater für alle Menschen, vor allem für die Sünder [Vgl. Röm 8,34; 1 Joh 2,1; 1 Tim 2,5–8]. Er kann „die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten“ (Hebr 7,25). Der Heilige „Geist selber tritt ... für uns ein ... Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein“ (Röm 8,26–27) (Vgl. dazu auch 432).
2635 Jedes Herz, das in die Barmherzigkeit Gottes miteinstimmt, tritt, seit Abraham, für die anderen ein und bittet für sie. In der Zeit der Kirche hat die Fürbitte der Christen an der Fürbitte Christi teil; sie ist Ausdruck der Gemeinschaft der Heiligen. In der Fürsprache achtet jeder Beter „nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen“ (Phil 2,4) – ja, er betet sogar für die, die ihm Böses zufügen [Vgl. den hl. Stephanus, der wie Jesus für seine Peiniger gebetet hat: Apg 7,60; Lk 23,28.34] (Vgl. dazu auch 2571, 2577).
2636 Die ersten christlichen Gemeinden haben in dieser ständigen gegenseitigen Anteilnahme im Gebet gelebt [Vgl. Apg 12,5; 20,36; 21,5; 2 Kor 9, 14]: Der hl. Apostel Paulus läßt sie auf diese Weise an seinem Dienst am Evangelium teilnehmen [Vgl. Eph 6,18–20; Kol 4,3–4: 1 Thess 5,25], tritt aber auch für sie ein [Vgl. 2 Thess 1,11; Kol 1,3; Phil 1,3–4]. Die Fürbitte der Christen kennt keine Grenzen: sie gilt „für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben“ (1 Tim 2,1–2). Die Christen beten auch für die Verfolger [Vgl. Röm 12,14] und um das Heil derer, die das Evangelium zurückweisen [Vgl. Röm 10,1] (Vgl. dazu auch 1900, 1037).
IV Dankgebet
2637 Die Danksagung kennzeichnet das Gebet der Kirche, die in der Eucharistiefeier bezeugt, was sie ist, und wird, was sie bezeugt. Denn Christus befreit durch sein Heilswerk die Schöpfung von Sünde und Tod, um sie erneut zu weihen und zum Vater zurückzuführen, ihm zur Ehre. Die Danksagung der Glieder des Leibes nimmt an der Danksagung ihres Hauptes teil (Vgl. dazu auch 224, 1328, 2603).
2638 Jedes Ereignis und jedes Bedürfnis können Opfer des Dankes werden, so wie sie auch Gegenstand des Bittgebetes werden können. Die Briefe des hl. Paulus beginnen und enden oft mit einer Danksagung, in der stets auf Jesus Bezug genommen wird. „Dankt für alles, denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört“ (1 Thess 5,18). „Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar“ (Kol 4,2).
V Lobgebet
2639 Das Lob ist die Gebetsform, die am unmittelbarsten Gott anerkennt. Das Lob besingt Gott um seiner selbst willen. Es erweist ihm Ehre, nicht nur wegen seiner Taten, sondern weil er ist. Wer Gott lobt, hat teil an der Seligkeit der reinen Herzen: er liebt Gott im Glauben, ehe er ihn in der Herrlichkeit schaut. Durch das Lobgebet vereint sich der Heilige Geist mit unserem Geist, um zu bezeugen, dass wir Kinder Gottes sind [Vgl. Röm 8,16]. Er legt Zeugnis ab für den eingeborenen Sohn, in dem wir an Kindes Statt angenommen sind und durch den wir den Vater verherrlichen. Das Lob enthält die anderen Formen des Gebetes und trägt sie zu ihrer Quelle und ihrem Ziel: den „einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles und wir leben auf ihn hin“ (1 Kor 8,6) (Vgl. dazu auch 213).
2640 Der hl. Lukas erwähnt in seinem Evangelium oft das Erstaunen und den Lobpreis, die durch die Wundertaten Christi ausgelöst werden. Staunen und Loben rufen auch die Taten der Apostel hervor, die letztlich Taten des Heiligen Geistes sind: so etwa die Bildung der Gemeinde von Jerusalem [Vgl. Apg 2,47] und die Heilung des Gelähmten durch Petrus und Johannes [Vgl. Apg 3.9]. Die Menge verherrlicht Gott wegen dieser Heilung [Vgl. Apg 4,21]. Als den Heiden von Pisidien die Botschaft gebracht wurde, „freuten sie sich und priesen das Wort des Herrn“ (Apg 13,48).
2641 „Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn!“ (Eph 5, 19) [Vgl. Kol 3,16]. Wie die inspirierten Verfasser des Neuen Testamentes lesen auch die ersten Christengemeinden das Buch der Psalmen neu: mit diesen Liedern besingen sie das Mysterium Christi. Sie verfassen in der neuen Kraft des Geistes selbst Hymnen und Lobgesänge. Sie gehen dabei von dem einzigartigen Ereignis aus, das Gott in seinem Sohn vollbracht hat: der Menschwerdung, dem Tod, der den Tod besiegt hat, der Auferstehung und dem Aufstieg zur Rechten des Vaters [Vgl. Phil 2,6–11; Kol 1.15–20; Eph 5,14; 1 Tim 3,16; 6,15–16; 2 Tim 2,11–13]. Aus diesem „Wunder aller Wunder“ der Heilsökonomie steigt die Doxologie, das Lob Gottes empor [Vgl. Eph 1,3–14; Röm 16,25–27; Eph 3,20–21; Jud 24–25] (Vgl. dazu auch 2587).
2642 Die Offenbarung dessen, „was bald geschehen muss“ (Offb 1,1), die Apokalypse, ist von den Gesängen der himmlischen Liturgie [Vgl. Offb 4,8–11; 5,9–14; 7,10–12] und von der Fürbitte der „Zeugen“ [Märtyrer] [Vgl. Offb 6,9] getragen. Die Propheten und die Heiligen, alle, die wegen des Zeugnisses für Jesus auf Erden hingeschlachtet wurden [Vgl. Offb 18,24], die ungeheure Menge derer, die aus der großen Bedrängnis kamen, sind uns ins Reich vorausgegangen. Sie besingen die Herrlichkeit dessen, der auf dem Thron sitzt, und die des Lammes [Vgl. Offb 19,1–8]. In Gemeinschaft mit ihnen singt auch die Kirche auf Erden diese Lobgesänge im Glauben und in der Prüfung. In Bitte und Fürbitte hofft der Glaube gegen alle Hoffnung und dankt dem „Vater der Gestirne“, von dem „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt“ (Jak 1,17). Auf diese Weise wird der Glaube reines Lob (Vgl. dazu auch 1137).
2643 Die Eucharistie enthält alle diese Gebetsformen und bringt sie zum Ausdruck: sie ist „die reine Opfergabe“ des ganzen Leibes Christi „zur Ehre seines Namens“ [Vgl. Mal 1,11]; sie ist den Überlieferungen des Ostens und des Westens zufolge „das Lobopfer“ schlechthin (Vgl. dazu auch 1330).
KURZTEXTE
2644 Der Heilige Geist, der die Kirche lehrt und sie an alles erinnert, was Jesus gesagt hat, erzieht sie auch zum Gebetsleben. Innerhalb der gleichbleibenden Formen des Segens, des Bittens, der Fürbitte, der Danksagung und des Lobes erweckt der Geist neue Ausdrucksweisen.
2645 Weil Gott das Herz des Menschen segnet, kann dieses seinerseits Gott segnen und preisen, der die Quelle allen Segens ist.
2646 Das Bittgebet hat die Vergebung, die Suche nach dem Reich Gottes sowie jedes echte Bedürfnis zum Gegenstand.
2647 Das fürbittende Gebet besteht im Bitten zugunsten anderer. Es kennt keine Grenze und erstreckt sich auch auf Feinde.
2648 Jede Freude und jede Not, jedes Ereignis und jedes Bedürfnis können. Inhalt der Danksagung sein, die an der Danksagung Christi teil hat und das ganze Leben erfüllen soll: „Dankt für alles“ (1 Thess 5 18).
2649 Das ganz uneigennützige Lobgebet richtet sich auf Gott. Es preist ihn um seiner selbst willen; es verherrlicht ihn nicht nur wegen seiner Taten, sondern weil er ist.
ZWEITES KAPITEL: DIE ÜBERLIEFERUNG DES GEBETES
2650 Das Gebet beschränkt sich nicht auf den unwillkürlichen Ausbruch eines inneren Antriebs; Beten muss gewollt sein. Es genügt auch nicht, zu wissen, was die Schrift über das Gebet offenbart; Beten will gelernt sein. Darum lehrt der Heilige Geist die Kinder Gottes das Gebet in der „glaubenden und betenden Kirche“ (DV 8) durch lebendige Weitergabe, die heilige Überlieferung (Vgl. dazu auch 75).
2651 Die christliche Gebetstradition ist eine der Formen, in denen sich die Überlieferung des Glaubens entfaltet. Dies geschieht besonders durch das Studium und die Betrachtung der Gläubigen, die in ihrem Herzen die Ereignisse und Worte der Heilsökonomie bewahren und die geistlichen Wirklichkeiten, die sie erfahren haben, tief durchdringen [Vgl. DV 8] (Vgl. dazu auch 94).
ARTIKEL 4: AN DEN QUELLEN DES GEBETES
2652 Der Heilige Geist ist „das lebendige Wasser“, das im betenden Herzen „zur sprudelnden Quelle“ wird, „deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4,14). Er lehrt uns, an eben dieser Quelle Christus zu empfangen. Im christlichen Leben gibt es Quellen, an denen Christus uns erwartet, um uns mit dem Heiligen Geist zu tränken (Vgl. dazu auch 694).
Das Wort Gottes
2653 Die Kirche ermahnt alle Christgläubigen „besonders eindringlich, durch häufige Lesung der göttlichen Schriften ‚die überragende Erkenntnis Christi‘ zu erlangen“. Sie sollen daran denken, „dass Gebet die Lesung der Heiligen Schrift begleiten muss, damit sie zu einem Gespräch zwischen Gott und Mensch werde; denn ‚ihn reden wir an, wenn wir beten; ihn hören wir, wenn wir die göttlichen Aussagen lesen‘“ (Ambrosius, off. 1,88) (DV 25) (Vgl. dazu auch 133, 1100).
2654 Die Väter des geistlichen Lebens fassen in ihrer Deutung von Matthäus 7,7 die Haltungen des Herzens, das im Gebet vom Wort Gottes genährt wird, zusammen: „Wenn ihr lest, sucht, und ihr werdet im Nachsinnen finden; wenn ihr betet, klopft an, und es wird euch durch die Betrachtung geöffnet“ [Vgl. Guigo der Karthäuser, scala].
Die Liturgie der Kirche
2655 Die Sendung Christi und des Heiligen Geistes, der in der sakramentalen Liturgie der Kirche das Heilsmysterium verkündigt, vergegenwärtigt und mitteilt, setzt sich im betenden Herzen fort. Die geistlichen Väter vergleichen zuweilen das Herz mit einem Altar. Das Gebet nimmt die Liturgie während und nach ihrer Feier in sich auf und eignet sie sich an. Selbst wenn das Gebet „im Verborgenen“ geschieht (Mt 6,6), bleibt es Gebet der Kirche und Gemeinschaft mit der heiligsten Dreifaltigkeit [Vgl. IGLH 9] (Vgl. dazu auch 1073, 368).
Die göttlichen Tugenden (Vgl. dazu auch 1812 – 1829)
2656 Wir treten in das Gebet ein wie in die Liturgie: durch die enge Pforte des Glaubens. In den Zeichen der Gegenwart des Herrn suchen und ersehnen wir sein Angesicht. In ihnen wollen wir sein Wort hören und es bewahren.
2657 Der Heilige Geist lehrt uns, die Liturgie in Erwartung der Wiederkunft Christi zu feiern; so erzieht er uns zum Gebet in der Hoffnung. Das Gebet der Kirche und das persönliche Gebet stärken in uns die Hoffnung. Besonders die Psalmen mit ihrer konkreten und reichen Sprache lehren uns, unsere Hoffnung auf Gott zu setzen: „Ich hoffte, ja ich hoffte auf den Herrn. Da neigte er sich mir zu und hörte mein Schreien“ (Ps 40,2). „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15,13).
2658 „Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Das Gebet, das vom liturgischen Leben geformt ist, schöpft alles aus der Liebe, mit der wir in Christus geliebt sind. Sie läßt uns darauf antworten, indem wir lieben, wie er uns geliebt hat. Die Liebe ist die Quelle des Gebetes; wer aus ihr schöpft, erreicht den Höhepunkt des Betens (Vgl. dazu auch 826):
„Ich liebe dich, mein Gott, und mein einziger Wunsch ist, dich bis zum letzten Atemzug meines Lebens zu lieben. Ich liebe dich, o du mein unendlich liebenswürdiger Gott, und ich möchte lieber in Liebe zu dir sterben, als ohne Liebe zu dir leben. Ich liebe dich, Herr, und die einzige Gnade, um die ich dich bitte, ist die, dich ewig lieben zu dürfen ... Mein Gott, wenn meine Zunge nicht in jedem Augenblick sagen kann, dass ich dich liebe, so will ich, dass mein Herz es dir so viele Male wiederholt, wie ich atme“ (Jean Marie Baptiste Vianney, Gebet).
„Heute“
2659 Wenn wir das Wort des Herrn hören und an seinem Pascha-Mysterium teilnehmen, lernen wir zu bestimmten Zeiten beten. Doch sein Geist wird uns zu jeder Zeit, in den Ereignissen eines jeden Tages, als Quelle des Gebetes geschenkt. Die Unterweisung Jesu über das Beten zu unserem Vater und über die Vorsehung [Vgl. Mt 6,11.34] liegen auf der gleichen Linie: Die Zeit liegt in den Händen des Vaters; wir begegnen ihm in der Gegenwart, nicht gestern oder morgen, sondern heute: „Ach, würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören! Verhärtet euer Herz nicht!“ (Ps 95,7–8) (Vgl. dazu auch 1165, 2837, 305).
2660 Eines der Geheimnisse des Reiches Gottes, die den „Kleinen“, den Dienern Christi, den Armen der Seligpreisungen geoffenbart worden sind, ist es, in den Ereignissen jeden Tages und jeden Augenblickes zu beten. Es ist gut und richtig, dafür zu beten, dass das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens sich auf den Gang der Geschichte auswirkt; es ist ebenso wichtig, die schlichten und alltäglichen Situationen mit Hilfe des Gebetes zu durchdringen. Alle Gebetsformen können der Sauerteig sein, mit dem der Herr das Gottesreich vergleicht [Vgl. Lk 13,20–21] (Vgl. dazu auch 2546, 2632).
KURZTEXTE
2661 Durch eine lebendige Weitergabe, die Überlieferung, lehrt der Heilige Geist in der Kirche die Kinder Gottes beten.
2662 Das Wort Gottes, die Liturgie der Kirche, die Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sind Quellen des Gebetes.
ARTIKEL 5: DER WEG DES GEBETES
2663 Jede Kirche bietet in der lebendigen Überlieferung des Gebetes dem geschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld entsprechend ihren Gläubigen die Sprache des Betens in Worten, Gesängen, Gebetshaltungen und Bildern an. Das Lehramt [Vgl. DV 10] hat die treue Übereinstimmung dieser verschiedenen Wege des Betens mit dem überlieferten apostolischen Glauben zu beurteilen, und die Seelsorger und Katecheten haben deren Sinn zu erklären, der stets auf Christus bezogen ist (Vgl. dazu auch 1201).
Gebet zum Vater
2664 Es gibt keinen anderen Weg christlichen Betens als Christus. Unser Gebet hat nur dann Zugang zum Vater, wenn wir „im Namen Jesu“ beten, in Gemeinschaft oder allein, in gesprochener oder innerlicher Weise. Die heilige Menschheit Jesu ist der Weg, durch den der Heilige Geist uns zu Gott, unserem Vater, beten lehrt (Vgl. dazu auch 2780).
Gebet zu Jesus
2665 Das Gebet der Kirche, das sich vom Wort Gottes und der Feier der Liturgie nährt, lehrt uns zu Jesus, unserem Herrn beten. Selbst wenn es sich vornehmlich an den Vater richtet, enthält es doch in allen liturgischen Überlieferungen Formen des Betens, die sich an Christus wenden. Manche im Gebet der Kirche aktualisierte Psalmen und das Neue Testament legen die Anrufungen dieses Betens zu Christus auf unsere Lippen und prägen sie in unsere Herzen ein (Vgl. dazu auch 451):
Sohn Gottes
Wort Gottes
Unser Herr
Unser Heiland
Lamm Gottes
Unser König
Du vielgeliebter Sohn
Sohn der Jungfrau
Guter Hirt
Unser Leben
Unser Licht
Unsere Hoffnung
Unsere Auferstehung
Freund der Menschen ...
2666 Doch der Name, der alles enthält, ist der, den der Sohn Gottes bei seiner Menschwerdung erhält: Jesus. Der Name Gottes läßt sich von menschlichen Lippen nicht aussprechen [Vgl. Ex 3,14; 33,19–23], aber das Wort Gottes offenbart ihn uns in der Menschwerdung; jetzt können wir ihn anrufen: „Jesus“, „JHWH rettet“ [Vgl. Mt 1,21]. Der Name Jesu enthält alles: Gott und den Menschen und die ganze Ordnung der Schöpfung und Erlösung. „Jesus“ beten heißt, ihn anrufen, ihn in uns rufen. Sein Name trägt als einziger Gottes Gegenwart in sich, die er bedeutet. Jesus ist auferstanden, und wer immer seinen Namen anruft, empfängt den Sohn Gottes, der ihn geliebt und sich für ihn hingegeben hat [Vgl. Röm 10,13; Apg 2,21; 3,15–16; Gal 2,20] (Vgl. dazu auch 432, 435).
