Johannes vom Kreuz: Aufstieg zum Berge Karmel

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Aufstieg zum Berge Karmel
Johannes vom Kreuz

Quelle: Sämtliche Werke in fünf Bänden, neue deutsche Ausgabe von P. Aloysius ab Immac. Conceptione und P. Ambrosius A S. Theresia, unbeschuhte Karmeliten, im Kösel Verlag München, I. Band, Nach der neuesten kritischen Ausgabe aus dem Spanischen übersetzt von P. Ambrosius A S. Theresia Ord. Carm. Disc.; Vierte unveränderte Auflage 1952 (425 Seiten; Imprimatur Monachii, die 17. Decembris 1931 Dr. R. Hindringer Vic. Gen.).

Vorlage:Überarbeiten


Papst Pius XI. schreibt im Apostolischen Schreiben „DIE VICESIMA SEPTIMA“ vom 24.8.1926, wodurch der heilige Johannes vom Kreuz zum Kirchenlehrer proklamiert wird: Nach seiner ..., verfasste er neue Schriften, die geradezu übernatürlich inspiriert scheinen, so erstaunlich hellsichtig ist seine Kenntnis der außerordentlichen Gnadengaben Gottes, dieser Stufen auf dem Weg zur Vollkommenheit, die er den Seelen als Ziel vor Augen stellt. Freilich mögen „Der Aufstieg zum Berge Karmel“, „Die dunkle Nacht“. „Die lebendige Liebesflamme“, sowie noch manche seiner Schriften und auch seine Briefe schwerverständlich und geheimnisvoll scheinen; dennoch offenbaren sie eine so wesenhafte geistliche Lehre und eine so ausgezeichnete Anpassungsfähigkeit an die Fassungskraft des Lesers, dass man sie in ihrer Gesamtheit verdientermaßen bewerten muß als Wegweiser und Kompass der gottgläubigen Seele auf ihrem Höhenweg zum Gipfel der Vollkommenheit. Die Kanonisationsbulle erklärt also mit Recht, Johannes vom Kreuz habe „Schriften über die mystische Theologie verfasst, die von überirdischer Weisheit zeugen“. Dieses Urteil, das an sich schon einen hohen Wert besitzt, wurde in seinem Wahrheitsgehalt noch bekräftigt durch das fast einstimmige Zeugnis der Nachwelt. Nach dem Tode des heiligen Johannes vom Kreuz im Jahre 1591 nahm sein Ansehen auf dem Gebiet der Mystik mit der Zeit ständig zu. Seither haben ihn die Fachleute dieser theologischen Wissenschaft und sogar große Heilige stets als einen erfahrenen Lehrmeister der Heiligkeit und des Innenlebens anerkannt; immer wieder schöpften sie aus seinen Lehrschriften, wie aus einem lauteren Quell des christlichen Denkens und des kirchlichen Geistes, die Grundsätze ihrer Abhandlungen über das geistliche Leben. Papst Johannes Paul II. verweist auf den „Aufstieg zum Berge Karmel“ in der Enzyklika "REDEMPTORIS MATER“ vom 25.3.1987 und im Apostolischen Schreiben zum Tag des Heimgangs des heiligen Johannes vom Kreuz vom 14.12.1990.


INHALTSÜBERSICHT

Einführung in die Werke des heiligen Johannes vom Kreuz Der symbolische Berg Inhaltsangabe des heiligen Verfassers Lied (spanisch und deutsch) Vorrede (des heiligen Verfassers) Erstes Buch Die dunkle Nacht der Sinne 1. Kapitel: Darbietung des Gegenstandes 2. Kapitel: Warum der Weg zur Vereinigung mit Gott „dunkle Nacht“ genannt werde 3. Kapitel: Erste Ursache dieser Nacht, nämlich Ertötung des Gelüstens in allen Dingen 4. Kapitel: Ertötung der Begierden als notwendige Vorbedingung 5. Kapitel: Fortsetzung des Vorausgehenden - Beweise aus der Heiligen Schrift 6. Kapitel: Die hauptsächlichsten nachteiligen Wirkungen der Begierden in negativer und positiver Hinsicht. Erster Nachteil: sie ermüden die Seele 7. Kapitel: Zweiter Nachteil: sie quälen die Seele 8. Kapitel: Dritter Nachteil: sie blenden die Seele 9. Kapitel: Vierter Nachteil: sie beflecken die Seele 10. Kapitel: Fünfter Nachteil: sie machen die Seele lau 11. Kapitel: Alle, auch die geringsten freiwilligen Begierden müssen ertötet werden 12. Kapitel: Welche Gelüste bringen in der Seele die angeführten Wirkungen hervor? 13. Kapitel: Wie soll die Seele in die Nacht des Sinnes eingehen? 14. Kapitel: Erklärung des zweiten Verses der 1.Strophe 15. Kapitel: Erklärung der übrigen Verse der 1. Strophe Zweites Buch Die dunkle Nacht des Geistes Einleitung: Erklärung der zweiten Strophe I. Teil Allgemeine Erwägungen über den Glauben als nächstes Mittel zur Vereinigung mit Gott 1. Kapitel: Beginn der Abhandlung über den zweiten Teil dieser Nacht des Glaubens. Ist dunkler als die erste und dritte 2. Kapitel: Der Glaube eine dunkle Nacht für die Seele 3. Kapitel: Die Seele muss im Dunkel des Glaubens bleiben, um unter seiner Führung zur Beschauung zu gelangen 4. Kapitel: Was ist die Vereinigung der Seele mit Gott? 5. Kapitel: Wie die drei Seelenkräfte durch die drei theologischen Tugenden, welche in jenen Leere und Dunkelheit hervorbringen, vervollkommnet werden müssen 6. Kapitel: Wie schmal der Weg sei, der zum Leben führt. Wer ihn gehen will, muss sich von allem losschälen, Entkleidung des Verstandes 7. Kapitel: Kein Geschöpf und kein Erkennen kann für die Seele nächstes Mittel zur Vereinigung mit Gott sein II. Teil Verstand und Glaube in ihrer Beziehung zu den Sinneswahrnehmungen 8. Kapitel: Der Glaube ist das nächste und einzig geeignete Mittel für die Seele, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen 9. Kapitel: Einteilung der Wahrnehmungen und Erkenntnisarten, deren der Verstand fähig ist 10. Kapitel: Inwiefern die Wahrnehmungen des Verstandes, welche auf übernatürlichem Wege den äußeren leiblichen Sinnesorganen zuteil werden, der Seele hinderlich sein können 11. Kapitel: Die natürlichen Wahrnehmungen der Phantasie. Worin sie bestehen. Auch sie kein geeignetes Mittel zur Vereinigung mit Gott. Ihre nachteiligen Folgen 12. Kapitel: Beweis für die Zweckmäßigkeit der drei Kennzeichen. Begründung ihrer Notwendigkeit zum Fortschritt 13. Kapitel: Wie die Fortgeschritteneren im ersten Stadium der Beschauung sich die natürliche Urteilskraft und die Tätigkeit der natürlichen Kräfte zunutze machen sollen III. Teil Erkennen und Glauben in ihrer Beziehung zu den übernatürlichen Wahrnehmungen 14. Kapitel: Von den Wahrnehmungen der Einbildungskraft, welche die Phantasie auf übernatürlichem Wege aufnimmt. - Auch sie kein geeignetes Mittel zur Vereinigung 15. Kapitel: Warum Gott auf dem Umweg der Sinne der Seele übernatürliche Güter mitteilt 16. Kapitel: Welchen Schaden manche geistliche Führer den Seelen infolge ihrer falschen Ansichten bezüglich der Visionen bereiten. - Selbst wenn solche Visionen von Gott sind, können die Seelen irregeführt werden 17. Kapitel: Auch bei echten Visionen und göttlichen Ansprachen können wir uns täuschen. Erster Grund: deren falsche Deutung 18. Kapitel: Zweiter Grund: warum die göttlichen Aussprüche und Prophezeiungen in Irrtum führen können: sie sind nur bedingt gegeben 19. Kapitel: Gott hat kein Wohlgefallen an dem Verlangen nach solchen übernatürlichen Dingen 20. Kapitel: Dieselben sind auch im Neuen Bunde entbehrlich und das Verlangen darnach unerlaubt IV. Teil Erkennen und Glauben in ihrer Beziehung zu den rein geistigen Wahrnehmungen 21. Kapitel: Die rein geistigen Wahrnehmungen des Verstandes 22. Kapitel: a) Zwei Arten geistiger Visionen, die auf übernatürlichem Wege zustande kommen 23. Kapitel: b) Die Offenbarungen. –W esen und Einteilung derselben 24. Kapitel: c) Verstandesmäßige Erkenntnis reiner Wahrheiten: - Zwei Arten derselben. - Wie soll sich die Seele zu ihnen stellen? 25. Kapitel: d) Offenbarung von Geheimnissen. - Inwiefern sie hinderlich oder förderlich sind zur Vereinigung 26. Kapitel: Die inneren Ansprachen, welche auf übernatürlichem Wege an den Verstand ergehen - Einteilung derselben 27. Kapitel: a) Sukzessive Ansprachen 28. Kapitel: b) Formelle Ansprachen 29. Kapitel: c) Substantielle Ansprachen 30. Kapitel: d) Geistige Empfindungen, die der Seele auf übernatürlichem Wege zuteil werden und den Verstand beeinflussen Drittes Buch Die dunkle Nacht des Geistes (Fortsetzung) Aktive Läuterung und Nacht des Willens und Gedächtnisses Inhaltsangabe des dritten Buches I. Abschnitt Vom Gedächtnis I. Teil Das Gedächtnis und die natürlichen Wahrnehmungen 1. Kapitel: Wie das Gedächtnis von den natürlichen Wahrnehmungen geläutert werden muss, wenn es zur Vereinigung mit Gott zubereitet werden soll 2. Kapitel: Vom dreifachen Nachteil, den die Seele sich zuzieht, wenn sie nicht geläutert wird bezüglich der Tätigkeit des Gedächtnisses. Erster Nachteil: Von seiten der Welt 3. Kapitel: Zweiter Nachteil: Durch den Trug des Teufels 4. Kapitel: Dritter Nachteil. welcher privativer Natur ist 5. Kapitel: Vorteile die der Seele aus der Nichtbetätigung des Gedächtnisses erwachsen II. Teil Das Gedächtnis und die übernatürlichen Wahrnehmungen 6. Kapitel: Zweite Art der Wahrnehmungen des Gedächtnisses: Übernatürliche, imaginäre 7. Kapitel: Fünffacher Nachteil, welcher der Seele aus dem Nachsinnen über die übernatürlichen Wahrnehmungen ersteht

   a) Gefahr einer Täuschung (Erster Nachteil)

8. Kapitel: b) Gefahr der Selbstüberhebung (Zweiter Nachteil) 9. Kapitel: c) Gefahr von seiten des Teufels (Dritter Nachteil) 10. Kapitel: d) Schwächung der Hoffnung (Vierter Nachteil) 11. Kapitel: e) Verkümmerung der Gotteserkenntnis (Fünfter Nachteil) 12. Kapitel: Vorteile für die Seele, wenn sie sich aller Wahrnehmungen der Einbildungskraft entäußert III. Teil Das Gedächtnis und die geistigen Wahrnehmungen 13. Kapitel: Die geistigen Erkenntnisse, deren das Gedächtnis fähig ist 14. Kapitel: Wie hat sich die Seele ihnen gegenüber zu verhalten? II. Abschnitt Vom Willen und seiner Freude 15. Kapitel: Die dunkle Nacht des Willens. - Einteilung der Willensneigungen 16. Kapitel: Die erste Neigung des Willens: Die Freude. Ihr Wesen. Verschiedene Objekte, an denen der Wille sich erfreuen kann I. Teil Die zeitlichen Güter 17. Kapitel: Die Freude an den zeitlichen Gütern. Wie man sie auf Gott richten soll 18. Kapitel: Nachteile für die Seele aus der Freude an zeitlichen Gütern 19. Kapitel: Vorteile für die Seele aus dem Verzicht auf die Freude an zeitlichen Gütern II. Teil Die natürlichen Güter 20. Kapitel: Es ist Eitelkeit, wenn die Freude sich natürlichen Gütern zuwendet. Sie soll vielmehr das Herz Gott zuwenden 21. Kapitel: Nachteile für die Seele, wenn sie ihre Freude an natürlichen Gütern sucht 22. Kapitel: Vorteile für die Seele aus dem Verzicht auf diese Freude III. Teil Die sinnlichen Güter 23. Kapitel: Wesen der sinnlichen Güter. Verschiedene Arten derselben. Wie sich der Wille dieser Freudentäußern und Gott zuwenden soll 24 Kapitel: Nachteile für die Seele aus der Freude an den sinnlichen Gütern 25. Kapitel: Vorteile für die Seele aus dem Verzicht auf diese Freude IV. Teil Die sittlichen Güter 26. Kapitel: Die sittlichen Güter. Ihr Wesen. Inwiefern darf der Wille seine Freude an ihnen suchen? 27. Kapitel: Sieben Nachteile für die Seele aus der Freude am sittlich Guten 28. Kapitel: Vorteile für die Seele aus dem Verzicht auf die Freude an den Gütern der sittlichen Ordnung V. Teil Die übernatürlichen Güter 29. Kapitel: Die übernatürlichen Güter. Ihr Wesen. Unterschied zwischen ihnen und den geistigen Gütern 30. Kapitel: Nachteile für die Seele aus der Freude an diesen Gütern 31. Kapitel: Zwei Vorteile aus dem Verzicht auf diese Freude VI. Teil Die geistigen Güter 32. Kapitel: Wesen dieser geistigen Güter. Ihre Einteilung 33. Kapitel: Geistige Güter, die vom Verstand klar und bestimmt erfasst werden können. Wie soll sich der Wille ihnen gegenüber verhalten? 34. Kapitel: Die angenehmen Güter. - Ihre verschiedenen Arten. - Anregende Güter 35. Kapitel: Von den Heiligenbildern als anregenden Gütern 36. Kapitel: Vorsicht beim Gebrauch derselben 37. Kapitel: Von den Oratorien als anregenden Gütern, und den zum Gebete bestimmten Orten 38. Kapitel: Oratorien und Kirchen dürfen nur dazu dienen, den Geist auf Gott zu richten 39. Kapitel: Anleitung, wie der Geist mittels dieser Güter zur inneren Sammlung gelangen kann 40. Kapitel: Nachteile, die der Seele aus der ungeordneten Freude an solchen Orten erstehen. 41. Kapitel: Dreierlei zur Andacht stimmende Orte. Verhalten des Willens ihnen gegenüber 42. Kapitel: Missbräuche beim Gebete; nichtige und abergläubische Zeremonien 43. Kapitel: Wie man die Freude und Kraft des Willens bei den Andachtsübungen auf Gott richten soll 44. Kapitel: Zweite Art von bestimmten Gütern, an denen der Wille eitle Freude finden kann: ermunternde Güter Anhang (Zwei bisher unveröffentlichte Fragmente) I. Die Freude als erster Willensaffekt. - Kein Objekt des Begehrens kann ein entsprechendes Mittel zur göttlichen Vereinigung sein II Soll sich der Wille mit Gott vereinigen, dann muss er auf jedes natürliche Begehren verzichten


Einführung in die Werke des heiligen Johannes vom Kreuz

In und außer dem Karmel rüstet man zur Feier des zweiten Zentenariums der Kanonisation (27. Dez. 1726) des heiligen Johannes vom Kreuz, des großen Lehrers der Mystik. Und wie könnte man diese Feier besser einleiten als dadurch, dass man seine unvergänglichen Werke wieder ins rechte Licht stellt? Eben deshalb haben sich die geistliehen Söhne des großen Reformators des Karmeliterordens entschlossen, dieselben auch im deutschen Sprachgebiet neu herauszugeben, nachdem es ohnehin schon an die siebzig Jahre sind, seit die letzte deutsche Übersetzung der Schriften des unsterblichen Mystikers erschienen ist.

Doch bevor wir zu einer kurzen Würdigung des Schriftums des Heiligen übergehen, mag es angebracht sein, dem Leser eine gedrängte Lebensskizze desselben zu geben.

Juan de Yepes - dieses der ursprüngliche Name des Heiligen - einem verarmten spanischen Adelsgeschlechte entstammend, ward 1542 zu Hontiveros in Alt-Kastilien geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters, eines Seidenwebers, siedelte die fast mittellose Mutter mit ihren Kindern nach Medina del Campo über und brachte den kleinen, etwa zwölf jährigen Johannes im dortigen Spital unter, wo er Hilfsdienste im Hause verrichtete und von dem Kuraten des Krankenhauses in den Elementen der humanistischen Studien unterwiesen wurde. Mit einundzwanzig Jahren trat Johannes in den Orden der allerseligsten Jungfrau vom Berge Karmel ein, der in Medina ein Kloster hatte, und legte 1564 dortselbst unter dem Namen Johannes a s. Mathia die Ordensgelübde ab. Darauf bezog er die altberühmte, damals bedeutendste Universität Spaniens, Salamanka, und wurde nach gründlichen philosophischen und theologischen Studien 1567 zum Priester geweiht. Nach seiner Rückkehr nach Medina del Campo lernte er die ihm geistesverwandte Theresia von Jesus kennen, die bereits mit der Durchführung einer gründlichen Reform des Karmeliterordens in seinem weiblichen Zweige begonnen hatte. Begeistert von ihren Plänen, ließ sich Johannes von der ihm geistig ebenbürtigen heiligen Reformatorin bestimmen, die Reform des männlichen Zweiges seines Ordens in Angriff zu nehmen. Der Orden, um die Wende des dreizehnten Jahrhunderts im Orient.gegründet, später nach Europa verpflanzt, wurde von verschiedenen Päpsten in seiner ursprünglichen Regelstrenge beträchtlich gemildert, um ihn europäischen Verhältnissen anzupassen. Außerdem war er im Laufe der Jahrhunderte von seiner Regelstrenge immer mehr abgekommen wie auch alle übrigen damals bestehenden alten Orden. Von der Kirche sowohl wie von der Oberleitung des Ordens wurde nun eben zu jener Zeit eine gründliche Reform des Ordens angestrebt. Johannes erhielt auch tatsächlich die Erlaubnis von seinen Ordensoberen, eine solche Reform einzuleiten bezw. Klöster nach den Reformplänen der heiligen Theresia in Andalusien zu gründen. Unter den denkbar ärmlichsten Verhältnissen begann denn Johannes vom Kreuz, wie er sich nannte, mit noch zwei anderen Mitbrüdern des bisherigen Ordens die Reform durch Gründung der Niederlassung von Durvelo. Gar bald schlossen sich ihm mehr und mehr aszetisch ernst gerichtete Schüler an, so dass sich das Reformwerk immer mehr auszubreiten versprach.

Allein plötzlich erhob sich gegen die aufblühende Reform und ihren Führer Johannes vom Kreuz ein gewaltiger Sturm, der das ganze Werk zu vernichten drohte, und das gerade von einer Seite, von der man es am wenigsten erwartet hätte, nämlich von seiten seiner ehemaligen Oberen und Mitbrüder. Es wurde ihm geboten, weitere Gründungen von Klöstern nach der neuen Reform zu unterlassen und zur alten Observanz zurückzukehren. Da Johannes, sich auf die ihm gewährte Erlaubnis berufend, der Verordnung nicht Folge leistete, wurde er als Rebell betrachtet und als solcher in dem Kloster der alten Observanz zu Toledo gefangengesetzt, um so ein weiteres Umsichgreifen der Reform unmöglich zu machen. Nachdem er über ein halbes Jahr lang (Dez. 1577 bis Aug. 1578) an Leib und Seele unsägliche Leiden mit wankelloser Standhaftigkeit erduldet hatte, gelang es ihm, aus seinem Kerker zu entfliehen. Er kehrte zu seinen Mitbrüdern zurück, wirkte neuerdings an der Ausbreitung und Festigung der Reform, selber zu verschiedenen Malen die Ämter eines Novizenmeisters, Priors, Rektors des Studienhauses und auch das eines Provinzials vorbildlich versehend, und zog sich, all zu früh von den erlittenen Verfolgungen und von freiwilliger unglaublicher Bußstrenge aufgerieben, krank in das Kloster Ubeda zurück, wo er schließlich, grässliche Schmerzen heldenhaft tragend, am 14. Dezember 1591 starb.

Die kurze Lebensspanne des heiligen Johannes vom Kreuz fällt in die Zeit des höchsten .Aufstieges der spanischen Nation unter den Königen Karl V. und Philipp II. und des darauf unmittelbar folgenden Niedergangs. Die neuentdeckten überseeischen Länder hatten großen Reichtum ins Land gebracht, aber eben dadurch auch Luxus und Lockerung des sittlichen Lebens herbeigeführt. Dadurch ward auch der religiöse Geist, der bis dahin das gesamte öffentliche und private Leben des spanischen Volkes beherrscht hatte, bedenklich in Mitleidenschaft gezogen. Zwar fand der Geist der Häresie, wie er sich in den Nachbarländern um diese Zeit geltend machte, in Spanien nicht die gleiche Ausbreitung. Gleichwohl machte sich auch hier eine gewisse häretische Richtung bemerkbar, und zwar am meisten in Andalusien, wo die ersten Klöster des reformierten Karmel erstanden. Ich habe da vor allem die Alumbrados, die "Erleuchteten", im Auge, welche behaupteten, unmittelbar vom Heiligen Geist erleuchtet zu sein und darum jeglicher Führung und Unterweisung im religiösen und geistlichen Leben entraten zu können. Aus dieser verkehrten Lehre, die besonders von den Klöstern ausging, entwickelte sich ganz natürlich ein Geist der Unabhängigkeit in religiöser Hinsicht, ein starker Individualismus, nicht unähnlich dem Modernismus unserer Tage. Außerdem behaupteten die Alumbrados, die theologischen Tugenden seien geradezu ein Hindernis für die Uneigennützigkeit der guten Werke; Buße und Abtötung seien wertlos für das höhere geistliche Leben usw.

Johannes vom Kreuz, der diese verderblichen Lehren und ihren schädlichen Einftuss aus nächster Nähe kannte, suchte denselben als treuer Sohn seiner Kirche mit aller Macht entgegenzutreten durch seine Werke und durch seine persönliche Unterweisung, deren schriftlicher Niederschlag die ersteren sind. Tiefgegründet und tüchtig geschult in der katholischen Lehre und in engstem Einklang mit ihr, verficht Johannes im Gegensatz zu obengenannten Alumbrados und Pseudomystikern die Lehre, dass die theologischen Tugenden geradezu das Fundament des ganzen geistlichen Lebens bilden, rückt immer wieder den großen Wert von Buße und Abtötung der Sinne für das Streben nach Vollkommenheit ins rechte Licht und stellt dem Leser in seinen Schriften die wichtige Stellung und hohe Bedeutung des geistlichen Lebens vor Augen. Er zeigt darin mit unwiderstehlicher Logik, wie die Seele uns dazu vom Schöpfer gegeben wurde, damit sie schon im Menschenleibe durch beharrliche Vervollkommnung nach Verähnlichung mit Gott streben soll, und führt die Seele mit sicherer Hand von Stufe zu Stufe empor zu diesem hohen Ziel, einem Ideal, das sich mit dem Ablauf der Jahrhunderte nicht ändert. Darum spricht Johannes vom Kreuz in seinen Werken nicht bloß zu den Brüdern und Schwestern seines Ordens, für die jene Schriften in erster Linie bestimmt waren, und nicht bloß zu seinen Landsleuten und Zeitgenossen, sondern zu den heilsbegierigen Seelen aller Jahrhunderte. In der allgemeinen Bedeutung und Gültigkeit seiner Lehre hat sich in den dreihundert Jahren, seit sie der Welt geschenkt wurden, nichts geändert.

Allerdings unterscheidet sich Juan de la Cruz wesentlich von den übrigen aszetischen Schriftstellern. Er setzt erst da ein mit der Führung der Seele, wo andere ihre Leitung abbrechen, nämlich in dem Moment, wo Gott selbst ihre Führung übernimmt und sie durch die gnadenvolle Beschauung einführt zur Vereinigung mit sich in der Liebe, hinan durch alle Stufen des mystischen Gnadenlebens, bis sie schließlich durch die geistliche Vermählung ganz eins wird mit ihm.

Die Werke nun, in denen Johannes vom Kreuz diese Lehre niedergelegt hat, sind folgende:

1. D e r A u f s t i e g z u m B e r g e K a r m e l (La Subido deI Monte Carmelo), 2. Die d u n k I e Na c h t (La Noche obscura), welche beide zwar gesondert und unter verschiedenen Titeln erschienen, in Wirklichkeit aber nur ein Ganzes bilden.

Den "Aufstieg zum Karmel" begann Johannes im Jahre 1578 (Oct.), kurze Zeit, nachdem er aus seiner Gefangenschaft zu Toledo entronnen und als Oberer des Klosters von Calvario eingesetzt worden war. Die wildromantische Einsamkeit des Guadalquivir, an dessen Ufern Calvario lag, war so recht geeignet für Mönche, die nichts anderes suchen, als in stiller Weltabgeschiedenheit einzig mit Gott zu verkehren. Dort hörte Johannes in erhabenster Beschauung die Stimme Gottes, die ihn eine Wissenschaft lehrte, wie sie bei den Weisen dieser Welt und in den geistreichsten Büchern umsonst gesucht wird. Diese überirdische Weisheit, in tiefer Beschauung gewonnen, teilte Johannes als Vorgesetzter seinen Untergebenen mit und regte sie dadurch an, unermüdlich dem Gipfel der höchsten Vollkommenheit zuzustreben. Auf die inständigen Bitten seiner Mitbrüder hin schrieb er das, was er ihnen bereits mündlich aus dem reichen Schatze seiner himmlischen Weisheit gegeben, in Buchform nieder und betitelte es: "Aufstieg zum Berge Karmel", schon durch diesen geheimnisvollen Titel das Ziel andeutend, zu dem er die Seinen führen wollte. Obwohl er im Juni 1579 zur Gründung des Kollegs von Baeza entsandt wurde, wo er das Amt eines Studienrektors versah, und wiederum im Jahre 1582 an der Gründung des Klosters von Granada teilnahm, wo er in der Folge als Prior aufgestellt wurde, und trotz vielen anderen Arbeiten vollendete er doch dieses größte und umfangreichste Werk bereits im Jahre 1583 zugleich mit der "Dunklen Nacht".

Wenn auch, wie manche wollen, die "Dunkle Nacht" die Fortsetzung des "Aufstiegs zum Karmel“ bildet, so läßt sich doch nicht leugnen, dass letzteres Werk unvollendet geblieben ist. Im dritten Buch des "Aufstiegs" stellt Johannes in Aussicht, alle vier Leidenschaften. Freude, Schmerz, Hoffnung und Furcht, in gleicher Weise in ihrem Verhältnis zur Läuterung der Seele behandeln zu wollen. In Wirklichkeit bricht er aber nach der Besprechung der ersten Leidenschaft, der Freude, plötzlich und unvermittelt ab. Ja, er behandelt selbst diese nach seinem im 34. Kapitel aufgestellten Plan nur unvollständig, indem er von den verschiedenen geistigen Gütern der Seele, die er in anregende, ermunternde, leitende und vollendende einteilt, wieder nur die heiden ersten Gattungen bespricht. Ob nun der Heilige wirklich nicht mehr geschrieben hat, als was von ihm im "Aufstieg" auf uns gekommen ist, oder ob das, was er in Aussicht gestellt hatte und vielleicht wirklich geschrieben hat, verlorengegangen ist, wissen wir nicht und läßt sich durch nichts mehr mit Sicherheit feststellen.

Freilich bildet die "Dunkle Nacht" eine Ergänzung zum "Aufstieg" und ist in gewisser Beziehung die Vollendung desselben. Denn nach seinem dort aufgestellten Plan behandelt der Verfasser im ersten Buch des "Aufstieg" die Läuterung des sinnlichen Teiles der Seele (I. Teil), im zweiten und dritten Buch die Läuterung des geistigen Teiles der Seele in aktiver Hinsicht, soweit die Seele selber daran teilnimmt (II. Teil), während er im III. und IV. Teil des ganzen Werkes die passive Läuterung der Seele in sinnlicher und geistiger Beziehung bringt. Diesen III. und IV. Teil bildet aber die "Dunkle Nacht". Insofern kann man allerdings mit P. Wenceslao deI S. Sacramento (Fisonomia de un Doctor, Salamanca 1912, t. II. p. 44) sagen, der "Aufstieg zum Karmel" sei nicht unvollendet geblieben, sondern durch die "Dunkle Nacht" ergänzt.

3. Ein drittes Werk, das wiederum zu den beiden vorausgehenden in engster Beziehung steht, ist "Die l e b e n d i g e L i e b e s f I a m m e" (Llama de amor viva). Der mystische Lehrer befand sich eben in Granada, als er die vier Strophen der "Lebendigen Liebesftamme" dichtete, in denen er die erhabensten Geheimnisse der mystischen Theologie, die innigsten Beziehungen Gottes und der Seele zueinander, in nuce niederlegte. Anna de Peiialosa, der dieses Lied gewidmet war, damit noch nicht zufrieden, bat Johannes, diese Strophen nach dem Vorgang im "Aufstieg zum Karmel" gleichfalls zu erklären. Der Heilige willfahrte der Bitte und schrieb in nicht weniger als vierzehn Tagen die "Lebendige Liebesftamme", eine Erläuterung jener vier Strophen (1584). Die Schrift hat zum Inhalt, wie die Seele, nachdem sie den schmalen Pfad der Selbstverleugnung hindurch durch die Finsternisse der dunklen Nacht gewandert, in den Garten der göttlichen Liebe gelangt und dort in den süßen Armen des göttlichen Geliebten entschlummert.

4. Diese Abhandlung wird wiederum ergänzt und vollendet durch eine weitere Schrift des Heiligen, betitelt "D e r g e i s t I i c h e G e s a n g" (Cantieo espiritual), den man das Brautlied der Seele bei ihrer mystischen Vermählung mit dem göttlichen Bräutigam nennen kann. Der Ursprung dieses wundervollen Buches geht zurück auf die Zeit, da der Heilige zu Toledo im finsteren Kerker saß. Dort war es nämlich, wo Johannes vom Kreuz, vom Liebesfeuer des Heiligen Geistes erfasst, dieses unvergleichlich schöne Brautlied der Seele sang, in vielen Stellen anklingend an das "Hohe Lied" Salomons. Die ausführliche Erklärung des Liedes schrieb er freilich erst im Jahre 1584 auf ausdrücklichen Wunsch der ehrwürdigen Anna von Jesus.

Diese vier Werke ergänzen sich gegenseitig harmonisch und enthalten in sich das ganze System der mystischen Theologie. Der "Aufstieg zum Karmel" umfaßt die via purgativa, den Läuterungsweg, die "Dunkle Nacht" hingegen die via illuminativa, den Reinigungsweg, die beiden letzteren endlich, "Liebesftamme“ und „Geistlicher Gesang", die via unitiva, den Einigungsweg, nämlich die innigste Vereinigung mit Gott und Umformung in Gott.

5. Außer diesen seinen Hauptwerken verfaßte der große Lehrer der Mystik noch verschiedene kleinere Schriften, so das Büchlein von den "D o r n e n d e s G e i s t e s" (Espinas de espiritu) oder auch genannt: "Unterredungen zwischen Christus und der Braut". Auch dieses Werkchen hat der Heilige nach glauhwürdiger Überlieferung in seiner Einsamkeit von Calvario zur Unterweisung der Karmeliterinnen von Beas geschrieben, deren Beichtvater er war.

6. Ferner stammt aus seiner Feder die ebenfalls kurze Abhandlung "Ü b e r d i e d u n k l e E r k e n n t n i s G o t t es" und "Ü b e r d i e A r t u n d W eis e, w i e s i c h d i e S e e l e d u r c h d i e L i e b e m i t G o t t v e r e i n e n s o l l ".

7. Außerdem sind von ihm nocb folgende Abhandlungen kürzeren Umfangs erhalten: "U n t er w e i s u n gen und V e r h a i t u n g s m a b r e g e l n f ü r e i n e n w a h r e n 0 r d e n s m a n n" (Instruccion y cautelas para ser verdadero religioso) - "M i t t e i l u n g e n a n e i n e n O r d e n s m a n n" (Avisos a un religioso) - "G e i s t l i c h e M i t t e i l u n g e n u n d S i n n s p r ü c h e" (Avisos y sentencias espirituales) - eine Anzahl von g e i s t l i c h e n B r i e f e n, von denen leider der gröbere Teil in den Stürmen der Ordensreform zugrunde gegangen bzw. von ihm selbst oder denen, an die sie gerichtet waren, vernichtet worden sind -"G u t a c h t e n ü b e r d e n G e i s t e i n e r O r d e n s f r a u" (Dictamen sobre el espiritu de una religiosa) -verschiedene mystische und geistliche G e d i c h t e, von denen gleichfalls nur einige der Nachwelt erhalten sind -"Z u s ä t z e z u r U n t e r w e i s u n g d e r N o v i z e n d e r e r s t e n u n b e s c h u h t e n K a r m e l i t e r" - ein "G e b e t a n d i e a l l e r s e l i g s t e J u n g f ra u" und schließlich ein kurzer "B e r i c h t ü b e r d i e G r ü n d u n g d e s K l o s t e r s d e r u n b e s c h u h t e n Kar m e I i t e r i n n e n v o n M a l a g a".

All diese gröberen und kleineren Werke des Heiligen sind auf uns gekommen und werden in vorliegender deutscher Ausgabe neuerdings der Offentlichkeit übergeben. Sie alle zeugen von dem erhabenen Geiste des Verfassers und von dem groben Reichtum seiner gottliebenden Seele.

Leider sind uns v e r s c h i e d e n e S c h r i f t e n d e s Heiligen, von denen wir bestimmt wissen, dass er sie verfaßt hat, v e r l o r e n g e g a n g e n, so z B. die Schrift: "R i c h t p u n k t e z u r E r k e n n t n i s d e r e c h t e n u n d u n e c h t e n W u n d e r u n d z u r U n t e r s c h e i d u n g d e s g u t e n u n d s c h l e c h t e n G e i s t e "; ferner eine Erklärung der Worte: Buscate en mi (Suchet in mir... I); P r o p i e d a d e s d e I p a j a r o s o l i t a r i o (Eigenschaften des einsamen Sperlings); eine "A b ha n d l u n g ü be r d i e B e s c h a u u n g" (Discorso sobre la contemplacion).

Von einigen weiteren Schriften, die von manchen Biographen dem Heiligen zugeschrieben werden, ist es sehr z w e i f e I h a f t, ob sie ihn wirklich zum Verfasser haben. Es kam nämlich damals häufig vor, daß manche geistliche Schriftsteller ihre Geistesprodukte unter dem Namen des Johannes vom Kreuz drucken ließen, um ihnen so ein größeres Ansehen und weitere Verbreitung zu verschaffen. Zu diesen zweifelhaften Werken des Heiligen gehören: E I S e c r e t a r i o e s p i r i t u a I (der geistliche Sekretär) - C o m m u n i c a c i o n d e l E s p i r i t u d e D i o s u e n s u I g I e s i a - B r e v e C o m p e n d i o d e l a em i n e n t i s i m a p e r f e c c i o n c r i s t i a n a ("Kurzer Abriß über die höchste christliche Vollkommenheit").

Daraus geht aber auch hervor, welch hohes Ansehen der Heilige als aszetischer und mystischer Schriftsteller schon zu Lebzeiten und kurz nach seinem Tode genoß.

Davon legen auch Zeugnis ab die vielen A b s c h r i f t e n, welche schon zu Lebzeiten des Verfassers seitens verschiedener geistlicher und weltlicher Personen von den Originalhandschriften seiner Werke gemacht wurden. Waren doch alle, welche die Handschriften selbst lesen durften, voll Begeisterung über die herrlichen Lehren und den kernkatholischen Geist, der sich darin offenbarte, sowie über die große Klarheit und Verständlichkeit, mit der sie geschrieben waren, wie man sie sonst in ähnlichen Werken vergeblich suchte. Und viele, die den Geist dieser Lehre in sich aufnahmen, zeugten durch ihr vorbildliches Streben nach wahrer Vollkommenheit von der Gediegenheit und dem hohen moralischen Wert derselben. Und diese Begeisterung und Wertschätzung der Schriften des Heiligen wuchs immer mehr, je weiter sie bekannt wurden. Nicht nur in den Klöstern der reformierten Karmeliter, nicht bloß von geistlichen und frommen weltlichen Personen wurden sie gelesen und förmlich verschlungen, sondern selbst in den höchsten Kreisen des Hofes.

Freilich, je mehr die Schriften des großen Mystikers in Abschriften verbreitet wurden, desto mehr wurden sie auch entstellt, desto mehr Fehler schlichen sich allmählich ein, so daß es später, als man nach ungefähr dreißig Jahren seit ihrem Erscheinen sie dem Drucke übergeben wollte, schwer hielt, den ursprünglichen Text wieder zu finden. Die erste Drucklegung der Werke des Johannes vom Kreuz erfolgte nämlich erst merkwürdig spät, im Jahre 1618, auf . Veranlassung des Generals der unbeschuhten Karmeliter P. Joseph a Jesu Maria durch P. Diego de Jesus, Prior der Karmeliter von Toledo. Allerdings enthielt diese Erstlingsausgabe nur die drei Werke: "Aufstieg zum Karmel", "Dunkle Nacht" und "Lebendige Liebesftamme". Die nächste Ausgabe, gleichfalls wie auch die folgenden nur die drei genannten Werke enthaltend, erschien im folgenden Jahre (1619) zu Barcelona, eine weitere 1630 zu Madrid. Alle Ausgaben, die nun weiterhin noch erschienen - bis zum Jahre 1701 wurden sie noch siebenmal gedruckt -trugen, da sie meist nach jener von 1630 hergestellt wurden, auch die gleichen Fehler der Verstümmelung und Unvollständigkeit an der Stirne. Erst die Ausgabe von 1703, gedruckt zu Sevilla, bedeutete einen Fortschritt gegenüber den vorausgehenden. Besorgt wurde sie von P. Andreas a Jesu Mr., C. D., und enthielt zum erstenmal den bisher noch immer unterdrückten "Geistlichen Gesang". Auch die vielen Fehler der früheren Ausgaben fanden darin eine wesentliche Richtigstellung. Ebenso waren darin auch die Gedichte, Briefe und Sentenzen um einige vermehrt. Weitere Ausgaben folgten 1703 (Sevilla) und 1724 (Pamplona).

Ein Beweis, wie hoch die Schriften des heiligen Johannes vom Kreuz in Spanien in literarischen Kreisen gewertet wurden, dürfte auch der Umstand sein, dass sie im Jahre 1853 in die Sammlung spanischer Autoren (Colleccion de Autores Espaiioles, Madrid-Rivadeneyra) aufgenommen wurden, worin der Rationalist Pi y Margall in der Einführung die überragende literarische Bedeutung des Jobannes vom Kreuz zugibt, wenngleich er anderseits als Rationalist die mystischen Phänomene, die an ihm zutage traten, ins Gebiet des Natürlichen verlegen zu müssen glaubt.

Dieser letzteren Ausgabe folgten weitere 1872, 1883 und 1906 (sämtlich Madrid), bis uns zuletzt P. Gerardo de San Juan de la Cruz, O. C. D., die herrliche kritische Ausgabe der Werke des Heiligen in drei Bänden schenkte (Toledo 1912), die alle bisherigen weit überragt. Nach den ältesten und zuverlässigsten Handschriften wurde der ursprüngliche Text kritisch gesichtet, und wurden ausführliche Einleitungen zum Gesamtwerke wie zu den einzelnen Schriften mit einer kurzen Biographie der Ausgabe beigegeben.

Nach dieser letzten und besten, historisch-kritischen Ausgabe von 1912 wurde denn auch die vorliegende d e u t s c h e Ü b e r set z u n g gegeben. Es ist aber auch hohe Zeit, dass die unsterblichen Werke des großen Lehrers der Mystik endlich wieder in deutscher Sprache erscheinen, da die beiden letzten deutschen Übersetzungen von P. Lechner, O. S. B. (Regensburg-Manz 1859) und von Dr. M. Jocham (Regensburg-Pustet 1858) schon längst im Buchhandel vergriffen sind und außerdem modemen Ansprüchen nicht mehr genügen. Letztere Ausgabe von Dr. Jocham ist eigentlich nur eine Neubearbeitung der älteren Übersetzung des Gallus Schwab (Sulzbach 183i). Die erste deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahre 1697, besorgt von P. Modestus a s. Joh. Ev., O. C. D. (Prag), welche in zweiter und dritter Auflage 1725 und 1750 zu Augsburg erschien.

Vor ihr waren die Schriften des Johannes vom Kreuz in Deutschland nur in lateinischer Übersetzung bekannt, die aus der Feder des polnischen Karmeliten P. Andreas a Jesu stammte und in den Jahren 1622, 1639 und 1710 in Köln gedruckt wurde.

In i t a l i e n i s c h e r Ü b e r s e t z u n g erschienen die Werke des Heiligen 1627 und 1637 in Rom, 1643, 1658, 1671, 1682, 1707, 1719, 1729, 1739, 1748 in Venedig, 1858 in Genua, 1912 in Mailand; in f l ä m i s c h e r Ü b e r s e t z u n g zu Amsterdam 1637 und Gent 1693; in e n g I i s c her zu London 1864 und 1888, zuletzt durch P. Benedikt Zimmermann, O. C. D., besorgt 1906 ff.; in f r a n z ö s i s c h e r zu Paris 1621, 1641, 1665, 1694, 1850, 1864, 1875, zu Poitiers 1880; 1890, 1903 und 1910. Eine letzte französische Übersetzung, die allerdings mehr dem Sinn als dem Wortlaut des Originals gerecht wird, schuf nach eben der neuesten kritischen Ausgabe von 1912 der Kanonikus H. Hoornaert (Brüssel 1923).

Dieser kurze Überblick über die Verbreitung der Schriften des heiligen Johannesvom Kreuz, der natürlich auf Vollständigkeit keinen Anspruch erheben will, zeigt uns, wie diese von Anfang an geschätzt und gesucht waren, obwohl es sich dabei nur um einen verhältnismäfaig kleinen Leserkreis handeln konnte, der sich dafür interessierte. Sie waren ja nicht für die große Masse geschrieben, sondern für die allzeit wenigen, die mit Jesus den Weg des Kreuzes wandeln, um zum Gipfel der Vollkommenheit zu gelangen. Denn dass sie für alle heilsbegierigen Seelen von großem Werte waren und sind, läßt sich nicht bestreiten. Viele Seelen haben sich aus ihnen Ansporn und sichere Führung bei der Besteigung des Berges der Vollkommenheit geholt; und die Seelenführer können aus ihnen lernen, wie die Seelen auf diesem Weg vor Gefahren und Täuschungen am sichersten zu bewahren sind. Gegenüber allen anderen Werken aus dem Gebiete der Mystik bietet uns wohl Johannes vom Kreuz neben der heiligen Theresia die sicherste Lehre. Das kirchliche Lehramt selbst hat dies bezeugt durch Kanonisation des mystischen Lehrers (Inzwischen wurde Johannes v. Kr. sogar unter die Kirchenlehrer eingereiht) und hat dabei ausdrücklich bekundet, dass "Johannes vom Kreuz, erfüllt vom Geiste Gottes, Bücher voll himmlischer Weisheit geschrieben" habe. Damit hat die Kirche zugleich alle Einwände und Angriffe verstummen gemacht, die anfangs gegen die Lehre des Heiligen erhoben wurden. Immer steht der Heilige auf dem festen Boden der kirchlichen Lehre, während so manche andere Mystiker, selbst solche, deren Name einen guten Klang hat, des öfteren den Weg der reinen katholischen Glaubenslehre verlassen haben und eigene Wege gegangen sind und dadurch nicht bloß selbst auf abschüssige Pfade geraten sind, sondern auch andere in Irrtümer und Gefahren geführt haben. Darum haben sich auch alle bedeutenderen Schriftsteller auf dem Gebiete der Mystik in den letzten drei Jahrhunderten auf Johannes vom Kreuz und St. Theresia gestützt, wohl wissend, dass diese beiden auf diesem gefahrvollen Gebiet die sichersten Führer sind. Das ist der beste Beweis dafür, dass Johannes vom Kreuz nicht bloß seinen Zeitgenossen, nicht blon seinen Mitbrüdern von damals und den Klosterfrauen, deren Beichtvater und Führer er war, das Rechte zu sagen wunte, sondern dass seine Lehre für alle Zeiten Geltung hat.

Johannes vom Kreuz ist ein Lehrer der Mystik im eminenten Sinn des Wortes. Was ihn zu dieser erhabenen Tätigkeit besonders geeignet machte, war vor allem seine gründliche Schulung in der scholastischen Theologie, sein tiefer Gebetsgeist, sein inniger und liebender Verkehr mit Gott, seine ernste Bußstrenge, sein klarer, scharfer Verstand, sowie seine reiche Erfahrung im geistlichen Leben, die er sich als Seelenführer und durch fortgesetzte Selbstbeobachtung gesammelt hatte. Und diese wertvollen Gaben waren es auch, die es ihm möglich machten, dass er mit solcher Klarheit und Bestimmtheit und doch in so einfach schlichter Art, ohne Wortkünstelei über die erhabensten Dinge sprach, die sich nur denken lassen, so dass sie allen verständlich sind.

Wohl hat er sich auf dem Gebiete der Mystik auch nach großen Vorbildern umgesehen, um sie zu studieren. So wissen wir aus zuverlässigen Quellen, dass er Gregor d. Gr., Pseudo-Dionysius, Dionysius den Karthäuser und vielleicht Ruysbrock gekannt hat, dessen Werke bereits im 16. Jahrhundert in Spanien in lateinischer Übersetzung bekannt waren. Er hat sie wohl gekannt, aber er hat sie nicht ausgeschrieben und nicht kopiert, sondern er hat auf ihnen nur aufgebaut und hat sich seine eigene Originalität bei all seinem schriftstellerischen Schaffen bewahrt, nicht nur die Originalität der Ideen, sondern auch die Originalität der Ausdrucksformen, der Einkleidung dieser Ideen. Diese Originalität gibt auch der schon erwähnte Rationalist Pi y Margall in seinem Juicio critico zu den Schriften des Johannes vom Kreuz unumwunden zu. "St. Johannes vom Kreuz", heibt es da, "steht unter den Geistesmännern seiner Zeit in überragender Größe vor uns als wahre Persönlichkeit, als vollendetes Original, als echter Typus. Wir suchen in der Geschichte unserer Literatur vergeblich nach solchen, die ihm auf diesem Gebiete in der Vorzeit gleichkämen oder die ihm in der Jetztzeit ebenbürtig wären, und auch in der Folgezeit wird er allein dastehen... Er drückte all seinen Werken das Siegel seines ganz einzigartigen Charakters auf, und ohne es zu wollen und zu wissen, verließ er die Pfade, die die ihm Zunächststehenden begingen." ...

Tatsächlich haben auch seine großen Vorgänger auf dem Gebiete der Mystik wenig Einfluß auf sein Schrifttum ausgeübt; er hat sich frei zu halten verstanden von den verschiedenen Systemen und Methoden der Früheren.

Wenn wir schon einmal von den Vorzügen seiner Schriften reden, so soll auch nicht unerwähnt bleiben, was seinen Stil und seine Darstellungsweise so anziehen macht; und das sind vor allem die anschaulichen Bilder, die er überall einstreut, und die er aus seiner unmittelbaren Umgebungswelt nimmt, so recht geeignet, das zu behandelnde Objekt erst ins rechte Licht zu stellen. Es verrät sich darin seine feine Beobachtungsgabe. Dazu die packenden Vergleiche, die er trefflich anzuwenden versteht, welche zeigen, wie der Heilige trotz seiner innigen Vertrautheit mit der übersinnlichen Welt doch auch ein offenes Auge hatte für die Dinge in der Natur, für das reale Leben.

Freilich dürfen wir über diesen Vorzügen, wie sie den Werken des heiligenJohannes vom Kreuz unstreitig zueige sind - es wurden deren nur die bedeutendsten aufgeführt - unser Auge auch nicht verschließen vor manche Mängeln, die ihnen anhaften wie jedem Menschenwerk. Dazu möchte ich eine gewisse Weitschweifigkeit und Wiederholung mancher zu behandelnder Gedanken zählen; ferner eine gewisse Ungenauigkeit und Nachlässigkeit, die der mystische Lehrer sich bisweilen zuschulden kommen lässt, indem er nicht genau das bringt, was er einleitend zu behandeln versprochen hatte. Außerdem finden sich bei ihm auch gewisse literarische Manieren, wie sie den spanischen zeitgenössischen Schriftstellern eigen und größtenteils aus Italien importiert waren. Doch diese und etwa noch manch andere kleinere Unvollkommenheiten vermögen die großen Vorzöge seiner Werke nicht zu verdunkeln.

So sei denn hiemit auch der erste und zugleich umfangreichste Band der Werke des heiligen Johannes vom Kreuz der Öffentlichkeit übergeben! Einen großen Teil des III. Buches hat P. Aloysius ab imm. Conc. zu übersetzen übernommen, da mir infolge anderweitiger Arbeiten die nötige Zeit fehlte. Ihm sei an dieser Stelle der gebührende Dank gesagt!

Mögen die Schriften des großen Heiligen auch in unserer Zeit, "die einer Durchdringung mit den ewigen Ideen des übernatürlichen mehr denn je bedarf, so reichen Nutzen stiften wie in den vorausgehenden Jahrhunderten und recht liebevolle Aufnahme finden! Wenn die vorliegende Übersetzung nicht in alleweg den an sie gestellten Ansprüchen entsprechen sollte, so möge man bedenken, dass es kein Leichtes war, gewisse sprachliche Eigentümlichkeiten! die im Laufe der Jahrhunderte veraltet sind, getreu und zugleich gut ins Deutsche zu übertragen. Die beiden Übersetzer haben sich wenigstens bemüht, eine dem modernen Stand der deutschen Sprache möglichst nahekommende Übersetzung zu bieten, damit die Lektüre dieser an sich schwierigen Materie nicht allzu beschwerlich falle.