2667 Diese äußerst einfache Anrufung aus dem Glauben wurde in der Überlieferung des Gebetes des Ostens und des Westen in mancherlei Formen entfaltet. Die häufigste Fassung, die durch die geistlichen Väter auf dem Sinai, in Syrien und auf dem Berge Athos weitergegeben wurde, ist die Anrufung: „Jesus Christus, Sohn Gottes, Herr, hab Erbarmen mit uns Sündern!“ Sie verbindet den christusbezogenen Hymnus aus dem Brief an die Gemeinde in Philippi [Phil 2,6–11] mit der Bitte des Zöllners und der Blinden [Vgl. Mk 10,46–52; Lk 18,13]. Durch sie wird das Herz auf das Elend der Menschen und die Barmherzigkeit ihres Retters eingestimmt (Vgl. dazu auch 2616).
2668 Die Anrufung des Namens Jesu ist der einfachste Weg des ständigen Betens. Von einem demütig aufmerksamen Herzen oft wiederholt, verliert sich dieses Gebet nicht in „vielen Worten“ (Mt 6,7), sondern bewahrt das Wort und bringt in Ausdauer Frucht [Vgl. Lk 8,15]. Es ist „allzeit“ möglich, denn zu beten ist nicht eine Beschäftigung neben anderen, sondern die einzigartige Beschäftigung, Gott zu lieben, die in Christus Jesus alles Tun beseelt und verklärt (Vgl. dazu auch 435).
2669 Das Gebet der Kirche ehrt und verehrt das Herz Jesu, wie es seinen heiligsten Namen anruft. Die Kirche betet das menschgewordene Wort und sein Herz an, das sich aus Liebe zu den Menschen von unseren Sünden durchbohren ließ. Das christliche Beten folgt im Kreuzweg gern dem Erlöser nach. Die Stationen vom Prätorium bis Golgota und bis zum Grab kennzeichnen den Weg Jesu, der durch sein heiliges Kreuz die Welt erlöst hat (Vgl. dazu auch 478, 1674).
„Komm, Heiliger Geist!“
2670 „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12,3). Jedesmal, wenn wir beginnen zu Jesus zu beten, lockt uns der Heilige Geist durch seine zuvorkommende Gnade auf den Weg des Betens. Er lehrt uns beten, indem er uns an Christus erinnert; wie sollten wir dann nicht auch zu ihm selbst beten? Deshalb lädt uns die Kirche ein, jeden Tag um den Heiligen Geist zu flehen, besonders zu Beginn und am Ende jeder wichtigen Tätigkeit (Vgl. dazu auch 683, 2001, 1310):
„Wenn der Geist nicht angebetet werden soll, wie vergöttlicht er mich dann durch die Taufe? Und wenn er angebetet werden soll, muss er dann nicht Gegenstand einer besonderen Verehrung sein?“ (Gregor v. Nazianz, or. theol. 5,28).
2671 Die übliche Form der Bitte um den Geist besteht in der Anrufung des Vaters durch Christus, unseren Herrn, uns den Tröstergeist zu geben [Vgl. Lk 11,13]. Als Jesus den Geist der Wahrheit verheißt [Vgl. Joh 14,17; 15,26; 16,13], betont er die Notwendigkeit, in seinem Namen um den Geist zu bitten. Ebenfalls üblich ist das einfachste und unmittelbarste Gebet: „Komm, Heiliger Geist!“. Jede liturgische Überlieferung entfaltet es in ihren Antiphonen und Hymnen:
„Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen, und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!“ [Vgl. die Pfingstsequenz].
„Himmlischer König, Geist des Trostes, Geist der Wahrheit, allgegenwärtig und alles erfüllend, Schatz alles Guten und Quell des Lebens, komm, wohne in uns, läutere und rette uns, du, der du gut bist“ (Byzantinische Liturgie, Tropar der Pfingstvesper).
2672 Der Heilige Geist, dessen Salbung unser ganzes Wesen erfüllt, ist der innere Lehrmeister des christlichen Betens. Er ist der Urheber der lebendigen Überlieferung des Gebetes. Es lassen sich wohl ebensoviele Wege des Betens finden, wie es betende Menschen gibt, doch wirkt in allen und mit allen der gleiche Geist. In der Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist das christliche Beten Gebet in der Kirche (Vgl. dazu auch 695).
In Gemeinschaft mit der heiligen Gottesmutter
2673 Im Gebet vereint uns der Heilige Geist mit der Person des eingeborenen Sohnes in dessen verherrlichter Menschennatur. Durch diese und in ihr ist unser Gebet als Söhne Gottes in der Kirche mit der Mutter Jesu vereint [Vgl. Apg 1,14] (Vgl. dazu auch 689).
2674 Seit ihrer Zustimmung, die sie bei der Verkündigung gläubig gab und an der sie unter dem Kreuz ohne Zögern festhielt, erstreckt sich die Mutterschaft Marias fortan auf die Brüder und Schwestern ihres Sohnes, „die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen“ (LG 62). Jesus, der einzige Mittler, ist der Weg unseres Gebetes. Maria, seine und unsere Mutter, verstellt ihn nicht. Sie ist vielmehr nach der herkömmlichen bildlichen Darstellung im Osten und Westen „Wegweiserin“ [Hodegetria] und „Wegzeichen“ Christi (Vgl. dazu auch 494).
2675 Ausgehend von dieser einzigartigen Mitwirkung Marias am Wirken des Heiligen Geistes haben die Kirchen das Gebet zur heiligen Mutter Gottes entfaltet. Sie richteten dieses Gebet ganz auf Christus aus, wie er sich in seinen Mysterien zeigt. In den unzähligen Hymnen und Antiphonen, die dieses Gebet ausdrücken, wechseln einander für gewöhnlich zwei Bewegungen ab: Die eine preist den Herrn für die „großen Dinge“, die er an seiner demütigen Magd, und durch sie für alle Menschen, getan hat [Vgl. Lk 1,46–55]; die andere vertraut der Mutter Jesu die Bitten und das Lob der Kinder Gottes an, weil sie die menschliche Natur kennt, mit der sich der Sohn Gottes in ihr vermählt hat (Vgl. dazu auch 970, 512, 2619).
2676 Diese doppelte Bewegung des Gebetes zu Maria hat im „Ave Maria“ einen herrlichen Ausdruck gefunden:
Gegrüßt seist du, Maria. Wörtlich: „Freue dich, Maria“. Der Gruß des Engels Gabriel eröffnet das Ave. Gott selbst grüßt Maria durch seinen Engel. Unser Gebet wagt den Gruß an Maria aufzunehmen, indem es wie Gott auf die niedrige Magd schaut [Vgl. Lk 1,48], und an der Freude, die Gott an Maria hat [Vgl. Zef 3,17b], teilzunehmen (Vgl. dazu auch 722).
Du bist voll der Gnade; der Herr ist mit dir. Die beiden Teile des Engelsgrußes erhellen sich gegenseitig. Maria ist voll der Gnade, weil der Herr mit ihr ist. Die Gnade, die sie ganz erfüllt, ist die Gegenwart dessen, der die Quelle aller Gnaden ist. „Freu dich, und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem! ... Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte“ (Zef 3,14.17a). Maria, in der der Herr selbst Wohnung nimmt, ist in Person die Tochter Zion, die Bundeslade und der Ort, wo die Herrlichkeit des Herrn thront. Sie ist „die Wohnung Gottes unter den Menschen“ (Offb 21,3). „Voll der Gnade“ ist Maria gänzlich dem hingegeben, der in ihr Wohnung nimmt und den sie der Welt geben wird (Vgl. dazu auch 490).
Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Nach dem Gruß des Engels machen wir uns die Anrede Elisabets zu eigen. „Vom Heiligen Geist erfüllt“ (Lk 1,41) ist Elisabet die Erste einer langen Reihe von Geschlechtern, die Maria selig preisen [Vgl. Lk 1,48]: „Selig ist die, die geglaubt hat“ (Lk 1,45). Maria ist „gesegnet ... mehr als alle anderen Frauen“ (Lk 1,42), weil sie geglaubt hat, dass das Wort des Herrn in Erfüllung gehen wird. Aufgrund des Glaubens konnten durch Abraham „alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,2–3). Aufgrund des Glaubens ist Maria zur Mutter der Glaubenden geworden. Ihr verdanken alle Geschlechter der Erde, dass sie den, der der Segen Gottes selbst ist, empfangen dürfen: „Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes“ (Vgl. dazu auch 435, 146).
2677 Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns ... Mit Elisabet staunen wir: „Wer hin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (Lk 1,43). Weil Maria uns ihren Sohn Jesus gibt, ist sie, die Mutter Gottes, auch unsere Mutter. Wir können ihr alle unsere Sorgen und Bitten anvertrauen. Sie betet für uns, wie sie für sich selbst gebetet hat: „Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Wenn wir uns ihrem Gebet anvertrauen, überlassen wir uns mit ihr dem Willen Gottes: „Dein Wille geschehe!“ (Vgl. dazu auch 495)
Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Wenn wir Maria bitten, für uns zu beten, bekennen wir uns als arme Sünder und wenden uns an die „Mutter der Barmherzigkeit“, an die ganz Heilige. Wir vertrauen uns ihr „jetzt“ an, im Heute unseres Lebens. Und unser Vertrauen weitet sich, so dass wir ihr jetzt schon „die Stunde unseres Todes“ anvertrauen. Möge sie dann zugegen sein, wie beim Tod ihres Sohnes am Kreuz, und uns in der Stunde unseres Hinübergangs als unsere Mutter aufnehmen [Vgl. Joh 19,27], um uns zu ihrem Sohn Jesus in das Paradies zu geleiten. (Vgl. dazu auch 1020)
2678 In der mittelalterlichen Frömmigkeit des Westens entstand das Gebet des Rosenkranzes als volkstümlicher Ersatz für das Stundengebet. Im Osten haben die Litaneien des Akáthistos und der Paráklisis mehr Ähnlichkeit mit dem Chorgebet in den byzantinischen Kirchen bewahrt, während die armenische, die koptische und syrische Überlieferung Hymnen und Volkslieder zur Mutter Gottes bevorzugt haben. Doch die Überlieferung des Gebetes ist im Ave Maria, in den Theotokia, den Hymnen des hl. Ephrem und des hl. Gregor von Narek im Grunde die gleiche geblieben (Vgl. dazu auch 971, 1674).
2679 Maria ist die vollkommene Orante und das Bild der Kirche. Wenn wir zu ihr beten, stimmen wir mit ihr in den Ratschluss des Vaters ein, der seinen Sohn sendet, um alle Menschen zu retten. Wie der Jünger, den Jesus geliebt hat, nehmen wir die Mutter Jesu, die zur Mutter aller Lebendigen geworden ist, bei uns auf [Vgl. Joh 19,27]. Wir können mit ihr beten und sie bitten. Das Gebet der Kirche ist durch das Gebet Marias wie getragen; es ist mit Maria in der Hoffnung vereint [Vgl. LG 68–69] (Vgl. dazu auch 1368, 967, 972).
KURZTEXTE
2680 Das Gebet ist vor allem an den Vater gerichtet und ebenso an Jesus, besonders durch die Anrufung seines heiligen Namens: „Jesus Christus, Sohn Gottes, Herr, hab Erbarmen mit uns Sündern!“
2681 „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12,3). Die Kirche lädt uns ein, den Heiligen Geist als den inneren Lehrmeister des christlichen Betens anzurufen.
2682 Aufgrund der einzigartigen Mitwirkung der Jungfrau Maria am Handeln des Heiligen Geistes betet die Kirche gern in Gemeinschaft mit ihr, um mit ihr die großen Dinge zu preisen, die Gott an ihr getan hat und um Maria Bitten und Lobpreisungen anzuvertrauen.
ARTIKEL 6: FÜHRER ZUM GEBET
„Eine Wolke von Zeugen“
2683 Die Zeugen, die uns in das Reich Gottes vorausgegangen sind [Vgl. Hebr 12,2], besonders die von der Kirche anerkannten „Heiligen“, wirken an der lebendigen Überlieferung des Gebetes durch das Vorbild ihres Lebens, die Weitergabe ihrer Schriften und durch ihr gegenwärtiges Beten mit. Sie betrachten Gott, loben ihn und sorgen unablässig für jene, die sie auf Erden zurückließen. Beim Eintritt in „die Freude ihres Herrn“ wurden sie „über vieles gesetzt“ [Vgl. Mt 25,21]. Ihre Fürbitte ist ihr höchster Dienst an Gottes Ratschluss. Wir können und sollen sie bitten, für uns und für die ganze Welt einzutreten (Vgl. dazu auch 956).
2684 In der Gemeinschaft der Heiligen haben sich im Lauf der Geschichte der Kirchen verschiedene Spiritualitäten [geistliche Lebenshaltungen] entwickelt. Das persönliche Charisma eines Zeugen der Liebe Gottes zu den Menschen konnte weitergegeben werden, wie der „Geist“ des Elija an Elischa [Vgl. 2 Kön 2,9] und an Johannes den Täufer [Vgl. Lk 1,17], damit die Jünger an diesem Geist Anteil hätten [Vgl. PC 2]. Eine Spiritualität erwächst aus verschiedenen liturgischen und theologischen Richtungen. Sie zeugt von der Einwurzelung des Glaubens in ein bestimmtes menschliches Umfeld und dessen Geschichte. Die verschiedenen christlichen Spiritualitäten nehmen an der lebendigen Überlieferung des Betens teil. Sie sind unerläßliche Führer für die Gläubigen. Die reiche Vielfalt geistlicher Lebenshaltungen widerspiegelt das reine und einzige Licht des Heiligen Geistes (Vgl. dazu auch 917, 719, 1202).
„Der Geist ist wahrhaft der Ort der Heiligen, und der Heilige ist für den Geist ein geeigneter Ort, denn er läßt Gott bei sich wohnen und wird Tempel des Geistes genannt“ (Basilius, Spir. 26,62).
Diener des Gebetes
2685 Die christliche Familie ist der erste Ort der Erziehung zum Gebet. Auf der Grundlage des Sakramentes der Ehe ist die Familie „Hauskirche“, in der die Kinder Gottes „als Kirche“ beten und im Gebet verharren lernen. Besonders für die kleinen Kinder ist das tägliche Gebet der Familie das erste Zeugnis für das lebendige Gedächtnis der Kirche, das durch den Heiligen Geist geduldig geweckt wird (Vgl. dazu auch 1657).
2686 Auch die geweihten Amtsträger sind für die Ausbildung ihrer Brüder und Schwestern in Christus im Beten verantwortlich. Als Diener des guten Hirten sind sie geweiht, um das Volk Gottes zu den lebendigen Quellen des Gebetes zu führen: zum Wort Gottes, zur Liturgie, zum göttlichen Leben und zur Erkenntnis der Gegenwart Gottes in den Gegebenheiten des Lebens [Vgl. PO 4–6] (Vgl. dazu auch 1547).
2687 Zahlreiche Ordensleute haben ihr ganzes Leben dem Gebet geweiht. Seit der Zeit der Mönchsväter in der Wüste Ägyptens widmen Einsiedler, Mönche und Nonnen ihr Leben dem Lobpreis Gottes und der Fürbitte für sein Volk. Ohne das Gebet kann das gottgeweihte Leben weder bestehen noch sich ausbreiten; es ist eine der lebendigen Quellen der Betrachtung und des geistlichen Lebens in der Kirche (Vgl. dazu auch 916).
2688 Die Katechese der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zielt darauf ab, dass das Wort Gottes im persönlichen Gebet betrachtet, im liturgischen Gebet vergegenwärtigt und innerlich aufgenommen wird, damit es in einem neuen Leben Frucht bringe. Die Katechese kann auch dazu dienen, die Volksfrömmigkeit zu beurteilen und zu fördern [Vgl. CT 54]. Das Auswendiglernen der Grundgebete bietet dem Gebetsleben eine unerläßliche Stütze; es ist jedoch wichtig, den Sinn dieser Gebete erfahren zu lernen [Vgl. CT 55] (Vgl. dazu auch 1674).
2689 Gebetsgruppen, ja „Schulen des Gebetes“ sind heute ein Zeichen und eine der treibenden Kräfte der Erneuerung des Gebetes in der Kirche, sofern sie aus den wahren Quellen christlichen Betens schöpfen. Das Bemühen um die Gemeinschaft ist ein Zeichen für ein wahrhaft kirchliches Beten.
2690 Der Heilige Geist gibt einzelnen Gläubigen die Gaben der Weisheit, des Glaubens und der Unterscheidung der Geister zum Zweck der geistlichen Leitung, das heißt eines Wirkens in Hinblick auf dieses gemeinsame Gut des Gebetes. Die Männer und Frauen, denen solche Gaben zuteil werden, leisten der lebendigen Überlieferung des Gebetes einen wertvollen Dienst.
Deshalb muss eine Seele, die nach Vollkommenheit strebt, nach dem Rat des hl. Johannes vom Kreuz „gar wohl beachten, wessen Händen sie sich anvertraut; denn wie der Lehrmeister, so der Schüler, und wie der Vater, so das Kind“. Der Seelenführer „muss weise und klug sein, aber auch Erfahrung besitzen ... Wenn dem Seelenführer die Erfahrung in rein geistigen Dingen fehlt, wird er in der Leitung einer Seele, die von Gott besondere Gnaden empfängt, nicht zurechtkommen und auch kein Verständnis dafür haben“ (llama, Strophe 3).
Geeignete Orte des Gebetes
2691 Die Kirche, das Haus Gottes, ist für die Pfarrgemeinde der eigentliche Ort des liturgischen Gebetes. Sie ist auch der bevorzugte Ort, Christus in seiner Realpräsenz im heiligsten Sakrament anzubeten. Die Wahl eines geeigneten Ortes kann die Wahrhaftigkeit des Gebetes beeinflussen (Vgl. dazu auch 1181, 2197, 1379).
– Für das persönliche Gebet kann dieser Ort eine „Gebetsecke“ mit der Heiligen Schrift und Ikonen sein, um dort, „im Verborgenen“ [Vgl. Mt 6,6], vor unserem Vater zu verweilen. In einer christlichen Familie begünstigt eine solche Gebetsstätte das gemeinsame Beten.
– Klösterliche Gemeinschaften sind dazu berufen, die Teilnahme der Gläubigen am Stundengebet zu fördern und die für ein tieferes persönliches Beten notwendige Einsamkeit zu bieten [Vgl. PC 7] (Vgl. dazu auch 1175).
– Wallfahrten erinnern daran, dass wir auf Erden auf dem Weg zum Himmel sind. Sie sind von alters her zur Erneuerung des Gebetes besonders geeignet. Heiligtümer sind für Pilger auf der Suche nach ihren lebendigen Quellen besonders geeignete Orte, um die Formen christlichen Betens „als Kirche“ zu leben (Vgl. dazu auch 1674).
KURZTEXTE
2692 Die pilgernde Kirche ist in ihrem Beten mit dem Gebet der Heiligen verbunden, deren Fürsprache sie erbittet.
2693 Die verschiedenen christlichen Spiritualitäten sind Teil der lebendigen Überlieferung des Gebetes und sind wertvolle Führer des geistlichen Lebens.
2694 Die christliche Familie ist der erste Ort der Erziehung zum Gebet.
2695 Die geweihten Amtsträger, das gottgeweihte Leben, die Katechese, die Gebetsgruppen und die „geistliche Leitung“ bieten in der Kirche eine Hilfe für die Betenden.
2696 Vorzügliche Orte des Gebetes sind die Gebetsstätten des einzelnen oder der Familie, Klöster und Wallfahrtsheiligtümer, vor allem aber die Kirche ist für die Pfarrgemeinde der eigentliche Ort des liturgischen Betens und der geeignete Ort der eucharistischen Anbetung.
DRITTES KAPITEL: DAS GEBETSLEBEN
2697 Das Gebet ist das Leben des neuen Herzens. Es muss uns immerzu beseelen. Wir vergessen aber den, der unser Leben und unser Alles ist. Darum bestehen die geistlichen Väter im Anschluss an das Buch Deuteronomium und die Propheten auf dem Gebet als einer „Erinnerung an Gott“, einem häufigen Wachrufen des „Gedächtnisses des Herzens“. „Man soll sich häufiger an Gott erinnern als man atmet“ (Gregor v. Nazianz, or. theol. 1,4). Aber man kann nicht „jederzeit“ beten, wenn man nicht zu gewissen Zeiten bewusst betet. Diese Augenblicke sind dann in ihrer Tiefe und Dauer Höhepunkte christlichen Betens (Vgl. dazu auch 1099).
2698 Die Überlieferung der Kirche bietet den Gläubigen sich regelmäßig wiederholende Gebete an, um das ständige Gebet zu fördern. Einige davon sind tägliche Gebete, z. B. das Morgen- und das Abendgebet, das Gebet vor und nach den Mahlzeiten und das Stundengebet. Der Sonntag mit seiner Ausrichtung auf die Eucharistie wird besonders durch das Gebet geheiligt. Das Kirchenjahr mit seinen großen Festen ist das zeitliche Grundmaß im Gebetsleben der Christen (Vgl. dazu auch 1168, 1174, 2177).
2699 Der Herr führt alle Menschen auf den Wegen und auf die Weise, die ihm gefallen. Jeder Gläubige antwortet ihm nach dem Entschluss seines Herzens und mit den persönlichen Ausdrucksformen seines Betens. Die christliche Überlieferung pflegt jedoch drei Hauptausdrucksformen des Gebetslebens: das mündliche, das betrachtende und das innere Gebet. Die Sammlung des Herzens ist ihr gemeinsamer Grundzug. Die Wachsamkeit, die das Wort Gottes bewahrt und in seiner Gegenwart bleiben läßt, macht aus jenen drei Ausdrucksformen Höhepunkte des Lebens aus dem Gebet (Vgl. dazu auch 2563).
ARTIKEL 7: FORMEN DES GEBETES
I Mündliches Gebet
2700 Gott spricht zum Menschen durch sein Wort. Durch innerliche oder ausgesprochene Worte nimmt unser Gebet Gestalt an. Aber das wichtigste ist die Gegenwart des Herzens bei dem, zu welchem wir im Gebet sprechen. „Ob unser Gebet erhört wird, hängt nicht von der Menge der Worte, sondern von der Inbrunst unserer Seele ab“ (Johannes Chrysostomus, ed. 2) (Vgl. dazu auch 1176).
2701 Das mündliche Gebet gehört unverzichtbar zum christlichen Leben. Christus lehrt die Jünger, die sich vom stillen Gebet ihres Meisters angezogen fühlen, ein Gebet sprechen: das Vaterunser. Jesus hat nicht nur die liturgischen Gebete der Synagoge gebetet, sondern auch seine Stimme erhoben, um seinem persönlichen Beten Ausdruck zu geben, wie uns die Evangelien zeigen. Diese seine Gebete reichen vom jubelnden Lobpreis des Vaters [Vgl. Mt 11,25–26] bis zur Bitte in der Todesangst von Getsemani [Vgl. Mk 14,36] (Vgl. dazu auch 2603, 612).
2702 Das Bedürfnis, die äußeren Sinne am inneren Beten zu beteiligen, entspricht einer Forderung unserer menschlichen Natur. Wir sind Leib und Geist und empfinden das Bedürfnis, unsere Gefühle nach außen kundzutun. Wir müssen mit unserem ganzen Wesen beten, um unserem Flehen möglichst viel Kraft zu verleihen (Vgl. dazu auch 1146).
2703 Dieses Bedürfnis entspricht auch einer göttlichen Forderung. Gott sucht Anbeter im Geist und in der Wahrheit und folglich das Gebet, das voll Leben aus der Tiefe der Seele emporsteigt. Gott will aber auch, dass das Gebet ausgedrückt und so der Leib mit dem inneren Beten vereinigt wird. Dieses Gebet bringt Gott jene vollkommene Ehrerbietung dar, auf die er Anspruch hat (Vgl. dazu auch 2097).
2704 Weil das mündliche Gebet nach außen gerichtet und so vollkommen menschlich ist, ist es in erster Linie ein Gebet des Volkes. Aber auch das innerliche Beten darf das mündliche Gebet nicht vernachlässigen. Das Gebet wird in dem Maß innerlich, in dem wir uns bewusst werden, „zu wem wir sprechen“ (Theresia v. Jesus, cam. 26). Damit wird das mündliche Gebet zu einer ersten Weise inneren Betens.
II Betrachtendes Gebet
2705 Das betrachtende Gebet, die Meditation, ist vor allem ein Suchen. Der Geist sucht das Warum und das Wie des christlichen Lebens zu erfassen, um dem, was der Herr verlangt, zustimmen und antworten zu können. Dazu bedarf es der Aufmerksamkeit, die sich aber nur schwer beherrschen läßt. Man nimmt gewöhnlich ein Buch zu Hilfe. Die christliche Überlieferung bietet eine reiche Auswahl: die Heilige Schrift, besonders die Evangelien, Ikonen, die für den Tag vorgesehenen liturgischen Texte, die Schriften der geistlichen Väter, das geistliche Schrifttum, das große Buch der Schöpfung und jenes der Geschichte, besonders die Seite, die heute aufgeschlagen ist (Vgl. dazu auch 158, 127).
2706 Über Gelesenes nachsinnen heißt, diesem begegnen und es sich aneignen. So wird das Buch des Lebens aufgeschlagen: Dies ist der Übergang von den Gedanken zur Wirklichkeit. Der Demut und dem Glauben entsprechend werden darin die Bewegungen des Herzens wahrgenommen und beurteilt. Man muss die Wahrheit tun, um zum Licht zu kommen. „Herr, was willst du? Was soll ich tun?“
2707 Die Methoden betrachtenden Gebetes sind so unterschiedlich wie die geistlichen Lehrer. Ein Christ soll regelmäßig meditieren. Andernfalls gleicht er dem Weg, dem felsigen oder dem dornenüberwachsenen Boden aus dem Gleichnis vom Sämann [Vgl. Mk 4,4-7.15–19]. Eine Methode aber ist nur ein Führer. So ist es wichtig, mit dem Heiligen Geist auf Christus Jesus, dem einzigen Weg des Gebetes, voranzuschreiten (Vgl. dazu auch 2690, 2664).
2708 Das betrachtende Gebet macht vom Denken, von der Einbildungskraft, von der Gefühlsbewegung und vom Verlangen Gebrauch. Dieser Einsatz ist notwendig, um die Wahrheiten des Glaubens zu vertiefen, die Umkehr des Herzens anzuregen und den Willen zur Nachfolge Christi zu stärken. Das christliche Gebet bemüht sich vor allem, über die „Mysterien Christi“ nachzusinnen, wie das bei der Schriftlesung, der „lectio divina“, und beim Rosenkranz geschieht. Diese Form betenden Nachdenkens ist von großem Wert; aber das christliche Gebet soll noch mehr erstreben: die liebende Erkenntnis Christi und die Vereinigung mit ihm (Vgl. dazu auch 516, 2678).
III Inneres Gebet
2709 Was ist inneres Gebet? Die hl. Theresia von Jesus antwortet: „Meiner Ansicht nach ist das innere Gebet nichts anderes als ein freundschaftlicher Umgang, bei dem wir oftmals ganz allein mit dem reden, von dem wir wissen, dass er uns liebt“ (vida 8,5) (Vgl. dazu auch 2562 – 2564).
Das innere Gebet sucht den, „den meine Seele liebt“ (Hld 1,7) [Vgl. Hld 3,1–4]: Jesus, und in ihm den Vater. Wir suchen nach ihm, weil das Verlangen nach ihm der Beginn der Liebe zu ihm ist. Wir suchen nach ihm in reinem Glauben, in dem Glauben, der uns aus ihm geboren sein und in ihm leben läßt. Man kann auch im inneren Gebet noch meditieren, doch richtet sich der Blick bereits auf den Herrn.
2710 Die Wahl der Zeit und die Dauer des inneren Gebetes beruhen auf einem entschlossenen Wollen, in dem sich das Verborgene des Herzens offenbart. Man betet nicht, wenn man Zeit hat, sondern man nimmt sich die Zeit, um für den Herrn da zu sein. Man tut dies mit dem festen Entschluss, ihm diese Zeit nicht wieder wegzunehmen, auch wenn die Begegnung mühevoll und trocken sein mag. Man kann nicht immer meditieren. Es ist jedoch immer möglich, in das innere Gebet einzutreten, unabhängig von Gesundheitszustand, Arbeitsbedingungen und Gemütslage. In Armut und im Glauben ist das Herz der Ort der Suche und der Begegnung (Vgl. dazu auch 2726).
2711 Der Eintritt in das innere Gebet ist der Eröffnung der Eucharistiefeier vergleichbar: Unter dem Antrieb des Heiligen Geistes „sammeln“ wir unser Herz und unser ganzes Wesen, leben wir bewusst in der Wohnung des Herrn, die wir selbst sind, und beleben wir den Glauben, um in die Gegenwart dessen einzutreten, der uns erwartet. Wir lassen unsere Masken fallen und wenden unser Herz wieder dem uns liebenden Herrn zu, um uns ihm als eine Opfergabe, die gereinigt und verwandelt werden soll, zu übergeben (Vgl. dazu auch 1348, 2100).
2712 Das innere Gebet ist das Gebet des Kindes Gottes, des Sünders, der Vergebung gefunden hat und gewillt ist, die Liebe, mit der er geliebt wird, zu empfangen, und sie durch noch größere Liebe zu erwidern [Vgl. Lk 7,36–50; 19,1–10]. Aber er weiß, dass seine Gegenliebe vom Heiligen Geist stammt, der sie seinem Herzen eingießt. Denn alles ist Gnade von Gott her. Das innere Gebet ist demütige und arme Hingabe an den liebenden Willen des Vaters in immer tieferer Vereinigung mit seinem geliebten Sohn (Vgl. dazu auch 2822).
2713 So ist das innere Gebet der einfachste Ausdruck des Mysteriums des Betens. Es ist ein Geschenk und eine Gnade, die nur in Demut und Armut empfangen werden kann. Das innere Gebet ist eine Beziehung des Bundes, die Gott in den Grund unseres Wesens gesenkt hat [Vgl. Jer 31,33]. Es ist eine Gemeinschaft, in der die heiligste Dreifaltigkeit den Menschen, das Abbild Gottes, sich „ähnlich“ gestaltet (Vgl. dazu auch 2559).
2714 Das innere Gebet ist der Höhepunkt des Betens überhaupt. In ihm rüstet uns der Vater durch seinen Geist mit Kraft aus, damit in uns der „innere Mensch“ gestärkt werde, Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohne und wir „in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“ seien (Eph 3,16–17).
2715 Die „Beschauung“ [Kontemplation] ist gläubiges Hinschauen auf Jesus. „Ich schaue ihn an, und er schaut mich an“, sagte ein Bauer von Ars, der vor dem Tabernakel betete, zu seinem heiligen Pfarrer. Dieses aufmerksame Schauen auf Jesus ist Verzicht auf das „Ich“, denn der Blick Jesu reinigt das Herz. Das Licht seines Antlitzes erleuchtet die Augen unseres Herzens und läßt uns alles im Licht seiner Wahrheit und seines Mitleids mit allen Menschen sehen. Die Kontemplation sieht auf die Mysterien des Lebens Christi und lernt auf diese Weise „die innere Erkenntnis des Herrn“, um ihn mehr zu lieben und ihm besser nachzufolgen [Vgl. lgnatius. ex. spir. 104] (Vgl. dazu auch 1380, 521).
2716 Das innere Gebet ist Hören auf das Wort Gottes. Dieses Hören ist keineswegs untätig, sondern ist ein Gehorchen des Glaubens, ein bedingungsloses Empfangen des Knechtes und liebendes Einwilligen des Kindes. Es nimmt teil am „Ja“ des Sohnes, der Knecht geworden ist, und am „Fiat“ der demütigen Magd des Herrn (Vgl. dazu auch 494).
2717 Das innere Gebet ist Schweigen. Es ist „Symbol der kommenden Welt“ (Isaak v. Ninive, tract. myst. 66) und „schweigsame Liebe“ (Johannes vom Kreuz). Beim inneren Gebet sind die Worte kein langes Reden, sie sind wie Reisig, das das Feuer der Liebe anfacht. In diesem für den „äußeren“ Menschen unerträglichen Schweigen spricht der Vater zu uns sein menschgewordenes Wort, das für uns leidet, stirbt und aufersteht; der Geist der Sohnschaft läßt uns am Beten Jesu teilnehmen (Vgl. dazu auch 533, 498).
2718 Insofern das innere Gebet am Mysterium Christi teilhaben läßt, ist es Vereinigung mit dem Beten Jesu. Das Mysterium Christi wird von der Kirche in der Eucharistie gefeiert; im inneren Gebet läßt es der Heilige Geist aufleben, damit es durch die tätige Liebe offenbar werde.
2719 Das innere Gebet ist eine Gemeinschaft der Liebe. Es trägt Leben für viele in sich, wenn es einwilligt, in der Nacht des Glaubens zu verharren. Die österliche Auferstehungsnacht wird durch die Nacht der Todesangst und jene des Grabes vorbereitet. Diese drei Nächte prägen die Stunde Jesu. Der Geist Jesu, und nicht das „Fleisch, das schwach ist“, läßt diese Stunde im inneren Gebet verbringen. Es gilt, „eine Stunde“ mit ihm zu wachen [Vgl. Mt 26,40] (Vgl. dazu auch 165, 2730).
KURZTEXTE
2720 Die Kirche lädt die Gläubigen zu regelmäßigem Gebet ein: zu den täglichen Gebeten, zum Stundengebet, zur sonntäglichen Eucharistie und zu den Festen des Kirchenjahres.
2721 Die christliche Überlieferung kennt drei bedeutende Ausdrucksweisen des Gebetslebens: das mündliche, das betrachtende und das innere Gebet. Die Sammlung des Herzens ist ihnen gemeinsam.
2722 Das mündliche Gebet, das in der Einheit von Leib und Seele der menschlichen Natur grundgelegt ist, verbindet den Leib mit dem Gebet des Herzens nach dem Beispiel Jesu, der zu seinem Vater betete und seine Jünger das Vaterunser lehrte.
2723 Das betrachtende Gebet, die Meditation, ist ein betendes Suchen. Es bezieht das Denken, die Einbildungskraft, die Gefühlsregung und das Verlangen mit ein. Es will die gläubige Aneignung des Betrachteten mit der Wirklichkeit unseres Lebens verbinden.
2724 Das innere Gebet ist der einfache Ausdruck des Mysteriums des Betens. Es ist ein gläubiger Blick auf Jesus, ein Horchen auf das Wort Gottes und eine schweigsame Liebe. Es vereint mit dem Beten Christi, insofern es an seinem Mysterium teilhaben läßt.
ARTIKEL 8: KAMPF DES BETENS
2725 Das Gebet ist ein Geschenk der Gnade und eine entschlossene Antwort unsererseits. Es verlangt immer ein Bemühen. Die großen Beter des Alten Bundes vor der Zeit Christi wie auch die Mutter Gottes und die Heiligen lehren uns zusammen mit Jesus, dass Beten Kampf bedeutet. Gegen wen? Gegen uns selbst und gegen die List des Versuchers, der alles unternimmt, um den Menschen vom Gebet, von der Vereinigung mit Gott abzuhalten. Wir beten, wie wir leben, weil wir leben, wie wir beten. Wer nicht stets im Geist Christi zu handeln gewillt ist, kann auch nicht gewohnt sein, in seinem Namen zu beten. Der „geistige Kampf“ des neuen Lebens des Christen läßt sich nicht vom Kampf des Betens trennen (Vgl. dazu auch 2612, 409, 2015).
I Einwände gegen das Gebet
2726 Im Kampf des Betens haben wir uns mit falschen Auffassungen über das Gebet auseinanderzusetzen, die wir in uns selbst und in unserer Umwelt vorfinden. Manche sehen im Gebet lediglich einen psychologischen Vorgang, andere ein Bemühen der Sammlung, um zu innerer Leere zu gelangen. Wieder andere schreiben das Beten in rituellen Haltungen und Worten fest. Viele Christen sehen unbewusst im Gebet eine Beschäftigung, die sich mit all dem, was sie zu tun haben, nicht vereinbaren läßt: sie haben keine Zeit. Und diejenigen, die im Gebet nach Gott suchen, werden schnell entmutigt, weil sie nicht wissen, dass das Gebet auch vom Heiligen Geist und nicht allein von ihnen kommt (Vgl. dazu auch 2710).