Regensburg, am 30. Juli 1925.

P. Ambrosius a S. Theresia O. C. D.


Der symbolische Berg

EMBED PBrush  I1. Willst du dahin gelangen, alles zu kosten, suche In nichts Genuss.

2. Willst du dahin gelangen, alles zu wissen, verlange In nichts etwas zu wissen, 3. Willst du dahin gelangen, alles zu besitzen, verlange In nichts etwas zu besitzen. 4. Willst du dahin gelangen, alles zu sein, verlange in nichts etwas zu sein. 5. Willst du erlangen, was du nicht genießest, muß du hingehen, wo du nichts genießest. 6. Willst du gelangen zu dem, was du nicht weißt, mußt du hingehen, wo du nichts weißt. 7. Willst du gelangen zu dem, was du nicht besitzest, mußt du hingehen, wo du nichts besitzest. 8. Willst du erlangen, was du nicht bist, mußt du hingehen, wo du nichts bist.

Obige schematsche Zeichnung des Berges der Vollkommenheit stammt vom heiligen Johannes vom Kreuz. Darunter standen die angeführten Senfenzen. 2222 3333

Inhaltsangabe des heiligen Verfassers

Die ganze Lehre, die ich in vorliegendem "Aufstieg zum Berge Karmel" zu behandebl gedenke, ist im nach- folgenden Liede zusammengefaüt. Es ist nämlich in dem- selben angegeben, wie man zum Gipfel des Berges gelangt Unter diesem Berge ist der erhabene Stand der Vollkom- menheit zu verstehen, die wir im folgenden "Vereinigung der Seele mit Gott" nennen. Da nun das Lied die Grund- lage zu meinen Erörterungen bilden soll, so stelle ich es hier zusammenhängend voran, damit man auf einen Blick den Inhalt dessen, was hier behandelt werden soll, über- schauen kann. Bei der Erklärung desselben wird es jedoch gut sein, wenn wir jede Strophe gesondert bringen, ebensD auch die einzelnen Verse jeder Strophe, wie es gerade der zu erklärende Gegenstand erheischt Es folgt das Lied, in welchem die Seele das beseligen- de Los besingt, das sie beim Wandel durch die dunkle Nacht des Glaubens in Selbstentäuüerung und Läuterung empfand, bis sie zur Vereinigung mit dem Geliebten ge. langte.


Canciones

1. En una noche oscura Con ansias en amores inßamada, jO dichosa ventura! Sali gin ger notada, Estando ya mi casa sosegada. 2. A oscuras, y segura POl la secreta escala disfrazada, jO dichosa ventura! A oscuras, en celada, Estando ya mi casa sosegada. 3. En la Noche dichosa En secreto, que nadie me vela, Ni yo miraba cosa, Sill otra luz, ni guia, Sino la que en el corazon ardia. 4. Aquesta me guiaba Mas cierto que la luz de medio dfa, A donde me esperaba, Quien yo bien me sabia, En parte, donde nadie parecia. 5. j 0 Noch.e, que guiaste, Oh Noche amable mas que el alborada; Ob Noche, que juntaste Amado con amada, Amada en el Amado trasformada! 6. E.n mi pecho ßorido, Que entero para el s610 se guardaba, Alli qued6 dormido, Y yo le regalaba, .Y el ventalle de cedros aire daba. 7. EI aire de el almena, Cuando ya sos cabellos esparcia, Con su mano serena En mi cuello heria, Y tod os mis sentidos sospendfa. 8. Quedeme, y olvideme, EI rostro recline sobre el Amado, Ces6 todo, y dejeme, Dejando mi cuidado Entre las azucenas olvidado.


Lied 1. & war in dunkler Nacht, Ich brannt' von Liebeswehen, -0 Glilck, das selig macht! - Entwich ich ungesehen Und ließ mein Haus in Ruhe stehen. 2. Gehilllt in dunkle Nacht, Vermummt, mußt' ich entsteigen. -0 Glück, das selig macht! - In heimlich dunklem Schweigen Lag still das Haus, das mir zu eigen. ' 3. In jener Nacht von Glück, Da sich kein Aug' mir wandte, Der Augen blöder Blick Kein weisend Licht erkannte Als das, so mir im Herzen brannte. 4. Mit ihm fand sichrer ich Als in des Mittags Schimmer Ihn, der geharrt auf mich, Den ich geliebt schon immer. Ein ander Gut traf ich dort nimmer. 5. Du warst mir Führer, Nacht; Nacht, süfJer als der Morgen, Hast Herz zu Herz gebracht, Hast uns in Lieb' geborgen, Mich im Geliebten, ihn in mir verborgen. 6. An meiner seligen Brust, Die ihm allein zu eigen, Ruht er in süßer Lust. Und ich: mich liebend zu ihm neigen, Ihm Kühlung wehn mit Zedernzweigen. 7. Als schon der Morgenwind Begann sein Haar zu spreiten, Um meinen Nacken lind Lief1 er die Rechte gleiten: Mir schmolz das Herz in Seligkeiten. 8. Ich gab, ergab mich ganz, Das Haupt am Lieb geborgen. Es schwand der Dinge Glanz, Vergessen war mein Sorgen, Da ich in Lilienduft geborgen.


Vorrede

I[ (des heiligen Verfassers) ~l Um jene dunkle Nacht zu deuten, welche die Seele I, durchwandern muß, wenn sie zum Gotteslichtder vollkomme- nen Liebesvereinigung mit Gott gelangen will, -soweit sol- ches natürlich hienieden überhaupt erreichbar ist, -sollte man freilich mehr Wissen und Erfahrung haben als ich. Denn in geistlicher wie leiblicher Hinsicht sind der licht- losen und dornenvollen Wege, welche gemeiniglich jene begnadeten Seelen zurücklegen müssen, um zu diesem Stand der Vollkommenheit zu gelangen, gar viele. Da reicht menschliches Wissen nicht hin, sie verständlich zu machen, noch auch Erfahrung, um darüber reden zu kön- nen. Ich sage ausdrücklich: Erfahrung, um darüber reden zu können, denn nur, wer solches durchgemacht hat, weiB. was es darum ist, und doch wird es auch ihm an ent. sprechenden Ausdrücken mangeln. Wenn ich nun übel diese dunkle Nacht etwas sagen will, so baue ich dabei weder auf meine Erfahrung, noch auf mein Wissen; deWl beides kann mich im Stiche lassen und täuschen. Ich will vielmehr, ohne dabei ganz abzusehen von diesen beider Stützen, mich ganz und gar von der Gnade Gottes führer lassen, zumal da, wo es sich handelt um wichtige und fül das Verständnis dunkle Stellen der Heiligen Schrift. Dem sofern wir uns ihrer Führung überlassen, können wir nich' irregehen, da aus ihr der Heilige Geist zu uns spricht Sollte ich trotzdem in irgendeinem Punkte nicht da! Rechte treffen, sei es nun hinsichtlich der richtigen Er klärung der Heiligen Schrift oder sonstwie, so möchb ich mich hierin durchaus nicht von dem Pfade der unver fälschten Lehre unserer heiligen Mutter, der katholische! 6

Kirche, entfernen. In diesem Fall überlasse und unter. werfe ich mich rückhaltlos ihrer Entscheidung, ja sogar dem besseren Urteil eines jeden anderen. Was mich bewogen hat, diese Schrift abzufassen, war nicht etwa die Einbildung, daß ich mich für ein so hohes und schwieriges Unternehmen eigne. Nein, ich vertraue vielmehr auf den Herrn; der wird mir beistehen, daß ich etwas bringen kann, was der großen Bedrängnis so mancher Seelen abzuhelfen imstande ist. Denn es gibt so viele Seelen, welche den Pfad der Tugend betreten haben, die aber, sobald sie von Gott in jene dunkle Nacht einge. führt werden, durch die sie zur Vereinigung mit Gott gelangen sollen, nicht mehr weiterfinden. Die einen wollen dann nicht eingehen in jene dunkle Nacht oder sich nicht einführen lassen, die anderen finden sich nicht zurecht oder es fehlt ihnen an tüchtigen und erfahrenen \ Führern, die sie bis zum Gipfel des Berges leiten könnten. Ist es doch bedauerlich, so viele Seelen sehen zu müssen, denen Gott Fähigkeit und Gnade verliehen hat, um Fort. schritte zu machen, die, wenn sie sich nur etwas ermannen wollten, sicher auf diese hohe Stufe gelangen würden. So aber bleiben sie auf einer niedrigeren Stufe des Verkehrs mit Gott stecken, weil es ihnen entweder an der nötigen Willenskraft oder Einsicht fehlt, oder weil sie niemand haben, der sie führt und belehrt, wie sie sich von diesen ersten Anfängen losmachen sollen. Und selbst wenn unser Herr sie schließlich derart begnadigt, daß er sie ohne eigenes Wagen und ohne belehrende Führung in diese Nacht eingehen läßt, so gelangen sie erst sehr spät und mit größerem Kraftaufwand und mit weniger Verdienst ans Ziel, weil sie sich nicht Gott überlassen haben und sich nicht willig auf den reinen und sicheren Weg der Vereinigung führen ließen. Es ist wohl richtig: Gott, der die Seelen führt, kann sie auch ohne ihr Zutun führen. Aber sie kommen weniger voran. da sie sich nicht führen 7

lassen, sondern ihrem Führer widerstehen. Und darum haben sie auch nicht soviel Verdienste, da sie ihren Willen nicht beugen, und sie müssen eben darum auch mehr aus- stehen. Ja es gibt Seelen, die anstatt sich Gott zu über- lassen und sich von ihm helfen zu lassen, vielmehr ihm durch ihre unbesonnene Handlungsweise und ihr Wider- streben direkt entgegenarbeiten. Sie sind wie kleine Kinder, die strampeln und heulen, sobald sie die Mutter auf den Arm nehmen will, und um jeden Preis selb- ständig gehen wollen, auch wenn sie noch gar nicht vor- wärts kommen, oder wenn auch, dann doch nur mit Klein- kinderschrittchen. Damit also die Seelen lernen, sich der Führung Gottes zu überlassen, wann es der göttlichen Majestät beliebt sie vorwärtszubringen, so wollen wir hier mit Gottes Hilfe sowohl für Anfänger wie für Fortgeschrittene einige Rat- schläge und Anweisungen erteilen. Diese mögen ihnen be- hilflich sein, daä sie sich selbst kennenlernen oder sich wenigstens von Gott führen lassen. Denn es gibt so manche Beichtväter und Seelenführer, die weder Wissen noch Er- fahrung in diesen Wegen haben, und eben deshalb solche Seelen, denen sie Helfer und Führer hätten sein sollen, eher aufhalten und hemmen auf diesem Wege. Es geht ihnen wie einst den Bauleuten von Babyion, die anstatt passendes Material beizubringen, ganz ungeeignetes bei- brachten, weil sie sich gegenseitig nicht mehr verstanden. Und eben darum kam nichts zustande. Es ist deshalb etwas gar Unangenehmes und Peinliches, wenn sich eine ': Seele in solchen Fällen selbst nicht kennt noch auch I!l jemand hat, der sie versteht. Kann es doch bisweilen 11 , vorkommen, daä Gott eine Seele auf dem erhabensten Weg dunkler Beschauung und Trockenheit führt, während die Seele meint, sie gehe verloren; oder während sie so von Finsternis und Verwirrung und Beängstigungen und Versuchungen gepeinigt wird, findet sie wohl gar noch 8

jemand, der ihr wie einst die Freunde Jobs sagt: es sei das alles nur Melancholie, Trübsinn oder Naturanlage; ja es könne auch sein, dass irgendein geheimes Laster schuld sei, warum sie Gott verlassen habe. Und sogleich sind dann solche Menschen mit ihrem Urteil fertig: diese Seele müsse doch ganz schlecht sein oder wenigstens gewesen sein, da es ihr so schlimm ergehe. Wieder andere behaupten sogar, mit dieser Seele gehe es rückwärts, weil sie keinen Geschmack und keine Freude mehr habe an den göttlichen Dingen, wie ehedem. So macht man es dieser armen Seele doppelt schwer: Es kann nämlich sehr wohl sein, daü die groBe Bitterkeit, welche die Seele empfindet, aus der Erkenntnis ihrer eigenen Armseligkeit herkommt, indem sie in jenem Licht der Erkenntnis, das Gott ihr in der dunklen Nacht der Beschauung mitteilt (wie wir weiter unten ausführen werden); sonnenklar erkennt, sie se~ voller Fehler und Sünden. Wenn nun gar jemand der gleichen Ansicht ist wie sie selbst und ihr sagt, dass sie an allem dem selber schuld sei, so steigert sich die Bitterkeit und Not dieser Seele ins Ungemessene und wird sie sterbens- unglücklich: Aber noch nicht genug, dass solche Beicht- väter behaupten, es rühre das alles von früheren Sünden her, veranlassen sie solche Seelen, immer wieder ihr Ge- wissen zu erforschen, und lassen sie eine Generalbeichte um die andere machen und kreuzigen sie so immer wieder aufs neue. Sie sehen eben nicht ein, dass jetzt weder für das eine noch für das andere der rechte Augenblick da sei, dass man vielmehr solche Seelen der Läuterung über- lassen müsse, die Gott ihnen geschickt hat, und sie trösten und ermutigen solle, sich in das zu fügen, was Gott mit ihnen vorhat. Denn solange Gott nicht Wandel schafft, ist doch alles umsonst, mögen diese tun und jene sagen, was sie wollen. Davon nun wollen wir, so Gott will, später reden, wie sich in solcher Lage die Seele zu verhalten und was ihr Beichtvater dabei zu tun habe. Auch davon, an 9

welchen Merkmalen man erkennen kann, ob jener Zustand die Läuterung der Seele ist; und wenn, ob man es mit der Läuterung des sinnlichen Menschen oder jener des geistigen zu tun hat, -die dunkle Nacht, wie wir sie nennen wollen -ferner, woran man erkennen kann, ob es sich nur um Schwermut oder um eine andere sinnliche oder geistige Störung handelt. Es kommt nämlich vor, daß manche Seelen oder auch deren Beichtväter glauben, Gott führe sie auf dem Wege durch die dunkle Nacht der geistigen Läuterung, während es sich in Wirklichkeit nur um eine der genannten Störungen handelt. Anderseits können manche Seelen meinen, sie könnten gar nicht beten, während sie in der Tat eine sehr hohe Gebetsweise üben; und wieder andere gibt es, die auf hoher Gebetsstufe zu sein wähnen, während ihr Gebet weniger als nichts ist. Es gibt ferner manche Seelen, die sich ganz jämmer. lich abmühen und quälen, und die doch nicht vorwärts kommen. Diese halten nämlich für Fortschritt, was keiner ist, sondern vielmehr ein Hindernis. Wieder andere hin. gegen schreiten in Ruhe und Sicherheit auf dem Wege der Vollkommenheit weit voran. Einigen Seelen wieder gereichen gerade die Gnadengaben, die Gott ihnen zur geistlichen Förderung verleiht, zum Anstoß und Hinder. nis, so daß sie nicht vorwärtskommen. Und noch manch anderes kann denen, die diesen Weg wandern, begegnen, Freud' und Leid, Hoffnung und Schmerz, was teils im Geiste der Vollkommenheit, teils in dem der Unvollkommenheit seinen Ursprung hat. Von alledem wollen wir mit Gottes Hilfe reden, damit jeder Leser einigermaßen den Weg erkenne, auf dem er wandelt, aber auch den, den er zu gehen hat, sofern er auf den Gipfel dieses Berges gelangen will. Da nun diese Lehre von der dunklen Nacht handelt, durch welche die Seele zu Gott gelangen soll, so darf sich der Leser auch nicht wundern, wenn ihm manches dunkel 10

vorkommt. Doch ich glaube, es wird ihm das nur am An- fang der Lektüre so vorkommen. Je weiter er im Lesen kommt, desto besser wird er das Vorausgehende verstehen, weil ja das eine wieder Licht auf das andere wirft Und liest er es gar ein zweites Mal, so wird ihm, denke ich, noch ein helleres Licht aufgehen und ihm die Lehre noch vernünftiger erscheinen. Sollten sich manche Personen in der Lektüre nicht zurechtfinden, so ist daran nur mein geringes Wissen und meine unzulängliche Schreibweise schuld, da die Sache an sich gut und überaus wichtig ist übrigens, wenn auch der Stoff, der hier behandelt werden soll, mit mehr Vollendung und Meisterschaft dargestellt würde, als es von mir geschieht, so meine ich, würde er trotzdem bei vielen keinen Beifall ernten. Denn es sollen hier nicht moralische und ästhetische Abhandlungen ge- boten werden fÜr ~höngeistige Menschen, welche nur auf Rosenwegen zu Gott gelangen möchten, sondern, was hier geboten wird, soll eine nahrhafte und kräftige Lehre sein für die einen wie für die anderen, wenn sie zur geistigen Entselbstung gelangen wollen, wie sie hier beschrieben wird. Es war auch von Anfang an nicht meine Absicht, diese Belehrungen an alle zu richten, sondern sie sind fürs erste nur bestimmt für einige Mitglieder unseres heiligen Ordens vom Berge Karmel, die nach der ursprünglichen Regel leben, und zwar Brüder wie Schwestern. Denn diese haben mich darum gebeten, da sie Gott in seiner Gnade auf den Weg zu diesem Berge geführt hat Diese dürften wohl auch, da sie sich ja ohnehin schon der irdischen Dinge dieser Welt entäu6ert haben, diese Lehre von der geistigen Entblö6ung besser erfassen. 11


Erstes Buch Die dunkle Nacht der Sinne Wesen der dunklen Nacht. -Notwendiges Mittel, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen. -Spezielle Ab. handlung üher die dunkle Nacht des Sinnes und des sinnlichen Begehrens. -Von dem Nachteil, den diese der Seele zufügen. 1. Kap i tel Erste Gesangstrophe im Wortlaut und deren Erklärung. -Zwei Arten von dunkler Nacht, welche die geistlichen Seelen entsprechend ihren heiden Bestandteilen, dem höheren (geistigen) und niederen (sinnlichen), durch. wandern müssen. 1. Strophe1) In einer dunklen Nacht, Als ich entflammt von Liebesdrang, - 0 heseligendes Los! - Entwich ich unbemerkt, Da schon mein Haus in Ruhe war. In dieser erSten Strophe hesingt die Seele das be- glückende Los, das ihr dadurch zuteil wurde, daß sie sich frei machte von allen außer ihr liegenden Dingen, sowie von den Gelüsten und Unvollkommenheiten, die im sinnlichen Teil des Menschen entstehen, wenn derselbe sich der Herrschaft der Vemunft entzieht. Zum Verständnis der- selben muß man sich vergegenwärtigen, daß die Seele auf I) Es wir<;! bei Erklärung der einzelnen Strophen und Verse eine mehr wörtliche Übersetzung gegeben. 12


ihrem Wege zum Stand der Vollkommenheit gewöhnlich erst zweierlei Nächte zu durchwandern hat Die Geistes- lehrer bezeichnen sie als Läuterungen oder Reinigungen der Seele; wir aber wollen sie "Nächte" nennen, denn da wandelt die Seele hier wie dort wie zur Nachtzeit im Dun- keln. Die erste Nacht oder Läuterung betrifft den sinn- lichen Teil der Seele, wovon die erste Strophe und der erste Teil dieses Buches handelt Die zweite dagegen be- zieht sich auf den geistigen Teil, welchen die zweite fol- gende Strophe zum Gegenstand hat Wir wollen uns darüber im zweiten Teil äußern, soweit es sich um die aktive Läuterung handelt, denn die passive sollen der dritte und vierte Teil zum Inhalt haben. Diese erste Nacht bezieht sich auf die Anfänger zur Zeit, da Gott sie in den Stand der Beschauung versetzen will. Von ihr wird auch der Geist in Mitleidenschaft gezogen; doch davon werden wir seinerzeit sprechen. Die zweite Nacht oder Läuterung dagegen ist für die Fortgeschritteneren, und zwar zu der Zeit, da Gott sie in den Stand der göttlichen Vereinigung erheben will. Dies ist aber die dunkelste und furchtbarste Läuternng, wie später ausgeführt wird. Erklärung der Strophe Die Seele will in dieser Strophe in wenigen Worten sagen: Einzig aus Liebe zu Gott, glühend von Liebe zu ihm sei sie auf göttlichen Antrieb ausgegangen in einer dunklen Nacht, das ist in der Beraubung und Läuterung von all ihren sinnlichen Gelüsten nach allen Außeren Din- gen der Welt sowie all jenen Dingen, die dem Fleische an- genehm waren, sowie auch von den Annehmlichkeiten ihres Willens. Alles das vollzieht sich in der Läuterung des sinnlichen Menschen, weshalb die Seele sagt, sie sei ausgegangen, als schon ihr Haus in Ruhe lag. Unter die- sem Haus ist zu verstehen der sinnliche Teil der Seele; also es waren beruhigt und eingeschlAfert alle Gelüste in ihr und 13

sie mit ihnen. Denn sie wird nicht eher frei von den Bitternissen und Beängstigungen der anstürmenden Ge. lüste, als bis diese ertötet und zum Schweigen gebracht sind. Darum fährt sie fort, es sei für sie eine glückliche Fügung gewesen, auszugehen "ohne bemerkt zu werden", das will sagen, ohne dass ein Gelüsten ihres Fleisches oder etwas anderes sie gehindert habe. Deshalb ging sie aus zur Nachtzeit, d. h. als Gott sie von all diesen Dingen los. machte; denn da war es Nacht um sie. Und das sei ein be- seligendes Glück für sie gewesen, daß Gott sie in diese Nacht einführte, aus der ihr soviel Gutes erwuchs. Sie selbst hätte wohl nie in dieselbe eingehen können, da nie. mand aus eigener Kraft sich von allen Gelüsten frei machen kann, um zu Gott zu gelangen. Das ist also in kurzen Strichen die Erklärung der Strophe. Nun wollen wir an die Deutung der einzelnen Verse gehen, soweit dies für unser Vorhaben dienlich ist So werden wir es auch mit den übrigen Strophen halten, wie ich in der Vorrede angekündigt habe: erst jede Strophe anführen und erläutern, dann jeden Vers für sich. ~..;~: 2. Kapitel . Warum der Weg zur Vereinigung mit Gott "dunkle Nacht" genannt werde. -Ursachen für diese Nacht. "In einer dunklen Nacht." In dreifacher Hinsicht kann man diesen übergang der i Seele zur Vereinigung mit Gott eine Nacht nennen. Erstens in Hinsicht auf den Ausgangspunkt der' Seele, indem sie das Verlangen nach dem Genuß aller Dinge dieser Welt, die ihr zu eigen waren, ablegen muß. Dies geschieht, in- dem sie auf dieselben verzichtet Dieses Verzichten und sich Entäußern ist aber wie eine Nacht für alle Begeh- rungs- und Gefühlsvermögen des Menschen. Zweitens mit Rücksicht auf das Mittel oder den Weg, auf dem die 1 14

Seele zu dieser Vereinigung gelangt. Und das ist der Glaube, der gleichfalls für das Erkenntnisvermögen dunkel ist wie die Nachl Drittens mit Rücksicht auf das Ziel, dem sie zustrebl Und dieses Ziel ist Gott, der unfaUbar und unendlich, gleichfalls für die Seele in diesem Leben wie eine dunkle Nacht ist. Alle diese drei Nächte müssen über die Seele kommen, oder besser gesagt, die Seele muä sie durchwandern, um zur Vereinigung mit Gott zu gelan- gen. Diese drei Nächte sind versinnbildet im Buche Tobias, wo der Engel den jungen Tobias erst drei Nächte warten heißt, bevor er sich mit seiner Braut vereinigen darf. In der ersten Nacht, so befahl er ihm, sollte er das Herz des Fisches im Feuer vernichten. Darin kann ver- standen werden das Herz, welches leidenschaftlich an den Dingen dieser Welt hängt. Will es nun den Weg zu Gott einschlagen, so muß es erst alles Geschöpfliche vernichten und sich läutern im Feuer der Gottesliebe. In dieser Läu. terung nun verscheucht sie den Teufel, welcher Macht hat über die Seele durch die Neigung zu den Freuden an den zeitlichen und materiellen Dingen. In der zweiten Nacht sollte er dann, wie der Engel sagte, zugelassen werden zur Gesellschaft der heiligen Pa. triarchen, die da sind die Väter des Glaubens. Denn, so- bald die Seele die erste Nacht durchwandert hat durch Entäußerung aller sinnenfälligenDinge, geht si~ sogleich in die zweite Nacht ein und lebt nur mehr im bloßen Glauben und läßt sich allein noch von ihm führen, der da nichts zu tun hat mit dem Sinnenfälligen. In der dritten Nacht sollte er nach der Weisung des Engels des Segens teilhaftig werden. Dieser Segen aber ist Gott, der sich mittels der zweiten Nacht, des Glaubens, so geheimnisvoll und innig der Seele mitteilt, daß es für sie aufs neue Nacht wird. Diese Mitteilung ist für die Seele noch weit dunkler, als die andere, wie wir gleich ausführen werden. Auf diese dritte Nacht, welche in der 15

Mitteilung Gottes im Geiste ihren Höhepunkt erreicht und sich gewöhnlich für die Seele in großer Finsternis voll- zieht, folgt sogleich die Vereinigung mit der Braut, das ist der göttlichen Weisheit. Denn der Engel sprach zu Tobias, nach Verlauf der dritten Nacht dürfe er sich in der Furcht des Herrn mit seiner Braut vereinigen. Diese Furcht ist jedoch, sofern sie vollkommen ist, zugleich Liebe zu Gotl Das ist dann der Fall, wenn die Seele durch die Liebe in Gott umgestaltet wird. Diese drei Teile der Nacht bilden zusammen nur eine Nacht, die aber in drei Teile zerfällt, wie die wirkliche Nacht ja auch. Der erste Teil der Nacht, die Nacht des sinnlichen Menschen, entspricht nämlich dem Anfang der Nacht, oder der AbenddAmmerung, wo die Umrisse der Dinge entschwinden. Der zweite Teil der Nacht, die Nacht des Glaubens, entspricht der Mitternachl Da ist nur Finsternis. Und der dritte Teil endlich, welche Gott selbst ist, entspricht dem Morgengrauen, das dem vollen Tageslicht vorausgehl Zum besseren VerstAndnis wollen wir jeden dieser Begriffe gesondert behandeln. 3. Kap i tel Erste Ursache dieser Nacht, nämlich Ertötung des Ge- liietens in allen Dingen. Die Ertötung der Freude am Verlangen nach allen Dingen nennen wir hier Nachl Denn wie die Nacht ist auch sie nichts andres als das Nichtvorhandensein des Lichtes und damit aller Gegenstände, die nur im Lichte sichtbar sind. Dadurch bleibt das Sehvermögen mit allen Dingen im Dunkel und leer. So kann man auch die Er- tötung des Verlangens für die Seele als Nacht bezeichnen. Denn sobald sich die Seele der Freude am Verlangen nach jeglichem Ding entschlAgt, bleibt sie im Dunkeln und wie im Nichts. Wie das Sehvermögen mittels des Lichtes die Dinge erfaßt und genießt, soweit sie sichtbar sind, die aber 16

unsichtbar werden, sobald das Licht entschwindet, so er- faot und genießt die Seele mittels d~ Verlangens alle ~ Dinge, die sie vermöge ihrer Fähigkeiten genieoen kann. Ist jedoch di~~ Verlangen beseitigt oder besser gesagt ertötet, so hört die Seele auf, sich am G~chmack aller Dinge zu ergötzen; und so bleibt sie hinsichtlich d~ Ge- lüstens im Dunkel und wie im Leeren. Wir wollen di~ bei allen Fähigkeiten durch Beispiele nachweisen. Wenn die Seele ihr Verlangen nach Genuo in all dem unter- drückt, was dem Gehörsinn schmeichelt, so bleibt sie hin. sichtlich dieses Vermögens in Dunkelheit und Leere. Be- raubt sie sich des Genusses von allem, was das Auge er. freuen kann, so ist die Seele auch in di~er Fähigkeit in Finsternis und Leere. Versagt sie sich allen Genua lieb. licher Wohlgerllche, die dem Geruchsinn angenehm sind, so ist sie nicht minder hinsichtlich dieses Vermögens in Dunkelheit und Leere. Wenn sie sich ferner des Ge. schmackes aller Speisen enthält, die den Gaumen kitzeln, 80 begibt sie sich auch dieses Vermögens und ist wie im Dunkeln und Leeren. Wenn schließlich die Seele sich in allem, was den Tastsinn ergötzen und befriedigen kann, Abbruch tut, SO befindet sie sich auch hinsichtlich dies~ Vermögens in Finsternis und Leere. Insofern also die Seele sich los und ledig gemacht hat vom Wohlgefallen an jeg- lichem Ding durch Ertötung des Verlangens nach densel- ben, können wir sagen, sie wandle wie zur Nachtzeit im Dunkel; und das ist ja nichts anderes als eine völlige Leere von allen Dingen in der Seele. Der Grund hievon dürfte darin zu suchen sein: Naeh der Lehre der Philosophie ist unsere Seele in dem Augenblick, da sie Gott unserem Leibe mitteilt, eine leere, völlig unbeschriebene Tafel. Erwirbt sie sich nun nicht durch Vermittlung der Sinne Kenntnisse, so gibt es für sie auf natürlichem Wege kein anderes Mittel der Mitteilung. Solange sie im Leibe wohnt, gleicht sie einem Menschen, der in einem finsteren Kerker liegt und 17

1,1 nichts weiß, als was er durch die öffnungen besagten Ker- ,!!i! kers wahrnehmen kann. Sieht er auf diesem Wege nichls, I dann kann er flberhaupt nichts sehen. So ist's auch mit der l Seele. Die Sinne sind gleichsam die Fenster ihres Kerkers. I Gelangt durch diese nichts zu ihrer Kenntnis, dann gibt

1 es für sie keinen anderen natürlichen Weg, auf dem sie

"I etwas wahrnehmen könnte. Wenn sie nun diese durch I1 die Sinne ihr vermittelte Kenntnis abweist und ausschlägt.

"f so kann man doch mit Recht sagen, daö es in ihr dunkel

11I1 und leer ist; denn dem Gesagten zufolge wird ihr auf an.

I derem Wege natürlicherweise kein licht., als durch die

ge~nnten Erkennt.l1iswege. Wenn es auch wallr ist, da' sie z\\.ar nie aufhören kann zu hören, zu sehen, zu riechen. ~u schmecken, zu fühlen. so tut das doch nichts zur Sache, ja es ist der Seele sogar hinderlich, wenn sie diese Fähig. 1 keiten Ilicht gebraucht und von sich weist, gerade so aJs höfte, sähe etc. sie nicht. Es ist da äruuich wie bei einem. der die Augen schließt; er befindet. sich ebenso im Dunklen wie der Blinde, der Oberhaupt der Sehkraft beraubt ist. In diesem Sinne sprach auch DavidJ): Pauper sum ego et in laboribus a juventute mea. "Arm bin ich und in Mühsal von Jugend auf:' Er nennt sich arm, obwohl er doch offenbar reich war. }\ber sein Wille hing nicht am Reichtum, und deshalb ,var er wie ein wirklich Armer. Wäre er hingegen wirklich arm gewesen, dem Willen nach aber nicht, dann wäre er es in Wirklichkeit nicht gewesen, denn seine Seele war reich und gesättigt in ihrem Verlangen. Aus diesem Grunde nennen wir auch diese Entblö6ung eine Nacht für die Seele. Denn es handelt sich hier nicht um das Entbehren der Dinge. weil ja dies die Seele nicht entblööt, solange sie ein Verlangen nach den Dingen trägt; sondern es han- delt sich um die EntällQerung des Verlangens und Wohl. gefalJens an den Geschöpfen. Nur diese macht die SeeJe frei und entblößt, auch wenn sie dieselben ihr eigen nennt. ') Ps 87,16. 18

Nicht die Dinge dieser Welt als solche nehmen die Seeie in Besitz und schaden ihr, da sie ja nicht Zutritt haben zu ihr, sondern der Wille ist es und das Verlangen nach ihnen; denn diese hausen in der Seele. Diese erste Art der Nacht betrifft, wie wir uachher auseinandersetzen wer- den, den sinnlichen Teil der Seele und ist eine von den beiden, welche, wie früher erwähnt, die Seele zu durch- wandern hat. Nun wollen wir erklären, wie gut es für die Seele ist, in dieser dunklen Nacht der Sinne ihr Haus zu verlassen, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen. 4. Kap i tel Die Seele muß durch diese dunkle Nacht de8 Sinnes, d. i. der Abtötung der Begierden gehen, wenn 8ie zur Vereinigung mit Gott gelangen will. Bewiesen durch Au88prüche und Bilder der Heiligen Schrift. Der Grund, warum die Seele durch diese dunkle Nacht der Abtötung ihrer Begierden und des Verzichtes auf die ..Freude an allen geschaffenen Dingen gehen mue, wenn sie zur Vereinigung mit Gott gelangen will, ist darin zu suchen: Alle Neigungen, die sie zu den geschaffenen Din- gen hegt, sind vor Gott wie lautere Finsternis, in welche die Seele gehüllt ist. Infolgedessen ist sie auch nicht fähig, von dem reinen ungetrübten Lichte Gottes durchflutet zu werden, falls sie sich nicht vorerst davon frei macht. Denn Licht und Finsternis vertragen sich nicht miteinander. Dar- um sagt auch der heilige Johannes1): "Die Finsternis konnte das Licht nicht aufnehmen (tenebrae eam non comprehenderunt)." Der Grund ist der, weil nach der Lehre der Philosophie zwei einander entgegengesetzte Begriffe nicht im gleichen Subjekt vereinigt sein können. Solche

Gegensätze sind aber die Finsternis, das ist die Anhäng-

i Oswald (Diskussion) 14:50, 25. Jul. 2022 (CEST)_an die geschaffenen Dinge, und das J..icht, das ist I. I) Johl.5. 19

G'ott; und es gibt keine Gleichförmigkeit und keine Ge meinschaft zwischen beiden, wie auch der heilige Paulw die Korinther lehrV): Quae societas luci ad tenebras? da! ist: " Was haben Licht und Finsternis gemein?" Darum kanl auch in der Seele das Licht der göttlichen V ereinigun~ nicht leuchten, wenn nicht zuerst die Anhänglichkeit al die Dinge daraus verschwindet. Zum besseren Verständnis des Gesagten möge mal sich vergegenwärtigen, dass die Neigung und Anhänglich keit an das Geschöpftiche die Seele selbst dem Geschöpft .gleichförmig macht, und zwar um so mehr, je großer dil Liebe zum Geschöpfe ist. Denn die Liebe macht deI Liebenden und Geliebten einander ähnlich. Darum spracl auch David mit Bezug auf die, so ihr Herz den GÖ,tzen zu wandten: Similes illis fiant, qui faciunt ea: et omnes, q\1 conßdunt in illis. "Ihnen mögen gleich werden, die SiE machen, und alle jene, die ihnen vertrauen2)." So erniedrigi sich der, welcher ein Geschöpf liebt, zu diesem Geschöpf ja in gewisser Hinsicht sogar unter dasselbe, da ja diE Liebe nicht bl06 den Liebenden dem geliebten Gegenstand gleich macht, sondern ihn delDSelben sogar untertaII macht. Daher kommt es, dass die Seele in dem Maoo als sie etwas auoor Gott liebt, sich unempfänglich machl für die lautere Vereinigung mit Gott und für die Umge. staltung in ihn. Denn die Niedrigkeit des Geschöpfes kanD die Hoheit des Schöpfers noch viel weniger fassen, als die Finsternis das Lieht zu fassen vermag. Alle geschaffenen Wesen im Himmel und auf Erden sind ja im Vergleich zu Gott nichts, wie der Prophet Jeremias sagt: Aspexi terram, et eooe vacua erat, et nihil; et coelos, et non erat lux in eis. "Ich schaute die Erde an, und siehe, sie war leer und nichts, und die Himmel, und es war kein Licht in ihnen')." Mit den Worten "er sah die Erde leer" will er zu verstehen geben, dass alle Geschöpfe in ihr nichts waren, 1) 2 Kor 6, 14. I) Ps 113, 16. S) J r 4, 23. 20

und daß auch die Erde gleichsanl nichts war. Mit den Worten aber "ich schaute die Himmel und sah kein Licht in ihnen" will er sagen, daß alle Himnlelsleuchten im Ver- gleich mit Gott pure Finsternis sind. Da nun demzufolge alle geschaffenen Wesen nichts sind und die Anhänglich- keit an sie noch weniger als nichts, können wir behaupten, daü sie wohl existieren, aber ein Hindernis für die Um- gestaltung in Gott sind, geradeso wie auch die Finsternis nich~ ist, ja weniger als nich~, aber dennoch eine Ent- ziehung des Lichtes. Wie nun der, welcher im Finstern ist, das Licht nicht fassen kann, so vermag auch die Seele, welche am Irdischen hängt, Gott nicht zu fassen. Solange sie sich von dieser Anhänglichkeit nicht losmacht, kann sie ihn weder hienieden besitzen in der lauteren Umge- staltung durch die Liebe, noch auch drüben in der unge- trübten Anschauung. Der größeren Deutlichkeit halber wollen wir darüber noch mehr ins Einzelne gehen. Alles Sein der Geschöpfe ist im Vergleiche mit dem unendlichen Sein Gottes nich~. Darum ist auch die Seele, die sich ans Geschöpftiche hängt, vor Gott ebenfalls nichts, ja weniger als nich~, weil, wie oben erwähnt, die Liebe dem Gegenstand der Liebe ähnlich und gleich macht, ja Isogar noch ihn unter diesen erniedrigt. Darum kann sich eine solche Seele auf keinen Fall mit dem unendlichen Sein Gottes vereinigen; denn das Nichtsein und das Sein schlieüen sich einander aus. Und alle Schönheit der Ge- schöpfe ist im Vergleich zur unendlichen Schönheit Gottes äuüerst häülich, wie auch Salomo in den Sprichwörtern sagt: Fallax gratia, et vana est pulchritudo. "Trügerisch ist die Anmut und eitel die SchönheiV)." Darum nimmt auch die Seele, welche mit Liebe an der Schönheit irgendeines Geschöpfes hängt, vor Gott teil an dessen Häßlichkeit. Infolgedessen kann auch diese häüliehe Seele nicht umge- ~sta1tet werden in die Schönheit, das ist in Gott; denn HäfJ- "t 1) Spr 31, 00.

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lichkeit und Schönheit schlieöen einander aus. Und al Wohlgestalt und Anmut der Geschöpfe ist im Verglei( mit der Anmut Gottes höchst häßlich und unförmig. So i denn auch die Seele, die sich von der Anmut und Lieblicl keit der Geschöpfe einnehmen lä&t; vor Gott höchst miJ fällig und abstooond, und sie kann infolgedessen der w endlichen Anmut und Schönheit Gottes nicht teilhaft we den, weil zwischen dem MiÖgestalteten und der unenl lichen Anmut ein unendlicher Abstand ist. Ebenso ist al Gote der Geschöpfe dieser Welt im Hinblick auf die unenl liche Gote Gottes nur Schlechtigkeit. Denn nichts ist g1 als Gott alleull). Darum ist die Seele, welche ihr Herz ~ die irdischen Güter hängt, überaus schlecht vor Goi Gleichwie nun das Böse die Güte lucht erfa&t; so kar auch eine solche Seele sich nicht vollkommen mit Go vereinigen, der die höchste Güte ist. Und alle Weish~ der Welt und alle menschliche Tüchtigkeit sind im Z sammenhalte mit der unendlichen Weisheit Gottes pUl und krasse Unwissenheit. Denn so spricht auch St. Paul1 im Briefe an die Korinther: Sapientia elum hujus mun, stultitia est apud Deum. "Die Weisheit dieser Welt i Torheit vor Gott~)." Darum ist eine Seele, welche all il Wissen und Können aufwenden wollte, um zur VereiIJ gung mit der göttlichen Weisheit zu gelangen, böch töricht vor Gott und bleibt weit entfernt von der göttlichf Weisheit. Die Unwissenheit wei& ja gar nicht, was Wei beit ist. Deshalb sagt auch St. Paulus, da& solches Wissf ihm wie Torheit vor Gott vorkommt. In den Augen Gott. sind die, so sich etwas einbilden auf ihr Wissen, ganz ur g'.lr unwissend, um mit demselben Apostel zu reden: DiceJ tes enim se esse sapientes, shllti facti sunt; d. h.: "Da s weise sein wollten. sind sie Toren geworden8)," Nur jel gelangen in den Besitz der göttlichen Weisheit; welcl wie Kinder und Toren all ihres Wissens sich begebf ') Lk 18, 19. I) 1 Kor 8, 19. 3) Röm 1, 22. 22 , und sich voll Liebe dem DiellSte Gottt's widmen. Diese Art von Weisheit meinte auch St. Paulus, wenn er sagte: "Wenn sich einer unter euch weise dünkt, der werde erst ein Tor, um weise zu werden; denn die Weisheit dieser Welt ist vor Gott TorheiV)." Will darum die Seele zur Vereinigung mit der göttlichen Weisheit gelangen, so muß sie danach mehr durch Nichtwissen als durch Wissen streben. Und alle Herrschaft und Freiheit der Welt ist. gemessen an der Freiheit und Herrschaft des Geistes, tiefste Kn~htschaft und Einschränkung und Gefangen- schaft. Deshalb wird eine Seele, welche nach Würden und Ämtern und nach ungezftgelter Freiheit des Gelüstens strebt, von Gott nicht betrachtet und gehalten wie ein n-eies Kind, sondern wie eine niedrige l\lagd, weil gefesselt von ihren Leidenschaften. Sie hat ja nicht annehmen wol- len seine heilige Lehre, die darin besteht, dafl jeder, der sich selbst erhöht. erniedrigt wird, und wer sich selbst er. niedrigt, erhöht werden wird. Darum kann eine solche Seele niemals zur wahren Freiheit des Geistes gelangen. die man in dieser Vereinigung mit Gott erlangt. Denn die Knechtschaft ist nicht vereinbar mit der Freiheit. welche nicht in einem den Begierden ergebenen Herzen wohnen kann, da ein solches Herz unfrei ist. Sie wolmt nur in einem freien Herzen, das ist im Herzen des Kindes. Darum sprac.h Sarah zu Abraham, ihrem Mann, er solle die Magd mit ihrem Sohne aus dem Hause jagen. denn es könne nicht der Sohn der Unfreien und der Sohn der Freien zu- gleich Erbe sein'). Und alle Lust und Wonne des Willens in jeglichem Ding der Welt ist im Vergleich mit der Lust und Wonne, die man in Gott findet. nur Pein und Qual und Bitterkeit. Wer darum sein Herz an sie hängt. der ist vor Gott würdig der höchsten Pein und Qual und Bitter- keit; und er kann nie und nimmer zur wonnevollen Um- armung der göttlichen Vereinigung gelangen, da er ja nur I) 1 Kor S, 18. t) Gn 21. 10. 23

I Pein und Bitterkeit verdient. Endlich ist aller Reichtu und Glanz der ganzen Schöpfung im Vergleich mit de Reichtum, der da Gott ist, äooerste Armut und gröüb Elend. Und eine Seele, welche sie zu besitzen verlangt, i in Gottes Augen ganz arm und beklagenswert und kar darum auch nicht in den beseligenden Besitz des Reic tums und der Herrlichkeit gelangen, der in der Umgesb tung in Gott besteht, zumal ja ein unendlicher Abstand i zwischen der Armut und dem Elend einerseits und de UIlendlich Reichen und Mächtigen anderseits. Darum klaj die göttliche Weisheit Ober alle jene, welche durch ih Liebe zu dem, was in den Augen der Welt als schön, e haben und reich gilt, selber häülich, gemein, elend UI arm werden, indem sie in den Sprichwörtern ausruft: viri, ad vos clamito et vox mea ad filios hominum. Intell gite, parvuli, astutiam, et insipientes, animadvertite. A dite, quoniam de rebus magnis locutura sum Mecu sunt divitiae, et gloria, opes superbae, et justitia. Melil est enim fructus meus auro, et lapide pretioso, et genimiI mea argento electo. In viis ju.o;titiae ambulo, in medio sen~ tarum judicii, ut ditem diligentes me et thesauros eoru repleam. ,,0 Männer, ich rufe zu euch; meine Stimme e gehet an die Menschenkinder! Ihr Einfältigen, lernet Klu: heit; merket auf, ihr Toren! Horchet auf, denn ich \\1 Vortremiches reden Bei mir ist Reichtum und Ehr ansehnliche Güter und Gerechtigkeit. Denn meine Fruc] ist besser als Gold und Edelsteine, und was von m kommt, ist besser als feinstes Silber. Ich wandle auf df Wegen der Gerechtigkeit, mitten auf den Pfaden der KlUI heit, damit ich jene. die mich lieben, bereichere und ihl Schätze fOlle1)." In diesen Worten spricht die göttliel. Weisheit von all jenen. welche, wie schon erwähnt, it Herz liebend an irgendein Ding der Welt hingen. Si .nennt diese kleine Menschen. weil sie sich dem GegeJ J) Spr 8, 4-6 und 18-'21. 24 .