2727 Wir haben uns auch den Geisteshaltungen „dieser Welt“ zu stellen. Wenn wir nicht wachsam sind, dringen sie bei uns ein. So etwa die Ansicht, dass nur das wahr ist, was durch Vernunft und Wissenschaft nachgeprüft werden kann. Dagegen steht aber, dass Beten ein Mysterium ist, das unser Bewusstes und Unbewusstes übersteigt. Eine andere Ansicht hält nur Produktion und Gewinn für wertvoll und damit Beten für nutzlos, weil unproduktiv. Für eine weitere Meinung sind Sinnlichkeit und Bequemlichkeit Maßstab des Wahren, Guten und Schönen. Dagegen aber will das Gebet, das „Liebe zur Schönheit“ [Philokalie] ist, die Herrlichkeit des lebendigen und wahren Gottes über alles lieben. Schließlich wird das Gebet aus Angst vor Betriebsamkeit als Weltflucht dargestellt. Doch ist das christliche Gebet nicht ein Rückzug aus der Geschichte; es ist auch kein Bruch mit dem Leben (Vgl. dazu auch 37, 2500).
2728 Schließlich muss unser Kampf auch dem gelten, was wir als Scheitern im Gebet erleben. Dazu zählen die Entmutigung angesichts unserer Trockenheit, die Traurigkeit, Gott nicht alles gegeben zu haben, weil wir „ein großes Vermögen“ haben, die Enttäuschung darüber, nicht unserem eigenen Willen entsprechend erhört worden zu sein, die Verletzung unseres Stolzes, der sich in der Erbärmlichkeit des Sünders verhärtet und die Abneigung dagegen, das Gebet ungeschuldet geschenkt zu erhalten. In jedem Fall stellt sich die Frage: Wozu Beten? Um diese Hindernisse zu besiegen, müssen wir um Demut, Vertrauen und Ausdauer kämpfen.
II Demütige Wachsamkeit des Herzens
Schwierigkeiten beim Beten
2729 Oft wird das Beten durch die Zerstreuung erschwert. Beim mündlichen Gebet kann sie die Worte und deren Sinn betreffen. Sie kann aber auch tiefergehend denjenigen betreffen, an den wir uns im betrachtenden und inneren Beten, aber auch im liturgischen und individuellen gesprochenen Gebet richten. Wollten wir auf die Zerstreuungen Jagd machen, gingen wir ihnen in die Falle, während wir doch nur zu unserem Herzen zurückzukommen brauchen. Eine Zerstreuung offenbart uns, woran wir hängen. Sich dessen demütig vor Gott bewusst werden weckt unsere Liebe, die ihm nichts vorzieht, wenn wir ihm entschlossen unser Herz schenken, damit er es reinige. Hier ist der Ort des Kampfes und der Entscheidung, welchem Herrn wir dienen wollen [Vgl. Mt 6,21.24] (Vgl. dazu auch 2711).
2730 Der Kampf gegen unser besitz- und herrschsüchtiges Ich besteht in Wachsamkeit und Nüchternheit. Wenn Jesus auf die Wachsamkeit drängt, bleibt sie immer auf seine Person und sein Kommen bezogen – am Letzten Tag und jeden Tag: „Heute“. Der Bräutigam kommt mitten in der Nacht; der Glaube ist das Licht, das nicht erlöschen darf: „Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Angesicht!“ (Ps 27,8) (Vgl. dazu auch 2659).
2731 Eine weitere Schwierigkeit, besonders für jene, die aufrichtig beten wollen, ist die Trockenheit. Diese gehört zum inneren Gebet, wenn das Herz von Gott wie getrennt und ohne Verlangen nach geistlichen Gedanken, Erinnerungen und Gefühlen ist. Dies sind Augenblicke reinen Glaubens, welcher mit Jesus treu in der Todesangst und im Grab ausharrt. Wenn das Weizenkorn „stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Falls die Trockenheit daher rührt, dass das Wort auf Felsen gefallen ist und darum keine Wurzel schlagen konnte [Vgl. Lk 8,6.13], gilt es, um die Bekehrung zu kämpfen (Vgl. dazu auch 1426).
Versuchungen im Gebet
2732 Die häufigste und verborgenste Versuchung ist unser Mangel an Glauben. Dieser äußert sich weniger in einem erklärten Unglauben als in der tatsächlichen Bevorzugung anderer Dinge. Wenn wir zu beten beginnen, stellen sich tausend Arbeiten und Sorgen, die wir für dringlich halten, alswichtig dar. Dies ist der Moment, da offenbar wird, wem das Herz den Vorzug gibt. Das eine Mal wenden wir uns an den Herrn als unsere letzte Hilfe, aber wir sind nicht immer wirklich von seiner Hilfe überzeugt. Das andere Mal machen wir den Herrn zu unserem Verbündeten, doch das Herz bleibt überheblich. In allen diesen Fällen offenbart unser Mangel an Glauben, dass unser Herz noch nicht demütig genug ist: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5) (Vgl. dazu auch 2092, 2074).
2733 Eine weitere Versuchung, der die Überheblichkeit die Tür öffnet, ist der Überdruß. Die Lehrer des geistlichen Lebens verstehen darunter eine Art Depression. Sie wird durch das Nachlassen in der Askese, das Schwinden der Wachsamkeit und durch die mangelnde Sorgfalt des Herzens hervorgerufen. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Mt 26,41). Je größer die Höhe, von der man herabfällt, desto mehr verletzt man sich. Die schmerzliche Entmutigung ist die Kehrseite der Überheblichkeit. Der Demütige wundert sich nicht über sein Elend. Es bringt ihn dazu, stärker zu vertrauen und beständig zu bleiben (Vgl. dazu auch 2094, 2559).
III Kindliches Vertrauen
2734 In der Bedrängnis wird das kindliche Vertrauen geprüft und muss sich bewähren [Vgl. Röm 5,3–5]. Die größte Schwierigkeit liegt im Bittgebet, das wir für uns selbst oder für andere fürsprechend vorbringen. Manche hören sogar auf zu beten, weil sie denken, ihr Gebet werde nicht erhört. Hier stellen sich zwei Fragen: Warum denken wir, dass unsere Bitte nicht erhört wird? Wie wird unser Gebet erhört und „wirksam“? (Vgl. dazu auch 2629)
Warum klagen, wir seien nicht erhört worden?
2735 Eine Feststellung sollte uns zunächst erstaunen. Wenn wir Gott loben oder ihm für seine Wohltaten im allgemeinen danken, kümmert es uns kaum, ob unser Gebet ihm angenehm ist. Dagegen verlangen wir aber, das Ergebnis unserer Bitte zu sehen. Welches Gottesbild veranlasst uns zu beten? Ist Gott für uns nur ein brauchbares Mittel oder ist er der Vater unseres Herrn Jesus Christus? (Vgl. dazu auch 2779)
2736 Können wir mit Überzeugung sagen: „Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“ (Röm 8,26)? Bitten wir Gott um „angemessene Güter“? Unser Vater weiß genau, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum bitten [Vgl. Mt 6,8]. Er erwartet aber unsere Bitte, weil die Würde seiner Kinder in ihrer Freiheit liegt. Es ist also nötig, dass wir mit Gottes Geist der Freiheit beten, um wirklich erkennen zu können, was sein Wille ist [Vgl. Röm 8,27] (Vgl. dazu auch 2559, 1730).
2737 „Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden“ (Jak 4,2–3) [Vgl. den ganzen Kontext Jak 4.1–10; 1,5–8; 5,16]. Wenn wir mit einem geteilten Herzen wie „Ehebrecher“ (Jak 4,4) beten, kann Gott uns nicht erhören, denn er will unser Wohl und unser Leben. „Oder meint ihr, die Schrift sage ohne Grund: Eifersüchtig sehnt er sich nach dem Geist, den er in uns wohnen ließ“ (Jak 4,5). Unser Gott ist „eifersüchtig“ auf uns, was zeigt, dass er uns wahrhaft liebt. Lassen wir uns in das Verlangen seines Geistes hineinnehmen und wir werden erhört werden.
„Werde nicht betrübt, wenn du von Gott nicht sogleich das, was du von ihm erbittest, erhältst. Denn er will dir viel mehr an Gutem erweisen mit Hilfe deiner Ausdauer, mit der du im Gebet bei ihm verweilst“ (Evagrius, or. 34). „Er will, dass unser Verlangen sich im Gebet bewähre. So bereitet er uns darauf vor, das zu empfangen, was er uns zu geben geneigt ist“ (Augustinus, ep. 130,8,17).
Wie wird unser Gebet wirksam?
2738 Die Offenbarung des Gebetes in der Heilsordnung lehrt uns, dass der Glaube sich auf das Wirken Gottes in der Geschichte stützt. Das kindliche Vertrauen wird vor allem durch sein Handeln im Leiden und in der Auferstehung seines Sohnes geweckt. Das christliche Gebet wirkt an seiner Vorsehung, an seinem liebenden Ratschluss für die Menschen mit (Vgl. dazu auch 2568, 307).
2739 Beim hl. Paulus ist dieses Vertrauen kühn [Vgl. Röm 10, 12–13], weil es sich auf das Beten des Geistes in uns und auf die treue Liebe des Vaters, der uns seinen eingeborenen Sohn geschenkt hat [Vgl. Röm 8, 26–39], stützt. Die Verwandlung des betenden Herzens ist die erste Antwort auf unser Bitten (Vgl. dazu auch 2778).
2740 Das Beten Jesu macht das christliche Gebet zu einer wirksamen Bitte. Er ist dessen Vorbild; er betet in uns und mit uns. Wie kann sich das Herz der als Kinder Gottes Angenommenen mehr an die Gaben als an den Geber hängen, wenn das Herz des Sohnes nur das sucht, was dem Vater gefällt? (Vgl. dazu auch 2604)
2741 Zudem betet Jesus an unserer Stelle und für uns. Alle unsere Bitten sind ein für allemal in seinen Schrei am Kreuz hineingenommen und vom Vater in seiner Auferstehung erhört worden. Deshalb hört Jesus nicht auf, beim Vater für uns einzutreten [Vgl. Hebr 5,7; 7,25; 9,24]. Wenn unser Gebet mit dem Vertrauen und mit der Kühnheit eines Kindes mit dem Gebet Jesu vereint ist, erhalten wir alles, worum wir in seinem Namen bitten, und noch viel mehr als nur dieses oder jenes, nämlich den Heiligen Geist selbst, der alle Gaben in sich birgt (Vgl. dazu auch 2606, 2614).
IV In der Liebe ausharren
2742 „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17). „Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn!“ (Eph 5,20). „Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen“ (Eph 6,18). „Es wurde uns nicht vorgeschrieben, beständig zu arbeiten, zu wachen und zu fasten. Doch ist es für uns ein Gesetz, unablässig zu beten“ (Evagrius, cap. pract. 49). Dieser unermüdliche Eifer kann nur aus der Liebe kommen. Der Kampf des Gebetes gegen unsere Schwerfälligkeit und Faulheit ist ein Kampf um eine demütige, vertrauende und beharrliche Liebe. Diese Liebe öffnet unsere Herzen für drei leuchtende und lebendigmachende Gewissheiten des Glaubens (Vgl. dazu auch 2098, 162):
2743 Beten ist immer möglich. Die Zeit des Christen ist die Zeit des auferstandenen Christus, der zu uns spricht: „Ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28,20), wie groß die Stürme [Vgl. Lk 8,24] auch sein mögen. Unsere Zeit liegt in Gottes Hand.
„Selbst auf dem Marktplatz oder auf einem einsamen Spaziergang ist es möglich, oft und eifrig zu beten. Auch dann, wenn ihr in eurem Geschäft sitzt, oder gerade kauft oder verkauft, ja selbst wenn ihr kocht“ (Johannes Chrysostomus, ed. 2).
2744 Beten ist lebensnotwendig. Der Beweis durch das Gegenteil ist nicht weniger überzeugend: Wenn wir uns nicht vom Geist leiten lassen, fallen wir in die Knechtschaft der Sünde [Vgl. Gal 5, 16–25] zurück. Wie kann der Heilige Geist „unser Leben“ sein, wenn unser Herz fern ist von ihm?
„Nichts ist so wertvoll wie das Gebet: Es macht Unmögliches möglich und Schweres leicht ... Ein Mensch, der betet, kann unmöglich sündigen“ (Johannes Chrysostomus, Anna 4,5).
„Wer betet, wird sicherlich gerettet; wer nicht betet, verdammt sich sicherlich“ (Alphons v. Liguori, mez.).
2745 Beten und christliches Leben lassen sich nicht trennen. Denn es handelt sich hier um dieselbe Liebe und denselben Verzicht, der aus der Liebe hervorgeht; um dieselbe kindliche und liebende Gleichförmigkeit mit dem liebenden Ratschluss des Vaters; um dieselbe verwandelnde Vereinigung im Heiligen Geist, die uns Christus Jesus immer mehr gleichgestaltet und um dieselbe Liebe zu allen Menschen, mit der Jesus uns geliebt hat. „Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,16–17) (Vgl. dazu auch 2660).
„Unablässig betet, wer sein Gebet mit Taten, und Taten mit Gebet verbindet. Nur so können wir der Ansicht sein, dass sich der Grundsatz, jederzeit zu beten, verwirklichen läßt“ (Origenes, or. 12).
DAS HOHEPRIESTERLICHE GEBET JESU
2746 Da seine Stunde gekommen ist, betet Jesus zum Vater [Vgl. Joh 17]. Sein Gebet ist das längste, das im Evangelium weitergegeben wird, es umfaßt die ganze Ökonomie der Schöpfung und des Heiles wie auch Tod und Auferstehung Jesu. Das Gebet der Stunde Jesu bleibt immer sein Beten, so wie sein „ein für allemal“ geschehenes Pascha in der Liturgie seiner Kirche gegenwärtig bleibt (Vgl. dazu auch 1085).
2747 Die christliche Überlieferung nennt es mit Recht das „hohepriesterliche“ Gebet Jesu. Es ist das Gebet unseres Hohenpriesters; es läßt sich nicht von seinem Opfer trennen, von seinem „Gehen zum Vater“ [Pascha], durch das er dem Vater ganz „geweiht“ wird [Vgl. Joh 17,11.13.19].
2748 In diesem österlichen Opfergebet wird in Jesus alles unter ein Haupt zusammengefaßt [Vgl. Eph 1,10]: Gott und die Welt; das Wort und das Fleisch; das ewige Leben und die Zeit; die Liebe, die sich hingibt und die Sünde, welche die Liebe verrät; die Jünger, die anwesend sind, und die Menschen, die auf deren Wort hin an ihn glauben werden; die Erniedrigung und die Erhöhung. Es ist das Gebet der Einheit (Vgl. dazu auch 518, 820).
2749 Jesus hat das Werk des Vaters ganz erfüllt, und wie sein Opfer währt auch sein Gebet bis zum Ende der Zeit. Das Gebet der Stunde erfüllt die letzten Zeiten und bringt sie ihrer Vollendung entgegen. Jesus ist der Sohn, dem der Vater alles gegeben hat und der sich ganz dem Vater überantwortet hat. Zugleich spricht er mit einer erhabenen Freiheit [Vgl. Joh 17,11.13.19.24], die aus der Macht kommt, die der Vater ihm über alles Fleisch gegeben hat. Der Sohn, der sich zum Diener gemacht hat, ist der Herr, der Pantokrator [Allherrscher]. Unser Hoherpriester, der für uns betet, ist auch der, der in uns betet; er ist der Gott, der uns erhört (Vgl. dazu auch 2616).
2750 Wenn wir in den heiligen Namen Jesu, des Herrn, eindringen, können wir das Vaterunser, das Gebet, das er uns lehrt, von innen her empfangen. Sein priesterliches Gebet erfüllt die großen Bitten des Vaterunsers von innen her mit Geist: die Sorge um den Namen des Vaters [Vgl. Joh 17,6.11.12.26], die Leidenschaft für sein Reich und seine Herrlichkeit [Vgl. Joh 17,1.5.10.23–26], die Erfüllung des Willens des Vaters, seines Heilsratschlusses [Vgl. Joh 17,2.4.6.9.11.12.24] und die Befreiung vom Bösen [Vgl. Joh 17,15] (Vgl. dazu auch 2815).
2751 In diesem Gebet offenbart und schenkt uns Jesus eine untrennbare „Erkenntnis“ des Vaters und des Sohnes [Vgl. Joh 17,3.6–10.25]. Diese Erkenntnis ist das Geheimnis des Gebetslebens (Vgl. dazu auch 240).
KURZTEXTE
2752 Das Gebet setzt ein Mühen und einen Kampf gegen uns selbst und gegen die List des Versuchers voraus. Der Kampf des Gebetes ist nicht vom geistlichen Kampf zu trennen, der notwendig ist, um mit innerer Beständigkeit aus dem Geiste Christi zu handeln. Wir beten, wie wir leben, weil wir leben, wie wir beten.
2753 Im Kampf des Gebetes müssen wir uns falschen Vorstellungen, verschiedenen gängigen Geisteshaltungen und der Erfahrung unseres Scheiterns stellen. Es ist angebracht, diesen Versuchungen, die den Nutzen oder die Möglichkeit des Betens in Zweifel ziehen, mit Demut, Vertrauen und Ausdauer zu widerstehen.
2754 Die Hauptschwierigkeiten im Gebetleben sind Zerstreuung und Trockenheit. Glaube, Umkehr und Wachsamkeit des Herzens sind die Heilmittel dagegen.
2755 Zwei häufige Versuchungen bedrohen das Gebet: der Mangel an Glauben und der Überdruß an geistlichen Dingen, eine Art Depression, die durch das Nachlassen in der Askese ausgelöst wird und zur Entmutigung führt.
2756 Das kindliche Vertrauen wird auf die Probe gestellt, wenn wir das Gefühl haben, nicht immer erhört zu werden. Das Evangelium lädt ein, uns zu fragen, ob unser Gebet dem Verlangen des Geistes entspricht.
2757 „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5 17) Beten ist immer möglich, es ist lebensnotwendig. Gebet und christliches Leben lassen sich nicht trennen.
2758 Das Gebet der Stunde Jesu [Vgl. Joh 17], das zu Recht das „hohepriesterliche Gebet“ genannt wird, faßt die ganze Ökonomie der Schöpfung und des Heiles zusammen. Sein Geist erfüllt die großen Bitten des Vaterunsers.
ZWEITER ABSCHNITT: DAS GEBET DES HERRN: „VATER UNSER!“
2759 „Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat“ (Lk 11,1). Als Antwort auf diese Bitte vertraut Jesus seinen Jüngern und seiner Kirche das christliche Grundgebet an. Der hl. Lukas gibt eine kurze Fassung mit fünf Bitten [Vgl. Lk 11,2–4], der hl. Matthäus eine ausführlichere mit sieben Bitten [Vgl. Mt 6,9–13]. Die liturgische Überlieferung der Kirche hat die Fassung des hl. Matthäus beibehalten.
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
2760 Sehr früh hat die Liturgie das Gebet des Herrn mit einer Doxologie abgeschlossen. In der Didaché (8,2) lautet sie: „Denn dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“. Die Apostolischen Konstitutionen (7,24,1) fügen am Anfang hinzu: „das Reich“. Diese Formulierung findet sich heute in der ökumenischen Fassung. Die byzantinische Tradition fügt nach „Herrlichkeit“ „Vater, Sohn und Heiliger Geist“ hinzu. Das römische Meßbuch führt die letzte Bitte [Vgl. MR, Embolismus] weiter in ausdrücklichem Warten auf „die selige Hoffnung“ (Tit 2,13) und auf das Kommen Jesu Christi, unseres Herrn. Darauf folgt die Akklamation der Gemeinde, in der die Doxologie der Apostolischen Konstitutionen aufgenommen wird (Vgl. dazu auch 2855, 2854).
ARTIKEL 1: „DIE ZUSAMMENFASSUNG DES GANZEN EVANGELIUMS“
2761 „Das Gebet des Herrn ist die Zusammenfassung des ganzen Evangeliums“ (Tertullian, or. 1). „Als der Herr uns diese Gebetsformel vermacht hatte, fügte er hinzu: ‚Bittet, dann wird euch gegeben‘ (Lk 11,9). Jeder kann also seinen Bedürfnissen entsprechend verschiedene Gebete an den Himmel richten; er soll jedoch stets mit dem Gebet des Herrn beginnen, welches das Grundgebet bleibt“ (Tertullian, or. 10).
I In der Mitte der Schrift
2762 Nachdem der hl. Augustinus festgestellt hat, dass die Psalmen die Hauptnahrung des christlichen Betens sind und in die Bitten des Vaterunsers einfließen, hält er fest:
„Geht sämtliche Gebete durch, die sich in der Schrift finden. Meines Erachtens könnt ihr darin nichts finden, was nicht im Gebet des Herrn enthalten wäre“ (ep. 130, 12, 22).
2763 Alle Schriften des Alten Testamentes (das Gesetz, die Propheten und die Psalmen) sind in Jesus Christus in Erfüllung gegangen [Vgl. Lk 24,44]. Das Evangelium ist diese frohe Botschaft. Seine erste Verkündigung wird vom hl. Matthäus in der Bergpredigt zusammengefaßt [Vgl. Mt 5–7]. Das Gebet zu unserem Vater steht in der Mitte dieser Verkündigung. Dieser Zusammenhang verdeutlicht jede Bitte des uns vom Herrn übergebenen Gebetes (Vgl. dazu auch 102):
„Das Gebet des Herrn ist das vollkommenste ... In ihm wird nicht nur um alles gebeten, wonach wir in richtiger Weise verlangen können, sondern auch in derjenigen Reihenfolge, in der wir danach verlangen sollen; so lehrt uns dieses Gebet nicht bloß bitten, sondern formt auch unser ganzes Gemüt“ (Thomas v. A., s. th. 2–2, 83, 9) (Vgl. dazu auch 2541).
2764 Die Bergpredigt ist Lebenslehre, das Vaterunser ist Gebet; in beiden formt der Geist des Herrn unser Verlangen, das heißt unsere inneren Regungen. Jesus leitet uns mit seinen Worten zu diesem neuen Leben an und lehrt uns, im Gebet darum zu bitten. Von der Richtigkeit unseres Betens hängt die Richtigkeit unseres Lebens in Christus ab (Vgl. dazu auch 1965, 1969).
II „Das Gebet des Herrn“
2765 Der überlieferte Ausdruck „Herrengebet“ oder „Gebet des Herrn“ bedeutet, dass Jesus, unser Herr, uns das Gebet zu unserem Vater gelehrt hat. Dieses von Jesus stammende Gebet ist wahrhaft einzigartig: es ist „vom Herrn“. Zum einen gibt der eingeborene Sohn in den Worten dieses Gebetes uns die Worte, die der Vater ihm gegeben hat [Vgl. Joh 17,7]: er ist der Lehrer unseres Betens. Zum andern kennt er als fleischgewordenes Wort in seinem Menschenherzen die Bedürfnisse seiner menschlichen Brüder und Schwestern und offenbart sie uns: er ist das Vorbild unseres Betens (Vgl. dazu auch 2701).
2766 Doch Jesus hinterläßt uns nicht eine mechanisch zu wiederholende Formel [Vgl. Mt 6,7; 1 Kön 18, 26–29]. Im Herrengebet lehrt der Heilige Geist die Kinder Gottes durch das Wort Gottes zu ihrem Vater beten, wie dies bei jedem gesprochenen Gebet der Fall ist. Jesus gibt uns nicht nur die Worte zu unserem kindlichen Gebet, sondern gleichzeitig den Geist, durch den sie in uns „Geist ... und Leben“ (Joh 6,63) werden. Der Vater sandte aber auch „den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater“ (Gal 4,6). Dies ist der Beweis und gleichzeitig die Möglichkeit unseres Gebetes als Kinder. Unser Gebet legt Gott unser Verlangen dar. Darum weiß der Vater, „der die Herzen erforscht ... was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein“ (Röm 8,27). Auf diese Weise gehört das Gebet zu unserem Vater zum Mysterium der Sendung des Sohnes und des (Vgl. dazu auch 690).
III Das Gebet der Kirche
2767 Seit ihrem Anfang empfängt die Kirche die untrennbar verbundene Gabe der Worte des Herrn und des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist gibt den Worten des Herrn im Herzen der Gläubigen Leben. Die ersten Gemeinden beteten das Gebet des Herrn „dreimal am Tag“ (Didaché 8,3) anstelle der „achtzehn Preisungen“, die in der jüdischen Liturgie üblich waren.
2768 Der apostolischen Überlieferung entsprechend ist das Gebet des Herrn seinem Wesen nach in der Liturgie verwurzelt.
„Der Herr lehrt uns, gemeinsam für unsere Brüder zu beten. Denn er sagt nicht: ‚Mein Vater‘ im Himmel, sondern: ‚Vater unser‘, damit unser Gebet wie aus einer Seele für den ganzen Leib der Kirche eintrete“ (Johannes Chrysostomus, hom. in Mt. 19,4).
In allen liturgischen Überlieferungen ist das Gebet des Herrn ein wesentlicher Bestandteil der großen Horen des Stundengebetes. Vor allem aber tritt sein kirchlicher Charakter in den drei Sakramenten der christlichen Initiation zutage:
2769 Die Übergabe [traditio] des Herrengebetes bei der Taufe und der Firmung ist ein Zeichen der Wiedergeburt im göttlichen Leben. Das christliche Gebet bedeutet Reden zu Gott mit Gottes Wort. So lernen jene, die „neu geboren“ wurden „aus Gottes Wort, das lebt“ (1 Petr 1,23), mit dem einzigen Wort, das ihr Vater stets erhört, ihn anzurufen. Und das können sie fortan, da das Siegel der Salbung mit dem Heiligen Geist unauslöschlich eingeprägt ist in ihrem Herzen, in ihren Ohren, auf ihren Lippen, in ihrem ganzen Sein als Söhne Gottes. Deshalb richten sich die meisten Kommentare der Kirchenväter zum Vaterunser an Katechumenen und Täuflinge. Wenn die Kirche mit den Worten des Herrn betet, ist es immer das „wiedergeborene“ Volk, das betet und Barmherzigkeit erlangt [Vgl. 1 Petr 2,1–10] (Vgl. dazu auch 1243).
2770 In der Eucharistiefeier stellt das Herrengebet das Gebet der ganzen Kirche dar. Hier offenbart sich sein voller Sinn und seine Wirkkraft. Eingefügt zwischen Hochgebet [Anaphora] und Kommunionspendung faßt es einerseits alle Bitten und Fürbitten, die in der Epiklese geäußert werden, zusammen, andererseits bittet es um Einlass zum himmlischen Hochzeitsmahl, welches in der sakramentalen Kommunion vorweggenommen wird (Vgl. dazu auch 1350).
2771 In der Eucharistie bezeugt das Herrengebet auch die endzeitliche Eigenart seiner Bitten. Es ist das Gebet der „letzten Zeiten“, der Zeiten des Heils, die mit der Ausgießung des Heiligen Geistes begonnen haben und sich mit der Wiederkunft des Herrn vollenden werden. Die Bitten des Vaterunsers stützen sich im Unterschied zu den Gebeten des Alten Bundes auf das Mysterium des Heiles, das sich im gekreuzigten und auferstandenen Christus ein für allemal verwirklicht hat (Vgl. dazu auch 1403).
2772 Aus diesem unerschütterlichen Glauben entspringt die Hoffnung, die aus jeder der sieben Bitten spricht. Diese bringen das Seufzen der Gegenwart zum Ausdruck, dieser Zeit der Geduld und des Wartens, in der das, „was wir sein werden ... noch nicht offenbar geworden“ (1 Joh 3,2) [Vgl. Kol 3,4] ist. Die Eucharistiefeier und das Vaterunser sind auf das Kommen des Herrn hin ausgerichtet, „bis er kommt“ (1 Kor 11,26) (Vgl. dazu auch 1820).
KURZTEXTE
2773 Auf die Bitte seiner Jünger hin „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11 1) vertraut Jesus diesen das christliche Grundgebet an, das Vaterunser.
2774 „Das Gebet des Herrn ist die Zusammenfassung des ganzen Evangeliums“ (Tertullian or 1) und „das vollkommenste Gebet“ (Thomas v. A. s. th. 2–2,83,9) Es ist im Mittelpunkt der Heiligen Schrift.
2775 Es wird „Gebet des Herrn“ genannt, da es von Jesus, dem Herrn stammt, dem Meister und Vorbild unseres Betens.
2776 Das Gebet des Herrn ist das eigentliche Gebet der Kirche. Es ist wesentlicher Bestandteil der großen Horen des Stundengebetes und der Sakramente der christlichen Initiation: Taufe, Firmung und Eucharistie. In die Eucharistie eingegliedert, bezeugt es die „endzeitliche“ Eigenart der Bitten, in der Hoffnung auf den Herrn, „bis er kommt“ (1 Kor 11 26).
ARTIKEL 2: „VATER UNSER IM HIMMEL“
I „Wir wagen uns voll Vertrauen zu nähern“
2777 In der römischen Liturgie wird die eucharistische Gemeinde eingeladen, das Vaterunser mit kindlicher Kühnheit zu sprechen. Die östlichen Liturgien verwenden ähnliche Ausdrücke: „voll Vertrauen wagen“ und „mach uns würdig“. Aus dem brennenden Dornbusch wurde zu Mose gesagt: „Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab!“ (Ex 3,5). Allein Jesus konnte diese Schwelle der göttlichen Heiligkeit überschreiten. Er führt uns, nachdem er „die Reinigung von den Sünden bewirkt“ hat (Hebr 1,3), vor das Angesicht des Vaters: „Seht, ich und die Kinder, die Gott mir geschenkt hat“ (Hebr 2,13).
„Uns zu verkriechen geböte uns das Bewusstsein, bloß Sklaven zu sein, zu Staub werden musste das Geschöpf aus Erde, wenn nicht des Vaters Machtgebot, wenn nicht der Geist des Sohnes selbst uns zu diesem Rufe auffordern würde ‚Abba, Vater!‘ (Röm 8,15) ... Wann würde wohl ein sterbliches Wesen es wagen, Gott Vater zu nennen, wenn nicht Kräfte des Himmels das Innere des Menschen belebten?“ (Petrus Chrysologus, serm. 71) (Vgl. dazu auch 270).
2778 Diese Macht des Geistes, die uns zum Gebet des Herrn hinführt, wird in den Liturgien des Ostens und des Westens mit dem schönen, ausgesprochen christlichen Ausdruck parrhesia umschrieben, der soviel bedeutet wie Einfachheit ohne Umweg, kindliches Vertrauen, freudige Zuversicht, demütige Kühnheit und Gewissheit, geliebt zu sein [Vgl. Eph 3,12; Hebr 3,6; 4,16; 10,19; 1 Joh 2,28; 3,21; 5,14] (Vgl. dazu auch 2828).
II „Vater!“
2779 Bevor wir uns diesen ersten Ruf des Herrengebetes zu eigen machen, sollten wir unser Herz demütig von falschen Bildern „dieser Welt“ reinigen. Die Demut läßt uns erkennen: „Niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“; das sind die „Unmündigen“ (Mt 11,25–27). Die Reinigung des Herzens betrifft die Bilder von Vater und Mutter, die aus unserer persönlichen und der kulturellen Entwicklung hervorgegangen sind und unsere Beziehung zu Gott beeinflussen. Gott unser Vater steht über den Begriffen dieser geschaffenen Welt. Wer in diesem Bereich seine eigenen Vorstellungen auf Gott überträgt oder ihm entgegenstellt, schafft sich damit Götzen, die er entweder anbetet oder verwirft. Zum Vater beten heißt in sein Mysterium eintreten, so wie er ist und wie der Sohn ihn uns geoffenbart hat (Vgl. dazu auch 239).
„Der Ausdruck ‚Gott Vater‘ war nie jemandem geoffenbart worden. Als Mose selbst Gott fragte, wie er heiße, bekam er einen anderen Namen zu hören. Uns ist dieser Name geoffenbart worden im Sohn, denn im Namen ‚Sohn‘ liegt bereits der neue Name ‚Vater‘“ (Tertullian, or. 3).
2780 Wir können Gott als „Vater“ anrufen, weil sein menschgewordener Sohn ihn uns geoffenbart hat und weil sein Geist ihn uns zu erkennen gibt. Wir glauben, dass Jesus der Christus ist und dass wir aus Gott geboren [Vgl. 1 Joh 5,1] sind. Dadurch läßt uns der Geist des Sohnes an der persönlichen Beziehung des Sohnes zum Vater [Vgl. Joh 1,1] teilhaben. Menschen können sich das nicht vorstellen, die Engel es nicht erahnen (Vgl. dazu auch 240).
2781 Wenn wir zum Vater beten, sind wir in Gemeinschaft mit ihm und mit seinem Sohn Jesus Christus [Vgl. 1 Joh 1,3]. Dabei kennen und erkennen wir ihn mit immer neuem Staunen. Das erste Wort im Gebet des Herrn ist eine lobpreisende Anbetung, noch bevor es zu einem flehenden Ruf wird. Denn es ist zur Ehre Gottes, dass wir ihn als „Vater“ und als wahren Gott bekennen. Wir danken ihm, dass er uns seinen Namen geoffenbart hat und dass er uns geschenkt hat, an ihn zu glauben und Wohnstätte seiner Gegenwart zu sein (Vgl. dazu auch 2565).
2782 Wir können den Vater anbeten, weil er uns durch die Annahme an Kindes Statt in seinem eingeborenen Sohn die Wiedergeburt zu seinem Leben geschenkt hat. Durch die Taufe gliedert er uns dem Leib seines Christus, des Gesalbten, ein, und durch die Salbung mit seinem Geist, die sich vom Haupt über die Glieder ergießt, macht er auch uns zu „Gesalbten“ (Vgl. dazu auch 1267).
„Da uns Gott zur Annahme an Kindes Statt vorherbestimmt hat, hat er uns dem verherrlichten Leibe Christi gleichförmig gemacht. Nachdem ihr nun an dem Gesalbten Anteil erhalten habt, werdet ihr mit Recht Gesalbte genannt“ (Cyrill v.Jerusalem, catech. myst. 3,1).
„Der neue, wiedergeborene und seinem Gott durch dessen Gnade wiedergegebene Mensch sagt zuerst ‚Vater‘, weil er sein Sohn geworden ist“ (Cyprian, Dom. orat. 9).
2783 Im Gebet des Herrn werden wir uns selbst geoffenbart [Vgl. GS 22,1], weil uns zugleich der Vater geoffenbart wird (Vgl. dazu auch 1701).
„O Mensch, du wagtest nicht, das Antlitz zum Himmel zu erheben, du senktest den Blick zur Erde, und plötzlich hast du die Gnade Christi erhalten: alle deine Sünden wurden dir vergeben. Aus einem schlimmen Knecht bist du ein guter Sohn geworden ... Erhebe also deinen Blick zum Vater, ... der dich durch seinen Sohn erlöst hat, und sage: ‚Vater unser‘ ... Berufe dich aber auf kein Vorrecht. Eigentlicher Vater ist er nur in bezug auf Christus, während wir von ihm erschaffen sind. Sage also aus Gnade auch du: ‚Vater unser‘, um zu verdienen, sein Sohn zu sein“ (Ambrosius, sacr. 5,19).
2784 Dieses Geschenk der Gnade der Annahme an Kindes Statt verlangt von uns eine fortwährende Bekehrung und ein neues Leben. Das Gebet des Vaterunsers soll zwei Grundhaltungen in uns entwickeln (Vgl. dazu auch 1428).
Das Verlangen und der Wille, uns ihm anzugleichen. Da wir nach seinem Bild geschaffen sind, wurde uns aus Gnade die Ähnlichkeit mit ihm wieder verliehen. Ihr sollen wir entsprechen (Vgl. dazu auch 1997).
„Wenn wir Gott unsern Vater nennen, müssen wir uns auch als Söhne Gottes verhalten“ (Cyprian, Dom. orat. 11).