stand ihrer Liebe ähnlich machen; der aber ist klein. Und sie mahnt diese, sie möchten doch Klugheit lernen und achthaben auf sie, denn sie rede von groBen Dingen und nicht von kleinen, wie sie selber sind. GroBer Reichtum und Herrlichkeit, wie die Menschen sie gerne haben, sei ja mit und in ihr zu finden, nicht da, wo sie meinen. Und auch die herrlichen Schätze und die Gerechtigkeit wohne in ihr. Denn wenn es ihnen auch so vorkommt, als seien dies die Dinge dieser Welt, so sollten sie doch bedenken. daB ihre Schätze besser seien. Und der Gewinn, den sie in ihr finden würden, sei gröf~er als Gold und Edelsteine. Auch sei, was sie in den Seelen hervorbringe, besser als auserlesenes Silber, das sie so sehr lieben. Damit soll jeg- liche Art von Neigung versinnbildet sein, die es in diesem Leben gibt. 5. Kap i tel Fortsetzung des Vorausgehenden. -Weitere Stellen und Beispiele der Heiligen Schrift. Aus dem Gesagten ist in etwa der groBe Abstand er- sichtlich, der zwischen dem Wesen der geschaffenen Dinge und dem Wesen Gottes besteht; ferner, wie die Seelen, ,,'elche an irgendeines von ihnen ihr Herz hingen, im gleichen MaBe sich von Gott entfernen. Denn die Liebe verursacht, wie bereits erwähnt, Gleichheit und Ähnlich- keit. Von diesem Abstand spricht der heilige Augustin zu Gott, wie aus seinen Selbstgesprächen zu ersehen ist: "Ich Unglückseliger! Wann wird sich meine Armseligkeit und Unvollkommenheit messen können mit deiner Gerechtig- keit? Du bist wahrhaft gut, ich schlecht; du barmherzig. ich unbarmherzig; du heilig, ich elend; du gerecht, ich un- gerecht; du bist das Licht, ich bin blind; du bist das Leben, ich aber tot; du die Arznei, ich der Kranke; du die höchste Wahrheit, ich lauter Eitelkeitl)." So spricht der Heilige, ') Mjgne,tom.XL,p.~. 25

insofern er den Geschöpfen in Liebe zugetan ist. Somit ist es große Torheit seitens der Seele, wenn sie meint, sie könne zu jenem erhabenen Stand der göttlichen V ereini- gong gelangen, ehe sie sich losgemacht hat von dem Ver- langen nach allen natürlichen und übernatürlichen Dingen. die ihr zu eigen sein könneni). Denn es ist ein himmelweiter Untersclüed zwischen diesen Dingen und dem, was in diesem Stande der gänz- lichen Umgestaltung in Gott ,'erliehen wird. Darum sprach Christus, unser Herr, zur Belehrung über diesen Weg, beim Evangelisten Lukas: "Qui non renuntiat omnibus, quae possidet, non poiest meus esse discipulus. "Wer nicbt aUem entsagt, was er (mit dem Verlangen) besitzt, I) In deli älteren Ausgaben hiess es: "insoweit ihr diesE durch die Eigenliebe zuteil werden können.11 Es besteht ~eiIJ Zweifel, dass alle die unterstrichenen Worte erst später in den Tex1 eingeschoben wurden, wn eine unrichtige Deutung seines Sinne! ~11 vermeiden. Doch mit dieser Textä.nderung war nichts erreicht Was der Heilige hier sa.gt, ist die richtige Lehre und so Imnelun. ba.r wie nur etwas. Da.rum la.ssen wir die angefü~ten Worte weg Der Heilige lehrt: Da.mit eine Beele zu dem erha.benen Bta.nd deI innigsten Vereinigung mit Gott gela.ngen könne, müsse sie zuers' ihr Verlangen nach allen Dingen in dem na.türlichen und überna türlichen Bereich a.blegen. Dieses Able~en des Verlangens na.ol allen Dingen kann zweierlei bedeuten: entweder, der Mensch mÜ881 von seinem Herzen ,jegliche Liebe zu den Geschöpfen, a.uch dei vorzüglichsten, a.uRschliessen, oder, er müsse nur die un~oordnetl Liebe und Neigung zu ihnen a.blegen. Die erstere Auslegung lieg der Absicht des Heiligen völlig ferne. Das ist so sicher, dass, we das Gegenteil behaupten wollte, da.mit besa.gen würde, der Heilig habe nicht einmal das Abc der kirchlichen Lehre gek&1lnt, die un doch befiehlt, unseren Nächsten zu lieben, sowie Gna.de und übel na.türliche Tugenden hochzuschätzen j ja., es hiesst' sogar annehmeI dass ihm jede Ehlsicht gefehlt ha.be. Wem dies aber noch niob genügt, den möchten wh- verweisen a.uf die Äusserungen des HeiJj gen in betreff' der Nächstenliebe, in welchen er einzig und allei verla.ngt, dass wir von solcher Liebe fernhalten sollen jede ungE ordnete Neigung, die nicht in Gott ihren Ursprung und ihr Zil hat. So sagt er z. B. in einem seiner Sinnsprüche: "Wenn die Lieb und Zuneigung zu den G.eschöpfen rein geistiger Natur ist und sic auf Gott gründet, dann nimmt auch die Liebe zu Gott mit jene zu, und je mehr sie mit dleser übereinstimmt, de~to mehr StimlI tlie mit Gott überein, und sie flösst Verlangen na.oh Gott <,in un hält in ihrem Wa.chstum gleichen Schritt mit jener." .. Es ist also ausgema.oht, dass die erste Auslegung den Worte des mystischen Lehrers nicht zugrunde gelegt werdl'n darf. Untl' 26 , kann mein Jünger nicht sein1,:' Das ist auch klar. Denn die Lehre, welche der Sohn Got~ der Welt brachte, be. stand in der Verachtung aller Dinge, damit man dadurch den Schatz des Gottesgeistes in sich aufnehmen kc,nn('. Solange nämlich die Seele sich dieser Dinge nicht ent- äuftert, ist sie auch lucht fähig, den Geist Gottes in der gänzlichen Umgestaltung in sich aufzunehmen. Dafür lie- fert uns das Buch Exodus:!) ein Beispiel. Wir lesen hier, dass die göttliche Majestät den Söhnen Israels das Him- melsbrot, das Manna, nicht eher gab, als bis das Mehl, das sie aus Ägypten mitgenommen hatten, aufgebraucht war. Damit will er andeuten, daa man erst auf alles ver lichten müsse; denn diese Engelsspeise zieme sich nicht für den Gaumen, der noch Geschmack sucht an Menschenspeise. Eine solche Seele, die noch Ergötzen und Befriedigung in fremden Genüssen sucht, macht sich nicht nur unempfäng- lieh für den Geist Gottt's, sondern erzürnt geradezu die göttliche Majestät gar sehr, weil sie nach geistiger Kost verlangt und mit Gott allein sich nicht begnügt und noch obendrein das Gelüsten und die Neigung zu an- dren Dingen stillen mf)chte. Aus der Heiligen Schrift ist dies gleichJal~ zu entnehmen, wo es heiat, daü die Kinder Isrd- ett; nicbt zufrieden waren mit jenem einfachen Brot, son- dern nach Fleisch begehrtenB). Darob erzürnte denn auch Gott gar sehr, daß sie eine so gemeine und grobe Speise suchen wir dann die Anuahme der zweiten AMlegung, nämlich, dass die Seele zu ihrer Umgestaltung in Gott ihr Herz frei halten f m1-\8.'! von leder ungeordneten Liebe selbst zu den heiligsten Dingen, was findet sich darin, das dem gesunden Urteil widersprechen würde? Was sollte darin gegen die Lehre der Kirche und die Aussprüche ihrer Lehrer verstoRBen? Durchaus nichts. Da es also keiner Be. weise bedarf und es offenkundig ist und von allen gelehrt wird, dass die ungeordnete Neigung selbst zur Tugend und Heiligkeit (st'i es, dass man sich in deren Besitz gef"ällt oder dass man um ihretwillen von den Menschen geehrt sein will) mindestens eine Unvollkommenheit ist und ein Hindernis zur vollkommenen Ver- einigung mit Gott, wollen wir nicht weitt'r die Zeit damit verlieren, dass wir zur Be8t~tigung unserer AnRicht Be'Yeise und Stellen an- führen. " I) Lk 14, 83. !) Ex 16, 4. S) Nm 11, 4. 27

einer so erhabenen und einfachen gleicllStellen wollten, die trotz allem doch den Gesclunack und die Kraft aller Spei. sen in sich barg. Deshalb kam, wie David spricht, der 7..orn Gottes über sie, und während sie noch die Bissen im Munde hatten, fiel Feuer vom Himmel und vernichtete vielE Tausende von ihnen. Adhuc escre eorum erant in ore ip. sorwn, et ira Dei descendit super illos, et occidit pingue~ eorum, et electoslsrael impediviV). Denn es war in seinel Augen etwas Unwürdiges, dass sie nach anderer Speis begehrten, während er ihnen doch Himmelsbrot gebe wollte. 0 wüuten doch die geistlichen Seelen, welches G. und welche Fülle des Geistes ihnen entgeht, weil sie nicl abstehen wollen davon, nach nichtigen Dingen VerlangE zu tragen! Wie würden sie in dieser einfachen geistig. Speise den Wohlgeschmack aller Dinge finden, wenn s dieselben nicht mehr kosten wollten! Allein, weil sie d nicht wollen, darum kosten sie dieselbe auch nicht Je (die Israeliten) empfanden deshalb nicht den Geschlna aller Speisen, der im Manna verborgen \\'ar, weil sie i Verlangen nicht auf dasselbe allein beschränkten. Ni( deshalb fanden sie im Manna nicht all den Wohlgeschma und die Kraft, die sie nur wünschen konnten, weil sie et das Manna nicht enthalten hätte, sondern weil sie m anderem verlangten. Wer nebst Gott noch etwas ande lieben will, der achtet zweifellos Gott für sehr gering, er das, was doch von Gott himmelweit verschieden mit Gott auf eine Stufe stellt. Man weib ja aus Erfahf1 zur Genüge: wenn der Wille einmal dem Geschöpftichen getan ist, dann schätzt er dies höher, als alles andere, I letzteres auch bedeutend besser sein als jenes, wenn nämiich letzteres nicht so viel Geschmack abgibt WiI aber beides zugleich genieben, dann fügt er offenbar ' Besseren grobe Unbill zu, weil er heide ungerechte~ J) Ps 77,31. 28

l einander gleichstellt. Da aber nichts auf der Welt sich mit Gott messen kann, so beleidigt ihn die Seele gar sehr, wenn sie au&er ihm noch etwas ~nderes liebt oder ihm ihre Neigung zuwendet. Wenn nun schon dies, was wäre es erst, wenn sie gar das Geschaffene mehr lieben würde als Gott? Dies wollte Gott dadurch andeuten, da& er dem Moses befahl, er solle den Berg hinaufsteigen, um mit ihm zu reden. Und er gebot ihn), er solle nicht blo& allein kommen und die Kinder Israels unten lassen, sondern er sollte nicht einmal das Vieh im Angesichte des Berges weiden lassenl). Damit will er andeuten, da& die Seele, welche zum Berg t der Vollkommenheit emporsteigen will, um mit Gott zu l: verkehren, nicht blo& auf alle Dinge verzichten und sie ! unten lassen müsse, sondern da& sie auch alle Begierden, r die unvernünftigen Tiere, nicht dürfe weiden lassen im [ Angesichte dieses Berges, d. h. nicht in anderen Dingen, , die nicht rein Gott sind. Denn in ihm, das ist in dem Stande der Vollkommenheit, habe alles Gelüsten ein Ende. Darum mu& dieses Wandern und Aufsteigen ein unablässiges Be- mühen sein, diese (Gelüste) zum Schweigen zu bringen. Und je mehr sich die Seele darin Mühe gibt, desto früher wird sie ans Ziel kommen. Allein solange jene (Gelüste) nicht zum Schweigen gebracht sind, kommt sie nicht ans Ziel, mag sie auch noch so viele Tugenden üben. Denn die Seele kann diese nicht vollkommen erlangen, weil sie dazu leer, entblöBt und gereinigt sein muß von allem Be- gehren. Wir haben dafür ein sprechendes Sinnbild im Buche Genesis. Hier lesen ,,'ir nämlich, wie der Patriarch Jakob auf den Berg Bethel steigen wollte, um dort Gott einen ..Altar zu errichten und ihm darauf ein Opfer darzubringen. IOswald (Diskussion)vor trug er all seinen Leuten ein Dreifaches auf: ! 1) Ex ~, B- 29

Erstens sollten sie alle fremden Götter enUernen; zwei.te~ sollten sie sich reinigen; drittens sollten sie ihre KleideI wechselnl). Durch diesen dreifachen Befehl soll ange. deutet sein: Die Seele, welche auf diesen Berg hinaufstei. gen will, um sich selbst zu einem Altar zu machen. au! , dem Gott das Opfer lauterer Liebe und des Lobes und un geheuchelter Ehrfurcht dargebracht werde, muß vor den Ersteigen dieses Berges die drei genannten Bedingunger voll und ganz erfüllt haben. Erstens muD sie alle fremder Götter enUernt haben, worunter alle liebende Zuneigun~ zu anderen Geschöpfen gemeint ist. Zweitens muD sie sicl reinigen von dem Eindruck, den die genannoon Gelüst4 in der Seele hinterlassen haben, indem sie durch die dunkl4 Nacht der Sinne geht, sich jener (Gelüste) völlig entäufJer und dafür entsprechend Sühne leistet. Drittens muD sie, un auf diesen hohen Berg zu gelangen, die Kleider wechsem Dies wird Gott selbsf besorgen, indem er die alten (Kleider in neue umwandelt, sobald die beiden ersoon Voraussetzun gen gegeben sind. Er wird nämlich in die Seele ein neues göttliches Verständnis für Gott gieoon, nachdem das alt! menschliche 'Terstehen aufgehört hat. Und er wird eil neues, göttliches J,ieben zu Gott in ihr hervorbringen, nach dem der Wille von all seinen früheren Wünschen uru menschlichen Gelüsten entblöfJt ist; und er wird der SeeL eine unergründliche Wonne und eine neue Erkenntni mitteilen, nachdem alle anderen Eindrücke und Bilder au ihr getilgt sind. Er wird endlich alles, was vom alte] Menschen stammt, nämlich die Befähigung des natürlichel Wesens, beseitigen und wird sie umkleiden mit neue) übernatürlicher Fertigkeit nach allen ihren Fähigkeiter So wird dann ihr menschliches Wirken in ein göttliche i. verwandelt, und zwar auf der Stufe der Vereinigung. Dam I'" i! wird die Seele zu nichts anderem mehr dienen als zu eineIl Altare, auf welchem Gott mit Lobpreisung und Liebe aJJ I) Gn 35, 2. 30

gebetet wird, und auf dem Gott allein noch thront. Deshalb wollte Gott, daü der Altar, auf dem man ihm Opfer dar- brachte, innen hohl sein solle!). Daraus soll die Seele erkennen, wie leer sie Gott haben will von allen Dingen, damit sie ein der göttlichen Majestät würdiger Altar sein könne. Auf diesem Altar durfte auch kein fremdes Feuer brennen, noch auch das eigene jemals erlöschen. Als nämlich Nadab und Abiud, die Söhne des Hohenpriesters Aaron, fremdes Feuer auf seinen Altar legten, da erzürnte er darob und tötete sie auf der Stelle vor dem Altare2). Daraus sollen wir den Schluü ziehen, daü in der Seele, die ein würdiger Altar sein will, weder die Liebe Gottes er- löschen, noch auch sich fremde Liebe beigesellen darf. Denn Gott duldet nicht, daß etwas außer ihm mit ihm beisammen \vohne. Darum lesen wir im ersten Buche der Könige: Als die Philister die Bundeslade in den Tempel stellten, in welchem ihr Gott wohnte. lag dieser jeden Morgen in der Frühe auf dem Boden, und zuletzt war er t sogar in Trümmer geschlagen3). Nur jenes Verlangen dul- det und will er, daß man sei, \\.0 er ist, d. h. daß man das Gebot Gottes in jeder Hinsicht beobachte und das Kreuz Christi auf sich nehme. Darum heißt es in der Heiligen Schrift, Gott habe verboten, in die Bundeslade, in welcher das Manna aufbewahrt wurde, etwas anderes zu legen als das Gesetzbuch') und den Stab des Moses6). welcher das Kreuz versinnbildet. Denn die Seele, die kein anderes Verlangen kennt, als das Gesetz des Herrn voll- kommen zu erfüllen und das Kreuz Christi zu tragen, ist eine wahre Bundeslade, die das wahre Manna, Gott, in sich birgt, wenn sie es so weit bringt, in sich dieses Ge- setz und diesen Stab vollkommen zu bewahren und alles ~ andere fernzuhalten. I) Ex 27, 8. I) Lv .10, 1. I) 1 Sm 5,2. ') Dt 81, 26. ') Nm 17, 10. 31


6. Kap i tel Die hauptsächlichsten Nachteile der Begierden für eine Seele in negativer und positiver Hinsicht, erhärtet durch Texte der Heiligen Schrift. Zum besseren und deutlicheren Verständnis des Ge: sagten wird es gut sein, die zwei hauptsächlichsten Nach. teile zu bezeichnen, welche diese Begierden in der Seele verursachen. Der eine besteht darin, daß sie die Seele des Geistes Gottes berauben; der zweite darin, daß sie die Seele, in der sie herrschen, ermüden und quälen, ver. dunkeln, beDecken und schwächen. Denn so spricht der Herr bei Jeremias: Duo enim mala fecit Populus meus: I me dereliquerunt fontem aquae vivae, et fodetunt sibi j cisternas dissipatas, quae continere non valent aquas. "Zwei ., übel hat mein Volk getan. Mich, die Quelle lebendigen Wassers, haben sie verlassen und haben sich Zisternen gegraben, durchlöcherte Zisternen, welche das Wasser nicht zu halten vermögeni)." Diese beiden übel haben in ein und demselben Akt des Gelüstens ihren Grund. Das ist auch ganz einleuchtend. Denn je mehr sich die Seele an etwas hängt, was rein geschöpftich ist. und je mehr dieses Verlangen in ihr an Raum gewinnt, desto weniger Empfänglichkeit hat sie für Gott, weil zwei Gegensätze nicht im selben Subjekt beisammen sein können. Liebe zu Gott und Liebe zum Geschöpf sind aber zwei Gegensätze; also können sie nicht beisammen sein. Oder, was soll das Geschöpf mit dem Schöpfer gemein haben? Das Sinnliche mit dem Geistigen? Das Sichtbare mit dem Unsichtbaren? Das Vergängliche mit dem Ewigen? Die himmlische, rein geistige Speise mit der irdischen, rein sinnlichen Speise? Die Entblößung Christi mit der Hingabe an ein Geschöpf? Auch im natürlichen Werdeprozeß ist es ähnlich. Es kann sich da keine neue Form bilden, bevor nicht zuerst die I) Jr2, 18. 32

frQhere, entgegengesetzte aus dem Subjekt verschwindet; denn diese ist infolge ihrer Ungleichheit mit der neuen ein Hindernis für diese. Ebenso kann in eine Seele, die dem sinnlichen, tierischen Geiste ergeben ist, nicht der rein geistige Geist einziehen. Darum spricht der Herr bei Matthäus: Non est bonum sumere panem filiorum et mittere

canibus. "Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu

I.nehmen u~d den ~ündlein hinzuwerfenl~"; und bei anderer Gelegenheit: Nohte dare sanctum cambus. "Gebet das

Heilige nicht den Hunden2)!" In diesen beiden Stellen ver-

r gleicht unser Herr Jesus Christus diejenigen, welche durch r Ertötung alles geschöpftichen Gelüstens sich zum Empfang l des Geistes Gottes in aller Reinheit bereiten, mit Kindern f Gottes; jene dagegen, welche ihr Verlangen in den Ge- schöpfen stillen wollen, mit Hunden. Denn die Kinder dürfen mit ihrem Vater am gleichen Tisch und aus der gleichen Schüssel essen, d. h. von seinem Geiste kosten; den Hunden aber gibt man nur die überreste, die vom l Tische fallen. Hieri~ ist angedeutet, daß alle Geschöpfe t nichlQ anderes sind, als Brosamen vom Tische Gottes. f Darum ist es nicht unangebracht, denjenigen mit der Be- zeichnung "Hund" zu belegen, der sich nur an den Ge. schöpfen sättigen will. Darum wird solchen das Brot der Kinder genommen, da sie sich von den Brosamen, das ist den Geschöpfen, nicht erheben wollen und nach dem Tische des unerschaffenen Geistes ihres Vaters sich sehnen. Darum leiden sie auch, und zwar mit Recht, immer Hunger wie die Hunde, weil ja die Brosamen das Gelüsten nur noch mehr reizen, statt den Hunger zu stillen. Von solchen spricht denn David: Famem patientur ut canes, et circuibunt civitatem. Si vero non fuerint saturati, et mur- murabunt. "Sie leiden Hunger wie die Hunde und durch. ~: streifen die Stadt; sie knurren, wenn si~ nicht satt sind8)."

Wer nämlich den Begierden fröhnt, der ist stets unzu-

, I) Mt 15, 26. ') Mt7,6.. 8) Ps 58, 16. 7. 33

frieden und verdrießlich wie ein Hungriger. Denn, wa sollte auch der Hunger, den all die Geschöpfe verursacher gemein haben mit der Sättigung, die der Geist Gottes bE wirkt? Darum kann auch diese geistige (ungeschöpftichE Sättigung eine Seele nicht erfüllen, wenn nicht zuvor de geschöpftiche Hunger des Verlangens aus der Seele veJ drängt ist. Es können ja, wie schon erwähnt, nicht ZWE Gegensätze in ein und demselben Subjekte beisamme sein. Und solche GegensAtze sind in unserem Fall Hunge und Sättigung. Daraus ist also ersichtlich, wieviel meh in gewisser Beziehung Gott wirkt, wenn er eine Seele vo solchen Gegensätzen reinigt und befreit, als wenn er si aus nichts erschafft. Denn diese Gegensätze, wie die BE gierden und widersprechenden Neigungen, sind ein gr~ geres Hindernis und Hemmnis als das Nichts; letztere steht ja der göttlichen Majestät durchaus nicht im WegE das Verlangen nach dem Geschöpftichen aber wohl. Damit sei es genug, was Ober den ersten hauptsäcll lichen Nachteil gesagt wurde, den die Gelüste der Seel zufügen, daß sie nämlich dem Geiste Gottes widerstrebet Dies wurde ja schon weiter oben ausführlich dargelegt. Wir wollen nunmehr von der zweiten Wirkun handeln, welche die Gelüste in der Seele auf mancherlE Art hervorbringen: sie ermüden, quälen, blenden, beflecke und schwächen die Seele. Von dieser fünffachen Wirkun, wollen wir nun im einzelnen sprechen. Was das erst betrifft, so ist klar, daß die Gelüste die Seele müde uni matt machen. Sie sind ja wie unruhige, unzufriedene Km der, die in einem fort ihrer Mutter mit Bitten in den Ohrel liegen, bald um dies, bald um das betteln und niemals sicl zufrieden geben. Und wie der Habgierige, der nach eine)] Schatze gräbt, sich abtut und abmüht, so müht sich auc] die Seele, welche erreichen will, was ihre Gelüste ihr vor gaukeln. Und hat sie das auch erreicht, sie plagt sich unI müht sich noch immer ab und hat nie genug. Letztel 34

Ed. ddhlAs'Z.t.di.höft. n es sm es urc sIge 18 ernen, m e SIe sc p ; SIe können kein Wasser halten, um den Durst zu stillen. Darum spricht Isaias: Lassus adhuc sitit, et anima ejus vacua est. "Nachdem er sich abgemüht, dürstet er, und sein Begehren ist ungestiIIV)." Auch die Seele, die voller Gelüsten ist, müht und mattet sich ab und ist wie ein IFieberkranker, der sich erst wohl fühlt, wenn ihn das F~eber verlassen ~at, ~d. dessen Durst imm~rfort zu- mmmt. Es ergeht Ihr Wle Jenem, von dem es 1m Buche Job heißt: Dum satiatus fuerit, arctabitur, aestuabit, et omnis dolor irruet super eum. "Als er sein Gelüsten gestillt hatte, ward er noch mehr bedrängt und beschwert; es wuchs in seiner Seele das heiße Verlangen und kam über ihn jegliches Leid2)." Ja, die Seele müht und quält sich ab mit ihren Begierden; sie wird von ihnen gehetzt, ge- jagt und gepeitscht wie das Wasser vom Sturmwind. Ge- nau so treiben sie die Seele hin und her und lassen sie nirgends und in nichts zur Ruhe kommen. Von solchen Seelen spricht Isaias: Impü autem quasi mare fervens, quod quiescere non potest. "Das Herz des Gottlosen ist wie eine brandende SeeI)"... Böse aber ist, wer seiner Begierden nicht Herr wird! Die Seele nun, die dieselben befriedigen will, müht und quält sich ab; denn sie macht i es wie ein Hungriger, der seinen Mund auftut, um sich mit I Wind zu sättigen, aber statt sich zu sättigen, noch mehr austrocknet, weil das keine Speise für ihn ist. Von einer solchen Seele sagt Jeremias: In desiderio animae suae attraxit ventwn amoris sm. "In der Hitze ihrer Brunst zog sie den Wind für ihre Liebe in sich')." Und um anzudeuten. in welcher Dürre eine solche Seele. sei, gibt er gleich , darauf folgenden Rat: Prohibe pedem tuwn a nuditate, et tOswald (Diskussion)um a siti. "Laß doch deinen Fuß (d. i. deine Ge- I) 18 29. 8. ,) Job 20,22. I) 18 57,20. c) Jr2,24. 35

danken) nicht nackend und deine Kehle nicht trocken w. dew)", d. h. bewahre deinen Willen vor Befriedigung d Gelüstens, welches nur noch mehr Trockenheit verursacl Und wie der Verliebte2) sich vergeblich abmüht am Ta seiner Hoffnung, wenn sein Streben vereitelt worden i so müht und quält sich die Seele mit all ihren Begierd und deren Erfüllung ab. Sie alle verursachen ja nur eil! noch größeren Hunger und größere Leere. Denn bei c Begierde ist es wie beim Feuer: es lodert auf, !jOlange IX Holz zulegt; ist dieses verzehrt, so muD es rasch erlösch Ja, mit der Begierde ist es noch schlimmer bestE Während nämlich das Feuer erlischt, sobald das Holz a geht, nimmt die Begierde durchaus nicht im gleichen GrI ab, in dem sie wuchs, als sie befriedigt wurde, auch wc ihr Ziel erreicht ist. Nein, anstatt abzunehmen, wie beim Feuer der Fall ist, sobald dessen Brennstoff , braucht ist, verzehrt sie sich förmlich in nutzlosen mühungen. Denn der Hunger ist gröber geworden, Nahrung dagegen weniger. Davon spricht Isaias: Declinl ad dextram, et esuriet; et comedet ad sinistram, et saturabitur. "Man wird sich zur Rechten wenden und d Hunger leiden; man wird zur Linken essen und doch nj satt werden')." Denn die, so ihre Begierden nicht ertö leiden mit Recht Hunger, auch wenn sie, sich dem W Gottes, d. i. zur Rechten, zuwenden, da sie nicht wert s mit der Süßigkeit des Geistes ersättigt zu werden. 1 mit Recht werden sie nicht fett, wenn sie zur LiD ihre Nahrung suchen, d. h. wenn sie ihr Gelüsten im schöpfticben stillen. Denll während sie das, was allein nügen kann, beiseite setzen, suchen sie ihre Lust in ( was nur noch mehr den Hunger weckt. Somit ist es J daß die Gelflste die Seele müde und matt machen. J) Jr 2, 25. Ij In den bisherigpn Ausgaben hipss es: el vano, der Stolse, elenamorado. 3) Is 9, 00. 36

7. Kapitel Leiden der Seele vonseiten der Begierden. -Beweise aus Gleichnissen und Stellen der Heiligen Schrift. Die zweite Gattung eines positiven Nachteils, welchen die Gelüste der Seele zufügen, besteht darin, daü sie dieselbe quälen und foltern. Da ist sie wie einer, der u'gendwo mit Stricken auf die Folter gebunden ist und keine Ruhe hat, bis er sich frei gemacht hat Von solchen sagt David: Funes peccatorum circumplexi sunt me. "Die Stricke meiner Sünden, d. i. der Gelüste, umgeben mich!)." Und geradeso, wie einer, der sich nackt auf Dornen und Stacheln legt, gequält und gepeinigt wird, so wird auch die Seele gequält und gepeinigt, wenn sie sich ihren Gelüsten hingibt Denn wie die Dornen stechen, verwunden, sich ein- hängen und schmerzen, so auch diese. So spricht denn auch David von ihnen: Circumdederunt me sicut apes: et exarserunt sicut ignis in spinis. "Sie haben mich umringt gleich stechenden Bienen"; sie verwundeten mich mit ihren Stacheln "und entbrannten wider mich wie Feuer in den Dornen')". Unter dem Druck der Begierden nämlich, wel- che den Dornen verglichen werden, greift das Feuer der Beängstigung und Qual immer mehr um sich. Und wie der Ackersmann den Ochsen am POuge schlägt und antreibt, gierig nach der ersehntenEmte verlangend, so peinigt auch das Gelüsten die Seele unter dem Joch der Begierde nach i dem, wonach sie gelüstet Dies wird uns passend ver- anschaulicht durch jenes Verlangen der Dalila, die wissen wollte, worin die groüe S1ärkeSamsons bestehe. Da erzählt uns die Heilige Schrift, sie habe ihn geplagt und gequält, bis er schwach wurde, wie zum Sterben: Defecit anima ejus, et ad mortem usque lassata est "Da ward sein Geist ermfldet und bis zum Tode mattS)." I) Ps 118, 61. t I) Ps 117, 12. ~ 8) Richt 16, 16. 37

Das Gelüsten quält die Seele um so mehr, je stärker es ist. So heftig also dM Gelüsten, ebenso groD ist die Qual. Und je mehr der Gelüste in der Seele sind, desto mehr Qualen hat sie 7.U leiden. Es geht eben an einer solchen Seele schon in diesem Leben in Erfüllung, WM in der Ge. heimen Offenbarung geschrieben steht: Quantum glori. ficavit se, et in deliciis fuit, tantum date illi tormentum et luctum. "In dem MaDe, als sie geprunkt und geschwelgt hat (und ihre Gelüste befriedigt hat), fügt ihr Qual und Trauer zu1)!" Und wie der, welcher in die Hände seiner Feinde fällt, gepeinigt wird, so erleidet auch die Seele Qual und Pein, wenn sie sich von ihren Begierden ein. nehmen läDt. Wir haben dafür ein treffendes Bild im Buche r der Richter. Da lesen wir nämlich von dem starken Sam.

! son, der ehedem mächtig und frei und Richter in Israel

" war. Als er aber in die Gewalt seiner Feinde fiel, nahmen sie ihm seine Stärke, stachen ihm die Augen aus und zwangen ihn, eine Mühle zu treten, wo sie ihn quälten und marterten, soviel sie wollten. Ähnlich ergeht es auch einer Seele, in welcher jene Feinde, nämlich die Gelüste, hausen und herrschen. Zuerst schwächen und blenden sie dieselbe, wie wir gleich hernach ausführen wollen; dann ängstigen und quälen sie sie, indem sie selbe an die Mühle il der Begierlichkeit binden. Und die Stricke, mit denen sie , Il angebunden ist, sind ihre eigenen Gelüste. Mit solchen Seelen, die mit so groDem Kraftaufwand und zu ihrem eigenen Nachteil den Hunger und Durst ihres Verlangens in den Geschöpfen stillen wollen, hat Gott Mit. leid; darum ruft er ihnen durch den Mund des Isaias zu: Omnes sitientes, venite ad aqUM, et qui non habetis ar. gentum, properate, emite et comedite: venite, emite absque argento et absque ulla commutatione, vinum et lac. Quare appenditis argentum non in panibus, et laborem vestrum -- I)Qffb 18, 7. 38

non in saturitate? Audite, audientes me:, et comedite bonum, et delectabitur in crassitudine anima vestra. "Ihr alle, die ihr dürstet (von Verlangen), kommt zum Wasser! Und ihr, deren Geld der eigene Wille ist, eilet, kaufet von mir und esset. Kommet und kaufet von mir Wein und Milch (d. i. den Frieden und geistige Wonne), und zwar ohne das Geld des Eigenwillens und ohne dafür Zins oder irgendwelche mühevolle Entschädigung zu leisten, wie ihr es tut für eure Gelüste. Warum gebet ihr euer Geld des eigenen Willens hin für etwas, was nicht Brot, d. i. Gottes Geist ist? Und warum verschwendet ihr das Mühen eurer Gelüste auf das, was euch nicht sättigen kann? Kommet doch und höret auf mich, ihr werdet euch dann laben an dem ersehnten Gute, und eure Seele wird sich ergötzen am Fette!)!" Zu diesem Fette gelangt man nur dadurch, dafa man auf alle geschöpftichen Genüsse verzichtet; denn das Geschaffene gereicht zur Qual, während der Geist Gottes Erquickung bringt. Darum ruft uns Christus bei Matthäus zu: Venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis, et ego reficiam vos, et invenietis requiem animabus vestris. "Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken; ...so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen')"; d. i.: Ihr alle, die ihr voll Qual und Not seid und beladen mit der Last eurer Sorgen und Be- gierden, leget sie ab und kommet zu mir, ich will euch erquicken, und ihr werdet für eure Seelen die Ruhe finden, welche eure Gelüste euch rauben; denn die sind eine drückende Last. Darum sagt David von ihnen: Sicut onus grave gravatae sunt super me. "Sie übersteigen wie eine schwere Last meine Kraft3)," ') Is 55, 1. 2. Die deutsche Übersetzung dieser Stelle ist eine Wiedergabe der vom Heiligen selbst in seinem Sinn gegebenen , spanischen Ubersetzung, also keine genaue Wiedergabe des lateini-

schen Textes.
Ij Mt 11, 28, 29c.

i 3) Ps 87,4b, 39


8. Kapitel Inwiefern die Gelüste die Seele blenden. -Gleichnisse und Beispiele aus der Heiligen Schrift. Ein drittes übel richten die Gelüste in der Seele an: sie blenden und verdunkeln den Verstand. Wie die Nebel- dünste die Luft verfinstern und die Strahlen der Sonne nicht durchbrechen lassen, oder wie ein Spiegel, der Flecken bekommen hat, das Bild nicht mehr genau wieder- geben kann, oder wie in einem von Schmutz getrübten Wasser das Gesicht dessen, der sich darin beschaut, un- deutlich widerspiegelt, so ist auch der Verstand einer Seele, in der die Begierden hausen, wie von dunklen Wolken überzogen. Diese aber lassen weder die Sonne des natürlichen Verstandes noch die Sonne der überna- türlichen göttlichen Weisheit sie bescheinen und erhellen. Davon spricht der königliche Prophet David mit den Worten: Comprehenderunt me iniquitates meae, et non potui, ut viderem. "Meine Missetaten haben mich erreicht; ich vermag nicht mehr aufzusehen!)." Im gleichen Grade, als der Verstand verfinstert wird, wird auch der Wille abgestumpft, das Gedächtnis geschwächt und kommt ihr pftichtmäfjiges Handeln in Unordnung. Denn da diese Fähigkeiten in ihrem Wirken vom Verstande abhängig sind, so müssen notwendig auch jene in Unordnung und Verwirrung geraten, sobald dieser nicht mehr frei ist. Des- halb spricht David: Anima mea turbata est valde. "Meine Seele ist voll des Schreckens')", als wollte er damit sagen: sie ist in ihren Fähigkeiten in Unordnung gekommen. Denn, wie schon gesagt, in diesem Zustand ist der Ver- stand nicht aufnahmefähig für das Licht der göttlichen Weisbeit, ebensowenig als dunstige Luft aufnahmefähig ist für das Sonnenlicht. Und auch der Wille ist nicht im- stande, Gott in lauterem Lieben zu umfassen, ebensowenig I) Ps 39, 13. '> Ps 6, 4. 40


als ein vom Dunst angelaufener Spiegel die vor ihm be- findliche Gestalt deutlich wiederzugeben vermag. Noch weniger vermag das Gedächtnis, das umwölkt ist von einer Dunstschicht der Begierden, sich ein klares Bild von Gott zu machen, geradeso wie auch eine trübe Wasser- fläche das Bild des Beschauers nicht deutlich wider- spiegelt. i. Ja, es blendet und verfinstert das Gelüsten die Seele. Denn das Gelüsten als solches ist blind. Aus sich selbst versteht es ja nichts, sondern der Verstand muYJ stets ihren Blindenführer machen. Daher kommt es denn auch, dd die Seele, sooft sie sich nur von ~hrem Gelüsten leiten läYJt, blind wird. Es ist geradeso, wie wenn ein Sehender sich von einem Blinden führen läYJt, und infolge- dessen nicht besser, als wenn beide blind wären. Und die Folge davon ist genau das, was unser Heiland bei Matthäus ausspricht: Caecus autem si caeco ducatum praestet, ambo in foveam cadunt. "Wenn ein Blinder einen Blinden fUhrt, fallen beide in die Grube1)." Dem Schmetterling nützen die Augen wenig, wenn ihn der herrliche Lichtglanz verlockt und ins Feuer treibt. Ebenso können wir von einem Men- schen sagen, der den Leidenschaften ergeben ist: er ist wie ein Fisch, der vom Lichte geblendet das Verderben nicht gewahrt, das ihm die Fischer bereiten. Das deutet auch David recht passend an mit den Worten: Super- cecidit ignis, et non viderunt solem. "Feuer fiel über sie meder, und sie sahen die Sonne nich!')." Denn die Begierde ist wie das Feuer, das durch seine Hitze erwärmt und durch seinen Schein blendet. So macht es auch das Ge- lüsten in der Seele: es entfacht die Begierlichkeit und blendet den Verstand, so dass er das Licht nicht mehr sieht. Der Grund davon dürfte darin zu suchen sein: Bringt man eine andere neue Lichtquelle dem Auge nahe, so bleibt das Sehvermögen an dieser haften und sieht das frühere 1) Mt 15,14. 2) Ps 57, 9. 41 . Licht nicht mehr. So auch, wenn das Gelüsten sich s ganz nahe vor die Seele und vor das Auge legt, hält si dieses Licht irrtümlich für das wahre und läBt sich vo .ihm einnehmen. Und so läDt es sie ihr eigenes Licht nic! in klarer Erkenntnis schauen. Ja, sie wird dieses so lang nicht sehen, bis das Blendwerk des Gelüstens beseitigt is Darum ist es gar sehr zu beklagen, daB manche Mel schen so töricht sind und sich mit ganz unpassenden AJ tötungen und mit allerlei sinnlosen übungen freiwillig übe laden, auf diese ihr Vertrauen setzen und meinen, durt sie allein, ohne Ertötung der Gelüste in den sonstigen Di gen, könnten sie zur Vereinigung mit der göttlichen Wei heil gelangen. Allein, wenn solche Seelen nicht mit alle Eifer bestrebt sind, ihre Gelüste zu ertöten, ist das all umsonst. Würden sie dagegen auf letzteres nur halb sov Mühe verwenden, so würden sie in einem einzigen MoI. gröBere Fortschritte machen als durch all ihre andet übungen in vielen Jahren. Denn gleichwie der Ackerbod, wenn er Frucht bringen soll, erst bearbeitet werden muB ohne Bearbeitung kann er nur Unkraut hervorbringen so muB auch die Seele, um vorwärtszukommen, erst iJ Gelüste ertöten. Ja, ich stehe nicht an zu behaupten, ( sie ohne dieses Ertöten der Gelüste im Streben nach V kommenheit und in der Erkenntnis Gottes und ihrer seI nicht weiter kommt als das Saatkorn, das man auf UD brochenes Ackerland sät. So wird denn die Finstel und Stumpfheit nicht aus der Seele weichen, bis die lüste daraus verbannt sind. Diese sind ja wie der Staar oder wie kleine Flec im Auge, die einen am Sehen hindern, bis das Auge WiE davon befreit ist. Beim Gedanken an die Verblendung cher Leute, welche durch ihre Gelüste ihre Seelen an Erfassung der unverfälschten Wahrheit hindern und durch Gott zum Ekel sein müssen, ruft David aus: PI quam intellegerent spinae vestrae rhamnum: sicut vive! 42

sic. in ira absorbet eosl). Das heiut: Ehe eure Dornen, näm- lich eure Gelüste, hart werden und aus zarten Dörnern zu einer dichten Dornhecke emporwachsen und dadurch den Ausblick auf Gott versperren, wird Gott sie in seinem Grimme vernichten, geradeso, wie ja auch gar oft den Menschen ihr Lebensfaden mitten im Leben entzweireiut. Denn die (;elüste, die in der Seele hausen und der Erkennt- nis Gottes im Wege sind, wird Gott wegräumen, sei es in diesem oder im anderen Leben durch bessernde Strafe, d. i. durch Läuterung. Es heiut ferner: "Er wird sie ver- nichten in seinem Grimme", weil die Leiden, die man bei Ertötung der Gelüste über sich ergehen lassen muss, eine Strafe sind für die Verwüstung, die jene in der Seele an- gerichtet haben. Wenn doch nur einmal die Menschen einsähen, welch köstlich Gut göttlicher Erleuchtung ihnen diese Verblendung raubt, die ihnen ihre Leidenschaften und bösen Begierden verursachen, und wieviel Unheil und Schaden dieselben täglich in ihrer Seele anrichten, weil sie dieselben nicht alle Tage aufs neue ertöten! Man möge doch ja nicht auf seinen klaren Verstand oder auf die von Gott empfangenen Gaben sein Vertrauen setzen und den- ken, es würde deshalb die Leidenschaft und Begierlichkeit weniger blenden und verfinstern und würde einen nicht in täglich gröueren Fall verstricken. Wer hätte denn je gedacht, ein Mann wie Salomo, von so vollendeter Weis- heit und so überhäuft mit Gottes Gaben, würde so ver- ~ blendet und so willensschwach werden, dau er noch in hohem Alter so vielen Götzen Altäre errichten und sie so- gar anbeten würde2)? Dazu aber hat ihn einzig seine Wei- berliebe und seine Sorglosigkeit hinsichtlich der Verleug- I) Ps 57, 10. Eine genaue Übersetzung dieser Stelle, einer wahr- scheinlich später in den Psalm eingeschobenen Glosse, zu geben, hält schwer. Landersdorfer (die Psalmen, Regen~burg 100"2) übersetzt sie folgendennassen: "Bevor eure Töpfe den Stechdorn merken, sei es roh, sei es im Glühen, möge er ihn hinwegstürmen." Andere geben ihn so: "Ehe eure Dörner zu Sträuchen aufwachsen, wird er sie, da sie noch grünen, in seinem Zorne ausreuten." t) B Kg 11, 4. 43

nung der Gelüste und Freuden seines Herzens verführt. Sagt er do(',h selber von sich im Buche Ekklesiastes: Omnia, quae disideraverunt oculi mei, non negavi eis: nec prohibui cor meum, quin omni voluptate frueretur. "Ich gönnte meinen Augen alles, wonach sie verlangten; ich ließ mein Herz alle Lust genießew).~' Soviel vermochte über ihn dieses Sich hingeben an seine Gelüste, wenn auch. nicht zu leugnen ist, daß er anfangs sehr klug war. Indes, weil er sie nicht beherrschte, blendeten und verfinsterten sie all- mählich seinen Verstand, brachten ihn schließlich so weit, daß er jenes herrlichen Lichtes der göttlichen Weisheit, die ihm zuteil geworden, verlustig ging und noch in seinen alten Tagen von Gott abfiel. Wenn sie schon bei diesem Manne solches zuwege brachten, der doch den Unterschied zwischen gut und böse so genau kannte, was werden dann die unabgetöteten Neigungen erst bei uns Unerfahrenen für Früchte zeitigen? Trifft nicht auch bei uns zu, was der Herr zum Propheten Jonas von den Einwohnern Ninives sprach, "daß sie nicht wissen, was rechts und links sei2)"? Halten wir doch auf Schritt und Tritt fÜr gut, was schlecht ist, dagegen für schlecht, was gut ist, und das noch dazu aus eigener Schlauheit. Was soll da erst (aus uns)werden, wenn zu unserer natürlichen Blindheit sich noch die Begierde gesellt? Wird dann nicht auch an uns wahr werden, was Isaias von denen sagt, die sich ihren Gelüsten ergeben: Palpavimus, sicut caeci parietem, et quasi absque oculis at- trectavimus: impegimus meridie, quasi in tenebris. "Wie Blinde tappen wir nach der Wand und suchen mit den Händen, als hätten wir keine Augen"; (ja mit unserer' Blindheit kam es so weit,) "daß wir mitten am hellen Tage anstoßen, als wäre finstere Nacht8)". So geht es nämlich jedem, der vom Gelüsten geblendet ist: ob er gleich mitten in der Wahrheit steht und erkennt, was ihm gut ist, sieht er es doch nicht, als wAre er in dichte Finsternis gehüllt. 1) Prd 2,10. I) Jon 4,11. 8) 1859,10. 44

9. Kap i tel Wie die Gelüste die Seele beflecken. -Beweis an Hand von Schriftstellen. Der vierte Nachteil, den die Gelüste der Seele berei- ten, besteht darin, daä sie dieselbe beflecken und besudeln. Deshalb heiät es im Buche Ekklesiastikus: Qui tetigerit pi- cem, inquinabitur ab ea. "Wer Pech anrührt, besudelt sicht)." Pech aber rührt einer dann an, wenn er in irgend- einem geschöpOichen Ding das Begehren seines Willens [ befriedigt. Aus dieser Stelle ist zu ersehen, daä der weise I Mann die Geschöpfe mit dem Pech vergleicht. Es ist ja ein gröäerer Unterschied zwischen der Vortrefflichkeit der Seele und allem Guten, das die Geschöpfe an sich haben, als zwischen einem glänzenden Diamant oder reinem Gold und dem Pech. Erhitzt man nämlich Gold oder Diamant und hält es über Pech, so wird es davon häälich be- schmiert, weil die Hitze das Pech schmilzt und anzieht. Ebenso nimmt die Seele, welche erhitzt ist vom Verlangen nach irgendwelchem geschöpftichen Wesen, in der rotze ihres Gelüstens das Unreine und Fehlerhafte desselben in i sich auf. Ja, es ist zwischen der Seele und den übrigen körperlichen Geschöpfen ein gröäerer Abstand als zwi- schen einer ganz geklärten Flüssigkeit und einem äooerst schmutzigen Schlamm. Wie nun eine solche Flüssigkeit verunreinigt würde, brächte man sie in Verbindung mit dem Schlamm, geradeso wird auch die Seele verunreinigt, die sich liebend dem Geschöpfe hingibt; ja, sie wird dem besagten Geschöpfe sogar ähnlich. Wie ferner Ruäftecken das schönste und vollkommenste Antlitz verunstalten wür- den, ebenso verunstalten und beschmutzen die ungeordneten Neigungen die Seele, die doch ein überaus schönes und vollkommenes Ebenbild Gottes ist. Darum beklagt Jere- mias die abscheuliche Verheerung, welche diese ungeord- 1) Sir 13, 1. 45

neten Neigungen in der Seele anrichten, indem er zuers ihre Schönheit, dann ihre HäBlichkeit erwähnt, mit dei Worten: Candidiores Nazaraei ejus nive, nitidiores lacb rubicundiores ebore antiquo, sapphiro pulchriores. Den) grata est super carbones facies eorum, et non sunt cogni' in plateis. "Ibre Haare sind weiBer als Schnee, heller aJ Milch, leuchtender als altes Elfenbein, schöner als Saphi Nun ist ihr Angesicht schwärzer als Kohle, und man kenl sie nicht mehr auf den StraBew):' Unter dem Bilde d. Haare sind hier die Neigungen und Gedanken der See gemeint. Sind diese nun auf das Ziel gerichtet, auf dI Gott sie hingeordnet hat, nämlich auf Gott selber, dar sind sie weiBer als Schnee, heller als Milch, leuchtend, als Elfenbein und schöner als Saphir. In diesen vier G genständen soll jegliche Art von Schönheit und Vortre~ lichkeit der ganzen sichtbaren Schöpfung angedeutet sei Und es wird darin behauptet, über diese alle sei die SeE mit ihren Kräften erhaben, die unter den Nazaräern od den erwähnten Haupthaaren zu verstehen sind. Sind die jedoch in Unordnung, d. h. auf das gerichtet, wozu sie G. nicht bestimmt hat, also den Geschöpfen zugewandt, dar sagt Jeremias, verfällt ihr Gesicht und wird schwärzer ~ Kohle. Dieses ganze Unheil und noch viel mehr richten. ungeordneten Neigungen, die auf die Dinge dieser W abzielen, an der Schönheit der Seele an. Wollten wir r sichtlich von der häulichen und schmutzigen Gestalt red. welche eine Seele durch die Gelüste bekommen km wahrhaftig, wir könnten uns nichts denken, mit dem, sie vergleichen möchten, wenn dieses auch noch so S4 von Spinnweben und Ungeziefer starrte; auch nicht ej häuliche Leiche, oder was es sonst Unreinliches 1) Schmutziges gibt, oder was man sich an solchem in dies J..eben denken mag, würde mit ihr einen Vergleich a halten. Denn, wenn es schon wahr ist, dass die in Uno I) KlgI 4, 7. 8. 46

nung geratene Seele ihrem natürlichen Sein nach so voll- kommen ist, wie Gott sie schuf, so ist sie doch ihrem ver- nünftigen Sein nach entstellt, abscheulich, schmutzig, ver- finstert und voll von all jenen übeln, die wir eben aufge- zählt, und noch vielen andern dazu. Wenn auch ein ein- ziges ungeordnetes Verlangen (wie wir später dartun wer- den) noch keine Todsünde 1st, so ist es doch genug, um die Seele so finster, schmutzig und häölich zu machen, daö sie auf keinen Fall irgendeine Vereinigung mit Gott ein- gehen kann, bis sie sich davon reinigt. Wie abscheulich muö dann erst eine Seele sein, welche infolge ihrer eigenen Leidenscha.ften ganz und gar in Unordnung gekommen und ihren Gelüsten preisgegeben ist! Wie weit wird sie ent- fernt sein von der Reinheit Gottes? Man kann es unmög- lich in Worte fassen noch auch mit dem Verstande be- greifen, wie mannigfach die Unreinheit ist, welche die ver- schiedenen Gelüste in einer Seele verursachen. Könnte man es ausdrücken und verständlich machen, wahrlich,man müöte staunen und doch zugleich inniges Mitleid haben, wenn man sähe, wie jede Begierde je nach dem grööeren I oder geringeren Grad ihrer Art oder Heftigkeit einen ihr t eigenen Schmutzftecken und Bodensatz von Unreinheit in t der Seele zurückläöt; wenn man sähe, wie sie in einer f einzigen Beziehung unzählige Abstufungen von grööeren oder geringeren Unreinigkeiten umfassen, und wie doch wieder jede einzig in ihrer Art ist. Wie die Seele des Ge- rechten in einer einzigen Vollkommenheit, welche in der rechten Beschaffenheit der Seele besteht, unzählige der reichsten Gnadengaben und viele der herrlichsten Tugen- den besitzt, von denen eine jede wieder verschieden ist von der anderen, eine jede in ihrer Art voll Anmut, je nach der Zahl und Verschiedenheit der gegen Gott erweckten Liebesaffekte, ebenso trägt auch die in Unordnung ge- brachte Seele je nach der Verschiedenheit ihrer Gelüste nach den Geschöpfen in bedauernswürdiger Weise gar 47

vielerlei Unreinheit und Gemeinheit in sich, wie sie e die genannten Gelüste ihr aufprägen. Diese Verschiec: artigkeit der Unreinigkeiten ist passend versinnbildet Ezechiel1). Da lesen wir, wie Gott dem Propheten im neren des Tempels alle Arten von Gewürm, das auf Erde kriecht, wie auch den ganzen Greuel unreiner T zeigte, wie sie an den Wänden ringsum abgebildet wa Darauf sprach Gott zum Propheten: "Menschensohn, n wahr, du hast gesehen die Greuel, welche diese verO! ein jeder im Dunkel seiner Kammer2)?" Dann befahl ~ dem Propheten, er solle noch weiter ins Innere vordrin so würde er noch gröQere Greuel schauen. Und er bel tet, er habe hier Weiber sitzen sehen, welche den Lie gott Adonis beweinten3). Wiederum befahl ihm Gott, ) weiter einzudringen, dann würde er noch gröüere Gr schauen. Und er erzählt, er habe hier fünfundzwanzigGJ gesehen, welche ihren Rücken gegen den Tempel kehrt Das verschiedenartige Gewürm und die unreinen T die in der ersten Tempelhalle abgebildet waren, bede die Gedanken und Vorstellungen, welche sich der Vers von den gemeinen Erdendingen und von allem Gesct lichen macht. So wie sie sind, prägen sich diese der ~ ein, wenn diese durch sie deli Verstand, als das erste mach der Seele, verwirrt. Die Weiber, welche w, drinnen im zweiten Gemache waren und den Gott Ac beweinten, bedeuten die Begierden, die im zweiten mögen der Seele, nämlich im Willen, ihren Sitz h~ Diese weinen gewissermaüen, insofern sie inniges langen tragen nach dem, worauf ihre Liebesneigung richtet ist, nämlich jenem Ungeziefer, dessen Bild bereits dem Verstande aufgeprägt hat. Die Männer, WI sich im dritten Gemache befanden, das sind die Eindr und Vorstellungen von den Geschöpfen, welche das ( Seelenvermögen, das Gedächtnis, hütet und immer I) E~ 8, 10. ') E~ 8, 12. 8) Ez 8. 14. f) Ez 8, 16. 48


neuem beschaut. Von diesen heiüt es, sie hätten dem Tempel den Rücken gekehrt. Wenn nämlich die Seele mit diesen ihren Kräften irgendein geschaffenes Wesen voll t und ganz umfängt, dann kann man sehr wohl sagen, sie habe dem Tempel Gottes den Rücken gewendet. Dieser Tempel Gottes ist nämlich der geordnete Zustand der Seele, in welchem nichts GeschöpDiches wider Gott auf- kommen soll. Zum Verständnis der häülichen Unordnung, welche die Gelüste in der Seele anrichten, mögen die bis- herigen Ausführungen genügen. Wollten wir uns nämlich eingehend mit der geringeren Häülichkeit befassen, welche die Unvollkommenheiten in der Seele bewirken und verur- sachen, sowie mit ihrer Verschiedenartigkeit; ferner, mit jener (Häülichkeit), welche die läülichen Sünden bewirken, die doch schon jene der Unvollkommenheiten übertrifft, jn all ihren verschiedenen Abstufungen; wollten wir end- lich eingehend schildern die Abscheulichkeit, welche die schwer sündhaften Begierden verursachen, welche die Seele in jeder Hinsicht verunstalten, sowie die vielen Arten derselben, wie sie der Versehiedenartigkeit und Menge ent- sprechen, die in all diesen drei Punkten denkbar ist, wahr- lich, dann kämen wir an kein Ende. Ja, selbst ein Engels- verstandwürde es nicht zu fassen vermögen. Was ich sagen will, und was auch unserem Vorhaben entspricht, ist dies: Jedwedes Gelüsten, mag es auch auf die geringste Unvoll- kommenheit gerichtet sein, beDeckt und besudelt die Seele. 10. Kap i tel Wie die Gelüste die Seele lau und matt im Tugend- streben machen. -Vergleiche und Stellen der Heiligen Schrift als Beweis. Ein weiterer Schaden, den die Seele durch die Gelüste erfährt, besteht fünftens darin, daü diese die Seele lau und matt machen, so daü sie nicht mehr die Kraft aufbringt, um die Tugend zu nben und darin zu verharren. Denn