„Ihr könnt euren Vater nicht den Gott alles Guten nennen, wenn ihr ein unmenschliches und grausames Herz behaltet. Denn in diesem Fall habt ihr nicht mehr das Kennzeichen der Güte des himmlischen Vaters in euch“ (Johannes Chrysostomus, horn. in Mt. 7,14 3).
„Wir sollen unablässig die Schönheit des Vaters betrachten und unsere Seele von ihr durchdringen lassen“ (Gregor v. Nyssa, or. dom. 2).
2785 Ein demütiges und vertrauendes Herz. Dieses läßt uns wieder „wie die Kinder“ werden (Mt 18,3), denn der Vater offenbart sich den „Unmündigen“ (Mt 11,25) (Vgl. dazu auch 2562).
„[Das Vaterunser] ist ein Aufblick zu Gott allein, ein großes Feuer der Liebe. Die Seele schmilzt darin, versinkt in die heilige Liebe und unterhält sich mit Gott wie mit dem eigenen Vater, sehr vertraut, in ganz besonderer, zärtlicher Kindesliebe“ (Johannes Cassian, coll. 9,18).
„Vater unser: Dieser Name weckt in uns beim Beten gleichzeitig Liebe, Zuneigung ... und auch die Hoffnung, zu erlangen, um was wir bitten ... Was kann er denn dem Gebet seiner Kinder verweigern, wenn er ihnen schon zuvor gestattet hat, seine Kinder zu sein?“ (Augustinus, serm. Dom. 2,4,16).
III Vater „unser“
2786 Die Anrede Vater „unser“ richtet sich an Gott. Dieses Pronomen drückt unsererseits nicht ein Besitzen, sondern eine ganz neue Beziehung zu Gott aus (Vgl. dazu auch 443).
2787 Wenn wir Vater „unser“ sagen, bekennen wir zunächst, dass alle seine Verheißungen der Liebe, die Propheten angekündigt haben, im neuen und ewigen Bund in Christus in Erfüllung gegangen sind: Wir sind nun „sein“ Volk geworden und er „unser“ Gott. Diese neue Beziehung ist ein Geschenk gegenseitiger Zugehörigkeit. In Liebe und Treue [Vgl. Hos 2, 21–22; 6,1–6] haben wir nun auf „die Gnade und die Wahrheit“ (Joh 1,17), die uns in Jesus Christus geschenkt worden sind, zu antworten (Vgl. dazu auch 782).
2788 Weil das Gebet des Herrn das Gebet seines Volkes in den „letzten Zeiten“ ist, drückt dieses „unser“ auch die Sicherheit unserer Hoffnung auf die letzte Verheißung Gottes aus. Er wird im neuen Jerusalem zum Sieger sagen: „Ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein“ (Offb 21,7).
2789 Wenn wir Vater „unser“ beten, wenden wir uns persönlich an den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Wir teilen die Gottheit nicht auf, denn der Vater ist „ihre Quelle und ihr Ursprung“. Vielmehr bekennen wir damit, dass der Sohn von Ewigkeit her von ihm gezeugt wird und der Heilige Geist aus ihm hervorgeht. Wir vermischen auch nicht die Personen, denn wir bekennen, dass wir Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus in ihrem einzigen Heiligen Geist haben. Die heiligste Dreifaltigkeit ist eines Wesens und unteilbar. Wenn wir zum Vater beten, beten wir ihn an und verherrlichen ihn zusammen mit dem Sohn und dem Heiligen Geist (Vgl. dazu auch 245, 253).
2790 Das Wort „unser“ kennzeichnet etwas mehreren Gemeinsames. Es gibt nur einen Gott, und er wird als Vater bekannt von jenen, die durch den Glauben an den eingeborenen Sohn aus dem Wasser und dem Heiligen Geist wiedergeboren sind [Vgl. 1 Joh 5,1; Joh 3,5]. Die Kirche ist diese neue Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Mit dem eingeborenen Sohn vereint, der der „Erstgeborene von vielen Brüdern“ (Röm 8,29) geworden ist, steht sie in Gemeinschaft mit einem einzigen, ein und demselben Vater in einem einzigen, ein und demselben Heiligen Geist [Vgl. Eph 4,4–6]. Jeder Getaufte, der Vater „unser“ betet, betet in dieser Gemeinschaft: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32) (Vgl. dazu auch 787).
2791 Deshalb bleibt, trotz der Trennungen unter den Christen, das Gebet zu „unserem“ Vater das Gemeingut aller Getauften und ein dringlicher Aufruf an sie. Durch den gemeinsamen Glauben an Christus und durch die Taufe verbunden, sollen sie mit Jesus für die Einheit seiner Jünger beten [Vgl. UR 8;22] (Vgl. dazu auch 821).
2792 Wenn wir das Vaterunser aufrichtig beten, geben wir den Individualismus auf, denn die Liebe, die wir empfangen, befreit uns davon. Das „unser“ zu Beginn des Herrengebetes wie das „wir“ der letzten vier Bitten schließt niemanden aus. Damit es aufrichtig gebetet wird [Vgl. Mt 5,23–24;6,14–16], müssen unsere Spaltungen und Gegensätze überwunden werden.
2793 Die Getauften können nicht zu „unserem“ Vater beten, ohne alle, für die er seinen geliebten Sohn hingegeben hat, vor Gott zu tragen. Gottes Liebe ist grenzenlos, und unser Gebet soll es ebenfalls sein [Vgl. NA 5]. Das Vaterunser öffnet uns für das gesamte Ausmaß der in Christus sichtbar gewordenen Liebe des Vaters. Wir beten mit allen und für alle Menschen, die den Vater noch nicht kennen, um „die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Diese göttliche Sorge um alle Menschen und um die ganze Schöpfung hat alle großen Beter beseelt; sie soll unser Gebet zu einer weitherzigen Liebe führen, wenn wir zu sprechen wagen: Vater „unser“ (Vgl. dazu auch 604).
IV „Im Himmel“
2794 Dieser biblische Ausdruck bezeichnet nicht einen Ort [Raum], sondern eine Daseinsweise; nicht ein Fernsein Gottes, sondern seine Erhabenheit. Unser Vater ist nicht „anderswo“, sondern er ist „jenseits von allem“, was wir über seine Heiligkeit denken können. Gerade weil er der dreimal Heilige ist, ist er dem demütigen und reuevollen Herzen nahe (Vgl. dazu auch 326).
„Mit Recht werden die Worte ‚Vater unser im Himmel‘ vom Herz der Gerechten verstanden, in dem Gott wie in seinem Tempel wohnt. Darum auch wird der Beter wünschen und sich danach sehnen, dass der, den er anruft, in ihm wohnt“ (Augustinus, serm. Dom. 2,5,17).
„Himmel könnten sehr wohl auch die sein, die das Abbild der himmlischen Welt in sich tragen und in denen Gott wohnt und wandelt“ (Cyrill v. Jerusalem, catech. myst. 5,11).
2795 Das Zeichen der Himmel verweist uns auf das Mysterium des Bundes, das wir leben, wenn wir zu unserem Vater beten. Er ist im Himmel, dieser ist seine Wohnstätte. Das Haus des Vaters ist also auch unsere „Heimat“. Die Sünde hat uns von der Erde des Bundes vertrieben [Vgl. Gen 3], und die Bekehrung des Herzens läßt uns zum Vater im Himmel zurückkehren [Vgl. Jer 3,19–4,1a; Lk 15,18.21]. In Christus sind Himmel und Erde miteinander versöhnt worden [Vgl. Jes 45,8; Ps 85,12], denn allein der Sohn ist „vom Himmel hinabgestiegen“, und nur er läßt uns durch sein Kreuz, seine Auferstehung und Himmelfahrt mit ihm wieder zum Himmel hinaufsteigen [Vgl. Joh 12,32; 14,2–3; 16,28; 20,17; Eph 4,9–10; Hebr 1,3; 2,13] (Vgl. dazu auch 1024).
2796 Wenn die Kirche „Vater unser im Himmel“ betet, bekennt sie, dass wir das Volk Gottes sind, das „mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,3) schon „einen Platz im Himmel“ hat [Vgl. Eph 2,6]. Sie bekennt auch, dass von uns gleichzeitig gilt: „Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden“ (2 Kor 5,2) [Vgl. Phil 3,20; Hebr 13,14] (Vgl. dazu auch 1003).
„Im Fleisch befinden sie [die Christen] sich, aber sie leben nicht nach dem Fleisch. Auf Erden weilen sie, aber im Himmel sind sie Bürger“ (Diognet 5,8–9).
KURZTEXTE
2797 Einfaches und ergebenes Vertrauen, demütige und frohe Zuversicht sind die Haltung, in der wir das Vaterunser beten sollen.
2798 Wir können Gott als „Vater“ anrufen, weil der menschgewordene Sohn Gottes ihn uns geoffenbart hat. Wir sind durch die Taufe in den Sohn Gottes eingegliedert und an Sohnes Statt angenommen.
2799 Das Gebet des Herrn führt uns in die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus ein. Gleichzeitig werden wir in diesem Gebet uns selbst geoffenbart [Vgl. GS 22,1].
2800 Das Gebet zu unserem Vater soll in uns den Willen wecken, ihm ähnlich zu werden, und unser Herz demütig und vertrauensvoll machen.
2801 Wenn wir Gott „unseren“ Vater nennen, berufen wir uns auf den Neuen Bund in Jesus Christus, auf die Gemeinschaft mit der heiligsten Dreifaltigkeit und auf die göttliche Liebe, die sich durch die Kirche über die ganze Erde ausbreitet.
2802 „Im Himmel“ bezeichnet keinen Ort, sondern die Erhabenheit Gottes und seine Gegenwart im Herzen der Gerechten. Der Himmel, das Haus des Vaters, ist die wahre Heimat, nach der wir streben und der wir jetzt schon angehören.
ARTIKEL 3: DIE SIEBEN BITTEN
2803 Nachdem wir uns in die Gegenwart Gottes, unseres Vaters, begeben haben, um ihn anzubeten, zu lieben und zu preisen, läßt der Geist der Kindschaft sieben Bitten, sieben Preisungen aus unseren Herzen emporsteigen. Die drei ersten sind mehr auf Gott bezogen und ziehen uns hin zur Herrlichkeit des Vaters; die folgenden vier sind wie Wege zu Gott und bieten unser Elend seiner Gnade dar. „Flut ruft der Flut zu“ (Ps 42,8) (Vgl. dazu auch 2627).
2804 Die ersten drei Bitten tragen uns zu Gott, um seiner selbst willen: dein Name, dein Reich und dein Wille Es gehört wesentlich zur Liebe, zuerst an den Geliebten zu denken. In jeder der drei Bitten reden wir nicht von uns, sondern wir lassen uns vom „glühenden Verlangen“ und der „Angst“ des geliebten Sohnes für die Herrlichkeit seines Vaters ergreifen [Vgl. Lk 22,15; 12.50]: „geheiligt werde ... komme ... geschehe ...“. Diese drei Bitten sind im Opfer Christi, des Erlösers, schon erfüllt; jetzt aber, solange Gott noch nicht alles in allen ist [Vgl. 1 Kor 15,28], werden sie durch die Hoffnung auf ihre endgültige Erfüllung ausgerichtet.
2805 Die folgenden Bitten verlaufen in der Richtung mancher eucharistischer Epiklesen: sie bringen unsere Erwartungen dar und ziehen den Blick des Vaters der Barmherzigkeit auf sich. Sie steigen aus uns empor und betreffen uns schon jetzt, in dieser Welt: „gib uns ... vergib uns ... führe uns nicht ... erlöse uns ...“. Die vierte und fünfte Bitte beziehen sich auf unser Leben: wir sollen ernährt und von der Sünde geheilt werden. Die zwei letzten Bitten betreffen den Kampf des Gebetes: unseren Kampf um den Sieg des Lebens (Vgl. dazu auch 1105).
2806 Durch die drei ersten Bitten werden wir im Glauben gestärkt, von Hoffnung erfüllt und durch die Liebe entflammt. Da wir Geschöpfe und noch Sünder sind, müssen wir auch für uns beten: Wir bieten uns, die wir den Grenzen von Welt und Geschichte unterworfen sind, der grenzenlosen Liebe unseres Gottes dar. Denn durch den Namen Christi und das Reich seines Geistes vollendet unser Vater seinen Ratschluss des Heiles für uns und die ganze Welt (Vgl. dazu auch 2656 – 2658).
I „Geheiligt werde dein Name“
(Vgl. dazu auch 2142 – 2159)
2807 Das Wort „heiligen“ ist hier zunächst nicht so sehr im verursachenden (Gott allein heiligt, macht heilig), sondern vor allem im einschätzenden Sinn zu verstehen: etwas als heilig anerkennen und es so behandeln. Daher wird die Anrufung „Geheiligt werde ...“ bei der Anbetung manchmal als Lob und Danksagung verstanden [Vgl. Ps 111,9; Lk 1,49]. Doch diese Bitte wird uns von Jesus in Wunschform gelehrt: es ist eine Bitte, ein Verlangen und ein Warten, an denen Gott und der Mensch beteiligt sind. Schon die erste Bitte des Vaterunsers nimmt uns in das innerste Mysterium der Gottheit und in die Taten des Heiles für die Menschheit hinein. Unsere Bitte, dass sein Name geheiligt werde, schließt uns in den „im voraus gefaßten gnädigen Ratschluss“ mit ein, „dass wir in Liebe heilig und untadelig vor Gott leben“ [Vgl. Eph 1,9.4] (Vgl. dazu auch 2097, 51).
2808 Gott offenbart seinen Namen in den entscheidenden Ereignissen seiner Heilsökonomie, in denen er sein Werk vollendet. Dieses Werk vollzieht sich aber für uns und in uns nur dann, wenn sein Name durch uns und in uns geheiligt wird (Vgl. dazu auch 203, 432).
2809 Die Heiligkeit Gottes ist der unzugängliche Brennpunkt seines ewigen Mysteriums. Was in der Schöpfung und Geschichte von ihm offenbar ist, nennt die Schrift die Herrlichkeit, das Erstrahlen seiner Majestät [Vgl. Ps 8; Jes 6,3]. Gott krönt den Menschen „mit Herrlichkeit“ (Ps 8,6), indem er ihn als sein „Abbild“, ihm „ähnlich“ (Gen 1,26) erschafft. Durch die Sünde hat der Mensch jedoch „die Herrlichkeit Gottes verloren“ (Röm 3,23). Somit zeigt Gott seine Heiligkeit, indem er seinen Namen offenbart und kundtut, um den Menschen „nach dem Bild seines Schöpfers“ (Kol 3,10) neu zu schaffen (Vgl. dazu auch 293, 705).
2810 Durch die Verheißung an Abraham und den bekräftigenden Eid [Vgl. Hebr 6,13] verpflichtet sich Gott, ohne jedoch seinen Namen zu enthüllen. Erst Mose beginnt er, diesen zu offenbaren [Vgl. Ex 3,14], und er bezeugt ihn vor den Augen des ganzen Volkes, indem er es vor den Ägyptern rettet: „Er ist hoch und erhaben“ (Ex 15,1). Seit dem Bund am Sinai gehört dieses Volk ihm; es ist berufen, ein „heiliges“ (oder „geweihtes“ – im Hebräischen steht dafür das gleiche Wort) [Vgl. Ex 19,5–6] Volk zu sein, denn der Name Gottes wohnt in ihm (Vgl. dazu auch 63).
2811 Gott, der Heilige [Vgl. Lev 19, 2: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, hin heilig.“], gibt dem Volk immer wieder neu das heilige Gesetz und übt in Rücksicht auf seinen eigenen Namen immer wieder Geduld. Dennoch wendet sich das Volk vom Heiligen Israels ab und entweiht seinen Namen unter den Völkern [Vgl. Ex 20; 36]. Darum sind die Gerechten des Alten Bundes, die aus der Verbannung zurückgekehrten Armen und die Propheten von glühendem Eifer für seinen Namen erfüllt (Vgl. dazu auch 2143).
2812 Endlich wird uns in Jesus der Name des heiligen Gottes im Fleisch als Retter [Vgl. Mt 1,21; Lk 1,31] geoffenbart und geschenkt. Er wird geoffenbart durch das, was er ist, durch sein Wort und sein Opfer [Vgl. Joh 8,28; 17,8; 17,17–19]. Dieses ist das Herz des hohenpriesterlichen Gebetes: Heiliger Vater, „ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19). Weil Jesus selbst seinen eigenen Namen „heiligt“ [Vgl. Ex 20,39; 36,20–21], „offenbart“ er uns den Namen des Vaters (Joh 17,6). Am Ende seines Pascha verleiht ihm der Vater den Namen, der größer ist als alle Namen: Jesus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters [Vgl. Phil 2,9–11] (Vgl. dazu auch 434).
2813 Im Wasser der Taufe sind wir reingewaschen, geheiligt und „gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes“ (1 Kor 6, 11). Gott hat uns berufen, in unserem ganzen Leben „heilig zu sein“ (1 Thess 4,7): „Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Heiligung ... gemacht hat“ (1 Kor 1,30). In der Bitte, dass sein Name in uns und durch uns geheiligt werde, geht es um seine Ehre und um unser Leben. Darum ist die erste Bitte so dringlich (Vgl. dazu auch 2013).
„Von wem könnte Gott geheiligt werden, der doch selbst heiligt? Aber weil er selbst gesagt hat: ‚Seid heilig, weil auch ich heilig bin‘ (Lev 20,26), flehen wir darum, dass wir, in der Taufe geheiligt, an dem festhalten, was wir zu sein angefangen haben. Und um das bitten wir Tag für Tag; denn uns tut tägliche Heiligung not, damit wir, die täglich sündigen, unsere Sünden durch beständige Reinigung wieder reinwaschen ... Wir beten, damit diese Heiligung in uns bleibe“ (Cyprian, Dom. orat. 12).
2814 Es hängt zugleich von unserem Leben und von unserem Gebet ab, ob sein Name unter den Völkern geheiligt wird (Vgl. dazu auch 2045):
„Wir bitten, dass Gott seinen Namen heilige, der durch seine Heiligkeit die ganze Schöpfung rettet und heiligt ... Das ist der Name, der der verlorenen Welt das Heil wiedergibt. Aber wir bitten, dass der Name Gottes durch unser Leben in uns geheiligt werde. Handeln wir gut, so wird der Name Gottes gepriesen; handeln wir schlecht, so wird er gelästert dem Wort des Apostels gemäß: ‚Der Name Gottes wird durch uns gelästert unter den Heiden‘ (Röm 2,24; Ez 36,20–22). Wir bitten deshalb darum, in unseren Seelen ebensoviel Heiligkeit zu verdienen, wie der Name unseres Gottes heilig ist“ (Petrus Chrysologus, serm.71).
„Wenn wir sagen: ‚Geheiligt werde dein Name‘, bitten wir, dass er in uns geheiligt werde, die wir ihm angehören, sowie auch in den andern, auf welche die Gnade Gottes noch wartet, so dass wir also auch der Vorschrift gehorchen, für alle, auch für unsere Feinde zu beten. Deshalb bitten wir nicht ausdrücklich ‚Geheiligt werde dein Name in uns‘, denn wir bitten, dass er in allen Menschen geheiligt werde“ (Tertullian, or. 3).
2815 Diese erste Bitte, die alle anderen enthält, wird, wie die sechs weiteren Bitten, durch das Gebet Christi erhört. Das Gebet zu unserem Vater ist unser Gebet, wenn es im Namen Jesu gebetet wird [Vgl. Joh 14,13; 15,16; 16,24. 26]. Jesus betet in seinem hohepriesterlichen Gebet: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast“ (Joh 17,11).
II „Dein Reich komme“
2816 Das Wort „Reich“ [basileia] im Neuen Testament kann mit „Königtum“ (abstrakter Begriff), „Königreich“ (konkreter Begriff) oder „Königsherrschaft“ (Handlungsbegriff) übersetzt werden. Das Reich Gottes ist schon da. Es hat sich im menschgewordenen Wort genähert, ist im gesamten Evangelium verkündet worden und im Tod und in der Auferstehung Christi gekommen. Seit dem Letzten Abendmahl kommt das Reich Gottes in der Eucharistie; es ist mitten unter uns. Das Reich Gottes wird in Herrlichkeit kommen, wenn Christus es dem Vater übergeben wird (Vgl. dazu auch 541, 2632, 560, 1107).
„Es kann auch Christus selbst das Reich Gottes sein, nach dem wir mit unserem Verlangen täglich rufen, dessen baldige Ankunft wir ungeduldig erwarten. Denn da er selbst unsere Auferstehung ist, weil wir in ihm auferstehen, so kann er auch selbst als das Reich Gottes aufgefaßt werden, weil wir in ihm herrschen werden“ (Cyprian, Dom. orat. 13).
2817 Diese Bitte ist das „Marána tha“, der Ruf des Geistes und der Braut: „Komm, Herr Jesus!“ (Vgl. dazu auch 451, 2632, 671)
„Auch wenn in diesem Gebet keine Vorschrift, um die Ankunft des Reiches zu bitten, bestünde, so mussten wir von selbst diesen Schrei ausstoßen und uns beeilen, unsere Hoffnung zu umarmen. Unter dem Altar erflehen die Seelen der Märtyrer vom Herrn mit großem Schreien: ‚Wie lange zögerst du noch, Herr, unser Blut an den Bewohnern der Erde zu rächen?‘ (Offb 6,10). Denn es soll ihnen Gerechtigkeit zuteil werden am Ende der Zeit. Herr, beschleunige das Kommen deines Reiches!“ (Tertullian, or. 5).
2818 Das Gebet des Herrn handelt hauptsächlich vom endgültigen Kommen des Reiches Gottes durch die Wiederkunft Christi [Vgl. Tit 2,13]. Dieses Verlangen lenkt die Kirche nicht von ihrer Sendung in dieser Welt ab, sondern verpflichtet sie dazu. Seit Pfingsten nämlich ist das Kommen des Reiches das Werk des Heiligen Geistes, der das Werk Christi „auf Erden weiterführt und alle Heiligung vollendet“ (MR, Viertes Hochgebet) (Vgl. dazu auch 769).
2819 „Das Reich Gottes ... ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14, 17). Die letzten Zeiten, in denen wir stehen, sind die der Ausgießung des Heiligen Geistes. Damit hat ein entscheidender Kampf zwischen dem „Fleisch“ und dem „Geist“ begonnen [Vgl. Gal 5,16–25] (Vgl. dazu auch 2046, 2516).
„Nur eine reine Seele kann mit Zuversicht sprechen: ‚Dein Reich komme‘. Wer auf das Wort Pauli hört: ‚Die Sünde soll euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen‘ (Röm 6,12), wer sich in seinem Handeln, Denken und Reden rein hält, kann zu Gott sagen: ‚Dein Reich komme‘“ (Cyrill v. Jerusalem, catech. myst. 5,13) (Vgl. dazu auch 2519).
2820 Die Christen müssen, vom Heiligen Geist geleitet, das Wachsen des Reiches Gottes vom Fortschritt der Kultur und der Gesellschaft unterscheiden, in die sie hineingestellt sind. Diese Unterscheidung ist keine Trennung, denn die Berufung des Menschen zum ewigen Leben befreit ihn nicht von der Aufgabe, die vom Schöpfer erhaltenen Kräfte und Mittel für Gerechtigkeit und Frieden [Vgl. GS 22; 32; 39; 45; EN 31] in dieser Welt einzusetzen, sondern bekräftigt diese Pflicht (Vgl. dazu auch 1049).
2821 Diese Bitte wird im Beten Jesu [Vgl. Joh 17,17–20] getragen und erhört. In der Eucharistie ist dieses Beten gegenwärtig und wirksam. Die Bitte trägt ihre Frucht im neuen Leben, das den Seligpreisungen entspricht [Vgl. Mt 5,13–16; 6,24; 7,12–13] (Vgl. dazu auch 2746).
III „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“
2822 Es ist der Wille unseres Vaters, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Er ist geduldig, „weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht“ (2 Petr 3,9) [Vgl. Mt 18,14]. Sein Gebot, das alle anderen zusammenfaßt und uns seinen Willen offenbart, lautet: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34) [Vgl. 1 Joh 3; 4; Lk 10,25–37] (Vgl. dazu auch 851, 2196).
2823 Gott „hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, nach seinem gnädigen Ratschluss ... das All in Christus wieder unter ein Haupt zu fassen. Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt“ (Eph 1,9–11). So beten wir inständig, dass dieser gnädige Ratschluss sich verwirkliche auf der Erde, so wie er es im Himmel schon ist (Vgl. dazu auch 59).
2824 Der Wille des Vaters wurde in Christus durch seinen menschlichen Willen ein für allemal vollkommen erfüllt. Bei seinem Eintritt in die Welt sprach Jesus: „Ja, ich komme ... deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7; Ps 40,8). Nur Jesus kann von sich sagen, dass er „immer das tue, was [dem Vater] gefällt“ (Joh 8,29). Beim Beten in seiner Todesangst stimmt er diesem Willen des Vaters ganz zu: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“ (Lk 22,42) [Vgl. Joh 4,34; 5,30; 6,38]. Darum hat sich Jesus „für unsere Sünden hingegeben ... nach dem Willen unseres Gottes“ (Gal 1,4). „Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt“ (Hebr 10,10) (Vgl. dazu auch 475, 612).
2825 Jesus hat, „obwohl er der Sohn war ... durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5,8). Wieviel mehr gilt das für uns Geschöpfe und Sünder, die in Jesus an Kindes Statt angenommen wurden! Wir bitten unseren Vater, unseren Willen mit dem seines Sohnes zu vereinen, damit wir seinen Willen, den Ratschluss des Heiles für das Leben der Welt, erfüllen. Aus uns selbst sind wir dazu völlig unfähig, aber mit Jesus vereint und mit der Kraft seines Heiligen Geistes können wir dem Vater unseren Willen übergeben und uns zu dem entschließen, wozu sich der Sohn stets entschieden hat: Das zu tun, was dem Vater gefällt [Vgl. Joh 8,29] (Vgl. dazu auch 615).
Wenn wir Christus anhängen, „können wir mit ihm ein einziger Geist werden und dadurch seinen Willen erfüllen; so wird dieser auf Erden wie im Himmel vollkommen erfüllt“ (Origenes, or. 26).
„Seht, wie Jesus Christus uns Demut lehrte, indem er uns zu verstehen gab, dass die Tugend nicht nur ein Werk unseres Eifers ist sondern auch der Gnade Gottes. Auch hier hieß er wieder einen jeden von uns, im Gebet auf das Wohl der ganzen Welt bedacht zu sein. Er sagte nämlich nicht: ‚Es geschehe dein Wille‘ an mir oder an euch, sondern: ‚auf der ganzen Welt‘, auf dass aller Irrtum verschwinde, die Wahrheit erscheine, jegliches Böse ausgerottet werde, die Tugend Einzug halte und so kein Unterschied mehr bestehe zwischen Himmel und Erde“ (Johannes Chrysostornus, hom. in Mt 19,5).
2826 Durch das Gebet können wir „erkennen ... was der Wille Gottes ist“ (Röm 12,2) [Vgl. Eph 5,17], und „Ausdauer“ erhalten, um ihn zu „erfüllen“ (Hebr 10,36). Jesus lehrt uns, dass nicht jener, der viele Worte macht, in das Himmelreich eintritt, „sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21).
2827 „Wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört Gott“ (Joh 9, 31) [Vgl. 1 Joh 5,14]. Eine so große Macht hat das Gebet der Kirche im Namen ihres Herrn, vor allem in der Eucharistie. Diese ist fürbittende Gemeinschaft mit der heiligen Mutter Gottes [Vgl. Lk 1,38.49] und allen Heiligen, die dem Herrn „wohlgefällig“ waren, weil sie einzig seinen Willen erfüllen wollten (Vgl. dazu auch 2611).
„Wir können, ohne die Wahrheit zu verletzen, die Worte: ‚Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden‘ auch übersetzen durch: ‚in der Kirche wie in unserem Herrn Jesus Christus; in der Braut, die ihm verlobt worden ist, wie im Bräutigam, der den Willen des Vaters erfüllt hat‘“ (Augustinus, serm. Dom. 2,6,24) (Vgl. dazu auch 796).
IV „Unser tägliches Brot gib uns heute“
2828 Gib uns. Schön ist das Vertrauen der Kinder, die von ihrem Vater alles erwarten. Dieser „läßt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). „Zur rechten Zeit“ gibt er allen Lebewesen „Speise“ (Ps 104,27). Jesus lehrt uns diese Bitte; sie verherrlicht unseren Vater, denn sie anerkennt, dass er über alle Güte hinaus gut ist (Vgl. dazu auch 2778).
2829 „Gib uns“ ist auch Ausdruck des Bundes: Wir gehören Gott und er gehört uns und ist für uns da. Aber das Wort „uns“ anerkennt ihn auch als den Vater aller Menschen. So bitten wir ihn für sie alle, in Verbundenheit mit ihren Bedürfnissen und Leiden (Vgl. dazu auch 1939).
2830 Unser Brot: Es ist unmöglich, dass der Vater, der uns das Leben gibt, uns nicht auch die zum Leben notwendige Nahrung, alle angemessenen materiellen und geistigen Güter gibt. Jesus hebt in der Bergpredigt das kindliche Vertrauen hervor, das mit der Vorsehung unseres Vaters mitwirkt [Vgl. Mt 6,25–34]. Er verpflichtet uns nicht auf ein unbeteiligtes Hinnehmen [Vgl. 2 Thess 3,6–13], sondern will uns von beunruhigenden Sorgen und aller Ängstlichkeit befreien. Die Kinder Gottes verlassen sich kindlich auf ihren Vater (Vgl. dazu auch 2633).
„Denen, die nach dem Reiche und der Gerechtigkeit Gottes trachten, soll nach seiner Verheißung auch alles andere zuteil werden. Denn da alles Gott gehört, wird es dem, der Gott hat, an nichts fehlen, wenn er selbst es Gott gegenüber an nichts fehlen läßt“ (Cyprian, Dom. orat. 21) (Vgl. dazu auch 227).
2831 Es gibt Menschen, die hungern, weil sie kein Brot haben. Diese Tatsache offenbart einen weiteren tiefen Sinn der Bitte. Der Hunger in der Welt ruft die Christen, die in Wahrhaftigkeit beten wollen, auf, die Verantwortung ihren Brüdern gegenüber wirksam wahrzunehmen. Dies betrifft ihr persönliches Verhalten und ihre Verbundenheit mit der ganzen Menschheit. So kann diese Bitte des Herrengebetes weder vom Gleichnis des armen Lazarus [Vgl. Lk 16,19–31] noch vom Gleichnis des Letzten Gerichtes [Vgl. Mt 25,31-46] losgelöst werden (Vgl. dazu auch 1038).
2832 Wie die Hefe den Teig, soll die Neuheit des Gottesreiches die Erde mit dem Geist Christi emporheben [Vgl. AA 5]. Dies muss sich darin erweisen, dass die persönlichen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und internationalen Beziehungen gerecht werden. Dabei darf nie vergessen werden, dass es ohne Menschen, die sich bemühen, gerecht zu sein, keine gerechten Beziehungen gibt (Vgl. dazu auch 1928).
2833 Die Rede ist von „unserem“ Brot: „eines“ für „viele“. Zur Armut der Seligpreisungen gehört die Tugend des Teilens; sie ruft dazu auf, die materiellen und geistigen Güter weiterzugeben und zu teilen, nicht aus Zwang, sondern aus Liebe, damit der Überfluß der einen den Nöten der anderen abhelfe [Vgl. 2 Kor 8,1–15] (Vgl. dazu auch 2790, 2546).
2834 „Bete und arbeite!“ [Vgl. Benedikt, reg. 20; 48] „Betet, als ob alles von Gott abhinge, und arbeitet, als ob alles von euch abhinge.“ Auch wenn wir unsere Arbeit getan haben, bleibt die Nahrung eine Gabe unseres Vaters; es ist gut, ihn darum zu bitten, indem wir ihm dafür danken. Das ist der Sinn des Tischsegens in einer christlichen Familie (Vgl. dazu auch 2428).
2835 Diese Bitte und die Verantwortung, zu der sie aufruft, gelten auch für einen anderen Hunger, an dem die Menschen zugrunde gehen: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4) [Vgl. Dtn 8,3], das heißt vom Wort und vom Hauch Gottes. Die Christen müssen alle Anstrengungen unternehmen, um „den Armen das Evangelium zu verkünden“. Es gibt auf Erden einen anderen Hunger, „nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn“ (Am 8,11). Darum bezieht sich der besondere christliche Sinn dieser vierten Bitte auf das Brot des Lebens. Es ist das Wort Gottes, das wir im Glauben annehmen sollen, und der Leib Christi, den wir in der Eucharistie empfangen haben [Vgl. Joh 6,26–58] (Vgl. dazu auch 2443, 1384).
2836 Heute ist auch ein Ausdruck des Vertrauens, das uns der Herr lehrt [Vgl. Mt 6,34; Ex 16,19], und keine anmaßende Erfindung. Da es sich vor allem um das Wort des Vaters und den Leib seines Sohnes handelt, ist dieses „Heute“ nicht nur die Gegenwart unserer vergänglichen Zeit, sondern das Heute Gottes (Vgl. dazu auch 1165).
„Wenn du jeden Tag Brot erhältst, ist jeder Tag für dich dieses Heute. Wenn Christus heute dein ist, aufersteht er alle Tage für dich. Wie denn? ‚Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt‘ (Ps 2,7). Heute, das heißt dann, wenn Christus aufersteht“ (Ambrosius, sacr. 5,26).
2837 Täglich. Dieses Wort, epioúsios, findet sich im Neuen Testament nur hier. Im zeitlichen Sinn verstanden, nimmt es erzieherisch das „Heute“ wieder auf [Vgl. Ex 16, 19–21], um uns in einem „unbedingten“ Vertrauen zu bestärken. Im qualitativen Sinn genommen, bedeutet es das Lebensnotwendige und, weiter gefaßt, jedes Gut, das zum Lebensunterhalt genügt [Vgl. 1 Tim 6,8]. Buchstäblich [epioúsios: über-wesentlich] bezeichnet es unmittelbar das Brot des Lebens, den Leib Christi und die „Arznei der Unsterblichkeit“ (Ignatius v. Antiochien, Eph. 20,2), ohne die wir das Leben nicht in uns haben [Vgl. Joh 6,53–56]. Mit dem buchstäblichen wird auch der himmlische Sinn dieser Bitte offensichtlich: „dieser Tag“ bezeichnet den Tag des Herrn. Dieser ist der Tag des Festmahls im Reiche Gottes, der in der Eucharistie vorweggenommen wird, die Vorgeschmack des kommenden Reiches ist. Darum ist es angemessen, die Eucharistie jeden Tag zu feiern (Vgl. dazu auch 2659, 2633, 1405, 1166, 1389).
„Die Eucharistie ist unser tägliches Brot. Dieser göttlichen Speise eignet die Kraft der Einigung: sie vereint uns mit dem Leib des Herrn und macht uns zu seinen Gliedern, damit wir das werden, was wir empfangen ... Dieses tägliche Brot ist auch in den Lesungen, die ihr jeden Tag in der Kirche anhört, in den Hymnen, die ihr hört und die ihr singt. All das benötigen wir für unsere Pilgerschaft“ (Augustinus, serm. 57,7,7).
Der Vater im Himmel ermahnt uns, als Kinder des Himmels um das Brot des Himmels zu bitten [Vgl. Joh 6,51]. Christus „selbst ist das Brot, das in die Jungfrau gesät, im Fleisch durchsäuert, im Leiden geknetet, im Ofen des Grabes gebacken, in der Kirche aufbewahrt und auf den Altären geopfert wird. Dieses Brot teilt er Tag für Tag den Gläubigen aus als eine himmlische Nahrung“ (Petrus Chrysologus, serm. 67).
V „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“
2838 Diese Bitte erstaunt. Enthielte sie nur den ersten Teil des Satzes, „Vergib uns unsere Schuld“, so könnte sie schon in den drei ersten Bitten des Vaterunsers enthalten sein, da das Opfer Christi „zur Vergebung der Sünden“ dient. Gemäß dem zweiten Satzteil jedoch wird unsere Bitte nur dann erhört, wenn wir zuvor einer Anforderung entsprochen haben. Unsere Bitte richtet sich auf die Zukunft; unsere Antwort muss ihr vorausgegangen sein; ein Wort verbindet beide: „wie“ (Vgl. dazu auch 1425, 1933, 2631).