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gerade dadurch, dafJ sich die Stärke des Verlangens teilt, wird sie schwächer, als wenn sie sich nur auf ein und denselben Gegenstand beschränkte. Und je zahlreicher die Objekte sind, auf die sie sich verteilt, desto weniger er. reicht sie in jedem einzelnen davon. Darum behaupten auch die Philosophen, die auf ein einziges Ziel gerichtete Kraft sei stärker, als wenn sie sich zer~plittert. Es ist also einleuchtend, wenn das Begehren des Willens auf etwas anderes als die Tugend gerichtet ist, dann ist es unausbleiblich, dafJ sie für die Tugend äufJerst schwach ist. So gleicht denn eine Seele, deren Wollen allerlei Kleinig- keiten zum Ziele hat, dem Wasser, das nicht in die Höhe steigen kann, weil es nach unten ausfliefJt. Infolgedessen kann man es auch zu nichts brauchen. Auch der Patriarch Jakob verglich einst seinen Sohn Ruben mit ausgegosse. nem Wasser, weil dieser in einer gewissen Silnde seinen Gelüsten freien Lauf gelassen hatte. Er sprach nämlich zu ihm: "Du bist wie ausgegossenes Wasser; du sollst nicht wachsen!)", als hätte er damit sagen wollen: Weil du deinen Gelnsten ergeben bist wie ausgegossenes Was. ser, darum wirst du in der Tugend nicht zunehmen. Wie ferner heifJes Wasser, das nicht zugedeckt ist, leicht seine Wärme verliert, oder wie wohlriechende Gewilrze, die nicht eingeschlossen sind, allmählich die Feinheit und Stärke ihres Wohlgeruches einbilfJen, so verliert auch die Seele, die nicht einzig vom Verlangen nach Gott erfilllt ist, an Wärme und Kraft in der Tugend. Das verstand auch David gar wohl. Darum sprach er zu Gott: "Ich setze meine Stärke auf dich')", d. h. die StArke meiner Neigun- gen will ich dir allein zuwenden. Es schwAchen die Ge. lilste die Kraft der Seele, weil sie sind wie Sträucher und SchöfJlinge, welche um den Baum herum wachsen und ihm den Saft entziehen, so dafJ er nicht soviel Früchte bringen I} Gn 59, 4. I) Ps 58, 10. Der heilige Johannes übersetzte den Vers: "Meine Kraft will ich für dich bewahren." 50


kann. Von solchen Seelen spricht denn Gott: Vae autem praegnantibus et nutrientibus in illis diebus. "Wehe den Schwangeren und Säugenden in jenen Tagew)!" Unter diesen Schwangeren und Säugenden verstehen wir hier die Gelüste. Werden sie nicht fortwährend zurückgedämmt. so entziehen sie der Seele immer mehr Kraft und schie~en zu ihrem Schaden empor wie die Wassertriebe am Baum. Daher gibt uns der Herr den Rat, da~ wir unsere Lenden. umgürtet haben sollen2). Die Lenden bedeuten hier die Gelüste; diese gleichen den Blutegeln, welche immerfort das Blut aus den Adern saugen. So nennt sie auch der Weise, wenn er spricht: "Blutsaugerinnen sind die Töch- ter, d. h. die Gelüste; sie schreien immerfort: Gib, gib3)." Daraus ergibt sich von selbst, da~ die Gelüste der Seele nicht zum Heile sind. Sie nehmen ihr vielmehr, was sie zu eigen hat. Ertötet man sie nicht, so ruhen sie nicht, bis sie es der Seele ebenso machen, wie die jungen Vipern ihrer Mutter. Von diesen heint es nämlich, da~ sie wach- send im Mutterleibe sich von der Mutter nähren und sie töten, während sie selbst auf Kosten der Mutter am Leben bleiben. Ähnlich die Gelüste. Ertötet man sie nicht, so bringen sie es so weit, da~ sie zuletzt die Seele für Gott. töten, und sie allein sind es, die in ihr leben, weil sie die- selben nicht gleich zu Anfang erstickt hat. Darum ruft der Weise aus: Aufer a me, Domine, ven- tris concupiscentias. "Nimm weg von mir, 0 Herr, die Ge- lüste des Bauches')!" Allein, wenn es auch nicht so weit kommt, so ist es immerhin ein Jammer, sehen zu müssen. wie die Gelüste die arme Seele, in der sie hausen, gleich- sam umklammern. Wie unglücklich ist eine solche Seele über sich selbst, wie liebeleer gegen den Nächsten, wie langsam und schwerfällig in Dingen, die sich auf Gott be- l) Mt 24, 19. !) Lk 12, 85. 3) Spr 30, 15. An der angeführten .Stelle heisst e8 wörtlich: "Der Blutsauger hat zwei Töchter' U8W. C) Sir~, 6. 51

ziehen! Keine noch so üble Gemütsverfassung kann eil Kranken so schwerfällig und unbeholfen machen z Gehen und so mit Widerwillen vor der Aufnahme 1 Nahrung erftlllen, als das Verlangen nach den Geschöp die Seele schwerfällig und traurig macht, wo es gilt, n Tugend zu streben. Der Grund also, warum es gemeiD so vielen Seelen an Lust und Eifer gebricht, die Tug zu üben, dürfte darin zu suchen sein, dafJ sie Gelüste Neigungen hegen, die nicht ganz lauter sind, noch 8 auf Gott den Herrn abzielen. "c

11. Kap i tel ., Die Seele muß von allen, auch den geringsten Gelü frei sein, wenn sie zur Vereinigung mit Gott gel.. will. Viele Fragen, so scheint mir, drängen sich hiebei Leser auf die Lippen, so z. B.: Ist es denn wirklich wendig, daß man, um zu diesem hohen Stand der kommenheit zu gelangen, zuerst alle Gelüste vol1sU ertöte, die kleinen wie die großen? Ist es nicht g4 dafJ man -nur einige davon abtöte, die anderen aber WI wuchern lasse, wenigstens jene, die anscheinend niei bedeutend sind? Es ist doch offenbar sehr hart und se! rig für die Seele, sich zu solcher Reinheit und Lossehi durchzuringen, dafJ sich zu nichts mehr von alledeJ Wollen liebend hinneigte. Darauf antworte ich fürs Es ist allerdings wahr, nicht alle Begierden sind I schädlich und nicht alle sind der Seele gleich hindI Ich meine hier natürlich die freiwilligen Begierden. die natürlichen Regungen des Begehrens hindern die wenig oder gar nicht an der Vereinigung, zumal wem ihnen nicht zustimmt, oder wenn sie nicht über die Anfänge hinausgehen. Unter natürlichem Begehre ersten Regungen meine ich jene, an welchen der V4 52

Vernunft geleitete Wille weder vorher noch nachher An- teil hat. Von diesen gänzlich zu lassen und sie durchweg zu ertöten, ist in diesem Leben unmöglich. Auch sind diese, wenn sie gleich, wie gesagt, nicht vollständig getilgt sind, kein Hindernis, daä man deshalb nicht zur Vereinigung mit Gott gelangen könnte. Denn sie können sehr woW noch in der Natur (des Menschen) vorhanden sein, während die Seele ihrem geistigen Sein nach ganz frei ist von ihnen. Ja, es kann sogar vorkommen, daä die Seele sich bisweilen i dem Willen nach in hoher Vereinigung der Ruhe befindet, I' während zu gleicher Zeit jene noch im sinn!' :hen Teil der Seele wohnen, und doch weiä der höhere Teil der Seele, der eben im Gebete ist, von ihnen nichts. Indes alle übrigen freiwilligen Begierden, seien sie nun schwer sündhafter Natur, als die schwersten von ihnen, oder seien sie läälich sündhafter Art, als die weniger schweren, oder seien sie endlich nur solche der Unvollkommenheit, als die gering- sten von allen, sie mÜssen alle verschwinden, und es muß sich die Seele von allen frei machen, wie unbedeutend sie auch sein mögen, wenn sie zu dieser vollkommenen Ver- einigung gelangen will. Der Grund ist dieser: Der Zustand dieser göttlichen Vereinigung besteht darin, daä die Seele dem Willen nach völlig im Willen Gottes aufgehe, so daä in ihr nichts mehr dem göttlichen Willen entgegen ist, sondern daä sie in allem und durch alles einzig vom Willen Gottes sich lei- ten lasse. Darum sagen wir, daä auf diese Art, in diesem Zustand aus zwei Willen einer geworden ist, nämlich der Wille Gottes; und dieser Wille Gottes ist der Wille der Seele. Wollte also die Seele etwas Unvollkommenes, was Gott nicht will, so wäre ihr Wille nicht mehr eins mit Gott, weil sie etwas begehrte. was Gott nicht will. Also ist klar, wenn die Seele in ihrem Lieben und Wollen sich mit Gott vereinigen (in Gott eingehen) will, dann muß sie sich erst losmachen von jeglichem, auch dem unbedeutend- 53

sten Begehren des Willens. Das soll heifJen. die Seeft darf bei voller Aufmerksamkeit und voller Erkenntnis ir keine Unvollkommenheit einwilligen. Sie muss es so wei bringen, dafJ sie sich Kraft und Unabhängigkeit wahrt um es tun zu können, sobald sie darauf acht hat. Ich sage bei voller Erkenntnis; denn wenn sie es nicht beachtet ode nicht erkennt, oder wenn es nicht ganz von ihrer Mach abhängt, dann mag sie wohl in Unvollkommenheiten unI läfJliche SOnden, auch in die schon genannten natOrlichel Strebungen des Begehrens geraten. Von solchen nicht gan: freiwilligen SOnden steht ja geschrieben: "Der Gerecht fällt siebenmal (des Tags), doch er steht wieder aufl).' Aber von den freiwilligen Begierden, mögen sie auch au noch so unbedeutende Dinge abzielen, genügt eine einzigE um ein Hindernis zu bilden. Wohlgemerkt, wenn ein, solche Gewohnheit nicht unterdrückt wird! Denn einzeln (Willens- )Akte, die bald dies, bald das zum Ziele habelJ haben diese Wirkung noch nicht, da sie noch keine eigent liche Gewohnheit bilden. Jedoch muss es die Seele so wei bringen, dafJ sie auch von diesen frei wird, weil sie ji einer habituellen Unvollkommenheit entspringen. Dagegel gibt es einige Gewohnheiten in freiwilligen Unvollkommen heiten, in denen man sich nie überwinden will; und dies, bilden nicht nur für die göttliche Vereinigung, sondern auc] für den Fortschritt in der Vollkommenheit ein Hinderni~ Solche habituelle (gewohnheitsmäfJige) Unvollkommen heiten sind z. B.: die Gewohnheit viel zu reden, die An hänglichkeit an etwas, die man sich nie zu überwinden be strebt, an eine Person, ein Kleid, ein Buch, ein Zimmer, aI eine gewisse Art von Speise, an gewisse Unterhaltungel und Liebhabereien für den Geschmack, am Wissen, Hörel u. dgl. Jede dieser Unvollkommenheiten, zu welcher di Seele eine dauernde Neigung zeigt, ist für sie ein gröfJere Schaden im Wachstum und Fortschritt in der Tugend, al I) Spr 24, 16. 54

wenn sie täglich in viele andere Unvollkommenheiten und läf1liche SOnden fiele,. die jedoch nicht in einer eigentlichen Gewohnheit, in irgendeinem gemeinhin schlimmen Hang ihre Wurzel haben. Sie wOrden der Seele nicht so hinder- lich sein, als die Anhänglichkeit an etwas Geschaffenes. Solange die Seele nämlich von einer solchen Anhänglich- keit eingenommen ist, und sollte es auch die allerkleinste Unvollkommenheit sein, ist es ganz ausgeschlossen, daß sie in der Vollkommenheit auch nur einen Schritt vorwärts kommt Es geht ja auf das gleiche hinaus; ob ein Vogel I an einem dOnnen oder einem dicken Faden angebunden ist Wenn der Faden auch dünn ist, der Vogel bleibt doch daran angebunden, geradesogut, als wäre es ein dicker, so- lange er ihn nicht reißt und davonfliegt Wobl, der dünne ist leichter zu zerreif1en; aber wenn auch, solange er ihn nicht entzweireißt, kann er nicht davonfliegen. Nicht an- ders ist es mit der Seele, die eine Anhänglichkeit an ein Geschöpf in sich nährt. Mag sie im übrigen auch noch so tugendhaft sein, sie wird trotzdem nicht zur Freiheit der göttlichen Vereinigung gelangen. Die ungeordnete Be- gierde und die Anhänglichkeit der Seele sind ihrem Wesen nach nicht unähnlich dem sogenannten Schiffhalter1). Es ist dies zwar ein ganz kleiner Fisch. Aber sobald es ihm einmal gelingt, sich an ein Schiff festzusaugen, hält er es so fest, daß dieses nicht mehr den Hafen erreicht, noch auch sonst weitersegeln kann. Ähnlich verhält es sich mit den Seelen. Es ist wirklich ein Jammer, wenn man so manche Seelen sieht, die wie reichbeladene Schiffe be- frachtet sind mit den Schätzen guter Werke und geist- licher übungen, mit Tugenden und Verdiensten, welche ihnen Gott verliehen hat, die aber nicht den Mut haben, endgültig mit einer Liebhaberei, einer Anhänglichkeit, einer Neigung (was alles eins und dasselbe ist), zu brechen. Dar-

') Ein Seefisch nach der Sage der Alten. Das Bild ist der Volks- sage entnommen. 55

um werden sie auch niemals vorwärtskommen noch auc in den Hafen der Vollkommenheit einlaufen. Es hätte da: aber nur eines kräftigen Anlaufs bedurft, um jenen Fad. der Anhänglichkeit zu zerrei6en bzw. jenen sich anklaJ mernden Schiffhalter des Gelüstens abzusto6en. Es ist dol gewi6 sehr zu bedauern, sehen zu müssen, wie sie D Gottes Hilfe andere viel stärkere Stricke der Neigung Sünde und Eitelkeit zerrissen haben, während sie es jel nicht Ober sich bringen, sich von einer Kleinigkeit loS3 rei6en, die ihnen Gott noch belie6, damit sie aus Lie zu ihm sich überwinden sollten. Und doch ist solches ni( stärker als ein Faden oder ein Haar. Aber es hält sie fE so dass sie nicht vorwärtskommen, um ein so großes ( zu erringen. Das Schlimmste aber ist dabei, dass sie ni~ bl06 keine Fortschritte machen, sondern vielmehr info dieser Anhänglichkeit sogar rückwärts gehen und at das wieder preisgeben, was sie sich in so langer Zeit t mit gr06er Mühe erworben hatten. Es ist ja eine bekan Sache, dass auf dem Weg des geistlichen Lebens ni vorwärtskommen durch Selbstüberwindung gleichbecJ tend ist mit rückwärtsgehen und nicht erwerben glei bedeutend mit verlieren. Dies wollte auch der liebe I land sagen mit den Worten: "Wer nicht mit mir ist, ist wider mich!)." Wer nicht dafür sorgt, ein GefU, einen kleinen Sprung hat, auszubessern, dem wird info] dessen die ganze Flüssigkeit, die darinnen ist, auslaul Darum mahnt uns auch der weise Mann im Buche EkJ siastikus: "Wer die kleinen Dinge geringachtet, der ~ nach und nach in grö6ere fallenI)." Und ebenda hewt "Aus einem einzigen Funken entsteht ein Brand8)." So gewöhnlich eine Unvollkommenheit eine andere zur Fc und diese wieder neue. Darum wird man wohl nie eine SI treffen, die sich nachlässig zeigt in der Bekämpfung ei bösen Neigung und nicht zugleich viele andere an ! I) Mt 12, 00. I) Sir 19, 1. 8) Sir 11,84. 56

hätte, welche gleichfalls in der Schwachheit und Unvoll- kommenheit jener ersteren, an ihr zutage tretenden Nei- gung ihren Grund haben. Ich habe schon viele keunen- gelernt, denen Gott die Gnade verlieh, auf eine hohe Stufe der Entsagung und Freiheit zu gelangen. Allein, weil sie eine, wenn auch nur schwache Anhänglichkeit an irgendeine Neigung unter dem Schein des Guten, an einen Umgang, an eine Freundschaft in sich aufkom- men lie6en, verloren sie den (innerlichen) Geist und die Freude an Gott und heiliger Einsamkeit. Sie bü6ten zu- gleich auch die Freude und die Beharrlichkeit in den geist- lichen übungen ein bis schlie6lich alles dahin war. Und dies alles deshalb, weil sie nicht gleich anfangs jenes sinnliche Naschen und Gelüsten zügelten und sich nicht in dem Alleinsein mit Gott bewahrten. Auf diesem Wege hei6t es stets vorwärts trachten, 11m ans Ziel zu kommen. Das geschieht, wenn man fort- während die Liebhabereien unterdrückt und sie nie auf- kommen läßt. Gibt man sie nicht vollständig auf, dann kommt man auch nicht ans Ziel. Wie nämlich ein Stück Holz nicht im Feuer verzehrt wird, wenn auch nur ein einziger dazu erforderlicher Wärmegrad fehlt, so wird auch die Seele nicht vollkommen in Gott umgestaltet, so- lange sie noch eine einzige Unvollkommenheit an sich hat, mag diese auch geringer sein als ein freiwilliges Ver- langew), wie später in der Nacht des Glaubens weiter aus- geführt wird. Die Seele hat nur ein e n Willen. Verliert I) Der mystische Lehrer will unter dieser "Unvollkommenheit, die geringer ist o.1s ein freiwilliges Verlangen", nicht die unvollkom- menen natürlichen Regungen, welche jedem vernünftigen Denken vorangehen, verstanden wissen. Auch meint er darunter nicht die läss- lichen Sl1nden und Unvollkommenheiten, in welche nach dem Zeug- nis des Heiligen Geistes oft sogar die Gerechten fallen, freilich ohne Wissen und Willen. Von beiden aber hat er im Eingang dieses Ka- pitels geRprochen (und wird es zum Schluss des folgenden nochmals wiederholen); es ist klar, sie sind kein Hindernis für die Einigung mit Gott. Nach meiner Ansicht meint er o.1so mit den angeführten Worten die Unvollkommenheiten, welche nlan mit wenn auch nicht vollkommener und ganz freiwilliger Überlegung begeht. 57

sich nun dieser in etwas (Geschöpftiches), so ist er nic mehr frei, vollkommen, lauter und allein, wie es zur U gestaltung in Gott erforderlich ist. Wir finden hiefür . passendes Beispiel im Buche der Richter. Dort heißt nämlich: Der Engel kam zu den Kindern Israels und I klärte ihnen: Weil sie jenes feindliche Volk nicht unt jocht, sondern vielmehr sich mit ihnen verbündet bitt darum habe er sie als Feinde unter ihnen gelassen, und wilrden ihnen jene ein Ansto6 zum Falle und zum Uni gang werdew). Genau so macht es Gott mit mancl Seelen. Er hat sie herausgefilhrt aus den Gefahren ( Welt, hat erschlagen die Riesen ihrer Silnden, hat unt jocht die Menge ihrer Feinde, d. i. die Gelegenheiten, sie in der Welt umgaben, und dies einzig dazu, dass sie grö6erer Freiheit in jenes Land der Verhei6ung der gi lichen Vereinigung einziehen könnten. Sie aber schliel desungeachtet ein Freundschaftsbilndnis mit dem gemei Volke der Unvollkommenheiten, statt sich Milhe zu gel dieselben zu beseitigen, und leben in Sorglosigkeit 1 Lauheit dahin. Darob erzilrnt seine Majestät und 116t in ihren Gelflsten immer tiefer fallen. Auch im Buche Josue finden wir ein Gleichnis filr ~ was wir eben sagten. Zur Zeit nämlich, da Josue 1 Lande der Verhei6ung Besitz ergreifen sollte, befahl Gott, er solle in der Stadt Jericho alles, was darin so vollständig vernichten, dass nichts mehr darin am LE bleibe, nicht Mann noch Weib, nicht Kind noch GI noch auch all die Tiere. Und von der ganzen Beute so! sie weder etwas nehmen noch auch danach verlan~ Hieraus sollen wir erkennen: Wer eingehen will in , Vereinigung mit Gott, in dessen Seele muss alles ster was darin lebt, ob es wenig oder viel, ob es klein, gr06 sei. Und die Seele darf kein Verlangen tragen] dem allen. Sie muss so gleichgilltig dagegen sein, ') Rioht2,8. I) .Tos6, 21. 58

existiere sie nicht für jenes und jenes nicht für sie. Dies I lehrt uns auch der heilige Paulus, wenn er an die Korinther ~ schreibt: "Das sage ich euch, meine Brüder: Die Zeit ist ! kurz bemessen. Daher sollen die Verheirateten leben, als i wären sie nicht verheiratet; die, welche trauern (um die Dinge dieser Welt), als trauerten sie nicht; die Fröhlichen, I als wären sie nicht fröhlich; die Erwerbenden, als besäuen

sie nichts; die mit der Welt verkehren, als hätten sie nichts

! davow)." In diesen Worten lehrt uns der Apostel, wie sehr wir unsere Seele von allen Dingen losschälen müssen, wenn wir zu Gott gelangen wollen. 1!. Kap i tel . Antwort auf die weitere Frage: Welchee Bind die Ge. lüete, die in der Seele die auf geführten Nachteile verureachen? Wir könnten diese Ausführungen über die dunkle Nacht des Sinnes noch weiter ausdehnen, da es noch vieles zu sagen gäbe über die Nachteile, welche die Gelüste in der Seele nicht blou in der angegebenen Weise, sondern in noch vielen anderen Beziehungen verursachen. Indes mag das Gesagte für unseren Zweck genug sein. Denn ich glaube hinreichend erklärt zu haben, wieso die Abtötung der Gelüste dunkle Nacht genannt wird und wie sehr es vonnöten sei, in diese Nacht einzugehen, wenn man zu Gott gelangen will. Doch bevor wir davon reden, wie man in diese Nacht eingehen soll, und damit diesen Teil be. schlieuen, erübrigt nur noch, einen Zweifel zu lösen, der dem Leser über die gemachten Ausführungen kommen könnte. Nämlich: Erstens: Ist jedes Gelüsten imstande, in der Seele die aufgeführten zwei Nachteile zu wirken und zu verursachen, den privativen, insofern es die Seele der göttlichen Gnade beraubt, und den positiven, insofern es in I) lKor7.~,Sl. 59 der Seele die fünf genannten hauptsächlichen Nachtei bewirkt? Zweitens: Genügt jedes Gelüsten, wie unbede tend und welcher Art es immer sei, um all diese fn Nachteile zusammen hervorzurufen? Oder bewirken vi, leicht die einen nur diesen Nachteil, andere wieder jew so dafl die einen z. B. die Seelen quälen, andere sie I müden, wieder andere sie verfinstern usw.? Darauf aJ worte ich Folgendes. Erstens: Den privativen Schaden, insofern die Se ihres Gottes beraubt wird, bringen nur die freiwini@ schwer sündhaften Begierden hervor; denn diese raul hienieden der Seele die Gnade, jenseits die Glorie, d. h. ( Besitz Gottes. Zweitens: Sowohl die schwer sündhaften f lOste als auch die läfllich sündhaften freiwilligenBegierd wie auch jene blofl unvollkommener Art, können, jedes sich schon, in der Seele alle jene positiven Nachteile zuglE verursachen. Wenn auch dieselben in gewisser Bezieh, privativer Natur sind, so wollen wir sie hier doch positive ansprechen, da sie der Hinwendung zum Gescl fenen entsprechen, während die privativen der Abkehr Gott entsprechen. Allein, es besteht der Unterschied, ' die schwer sündhaften Begierden gänzliche Verblend. Qual, Unreinheit und Schwäche usw. bewirken. Die deren hingegen, die läfllich sündhafter Art sind oder wissentliche Unvollkommenheit, wirken diese übel n in jenem vollkommenen und höchsten Grade, weil si4 die Seele nicht der Gnade berauben. Denn, wo die S der Gnade beraubt ist, da herrschen die Gelils~e, ' diese aufleben, wo die Seele tot ist. Doch wirken diese übel in etwa, wenn auch in schwächerem Gr je nachdem sie in der Seele Lauheit und Erschlaffung vorrufen. Und je mehr dieses Gelüsten die Gnade schw~ um so mehr wird es die Seele quälen, blenden und unreinigen. Jedoch ist folgendes wohl zu merken: " schon jedes Gelüsten alle jene übel verursacht, die 60

hier als positive bezeichnen, so gibt es doch einige, die in erster Linie und direkt nur die einen Nachteile bewirken, während andere wieder andere zur Folge haben und so fort. Wohl, ein sinnliches Verlangen verursacht alle jene übel, aber in erster Linie und im eigentlichen Sinn be- schmutzt es Leib und Seele. Auch das Gelüsten der Hab- sucht hat sie alle zur Folge, aber in erster Linie und scWechthin ruft es Betrübnis des Geistes hervor. Und das Gelüsten der Hoffart zieht gleichfalls alle diese übel nach sich, aber doch in erster Linie und in besonderer Weise ist es Verfinsterung und Verblendung. Ebenso hat auch eine Begierde der Gaumenlust alle jene Wirkungen, jedoch in hervorragender Weise hat sie Schwächung der Tugend zur Folge. Ähnlich auch die übrigen Leidenschaften. Der Grund, warum jeder Akt des freiwilligen Begehrens in der Seele all diese Wirkungen zumal hervorbringt, liegt in dem Gegensatz, den er gerade zu den Akten der Tugend bildet, welche die entgegengesetzten Wirkungen in der Seele verursachen. Geradeso wie ein Tugendakt in der Seele Wonne, Frieden und Trost, Licht, Lauterkeit und Kraft erzeugt und weckt, so hat eine ungeordnete Leidenschaft innere Qual, Unmut und Beängstigung, Verblendung und Schwächung zur Folge. Wie sämtliche Tugenden in der übung der einen Tugend sich kräftigen, so wachsen aucll alle Laster und deren Nachwehen in der Seele mit dem einen. Wohl gewahrt man in dem Augenblicke, da das Gelüsten gestillt wird, nicht schon all diese übel, weil es da die Freude daran noch nicht zuläBt; jedoch früher oder später machen sich ihre traurigen Wirkungen be- merkbar. Dies wird passend versinnbildet in jenem Buch, welches in der Geheimen Offenbarung der Engel dem heili. gen Johannes zu verschlingen gebot. Es war ihm im Munde SÜß, im Magen jedoch sehr bitter). Denn die Begierde ist, wo sie befriedigt wird, süB und scheint gut zu sein; doch I) Offb 10, 9. 61

hinterher fühlt man ihre Bitterkeit und ihre schlimme Wirkung. Dies kann besonders der sehr wohl erfahren, der sich von ihr leiten läfJt. Gleichwohl gibt es manche, wie ich recht gut weifJ; die schon so verblendet und un- empfindlich sind, dafJ sie es nicht mehr fühlen. Weil sie eben nicht die "Wege Gottes wandeln, darum gewahren sie auch nicht, was ihnen auf dem Wege zu Gott hinderlich ist Von den übrigen natürlichen unfreiwilligen Begierden, sowie von den Gedanken, welche über die ersten Regungen nicht hinausgehen, und von den anderen Versuchungen, in die man nicht einwilligt, soll hier nicht die Rede sein. Denn sie verursachen ja in der Seele keines von den angeführten übeln. Mag es immerhin demjenigen, den sie plagen, vorkommen, als be6ecke und blende ihn die leiden- schaftliche Verwirrung, die sie anrichten, so ist dem doch nicht so. Im Gegenteil, sie haben die entgegengesetzten Wirkungen zur Folge!). Je tapferer ihnen nämlich die Seele widersteht, desto mehr nimmt sie zu an Kraft, Rein- heit, Licht und Trost und vielen anderen Gütern. In diesem Sinn sprach auch unser Herr Jesus Christus zu St. Paulus: "In der Schwachheit kommt die Kraft zur Vollendung')." Die freiwilligen Gelüste hingegen haben das ganze Heer der genannten übel und noch viele andere im Gefolge. Darum muss das vorzüglichst~ Bemühen der Lehrer im geistlichen Leben dahin zielen, dafJ sie in ihren Schülern gleich anfangs jegliches Gelüsten ertöten und es soweit bringen, dafJ diese sich frei erhalten von allem, wonach sie gelOstete, um sich von all diesem Elend zu bewahren. J) In den früheren Ausgaben wurde auf dem Umweg der Erklä- rung ein Wort eingeschoben, da.s überflüssig ist. Es hiess da: "Sie haben vielmehr ge w ö h n I ich den Fortschritt zu entgegengesetzten Tugenden zur Folge." Es ist einleuchtend, da.ss die Versuchungen a.n sich keinen Fortschritt beWirken, sondern sie sind nur ein Anla.ss, da.ss die Seele durch mannhaften Kampf und durch Überwindung derselben sich neue Verdienste erwirbt und so im Angesichte Gottes schöner und reiner erscheint. (Anm. d. Hrsg.) i) 2 Kor 12, 9. 62

13. Kap i tel Wie soll die Seele in die Nacht des Sinnes eingehen? Es sind nun noch einige Weisungen zu geben, wie man es recht anstellen soll, um in diese Nacht des Sinnes

einzugehen. Vor allem ist zu beachten, daß es gewöhnlich

i zwei Wege gibt, auf denen die Seele in diese Nacht ein- geht, nämlich auf dem aktiven und dem passiven Wege. Der aktive besteht darin, daß die Seele aus eigenem dazu beitragen kann und es auch tatsäcWich tut, um in diese Nacht einzugehen. Davon soll in folgenden Weisungen die Rede sein. Der passive Weg ist der, auf dem die Seele gleichsam nichts aus eigenem beiträgt oder durch eigene Bemühung tut, sondern Gott wirkt in ihr, wobei sie sich passiv verhAlt. Davon soll im zweiten Buch die Rede sein, wenn wir von den Anfängern zu handeln haben. Da wir i dort mit Gottes Hilfe ohnehin den Anfängern viele Rat- I. schläge geben müssen, wie es eben die vielen Unvoll- l kommenheiten erfordern, die man auf diesem Wege ge- wöhnlich an sich hat, so will ich mich hier nicht weiter darauf einlassen. Außerdem ist hier dazu auch nicht der rechte Platz. Denn jetzt wollen wir einzig davon reden, warum dieser übergang Nacht genannt wird, was sie sei, und wie sie eingeteilt werde. Weil es jedoch den Anschein erwecken könnte, als sei diese Lehre zu knapp und nicht recht förderlich, wenn ich nicht auch sogleich Mittel und Weg angäbe, wie man sich in dieser Nacht der GelOsten üben müsse, habe ich es vorgezogen, hier die kurze folgende Anweisung zu geben. Ein Gleiches will ich auch am Schluß eines jeden der heiden anderen Teile oder Ursachen dieser Nacht tun, auf die ich mit Gottes Hilfe nachher eingehen will. Die nun folgenden Weisungen, wie man die Gelüste zu überwinden hat, sind zwar kurz und bOndig; doch glaube ich. sie seien nicht minder nützlich und wirksam als kurz 63

gefaßt. Wer sich also allen Ernstes darin schulen will, der wird keine anderen mehr brauchen, da er in ihnen alle hat. Erstens: Trage immerfort das Verlangen, Christus in allen Dingen nachzualunen und dein Leben dem seinen gleichförmig zu machen. Darum mußt du es betrachten, da. mit du p-s nachahmen und in allem dich so verhalten kannst, wie er sich verhalten würde. Zweitens: Damit du dies ja gut fertigbringst, mußt du auf jeden Genuß, der sich deinen Sinnen bietet, ver. zichten und von dir fern halten, wenn er nicht einzig zur Ehre und Verherrlichung Gottes gereicht. Und zwar sollst du dies tun aus Liebe zu Jesus, der in seinem Leben keine andere Freude und kein Verlangen kannte, als den Willen seines Vaters zu vollziehen. Dies nannte er seine Speise und Nahrung. Wenn sich dir z. B. ein Vergnügen bietet im Anhören von Dingen, die nicht zum Dienste Gottes bei. tragen, dann sollst du daran weder Freude haben noch SiE anhören wollen. Oder, wenn es dir Genuß bereiten würde etwas zu sehen, das nicht zu Gott führt, dann weise der: Genuß von dir, schau' solche Sachen nicht an! Mache e! genau so im Reden und bei allen anderen Gelegenheiten Ebenso übe Entsagung in bezug auf all deine Sinne, sofen du ihre Eindrücke gut abweisen kannst. Denn wofern dl dies nicht kannst. genügt es, daß du wenigstens keinl Freude daran hast, wenn diese Dinge auch an dich heran treten. Sorge desgleichen dafür, wie du deine Sinne ab tötest und unberührt bewahrest von jener Lust. Daru werden sie gleichsam im Dunkeln sein, und du wirst s in kurzer' Zeit große Fortschritte machen. Als durchgreifendes Mittel zur Abtötung und harrn( nischen Ordnung der vier natürlichen Leidenschaftel Freude, Hoffnung, Furcht und Schmerz, mögen folgen~ Leitsätze dienen. Denn wo diese Leidenschaften herum, und wohlgeordnet sind, da können obige Güter und vie; 64

andere gedeihen. Darum sind diese Leimätze auch von grofJem Wert und die Wurzel grofJer Tugenden. Trage Sorge dafür, dafJ deine Neigung stem gerichtet sei: t Nicht auf das Leichtere, sondern auf das Schwierigere, Nicht auf das Angenehmere, sondern auf das Unange- nehmere, Nicht auf das, was dir mehr Freude, sondern auf das, was dir Unfreude bringt, Nicht auf das, was dir Trost, sondern vielmehr auf das, was dir MifJtrost bereitet, Nicht auf die Ruhe, sondern auf die Mühe, Nicht auf das Mehr, sondern auf das Weniger, Nicht auf das Höhere und Wertvollere, sondern auf das Niedrige und Unscheinbare, Nicht auf das, was etwas sein will, sondern auf das, was nichts sein will. Nicht das Bessere in den Dingen suche, sondern das Schlechtere. Verlange um Christi willen einzugehen in völ- lige EntblöfJung und Freiheit und Armut von allem, was es in der Welt gibt. Diese Werke sollst du von Herzen um- fangen und dich bemühen, den Willen in ihnen aufgehen zu lassen. Denn, so du dies von Herzen gerne tust, wirst du es in kurzem dahin bringen, dafJ du darin grofJe Freude und Trost findest. Du mufJt jedoch darin Ordnung halten und klug vorgehen. Wird das Gesagte recht gehandhabt, so genügt es, um eingehen zu können in die Nacht des Sinnes. Jedoch zu allem überftufJ wollen wir noch eine andere Methode an. geben, welche uns lehrt, "die Fleischeslust, die Augenlust und die Hoffart des Lebens" zu ertöten, von denen der heilige Johannes1) sagt, dafJ diese drei in der Welt herr- schen; und aus ihnen leiten sich alle übrigen Gelüste her. Fürs erste: Trachte nach dem, was dir Verachtung 1) 1 Joh2, 16. 65

einträgt, und verlange, dass auch andere dich gering. schätzen. Dies schützt gegen die Begierlichkeit des Flei. sches. Fürs zweite: Bemühe dich, stets zu reden, was dich gering macht (in den Augen anderer), und sorge dafür, dafl auch andere es tun. Dies hilft gegen die Begierlichkeit der Augen. Fürs dritte: Gib dir Mühe, gering von dir zu denken, wenn du dich selbst gering schätzest, und wünsche, daß auch andere gering denken von dir. Dies hilft gegen diE Hoffart des Lebens. Lait mich zum Abschld dieser Weisungen und der angeführten Lebensregeln noch die Verse beifügen, welchE auf dem Bilde des Berges enthalten sind, der eingan~ dieses Buches dargestellt ist. Diese Verse enthalten diE Lehre, wie man diesen Berg besteigt, d. h. zur Höhe der Verejoigung gelangt. Zwar ist darin zunächst vom Geisti. gen und Innerlichen die Rede. Doch ist dabei auch VODl Geiste der Unvollkommenheit die Rede, in Hinsicht au! das Sinnliche und Ädere, wie man an den beiden Wegel] sehen kann, die zu beiden Seiten des Pfades der Vollkorn. menheit emporführen. Und in diesem Sinne wollen wir sie hier verstanden wissen, nämlich nach der Seite des Sinn. lichen, während die beiden Wege im zweiten Teil dieser Nacht im geistigen Sinn aufgefa6t sein wollen. Die Verse lauten also: 1. Willst du dahin gelangen, alles zu kosten, suche in nichts Genu6. 2. Willst du dahin gelangen, alles zu wissen, verlange in nichts etwas zu wissen. 3. Willst du dahin gelangen, alles zu besitzen, verlange in nichts etwas zu besitzen. 4. Willst du dahin gelangen, alles zu sein, verlange in nichts etwas zu sein. 66

. o. Willst du erlangen, was du nicht genieiest, mu& du hingehen, wo du nichts genieflest. 6. Willst du gelangen zu dem, was du nicht wemt, mu&t du hingehen, wo du nichts weiflt. 7. Willst du gelangen zu dem, was du nicht besitzest, mu&t du hingehen, wo du nichts besitzest. 8. Willst du erlangen, was du nicht bist, mu&t du bin. " gehen, wo du nichts bist. Wie man nicht alles zunichte macht 1. Sobald du dein Genügen suchest im Kleinsten, hörst du auf, dich hinzugeben ans Ganze. 2. Sofern du willst gelangen vom Ganzen zum Ganzen, muflt du dich entäuflem von allem in allem. 3. Sobald du es dahin bringst, alles zu haben, muät du es haben, ohne etwas zu verlangen. 4. Denn, so du haben willst etwas im ganzen, hast du nicht rein in Gott deinen Schatz. In solcher Entäu&erung findet der Geist seine Ruhe und Erquickung. Denn, wo er nach nichts verlangt, da fAllt ihm nichts beschwerlich nach oben und drückt ihn mchts nach unten, da er ja so im Mittelpunkt seiner Nied- J rigkeit sich befindet. Sobald er dagegen nur nach irgend- i etwas ein Verlangen trägt, wird ihm gerade dies zur Er- l mOdung und Pein. 14. Kap i tel Erklämng des zweiten Ver8es der oben angeführten Strophe: "Ich brannt' von Liebe8wehen"'. Im Vorausgehenden haben wir also den ersten Vers dieser Gesangstrophe erklärt, der von der Nacht der Sinne handelt. Wir suchten darzutun, was das für eine Nacht der Sinne sei und warum sie "Nacht" genannt werde. Auch die Art und Weise wurde gezeigt, wie man in sie eingeben 67

müsse. Nunmehr wollen wir der Reihe nach von den' derbaren Eigenschaften und Wirkungen derselben: chen. Sie bilden den Inhalt der folgenden Verse deI nannten Strophe. Ich will sie, wie ich im Vorwort I kündigt, nur kurz anführen, um die betreffenden Ver! erklären, und dann gleich zum zweiten Buche Übergi in welchem von dem anderen Teil dieser Nacht, d. i geistigen, die Rede ist Es spricht also die Seele, dafj "sie von Liebes" brannte", da sie diese dunkle Nacht des Sinnes d schritt und einging zur Vereinigung mit dem GeliE Zur überwindung aller Begierden und zur Ertötunl Gelüste an all den Dingen, zu denen gewöhnlich der in Liebe und Zuneigung entbrennt, sowie um sich ihJ erfreuen, war ein anderes, noch stärkeres Feuer besseren Liebe nötig, nämlich die zu ihrem Bräu1 Denn nur dann, wenn sie in dieser Liebe Lust und gewonnen, würde sie auch ausdauernde Kraft erl~ um mühelos aller anderen Liebesneigungen sich z\ schlagen und sie zu ertöten. Ja, selbst. diese Lieb« Bräutigam reichte nicht hin, dafj die Seele die über der sinnlichen Gelüste bezwingen konnte; nein, sie] in glühender Sehnsucht von Liebe zu ihm entbrl Könnte es doch vorkommen, ja es ist in der Tat SI die Sinnlichkeit mit solchem Sehnsuchtsdrang Vo] Gelüsten erfüllt und zu den sinnfälligen Geschöpfe] gezogen würde, dafj das Geistige im Menschen das liche und sinnliche Joch nicht abschütteln könnte, es nicht von noch heftigerem Verlangen nach den geistig ist, erfüllt wäre. Denn so könnte die Seele eingehen in diese Nacht des Sinnes, noch würde si fassen, auszuharren in der Finsternis, ledig aller und sich des Verlangens nach ihnen allen zu entäuf Es ist hier nicht der Ort dazu, noch ist es n zu sagen, welcher Art und wie mannigfach dieses ~ 68

der Liebe sei, welches die Seelen beim Betreten dieses Weges der Einigung erfüllt, oder wie eifrig und findig es die Seele macht, damit sie aus ihrer Behausung, d. i. ihrem Eigenwillen, aus- und in die Nacht der Ertötung ihrer Sinne eingehen könne, noch auch endlich zu erklären, wie leicht und SÜß und angenehm dieses Sehnen nach dem Bräutigam der Seele alle Mühen und Gefahren dieser Nacht vorzaubert Denn leichter ist es, dies zu kosten und zu betrachten, als es schildern zu wollen. Darum wollen wir im folgenden Kapitel zur Erklärung der übrigen Verse übergehen. 15. Kap i tel Erklärung der übrigen Verse der angeführten Strophe: "0 Glück, das selig macht! - Entwich ich ungesehen Und ließ mein HaUB in Ruhe stehen." Das Bild ist entlehnt dem armseligen Zustand der Ge- fangenschaft Gelingt es jemand, daraus zu entkommen, ohne daß ihn einer der GefängnisaufseherJ.) daran hindert, so hält er dies für ein glücklich Los. Ist ja doch auch die Seele infolge der Erbsünde wie eine Gefangene in diesem sterblichen Leibe, unterworfen den Leidenschaften und Gelüsten der Natur. Ist es ihr nun gelungen, von ihren Fesseln und ihrem Joch sich frei zu machen, ohne gesehen zu werden, d. h. ohne von einer derselben gehindert oder erlaßt zu werden, so dünkt ihr dies ein "glücklich Los". Behilflich war ihr dazu das Eingehen in die "dunkle Nacht", d. h. die Ent- äußerung aller Gelüste und, wie schon erwähnt, das Ertöten aller Begierden. Das ist ausgedrückt in den I) In den älteren Ausgaben hieBS es: alguno de prisioneros, einer der "Gefangenen", was doch ein offensichtlicher Irrtum ist, ganz ab- gesehen davon, dass auch die bedeutendsten Manuskripte "carceleros" haben. 69

Worten: "es war mein Haus schon in Ruhe", d. h. sinnliche T~il (des Menschen), in dem alle Begierden Wohnung haben, war bereits in Ruhe, weil diese allE zwungen und eingeschläfert waren. Solange nämliclJ Begierden infolge der Bezähmung der Sinnlichkeit I eingeschlummert sind und damit die Sinnlichkeit selbe] ihnen Ruhe hat, so daß sie sich nimmer auflehnt g den Geist, kann die Seele unmöglich zur wahren Fre und damit zum Genuö der Vereinigung mit ihrem GeliE gelangen.