„Vergib uns unsere Schuld ...“
2839 In kühnem Vertrauen haben wir begonnen, zu unserem Vater zu beten. In der Bitte, dass sein Name geheiligt werde, haben wir darum gebetet, selbst immer mehr geheiligt zu werden. Obwohl wir das Taufkleid tragen, hören wir nicht auf, zu sündigen, uns von Gott abzuwenden. Jetzt, in dieser neuen Bitte, kehren wir wie der verlorene Sohn [Vgl. Lk 15,11–32] zu ihm zurück und bekennen uns vor ihm als Sünder, wie der Zöllner es getan hat [Vgl. Lk 18,13]. Unsere Bitte beginnt mit einer „Beichte“, in der wir zugleich unser Elend und Gottes Barmherzigkeit bekennen. Unsere Hoffnung ist unerschütterlich, denn in seinem Sohn „haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ (Kol 1,14; Eph 1,7). In den Sakramenten seiner Kirche finden wir das wirksame und nicht anzuzweifelnde Zeichen seiner Vergebung [Vgl. Mt 26,28; Joh 20,23] (Vgl. dazu auch 1425.1439, 1422).
2840 Es ist erschreckend, dass diese Barmherzigkeit nicht in unser Herz eindringen kann, bevor wir nicht unseren Schuldigern vergeben haben. Wie der Leib Christi ist auch die Liebe unteilbar. Wir können Gott, den wir nicht sehen, nicht lieben, wenn wir den Bruder und die Schwester, die wir sehen, nicht lieben [Vgl. 1 Joh 4,20]. Wenn wir uns weigern, den Brüdern und Schwestern zu vergeben, verschließt sich unser Herz und seine Härte wird undurchdringbar für die barmherzige Liebe des Vaters. Im Bekennen unserer Sünde aber öffnet sich unser Herz seiner Gnade (Vgl. dazu auch 1864).
2841 Diese Bitte ist so wichtig, dass sie die einzige ist, auf die der Herr in der Bergpredigt zu sprechen kommt und die er dort auch darlegt [Vgl. Mt 6,14–15; 5,23–24; Mk 11,25]. Dem Menschen ist es zwar nicht möglich, diese entscheidende Forderung des Mysteriums des Bundes zu erfüllen, doch „für Gott ist nichts unmöglich“.
„... wie auch wir Vergeben unsern Schuldigern“
2842 Dieses „Wie“ ist nicht das einzige der Lehre Jesu: „Ihr sollt ... vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,36). „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe ...“ (Joh 13,34). Es wäre nicht möglich, das Gebot des Herrn zu befolgen, wenn es sich darum handelte, das göttliche Vorbild äußerlich nachzuahmen. Es handelt sich aber um eine lebendige, „aus den Tiefen des Herzens“ kommende Teilnahme an der Heiligkeit, an der Barmherzigkeit und an der Liebe unseres Gottes. Nur der Geist, aus dem wir „leben“ (Gal 5,25), kann die Gesinnung Jesu zu „unserer“ machen [Vgl. Phil 2,1.5]. Die Einheit der Vergebung wird möglich, wenn wir einander verzeihen, „weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Eph 4,32) (Vgl. dazu auch 521).
2843 So nehmen die Worte des Herrn über die Vergebung, das heißt über diese Liebe, die bis zum Äußersten liebt [Vgl. Joh 13,1], Leben an. Das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht, das die Lehre des Herrn über die kirchliche Gemeinschaft abschließt [Vgl. Mt 18,23–35], endet mit den Worten: „Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt“. Davon, vom ganzen „Herzen“, hängt alles ab. Es liegt nicht in unserer Macht, eine Schuld nicht mehr zu spüren und so zu vergessen; doch das Herz, das sich dem Heiligen Geist öffnet, läßt diese Verletzung zu Mitleid werden und reinigt das Gedächtnis, indem es die Schuld zu einer Fürbitte werden läßt (Vgl. dazu auch 368).
2844 Das christliche Gebet geht so weit, den Feinden zu vergeben [Vgl. Mt 5,43–44]. Es verklärt den Jünger, indem es ihn seinem Meister gleichgestaltet. Die Vergebung ist ein Höhepunkt des christlichen Betens. Deshalb kann nur ein Herz, das mit dem göttlichen Mitleid übereinstimmt, die Gabe des Gebetes in sich aufnehmen. Die Vergebung bezeugt auch, dass in unserer Welt die Liebe stärker ist als die Sünde. Die Märtyrer von gestern und heute legen für Jesus dieses Zeugnis ab. Die Vergebung ist die Grundbedingung für die Versöhnung [Vgl. 2 Kor 5,18–21] der Kinder Gottes mit ihrem Vater und der Menschen untereinander [Vgl. Johannes Paul II., Enz. „Dives in misericordia“ 14] (Vgl. dazu auch 2262).
2845 Diese der Natur nach göttliche Vergebung kennt weder Maß noch Grenzen [Vgl. Mt 18,21–22; Lk 17,3–4]. Wenn es sich um Schuld (nach Lk 11,4 „Sünden“; nach Mt 6,12 „Schulden“) handelt, sind eigentlich immer wir die Schuldner: „Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer“ (Röm 13, 8). Die Gemeinschaft der heiligsten Dreifaltigkeit ist Ursprung und Maßstab der Echtheit jeder Beziehung [Vgl. 1 Joh 3,19-24]. Im Gebet, vor allem in der Eucharistie wird sie gelebt [Vgl. Mt 5,23–24] (Vgl. dazu auch 1441).
„Gott nimmt das Opfer unversöhnlicher Menschen nicht an und schickt sie vom Altar weg, um sich zuvor mit ihrem Bruder auszusöhnen, damit sie dann durch ihre friedfertigen Bitten auch bei Gott Frieden finden. Das schönste Opfer in Gottes Augen ist es, wenn Friede und brüderliche Eintracht unter uns herrschen und wenn das Volk in der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes verbunden ist“ (Cyprian, Dom. orat. 23).
VI „Und führe uns nicht in Versuchung“
2846 Diese Bitte wurzelt in der vorhergehenden, denn unsere Sünden sind die Früchte unserer Zustimmung zur Versuchung. Wir bitten unseren Vater, uns nicht in Versuchung zu „führen“. Es ist nicht einfach, den griechischen Ausdruck, der so viel bedeutet wie „lass uns nicht in Versuchung geraten“ [Vgl. Mt 26,41] oder „lass uns ihr nicht erliegen“ in einem Wort wiederzugeben. „Denn Gott kann nicht in die Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selbst niemand in Versuchung“ (Jak 1,13); er will uns vielmehr davon befreien. Wir bitten ihn, uns nicht den Weg beschreiten zu lassen, der zur Sünde führt. Wir stehen im Kampf „zwischen dem Fleisch und dem Geist“. So fleht diese Bitte des Vaterunsers um den Geist der Unterscheidung und der Kraft (Vgl. dazu auch 164, 2516).
2847 Der Heilige Geist läßt uns unterscheiden zwischen der Prüfung, die im Hinblick auf die hoffnungsvolle „Bewährung“ (Röm 5,3–5) zum Wachstum des inneren Menschen notwendig ist [Vgl. Lk 8,13; Apg 14,22; 2 Tim 3,12], und der Versuchung, die zur Sünde und zum Tod führt [Vgl. Vgl. Jak 1,14–15]. Wir müssen auch zwischen „Versuchtwerden“ und „der Versuchung zustimmen“ unterscheiden. Weiters entlarvt die Gabe der Unterscheidung die Lüge der Versuchung: dem Anschein nach ist ihr Gegenstand schön, verlockend und „köstlich“ (Gen 3,6), in Wahrheit aber führt er zum Tod (Vgl. dazu auch 2284).
„Gott will das Gute nicht aufzwingen, er will freie Wesen ... Auch die Versuchung hat ihr Gutes. Niemand außer Gott weiß, was unsere Seele von Gott erhalten hat, nicht einmal wir. Aber die Versuchung bringt es an den Tag, um uns zu lehren, uns selbst zu erkennen und so unser Elend zu entdecken; und um uns zu verpflichten, für all das Gute zu danken, das die Versuchung uns aufgedeckt hat“ (Origenes, or. 29).
2848 Einer Versuchung widerstehen zu können, verlangt eine Entscheidung des Herzens. „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz ... Niemand kann zwei Herrn dienen“ (Mt 6,21.24). „Wenn wir aus dem Geist leben, wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5,25). In dieser „Zustimmung“ zum Heiligen Geist gibt der Vater uns die Kraft. „Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch in der Versuchung einen Ausweg schaffen, so dass ihr sie bestehen könnt“ (1 Kor 10,13) (Vgl. dazu auch 1808).
2849 Nun aber ist ein Sieg in einem solchen Kampf nur im Gebet möglich. Jesus besiegte den Versucher von Beginn an [Vgl. Mt 4,1–11] bis zum letzten Kampf in seiner Todesangst [Vgl. Mt, 26,36–44] durch das Gebet. So vereint uns Christus in dieser Bitte zu unserem Vater mit seinem Kampf und seiner Todesangst. Wir werden eindringlich ermahnt, in Gemeinschaft mit ihm unser Herz wachsam zu halten [Vgl. Mk 13,9.23.33–37; 14,38; Lk 12,35–40]. Wachsamkeit ist eine „Wächterin“ des Herzens. Jesus bittet für uns seinen Vater mit den Worten: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen“ (Joh 17,11). Ohne Unterlass fordert uns der Heilige Geist zu dieser Wachsamkeit auf [Vgl. 1 Kor 16,13; Kol 4,2; 1 Thess 5,6; 1 Petr 5,8]. In der letzten Versuchung unseres Kampfes auf Erden wird die Ernsthaftigkeit dieser Bitte offenkundig; sie bittet um Beharrlichkeit bis zum Ende. „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig, wer wach bleibt“ (Offb 16,15) (Vgl. dazu auch 540, 612, 2612, 162).
VII „Sondern erlöse uns von dem Bösen“
2850 Auch die letzte Bitte an unseren Vater wird vom Gebet Jesu getragen: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17, 15). Sie betrifft jeden einzelnen von uns, aber es sind immer „wir“, die beten: in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche und zur Befreiung der ganzen Menschheit. Das Gebet des Herrn öffnet uns immer für den ganzen Umfang der Ökonomie des Heiles. Unsere gegenseitige Verstrickung in Sünde und Tod wird zur Solidarität im Leib Christi in der „Gemeinschaft der Heiligen“ [Vgl. RP 16] (Vgl. dazu auch 309).
2851 In dieser Bitte ist das Böse nicht etwas rein Gedankliches, sondern bezeichnet eine Person, Satan, den Bösen, den Engel, der sich Gott widersetzt. Der „Teufel“ [diabolos] stellt sich dem göttlichen Ratschluss und dem in Christus gewirkten Heilswerk entgegen (Vgl. dazu auch 391).
2852 Der Teufel „war ein Mörder von Anfang an ... denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge“ (Joh 8,44). Er ist es, „der Satan heißt und die ganze Welt verführt“ (Offb 12,9). Durch ihn sind die Sünde und der Tod in die Welt gekommen. Durch seine endgültige Niederlage wird „die ganze Schöpfung von der Verderbnis der Sünde und des Todes befreit“ werden (MR, Viertes Hochgebet). „Wir wissen: Wer von Gott stammt, sündigt nicht, sondern der von Gott Gezeugte bewahrt ihn, und der Böse tastet ihn nicht an. Wir wissen: Wir sind aus Gott, aber die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen“ (1 Joh 5, 18–19).
„Der Herr, der eure Sünden weggenommen und eure Verfehlungen vergeben hat, ist imstande, euch vor den Listen des Teufels, der gegen euch kämpft, zu schützen und zu behüten, damit der Feind, der gewohnt ist, Sünde zu erzeugen, euch nicht überrasche. Wer sich Gott anvertraut, fürchtet den Teufel nicht. ‚Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?‘ (Röm 8,31)“ (Ambrosius, sacr. 5,30).
2853 In der Stunde, in der Jesus freiwillig den Tod auf sich nimmt, um uns sein Leben zu geben, ist der Sieg über den „Herrscher der Welt“ (Joh 14,30) ein für allemal errungen. Es ist das Gericht über diese Welt, und der Herrscher dieser Welt wird „hinausgeworfen“ (Joh 12,31) [Vgl. Offb 12,11]. Dieser „verfolgt die Frau“ [Vgl. Offb 12,13–16], hat aber keine Gewalt über sie; die neue Eva, die vom Heiligen Geist „Begnadete“, wird von der Sünde und der Verderbnis des Todes bewahrt (in der Unbefleckten Empfängnis und durch die Aufnahme der allzeit jungfräulichen Mutter Gottes Maria in den Himmel). „Da geriet der Drache in Zorn über die Frau, und er ging fort, um Krieg zu führen gegen ihre übrigen Nachkommen“ (Offb 12,17). Darum beten der Geist und die Kirche: „Komm, Herr Jesus !“ (Offb 22,20) [Vgl. Offb 22,17], denn sein Kommen wird uns vom Bösen befreien (Vgl. dazu auch 677, 490, 972).
2854 Wenn wir darum bitten, vom Bösen befreit zu werden, bitten wir auch um Befreiung von allen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Übeln, deren Urheber und Anstifter der Böse ist. In dieser letzten Bitte trägt die Kirche das gesamte Elend der Welt vor den Vater. Mit der Erlösung von den Übeln, welche die Menschheit bedrücken, erfleht sie das kostbare Gut des Friedens und die Gnade des beharrlichen Wartens auf die Wiederkunft Christi. Wenn die Kirche so betet, nimmt sie in der Demut des Glaubens die Vereinigung von allen und allem in jenem vorweg, der „die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt“ (Offb 1,18) hat, „der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung“ (Offb 1, 8) [Vgl. Offb 1,4] (Vgl. dazu auch 2632).
„Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen. Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde, damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten“ (MR, Embolismus) (Vgl. dazu auch 1041).
DIE SchlussDOXOLOGIE
2855 Die Schlussdoxologie „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ greift die drei ersten Bitten an unseren Vater wieder auf: die Verherrlichung seines Namens, das Kommen seines Reiches und die Kraft seines Heilswillens. Diese Wiederholung geschieht aber wie in der himmlischen Liturgie [Vgl. Offb 1,6; 4,11; 5,13] in Anbetung und Danksagung. Der Herrscher dieser Welt hatte sich die drei Titel der Herrschaft, der Macht und der Herrlichkeit [Vgl. Lk 4,5–6] auf betrügerische Weise angeeignet. Christus, der Herr, gibt sie seinem Vater und unserem Vater zurück, bis dieser ihm das Reich übergeben wird, wenn das Mysterium des Heiles endgültig vollendet sein und Gott alles in allen sein wird [Vgl. 1 Kor 15,24–28] (Vgl. dazu auch 2760).
2856 „Am Schluss des Gebetes sprichst du ‚Amen‘. Durch das Wörtchen ‚Amen‘, das heißt ‚Es geschehe!‘, besiegelst du, was das von Gott gelehrte Gebet enthält“ (Cyrill v. Jerusalem, catech. myst. 5, 18) (Vgl. dazu auch 1061 – 1065).
KURZTEXTE
2857 Die ersten drei Bitten des Vaterunsers betreffen die Ehre des Vaters: die Heiligung seines Namens, das Kommen seines Reiches und die Erfüllung des göttlichen Willens. Die vier weiteren Bitten bringen ihm Anliegen vor, die unser Leben betreffen: er möge uns Nahrung verschaffen, uns von Sünde heilen und uns in unserem Kampf für den Sieg des Guten über das Böse beistehen.
2858 Wenn wir bitten: „Geheiligt werde dein Name“, treten wir in den Ratschluss Gottes ein. Sein Name, der zunächst dem Mose und dann durch Jesus geoffenbart wurde, soll durch uns und in uns sowie in jedem Volk und in jedem Menschen geheiligt werden.
2859 In der zweiten Bitte geht es der Kirche vor allem um die Wiederkunft Christi und um das endgültige Kommen des Reiches Gottes. Sie betet auch um das Wachstum des Reiches Gottes im Heute unseres Lebens.
2860 In der dritten Bitte flehen wir zu unserem Vater, er möge unseren Willen mit dem seines Sohnes vereinen, damit sich im Leben der Welt sein Ratschluss des Heiles erfülle.
2861 Mit dem „Gib uns“ in der vierten Bitte äußern wir in Gemeinschaft mit unseren Brüdern unser kindliches Vertrauen zu unserm Vater im Himmel. „Unser Brot“ bezeichnet die irdische Nahrung, die zu unser aller Lebensunterhalt notwendig ist. Es bezeichnet auch das Brot des Lebens, das Wort Gottes und den Leib Christi. Es wird „heute“ von Gott als die unersetzliche, (über-) wesentliche Nahrung des Festmahls im Reiche Gottes empfangen, das in der Eucharistie vorweggenommen wird.
2862 Die fünfte Bitte erfleht für unsere Vergehen die Barmherzigkeit Gottes. Diese kann nur dann in unser Herz eindringen, wenn wir nach dem Vorbild Christi und mit seiner Hilfe unseren Feinden vergeben haben.
2863 Mit den Worten „Führe uns nicht in Versuchung“ bitten wir Gott, nicht zuzulassen, dass wir den Weg einschlagen, der zur Sünde führt. Diese Bitte fleht um den Geist der Unterscheidung und der Kraft; sie bittet um die Gnade, wachsam zu bleiben und bis zum Ende auszuharren.
2864 In der letzten Bitte „Sondern erlöse uns von dem Bösen“ betet der Christ mit der Kirche zu Gott, er möge den durch Christus schon errungenen Sieg über den „Herrscher der Welt“, über Satan, zutage treten lassen. Satan ist der Engel, der sich Gott und dessen Ratschluss des Heiles persönlich widersetzt.
2865 Durch das Amen sprechen wir zu den sieben Bitten unser „Fiat“: „So sei es!“.