Zweites Buch Die dunkle Nacht des Geistes

Vom Glauben als dem nächsten Mittel zur Vereinigung mit Gott. -Vom zweiten Teil dieser Nacht des Geistes, enthalten in der zweiten. nun folgenden Strophe. 71


Einleitung Zweite Strophe. Gehilllt in dunkle Nacht, Vermummt mußt' ich en~teigen. -0 Glück, das selig macht! - In heimlich dunklem Schweigen Lag still das Haus, das mir zu eigen. Erklärung dieser Strophe In dieser zweiten Strophe besingt die Seele das glück liche Los, das ihr ward in der Loslösung des Geistes VOI allen geistigen Unvollkommenheiten sowie von allen Ge lüsten des Eigenwillens im Geistigen. Fß war dies Glücl für sie um so g~ßer, je größere Schwierigkeiten es ih bereitet hatte, diese Wohnung des geistigen Teils (im Men schen) zur Ruhe zu bringen und einzugehen in das innerl Dunkel, nämlich in die geistige Entblößung von allen Din gen, sowohl den sinnlichen wie geistigen, einzig gestütz auf den nackten Glauben, durch den man aufsteigt zu Got1 Darum ist hier die Rede von einer Leiter, und zwar eine geheimen, weil alle Sprossen und Stufen dieser Leiter ge heimnisvoll und allem Erkennen und Verstehen verborge] sind. Und so bleibt die Seele im Dunkel, ohne jegliche natürliche Licht des Erkennens und Verstehens. Sie übel schreitet alle Schranken der Natur und der Vernunft, ur einzig auf dieser göttlichen Leiter des Glaubens empol zusteigen, die hinanführt und hinaufreicht bis in die Tiefe: der Gottheit. Darum sagt sie auch, daß sie (vermummi "verkleidet" ging, weil sie ihr natürliches Gebaren un 72

Wesen ablegte und in ein göttliches umwandelte, als sie im Glauben emporstieg. Und 80 war denn diese Verklei- dung der Grund, warum sie nicht erkannt und aufgeha1ten wurde weder vom Zeitlichen, noch vom Verstande, noch vom Teufel. Denn nichts von alledem kann dem schaden, der auf dem Weg des Glaubens wandelt. Und nicht bloß dies. Nein, die Seele wandelt so verborgen, verhüllt, ent. rückt allen Blendwerken des Teufels, dafa sie in der Tat (wie sie sich hier ausdrückt) "im Dunkeln und Verborge- nen" wandelt, nämlich für den Teufel. Denn für diesen ist das Licht des Glaubens mehr als Finsternis. Darum können wir von der Seele, die diesen Weg wandelt, sagen, sie schreite dahin, geborgen und gedeckt vor ihrem Wider- sacher, wie wir später noch deutlicher dartun werden. Deshalb sagt sie, "im schützenden Dunkel" sei sie ent- schlüpft. Denn wer" das Glück hat, dafa er in der Dunkel- heit des Glaubens wandeln kann und ihn in seiner Blind- heit zum Wegweiser wählt, der entgeht dadurch allen' natürlichen Phantasiegebilden und Vernünfteleien und wandelt so, wie schon erwähnt, ganz sicher dahin. Dem entspricht, wenn sie sagt, sie sei ausgegangen, "da ihr Haus schon in Ruhe stand". Damit ist nämlich der ver- nünftige und geistige Teil der Seele gemeint. Sobald näm- lich die Seele zur Vereinigung mit Gott gelangt, sind ihre natürlichen V ermögen,ihre sinnlichen Triebe und Wünsche im geistigen Teil in Ruhe. Darum sagt sie hier nicht, sie sei ausgegangen voll Sehnsuchtsdrang, wie in der ersten Nacht der Sinne. Denn um in die Nacht der Sinne einzu- gehen und sich von allem Sinnenfälligen loszuschälen, moote die Seele das Sehnen fühlbarer Liebe verspüren, damit sie überhaupt ausgehen konnte. Hingegen, um die geistige Wohnung vollends zur Ruhe zu bringen, bedarf es nur der Einstellung aller Vermögen und aller Gelüste und geistigen Wünsche auf den puren Glauben. Ist dies ge- schehen, dann wird die Seele eins mit dem Geliebten in 73

rückhaltloser Hingebung, in lauterer, gleichgestaltender Liebe. Es ist ferner wohl zu beachten, daß es in der ersten Strophe, wo die Rede war vom sinnlichen Teil, hieß: die Seele sei ausgegangen in "dunkler Nacht"; jetzt hingegen, wo es sich um den geistigen Teil hand~lt, heißt es: sie sei ausgegangen "in der Finsternis". Die Finsternis de!S gei- stigen Teils ist nämlich eine noch tiefere (als die des sinnlichen Teils), wie ja auch das Dunkel der Finsternis größer ist als das Dunkel der Nacht. Wie dunkel immer- hin es in der Nacht sein mag, man kann doch noch etwas ,,'ahrnehmen; in der absoluten Finsternis jedoch sieht man nichts mehr. Ähnlich ist es in der Nacht der Sinne: da bleibt doch immerhin noch einiges Licht, nämlich das Licht der Erkenntnis und der Vemunft, die nicht verfinstert wer- den. Diese geistige Nacht hingegen, die Nacht des Glau- bens, nimmt alles das, Erkenntnis und Verstand, gefangen. -Darum sagt die Seele, sie sei in dieser Nacht "im Dunkel und in Sicherheit" gewandelt, was sie in jener anderen Nacht nicht behauptete. Denn je weniger die Seele in ihrem Streben auf ihre eigene Tüchtigkeit vertraut, desto mehr wandelt sie auf sicherem Wege, weil sie mehr im Glauben wandelt. Es soll dies in diesem Buch noch aus- führlicher behandelt werden, wie überhaupt darin noch Dinge zur Sprache kommen werden, die für den wahrheits. liebenden Geist von großer Bedeutung sind. Wohl mögen sie etwas dunkel sein; doch sie sind gehalten, dar. die eine Wahrheit den Weg zum Verständnis der anderen bahnt Und so, meine ich, wird man es ganz gut verstehen. 74


I. Teil Allgemeine Erwägungen über den Glauben als ! nächstes Mittel zur Vereinigung mit Gott l i.Kapitel Beginn der Abhandlung über den zweiten Teil oder die zweite Ursache dieser' Nacht des Glaubens. Zwei Gründe, warum sie dunkler ist als die erste und dritte. Es folgt nun die Abhandlung über den zweiten Teil dieser Nacht, nämlich der Nacht des Glaubens. Dieser ist ja, wie gesagt, das wunderbare Mittel, um an das Ziel, d. i. zu Gott, zu gelangen. Und Gott ist, so behaupteten wir, naturgemäü der dritte Abschnitt oder die dritte Ursache dieser Nacht für die Seele. Darum vergleichen wir den Glauben, als das Mittel, mit der Mitternacht. Und so dürfen wir auch behaupten, daü dieser Teil für die Seele dunkler ist als der erste Abschnitt, ja in gewisser Hinsicht auch dunkler als der dritte Abschnitt. Denn der erste Teil, die Nacht der Sinne, hat Ähnlichkeit mit dem Anbruch der Nacht, wenn nämlich dem Auge alle sinnlich wahrnehm- baren Dinge entschwinden. Somit ist sie dem Lichte nicht so fern wie die Mitternacht. Auch der dritte Abschnitt, das Morgengrauen, das schon dem hellen Tageslicht ganz .nahe ist, ist nicht mehr so dunkel wie die Mitternacht; es geht ja der erhellenden und deutlich gestaltenden Klarheit des hellen Tages unmittelbar voraus und kann deshalb mit Gott in Vergleich gebracht werden. Wohl ist es wahr, 75

daß Gott für die Seele nach dem natürlichen Sprachg~ brauch eine ebenso dunkle Nacht ist wie der Glaube. Doc nach Ablauf dieser drei Abschnitte der Nacht -denn eil solche sind sie immerhin für die Seele -erleuchtet Go die Seele übernatürlicherweise mit den Strahlen sein. göttlichen Lichtes, und zwar in einer viel höheren, erhab neren und fühlbareren Art Dies ist dann der Anfang d, vollkommenen Vereinigung, die auf die dritte Nacht fol~ Und so können wir behaupten, sie sei nicht so dunkel. Sie ist indes auch dunkler als die erste Nacht Dei letztere geht den niederen Teil im Menschen, also den sin lichen, an und ist infolgedessen mehr äuüerlich. Die zwei Nacht hingegen, die Nacht des Glaubens, erfaBt den höll ren, d. i. den vernünftigen Teil im Menschen und ist i folgedessen mehr innerlich und um so dunkler. Sie bera1J ja die Seele des Lichtes der Vernunft, oder noch besser f sagt: sie macht die Seele blind1). Darum besteht ein VI gleich derselben mit der Mitternacht, dem Mittelpunkt u dunkelsten Abschnitt der Nacht, zu Recht Es ist nun im folgenden der Beweis zu erbringen, wiefern dieser zweite Abschnitt der Nacht, der Glaube, j das Geistige (im Menschen) eine Nacht ist, so, wie es at der erste Abschnitt für die Sinne ist Wir wollen auch : gleich die ihr im Wege stehenden Hindernisse bezeichI und zeigen, wie die Seele selber das Ihrige beitragen 8' um sich zum Eingehen in diese Nacht zu bereiten. DE von der passiven Zubereitung, d. h. von dem, was G ohne ihr Zutun in ihr wirkt, um sie in diese Nacht ein führen, davon werden wir an passender Stelle, näml im dritten Buche handeln. So haben wir ja auch die pas! Vorbereitung zur ersten Nacht im zweiten Buch zu handeln versprochen. 1) Im folgenden Kapitel behandelt der Heilige ausführlich Bedeutung dieses Satzes. -Vergleiche dazu auch: P. Nicolaus a~ Maria, Elucidatio Theologica pbrasium mysticarum etc. p. 2 c. 1] 76

2. Kapitel Der Glaube, eine dunkle Nacht für die Seele. Die Theologen nennen den Glauben einen sicheren, aber (dunklen) geheimnisvollen Zustand der Seele. Der Grund, warum er ein dunkler Zustand ist, liegt darin, daü er der Seele die von Gott selbst geoffenbarten Wahrheiten zum Glauben vorlegt, Wahrheiten, die Ober jedes natOr. liche Licht erhaben sind und allen menschlichen Verstand i hiounelweit überragen. Daher kommt es, daß dieses über- schwengliche Licht, das der Seele im Glauben zuteil wird, für sie dunkle Finsternis ist; denn die geringere Kraft wird von der größeren verschlungen und überwältigt. Es ist da wie mit dem Sonnenlicht. Vor diesem verschwinden alle anderen Lichter, so daß man kein Licht mehr gewahrt, sobald die Sonne scheint. Ja sie überwältigt sogar unser Sehvermögen derart, daß sie sogar das Auge blendet und es hindert, die dargebotenen Objekte zu sehen, weil eben das Licht der Sonne in keinem VerhAltnis zu unserem Sehvermögen steht, sondern es weit übertrifft. So über- ragt und überwältigt auch das Licht des Glaubens in- folge seiner übergroßen Stärke das Licht unseres Ver- standes, welch letzteres ja an und für sich nur für natürliche Erkenntnis geschaffen ist. Gleichwohl aber ist es auch für das übernatürliche aufnahmefähig, dann nämlich, wenn Gott es zu übernatürlicher Tätigkeit erheben will. Deshalb kann der Verstand aus sich selbst überhaupt nichts wissen außer auf natürlichem Wege, und zwar einzig und allein vermittels der Sinne. Darum muß er die Vorstellungen und Eindrücke von den Dingen festhalten entweder so, wie sie in sich sind, oder in Gleichnissen; auf anderem Wege kommt ihm keine Erkenntnis zu. Denn ein Grundsatz der Philosophie lautet: Ab objecto et po- tentia paritur notitia. "Die Erkenntnis wird in der Seele - gewonnen von einem gegenwärtigen Objekt und durch 77

das Erkenntnisvermögen." Erzählte man darum ein Menschen von Dingen, die er nie kennenlernen 0 deren er nie ähnliche sehen konnte, so würde er eb sowenig sich ein Bild von ihnen machen können, als W4 man ihm nichts davon gesagt hätte. Ein Beispiel: WO man jemand sagen, es gebe auf einer Insel ein Lebewe! das er niemals sah, und wOrde man ihm nicht ein n liches Lebewesen nennen, das er schon anderswo gesel ,J so bekäme er keine bessere Kenntnis und Vorstellung jenem Wesen, als er vorher hatte, wollte man ihm a noch so viel davon erzählen. An einem weiteren, I deutlicherem Beispiel wird man es noch besser verste Wollte man einem Blindgeborenen, der niemals eine F: gesehen, erklären, wie die weiDe oder gelbe Farbe sehe, so würde er gleichwohl trotz aller Erklärw nicht mehr davon verstehen als vorher, weil er eben r solche Farben, noch auch etwas Ähnliches gesehen um sich von ihnen einen Begriff bilden zu können. könnte nichts als den Namen davon behalten, wei diesen durch das Gehör aufnehmen konnte, nicht Form und Gestalt davon, da er sie nie gesehen. Ebenso verhält es sich mit dem Glauben in der S wenn sich auch der Vergleich nicht in jeder Hin durchführen läDt. Auch der Glaube berichtet uns Dingen, von denen wir nie etwas sahen noch hörten, \1 wie sie in sich sind, noch auch mit anderen vergli da es ja etwas ihnen Ähnliches nicht gibt. So habel also von diesen Dingen kein natOrliches Licht deI kenntnis, weil das, wovon uns der Glaube berichtet nem sinnlichen Erfassen angepaüt ist. Wir wissen e! weil wir es gehört haben, und wir glauben, was UD lehrt wird, und unterwerfen dieser Lehre das Licht ur natürlichen Erkenntnis, das wir dabei völlig ausscb Darum sagt auch der heilige Paulus: Ergo fldes ex a auditus autem per verbum Christi. "Somit komm 78


Glaube von der Predigt, gepredigt aber wird auf den l Befehl Christi1)", als wollte er sagen: der Glaube ist keine Wissenschaft, die uns durch irgendeinen Sinn vermittelt wird, sondern er ist nur ein Zustimmen der Seele zu dem, was sie hört Ja, der Glaube geht unendlich weit über das hinaus, was die angeführten Beispiele andeuten. Er ver- verschafft uns nicht nur volle Gewiäheit und Wissen, son- dern übertrifft und überragt, wie schon erwähnt, jegliche anderweitige Kenntnis und Wissenschaft, so daä man nur in vollkommener Beschauung zur richtigen Vorstellung über ihn gelangen kann. Andere Wissenschaften erwirbt man mit dem Lichte des Verstandes. Die Wissenschaft des Glaubens dagegen entsteht ohne das Licht der Vernunft, das man eben um des Glaubens willen ausschalten muä; denn gerade dann wird er zuschanden, wenn man das eigene Licht (der Vernunft) gebrauchen \\ill. Darum sprach Isaias: Si non credideritis, non intelligetis. "Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht zur Einsicht kom~en2)." Daraus geht deutlich hervor, daä der Glaube für die Seele eine dunkle Nacht ist und daä er ihr gerade dadurch Licht bringt Und er bringt ihr um so mehr Licht, je mehr er sie in Dunkel hüllt Denn gerade indem er das Licht ver- dunkelt, Spendet er Licht nach dem Ausspruch des Isaias: Wenn ihr nicht glaubt, d. h. wenn ihr nicht blind werdet, werdet ihr nicht zur Einsicht kommen, d. h. werdet ihr kein höheres, übernatürliches Licht der Erkenntnis er- langen. Ein passendes Sinnbild für den Glauben haben wir in jener Wolke, welche die Kinder Israels von den Ägyptiern trennte in dem Augenblicke, als diese das Rote Meer durchschreiten wollten. Von dieser heiät es in der Heiligen Schrift: Erat nubes tenebrosa et illuminans noc- terno "Es war eine dunkle Wolke, welche die Nacht er- hellteS)." Das Merkwürdige daran ist, daä diese Wolke, I) ROm 10, 17. I) 187,3 (Sept.). 8) Ex 14, ro. 79

obschon selber dunkel, doch die Nacht erhellte. Darin soll uns angedeutet werden, daa der Glaube eine dunkle, finstere Wolke für die Seele ist, -denn in der Seele ist es Nacht, weil sie durch den Glauben ihres natürlichen Lichtes beraubt und dadurch blind ist, -und trotz seiner Finsternis erleuchtet er die Seele und bringt ihrem Dunkel Licht. So muü sich auch der Lehrer der Fassungskraft des Schülers anpassen. Kann doch der Mensch, der von Finsternis umgeben ist, nur wieder durch eine andere Finsternis in entsprechender Weise erleuchtet werden nach dem Psalmwort: Dies diei eructat verbum, et nox nocti indicat scientiam. "Ein Tag raunt dem anderen die Botschaft zu, und eine Nacht bringt der anderen die Kunde1)." Mit anderen Worten soll das heiüen: Der Tag, d. i. Gott in seiner Glückseligkeit, in welcher der (ewige) Tag angebrochen ist für die seligen Engel und jene Seelen, in denen es gleichfalls schon Tag geworden, verkündet die- sen sein göttlich Wort d. h. seinen Sohn, und teilt ihn ihnen mit, auf daü sie ihn erkennen und genieüen. Die Nacht hingegen, d. i. der Glaube in der streitenden Kirche,! in der es noch Nacht ist, gibt der Kirche und folglich einer jeden Seele, in der noch die Nacht herrscht, Kunde: denn noch ist sie nicht im Genusse der beseligen. den Weisheit, sondern im Besitze des Glaubens, und ist somit ihres natürlichen Lichtes beraubt. Daraus folgt also daü der Glaube als dunkle Nacht der Seele in ihrer Finster nis Licht bringt. Und so erfüllt sich das Wort Davids in 138. Psalm: Et nox illuminatio mea in deliciis meis. "ni Nacht wird mir Leuchte sein in meiner Wonne')." Da will besagen: in den Wonnen der reinen Besehauung UD der V ereini~ng mit Gott wird die Nacht des Glaubeu meine Führerin sein. Darin ist klar angedeutet, daü di Seele in Finsternis sein muü, wenn sie erleuchtet werde will und diesen Weg soll wandeln können. 1) Ps 18, 2. ') Ps 1~ 11. 80


3. Kapitel Allgemeine Abhandlung darüber, wie die Seele ihrer- seits in Dunkelheit bleiben muß, um vom Glauben sicher zur höchsten Beschauung geführt zu werden. Ich halte es für gut, wenn ich erkläre, inwiefern der Glaube für die Seele eine dunkle Nacht ist, und wie auch die Seele dunkel oder ihres natürlicheIl Lichtes bar sein müsse, wenn sie sich vom Glauben zu diesem hohen Ziel der Vereinigung führen lassen will. Damit aber die Seele wisse, wie sie es anst~llen müsse, um sich in dieser Dunkelheit zu halten, damit sie in den Abgrund des Glau- bens eingehen kann, wird es nunmehr am Platze sein, diese Dunkelheit etwas eingehender zu erklären. Darum will ich in diesem Abschnitt nur so im allgemeinen darüber reden. Später will ich dann, so Gott will, mehr ins Ein- zelne gehen und zeigen, wie sich die Seele zu verhalten hat, damit sie auf diesem Wege nicht irregeht und ihrem Führer keine Hindernisse bereitet. Ich behaupte nun: wenn die Seele sich vom Glauben zu diesem Zustand recht führen lassen will, dann muss i sie nicht bl06 in Hinsicht auf die Geschöpfe und das Zeitliche im Dunkel bleiben, das, wie schon erwAhnt, dem sinnlichen und niederen Teil angehört, sondern sie mutJ auch blind und dunkel bleiben in ihrer Beziehung zu Gott und zum Geistigen, das hei6t also hinsichtlich des höheren und vernünftigen Teils, von dem wir jetzt handeln wollen. Will nämlich eine Seele zu dieser übernatürlichen Umge- I staltung gelangen, so mutJ sie offenbar allem, was ihrem natürlichen Wesen entspricht, d. i. allem Sinnlichen und Verstandesmä6igen gegenüber, gleichgültig werden und ihm absterben. Denn übernatürlich heißt eben das, was über das Natürliche hinausgeht, demgemää das Natürliche unter sich läßt. Da nämlich diese Umgestaltung ein nicht in den Bereich der Sinne noch irgendeiner menschlichen 81

FAhigkeit fallender Vorgang ist, mui man sich vollstAndig und freiwillig alles dessen entAuiern, was diesem Gebiete angehOren kann, sei es nun von oben oder sei es von unten. Ich meine natflrlich der Neigung oder dem Willen nach, soweit es von ihr abhängt Denn wer wollte es Gott verwehren, daß er in einer ihm ganz ergebenen, losge- schälten, sich selbst vernichtenden Seele wirke, was ihm gefällt? Doch muss sie sich gänzlich entAuiern von allem, was in ihren Fassungsbereich fallen kann. Mag sie darum noch so viele flbernatflrliche Güter ihr eigen nennen, so mui sie sich doch vorkommen. als sei sie deren ganz ent- blO6t. Und so mui sie wie ein Blinder im Dunkeln bleiben und sich auf den dunklen Glauben stützen und ihn zur Leuchte und zum Führer wählen, statt auf ihren Verstand, Geschmack, ihr Gefühl oder ihre Vorstellungskraft zu ver- trauen. Denn das alles ist Finsternis, die sie in die Irre führt und aufhält. Der Glaube dagegen ist über allem solchem Verstehen, Genieoon, Empfinden und Vorstellen. Wird aber die Seele dafür nicht blind und bleibt sie dafür nicht in vollstAndigem Dunkel, dann gelangt sie auch nicht zu dem, was über dieses erhaben ist, was sie der Glaube lehrt Ist ein Blinder nicht ganz blind, dann läßt er sich nicht gerne vom Blindenführer weisen. Sondern, weil er doch ein wenig sieht, meint er, der nächstbeste Weg sei der beste, weil er eben den besseren nicht sieht So kann er sehr wohl auch seinen Führer irreführen, der besser sieht als er selbst; denn er hat ja schlie61ich doch mehr zu sagen als der Junge, der ihn führt. So ist es auch mit der Seele. Wenn sie sich auf das verlä6t, was sie selber von Gott wei6, oder wie sie sein genie6t oder ihn emp- findet, -dies mag zwar nach ihrer Ansicht ganz tremich sein, während es in Wirklichkeit ganz unbedeutend und im Gegensatz ist zu dem, was Gott ist, -so kann sie auf diesem Wege gar leicht irregehen oder stehen bleiben, weil sie sich nicht ganz blind dem Glauben ilberlä6t, der 82

doch ihr wahrer Führer ist Dies wollte auch St. Paulus i ausdrücken mit den Worten: Credere enim oportet acce- dentem ad Deum, quia es!!), d. h. "wer zu Gott gelangen und mit ihm eins werden will, muß glauben, dai er ist." Damit wollte er gleichsam sagen: Wer sich mit Gott voll- kommen und unzertrennlich vereinigen will, darf nicht den Weg des verstandesmääigen Denkens einschlagen, noch darf er sich auf seinen Geschmack, noch auf sein Empfin- den, noch auf seine Phantasie verlassen, sondern er muä einfach an das Dasein Gottes glauben, das nicht eine Er- fahrungstatsache, noch Sache des Willens oder des Vor- stellungsvermögens oder sonst eines Sinnes ist. Man kann ja in diesem Leben Oberhaupt nicht erfassen, wie Gott ist. Mag man hienieden auch Doch so erhaben von Gott denken oder ihn erkennen und kosten. so bleibt das doch himmel- weit zurück hinter dem, was Gott wirklich ist, und von dem ungetrübten Besitze Gottes. Darum heiät es bei Isaias und Sl Paulus: Neque oculus vidit, neque auris audivit, nec in cor hominis ascendit, quae praeparavit Deus iis, qui , diligunt illum. "Kein Auge hat es gesehen, und kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gedrun- gen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben2)." Mag demnach auch die Seele darnach streben, mit ihm hie- nieden durch die Gnade vollkommen eins zu werden, mit dem sie jenseits durch die Glorie vereint sein soll, wie es nach St. Paulus kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und keines Menschen Herz erfaät hat, so ist klar, daä sie zur Erlangung einer vollkommenen Gnaden- und Liebes. vereinigung mit ihm schon hienieden volJständig unemp- findlich werden muß für aIJes, was durch das Auge ein- dringen, was sie mit dem Ohre vernehmen, was sie mit der Phantasie sich vorstellen und mit dem Herzen erfassen kann, welch letzteres hier die Seele bezeichnet. Groäe Hindernisse bereitet sich darum die Seele auf diesem Weg 1) Hbr 11, 6. I) 1 Kor 2. 9; 18 64,4. 83

zum erhabenen Ziel der Vereinigung mit Gott, wenn sich irgendwie auf ihre Erkennb1is, ihr Geftlhl, ihre Pb tasie, auf ihre Meinung, ihren Willen, ihre Eigenart 0 auf irgendein eigenes Werk oder auf etwas, das ihr eigen ist, stotzt, statt sich von all dem los und ledig machen. ~ ist ja, wie gesagt, das, wonach sie strebt, 0 all dies erhaben, und sei es auch das Höchste, was 11 wissen und kosten kann. Will sie es also dahin brin~ nichts zu wissen, so muB sie dies alles hinter sich l~ Auf diesem Weg (zur Vereinigung) ist demnach das , lassen des eigenen Weges gleichbedeutend mit dem treten des (wahren) Weges, oder besser gesagt, das Si ben zum Ziel und das Aufgeben der Eigenart ist scl das Ankommen an jenem Ziel, das seinesgleichen nicht] bei Gott. Denn die Seele, die diesen Stand erreicht, ke keine Eigenarten mehr, noch hält sie daran fest; ja kann nicht einmal mehr an solchen festhalten, nämJ keine besondere Art zu verstehen, zu verkosten, zu emp .den. Ja. sie besitzt jetzt alle Arten zugleich .wie einer, nichts hat und doch alles hat Dadurch eben, daß sie ~ entschließt, innerlich wie äußerlich aus ihren natOrlicJ Schranken herauszugehen, geht sie ein in das überna1 i liche, das keine Schranken kennt, das auch keine besond Art und Weise mehr kennt, weil es seinem Wesen ru alle Arten in sich vereint Wer darum zu diesem gelani will, muß jenes verlassen, indem er ganz und gar von s selbst ausgeht; der muß ausgehen von dem Niedrigen, mit er zu dem Ober allem Erhabenen gelangt. Indem s also die Seele Ober alles Geistige, das sie auf natürlich Wege erkennen und verstehen kann, emporsehwingt, D sie von ganzem Herzen verlangen, daß sie das erreic was man hienieden weder wissen noch mit dem Inn' erfassen kann. Wenn sie sodann auch weit von sieh alles Geistige, das sie mit den Sinnen kostet und empfin{ und was man in diesem Leben kosten und empfinden ka 84

soll sie mit ganzer Seele verlangen, daß sie erreiche, was über alles Empfinden und allen Geschmack erhaben ist. ~Um dafür leer und ledig zu bleiben, darf sie sich um keinen Preis von etwas einnehmen lassen, was sie geistig oder , mit Hilfe der Sinne in sich aufnimmt, -wir wollen dies erklären, wenn wir später eingehender davon sprechen I- werden, -sondern muß dies alles für ganz gering achten. t Denn je mehr sie das, was sie versteht, kostet und aus- klügelt, für etwas hält und je mehr sie das hochschätzt, sei dies nun geistiger Art oder nicht, desto mehr enUernt sie sich vom höchsten Gut und desto langsamer kommt sie vorwärts auf dem Wege zu ihm. Je weniger ihr da- gegen im Vergleich mit dem höchsten Gut all das, was sie besitzen kann, dünkt, mag es auch noch so vortrefflich sein, desto höher steht ihr dieses und desto höher achtet sie es und um so schneller gelangt sie infolgedessen zu ihm. So nähert sich die Seele in der Dunkelheit mit mäch- tigen Schritten der Vereinigung, und zwar tnittels des Glau- bens, der gleichfalls dunkel ist, der ihr jedoch gerade da- durch wunderbares Licht entzündet. Wahrlich, wollte die Seele sehen, sie würde im Anschauen Gottes weit schneller erblinden, als wenn einer tnit offenen Augen ins helle Son- nenlicht schauen wollte. Nur dadurch also, daß sie ihre Fähigkeiten außer Tätigkeit setzt, gelangt sie zum Schauen des Lichtes, gemä6 dem Ausspruch unseres Heilandes im Evangelium: In judicium ego in hune mundum veni: ut, qui non vident, videant, et qui vident, caeci Bant, d. h.: "Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen: die Blinden i. sollen sehend, die Sehenden blind werdent)." Dies ist im buchstäblichen Sinn auf unseren geistlichen Weg zu deu- ten und will also besagen: die Seele, die im Dunkeln bleibt und sich all ihres eigenen natürlichen Lichtes begibt, wird auf übernatürliche Weise sehen; jene hingegen, welche Oswald (Diskussion).ihr eigenes Licht, wie unbedeutend auch immer, I) Joh 9,00. \) 85

verlassen will, wird um so mehr erblinden und auf ( Wege der Vereinigung nicht vorw~ kommen. Damit wir nun mehr Klarheit in unsere Darstell bringen, scheint es mir notwendig, daß wir im folgen Kapitel klar und bündig sagen, was wir unter Vereinig der Seele mit Gott verstehen. Ist dies erst klar, so , man auch das, was ich im weiteren Verlauf sagen WE besser verstehen. Darum meine ich, ist gerade hier rechte Ort, von dieser Vereinigung zu sprechen. W gleich der Faden der gegenwärtigen Abhandlung w brochen wird, so liegt es doch nicht auuerhalb uns Themas, sondern ist gerade an dieser Stelle geeignet, den Gegenstand unserer Erörterung besser zu beleuc1 So möge man denn das folgende Kapitel als eine Eins' tung ansehen, nach welcher wir sogleich zur spezi Behandlung der drei Seelenkräfte in ihrer Beziehun den drei theologischen Tugenden übergehen werden weit dies für diese zweite geistige Nacht von Belang i ~. Kapitel Was ist die Vereinigung der Seele mit Gott? - Vergleich. Aus den bisherigen Andeutungen wird man sch etwa entnehmen können, was wir hier unter Verein der Seele mit Gott verstehen. So wird man dann au( folgenden Ausführungen über dieselbe besser erfassei will allerdings j~tzt nicht davon sprechen, wie sie I teilt wird; denn ich würde ja an kein Ende kommen, , ich hier mir vornehmen zu erklären, worin die Verein ~ hinsichtlich des Verstandes, hinsichtlich des Willen hinsichtlich des Gedächtnisses besteht, was man vorübergehender und was unter dauernder Vereir hinsichtlich der genannten Fähigkeiten versteht; e was eine ganz vorübergehende und eine beständi~ 86

emde Vereinigung in bezug auf die genannten Fähigkeiten I bedeute. Nein, sondern wir werden im Verlauf unserer I. Untersuchung bei jeder Gelegenheit darauf zu sprechen [ kommen, bald auf die eine, baJd auf die andere Art. Hier ! ist ja nicht der passende Ort auszuführen, was wir davon i zu sagen haben. Weit besser wird man es an Ort und Stelle verstehen, wo wir eingehend diesen Gegenstand be- handeln, wo wir dann ein anschauliches Beispiel mit dem gewonnenen Verständnis verbinden können. Dann wird man alles verstehen und behalten und wird sich leichter eine Vorstellung davon machen können. Hier soll nur von jener vollständigen und dauernden Vereinigung die Rede sein, soweit sie das Wesen der Seele und ihre Fähigkeiten angeht und insofern diese Einigung einen geheimnisvollen Zustand darstellt. Sofern diese Einigung aber eine Tätig- keit darstellt, wollen wir sie mit Gottes Hilfe später be- handeln; denn eine dauernde Vereinigung der Seelenfähig- keiten haben wir nicht und kann es auch in diesem Leben keine geben, sondern nur eine vorübergehende. Um nun zu verstehen, worin die zu behandelnde Ver- einigung bestehe, muß man sich vergegenwärtigen, daß Gott in jeder Seele, auch in der des größten Sünders auf der Welt, seinem Wesen nach zugegen ist und wohnt. Diese Art der Vereinigung zwischen Gott und allen Dingen, will sagen Geschöpfen, besteht immer; denn durch sie erhält er sie in ihrem Sein. Würde also für sie diese Art der Vereinigung aufhören, dann würden sie sofort in das Nichts zurücksinken und aufhören zu sein. Wenn wir jedoch von der Vereinigung der Seele mit Gott reden, dann meinen wir nicht diese wesenhafte Einigung, die immer zwischen Gott und allen Geschöpfen besteht, son- dern wir verstehen darunter jene Vereinigung und Umge- staltung der Seele in Gott durch die Liebe, die nicht immer besteht, sondern nur dann vorhanden ist, wenn die Seele zur Ähnlichkeit in der Liebe gelangt ist. Darum nennt . 87

man sie eine Vereinigung bis zur Ähnlichkeit, geradeso wie man die obengenannte eine wesenhafte Vereinigung nennt oder auch eine Vereinigung dem Sein nach. j Diese ist eine natürliche, jene eine ftbernatürliche. Letztere kommt dann zustande, wenn der Wille beider, der Wille der Seele und der Wille Gottes, in ein enverschmolzen sind, so datJ es nichts gibt, was dem einen in dem anderen widerstreben würde. Wenn sich also die Seele so vollständig dessen entäußert, was dem gött. lichen Willen entgegen und nicht mit ihm gleichförmig ist, dann ist sie durch die Liebe in Gott umgestaltet. Dar. unter ist nicht nur jede einzelne dem göttlichen Willen entgegengesetzte Handlung zu verstehen, sondern auch jede ihm widerstrebende Gewohnheit. Darum muß die Seele nicht nur die freiwilligen Akte der Unvollkommen- heit von sich fernehalten, sondern sie muß auch alle irgendwie unvollkommenen Neigungen zu ihnen vernich- ' ten. Und weil kein Geschöpf und nichts von dem, was so ein Geschöpf leistet und vermag, an das Wesen Gottes heranreicht oder ihm entspricht, so muß sich die Seele los. machen von jeglichem Geschöpf und allen seinen Werken und Fähigkeiten, d. h. von ihrem Verstehen, Kosten und Empfinden. Erst wenn sie all das, was verschieden von Gott und nicht in Einklang mit ihm zu bringen ist, abge. legt hat, vermag sie zur Ähnlichkeit mit Gott zu gelangen. Nichts mehr darf in ihr Platz haben, was nicht mit dem Willen Gottes übereinstimmt. Nur so vollzieht sich die Umgestaltung in Gott. Gott ist zwar, wie gesagt, immer in der Seele gegen- wärtig und teilt ihr durch seine Gegenwart ihr natürliches Sein mit und erhAlt es; aber desungeachtet teilt er ihr nicht immer auch das übernatürliche Sein mit. Denn letz- teres wird der Seele nur zuteil durch Gnade und Liebe. Aber nicht alle Seelen befinden sich im Stande der Gnade 1md Liebe. Und die, welche sich in diesem Stande be- 88

finden, besitzen Gnade und Liebe nicht in gleich hohem Grade; denn die einen stehen auf einer niedrigeren, andere auf einer höheren Stufe der Liebe. Darum kommt jene Seele Gott um so näher, welche auch in der Liebe weiter voran ist, d. h. deren Wollen dem Willen Gottes gleich- förmiger ist Und jene, deren Wille dem Willen Gottes ganz und gar gleichförmig und ähnlich ist, ist auch voll- kommen mit ihm vereint und übernatürlich in Gott um- gestaltet Je mehr also eine Seele, das ist die Schluafolge- rung daraus, noch im Geschöpflichen steckt und an ihrer Geschicklichkeit der Neigung nach oder in ihrem Ge- haben hängt, desto weniger tauglich (fähig) ist sie für eine solche Vereinigung. Denn eine solche Seele überläDt sich nicht ausschließlich Gott, damit er sie ins übernatürliche umgestalte. Darum braucht sich die Seele nur dieser Gegensätze und natürlichen Unähnlich- keiten zu entkleiden, wenn Gott, der sich ihrem natür- lichen Sein auf natürliche Weise mitteilt, sich ihr auch in übernatürlicher Weise durch die Gnade mitteilen soll. Dies wollte offenbar auch der heilige Johannes andeuten in den W orten~ Qui non ex sanguinibus, neque ex voluntate car- Dis, neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunfl), als wollte er damit sagen: er gab die Kraft, Kinder Gottes zu werden, d. h. in Gott umgestaltet zu werden, nur denen, die nicht geboren sind aus dem Geblüte, d. h.' aus natürlicher Beschaffenheit und Bildung, noch aus' dem Willen des Fleisches, d. h. aus der Willkür natürlieher Geschicklichkeit und Fähigkeit, noch aus dem Willen des Mannes, worin jede Art des ver'- standesmäDigen Urteilens und Verstehens inbegriffen ist Keinem von diesen gab er die Macht, in aller Vollkommen- heil Kinder Gottes zu werden, sondern nur denen, die aus Gott geboren sind, d. h. denen, die durch die Gnade wieder- geboren und zuerst allem abgestorben sind, was den alten 1) Joh 1, 13. 89

Menschen ausmacht, denen, die sich dann Ober sich selbst zum übernatürlichen erheben und dafür von Gott diese Wiedergeburt und IGndschaft empfangen, die über alles erhaben ist, was sich denken lüt. Denn so steht beim gleichen Johannes an anderer Stelle geschrieben: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et Spiritu Sancto, non potest introire in regnum Deil). Dies soll heißen: Wer nicht wiedergeboren wird im Heiligen Geiste, der kann das Reich Gottes nicht schauen, d. h. nicht zu diesem Stand der Vollkommenheit gelangen. Hienieden jedoch vollkommen wiedergeboren werden aus dem Heiligen Geiste heißt eine Seele besitzen, die Gott g-anz und gar ähnlich ist an Reinheit, die auch nicht die leiseste Spur einer UnvollkolQmenheit an sich duldet. So vollzieht sich sodann die lautere Umgestaltung durch Teil. nahme an der Vereinigung, wenn auch diese keine wesen. hafte ist. Zum besseren Verständnis des einen wie des anderen wollen wir einen Vergleich bringen: Ein Sonnenstrahl fAllt auf ein Glasfenster. Hat nun dieses Fenster einige Flecken oder blinde Stellen, so kann der Sonnenstrahl es nicht ganz durchdringen und infolgedessen es nicht so ganz in sein Licht um,wandeln, als wenn es frei wAre von diesen Flecken und völlig sauber. Ja, er wird es um so weniger mit seinem Lichte durchdringen können, je mehr solche Flecken und blinde Stellen das Fenster hat Da liegt nun aber die Schuld nicht am Sonnenstrahl, sondern am Fen- ster. WAre das Fenster klar und völlig rein, dann würde der Strahl es derart durchleuchten und gleichsam umge- stalten, daß man meinen möchte, es sei selber Strahl ge- worden und es würde von sich das Licht ausstrahlen. Gleichwohl aber bliebe es doch, was es in Wirklichkeit ist, ein Fenster, wenn es auch dem Sonnenstrahl gliche, und es würde seine vom Sonnenstrahl völlig verschiedene I) Joh s, 5, 90

Natur beibehalten. Doch, wir könnten sagen, dieses Fenster sei Sonnenstrahl oder Licht vermöge der Mitteilung des. selben. Wie bei diesem Glasfenster ist es auch mit der Seele. Immerfort strömt in sie em, oder besser gesagt, wohnt in ihr natürlicherweise jenes göttliche Licht des göttlichen Wesens. Wenn nun die Seele sich gänzlich Gott überläßt, d. h. wenn sie von sich jeden Schmutzflecken entfernt, der ihr durch das Geschöpfliche anhaftet, indem sie ihren Willen vollkommen mit dem Willen Gottes ver- einigt, -Lieben heißt ja nichts anderes, als sich um Gottes willen alles dessen entledigen, was nicht Gott ist, -dann wird sie alsbald erleuchtet und in Gott um- gestaltet. Gott teilt ihr sodann sein eigenes übernatür. liches Sein mit, so daß sie ,Gott selber zu sein scheint und ihr eigen nennt, was Gottes ist. Wenn also Gott in einer Seele diese außerordentliche Gnade wirkt, dann geht diese Vereinigung so weit, daß alles, was Gott und der Seele zu eigen ist, eins wird in dieser Mitteilung und Umgestaltung. So scheint dann die Seele mehr Gott zu sein als Seele. Wohl ist sie Gott, aber nur durch Teilnahme (an seinem Wesen); gleicbwohl aber behält sie trotz ihrer Umwand- lung in Wirklichkeit ihr natürliches vom göttlichen so ganz verschiedenes Sein wie vorher bei, wie auch das Glas, das vom Sonnenstrahl beschienen ist, seine von diesem ver. schiedene Natur beibehält. Daraus ersehen wir noch deutlicher, dafi nicht das natürliche Verstehen, Kosten, Empfinden oder Vorstellen Gottes, noch sonst irgend etwas es ist, was die Seele zu dieser Vereinigung fähig macht, sondern lediglich die lau- tere Liebe, die in der Entäußerung und dem völligen Ver- zieht auf beides um Gottes willen besteht; ebenso, daß da keine vollkommene Umgestaltung zustande kommt, wo keine vollkommene Reinheit ist; ferner, daß auch dem groüeren oder geringeren Grad der Reinheit ein höherer oder minderer Grad des I,ichtes und der Helligkeit in der 91

Seele Wld der EinigWlg mit Gott entspricht Darum wird diese, wie gesagt, nie ganz vollkommen sein, wenn nicht auch die Seele ganz rein Wld klar ist Dies lüt sich noch mehr veranschaulichen an folgen- dem Gleichnis: Denken wir uns ein Bild, das ganz voll. kommen ist, mit feinem Kunstsinn gemalt, von zartem Wld auserlesenem Farbenschmelz. Einige dieser Farben sind so hervorragend schön, dafJ man sie ob ihrer Zartheit Wld Feinheit kaum mehr Wlterscheiden kann. Wenn nWl einer vor diesem Bilde steht, der ein minder feines Wld geschärf- tes Auge dafür hat, so wird der an diesem Bild auch weni. ger Scbönheit Wld Feinheit entdecken. Ein anderer hin- gegen, der dafür ein feineres Auge hat, wird auch mehr Kunst Wld Vollendung in demselben entdecken. Und wie- der ein anderer, der ein noch schärferes Auge hat, wird noch mehr Vollkommenheiten in ihm finden. Jener end- lich, der die beste und schärfste Sehkraft hat, wird auch die meisten Schönheiten und Vollkommenheiten an dem- selben wahrnehmen. An dem Bild gibt es eben soviel zu sehen, dafJ immer noch mehr zu sehen bleibt, je mehr man auch zu sehen meint. Dasselbe Verhältnis, können wir behaupten, besteht zwischen der Seele und Gott in jenem Zustand der Erleuchtung und UmgestaltWlg. Zwar kann jede Seele je nach ihrer geringeren oder gröBeren Emp- fänglichkeit zur Vereinigung gelangen, doch erreichen darin nicht alle die gleiche Stufe, sondern eben jene, welche der liebe Gott einer jeden Seele zugedacht hat Ähnlich ist es ja auch im Himmel; die Seelen schauen hier Gott, die einen auf vollkommenere, die anderen auf minder vollkom- mene Weise. Doch alle schauen Gott, und sie alle sind zufrieden Wld gesättigt. Denn je nach ihrem gröBeren oder geringeren Verdienst ist auch ihre Fähigkeit (Gott zu schauen) gestillt So findet man auch in diesem Leben Seelen, welche die gleiche Ruhe und den gleichen inneren Frieden im Stande der Vollkommenheit genieBen, und von 92

denen eine jede vollauf gesättigt ist. Und doch kann es sein, dd die eine oder andere um viele Stufen höher steht in dieser Vereinigung, obwohl sie auch nicht in höherem Grade gesättigt ist, weil eben die Fähigkeit der einen wie der anderen (Gott zu genie~en) gestillt ist. Jene Seele je- doch, die nicht zu der ihrem Vermögen entsprechenden Reinheit gelangt, wird auch nie zu wahrem Frieden und zur vollen Befriedigung gelangen, weil sie noch nicht jene Entäu~erung und Leere in ihren Kräften errungen hat, wie sie zur lauteren Vereinigung mit Gott erforderlich sind. o. Kapitel Wie die drei Seelenkräfte durch die drei theologischen Tugenden vervollkommnet werden müssen, und wie die genannten Tugenden in denselben Leere und Verdunk- lnng bewirken. Wir wollen nunmehr davon sprechen, wie die drei Seelenkräfte, Verstand, Gedächtnis und Wille, in diese gei- stige Nacht als das Mittel zur Vereinigung mit Gott ein- geführt werden. Da halte ich es nun vorerst für ange- bracht, in diesem Kapitel zu zeigen, wie die drei theo- logischen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, eben- falls Leere und Dunkelheit schaffen, eine jede in der ihr entsprechenden Fähigkeit: der Glaube im Verstande, die ! Hoffnung im Gedächtnis, die Liebe im Willen. Denn zu , diesen drei Seelenkräften stehen die drei theologischen Tugenden als deren eigentliche übernatürliche Objekte in innigster Beziehung, und durch ihre vermittelnde Tätigkeit vereinigt sich die Seele vermöge ihrer Kräfte mit Gott. Sodann wollen wir zeigen, wie der Verstand in der Dun- kelheit des Glaubens, und wie das Gedächtnis in der Leere der Hoffnung sich vervollkommnen muss, wie endlich auch der Wille eingehen mu~ in die Los.~chälung und Freiheit von jeglicher Neigung, wenn die Seele zu Gott gelangen 93

will. Dann erst wird man klar erkennen, wie notwendig es ist für die Seele, wenn anders sie auf diesem geistlichen Wege in Sicherheit wandeln will, da~ sie in diese dunkle Nacht eingehe, einzig sich auf diese drei Tugenden stüt. zend; diese sind es ja, welche die Seele alles Geschöpf. lichen entäußern und sie dafür unempfänglich machen. Denn es findet, wie wir schon ausgeführt, hienieden nun einmal keine Einigung der Seele mit Gott statt auf dem Wege des Verstehens oder des geistigen Kostens oder der Phantasie noch irgendeiner anderen Sinnestätigkeit, son. dern einzig und allein mittels des Glaubens im Verstande, mittels der Hoffnung im Gedächtnis, mittels der Liebe im Willen. Alle drei Tugenden verursachen eine Leere in den ihnen entsprechenden Seelenkräften: der Glaube macht den Verstand leer und blind in Hinsicht auf das natürliche Er. fassen; die Hoffnung macht das Gedächtnis leer von allem, was darin ist; die Liebe entledigt und entblößt den Willen von jeglicher Neigung und vom Genu~ an allem, was nicht Gott ist. Wie wir bereits wissen, lehrt uns der Glaube, was man mit dem Verstande im natürlichen Lichte der Ver. nunft nicht begreifen kann. Deshalb bestimmt ihn der hl. Paulus folgendermaßen: Est autem fides sperandarum sub. stantia rerum, argumentum non apparentium. "Der Glaube ist ein Festhalten an Dingen, die man erhofft, ein über. zeugtsein von dem, was man nicht siehfl)." Mag auch der V erstand mit Bestimmtheit und Sicherheit diesen Dingen zustimmen, so liegen sie doch nicht klar vor dem Verstande da. Denn sobald sie dem Verstande klar sind, kann nicht mehr von Glauben die Rede sein. Der Glaube vermittelt zwar dem Verstande eine sichere, aber doch keine klare, Sondern vielmehr eine dunkle Erkenntnis. Auch die Hoffnung, darüber besteht kein Zweifel, ver. setzt das Gedächtnis in eine Leere und Dunkelheit bezflg. ') Hbr 11, 1. 94

I lich alles dessen, was hier und dort ist. Denn die Hoffnung i bezieht sich stets auf etwas, das man noch nicht sein eigen nennt; sobald man etwas einmal besitzt, ist von Hoffen keine Rede mehr. Daher das Wort des bI. Paolus: Spes autem, quae videtur, non est spes; nam quod videt quis, quid sperat? "Eine Hoffnung aber, die man erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Denn wie kann einer erhoffen, was er schon erfüllt siehV)?" So führt auch diese Tugend in der Seele eine Leere herbei, da sie das zum Gegenstand hat, was man nicht besitzt, und nicht das, was man besitzt. Ebenso macht auch die Liebe den Willen frei von allen Dingen; denn sie macht es uns zur Pflicht, Gott Über alles zu lieben. Das ist aber nicht möglich, wenn nicht das' V erlangen nach allem GescMpflichen aufgehoben ist, um es einzig auf Gott zu richten. Darum spricht unser Hei- land Jesus Christus bei Sl Lukas: Qui non renuntiat omni- bus, quae possidet, non potest meus esse discipolus. "Wer nicht allem entsagt, an dem sein Wille hängt, kann mein Jünger nicht sein')." So versetzen alle drei Tugenden die Seele in einen Zustand der Dunkelheit und des Ledigseins von allen Din- 'gen. Hier ist auch der Platz, wo wir jene Parabel des Heilands bei Sl Lukas einfügen können: wie ein Freund mitten in der Nacht zu seinem Freunde ging, drei Brote zu holen8). Die drei Brote versinnbilden diese drei Tugenden. I Wenn er sagte, dass der Freund sie mitten in der Nacht holte, wollte er uns damit zu verstehen geben, die Seele mÜsse hinsichtlich i1trer Kräfte im Dunkel sein gegenÜber allen Dingen und so diese drei Tugenden erwerben und sich in dieser dunklen Nacht in ihnen vervollkommnen. Bei lsaias lesen wir im sechsten Kapitel, wie die bei- den Seraphim, die der Prophet zu beiden Seiten Gottes schaute, je sechs Flflgel hatten. Mit zweien verhüllten sie ihre Füße: damit soll angedeutet sein, dass man der Nei- 1) RUm 8, 24. 2) Lk 14, 33. 3) Lk 11, 5. 95

gungen des Willens zu allen Dingen alwer auf Gott sich entschlagen und entäu6ern müsse. Mit zweien bedeckten sie das Gesicht: damit soll versinnbildet sein die Verdun. c kelung des Verstandes im Angesichte Gottes. Mit den i,.!' beiden anderen flogen sie: ein Sinnbild des Fluges der [:"'1" Hoffnung zu den Dingen, die man nicht besitzt, der Hoff. " nung, die sich über alles e.mporschwingt, was man hüben I1 und drüben aooer Gott besitzen kann. ii In diese drei Tugenden mÜSsen wir also die drei See.

.1. Jenkräfte überführen. Dazu müssen wir Anweisung geben, wie sich eine jede (der drei Seelenkräfte) in einer jeden (der drei Tugenden) zu betätigen hat, und wie so die Seele .sich entäooern und unempfänglich werden müsse gegen alle Dinge, die sich nicht mit diesen Tugenden in Einklang bringen lassen. Dies ist dann jene geistliche Nacht, die wir oben als aktive bezeichneten, weil die Seele ihrerseits tu~ was sie kann, um in diese Nacht einzugehen. In der Abhandlung über die Nacht der Sinne gaben wir Fingerzeige, wie man die Sinnesvermögen ihrer sinnen. fälligen Objekte dem Verlangen nach entledigen müsse, damit die Seele ihren bisherigen Kreis der Betätigung auf. gebe und eingehe in den Glauben, alg das Mittel zum Ziel. Ähn1ich wollen wir mit Gottes Hilfe in der gegenwärtigen Abhandlung über die geistliche Nacht Anweisung geben, wie die geistigen Fähigkeiten gereinigt und geläutert wer. den sollen von allem, was nicht Gott ist, und wie sie dann im Dunkel dieser drei Tugenden als dem Weg und der Zubereitung der Seele zur Vereinigung mit Gott verharren sollen. Befolgt man diese Anweisung, dann findet man darin volle Sicherheit gegen die Arglist des Teufels wie auch gegen den Trug der Eigenliebe und ihrer Auswüchse. I' Denn diese ist es vorzüglich, welche in ganz raffinierter Weise die geistlichen Seelen zu täuschen und auf ihrem Wege aufzuhalten pflegt, weil sie nicht verstehen, sich selbst zu entäu6ern und sich von jenen drei Tugenden 96

leiten zu lassen. Darum kommen sie auch nie dazu, in die wesentliche Reinheit des geistigen Gutes einzudringen, und so gehen sie auch nicht den geraden und kurzen Weg, den sie gehen könnten. Wohlgemerkt, ich wende mich jetzt besonders an jene, die bereits den Weg der Beschauung betreten haben. Denn mit den Anfängern muß man diesen Gegenstand ausführlicher behandeln. Wir werden darauf zu sprechen kOmmell, wenn wir ihre Eigenheiten behandeln. f K. I6. a p 1 te Wie schmal der Pfad sei, der zum Leben führt, und wie entblößt und los geschält jene sein müssen, die ihn ~gehen wollen. -Beginn der Ausführungen über die '. Entkleidung des Verstandes. Wenn ich nunmehr von der Entblößung und Läute. rung der drei Seelenkräfte sprechen soll, so bräuchte ich dazu allerdings ein reicheres Wissen und einen größeren Geist, als der meinige ist. Dann erst könnte ich so recht den geistlichen Seelen überzeugend dartun, wie schmal der Weg ist, der nach des Heilands Worten zum Leben führt. Dann würden sie auf Grund dieser überzeugung es nicht mehr so befremdlich finden, daß wir in dieser Nacht die Seelenkräfte so ganz entleeren und entblößen müssen. Zu diesem Zweck wollen wir denn jetzt die Worte aufmerksam betrachten, welche Christus der Herr bei Matthäus von diesem Wege sprach. Wir wollen die. selben anwenden auf unsere dunkle Nacht und den er.. i habenen Weg der Vollkommenheit. Es heißt da nämlich: Quam angusta porta et arcta via est, quae ducit ad vitam: et pauci sunt, qui inveniunt eam! "Eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und nur wenige Bnden ihni)." Bei dieser Stelle darf durchaus nicht über. .'0 1 Mt 1, 14. 97

sehen werden, welches Gewicht und welche Betonung auf das Wörtchen Quam, "wie", gelegt ist. Es soll uns wohl sagen: wahrhaftig, er ist sehr schmal, schmäler als ihr glaubt. Auch ist wohl zu beachten, daD unser Heiland zuerst sagt: die Pforte ist eng. Damit will er andeuten: will die Seele eingehen durch diese Pforte, die Christus ist, als der Anfang des Weges, dann muD sie vorerst den Willen einschränken und ihn loslösen von allen sinnenfälligen und zeitlichen Dingen und muD Gott mehr als all dies lieben. Doch diese Aufgabe fällt der Nacht der Sinne zu, wie wir bereits ausgeführt haben. Weiterhin sagt der Herr: schmal ist der Weg, nämlich der Weg der Voll. kommenheit. Damit meint er, wer den Weg der Voll. kommenheit gehen will, muD nicht bloD durch die enge Pforte den Weg der Vollkommenheit betreten, indem er sich vom Sinnenfälligen frei macht, sondern der muD sich auch einschränken hinsichtlich des Geistigen, der muD es darin bis zur völligen EntäuDerung und Enteignung bringen. So dürfen wir dann, was von der engen Pforte gesagt wurde, auf den sinnlichen Teil des Menschen deuten, und was von dem schmalen Weg gesagt wurde, auf das Geistige oder Vernünftige im Menschen anwenden. Wenn er sodann hinzufügt, daD nur wenige es seien, die ihn finden, so haben wir den Grund hiefür darin zu suchen, weil nur wenige in diese äuDerste EntblöDung und Leere des Geistes einzugehen verstehen Imd eingehen wollen. Denn dieser Weg auf den hohen Berg der Vollkommenheit, .der aufwärts führt und schmal ist, läDt sich nur von solchen Wanderern beschreiten, die keine Last tragen, welche sie abwärts ziehen würde, noch sonst etwas mit sich fflhren, das sie am Aufwärtssteigen hindern würde. Und weil hiebei nur Gott allein das Ziel ist, das man suchen und erwerben soll, so darf auch nur Gott es sein, den man sucht und erwirbt. 98

Daraus geht deutlich hervor, daä die Seele nicht nur von allem Geschöpflichen entledigt ihren Weg gehen muß, sondern auch alles Geistigen sich entäußern und förmlich zu nichts werden müsse. Weil nun der Herr uns diesen Weg weisen wollte, trug er uns bei St. Markus jene !\ w~nd~rbare Lehre vor, die un~egreifticherwei~e v~n den

geistlichen Seelen um so weniger befolgt wird, Je not-

wendiger sie ihnen wäre. Da diese Stelle so wichtig und für unseren Zweck so geeignet ist, will ich sie hier an- führen und sie in ihrem buchstäblichen wie auch im geistigen Sinn erklären. Der betreffende Ausspruch lautet also: Si quis vult me sequi, deneget semetipsum: et tollat crucem suam, et sequatur me. Qui enim voluerit animam Buam salvam facere, perdet eam: qui autem perdiderit animam suam propter me , salvani faciet eam. "Wer mein Jünger werden will, verleugn~ sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen. ..verliert, wird es rettew)." 0 könnte doch einer den Inhalt dieser erhabenen Lehre, die uns der Heiland bezüglich der V erleugnung unserer selbst gibt, so recht erklären und ausprobieren und auskosten! Dann warden die geistlichen Seelen erst sehen, welch großer Unterschied besteht zwischen der Art und Weise, die man auf diesem Wege anwenden sollte, und jener, welche viele von ihnen für die richtige halten! Meinen ja doch

manche, es reiche schon eine gewisse Zurückgezogenheit

~ und Verbesserung in einigen Stücken hin. Wieder andere geben sich damit zufrieden, daß sie sich irgendwie in den Tugenden üben, länger beten und sich abtöten. Aber zu einer Entblößung und Armut, wie sie uns hier der Heiland i nahelegt, zu einer geistigen Entäußerung und Reinheit, ' ~was doch alles dasselbe ist, gelangen diese nicht. '. ~~_~n vielmehr darauf aus, ihre Natur mit Tröstun- J) Mk 8, 34 f. 99

gen und geistigen Gefühlen zu sättigen und zu umkleiden anstatt sie um Gottes willen in allem und jedem ZI entkleiden und, zu ertöten. Sie meinen, es genüge schon wenn sie ihre Natur in den Dingen dieser Welt abtöten statt sie auch ihrer geistigen Eigenheit zu entleeren Ull( zu läutern. Daher kommt es dann, daß sie wie vor den Tode selber zurückschrecken, sobald ihnen etwas von jene! gediegenen Vollkommenheit begegnet, wie sie in der Be raubung aller Süßigkeit in Gott, in Trockenheit, Ekel un« Mühsal besteht. Dies ist das rein geistige Kreuz, ist di~ Blöae der Armut im Geiste Christi. Sie gehen statt dessel nur darauf aus, nach Süßigkeit und lieblichem, angenehmen Verkehr mit Gott zu haschen. Das ist aber keine Selbst verleugnung, keine geistige Entblöaung, sondern vielmeh geistige Nascherei: Dadurch werden sie im geistlichen Le ben zu Feinden des Kreuzes Christi. Denn der rechte Geis sucht in Gott eher das Unschmackhafte als das Angenehme er ist mehr zum Leiden als zum Troste geneigt, meh zum Verzicht auf alle Güter um Gottes willen als zu derel Besitz; ihm ist Trockenheit und Trübsal lieber als SÜDe Verkehr, da er weiD, daß hierin die Nachfolge Christi Uni die Selbstverleugnung besteht, während das andere nicht weiter ist als sich selbst in Gott suchen. Dies aber wArt der direkte Gegensatz zur Liebe. Sich selber in Got suchen heißt nur die Gaben und Ergötzungen in Got suchen. Aber Gott in ihm suchen heißt nicht bloß au beides aus Liebe zu Gott verzichten, sondern um Chrisi ,villen freudig bereit sein, von seiten Gottes und der Wel gerade das Unschmackhafteste zu wählen. Das erst is Liebe zu Gott. Ja, wer uns sagen könnte, wie weit diese Entsaguni nach dem Willen des Heilands gehen soll! Jedenfalls mul sie sein ein Absterben und Vernichten alles dessen, wa der Wille in zeitlicher, natürlicher und geistiger Beziehuni hochhält. Damit ist erst alles gewonnen. Dies wollte aue] 100

der Herr mit den Worten zum Ausdruck bringen. "Wer seine Seele retten will, wird sie verlieren!)." Das soll heinen: Wer für sich selbst etwas besitzen oder auch nur suchen will, der wird es verlieren. "Wer jedoch seine Seele um meinetwillen verliert, der wird sie bewahren", d. h. wer um Christi willen allem entsagt, was sein Wille nur immer begehren und kosten kann, lind nur das für sich behält, was mehr nach dem Kreuze schmeckt -das nämlich nennt der Herr bei St. Johannes "seine Seele hassen" -, der wird sie bewahren. Dies wollte der Herr auch jenen zwei Jüngern an- deuten, die ihn darum baten, zu seiner Rechten und Linken sitzen zu dÜrfen. Diesen stellte er auf ihre Bitte um solche Herrlichkeit nichts anderes in Aussicht, als dass er ihnen den Kelch anbot, den er selbst werde trinken müssen, als das Köstlichste und Sicherste, was es hienieden zu ge- nießen gibt'). Diesen Kelch trinken heint der Natur ab- sterben, sie ausziehen und vernichten in allem, was den sinnlichen Menschen ausmacht, wie bereits ausgeführt wurde, sowie auch in allem, was sich auf den geistigen Teil des Menschen bezieht -es soll davon in Folgendem die Rede sein -, d. h. also im Erkennen, Genießen und Empfinden. Dann erst k~ die Seele auf jenem engen Pfade wandeln. Sie soll sich jedoch nicht allein in beiden obengenannten Richtungen entäußern, nein, sie darf sich auch nicht in Hinsicht auf jenes zweite geistliche Gut auf dem schmalen Wege behindern lassen. Denn hier gibt es nur Entsagung, wie der Heiland es andeutet, und Kreuz. Dies ist der Stab, auf den man sich stützt, und durch den man sich das Vorwärtskommen gar sehr erleichtert. Darum spricht auch der Heiland bei Matthäus: "Mein Joch ist sü~, und meine Bürde ist leichta)." Diese Bürde aber ist das Kreuz. [ J) Joh 12.25. !) Mt 00, 21. 8) Mt 11, 00. 101

Sobald sich nämlich der Mensch dazu entschließt, das i Kreuz auf sich zu nehmen und zu tragen, d, h, sobald er sich allen Ernstes entschließt, in allem um Gottes willen nur Mühsal zu suchen und freudig auf sich zu nehmen, wird er auch tatsächlich in allen Dingen große Erleichterung und Süßigkeit finden und in dieser völligen Losschälung von allem, ohne noch etwas zu verlangen, seinen Weg wandeln, Sowie er hingegen selbstsüchtig an irgend etwas hängt, mag dies nun etwas Göttliches oder Irdisches sein, ist er schon nicht mehr von allem entblößt und entäußert. Darum kann er auch nicht auf diesem schmalen Pfade Fufi fassen und vorwärtskommen. Deshalb möchte ich allen geistlichen Seelen bei- bringen, daß dieser Weg zu Gott nicht in vielen Be- trachtungen oder bestimmten übungen noch in wonnigen Gefühlen besteht, sondern in dem einen Notwendigen: sie sollen lernen, sich selbst innerlich wie äußerlich allen Ernstes zu verleugnen, und um Christi willen zum Leiden bereit sein, sich in jeder Hinsicht abzusterben, Wer sich 1II nämlich hierin schult, der schafft damit zugleich all dies, ! r ja noch viel mehr, und er wird darin rein alles finden. Läßt man es dagegen an dieser übung fehlen, welche ja der Inbegriff und die Wurzel aller Tugenden ist, dann sind alle anderen TugendObungen nichts weiter alsWasser- schö6linge, die zu keinem Fortschritt verhelfen, mögen auch solche Seelen noch so erhabene Betrachtungen an- stellen und engelgleichen Verkehr mit Gott pflegen. Wahren Fortschritt findet man ja nur in der Nachfolge Christi, der da ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben; und nie- mand kommt nach seinem eigenen Wort zum Vater außer durch ihn!)", Und wiederum spricht er: "Ich bin die Türe. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet')." Demnach darf man jene Geistesverfassung für keine gute halten, welche nur den Weg der Wonne und GemAchlichkeit ,) Joh14,6. I) JohlO.9. 102

wandeln will und der Nachfolge Christi aus dem Wege geht. Ich habe gesagt, Christus sei der Weg und dieser Weg bedeute fÜr uns ein Absterben unsrer Natur im Sinnlichen wie im Geistigen. Nun möchte ich auch zeigen, wie dieses Absterben nach dem Vorbilde Christi vor sich gehen soll, da ja Christus unser Vorbild und Licht ist Zum ersten: Es ist unbestritten, daß er starb; und zwar starb er der Sinnlichkeit ab während seines Lebens in geistiger Hin- sicht. Er hatte ja, wie er selber sagt, "hienieden nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte1)". Im Tode hatte er noch weniger. Zum zweiten: Es ist unbestritten, dass er in der Stunde seines Todes in seinem Innersten völlig verlassen, ja wie vernichtet war, da ihn sein Vater ohne jeglichen Trost und ohne Hilfe und somit in äunerster Trockenheit lien. Ebendeshalb rief er ja am Kreuze aus: Deus meus. Deus meus, ut quid dereliquisti me? "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen')?" Dies war wohl die grönte Verlassenheit, die er dem sinnlichen Teile nach in seinem Leben erfahren munte. Aber gerade damals voll- brachte er auch ein gröneres Werk, als während seines ganzen Lebens mit all den Zeichen und Wundern, wie es weder auf Erden noch im Himmel vollbracht wurde, näm- lich die gnadenvone Versöhnung und Vereinigung des Menschengeschlechtes mit Gott. Und das war zu derselben Zeit und in dem Augenblick, als der Heiland in jeder Hinsicht am tiefsten erniedrigt war: nämlich in der Achtung der Menschen; denn da sie ihn am Kreuzholz sterben sahen, achteten sie seiner so wenig, dass sie ihn sogar verspotteten. Ferner hinsichtlich der Natur: sie ward ja durch den Tod völlig zunichte. Endlich auch hin- sichtlich der Hilfe und des Trostes von seiten seines himm- lischen Vaters: in jener Stunde war er ja von seinem 1) Mt 8, ~. t) Mt 27, 46. 103

Vater vollkommen verlassen, auf dafa er so in völliger Entäufaerung, gleichsam vernichtet und in Nichts aufgelöst, die Schuld tilge und den Menschen mit Gott versöhne. So spricht denn David von ihm: Ad nihilum redactus sum et nescivi. "Zunichte bin ich geworden und ohne EinsichVj." Daraus möge eine wahrhaft geistliche Seele das Geheimnis erkennen, inwiefern Christus die Türe und der Weg zur Vereinigung mit Gott ist, und so eillSehen, dafa sie sich! um so inniger mit Gott vereint und ein um so größer~ Werk vollbringt, je mehr sie sich um Gottes willen sowohl im Sinnlichen wie Geistigen selber vernichtet. Erst wenn sie in tiefster Erniedrigung förmlich zu nichts geworden ist, kommt die geistige Vereinigung der Seele mit Gott zustande, die höchste Stufe, welche die Seele hienieden erreichen kann. Diese besteht also nicht in geistigen Erquickungen und Wonnen und Empfindungen, sondern einzig in einem Kreuzestod bei lebendigem Leibe, und zwar im Sinnlichen wie Geistigen, äußerlich wie innerlich. Doch ich will mich nicht noch ausführlicher über diesen Gegenstand verbreiten, obwohl ich gern noch mehr darüber sagen möchte, da ich sehe, daß so viele, die sich für Freunde Christi halten, gleichwohl ihn so wenig kennen. Sehen wir doch, daß sie in ihrer Eigenliebe nur darauf ausgehen, in ihm ihre Freuden und Tröstungen zu suchen, statt aus Liebe zu ihm seine Bitterkeiten und seinefl. Tod. Ich habe hier jene im Auge, die sich für Christi Freunde halten; denn von den anderen, die fern von Christus leben und nichts von ihm wissen wollen, die großen ~elehrten und Mächtigen und die, welche es mit der Welt halten und nur bedacht sind auf die Wahrung ihrer Rechte und Vorzüge. wie könnten wir von denen sagen, dass sie Christus kennen. Wie gut sie auch end~n mögen, es \vird ihnen bitter genug werden. Alle diese sind bier nicbt. gemeint.. Wohl aber wird am Tage des ') Ps 72, 22. 104

Gerichtes ihrer gedacht werden. Denn ihre Sache wäre es in erster Linie gewesen, dieses Gotteswort zu ver- künden, nachdem Gott sie durch ihre Gelehrsamkeit und ihre hervorragende Stellung auf den Leuchter erhoben hat. Nein, wir wenden uns hier an den Verstand einer geistlichen Seele, vor allem jener, welche Gott in seiner Gnade in den Stand der Beschauung erhoben hat Ja, zu solchen möchte ich hier, wie gesagt, sprechen und möchte ihnen zeigen, wie sie im Glauben ihr Ziel auf Gott ein- stellen und sich von allen Hemmnissen frei machen sollen, damit sie, so ganz klein geworden, den schmalen Pfad der dunklen Beschauung betreten können. 7. Kapitel Kein Geschöpf und kein verstandesmäßiges Erkennen kann für die Seele nächstes Mittel zur übernatürlichen Vereinigung mit Gott sein. Bevor wir von dem eigentlichen und en~prechenden Mittel zur Vereinigung mit Gott, dem Glauben, reden, müssen wir noch beweisen, dass kein wirkliches und kein gedachtes Ding dem Verstand ein geeignetes Mittel ab- geben kann zur Vereinigung mit Gott, ja, dass vielmehr alles, was der Verstand in den Bereich seines Erkennens ziehen mag, ihm eher ein Hindernis denn ein Förderungs- mittel wird. falls er sich darauf stützen wollte. Im vor- liegenden Kapitel wollen wir nur im allgemeinen den Beweis dafür erbringen; danach aber wollen wir mehr i ins Einzelne gehen, indem wir all die Arten von Kenntnis durchgehen. welche der Verstand von seiten irgendeiner I.inneren oder äußeren Sinnestätigkeit aufnehmen kann, sowie auch die Hindernisse und Nachteile, welche ihm " von seiten all dieser inneren und AuDeren Kenntnisse er- wachsen können, so dass er nicht vorwä.r~kommt, weil nicht gestützt auf f}as eigentliche Mittel, den Glauben. 105

Wir dÜlien nämlich nicht übersehen, daö ein4 Grundsatz der Philosophie zufolge alle Mittel ihrl Zweck entsprechen müssen, d. h. sie müssen eine gewi! Geeignetheit und eine entsprechende übereinstimmu aufweisen, die hinreichend genug ist, damit man mit ibIJ das erstrebte Ziel erreicht. Es will z. B. jemand in eI Stadt kommen. Da bleibt ihm nichts übrig, als da& den Weg einschlägt, der zur betreffenden Stadt fülJ Oder, soll sich das Feuer mit dem Holze verbinden, da mufi erst die Hitze, als das entsprechende Mittel, dl Holze soviel Wärmegrade mitteilen, da& dieses dem Fe1 angepafit und ihm gleichförmig ist. Wollte man dal das Holz mit einern anderen Mittel, als dem geeignet nämlich der Hitze, für das Feuer zubereiten, wie etwa I Luft oder Wasser oder Erde, so wäre es unmöglich, d das Holz sich mit dem Feuer verbindet, wie auch jel nicht in die Stadt gelangen würde, der nicht den rech! Weg einschlägt. Will also der Verstand, soweit dies II nieden erreichbar ist, zur Vereinigung mit Gott gelang dann mufi er flotwendig zu jenem Mittel greifen, das i mit Gott in Verbindung bringt und die grö~te Glei4 förmigkeit mit Gott hat. Nun gibt es aber, das ist W4 ZIl bedenken, unter allen geschaffenen Wesen höhe: wie niederer Art nicht eines, das eine direkte Verbindu mit Gott herstellen könnte. oder das seinem Wesen glei4 förmig wäre. Wohl muss ich zugeben, dafi nach der LeI der Theologen alle Geschöpfe in gewisser Beziehung Gott stehen und Gottes Spur an sich tragen, die em mehr. die anderen weniger. je nach dem höheren 0< geringeren Grad ihrer Vollkommenheit. Doch es g anderseits zwischen Gott und den Geschöpfen kein V, hältnis und keine Wesensähnlichkeit. Denn der Absta zwischen dem göttlichen Wesen und dem der Geschö] ist unendlich. Darum ist es auch unmöglich. daß ( Verstand durch Vermittlung der Geschöpfe. mögen diE 106

nun himmlische oder irdische sein, vollkommen in Gott eindringen kann, da hier kein Verhältnis der Ähnlichkeit besteht. Darum spricht David von den himmlischen Wesen: "Niemand gleicht dir, 0 Herr, unter den Götterni)"; er meint unter diesen "Göttern" die Engel und die heiligen Seelen. Und an anderer Stelle sagt er wiederum: Deus, in sancto via tua: quis Deus magnus, sicut Deus noster? ,,0 Gott, in Heiligkeit ist dein Weg. Wo ist ein Gott, so groß wie unser Gott')?" Er wollte damit sagen: Der Weg, auf dem man zu dir, 0 Gott gelangt, ist ein heiliger Weg, nämlich reiner Glaube. Wo ist ein Gott, so groß wie du? D. h. welcher Engel, wie erhaben er auch seinem Sein nach ist, und welcher Heilige, wenn auch noch so erhaben in seiner Glorie, wäre ein geeigneter und ausreichender Weg zu dir? Wo dann derselbe Prophet auf die irdischen und himmlischen Dinge zugleich sich bezieht, spricht er: "Erhaben ist der Herr, er schaut auf das Niedere herab, und das Hohe erkennt er von ferneS)", als wollte er damit sagen: eben weil der Herr so erhaben ist in seinem Wesen, sieht er, dafi das Wesen dieser Erdendinge im Vergleich mit seinem Wesen ganz unbedeutend ist; aber auch das Erhabene schaut er, d. i. die Himmelsbewohner, und er- kennt, daß sie seinem Wesen sehr ferne sind. Mithin können alle geschaffenen Dinge dem Verstand kein ge- eignetes Mittel abgeben, daß er vollkommen zu Gott hinan- reichen könnte. Ebensowenig kann all das, was die Phantasie zu er- sinnen und der Verstand in diesem Leben zu erfassen vermag direktes Verbindungsmittel zur Vereinigung mit Gott sein. Ob wir nun die natürliche Welt ins Auge fassen, so müssen wir zugeben, daß der Verstand nur das, was unter den Begriff der durch die leiblichen Sinne wahr- nehmbaren Formen und Bilder fällt, erfassen kann; diese aber können, wie gesagt, nicht als Mittel in Betracht J) Ps 85, 7. f) Ps 76, 14. 3) Ps 187, 6. 107

koIDDlen, noch kann man mittels dieser Erkenntnis For~- schritte machen; oder ob wir die übernatürliche Welt in Betracht ziehen, soweit dies in diesem Leben möglich. ist, wir müssen auch da wieder feststellen, daß der Verstand, solange er in den Kerker des Leibes eingeschlossen ist, weder geeignet noch auch fähig ist, eine genaue Kenntnis von Gott aufzunehmen. Eine solche Kenntnis ist eben hie. nieden unmöglich; denn wer ihrer teilhaft werden will, der muss erst sterben. Als darum Moses Gott um diese genaue Erkenntnis Gottes bat, gab ihm Gott zur Antwort, daß er ihn nicht schauen werde; "denn, so sprach er: nicht wird mich schauen ein Mensch, der noch am Leben bleiben kanw)". In dem gleichen Sinne spricht auch der heilige Johannes: "Niemand hat Gott je gesehen')." Und Sl Patllus wie auch Isaias schreiben: "Kein Auge hat ihn gesehen und kein Ohr ihn gehört, und in keines Menschen Herz ist es gelangt8) ..." Das war auch der Grund, weshalb Mo- ses, da Gott im Dornbusche ihm nahe war, nicht aufzublicken wagte.)." Er wußte gar wohl, daß er mit seiner natürlichen Vernunft Gott nicht erkennen könne, wie es angemessen wäre. wenngleich diese seine Kenntnis dem hohen Begriff entsprang, den er sich von Gott gebildet hatte. Auch vom Propheten Elias heißt es, daß er auf dem Berge vor dem ihm gegenwärtigen Gotte sein Angesicht verhüllte5). Damit soll angedeutet sein, daß er das natürliche Licht des Ver- standes geblendet habe (was er bei dieser Gelegenheit auch tat), da er nicht wagte, seine gemeine Hand nach so Erhabenem auszustrecken. Er sah deutlich ein, dafJ alles, was er erkenne oder im einzelnen erfasse, von Gott sehr verschieden sei und mit ihm keinen Vergleich aushalte. Daraus ersehen wir, dafJ in dem gegenwärtigen Zustand keine Erkenntnis und keine übernatürliche Vorstellung ein direktes Mittel zur erhabenen Liebesvereinigung mit I) Ex 33, 20. t) Joh 1.18. :I) 1 Kor 2, 9. 1864.4. 4) Apg 7, 39. S) 3 Kg 19, 18. 108

Gott sein kann. Denn alles, was man mit dem Verstande erkennen, mit dem Willen kosten, mit der Phantasie sich vorstellen mag, ist, wie erwähnt, Gott ganz unähnlich, ja es steht in gröfJtem MifJverhältnis zu ihm. Dies alles drückt auch der Prophet lsaias so wunderschön aus mit den Worten: "Wem wolltet ihr Gott nachbilden oder unter welcher Gestalt wollt ihr ihn darstellen? Kann etwa der ErzgiefJer ein künstliches Bild von ihm verfertigen oder kann der Goldschmied ihn in Gold oder der Silber- schmied in Silberplatten darstellen1)?" Unter dem Erz- giefJer ist der Verstand gemeint, dem es obliegt, die Be- griffe zu bilden und sie aus dem Erz der äußeren Formen und der Phantasiegebilde herauszuarbeiten. Unter dem Goldschmied jedoch meine ich den Willen, der die Fähig- keit Imt, Lustvorstellungen und -eindrücke aufzunehmen, die geschaffen sind aus dem Gold der Liebe. Unter dem Silberschmied, von dem es heifJt, dafJ er Gott nicht aus geschlagenem Silber formen kann, ist das Gedächtnis mit seiner Einbildungskraft gemeint, von dem man so recht sagen kann, seine Kenntnisse und Vorstellungen, die es zu formen und zu schaffen vermag, seien wie geschlagenes Silber. Soll das nicht soviel heifJen als: weder der Verstand mit seiner Einsicht kann sich von Gott einen Begriff bilden, der ihm angemessen wäre; noch kann der Wille Lust und Wonne kosten, die an jene heranreichen wilrde, welche Gott selber ist; noch kann das Gedächtnis mit seiner Phantasie Formen und Bilder schaffen, die ihn wieder- geben könnten? Daraus geht also hervor, dafJ keine von diesen Erkenntnisarten den Verstand unmittelbar zu Gott filhren kann, dafJ man also, wenn man zu Gott gelangen will, vielmehr dahin trachten soll, nicht zu verstehen als verstehen zu wollen; dafJ man ferner eher blind werden und sich in Finsternis versetzen muss, wenn man den gött- lichen Lichtstrahl in sich aufnehmen will, als die Augen I) 1840, 18, 1!!. 109

öffnen. Und darin liegt auch der Grund, warum man d Beschauung, in welcher der Verstand von Gott erleucht wird, "mystische Theologie" nennt, d. h. geheime Gott weisheit; sie ist nämlich sogar dem Verstand, der! empfängt, geheim. Der heilige Dionysius nennt sie ein Strahl der Finsternis. Deshalb sagt der Prophet Baru von ihr: "Niemand ist, der da kennt ihren Weg, und D mand, der aussinnen kann ihre Pfade1)." Es besteht a kein Zweifel darüber, daa der Verstand blind wero muss für alle Wege (der Erkenntnis), welche er beschreii könnte, sofern er zur Vereinigung mit Gott gelangen ~ Aristoteles meint: "Wie die Augen der FlederlDJ sich verhalten zur Sonne, die sie ganz blendet, so ver! sich unser Verstand zum höchsten Lichte in Gott, I uns gleichfalls völlige Finsternis ist." Und er fährt wei' "Je erhabener und lichtvoller die göttlichen Dinge in ! sind, um so fremder und dunkler sind sie für uns." I bestätigt auch der Apostel mit den Worten: Das Erhab in Gott ist den Menschen am wenigsten bekannt I käme an kein Ende, wollte man alle Schriftstellen Vernunftgründe anführen, welche beweisen und erhAr daa es unter allen geschaffenen Dingen und unter aJ: was der Verstand erfassen kann, keinen Steig gibt, dem der Verstand zu jenem erhabenen Herrn gelar k~nnte. Man muss im Gegenteil wohl bedenken: Wenn Verstand all dieser Dinge oder auch nur eines ein2 davon als des nächsten Weges sich bedienen will, w solcher Vereinigung zu gelangen, so würden sie ihm I bloß ein Hindernis sein, sondern sie k~nnten ihm s beim Besteigen dieses hoh~ Berges A nlan sein zu a Verirrungen und Täuschungen. I) Bar 3, 23. 110

Il Teil Verstand und Glaube in ihren Beziehungen zu den Sinneswahrnehmungen 8. Kapitel Der Glaube ist das nächste und geeignete Mittel für den Verstand, damit die Seele zur göttlichen Liebes- vereinigung gelangen kann. Wenn also der Verstand -das ergibt sich aus den bisherigen A usfOhrungen -zu dieser göttlichen Ver. einigung tauglich sein soll, dann muß er lauter und leer sein von allem Sinnenfälligen; dann muß er entblößt sein von allem, was er mit Klarheit erfassen kann, so daß er voll und ganz befriedigt und beruhigt und im Glauben festgegrOndet ist. Dies allein ist das nächste und geeignete Mittel für die Seele, damit sie mit Gott eins werden kann. Denn dadurch kommt eine solche Gleichförmigkeit zwi. schen ihr und Gott zustande, da& es kein anderes Zwischen- ding mehr gibt als Gott sehen oder glauben. Wie also Gott in sich unendlich ist, so stellt ihn uns der Glaube auch als unendlich vor Augen; und wie er dreifach und einfach ist, so stellt ihn uns der Glaube als dreifach und einfach dar. Wie endlich Gott für unseren Verstand Finsternis ist, so verdunkelt und blendet auch der Glaube unseren Verstand. So offenbart sich denn Gott der Seele durch ihn als das einzige Mittel in göttlichem Lichte; und dieses Licht übersteigt alles Verstehen. Darum ist auch die Seele um so inniger mit Gott vereint, je mehr sie vom Glauben erfüllt ist. Dies wollte auch St. Paulus in der 111

oben angeführten Schriftstelle mit den Versen ausdrücken: "Wer sich mit Gott vereinigen will, der muö glaubeni)", d. h. der muö im Glauben zu ihm wandeln, und dabei mur3 der Verstand blind und in Dunkel gehüllt sein, einzig sich auf den Glauben stützend. Denn in diesem Dunkel ver. bindet sich der Verstand mit Gott, in diesem Dunkel ist ja : Gott verborgen, wie David spricht: "Finsternis war unter I seinen Füöen. Er stieg auf den Cherub und flog auf den Fittichen des Windes dahin. Er machte das Dunkel zu seinem Versteck, als sein Zelt ringsum das dunkle Gewölk in dem Himmelsraum2)." Wenn er also sagt, Gott habe Finsternis zu seinen Füöen und habe das Dunkel zu seinem Versteck gemacht und das dunkle Gewölk ringsum zu seinem Gezelt, so soll damit das Dunkel des Glaubens an- gedeutet st'in, in welches Gott sich hüllt. Und wenn es weiter heiöt, er sei auf den Cherub gestiegen und auf den Fittichen des Windes dahingeschwebt, so soll damit aus- gedrückt sein, wie er über jeglichen Verstand erhaben ist. Denn Cherubim heiöt: die Verstehenden oder Beschauen. den. Und die Fittiche der Winde bedeuten die hohen und erhabenen Kenntnisse und Gedanken der Geister, über welche alle sein Wesen erha.ben ist, zu dem niemand aus eigener Kraft gelangen kann. Zur Versinnbildlichung dessen lesen wir in der Hei. ligen Schrift: Als Salomon den Tempel vollendet hatte. stieg Gott in finsterer Wolke hernieder und erfüllte den Tempel derart, daö die Kinder Israels durchaus nichts mehr sehen konnten. Da sprach Salomon: "Der Herr hat versprochen, daö er wohnen wolle in der WolkeS)." Auch dem Moses erschien der Herr auf dem Berge in einer Wolke, in die er sich hüllte. Und jedesmal, sooft sich Gott offenbarte, erschien er in dunkler Wolke, wie auch bei Job zu lesen ist, welcher erzählt, daö Gott zu ihm aus finsterem Gewölke geredet habe'). Diese finsteren Wolken I) Hbr lt. 6. I) Ps 17,11.3. 3) 3 K{!. 8, 12. .).Job~,lund40, 112

bedeuten jedesmal die Dunkelheit des Glaubens, in welche die Gottheit sich hüllt, wenn sie sich der Seele mitteilt. IDiese Mitteilung wird aber eine vollkommene sein, sobald -nach den Worten des heiligen Paulus -das, was i Stückwerk ist, d. i. dieses Dunkel des Glaubens, ein Ende , hat und das, was vollkommen ist, d. i. das göttliche Licht, erscheinV). Ein Beispiel hiefür liefert uns auch der Kriegszug Gedeons'). Es heiat da, daa alle Soldaten Fackeln in ihren Händen trugen und sie doch nicht sahen, weil diese im finstern Bauche der Krüge versteckt waren. Sobald sie jedoch die Krüge zerbrochen hatten, erschien sogleich das Licht. Ebenso enthält der Glaube, der durch jene Krüge versinnbildet ist, in sich das göttliche Licht, d. i. die Wahl'- heit dessen, was Gott in sich ist. Ist dieses Gefäa des göttlichen Lichtes, der Glaube, einmal dahin und zertrüm- mert, wenn nämlich die Hinfälligkeit dieses sterblichen Lebens ein Ende hat, dann wird sogleich das Licht und die Glorie der Gottheit, die es in sich barg, aufleuchten. Will also die Seele, das geht aus dem Gesagten hervor, hie- nieden zur Vereinigung mit Gott gelangen, will sie in un- mittelbaren Verkehr mit ihm treten, dann bleibt ihr nichts übrig, als sich in Verbindung zu setzen mit jenem dunklen Gewölk, in welchem nach Salomons Worten der Herr zu wohnen versprochen; als sich in jene dunkle Wolke zu begeben, deren sich Gott bediente, seinem Diener Job seine Geheimnisse zu offenbaren; als in der Dunkelheit die Krüge Gedeons in die Hand zu nehmen, damit sie in ihren Hlinden, d. i. in den Werken ihres Willens, das Licht, nlimlich die Liebesvereinigung, habe. Zwar ist dies Licht noch im Dun- kel des Glaubens verborgen. Doch sobald das Gefäß dieses Lebens zerbrochen ist, welches allein das Licht des GIau- r bens verdeckte, wird man Gott in der Herrlichkeit von , Oswald (Diskussion) 14:50, 25. Jul. 2022 (CEST)t zu Angesic~t schauen. , I) 1 Kor 13, 10. 2) Rlcht 7,16. 113

Es erübrigt nun noch eine eingehendere Erklärung aller Erkenntnisarten und Wahrnehmungen, welche dem Verstande auf diesem Glaubenswege zum Hindernis und Schaden werden können; ferner eine Anweisung, wie sich die Seele dabei zu verhalten habe, damit jene ihr nicht so fast hinderlich als vielmehr förderlich seien, mögen sie nun vom sinnlichen oder vom geistigen Teil ausgehen. 9. Kap i tel Einteilung aller Wahrnehmungen und Erkenntnisarten, welche dem Verstand zuteil werden können. Sollen wir eingehender von den fördernden oder hem- menden Wirkungen reden, welche die Kenntnisse und Wahrnehmungen des Verstandes auf die Seele auf ihrem Wege zur göttlichen Vereinigung hinsichtlich des erwähn. ten Mittels, des Glaubens, ausüben können, dann müssen wir vorerst eine Einteilung dieser Wahrnehmungcn, so- wohl der natürlichen wie der übernatürlichen, geben. Erst dann können wir mit größerer Zielsicherheit den Verstand in die Nacht und Dunkelheit des Glaubens einführen. Dies soll mit möglichst~r Kürze geschehen. Es ist vor allem zu beachten, dass der Verstand auf einem zweifachen Wege Kenntnis und Wissen gewinnen kann, nämlich auf natürlichem und übernatürlichem Wege. Der natürliche Weg umfaDt all das, was der Verstand ent. weder durch Vermittl\ll1g der leiblichen Sinnesorgane oder aus sich selbst aufnehmen kann. Der übernatürliche Weg umfaDt all das, was dem Verstande geboten wird an dem. das über seine natürliche Fassungskraft und Beflihigung hinausgeht. Von diesen übernatürlichen Erkenntnisarten sind die einen körperlich, die anderen geistig. Die körperlichen sind wiederum zweifach: die f'inen werden auf dem Wege der äußeren leiblichen Sinnesor- 114

gane verDrittelt, die anderen auf dem Wege der inneren leiblichen Sinne, worunter all das inbegriffen ist, was die Phantasie wahrnehmen, ersinnen und bilden kann. Die geistigen sind ebenfalls zweifach: die einen sind deutlich erkennbar und gesondert, die anderen hingegen unklar, dunkel und allgemein. Bei der Gruppe der deutlich erkennbaren und gesonder- ten (geistigen Erkenntnisarten) unterscheidet man wieder- um vier Arten, die dem Geiste nicht vermittels eines kör- perlichen Sinnes zuteil werden, nämlich: Gesichte, Offen- barungen, Ansprachen und geistige Empfindungen. Die dunkle und mehr allgemein gehaltene Erkenntnis ist nur eine einzige, nämlich die Beschauung, wie sie im Glauben zuteil wird. Und, in diese müssen wir die Seele einführen, indem wir sie auf dem Wege über alle anderen zu ihr geleiten, bei den ersteren beginnend und sie der- selben entleerend. 10. Kap i te )' Von dem Hindernis und Nachteil, die sich einstellen können bei den Wahrnehmungen des Verstandes, die auf übernatürlichem Wege den äußeren leiblichen Sin- nesorganen zuteil werden. Wie sich die Seele dabei verhalten soll. Die ersten Kenntnisse sind, \vie wir im vorausgehen- den Kapitel unterschieden haben, jene, welche dem Ver- stande auf natürlichem Wege zukommen. Von diesen soll hier nicht die Rede sein, da wir uns bereits im ersten Buche darilber verbreitet haben, wo wir die Seele in die dunkle N'acht der Sinne einführten und sie hinsichtlich der- selben hinreichend belehrt haben. Darum wollen wir in diesem Kapitel nur von jenen Kenntnissen und Wahr- nehmungen sprechen, welche dem Verstande auf über- natürliche Weise mittels der ä.u~eren leiblichen Sinnes- 115

organe zukommen, als da sind: Gesicht, Gehör, Ger. Geschmack und GefüW. Denn durch all diese Sinne kön in der Regel den geistlichen Seelen Vorstellungen Obernatürliche Dinge zuteil werden. Dem Gesichte zei sich gewöhnlich Bilder und Personen aus dem andE Leben, von Heiligen, von guten und bösen Engeln, Li, erscheinungen und auuergewöhnlicher Lichtglanz. Mit c Gehör vernimmt man gewisse ungewöhnliche Worte; weilen werden sie hervorgebracht von den Gestalten jE Personen, die man sieht; bisweilen sieht man auch mand, der sie spricht. Mit dem Geruchsinn nimmt I oft die lieblichsten WohlgerUche wahr, ohne zu wis woher sie kommen. Ebenso kommt es vor, daQ man dem Geschmacksinn angenehmen Geschmack und mit c Tastsinn süue Lust fühlt, die manchmal so stark ist, man meint, es würden Mark und Bein frohlocken und blühen und in Wonne schwimmen. Dies heiut man wöhnlich Salbung des Geistes, weil sie von ihm aus : in die Glieder reiner Seelen ergieut. Dieses sinnli Wonnegefühl ist bei den geistlichen Seelen sehr hAI dem Affekte und der fühlbaren geistigen Andacht, springend wird es ihnen in höherem oder geringe Grade zuteil, einem jeden nach seiner Art. Wenn schon, das ist woW zu beachten, alle diese Dinge leiblichen Sinnesorganen von seiten Gottes zuteil wer könnßn, so dürfen sich solche Seelen niemals ihretwe in Sicherheit dünken, noch sollen sie dieselben zulas! im Gegenteil, man soll ihnen ganz und gar aus dem W gehen ohne auch nur untersuchen zu wollen, ob sie oder böse seien. Je mehr sie sich nAmlich auf das äuu leibliche Gebiet des Menschen erstrecken, desto wen] Sicherheit besteht, dau sie von Gott stammen. Es is1 Gott mehr eigen und mehr seinem gewöhnlichen Wir entsprechend, sich dem Geiste mitzuteilen, worin auch Seele grftuere Sicherheit und gröueren Fortschritt ftn, 116

als den Sinnen, womit in der Regel grofae Gefahr und Täuschung verbunden ist. Denn hiebei werfen sich die leiblichen Sinne zum Richter auf und urteilen über geistige Dinge, in der Meinung, diese seien in Wirklichkeit so, wie sie dieselben empfinden, während doch in der Tat ein so grofaer Unterschied besteht wie zwischen Leib und Seele, zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. Ist doch der leibliche Sinn in verstandesmäfaigen, will sagen geistigen Dingen so unwissend, wie ein Lasttier in Dingen der Vernunft; ja noch weit unwissender. Darum irrt gar sehr, wer auf solche Dinge etwas hält, und setzt sich grofaer Gefahr aus, ge. täuscht zu werden. Zum mindesten wird er in sich selbst das Haupthindernis tragen, dafa er nicht zum Geistigen . gelangt. Denn alle diese körperlichen Dinge, wie wir sie schon oben angeführt, stehen durchaus in keinem Verhält- nis zu den geistigen. Darum ist stets sehr zu fürchten, dafa solche Dinge mehr vom Teufel als von Gott stammen, da ja der Teufel einen gröfaeren Einftufa auf das Äufaere und Körperliche ausüben kann, als auf das, was mehr auf das Innere zielt, und darin auch leichter seine Trugkünste Oben kann. Und diese körperlichen Dinge und Gestalten wirken auch um so weniger fördernd auf das Innere und den Geist, je mehr sie nach aufaen in die Erscheinung treten, da zwischen Körperlichem und Geistigem ein grofaer Ab- stand und ein arges Mifaverhältnis besteht. Denn wenn sich auch von ihnen bisweilen ein gewisser Gebetsgeist herleitet, wie dies ja stets der Fall ist, sooft diese Dinge von Gott stammen, so geschieht dies doch in viel geringe- rem Grade, als wenn sie rein geistig und innerlich gewesen wären. Darum sind solche Dinge auch gar sehr dazu an- getan, in der Seele Irrtum und Anmafaung und Eitelkeil hervorzurufen. Eben weil sie so fühlbar und körperhaft sind, regen sie das Sinnliche sehr auf, und es kommt dann der Seele nach ihrem Urteil vor, a]s komme ihnen auch 117

wirklich eine größere Bedeutung zu, da sie auch mehr sinnlich wahrnehmbar sind. Und so läüt sich denn die Seele von diesem äuüeren Scheine leiten, verläüt die sichere Führung des Glaubens in der Meinung, jenes Licht sei der Führer und zugleich das Mittel, um zu dem von ihr angestrebten Ziel, nämlich zur Vereinigung mit Gott, zu gelangen. Dadurch kommt sie dann um so weiter ab von dem Wege und dem (richtigen) Mittel, dem Glauben, je mehr sie auf derartige Dinge etwas hält. Und wenn die Seele gewahrt, daü ihr solch auüerordentliche Dinge zu. teil werden, schleicht sich überdies noch häufig eine ge. wisse hohe Meinung bei ihr ein. als sei sie wunder wie .groü in den Augen Gottes. Das aber ist ein Verstoü gegen die Demut. Auch der Teufel versteht es sehr gut, der Seele eine gewisse geheime Befriedigung über sich selbst einzuflöüen und weiü dies bisweilen sehr auffallend ZlI machen. Zu diesem Zweck bietet er häufig den Sinnes. organen solche Dinge dar: den Augel\ zeigt er Gestalten von Heiligen und herrlichen Lichtgjanz, die Ohren läßt er sehr schmeichelhafte Worte vernehmen, erregt lieblichsten Wohlgeruch und Süßigkeit im Gaumen, Wonnegeftlhl im Tastsinn. Das alles nur dazu, um so die Seelen zu ver. locken und in grOßes Unheil zu stürten. Darum sind derartige Phantasiegebilde und Empfin. dungen stetszurßckzuweisen. Angenommen, es seien einige davon wirklich von Gott, so ist doch Gott darüber nicht ungehalten und beraubt die Seele deshalb, weil sie die. selben von sich weist und nicht sucht, durchaus nicht der WirklIng und des Nutzens, den sie nach Gottes Absieht daraus ziehen soll. Der Grund hiefür dürfte darin zu suchen sein: die körperliche Vision oder das Empfinden in einem der übrigen Sinnesorgane, sowie auch jede anderweitige '- Mitteilung, mag sie auch eine ganz innerliche sein, wenn sie nur von Gott stammt. bringt schon in dem gleichen Augenblicke. wo sie auftritt oder wahrgenommen wird, ihre 118

erste Wirkung im Geiste hervor, ohne auch nur der Seele Zeit zu lassen zur überlegung, ob sie dieselbe will oder nicht. Wie nämlich Gott der Seele solche übernatürliche Dinge mitteilt, ohne daß eine entsprechende Tätigkeit oder Befähigung ihrerseits vorausgehen muß, so bringt Gott auch ohne diese Tätigkeit und Befähigung ihrerseits in der Seele die Wirkung hervor, die er selber beabsichtigt. Denn das alles vollzieht sich im Geiste ohne dessen Zutun. Es hängt also nicht vom Wollen oder Nichtwollen ab, ob diese Wirkung hervorgebracht werde oder nicht. Gerade- so, wie es auch einem Nackten, den man mit Feuer bear- beitet, wenig helfen würde, daß er nicht gebrannt werden wolle; denn das Feuer würde trotzdem seine Kraft ausüben. So ist es auch mit den guten Visionen und Vorstellungen. Wenn sie die Seele auch nicht will, sie bringen doch in ..i ihr ihre Wirkung hervor, und zwar in erster Linie und hauptsächlich in der Seele, dann aber auch im Leibe. Ähn- lich verursachen ja auch die (Visionen), welche vom Teufel ausgehen, auch wenn sie die Seele nicht will, Unruhe. Trockenheit, Eitelkeit oder geistigen Eigendünkel. Wohl Oben die letzteren (Visionen) keine solche Kraft nach der schlimmen Seite hin aus, wie die, welche von Gott stam- men, nach der guten Seite; denn die Teufelsvisionen kön- nen lediglich dem Willen die ersten Anregungen geben, ohne ihn weiter zu bringen, wenn er nicht selber will. Auch dauert die Unruhe, die sie hervorrufen, nicht lange an. wenn nur die Seele etwas vorsichtig ist und den Mut nicht sinken läßt, so daß sie dadurch nicht selber Anla6 gibt zu längerer Dauer derselben. Jene hingegen, die von Gott kommen, dringen zu tiefst in die Seele ein, regen den Willen zur Liebe an und tun so ihre Wirkung, der die Seele beim besten Willen nicht widerstehen kann, noch weniger als die Glasscheibe dem Sonnenstrahl, der auf sie fllllt. Um so mehr darf die Seele sich nie erkühnen zu wünschen, daEl sie ihr zuteil werden, auch wenn sie, wie 119

gesagt, von Gott kommen. Denn, wenn sie nach denselben ein Verlangen trüge, könnte ihr daraus ein sechsfaches übel erstehen. Erstens nimmt die Vollkommenheit ab, die sich voll. ständig vom Glauben leiten läßt. Denn jene Dinge, die man mit den Sinnen wahrnimmt, tun dem Glauben großen Ein. trag, weil ja das Glauben über jedes sinnliche Wahrnehmen erhaben ist. Somit kommt die Seele ab vom Mittel der Vereinigung mit Gott, wenn sie nicht ihre Augen allen sinnenfälligen Dingen verschliefJl Zweitens sind solche Visionen ein Hindernis für den Geist, wenn man nicht anf sie verzichtet, da die Seele sich bei ihnen aufhält, so dafJ der Geist sich nicht zum Unsicht. baren erheben kann. Eben dies war auch mit ein Grund, weshalb der Heiland zu seinen Jüngern sagte, es sei gut für sie, dafJ er von hinnen gehe, damit der Heilige Geist kommen könne. Eben deshalb gestattete er auch nach seiner Auferstehung einer Magdalena nicht, seine FüfJe zu berühren, damit sie sich nämlich im Glauben festige. Drittens bleibt die Seele zu sehr an diesen Dingen haften und gelangt nicht zur wahren Entsagung nnd Ent. blöfJung des Geistes. Viertens geht sie dadurch ihrer Wirkungen und der Begeisterung, die sie im Inneren hervorbringen, verlustig, weil sie ihre Augen mehr auf das Sinnenfällige an ihnen heftet, was doch von geringerer Bedeutung ist Die Folge davon ist, dafJ sie den Geist (der Andacht) in nicht so reichem MafJe empfängt, den jene wecken. Denn dieser prägt sich der Seele um so tiefer ein und dauert in ihr an, je mehr man sich von allem Sinnlichen frei macht. da ja zwischen ihm und dem reinen Geiste eine groRe Kluft besteht Fünftens verliert die Seele dadurch die Gnaden Gottes, weil sie nach jenen (d. i. den Visionen usw.) selbs~üchtig 120

hascht und sich dieselben nicht recht zunutze macht. Nach ihnen selbstsüchtig haschen und sie sich doch nicht zunutze machen hei&t aber nach ihnen verlangen. Dazu aber spendet sie Gott nicht, damit die Seele nach ihnen begehre. Darum sei die Seele nie so vermessen zu glauben, da& sie von Gott kommen. Sechstens öffnet die Seele dadurch, da& sie danach Verlangen trägt, dem Teufel Tür und Tor, da& er sie mit ähnlichen Erscheinungen hintergehen kann. Denn er ver- steht es gar wohl, solche nachzuahmen und nachzuäffen, da& sie den guten ähnlich sehen. Er kann sich ja, wie der Apostel sagt, in einen Enge] des Lichtes verwandelw). Darum ist es gut, wenn die Seele vor ihnen die Augen verschlie&t und sie nicht beachtet, mögen sie woher immer kommen. W oJIte-sle das nicht tun, dann würde sie dem Teufe] und seinen Eingebungen solche Gewalt einräumen, da& sie nicht nur die einen für die anderen hielte, sondern die teuflischen würden immer mehr überhandnehmen, die göttlichen dagegen abnehmen. Dadurch würde es so weit kommen, da& alles in der Hand des Teufels wäre und nichts mehr in der Hand Gottes. So ist es schon vielen unvorsichtigen und unwissenden Seelen ergangen, welchen solche Dinge zuteil wurden, und die sich darob so sicher fOhlten, da& sie gro&e MOhe hatten, im reinen G]auben sich wieder zu Gott zu wenden. Manche fanden den Weg zu Gott überhaupt nicht mehr, da der Teufe] schon zu grolje Gewa]t Ober sie erlangt hatte. Darum ist es gut, vor ihnen auf der Hut zu sein und sie alle abzuweisen. Hande]t es sich nämlich um schlimme (Eingebungen usw.), dann ent- geht man dem Trug des Teufe]s, sind es dagegen gute (echte), so geht man dem Hindernis des G]aubens aus dem Weg, und der Geist zieht reiche Frucht daraus. Lä&t man sie aber zu, dann ]äljt Gott solche See]en im Stiche wegen I) 2 Kor 11, 14. 121

der Eigenliebe, die sich darin offenbart, und des geringen Nutzens, den man daraus zieht, der Teufel hingegen kommt immer wieder JIIit neuen Visionen, da die Seele ihnen Raum gibt und von ihnen eingenommen ist. Sucht dagegen die Seele nicht sich selbst, sondern ist sie solchen Erscheinun. gen abhold, dann läDt der Teufel von ihr, weil er sieht, dafJ er ihr nicht schaden kann. Gott hingegen gieüt seine Gna. den in zuvorkommender Liebe über jene demütige und selbstlose Seele aus, erhebt sie und setzt sie über Vieles, wie es jenem Knecht geschah, der in Wenigem getreu war: "Quia super pauca fuisti fidelis, super mulla te constituam." ,.Weil du über Weniges getreu warst, will ich dich über Vieles setzew)." Erweist sich die Seele nämlich durchwegs getreu und zurückhaltend, dann wird der Herr nicht ruhen, bis er sie von Stufe zu Stufe zur göttlichen Ver~inigung und Umgestaltung geführt hat. Gott prüft und fördert die Seele nämlich in der Weise, daß er ihr zuerst ffißhr äußere und gewöhnliche, mehr dem Sinnlichen angepafJte und ihrer geringen Aufnahmefähigkeit entsprechende Kost reicht. Hat sie sich darin hinlänglich bewährt, indem sie jene ersten Bissen zu wesentlicher Stärkung mäßig geno6, dann reicht ihr Gott reichlichere und bessere Speise. Hat also die Seele auf dieser ersten Stufe den Teufel bezwun. gen, dann besteigt sie die zweite; und wenn sie auch auf dieser zweiten Siegerin geblieben, dann betritt sie die dritte Stufe, und so fort durch alle sieben Wohnungen, d. i. die sieben Stufen der Liebe hindurch, bis sie der göttliche Bräutigam einführt in den Weinkeller seiner vollkommenen Liebe. Glücklich die Seele, die zu kAmpfen versteht mit jenem siebenköpfigem Untier in der Geheimen Offenbarung! Diese sieben Köpfe sind nämlich der Widerpart der sieben Stufen der Liebe, und mit einem jeden vOn ihnen muü sie auf jeder Stufe Krieg fnhren, und mit einem jeden dieser Köpfe I) Mt 26. 21. 122

ringt das Untier mit der Seele in jeder dieser Wohnungen; diese hinwieder übt sich in diesem Kampfe und erklimmt jede Stufe der göttlichen Liebe. Kämpft sie wacker auf jeder dieser Stufen und bleibt sie dabei Siegerin, dann er- langt sie ohne Zweifel die Gnade, daa sie von Stufe zu Stufe oder vielmehr von Wohnung zu Wolmung vorwärts- schreitet, bis sie schliealich zur letzten gelangt, wo dem Untier, mit dem sie den schrecklichen Kampf zu bestehen hatte, die sieben Köpfe abgehauen sind. Ja, dieser Kampf war so schrecklich, dafJ der heilige Johannes davon sagt, es sei dem Untier gestattet worden, auf jeder dieser Stufen der Liebe gegen die Heiligen zu kämpfen und, wenn mög- lich, sie sogar zu besiegen, indem ihm gegen jede Stufe Wehr und Waffen genug zur Verfügung standen. Darum ist es sehr zu bedauern, daa so viele, die da in den Kampf des geistlichen Lebens wider das Untier ziehen, nicht in der Lage sind, ihm den ersten Kopf abzuhauen dadurch, daa sie sich der sinnenfälligen Dinge der Welt entschlagen. Und wenn es auch einigen gelingt, daa sie ihm den ersten Kopf abschlagen, dann kommen sie nicht dazu, ihm auch den zweiten abzuschlagen, unter welchem die eben be- sprochenen sinnli..hen Visionen zu verstehen sind. Am meisten ist aber zu bedauern, daf3 so manche, die nicht Dur den ersten und zweiten Kopf des Untiers bezwungen haben, sondern auch den dritten -worunter das auf die inneren Sinne Bezügliche zu verstehen ist -, die also schon aus dem Stande der Betrachtung in das nächst höhere Gebiet übergingen, eben noch in dem Augenblick, da sie das Gebiet des rein Geistigen betreten sollten, jenem Untier unterlagen. Dann kehrt sich nämlich das Untier aufs neue wider sie, seine Köpfe wachsen nach bis zum ersten, und die letzten Dinge solcher Menschen werden bei ihrem Rflckfall schlimmer als die ersten; denn der böse Geist nimmt sieben andere Geister mit sich, die schlimmer sind als er. 123

Darum muss eine geistliche Seele alle Eindrücke m samt den körperlichen Wonnegefnhlen, die in den Berei der äußeren Sinne gehören, von sich weisen, wenn andl sie jenem Untier den ersten und zweiten Kopf abschlag und in lebendigem Glauben eingehen will in das erste u zweite Gemach der Liebe. Sie darf nichts zu tun halJ wollen und sich nicht beirren lassen von dem, was d Sinnen sich darbietet, insofern gerade dies dem GlauJJ am meisten hinderlich ist. Daraus geht deutlich hervor, dafJ diese Visionen u sinnlichen Wahrnehmungen kein Mittel sein können j göttlichen Vereinigung, da sie in keinem Verhältnis stelJ ( zu Gott. Dies war auch einer der Gründe, warum Chrisl der Herr nicht wollte, dafJ Magdalena und der Apos Thomas ihn berührten. Darum freut sich der Teufel gar sehr, wenn e Seele nach Offenbarungen Verlangen trägt, und wenn sieht, dafJ sie für solche eingenommen ist; denn dann I

er reichlich Gelegenheit und Möglichkeit, ihr aJlerha
Trug vorzugaukeln und ihren Glauben zu schwächen. D~

!j! eine Seele, die nach solchen Dingen Verlangen hat, ist, !~ grofJer Blindheit geschlagen und hat noch dazu biswei lt mit schweren Versuchungen und Unannehmlichkeiten ., rechnen. Ich habe mich ein wenig ausführlich mit diesenäuf3eJ Wahrnehmungen befafJt, um dadurch auch das übrige, v wir im Folgenden zu behandeln haben, etwas mehr zu leuchten. Doch hlltte ich darüber noch so viel zu sag dafJ ich an kein Ende käme. Kurz gefafJt, will das besa~ man möge dafür sorgen, dafJ man sie (diese äußeren Wa nehmungen) niemals zulasse, aufJer in ganz seltenen F Jen, die genau geprüft sind von einem gelehrten und fahrenen Geistesmann, und auch dann nur mit Aussch] jeder Freude daran. 124


11. Kapitel Untersuchungen über die natürlichen Wahrnehmungen der Phantasie. Ihr Wesen. Ob sie ein geeignetes Mittel sein können zur Vereinigung mit Gott? Welchen Scha- den sie anrichten, wenn man sich nicht rechtzeitig ihrer zu entledigen weiß. I Ehe wir von den Visionen der Einbildungskraft reden, welche gewöhnlich dem inneren Sinne, d. i. der Einbil- dungskraft und der Phantasie, zuteil werden, müssen wir hier erst über we natürlichen Wahrnehmungen des glei- chen inneren leiblichen Sinnes Untersuchungen anstellen, damit wir so, vom Niedrigeren zum Höheren, vom Äußer- lichen zum Innerlichen übergehend, schließlich ins innerste Gemach gelangen, wo sich die Seele mit Gott vereint. In derselben Reihenfolge sind wir auch bisher vorgegangen. Zuerst behandelten wir nämlich die Entblößung der Seele von den natürlichen Wahrnehmungen der Außendinge, dann die Entblößung der Seele auch von der natürlichen Gewalt der Gelüste. Dies geschah im ersten Buch, als wir von der Nacht der Sinne sprachen. Nunmehr wollen wir daran gehen, die Seele auch der äußeren übernatürlichen Wahrnehmungen zu entkleiden, welche den äuüeren Sin- nen zuteil werden -im vorausgehenden Kapitel war be- reits die Rede davon. Und so wollen wir dann die Seele in diesem zweiten Buch in die Nacht des Geistes einführen. Da ist es nun in erster Linie der innere leibliche Sinn, mit dem wir es zu tun haben, nämlich Einbildungskraft und Phantasie. Daraus müssen wir alle sinnlichen Bilder und Vorstellungen entfernen, welche natürlicherweise sich ihm aufdrängen können. Wir wollen auch den Beweis erbrin- gen, daü die Seele unmöglich zur Vereinigung mit Gott gelangen kann, solange sie nicht jene Bilder und Vorstel- lungen in ihrer Tätigkeit behindert, zumal sie doch nicht 125

das geeignete und nächstliegende Mittel zu einer solchen Vereinigung abgeben kölmen. Der Sinne, von denen im folgenden besonders die Rede ist, sind zwei, und zwar sind das innere leibliche, nämlich: Einbildungskraft und Phantasie. Beide sind zu gegenseiti. ger Hilfeleistung aufeinander angewiesen. Der eine dieser beiden Sinne sucht sich nämlich Bilder zu vergegenwär- tigen, der andere hingegen gestaltet das Vergegenwärtigte oder die Bilder in der Phantasie. Für unser Vorhaben ist es gleichbedeutend, ob wir uns auf den einen oder den an. deren beziehen. Wenn wir darum auch nicht beide zu- gleich nennen, so soll doch, wie wir hier angedeutet haben, das, was von dem einen ausgesagt wird, auch vom anderen gelten, da wir ohne Unterschied von beiden reden. Daher nennt man da." Produkt der erfassenden und schaffenden Tätigkeit dieser Sinne Vorstellungen und Phantasiebilder. Es sind das Bilder, welche sich diesen Sinnen in körper- licher Gestalt und Form darbieten. Di~se können wieder zweifacher Natur sein: die einen sind übernatürliche und können sich den Sinnen ohne deren Zutun darbieten, in rein passiver Weise. Diese nennen wir Visionen der Ein- bildungskraft auf übernatürlichem Wege. Davon wird später die Rede sein. Die andel-en sind natürliche; diese können die Sinne infolge ihrer eigenen Fähigkeit und Tätigkeit in sich selbst schaffen vermittels von Formen, Gestalten und Bildern. Diesen beiden Seelenkräften unter- steht denn auch die Betrachtung, welche ein Akt des Nach. denkens ist und vor sich geht durch Vermittlung von Bi!- 1 dern, Formen und Gestalten, welche die genannten Sinne ..1 selber erzeugen und bilden. So kann man sich zum Bei- i spiel vorstellen unseren Erlöser am Kreuze oder an der Geißelsäule oder auf einer anderen Leidensstation, oder auch Gott auf seinem Thron in großer Herrlichkeit, oder in ähnlicher Weise andere beliebige irdische oder göttliche Dinge, die in den Bereich der Einbildungskraft gehören. 126

Die Seele mua es nun so weit bringen, dafs sie sich all dieser Vorstellungen und Wahrnebmungen entäuüert und auch rücksichtlich dieses Sinnes im Dunkel bleibt, welUl sie zur göttlichen Vereinigung gelangen will. Denn auch sie können in keinem Verhältnis eines nächstliegenden Mittels zu Gott stehen, ebensowenig wie die leiblichen (Bilder), welche den fOnf äuäeren Sinnen ein Objekt abgeben. Der I. Grund hievon liegt darin, daä die Einbildungskraft nichts schaffen oder sich vorstellen kann, als was in den Erfah- rungskreis ihrer äuäeren Sinne gelangt ist, d. h. was sie mit den Augen gesehen, mit den Ollren gehört hat usw.; oder, wenn .es hoch kommt, kann sie den gesehenen, ge- hörten, gefühlten Objekten ähnliche nachbilden, die jedoch keiner höheren Kategorie des Seins angehören, als jene, die sie durch die genannten Sinne walu'genommen hat Mag sie sich auch Paläste von Perlen und Berge von Gold vorzau- bern, weil sie etwa schon Perlen und Gold gesehen hat, so ist doch in Wirklichkeit dies alles weniger als das Wesen eines Stöckchens Gold oder einer einzigen Perle, wenn es auch in der Phantasie an Menge und Schönheit jenes übertrifft. I Weil nun, wie gesagt, alle geschaffenen Dinge in kei- nem Verhältnis zum göttlichen Wesen stehen, so ergibt sich daraus, daä alles, was man sich ~ur immer ihnen Ähnliches vorstellen mag, nicht nächstliegendes Mittel sein kann zur Vereinigung mit Gott, im Gegenteil, dass es weit hinter demselben zurückbleibt. Wollte man sich demnach Gott unter irgendeinem Bilde solcher Dinge vorstellen, wie etwa als großes Feuer oder als Lichtglanz oder sonst etwas Ähnliches, oder meinte man, etwas Derartiges sei ihm ähn- lich, so würde man weit fehlgehen. Wohl mögen solche Erwägungen und Bilder und Betrachtungsweisen für An- fänger notwendig sein, um die Seele 'ßurch das Sinnliche zur Liebe zu bewegen und zu entflammen. Doch dienen sie auch da nur als entferntes Mittel zur Vereinigung mit 127

Gott, und es müssen die Seelen in der Regel durch hindurchgehen, um zum Ziel und in das Gemach der gl lichen Ruhe zu gelangen. Doch mu& es auch dabei blei da& sie nur hindurchgehen und nicht dauernd darin weilen, denn sonst würden sie nie ans Ziel kommen; ( dieses ist nicht nach Art der entfernten Mittel und nichts Init ihnen gemein. Es ist da wie bei den St einer Treppe, die ja gleichfalls Init dem Ziel, d. i. mit Zimmer, zu dem man emporsteigt, nichts weiter zu haben, als da& sie das Mittel sind, um zu diesem zu langen. Wollte darum einer, der zu diesem Gemach em steigen will, nicht alle Stufen nehmen, ohne auch nur wegzulassen, oder wollte er auf einer derselben ste bleiben, dann würde er nie nach oben gelangen, würdE ins freundlich helle ersehnte Ruhegemach kommen. Will also die Seele in diesem Leben zur Vereini! mit jenem höchsten Gute und jener vollkommenen I gelangen, dann mu& sie stufenweise hinweggehen übe die Erwägungen, Bilder und Eindrücke und mu& mit il fertig werden, da sie ja in keinem Xhnlichkeitsverhä zu Gott, ihrem Ziele, stehen, zu dem sie doch strebt. um spricht der heilige Paulus: Non debemus aestimare aut argento aut lapidi sculpturae artis et cogitationisholl Divinum esse simile. "Wir dürfen nicht meinen, die ( heit sei dem Golde, Silber, Stein oder einem Gel menschlicher Kunst und Erfindung gleich!)." Wo die doch au&er acht gelassen wird, geraten manche geist Seelen auf Irrwege. Sie haben sich wohl, wie es für fänger gut ist, auf ihrem Wege zu Gott in Betrachtu mittels Bilder und greifbarer Formen geübt. Sobalc jedoch Gott in die mehr geistigen, inneren und unsichtb Güter einführen will, und ihnen deshalb Lust und I zur nachsinnenden Betrachtungsweise entzieht, da sinl am Ende und können sich nicht mehr aufraffen und I) Apg 17, 29. 128

nicht losrei&en von jenen greifbaren I"ormen, an die sie gewohnt sind. Und so halten sie denn zähe daran fest und wollen wie bisher auch weiter in Bildern betrachten und meditieren, weil sie glauben, es müsse imn1er so bleiben. Dabei quälen sie sich ab und finden doch sehr wenig oder keinen Genuü; im Gegenteil, die Troekenheit, Beängstigung und Unruhe der Seele nimmt immer mehr zu, je mehr sie sich um jene anfängliche Sümgkeit abmühen, die man unmöglich in jener ersteren Art finden kann. Die Seele hat ja, wie gesagt, keinen Geschmack mehr an dieser sinn- , lichen Kost; sie will eine feinere, innere, weniger sinnliche, I die nicht von der Tätigkeit der Einbildungskraft abhängig ! ist; eine, die wirklich der Seele völlige Ruhe bringt. Diese Kost ist schon mehr geistiger Art. Denn in dem Grade, als die Seele sich auf das Geistige einstellt, hören auch ihre Fähigkeiten auf, sich in einzelnen Handlungen zu be- tätigen. Denn nun beschränkt sich die Seele auf einen ein- zigen, mehr allgemein gehaltenen, reinen Akt; darum stel- len nun die Fähigkeiten ihre Tätigkeit ein und wirl(en nicht mehr wie bisher, wo sie die Seele ihrem nunmehI'igen Ziele zuführten, wie ja auch die Fü&e ihre Tätigkeit einstellen und rasten, sobald sie ihren Marsch vollendet haben. Denn r wollte man immerfort gehen, dann gäbe es nie ein Ans- t Ziel-Kommen; wäre alles nur Mittel (zum Ziel), wo oder I wann dürfte man sich freuen, am Ziel und Ende selber zu ! sein? IDarum ist es sehr zu beklagen, daä es so viele gibt, deren Seele nach jen~m Flied~n und jener Wonne innerer. Ruhe verlangt, wo sie gesättIgt würde von Gottesfrieden und göttlicher Erquickung; gleichwohl aber berauben diese Menschen ihre Seele dieser Ruhe und zerren sie an die A u&enwelt und wollen, da& sie den bereits zurückgelegten ~ Weg ein zweites Mal mache, und da& sie das Ziel und Ende, in welchem sie die Ruhe gefunden, wieder aufgebe, und zwar nur um der Mittel, d. i. der Betrachtungen willen, die 129

sie zu diesem Ziel führten. Die Seele läut sich freilich nur mit grouem Mißfallen und Widerstreben darauf ein, da es ja ihr Verlangen ist, in jenem alles übersteigenden Frieden als dem ihr eigenen Platz ausruhen zu dürfen. Sie gleicht hierin einem Wanderer, welcher nach vieler Mühsal sich am Ziele wähnt, den man nun aber veranlassen wollte, seinen mühevollen Weg von neuem aufzunehmen. Und da sie das Geheimnis dieses neuen Zustandes nicht erfassen, bilden sie sich ein, es heiue dies müuiggehen und nichts. tun. Deshalb wollen sie denn nichts wissen von Ruhe, sondern mülien sich ab mit Betrachten und Nachdenken. Daher kommt es dann, dau sie volJ Trockenheit und Müh. seligkeit sind, da sie dort sQQen Genuu suchen, wo sie keinen suchen sollten. Ja, auf sie können wir das Wort anwenden: Je mehr Frost, um so mehr Not. Denn je mehr sie sich auf diese Art versteifen, desto schlimmer ist es um sie bestellt, weil sie ja dadurch um so mehr der Seele den geistigen Frieden rauben. Es heiut das nichts anderes als das Wertvollere für Unbedeutendes preisgeben, als den bereits zurückgelegten Weg noch einmal machen, als die getane Arbeit nochmals tun wollen. Solchen Leuten muu man beibringen, sie sollen lernen mit liebevolJer peinlicher Aufmerksamkeit auf Gott in jener Ruhe zu verharren und nichts auf die Phantasie oder deren Tätigkeit zu geben; denn auf dieser Stufe sind die Seelen. kräfte in Ruhe und nicht mehr tätig. Und wenn es auch bisweilen vorkommt, dass sie tätig sind, so doch nur so E obenhin und ohne angestrengtes Nachdenken, ja mit einer "; gewissen wonnevollen Liebe. Und dabei werden sie mehr .,' von Gott als von der eigenen seelischen Fähigkeit ange. regt, wie wir weiter unten erklären werden. Für jetzt aber möge dies genngen. Wir wollten da. .mit nur zeigen, wie jene, die da vorwärtskommen wollen, lernen müssen, sich frei zu machen 'Von alJ diesen Arten und Eigentftmlichkeiten, die aus der Tätigk~it der Einbildungs- 130

kraft hervorgehen, und zwar gerade dann, wenn es die För- derung ihres jeweiligen Zustandes erheischt. Damit man jedoch wisse, wann dies zu geschehen habe, wollen wir einige Merkmale angeben, aus welchen .die geistliche Seele, sofern sie dieselben an sich wahrnimmt, entnehmen kann, es sei nun der Augenblick gekommen, in welchem sie freien Gebrauch machen könne von der angedeuteten Methode , und den Weg des Nachdenkens und der Phantasietätigkeit aufgeben dürfe. Damit nun diese Darstellung keine Verwirrung an- richtet, wird es gut sein, wenn wir noch etwas eingehen- der erklären, in welchem Zeitpunkt die geistliche Seele die Tätigkeit des schluifolgernden Nachdenkens mittels der erwähnten Vorstellungen, Bilder, Formen und Gestalten einstellen soll. Denn man soll sie nicht früher und nicht später einstellen, als es der geistige Zustand erheischt. So wie man sie nämlich zur rechten Zeit einstellen mui, damit sie auf dem Wege zu Gott kein Hindernis seien, so darf man anderseits die angedeutete Betrachtungsmethode auf dem Wege der Phantasievorstellung nicht vor der Zeit auf- geben, wenn man nicht rückfällig werden will. Wenngleich nämlich die Wahrnehmungen dieser Vermögen den Fortge- schrittenen nicht als nächstes Mittel zur Vereinigung die- nen, so sind sie gleichwohl für die Anfänger ein entferntes Mittel, den Geist vermittels des Sinnlichen für das Geistige empfänglich und aufnahmefähig zu machen, sowie alle an- deren niederen Bilder und Eindrücke, zeitliche, weltliche und natürliche, zu beseitigen. Zu diesem Zweck wollen wir hier einige Kennzeichen und Merkmale angeben, welche der geistliche Mensch an sich vorfinden muss, um daran zu erkennen, ob es Zeit sei, jene Betrachtungsweise auf- zugeben oder nicht. Der Merkmale, welche der geistliche Mensch an sich gewahren mu&, wenn er die Betrachtung auf dem Wege, des Nachdenkens aufgeben soll, sind drei. 131

Erstens muü er an sich die Wahrnehmung machen, daü er mit Hilfe der Einbildungskraft nicht mehr betrach. tend tätig sein kann, und daü er dieser Betrachtungsweise keinen Geschmack mehr abgewinnt wie früher. Im Gegen. teil, er findet in dem, was früher den Sinn festzuhalten pflegte und woraus er Erquickung schöpfte, nur mehr Trockenheit. Sollte er indes noch Erquickung darin finden und bei der Betrachtung noch nachdenken können, so dürfte er sie nicht aufgeben, auf~er es fände sich seine Seele in jenen Frieden und jene Ruhe versetzt, von wel. chem beim dritten Merkmal die Rede ist. Zweitens muü er finden, daü er keine Lust mehr hat, die Einbildungskraft oder den Sinn auf andere, besondere Gegenstände äuüerlicher oder innerer Art zu richten. Ich spreche hier nicht davon, daü die Phantasie unwillkürlich abschweift -was ja auch bei großer Sammlung vorzu. kommen pflegt -, sondern davon, daü die Seele keine Neigung fühlt, sie absichtlich auf andere Gegenstände zu richten. Drittens -und dies ist das sicherste Kennzeichen - muü die Seele gewahr werden, daü sie Freude daran hat, ganz allein zu sein in liebendem Aufmerken auf Gott, ohne besondere Erwägungen anzustellen, in innerem Frieden, in .erquickender Ruhe, ohne Akte und übungen der Seelen. vermögen, des Gedächtnisses, Verstandes und Willens, wenigstens ohne nachsinnende Tätigkeit, wobei man von einem Punkt auf den anderen schlieüt, sondern, wie ge. sagt, einzig in einem allgemeinen liebenden Erkennen und Aufmerken. ohne auf andere Dinge besonders zu achten. Nur wenn sie diese drei Kennzeichen zumal an sich gewahrt, darf die geistliche Seele es sicher wagen, den Stand der Betrachtung und des Sinnes aufzugeben und in den Zustand der Beschauung und des Geistes überzugehen. Es genügt durchaus nicht, dass man etwa nur das erste Kennzeichen vorfindet ohne das zweite. Denn es könnte 132

sellr wohl sein, daß eigene Zersu'euung und zu geringe SammlWlg die Schuld daran wären, dass man nicht mehr wie früher über die göttlichen Dinge nachdenken Wld be- trachten könnte. Darum muss eine solche Seele auch das zweite Kennzeichen an sich vorfinden, nämlich, dass sie weder Lust noch Verlangen hat, an andere, fremdartige Dinge zu denken. Sobald nämlich Zerstreuung oder Lauheit der Grund des Unvermögens ist, die Phantasie und die Sinne auf göttliche Dinge festzulegen, dann hat man so- gleich Lust und Liebe, dieselben auf verschiedene andere Gegenstände zu lenken und fühlt damit auch einen Antrieb, sich von ersteren wegzuwenden. Aber es genügt auch I nicht, nur das erste und zweite Merkmal an 'sich wahrzu- nehmen, wenn nicht auch das dritte hinzukommt. Denn wenn man auch sieht, dass man kein diskursives Denken zustande bringt und über göttliche Dinge nicht nach- sinnen kann, daß man aber gleichwohl auch keine Lust hat, an andere Dinge zu denken, so könnte dies auch von der Melancholie oder einer anderen üblen Laune, die im Gehirn oder im Herzen ihren Herd hat, herkommen; denn so et\vas verursacht gewöhnlich im sinnlichen Teil eine gewisse Stumpfheit Wld Befangenheit, die einen an nichts denken und auch keine Lust aufkommen lassen, etwas zu denken, so daß man am liebsten in dieser behaglichen Gedankenlosigkeit verbleiben möchte. Dem gegenüber muß man sich auf das dritte Kennzeichen berufen können, nämlich jenes Erkennen Wld liebende Aufmerken im Frieden, wie wir's genannt haben. Allerdings ist richtig, daf1 man am Anfang, wo dieser Zustand beginnt, dieses liebende Erkennen kaum bemerkt, und z.var aus zwei Gründen: erstens, weil dieses liebende Erkennen anfangs gewöhnlich sehr fein und zart, ja fast unmerklich ist; zweitens kann die Seele, die an eine andere Betrachtungsweise, die ganz sinnlicher Art war, gewöhnt ist, jenes nicht sinnenfällige Neue, das schon rein geistiger Art ist, fast nicht gewahr werden. 133

Und dies um so mehr dann, wenn die Seele für dies~ Neue kein Verständnis hat, sich deshalb auch keine Ruhe gönnt und sich immer nur um jenes mehr Sinnenfällige abmüht. Daher kommt es dann, daß die Seele diesen liebe. atmenden Frieden, auch wenn er in noch so reicher Fnlle vorbanden ist, nicht wahrnimmt und genießt. Je mehr sich dagegen die Seele der Ruhe hingibt, um so mehr wird sie in diesem Frieden zunehmen und um so mehr wird sie jenes allgemeine liebende Erkennen Gottes fühlen. Darin wird sie größere Freude kosten als an allen Dingen; denn dieses wird ihr Frieden, Ruhe, Wohlgeschmack und Wonne bereiten, um mühelos davon zu kosten. Damit nun die bisherigen Ausführungen noch ver. ständlicher werden, wollen wir im folgenden Kapitel die Ursachen und Gründe anführen, welche die angegebenen drei Kennzeichen notwendig erscheinen lassen, um den Geist richtig zu leiten. 12. Kap i tel Beweis für die Zweckmäßigkeit dieser Kennzeichen und BegrÜndung der Notwendigkeit des darin Gesagten zu größerem Fortschritt. Zum ersten der angeführten Kennzeichen ist zu be. merken: Damit der geistliche Mensch den Weg des (jeis~ d. i. der Beschauung, beschreite, muß er den Weg der Phantasietätigkeit und der sinnlich fühlbaren Betrach. tungsweise verlassen, sobald die Seele keinen Geschmack mehr daran findet und nicht mehr nachsinnen kann. Und dies aus zwei Gründen, die ungefähr auf einen hinausgehen. Erstens hat die Seele in gewisser Beziehung bereits alle geistigen Güter empfangen, die sie auf dem Wege der Be. trachtung und des Nachsinnens in den göttlichen Dingen finden konnte. Der Beweis hiefür ist darin zu sehen, dass die Seele nicht mehr betrachten und nachsinnen kann wie 134

ehedem, ferner, da& sie neuerdings darin keine Wonne und Erquickung mehr findet wie früher. Bis jetzt war sie näm- lich noch nicht zu dem Geiste vorgedrungen, den es da für sie gab. Gewöhnlich kostet ja die Seele, sooft sie aufs neue ein geistiges Gut empfängt, dieses wenigstens im Inneren, und zwar zu dem Zweck und Fortschritt, zu dem sie es empfängt. Sonst wäre es wirklich zu verwundern, wenn sie daraus Nutzen zöge. Auch findet sie an demselben nicht jene Festigkeit und Wonne, die sie 'findet, Wenn sie es empfängt. Es gilt da nämlich das Wort der Philosophie: Quod sapit, nutrit. "Was Geschmack hat, das nährt und sättigt." Darum heifjt es auch bei Job: Numquid poterit comedi insulsum, quod non est sale conditum? "Mag man wohl etwas Schales essen, das nicht gewürzt ist mit Salz!)?" Dies ist also der Grund, weshalb man nicht mehr wie früher betrachten und nachsinnen kann: weil der Geist zu wenig Geschmack darin findet und zu wenig Fortschritt. Zweitens besitzt die Seele in diesem Zeitpunkte be- reits den Geist der Betrachtung wesentlich und dauernd. Der Zweck des Betrachtens und des Nachsinnens über göttliche Dinge besteht gerade darin, dafj man Erkenntnis und Liebe Gottes daraus schöpfe. Sooft nun die Seele I in der Betrachtung das tut, übt sie einen solchen Akt. , Wie nun viele Akte in irgendeiner Beziehung in der Seele I allmählich einen bleibenden Zustand bewirken, so bringen .es eine Reihe von Akten dieser liebenden Erkenntnis, welche die Seele zustande gebracht hat, durch fortgesetzte übung so weit, dafj sie zu einem bleibenden Zustand wird. Indes ruft Gott sehr hAufig diesen Zustand in manch~n Seelen auch ohne Vermittlung dieser Akte hervor, wenig- stens, ohne dafj viele derselben vorausgegangen sind, indem er sie mit einem Male in den Zustand der Beschauung und Liebe versetzt. So ist nun das, was die Seele vorher bis- . I I) Job 6, 6. 135

weilen durch mühevolles Nachsinnen in Einzelkennbussen gewonnen hat, durch übung, \vie gesagt, in ihr zum blei- benden Zustand und zum Wesen einer allgemeinen lie- benden Erkenntnis geworden, die jedoch keine Unter- scheidung zuläöt und nicht ins Einzelne geht wie früher. Wenn nun die Seele in solchem Zustand sich ins Gebet begibt, dann trinkt sie, wie einer, der das Wasser zur .Hand hat, mühelos und mit Wonne und hat nicht nötig, es erst mittels der Schöpfeimer vorausgehender Be- trachtungen, Bilder und Vorstellungen zu schöpfen. Sowie sie sich zu Gott begibt, tritt sogleich jenes dunkle, lie- bende, befriedigende und beruhigende Erkennen in Wirk, samkeit, in welchem die Seele Weisheit, Liebe und Wonne schlürft. Daher kommt es dann, daö die Seele soviel Beschwernis und Unbehagen empfindet, sobald man von ihr verlangt, sie solle in diesem Zustand der Ruhe nach- sinnen und sich in Einzelerkenntnissen abmühen. Es geht ihr dann wie einem Kindlein, das an der Mutierbrust liegt und daraus in vollen Zügen die Milch schlürft, das man aber dann wegnimmt und erst nach vielem Hin- und Her. tasten von neuem zur Milch gelangen läßt. Oder es ergeht ihr wie einem, der bereits die Schale zerbrochen hat und eben daran ist, den Kern zu geniefJen, dem man aber sag~ er solle sich wieder über die Schale hermachen, die er doch schon weggeworfen. Der würde die Schale nicht mehr finden und auch am Kerne keinen GenufJ mehr haben, den er doch schon in Händen gehabt, und gliche so einem, der die Beute, die schon in seinem Besitze ist, wieder fahren läflt für eine andere, die er nicht hat. So machen es aber viele, welche in diesem Zustande Anfänger sind. Sie meinen, die ganze Aufgabe bestehe im Nachsinnen und im Erfassen von Einzelerkenntnissen durch Bilder und Vorstellungen, die doch nur die Schale .des Geistigen sind. Wenn sie nun diese in jener liebe- atmenden und wesenhaften Ruhe nicht finden, in der doch 136

ihre Seele verharren möchte und in der sie nichts klar erkennen, meinen sie, sie seien auf dem Irrweg und ver- trügen nur die Zeil Darum suchen sie von neuem die Schale des Nachsinnens, die sie aber nicht finden, weil sie ja schon weg isl Und so haben sie dann keinen GenuD vom Kern, kommen aber auch nicht zum Meditieren, son- dern quälen sich ab, weil sie meinen, es gehe rückwärts mit ihnen und sie seien verloren. Sie sind auch in der Tat verloren, freilieh nieht in dem Sinn, wie sie meinen. Sie sind nämlich verloren für ihre eigenen Sinne und für die urspr~gliche Art der Wahrnehmung und des Erkennens. Aber gerade dies heißt sich das Geistige zu eigen machen, das ihnen mitgeteilt wird. Je weniger klare Erkenntnis sie nämlich hierin haben, um so tiefer dringen sie ein in die Nacht des Geistes, von der in diesem Buche die Rede ist, und die sie doch durchwandern müssen, wollen sie anders zur Vereinigung mit Gott gelangen, der über alles Wissen erhaben isl Bezüglich des zweiten Merkmals ist wenig zu sagen. Man sieht ja schon, daß die Seele in diesem Zeitpunkte kein Bedürfnis hat, an anderen verschiedenartigen Vor- Istellungen, die von dieser Welt sind, Freude zu haben, wenn sie doch schon an solchen, die ihr mehr entsprechen, wie den göttlichen, aus den angegebenen Gründen keinen Geschmack findel Nur pflegt, wie oben bemerkt, die Ein- bildungskraft bei dieser inneren Sammlung abzuschweifen und bald auf dieses, bald auf jenes zu verfallen, jedoch ohne daß die Seele es eigentlich will und daran Freude l~al Im ?egenteil, ~s ist ihr dies vi~lmehr ~einlich, da es Ihren Fneden und Ihre Wonne beemträchhgl Daß nun auch das dritte Kennzeichen, welches in einem allgemeinen und liebenden Erkennen und Auf- merken auf Gott besteht, angebracht, ja notwendig sei, um uns erkennen zu geben, daß man die genannte Be- trachhmgsweise aufgeben könne, darnber noch viele 137

Worte 'LU verlieren, scheint mir nicht notwendig. Es wurde davon ja schon bei Behandlung des ersten Kennzeichens einiges gesagt, und es soll außerdem noch besonders davon geredet werden, wenn wir nach Behandlung aller einzelnen Wahrnehmungen der Erkenntniskraft an pas. sender Stelle von dieser mehr allgemeinen und dunklen Erkenntnis handeln werden. Jedoch wollen wir hier noch einen Grund anführen, aus welchem ersichtlich ist, wie die beschauliche Seele, falls sie den Weg des Betrachtens und Nachsinnens verlassen soll, dieses allgemeine und lie. bende Aufmerken auf Gott und Erkennen Gottes nötig! hat. Und dieser Grund ist: Würde die Seele in diesem Zeit.: punkt nicht zu dieser Erkenntnis und Vergegenwärtigung: Gottes gelangen, so folgte daraus, da& sie nichts täte und nichts hätte. Denn die Betrachtung, in welcher die Seele vermittels ihrer sinnlichen Fähigkeiten durch Nach. denken sich betättigt, hat sie aufgegeben. Die Beschauung jedoch fehlt ihr, dieses allgemeine Erkennen, wie wir's ge- nannt, bei welcher die Seele ihre geistigen Fähigkeiten, Gedächtnis, Verstand und Wille, betätigt hat, und die in diesem Erkennen vereint sind, weil ja in ihnen dieses Erkennen vollzogen und empfangen worden. Folglich wUrde sie ohne alle übung Gott gegenüber sein. Denn die. Seele vermag ja nicht anders sich zu betätigen und nicht anders aufnahmefähig zu sein und nicht anders in ihrer Betätigung zu beharren als mittels jener beiden Kräfte, der sinnlichen und geistigen. Mittels der sinnlichen Fähigkeiten kann sie nämlich, wie schon erwähnt, nachsinnen, for. schen, sich die Kenntnis von Dingen verschaffen. Mittels der geistigen Fähigkeiten hingegen kann sie den Gegen. stand der in diesen Fähigkeiten erworbenen Kenntnisse auskosten, ohne da& diese Fähigkeiten mit mühsamem Untersuchen und Nachsinnen sich abquälen brauchen. Somit besteht kein anderer Unterschied zwischen der Be. tätigkeit der Seele in beiden Fähigkeiten als der ist, d, 138

besteht zwischen Arbeiten und dem Genuü der geleisteten Arbeit oder zwischen dem Empfangen und dem Kosten des Empfangenen, oder auch zwischen der Mühe des Gehens und der seligen Ruhe am erlangten Ziele, oder endlich zwischen dem Zubereiten einer Speise und dem Genuü oder dem Ergötzen an der schon zubereiteten und verdauten Speise. Wäre also die Seele in keiner Weise mit diesen übungen beschäftigt, weder durch Betätigung ihrer sinn- lichen Fähigkeiten, also durch Betrachten und Nachsinnen, noch durch Verarbeitung des durch die geistigen Fäbig- keiten Aufgenommenen, also durch Beschauung und jenes erwähnte einfache Erkennen, wäre sie also in beiden Fähigkeiten untätig, so könnte man doch auf keinen Fall behaupten, daü sie sich betätige. Folglich muü jene Er- kenntnis notwendig vorhanden sein, wenn man den Weg de.s Betrachtens und Nachdenkens verlassen will. Jedoch, hier darf nicht übersehen werden, dafJ dieses allgemeine Erkennen, von welchem eben die Rede war, bisweilen so fein und zart ist, zumal wenn es schon reiner, einfacher und vollkommener, geistiger uQd innerlicher ist, dafJ die Seele, obschon ganz damit beschäftigt, es doch nicht wahrnimmt und nicht fühlt. Und dies ist besonders dann der Fall, wenn, wie gesagt, dieses Erkennen deut- licher, geläuterter, einfacher und vollendeter ist; dies ist es aber, wenn es sich ergiefJt in eine ganz lautere Seele, in eine Seele, die frei ist von anderweitigen Eindrücken und Einzelerkenntnissen, die sich Verstand oder Gefühl zu eigen machen könnten. Weil nun. die Seele diese (Ein- drücke und Kenntnisse) nicht hat, in deren Betätigung der Verstand und das Gefühl eine gewisse Fertigkeit sich angeeignet haben, so nimmt sie dieselben nicht wahr in dem Grade, als ihr die gewohnten sinnlichen Ma6e fehlen. Dies ist auch der Grund, warum der Verstand dieses Er- kennen um so weniger wahrnimmt und es ihm um so 139

dunkler vorkommt, je reiner, 'iollkommener und einfacher es ist. Je weniger rein und einfach es dagegen im Ver. stande wohnt, um so deutlicher und faübarer dünkt es diesem, da es dann umkleidet und vermischt und um- g.eben ist mit gewissen übersinnlich erkennbaren Formen, welche der Verstand oder der Sinn leichter wahrnehmen kann. Dies wird noch verständlicher durch folgenden Ver. gleich: Betrachten wir den Sonnenstrahl, d~r durch das Fenster fällt, so gewahren wir, daü derselbe dem Gesichb3. sinn um so faübarer, erkenntlicher und deutlicher er. scheint, je mehr derselbe mit kleinsten Körperchen und Stäubchen geschwängert ist Und doch ist klar, daü der Sonnenstrahl in diesem Falle weniger rein und klar, uno getrübter und unvollkommener ist, je mehr er von solchen Körperchen und Stäubchen gesättigt ist Und doch be. merken wir, daü er dem leiblichen Auge weniger faübar und dunkler vorkommt, je reiner und freier von solchen Stäubchen er ist; und je reiner er ist, umso dunkler und weniger wahrnehmbar ist er. Wäre also dieser Sonnen. strahl erst vollständig rein und frei von jeglichen Fäser- chen und Stäubchen, auch von den allerfeinsten Stäub. chen, dann wäre er erst den Augen völlig dunkel und unwahrnehmbar; denn es fehlt dann das Sichtbare, das für den Gesichtssinn das erkennbare Objekt abgeben würde. Und so hätte das Auge nichts Sichtbares, auf dem es haften könnte, da ja das Licht nicht das sichtbare Objekt des Gesichtssinnes ist, sondern nur das Mittel, durch welches das Auge das Sichtbare wahrnimmt Wären also simlenfällige Dinge, an denen der Sonnenstrahl ode! das Licht sich brechen kann, nicht vorhanden, so könnte man nichts sehen. Träte also der Sonnenstrahl durc~ eine öffnung ein und durch eine andere wieder aus, ohm auf etwas Körperliches zu fallen, dann würde man offen bar nichts davon gewahren. Aber trotz alledem wäre deI 140

Sonnenstrahl an sich viel reiner und heller, als wenn er, geschwängert mit sichtbaren Körpern, ganz klar sichtbar und wahrnehmbar ist. Ein Gleiches gilt von dem geistigen Licht gegenüber dem Auge der Seele, d. i. dem Verstande, in welches jenes übernatürliche Erkennen, jenes Licht, von dem wir spra- chen, so rein und ungeteilt, so entleert und frei von allen geistig wahrnehmbaren Eindrücken, als den dem Ver- stande entsprechenden Objekten, sich ergießt, daß der Verstand sie nicht wahrnimmt und nicht sieht. Ja, bis- weilen kommt es vor, besonders dann, wenn dieses Licht ganz rein, daß es den Verstand verdunkelt, weil es ihm sein gewöhnliches Licht, seine gewohnten Formen und Phantasiebilder benimmt; und dann gewahrt und bemerkt man das Dunkel gar wohl. Wenn jedoch dieses göttliche Licht sich nicht so mächtig in die Seele ergießt; wenn die Seele weder das Dunkel wahrnimmt noch das Licht sieht, noch auch sonst- wo etwas erkennt, das ihrer Fassungskraft angepaßt ~t, dann ist es ihr manchmal, als hielte sie tiefes Vergessen umfangen. Sie weiß nicht, wo sie ist noch was geschehen. Ja, es kommt ihr vor, als sei überhaupt keine Zeit für sie vergangen. Daher kann es dann kommen, daß sie viele Stunden in diesem Vergessen verbracht hat, während sie, sobald sie wieder zu sich kommt, meint, es sei kaum ein Augenblick, ja überhaupt nichts gewesen. Der Grund dieses Vergessens ist die schon erwähnte Reinheit und Lauterkeit jener Erkenntnis. Sobald sich eben diese reine und klare Erkenntnis der Seele bemächtigt, macht sie auch die Seele rein und frei von allen Eindrücken und Bildern der Sinne und des Gedächtnisses, durch welche sich die Seele in der vorausgehenden Zeit betätigte. So läßt sie die Seele in diesem Vergessen und gleichsam zeitlos. Darum dünkt die Seele ein solches Gebet, auch wenn dieses, wie gesagt, lange gedauert hat, dennoch sehr kurz, und zwar deshalb, 141

!! weil sie dabei vereint gewesen war in reiner Erkenntnis. Diese aber ist über die Zeit erhaben. Und von solch kurzem i Gebete heint es, dass es die Himmel durchdringe, eben weil I i, es nicht an die Zeit gebunden sei. Ja, es durchdringt die Himmel, weil eine solche Seele in himmlischem Erkennen in sich eins geworden ist. So läßt denn dieses Erkennen in der Seele, wenn sie wieder zu sich kommt, die Wir- kungen zurück, welche es in ihr auslöste, ohne dass sie dessen innewurde. Und diese Wirkungen bestehen in einer gewissen Erhebung des Gemütes zu himmlischem Erkennen, sowie in einer Entfremdung und Loslösung von allen Dingen, Formen, Bildern und Erinnerungen an die- selben. Solches hatte auch David an sich erfahren. Und als er aus diesem Vergessen wieder zu sich kam, rief er aus: Vigilavi, et factus sum sicut passer solitarius in tecto. "Ich erwachte; da kam ich mir vor wie ein einsamer Sperling auf dem Dache1)." Er sagt: "wie ein einsamer", das soll heiDen, von allen Dingen entwöhnt und losgeschält. Und weiterhin "auf dem Dache", das soll bedeuten, daß das Gemüt zu Erhabenem erhoben ist. So ist denn die Seele unwissend in allen Dingen, weil sie einzig an Gott denkt, ohne zu wissen wie. So erklärt auch die Braut im Hohenliede die Wirkungen, welche dieses Träumen und Vergessen, dieses Nichtwissen in ihr hervorgebracht, bei der Erzählung, wie sie zum Bräutigam hinabgegangen, mit dem Worte: Nescivi, d. h. "ich wuf~te nicht, woher2)". Und wenn es auch, wie gesagt, der Seele vorkommt, als tue sie nichts und sei mit nichts beschäftigt, weil sie sich nicht mittels der Sinne oder ihrer Fähigkeiten betätigt, so möge sie dennoch flberzeugt sein, dass dies nicht ver- loren und umsonst sei. Wenn auch das Zusammenwirken der Seelenkräfte aufhört, so bleibt doch ihre Erkenntnis in der Weise bestehen, wie wir dargetan haben. Darum 1) Ps 101, 8. I) H16, 11. 142

gab sich auch die Braut im Hohenliede, die doch hierin Erfahrwlg hatte, auf ihren Zweifel selber zur Antwort: Ego dormio et cor meum vigilatl), d.h.: Wenn ich auch mei- nem natürlichen Sein nach schlafe, indem ich alle Tätig- keit einstelle, so wacht doch mein Hen, das in übernatür- licher Weise zu übernatürlichem Erkennen erhoben ist. Und das Kennzeichen, an welchem man ersehen kann, ob die Seele in dieses geheimnisvolle Denken vertieft ist, besteht in der Wallfnehmung, daß sie an nichls mehr zu denken Lust hat, weder an Erhabenes, noch an Ge- meines. & ist dies jedoch nicht so zu verstehen, als müüte etwa dieses Erkennen notwendig jenes Vergessen be- wirken, um so zu sein, wie wir oben gesagt haben. Dies ist nur dann der Fall, wenn Gott die Seele in besonderer Weise loslöst von der Betätigung aller natürlichen und geistigen Fähigkeiten. Das trifft aber nur ganz selten zu. Denn dieses Erkennen nimmt die Seele nicht immer voll- ständig ein. Damit eine hinreichende Erkenntnis in dem vorliegenden Falle vorhanden sei, genügt es, daß der Ver- stand losgelöst sei von jeder besonderen Kenntnis, zeit- licher wie geistiger, sowie daß der Wille keine Lust habe, an die einen oder anderen Dinge zu denken; denn dies ist dann das Kennzeichen, daß die Seele beschäftigt ist. Und an diesem Kennzeichen muß man festhalten, will man er- kennen, daß die Seele in dieses Vergessen versunken ist, wenn dieses Erkennen sich einzig und allein dem Ver- stande mitteilt. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Seele es bisweilen gar nicht einsieht. Denn wenn es sich zugleich auch dem Willen mitteilt, was fast immer zutrifft, dann kann die Seele, wenn sie nur einigermaßen darauf acht- haben will, erkennen, daß sie mit jener Erkenntnis be- gnadigt sei. Sie fühlt sich nämlich in eine gewisse Liebes- wonne versenkt, ohne indes genau zu ~'i8sen, was der 1) Hl5,2. 143

Gegenstand ihrer Liebe ist. Aus diesem Grund heiüt di~ Erkenntnis eine liebevolle und allgemeine. Denn so wiE sie dem Verstande innewohnt, dem sie sich geheimnisvoll mitteilt, so ist sie auch im Willen, in welchem sie ein! gewisse Liebeswonne hervorruft, ohne daü man indes be stimmt sagen könnte, was der Gegenstand der Liebe ist Dies möge vorläufig genügen zum besseren Verständ Dis, wie die Seele ~t dieser Erkenntnis erfüllt sein müsse sofern sie den bisherigen Weg des Nachsinnens verlasset will, und zugleich, daß sie sicher sein könne, sie sei g~ wohl beschäftigt, auch wenn es ihr vorkommt, als tue si~ nichts, sobald sie die genannten Kennzeichen an sich ge wahrt. Zugleich möge man aus dem angeführten Vergleicht ersehen, daü die Seele jenes Licht, das sich dem Verstand wohl faßbarer und sinnenfälliger darbietet, deshalb durch aus nicht für deutlicher, erhabener und reiner halte! dürfe, geradeso wie es auch der Sonnenstrahl nicht isl wenn er von Stäubchen durchsetzt ist. Zudem ist es j nach der Lehre des Aristoteles und der Theologen ein bekannte Tatsache, daß dieses göttliche Licht für unsere Verstand um so dunkler ist, je höher und erhabener es isI Von dieser göttlichen Erkenntnis, sowohl von ihre! Wesen wie von ihren Wirkungen in den beschauliche Seelen, wäre noch vieles zu sagen. Doch wir wollen UD das alles für eine andere Gelegenheit versparen. Den wir möchten in diesen Ausführungen nicht zu weitschweifl werden; sie sollten nur dazu beitragen, in die Lehre OllE diesen Gegenstand ein wenig Licht zu bringen. Sie wird j gleichwohl noch, dessen bin ich mir bewußt, gar dunk~ bleiben. Denn abgesehen davon, daß dieser Gegenstand i Wort und Schrift selten behandelt wird, weil er an sie schon etwas Außerordentliches und SchwerverstAndlichE ist, kommt dazu noch mein schlechter Stil und mei geringes Wissen. Und so fürchte ich, es nicht verständlie genug gegeben zu haben, und ich meine, ich scl oft zu wei 144

schweifig und gehe über die trier gesteckten Grenzen des zu behandelnden Gegenstandes hinaus. Aber ich muß ge- stehen, ich habe es manchmal absichtlich getan. Denn was nicht verständlich wird durch die einen Gründe, wird viel- leicht klarer durch die oder jene Gründe; und aufJerdem meine ich, wird dadurch das Folgende noch in helleres Licht gerückt. Darum scheint es mir angebracht, zum Ab- schluß dieses Teiles meiner Ausführungen noch auf einen Zweifel zu antworten, der etwa bezüglich der Dauer dieser Erkenntnis auftauchen könnte. Dies will ich denn im folgenden Kapitel tun. 13. Kap i tel Wie die Fortgeschritteneren, die eben im Begriffe sind, in diese allgemeine Erkenntnis der Beschauung einzu- gehen, bisweilen sich die natürliche Urteilskraft und die Tätigkeit der natürlichen Kräfte zunutze machen sollen. Es könnte wohl sein, daß sich aus den bisherigen Erörterungen folgender Zweifel ergäbe: Gibt es denn für die Fortgeschritteneren, d. h. für jene, welche Gott zu der soeben erwähnten übernatürlichen Erkenntnis der Be- schauung erheben will, eben infolge dieses Umstandes, daß sie dieselbe zu eigen haben, nie mehr eine Möglichkeit, sich den Weg des Betrachtens und Nachdenkens und der natürlichen Vorstellungen zunutze zu machen? Darauf ist zu ant,vorten: Dies ist nicht so zu verstehen, als ob jene, welche erst im Begriffe sind, diese liebevolle und schlichte Erkenntnis zu erlangen, im allgemeinen nie mehr von der Betrachtung Gebrauch machen oder sich um sie bemühen dürften. Denn zu Beginn ihres Fortschrittes ist die Fertig- keit dieser Erkenntnis in ihnen noch nicht so ausgebildet, daß sie sich nach Belieben sofort in die Betätigung der- selben versetzen könnten. Aus dem gleichen G~unde ha- ben sie sich auch noch nicht so weit frei gemacht von der 145

Übung des Betrachtens, daö sie nicht bisweilen in ge. wohnter Weise betrachten und nachsinnen könnten nach den Vorstellungen und dem Verfahren, das sie gewohnt waren, so daö sie darin nicht wieder Neues fänden. Im Gegenteil, solange sie noch am Anfang (des Fortschrei. tens) stehen, und wenn sie aus den angegebenen Kenn. zeichen ersehen, daö ihre Seele noch nicht jene Ruhe oder Erkenntnis genieöt, werden sie sich des Nachdenkens bedienen müssen, und zwar so lange, bis sie darin eine in gewisser Beziehung vollendete Fertigkeit erlangt haben. Und dies ist dann der Fall, wenn sie jedesmal, sooft sie betrachten wollen, sich sogleich in jene Erkenntnis und jenen Frieden versenkt fühlen, so daö sie nicht mehr be. trachten können und auch keine. Lust mehr haben, dies zu tun. Bis man nämlich auf diese Stufe der Fortgeschrit. tenen gelangt ist, beschäftigt man sich bald auf diese, bald auf jene Weise. So wird sich dann die Seele gar oft in jene liebevolle, befriedigende Nähe Gottes versetzt sehen, ohne daö sie mittels ihrer Kräfte tätig wäre. Oft wird sie sich auch erst durch ruhige und mäöige übung des Nach. denkens in dieselbe versetzen lassen m~sen. Sobald je. doch die Seele einmal in dieselbe versenkt ist, ist sie, wie gesagt, nicht mehr mittels ihrer Kräfte tätig. Dann kanni man vielmehr in Wahrheit sagen, daö die Erkenntnis und Wonne sich in ihr betätigt, ja schon so viel gewirkt ha~ daß die Seele nichts mehr tut, sondern dass sie einzig liebe; voll auf Gott achtet, ohne etwas anderes fühlen oder sehfA zu wollen, als sich von Gott leiten zu lassen. Wenn sir) so die Seele untätig verhält, teilt sich ihr Gott mit, gerade so wie sich das Licht demjenigen mitteilt, der die AUg8 offen hält. Ein solcher tut ja auch weiter nichts als di Augen öffnen. Ebenso ist auch jenes Empfangen des Lich tes, das. auf übernatürlichem Wege ihm eingegossen win als ein Untätigsein zu verstehen. Es hei6t jedoch, daß di Seele sich nicht betätige, nicht, als ob sie überhaupt keil 146

Erkenntnis habe, sondern weil sie nur das erkennt, was ihr nicht auf Kosten ihrer eigenen Tätigkeit zuteil wird, son- dern nur das empfängt, was ihr in den Erleuchtungen, Offenbarungen und Eingebungen von seiten Gottes mitge- teilt wird. Wenngleich aber der Wille frei bleibt bei sol- cher Mitteilung dieser allgemeinen und dunklen Erkenntnis Gottes, so darf die Seele, will sie anders dieses göttliche Licht lauterer und in reichlicherem Maße empfangen, kein anderweitiges faßbareres Licht aus anderen Kenntnissen, Eindrücken oder Bildern irgendwelchen Nachdenkens dar- unter mengen. Denn nich~ von all dem kommt jenem klaren und lauteren Lichte gleich. Wollte sie daher zu dieser Zeit gewisse Objekt.e besonders ins Auge fassen und Erwägungen darüber anstellen, und sollten diese auch noch so geistiger Art sein, so würde sie dadurch das Eindringen jenes erhabenen und einfachen Lichtes des Geistes ver- hindern; sie würde damit gleichsam Wolken dazwischen schieben. Es wäre dabei ähnlich, wie wenn sich jemand einen Gegenstand vor die Augen hielte, der das Sehen un- .möglich machte und ihm so das Licht und den Ausblick ! benähme. ~Daraus geht deutlich hervor, daß die Seele, sobald sie einmal sich frei gemacht und losgelöst hat von all den Ein- drücken und sinnenfälligen Bildern, eingehen wird in jenes reine und lautere Licht und darin umgestaltet werden wird in den Stand der Vollkommenheit. Denn dieses I..icht fehlt niemals in der Seele; doch kann es sich infolge der ge- I schöpftichen Formen und Hüllen, von denen die Seele be- Ideckt und umhüllt ist, in sie nicht ergießen. Sobald sie sich aber dieser Hindernisse und Hüllen vollständig ent- ledigt und sich der vollen Entäußerung und Armut des Geistes hingibt, wird die Seele, selber schon lauter und rein, umgestaltet in die lautere und reine göttliche Weis- heit, die da ist der Sohn Gottes selber. Wenn nämlich der in Liebe gefangenen Seele das Natürliche entschwindet. 147

gier,t sich ihr das Göttliche in natürlicher und übernatür. licher Weise ein, auf daß es in dem Natürlichen keinen leeren Raum gebe. So lerne denn der geistliche Mensch, in liebendem Auf. merken auf Gott zu verharren und den Verstand ruhen zu lassen, wenn er nicht mehr betrachten kann, wenn es ihm auch vorkommt, als tue er nichts. Dann wird sich so nach und nach und zwar sehr bald die Ruhe und der Friede Gottes in seine Seele ergießen zusammen mit wunderbaren und erhabenen Kenntnissen von Gott, die da eingehüllt sind in die göttliche Liebe. Auch hüte er sich (zu dieser Zeit), sich mit Eindrücken und Bildern und Betrachtungen oder mit Nachsinnen abzugeben; denn er würde dadurch nur seiner Seele die Ruhe rauben und sie aus ihrer Zufrie. denheit und ihrem Frieden reißen und einem Zustande überliefern, in dem sie nur Unbehagen und Widerwillen findet. Sollte ihm dabei, wie schon angedeutet, das Beden. ken kommen, als tue er nichts, so sage er sich, daß er sicher nicht wenig leiste, wenn er nur die Seele beruhigt und sie der Ruhe und dem Frieden zuführt, ohne etwas zu tun oder zu verlangen. Dies ist es, was Gott durch den Mund Davids von uns fordert, wenn er sagtt): Vacate et videte quoniam ego sum Deus. "Lernet leer zu sein von allen Dingen (innerlich wie äußerlich), dann werdet ihr sehen, daß ich Gott bin." 1) Ps 45, 11. 148


III Teil Erkennen und Glauben in ihren Beziehungen zu den übernatürlichen Wahrnehmungen 14. Kap i tel Von den Wahrnehmungen der Einbildungskraft, welche die Phantasie auf übernatürlichem Wege aufnimmt. - Auch sie können der Seele nicht nächstes Mittel zur göttlichen Vereinigung sein. Nachdem wir bisher von den Wahrnehmungen gehan- delt haben, welche die Seele auf natürlichem Wege in sich aufnehmen und in denen die Einbildungskraft und Phanta- sie zusammen rojt eigenem Nachdenken sich betätigen kann, ist es angebracht, daß wir nunmehr zur Behand- lung der übernatürlichen (Wahrnehmungen) übergehen, die man Visionen der Einbildungskraft nennt. Da auch sie einem Bilde, einer gewissen Form und Gestalt unterworfen sind, gehören auch sie, ebenso wie die natürlichen, diesem Sinne an. Wohlgemerkt, wir möchten unter der Bezeich- nung "Visionen der Einbildungskraft" alle jene Dinge ver- standen wissen, welche unter irgendeinem Bilde, einer Form oder Gestalt oder einem Gleichnis auf übernatür- lichem Wege der Einbildungskraft dargeboten werden kön- nen, und zwar in möglichst vollkommener Art, die ferner sich lebhafter und vollkommener einprägen und anregen, als dies sonst nach der natürlichen Ordnung der Sinnes- tätigkeit der Fall ist. Denn all die Arten von Wahr- nehmungen, welche von den fünf Sinnen des Leibes der 149

Seele vermittelt werden und auf natürlichem Wege haften bleiben, können auch auf übernatürlichem Wege in ihr sein und ihr ohne die geringste Mitwirkung der äußeren Sinne dargeboten werden. Dieser Sinn, die Einbildungskraft und das Gedächtnis, ist nämlich gleichsam das Archiv und das Behältnis für den Verstand, in welchem alle Eindrücke und alle mit der Vernunft erkennbaren Bilder aufgespeichert werden. Und so bewahrt er dieselben wie in einem Spiegel auf, nachdem er sie durch Vermittlung der fünf Sinne, oder, wie wir sagten, übernatürlich in sich aufgenommen. Und so bietet er sie auch dem Verstande dar, der nun dieselben in den Bereich seiner Betrachtung zieht und darüber sein Urteil abgibt. Und nicht nur dies bringt er zustande, son. dern er kann auch noch andere jenen ähnliche (Bilder) von Dingen, die ihm bekannt sind, gestalten und sich vorstellen. Wie nun die fünf äußeren Sinne die Bilder und Ge.

stalten ihrer Objekte diesen inneren Sinnen darbieten und

vorstellen, ebenso kann auch Gott und der Teufel auf über. natürlichem Wege ohne Vermittlung der äußeren Sinnes. organe die gleichen Bilder und Gestalten, und zwar in noch größerer Schönheit und Vollendung hervorbringen. So stellt dem1 Gott unter solchen Bildern sehr häufig der Seele viele Dinge vor und lehrt sie dadurch große Weisheit, wie in der Heiligen Schrift allenthalben zu sehen ist. So schaute z. B. Isaias Gott in seiner Herrlichkeit unter der Rauch. wolke, welche den Tempel umhüllte, sowie unter dem Bilde der Seraphim, welche mit den Flügeln Gesicht und Fü&e bedeckten!). Jeremias schaute den wachenden Stab') und .Daniel eine Menge von VisionenB). Aber auch der Teufel sucht mit seinen scheinbar guten Bildern die Seelen zu täuschen. So ist im dritten Buche der Könige zu lesen, wie er alle Propheten Achabs hinterging, indem er ihrer Phantasie Hörner vorspiegelte, mit denen vorgeblich die Assyrier vernichtet werden sollten. Und es war doch eine ') Is 6, 4. 2) Jr 1, 11. 3) Dn 7, 10. 150

Lüget). Ähnlich war es auch mit den Visionen, welche die Frau des Pilatus hatte, denen gemäß dieser den Heiland nicht verurteilen sollte, sowie mit vielen anderen. Dara~s ersieht man, wie diese Visionen der Einbildungskraft in dem Spiegel der Phantasie den Fortgeschrittenen viel häu. figerzuteil werden als die äußeren, körperlichen. Sie unter- scheiden sich von denen, die durch die äußeren Sinne ver. mittelt werden, nicht durch ihre Bildlichkeit; wohl aber sind sie von jenen sehr verschieden hinsichtlich der Wir. kung, die sie hervorbringen, sowie hinsichtlich ihrer Voll. endung. Sind sie ja doch viel erhabener und bringen in der Seele eine größere Wirkung hervor, weil sie zugleich flbernatürlich und innerlicher sind als die übernatürlichen äußeren Visionen. Dies hindert indes nicht, daß dennoch manche körperliche Visionen unter diesen äußeren eine höhere Wirkung hervorbringen, weil es schließlich doch auf Gott ankommt, wie er die Mitteilung wirken lassen will. Doch meinen wir hier diese nur, insofern sie mehr geistiger Art sind. Dieser Sinn der Einbildungskraft und der Phantasie ist es, dessen sich der Teufel mit seinen bald natflrlichen, bald übernatürlichen Ränken gewöhnlich bedient. Denn er ist die Türe und der Eingang zur Seele, und hierher kommt, wie wir schon sagten, der Verstand wie in einen Hafen oder an einen Vorratsplatz, um davon wegzunehmen oder stehen zu lassen. Dahin kommen denn auch Gott und der Teufel mit ihrem Geschenk von Bildern und Gestalten, um sie dem Verstande anzubieten. Indes, Gott bedient sich nicht allein dieses Mittels, um die Seele zu unterweisen; er wohnt ja wesentlich in ihr und kann sie darulll unmittelbar durch sich selbst wie auch durch andere Mittel belehren. Doch, ich will mich hier nicht damit aufhalten, eine Ab- handlung zu bringen über die Merkmale, aus denen man erkennen kann, welche Visionen von Gott stammen und I) 8 K g22, 11. 151

welche nicht. Das ist jetzt nicht meine Absicht. Ich möcht nur eine Anweisung geben, damit sich der V erstand nic~ etwa der guten (Visionen) wegen selber Verlegenheiien un Hindernisse bereite für die Vereinigung mit der göttliche Weisheit, noch auch sich täuschen lasse durch die falsche! Darum erkläre ich: Von all diesen Wahrnehmunge und Visionen der Einbildungskraft und anderen dergle ehen Bildern und Eindrücken, welche sich in irgendwelchE Form oder einem Bild oder einer besonderen Erkenntni darbieten, mögen sie nun unecht sein, also vom Teuft stammen, oder mögen sie echt sein und von Gott stammet darf sich der Verstand nicht verwirren und einnehmen lw sen. Aber auch die Seele darf sie nicht zulassen oder b4 sitzen wollen, damit sie ungehemmt, entäußert, rein UD lauter sei, wie es zur Vereinigung mit Gott notwendig is Der Grund hievon liegt darin, daß all die genannte Formen sich, wie schon erwähnt, bei ihrer WahrnehmuD stets in irgendeiner beschränkten Art und Weise offel baren; die göttliche Weisheit hingegen, mit der sich dE Verstand vermählen soll, kennt keine Art und Weise UD ist erhaben Ober jede Schranke einer bestimmten Einze erkenntnis, denn siß ist durch und durch lauter und eil fach. Sollen sich nun zwei Gegensätze, wie die Seele UD die göttliche Weisheit es sind, miteinander vereinigel dann mOssen sie unbedingt in einer gewissen Art vo gegenseitiger Ähnlichkeit zusammentreffen. Darum mu auch die Seele rein und einfach sein, nicht beschränkt UD gebunden an irgendeine Einzelerkenntnis, nicht eingeen! von irgendwelcher Schranke von Form, Gattung oder Bill Gott ist ja erhaben Ober Form und Bild, erhaben nbI Einzelerkenntnis. Also muß auch die Seele, soll sie m Gott eins werden, erhaben sein Ober Form und genau UD grenzten Begriff. Daß es für Gott keine Form und nichts ihm Ähnlich! gibt, bezeugt die Heilige Schrift im Buche Deuteronomiul 152

mit den Worten: Vocem verborum ejus audistis, et formam penitus non vidistis. "Die Stimme seiner Worte hörtet ihr, wohl, aber eine Gestalt sahet ihr nichtl)." Wohl aber heirat es an der gleichen Stelle, dass es alldort Finsternis, Wolken und Dunkalheit gegeben habe. Dadurch soll angedeutet sein die nebelhafte und dunkle Erkenntnis, in der sich, wie gesagt, die Seele mit Gott vereinigt. Und an einer weiteren Stelle heirat es: Non vidistis aliquam similitudinem in die, qua locutus est vobis Dominus in Horeb de medio ignis. "Ihr sahet am Tage, da der Herr mitten aus dem Feuer zu euch sprach am Horeb, kein Bild, das ihm glich2)." Dan ferner die Seele mittels irgendwelcher Formen und Gestalten nicht zu jener hienieden erreichbaren Höhe Gottes gelangen kann, auch das bezeugt die Heilige Schrift im Buche Numeri. Hier lesen wir nämlich, wie Gott den Aaron und die Myriam, die Geschwister des Moses, tadelt, weil sie wider ihn gemurrt. Er wollte ihnen bei dieser Ge- legenheit zu vetstehen geben, zu welch erhabenem Stand der Vereinigung und Freundschaft er den Moses erhoben habe, indern er sprach: Si quis fuerit inter vos Propheta Domini, in visione apparebo ei, vel per somnium loquar ad illum. At non talis servus meus Moyses, qui in omni domo mea fidelissimus est: ore enim ad os loquor ei, et palam, et non per aenigmata et figuras Dominum videt. "Ist jemand unter euch ein Prophet des Herrn, dem will ich in einern Gesichte erscheinen oder in einem Traum mit ihm reden. Doch nicht so bei meinem Diener Moses, der unter meinem ganzen Volke der Treueste ist. Denn von Mund zu Mund rede ich mit ihm; offen und nicht durch Rätsel und Gleichnisse schaut er den Herrn!)." Daraus geht deutlich hervor, da~ Gott in diesem er- habenen Zustand der Liebesvereinigung, vo.n dem eben die Rede war, sich der Seele nicht mitteilt unter der Hülle einer Vision der Einbildungskraft oder eines Gleichnisses t) Dt 4.12. 2) Dt 4,15. 11) Nm 12,6 ff. 153

noch sonst eines Bildes, ja, dau dies alles nichts mit ihr zu tun haben darf, sondern dafj er vielmehr von Mund zu Mund mit ihr verkehrt, d. h. in der reinen, blofjen gött- lichen Wesenheit, welche gleichsam der Mund Gottes ist in der Liebe, sich der reinen und biogen Wesenheit der Seele mittels des Willens mitteilt, welcher der Mund der Seele in ihrer Liebe zu Gott ist. Will also die Seele zu solch vollkommener Vereinigung mit Gott gelangen, so mufj sie vor allem darauf achten, dafj sie ja nichts auf I die Visionen der Einbildungskraft gebe noch auch auf i Eindrücke, Gestalten oder besondere Erkenntnisse, da sie ihr ja nicht entsprechendes und nächstliegendes Mittel zu etwas so Vollkommenem sein können; im Gegenteil, sie würden ihr nur hinderlich sein. Und darum muu sie darauf verzichten und dafür sorgen, dafj sie davon frei bleibe. Sollte man sie trotzdem einmal zulassen und schätzen, dann wäre es nur wegen des Vorteils und der guten Wirkung, welche die echten Visionen in der Seele hervorrufen. Allein zu diesem Zweck braucht man sie nicht zuzulassen; sondern man soll sie nur stets abweisen, weil dies gröfjeren Nutzen bringt. Denn das Gute, das diese Visionen der Einbildungs- kraft wie auch die äuueren leiblichen Visionen in der Seele wirken können, besteht darin, dafj sie ihr Erkenntnis oder Liebe und Wonne mitteilen. Damit sie aber diese Wirkung hervorbringen, ist es nicht notwendig, dafj man nach ihnen Verlangen trage. In dem Augenblick nämlich, da sie vor die Einbildungskraft treten, wirken sie schon in der Seele oder gieoon ihr die Erkenntnis, Liebe und Snfjigkeit ein, die sie nach dem Willen Gottes wirken sollen. Und dies nicht blo& so nebenher, sondern an erster Stelle, wenn. schon sie gleichzeitig in der Seele ohne deren Zutun ihre Wirkung hervorbringen, ohne da& es ihr, selbst wenn sie wollte, möglich wäre, diese Wirkung zu verhindern, gleich- wie sie selber nichts dazutun konnte, sie zu erlangen, auch wenn sie sich dazu vorbereitet hätte. 154

Es verhält sich damit ähnlich wie mit einem Glas- fenster. Auch dieses kann seinerseits nicht hindern, daß der SonnenstraW darauf fällt. Es läßt solches einfach an sich geschehen, einzig dadurch, dafa es infolge seiner Durchsichtigkeit dafür empfänglich ist, so daß der Sonnen- strahl es durchleuchtet, ohne daß dieses etwas dazu bei- trägt. So kann auch die Seele beim besten Willen nicht anders als die Einwirkungen und Mitteilungen jener bild- haften Dinge in sich aufnehmen, mag sie sich auch noch so sehr dagegen sträuben. Denn der rein negativ gerichtete Wille kann mit demütiger und liebender Resignation jenen übernatürlichen Einflüssen nicht Halt gebieten; das kann nur durch die Unreinheit und die Unvollkommenheiten der Seele geschehen, geradeso wie auch bei einem Glasfenster die darin sich befindlichen Flecken ein Hindernis sind, daß das Licht nicht mit voller Helligkeit durchfallen kann. Daraus ist also deutlich zu ersehen: Je mehr die Seele sich dem Willen und der Neigung nach frei macht von den Flecken der Wahrnehmungen, Bilder und Gestalten, in welche die eben erwähnten geistlichen Mitteilungen gleich- sam eingehüllt sind, desto mehr beraubt sie sich nicht nur nicht jener Mitteilungen und Güter, die sie bewirken, nein, sie macht sich dadurch nur um so mehr empfänglich, die- selben in noch reicherer Fülle, um so größerer Klarheit, Freiheit des Geistes und Einfalt in sich aufzunehmen; aber erst, nachdem sie alle jene Wahrnehmungen, welche gleich- sam die Schleier und Hüllen sind, die das Geistigste. das dahinter verborgen ist, umgeben. Und so nehmen sie Sinn und Geist gefangen, wenn man in ihnen seine Lust suchen will, und zwar derart, dafa das Geistige sich nicht mehr schlicht und frei mitteilen kann. Denn da der Verstand wie mit einer Rinde umgeben ist, so kann er offenbar nicht mit voller Freiheit jene Formen in sich aufnehmen. Wollte also die Seele auf diese Dinge Gewicht legen und nach ihnen Verlangen tragen, so hieße dies nichts 155

anderes als sich selbst Hinderlllsse bereiten und sich mit dem Geringeren begnügen, das darin enthalten ist, nämlich mit all dem, was sie von ihnen wahrnehmen und erkennen kann, also jene Form und jenes Bild und jene Einzel. erkenntnis. Die Hauptsache aber an ihnen, das Geistige, das ihr eingegossen wird, das vermag sie weder wahrzu- nehmen noch zu verstehen, noch auch weiß sie, wie es be. schaffen ist oder wie man es nennt; denn es ist rein gei- stiger Art. Das einzige, was sie daran versteht, ist eben das, was ihrem Erkenntnisvermögen angepant ist, nämlich die dem Sinne entsprechenden Formen; das aber ist das Mindeste daran. Darum behaupte ich: Wenn die Seele sich passiv verhält, und wenn sie ihrerseits nichts zum Ver. ständnis beiträgt, ja nicht einmal etwas beizutragen ver. steht, dann wird ihr in solchen Visionen das mitgeteilt, was sie selber nie verstehen noch sich vorstellen könnte. Darum mun man stets die Augen der Seele abwenden von all diesen Wahrnehmungen, die sie sehen und deutlich erkennen kann. Denn dies alles wirkt nur auf die Sinne ein, ohne indes einen sicheren Grund fllr den Glauben zu legen. Dagegen soll man die Augen auf das richten, was man nicht sieht, und was mit den Sinnen nichts zu tun ha~ sondern was geistig ist, was also nicht in den Bereich d~ Sinnenfälligen gehört. Dies ist es erst, was die Seele zur Vereinigung im Glauben erhebt, der, wie gesagt, das ge. eignete Mittel dazu ist. Und so werden denn auch diese Visionen ihrem Wesen nach der Seele im Glauben förder. lich sein, sofern sie es nur gut versteht, von dem einzelnen Sinnenfälligen und Erkennbaren an ihnen abzusehen und sich den Zweck zunutze zu machen, um dessentwillen sie Gott der Seele verleiht, indem sie dieselben von sich weist Denn Gott verleiht sie nicht, wie wir von den leiblichen (Visionen) sagten, damit die Seele sie hinnehme und darin ihr Genllgen finden soll. 156

Hier könnte sich nun folgender Zweifel aufdrängen: Wenn es wahr ist, daß Gott der Seele die übernatürlichen Visionen nicht dazu verleiht, damit die Seele di~elben nur hinnehme und sich auf dieselben stütze und sich auf sie etwas zugute tue, warum gibt sie ihr dann Gott, wenn doch die Seele mit ihnen in viele Irrtümer und Gefahren, zum mindesten in die hier beschriebenen Ungelegenheiten ge. rät, zumal doch Gott der Seele all das, was er ihr durch die Sinne vermittels der genannten Visionen und sinnen. fälligen Formen mitteilt, ebensogut auch geistigerweise und dem Wesen nach verleihen kann? Wir wollen diese Frage beantworten; und es ist diese 'Belehrung nach meinem Da- fürhalten sehr wichtig und notwendig sowohl für die geist. lichen Seelen selbst wie auch für deren Führer. Es wird darin nämlich über den Gang und den Zweck, den Gott da- bei verfolgt, Aufschluß gegeben. Weil jedoch viele darin nicht Bescheid wissen, so vermögen sie sich weder selbst noch andere auf dem Wege zur Vereinigung richtig zu leiten. ~ie meinen, schon deshalb, weil sie dieselben als echt und von Gott stammend erkennen, sei es gut, sie zu- zulassen, und dürfe man sich in ihrem Besitze sicher fühlen. Sie übersehen aber hiebei, daß die Seele auch in diesen Dingen wie in den Geschöpfen der Welt nur sich selbst findet, sich an sie hängt und darein verwickelt, wenn sie sich nicht wie von jenen, so auch von diesen frei zu machen versteht. Da meinen sie dann klug zu handeln, wenn sie die einen annehmen und die anderen abweisen. Aber gerade dadurch stü.'zen sie sich selbst und die (zu leitenden) See- len in große Mühsal und Gefahr, indem sie schließlich nicht mehr die echten von den unechten zu unterscheiden wissen. Gott will weder ihnen selbst diese Mühe bereiten, noch will er, daß sie die einfältigen und schlichten Seelen in solche Gefahr und solchen Zwiespalt verwickeln. Haben sie ja doch die gesunde und sichere Lehre, den Glauben, in dem sie voranschreiten sollen. D~es ist aber nur mög- 157

lich, wenn man seine Augen gegen alles versehlie&t, WI sinnenfällig ist, und was nach klarer und besonderer E kenntnis aussieht. Obschon St. Petrus der Vision gaJ sicher war, in der er Christus den Herrn in der Verklärw geschaut -er erzählt davon in seinem zweiten kan nischen Briefe --, wollte er doch nicht, dafJ man ihn a Hauptzeugen gelten lasse, sondern er wies hin auf d4 Glauben, indem er sprach: Et habemus firmiorem proph ticum sermonern: cui benefacitis attendentes, quasi lucE nae lucenti in caliginoso loco. "Wir haben ein noch z verlässigeres l.eugnis" als diese Vision auf Tabor, nämlil die Worte und Aussprüche der Propheten, welche VI Christus Zeugnis ablegen. "Ihr tut gut, wenn ihr euch dar! haltet als an eine Leuchte, die im Finstern Licht ve breitetI)." Wenn wir diesen Vergleich näher besehen, : finden wir darin die Lehre, die wir eben hier 'Vortragt wollen. Wenn es nämlich heifJt, wir sollten hinschauen a den Glauben, den die Propheten verkündet, als auf e~ Leuchte, die an dunklem Orte leuchtet, so will das hei~ wir sollen im Dunkel bleiben und die Augen jedem andefl Lichte verschliefJen; und in dieser Finsternis solle d Glaube allein, der ja ebenfalls dunkel ist, das Licht sei auf das wir uns verlassen sollen. Denn wenn wir uns a andere helle Lichter, nämlich auf bestimmte ErkenntniSI verlassen wollen, dann verlassen wir uns schon nicht me auf das Dunkel des Glaubens, und der Glaube spendet w um mit St. Petrus zu reden, nicht mehr Licht an dunklE Orte. Unter diesem Orte ist hier der Verstand gemeu auf dem, wie auf einem Leuchter, das Licht des Glaube ruht. Und dieser muss dunkel bleiben, bis im andell Leben der Tag der klaren Anschauung Gottes anbrie und in diesem Leben der Tag der Umgestaltung 01 Vereinigung mit Gott, welchem die Seele entgege wandelt. 1) 2 Ptr 1, 19. 158

15. Kapitel über das Ziel und den Weg, den Gott verfolgt, wenn er der Seele mittels der Sinne die übernatürlichen Güter mitteilt. -Antwort auf die aufgeworfene Frage. über das Ziel und den Weg, den Gott bei Mitteilung dieser Visionen verfolgt, um eine Seele aus ihrer Armselig- keit zur göttlichen Vereinigung zu erheben, wäre viel zu sagen. Alle geistlichen Bücher handeln davon. Auch in dieser unserer vorliegenden Abhandlung haben wir kein anderes Ziel vor Augen, als dies zu erklären. Darum will ich auch in diesem Kapitel darüber nur so viel sagen, als zur Lösung unserer Frage notwendig ist. Und diese Frage lautete: Wenn doch in diesen übernatürlichen Visionen so viele Gefahren und Hindernisse für den Fortschritt lie- gen, wie kommt es dann, daß Gott, der doch unendlich weise ist und die Seelen so gern vor Hindernissen und Fallstricken bewahren will, dieselben dennoch mitteilt und anbietet? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir drei Grundsätze anführen. Der erste findet sich bei St. Paulus in seinem Brief an die Römer. Hier heißt es: Quae autem sunt, a Deo ordinatae sunt. "Die Dinge, die da bestehen, sind von Gott geordneV)." Der zweite stammt vom Heiligen Geist und steht im Buche der Weisheit: Disponit omnia suaviter'). "Die Weisheit Gottes ordnet alle Dinge lieblich an", obwohl sie von einem Ende zum anderen, d. h. von einem Extrem zum anderen reicht. Der dritte ist entnom- men der Lehre der Theologen und lautet: Deus omnia movet secundum modum eorum, d. h.: Gott setzt alle Dinge nach ihrer Art in Bewegung. Aus diesen Grundregeln er- gibt sich also mit Sicherheit: Will Gott eine Seele vorwärts- bringen, d. h. sie von dem einen Ende und Extrem ihrer I) Röm18, 1. 2) Weish 8,1. 159

Niedrigkeit zu dem anderen Ende und Extrem der Hi seiner göttlichen Vereinigung erheben, so muß er dies I Ordnung entsprechend, ganz sachte und entsprechend I Verfassung eben dieser Seele vollziehen. Mag nun die SE zur Erkenntnis gemeinhin auf dem Wege der Formen , Bilder, die sie sich aus den geschaffenen Dingen holt, langen, oder mag sie ihr Erkennen und Wissen durch' mittlung de.r Sinne erlangen, so wird Gott diesen Tatsacl Rechnung tragen, wenn er die Seele zur höchsten Erker. nis erheben will. Will er dies also recht sachte zuw bringen, so muss er damit beginnen, daß er die SI gleichsam ganz unten, bei dem untersten Ende der Si anfaßt und sie so, entsprechend ihrer Verfassung, iml höher führt bis zum entgegengesetzten Ende, nämlich geistigen Weisheit, die nicht mehr in den Bereich Sinne fällt. Deshalb unterweist er erst die Seele du Vorstellungen, Bilder und auf sinnenfälligen Wegen, ihrer Erkenntnisfähigkeit angepaut sind, bald durch na liche, bald durch übernatürliche, ferner auch durch eige Gebrauch der Vernunft, und hebt sie so allmählich: höchsten göttlichen Geiste empor. Das ist also der Gn warum Gott der Seele die Visionen und Vorstellungen Bilder und die übrigen durch die Sinne, durch die Vernl und den Geist erfaubaren Kenntnisse mitteilt. Es gesch das nicht darum, weil etwa Gott der Seele nicht gl auf einmal das Wesen des Geistigen mitteilen wollte, " es überhaupt möglich wäre, zwei Gegensätze wie di menschlich und göttlich, sinnlich und geistig, auf gew4 lichem Wege und in einem einzigen Akte zu vereini ohne daß erst zuvor noch viele andere vorbereitende J notwendig \vären, welche wiederum geordnet und hai nisch miteinander übereinstimmen sollen, indem die e Stütze und Vorbereitung für die anderen bilden. Es hiebei nicht anders wie in der Natur, wo die einen KI anderen und diese wieder anderen dienen. 160

Ähnlich geht auch Gott zu Werke, indem er den Men- schen nach Menschenart zur Vollkommenheit führt, von der untersten Stufe der Äußerlichkeit auf die höchste Stufe der Innerlichkeit. Darum führt er zWlächst die leiblichen Sinne zur Vollkommenheit, indem er den Menschen dazu bringt, von den vollkommenen, natürlichen äuüeren Dingen einen guten Gebrauch zu machen, z. B. Predigten anzuhören, der heiligen Messe beizuwohnen, heilige Gegenstände an- zusehen, seine Gaumenlust im Essen abzutöten, sich Buß- übungen aufzulegen und dadurch den Tastsinn in heilsamer Zucht zu halten. Sind sodann diese Sinne einigermaüen zubereitet, dann vervollkommnet er sie noch weiter, indem er ihnen mancherlei übernatürliche Gnadenerweise und Er- quickungen zuteil werden läüt, um sie im Guten mehr und mehr zu festigen. Auch bietet er ihnen manche flbernatflr- liehe Mitteilungen wie z. B. Visionen von Heiligen, heilige Dinge in leiblicher Gestalt, liebliche Wohlgerflche und An- sprachen, sowie höchste Wonne des Tastsinnes. Dadurch wird der sinnliche Mensch gar sehr in der Tugend gefestigt und macht sich los von dem Gelflsten nach bösen Dingen. Auberdem fflhrt er auch noch zugleich die leiblichen in- neren Sinne, wie Einbildungskraft und Phantasie, von denen bereits die Rede war, der Vervollkommnung ent- gegen und gewöhnt sie durch fromme Betrachtungen, Er- wägungen und heilige Gedanken an das Gute und unter- ' weist in alledem den Geist. Sind nun diese Sinne in solcher natürlichen Schulung zubereitet, dann pflegt sie Gott durch flbernatflrliehe Visionen -wir nannten sie hier Visionen der Einbildungskraft -zu erleuchten und noch mehr zu vergeistigen. Denn der Geist wird durch sie mächtig geför- dert, da er durch die einen wie durch die anderen immer mehr verfeinert und sehr gebildet wird. Auf diese Weise führt Gott die Seele von Stufe zu Stufe empor bis zur höchsten Innerlichkeit. Man darf indes nicht denken. als mflBte Gott unbedingt jedesmal genau 161

die angegebene Reihenfolge von Anfang bis zu Ende halten; nein, Gott bewirkt oft das eine ohne das an( durch eine intensivere (Innerlichkeit) eine weniger gehende Innerlichkeit, alles, wie er es für die Seele befindet, oder wie er ihr seine Gnaden zuwenden will. gewöhnliche Weg entspricht jedoch dem angedeuteteIJ dieser Weise also yerfährt Gott, wenn er eine Seele UI weisen und ins geistige Leben einführen will. Er f damit an, daß er ihr das Geistige unter mehr äußt handgreiflichen, den Sinnen angepaßten Dingen mit so, wie es der Armseligkeit uild geringen Aufnahmef~ keit der Seele entspricht. Unter der Hülle dieser sin fälligen, an sich guten Dinge betätigt sich der Gei~ einzelnen Handlungen, nimmt immer wieder neue Bi geistiger Mitteilung in sich auf, bis er es schließlich so bringt, daß er in geistigen Dingen eine gewisse Ferti~ bekommt und so immer mehr zum Wesen des Geis1 durchdringt, das nichts gemein hat mit allem, was sin fällig ist. Soweit kann es indes die Seele nur ganz lan~ bringen, und zwar nur auf ihre Art, nämlich mittels Sinne, an die sie immer gebunden ist. Je näher S(J Seele in ihrem Verkehr mit Gott dem rechten G, kommt, um so mehr macht sie sich los und ledig von Wegen, die ihr die Sinne weisen, nämlich von dem schenden Nachdenken und der Betrachtung mittels der bildungs kraft. Sobald sie sich einmal zum geistigen kehr mit Gott vollständig durchgerungen hat, mu~ auch in allem, was sich auf Gott bezieht, völlig frei von dem, was in den Bereich der Sinne gehört. So ist es auch in der Welt der Dinge: je mehr etwas dem einen Extrem nähert, desto weiter entferII sich damit von ,dem anderen Extrem; und ist es erst mal mit dem einen völlig eins, dann ist es auch von anderen ganz getrennt. Darum heißt es gemeiniglicl einem geistlichen Sprichwort: Gustato spiritu desipit 0] 162

caro. ,.Hast du einmal gekostet des Geistes Wonne, schmeckt schal dir jeglichen Fleisches Lust", das will sagen: alle Wege des Fleisches, d. i. alles sinnliche Treiben in geistlichen Dingen, fördert nicht mehr und schafft keinen Genuß. Das ist ja klar: handelt es sich um etwas Geistiges, dann fällt es nicht mehr in den Bereich der Sinne; ist es aber derart, daß es die Sinne fassen können, dann ist es nicht mehr reiner Geist. Denn je mehr die Sinne und das natürliche Fassungsvermögen davon erkennen können, desto weniger ist vom Geistigen und übernatürlichen darin zu finden. Darum legt auch der vollkommen geistliche Mensch keinen Wert auf die Sinne und nimmt auch nichts mehr durch deren Vermittlung an; ja, er bedient sich ihrer auch nicht mehr in seinem Verkehr mit Gott, wie er es ehedem getan, als er noch nicht so zugenommen hatte an Geist, da er ihrer nicht mehr bedarf. Dies drückt auch St. Paulus in seinem Brief an die Korinther aus in den Worten: Cum essern parvulus, loquebar ut parvulus, sapie- bam ut .parvulus, cogitabam ut parvulus. Quando autem factus sum vir, evacuavi, quae erant parvuli. "Als ich noch ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Als ich ein Mann ge- worden, habe ich das Kindische abgelegV)." Wir haben bereits angedeutet, daß die sinnenfälligen Dinge sowie die Erkenntnis, welche der Geist aus ihnen ziehen kann, zum Tun eines Kindes gehören. Wollte also die Seele stets an ihnen hangenbleiben und sich nie von ihnen losmachen, dann würde sie immer ein kleines Kind bleiben; sie würde stets von Gott reden wie ein Kind, würde von Gott denken wie ein Kind, würde von Gott ur- teilen wie ein Kind. Und weil 'sie immer an der Ober- fläche des Sinnenfälligen, d. i. dem Kindischen, haften- bliebe, würde sie nie in das Wesen des Geistigen ein- dringen, d. h. nie zum vol1kommenen Mannesalter gelan- I) lKorl~ 11. 163

gen. Darum darf auch die Seele, wenn sie Forl.;chritte machen will, kein Verlangen tragen nach den genannten Offenbarun~n, selbst wenn Gott sie ihr anbietet, gerade. so wie auch das Kindlein auf die Mutterbrust verzichten muß, um den Gaumen an gediegene und festere Kost zu ge. wöhnen. Da werdet ihr mir nun entgegenhalten: Darf also die Seele, solange sie sich noch im Kindheil.;stadium befindet, nach jenen Offenbarungen Verlangen tragen, und soll sie i erst darauf verzichten, wenn sie zu gröfJerer Reife gelangt ist, wie auch das Kindlein der Mutterbrust bedarf, um sich am Leben zu erhalten, bis es dann gröfJer geworden ist und infolgedessen dieselbe lassen kann? Darauf diene zur Antwort: Was die Betrachtung und das natürliche Nachdenken betrifft, worin die Seele anfänglich Gott such~ so ist es richtig, dafJ sie in diesem Stadium die Mutterbrust des SinnenfAlligen um ihrer Selbsterhaltung willen nicht verlassen darf, bis sie so weit vorangeschritten ist, dafJ sie dieselbe aufgeben kann. Dies ist dann der Fall, wenn Gott die Seele in einen mehr geistigen Verkehr einführt in der Beschauung, wovon wir bereil.; im elften Kapitel di~ Buches unsere Lehre niedergelegt haben. Wo es sich je. doch um Visionen der Einbildungskraft oder andere über. natnrliche Wahrnehmungen handelt, die ohne Zustimmung des menschlichen Willens den Sinnen zuteil werden kön. nen, zu welcher Zeit oder in welchem Stadium auch immer dies sein mag, ob auf der Stufe der Vollkommenheit oder einer geringeren Vollkommenheit, selbst wenn sie von Gott stammen, darf sie die Seele nie suchen, und zwar aus einem zweifachen Grunde. Erstens bringen sie in der Seele ohne deren Zutun ihre Wirkung hervor, ja ohne dass sie auch nur imstande wäre, diese Wirkung zu verhindern, selbst wenn sie, was häufig der Fall ist, speziell die Vision verhindert und verhindern kann. Infolgedessen teilt sich ihr diese weitere Wirkung, welche die Vision in der Seele 164

hervorrufen sollte, viel mehr dem Wesen nach mit, wenn auch nicht in jener Form. Denn die Seele kann, wie gesagt, das Gute, das Gott ihr erweisen will, nicht hindern, außer wenn sich an ihr irgendwelche Unvollkommenheit oder geschöpfliche Anhänglichkeit findet. Wo man aber in De- mut und Furcht auf diese Dinge verzichtet, da gibt es keine Unvollkommenheit und keine Selbstsucht, sondern vielmehr Uneigennützigkeit und Entäußerung. Dies aber ist die ,beste Vorbereitung zur Vereinigung mit Gott. Zweitens, man macht sich dadurch frei von der Ge- fahr und der Mühe, die man hat, wenn man erst unter- suchen will, ob es sich um gute oder schlechte Visionen handelt, und wenn man erkennen will, ob man es mit dem Engel des Lichtes oder der Finsternis zu tun hat Man kommt auf diese Weise nicht vorwärts, sondern verliert nur die Zeit und bringt damit die Seele in Verwirrung. Ja, es ist das ein Anlaß zu vielen Unvollkommenheiten und ein Hindernis des Fortschrittes, statt daß man die Seele auf das einstellt, was wirklich zur Sache gehört, und sie frei macht von den Kleinlichkeiten der Wahrnehmungen und Einzelkenntnisse, wie bereits gelegentlich der leib- lichen Visionen sowie der eben besprochenen ausgeführt wurde und noch näher erklärt werden soll. Ja, wir dürfen sicher glauben: müf3te Gott bei der Führung der Seele Rücksicht nehmen auf ihre Eigenart, dann würde er ihr die Fülle seines Geistes nicht auf dem Wege jener engen Kanäle, nämlich der Vorstellungen, Bilder und Einzelerkenntnisse, mitteilen, vermittels welcher er der Seele ihre Nahrung nur stückweise zuwendet Dies deutet auch David an in den Worten: Mittit crystallum suam sicut buccellas. "Er wirft sein Eis hin wie Brockent)", d. h. er spendet den Seelen ihre Nahrung wie Brosamen. Darum ist es sehr zu bedauern, daß man der Seele, die doch ein fast möchte ich sagen unbegrenz~ Fassungsvermögen I) Ps 147, 6. 165

hat, infolge ihrer geistigen Kleinheit und ihrer sinnlichen Befangenheit die Bissen des Sinnlichen zur Nahrung rei. chen muü. Auch dem heiligen Paulus machte diese geringe Befähigung und dieses unmündige Wesen fÜr den Emp- fang des Geistes groüen Kummer. Dies drückt er aus in seinem Schreiben an die Korinther mit den Worten: Et ego, fratres, non potui vobis loqui quasi spiritualibus, sed quasi carnalibus. Tamquam parvulis in Christo lac vobis dedi, non escam: nondum eDim poteratis; sed nec nUlle quidem potestis: adhuc eDim carnales estis. "Meine Brü. der, (als ich zu euch kam) konnte ich Dicht zu euch reden wie zu Geistesmenschen, sondern wie zu Oeischlichßn; denn ihr konntet es nicht fassen, ja ihr könnt es auch jetzt noch nicht. Tamquam parvulis in Christo lac potum vobis dedi I non escam. "Wie Unmündigen in Christo gab ich euch i Milch zu trinken, Dicht feste Speise" (zum Essen) 1). , Wir sollen also daraus entnehmen, daü die Seele ihr Augenmerk Dicht auf diese äuüere Hülle von Gestalt und I. Objekt richten dürfe, die ihr auf übernatürliche Weise dar. geboten werden, und zwar mittels der äuüeren Sinne, wie z. B. Ansprachen und Worte fÜr das Ohr, Visionen von Heiligen und wunderbarer Lichtglanz für das Auge, Wohl. gerüche für den Geruch, Süüigkeiten für den Gaumen und andere Ergötzlichkeiten für den Tastsinn, die meist vom Geiste ihren Ursprung haben. Ja, dies ist bei geistlichen Seelen gewöhnlich die Regel. Aber ebensoweDig soll die Seele auf irgendwelche Visionen der inneren Sinne achten, wie z. B. die inneren Visionen der Einbildungskraft. Im Gegenteil, sie soll von all dem absehen und einzig auf den guten Geist sehen, den sie bewirken. Und diesen soll sie sich dadurch zu erhalten trachten, daü sie tAtig ist, und zwar sieh einzig in dem Dienste Gottes Obe, ohne auf jene Vorstellungen zu achten oder irgendwelchen sinn. liehen Genuü zu suchen. 1) 1 Kor 8. 1. 166

So macht man sich denn von diesen Dingen nur das zunutze, was in Gottes Absicht und Willen selber liegt, nämlich den Geist der Andacht. Denn zu .keinem anderen Zweck verleiht er dieselben. Das hingegen läfit man bei- seite, was er ohnehin nicht geben würde, wenn man es geistig erfassen könnte ohne Zuhilfenahme und Wahr- nehmung der Sinne. 16. Kap i tel Von dem Schaden, den manche Lehrer des geistlichen Lebens den Seelen bereiten, weil sie es nicht verstehen, dieselben bei solchen Visionen recht zu leiten. -Selbst wenn letztere von Gott stammen, kann es dennoch vor- kommen, daß die Seelen irregeführt werden. Wir können uns bei Behandlung dieser Visionen nicht so kurz fassen, als wir möchten; denn es gibt darüber gar vieles zu sagen. Zwar wurde bereits das Wesentliche an- gegeben, das dem, der ein geistliches Leben führen will, zeigen soll, wie er sich hinsichtlich der genannten Visionen zu verhalten habe, sowie auch dessen Seelenführer Ver- haltungsmafiregeln an die Hand gibt, wie er seinen Schüler bei diesen Visionen zu leiten habe. Doch dürfte es nicht überflüssig sein, in dieser Lehre etwas mehr ins Einzelne zu gehen und das Nachteilige etwas mehr ins rechte Licht zu stellen, das sich sowohl für die geistlichen Seelen wie auch für deren Führer daraus ergeben kann, wenn sie sich hin- sichtlich dieser Visionen, selbst wenn sie göttlicher Her- kunft sind, zu leichtgläubig zeigen. Was mich bewogen hat, vom bisherigen Weg ein wenig abzugehen, ist der Mangel an Klugheit, den ich nach meinem Dafürhalten bei einigen Lehrenl des geistlichen Lebens vorgefunden habe. Sobald sie nämlich merken, dafi diese übernatürlichen Wahrneh- mungen gut sind und von Gott stammen, glauben sie sich in Sicherheit und geraten so beide in gr06en Irrtum und 167

sehen sich schmählich getäuscht. Es geht an ihnen das Wort des Herrn in Erfüllung, wenn er sagt: Caecus si caeco ducatum praestet, ambo in fovearn cadunt. " Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in dieGrubeI)," Er sagt nicht, daß sie fallen werden, sondern "sie fallen", Denn es ist zum Fallen nicht notwendig, daß man tatsäch. . lich schon gefallen sei. Nein, das allein schon ist ein Irr. tum, dau sie sich erdreisten, einander zu führen. Darin also sind sie auf jeden Fall im Irrtum. Es gibt nämlich welche, die bei ihrer Leitung derart begnadeter Seelen eine solch irrige Art und Methode an. wenden: Entweder führen sie die Seelen (tatsächlich) in Irrtum oder sie bringen dieselben mit solchen Visionen in Verlegenheit, oder endlich sie führen dieselben nicht den! Weg der Demut und lassen dadurch zu, dau jene ihr Haupt. I augenmerk in gewisser Beziehung auf diese Dinge richten, Darum wandeln sie auch nicht im Geiste des reinen und vollkommenen Glaubens. Ja, solche SeelenfOhrer erbauen die Seelen auch nicht im Glauben und stärken sie nicht in demselben, sondern verlegen sich darauf, viel Aufhebens von jenen Dingen zu machen. Und sie lassen es auch die .seelen fühlen, dau sie selber von diesen Dingen einge- nommen sind und groBen Wert darauf legen; die Seelen aber lassen sie an derlei Wahrnehmungen haften, statt sie im Glauben zu festigen und sie frei und leer zu machen von denselben, damit sie sich zur Erhabenheit des Glau. bensdunkels erheben könnten. Und dies alles hat seinen Grund darin, dau die Seele an ihrem Führer sieht, welchen Standpunkt er in dieser Angelegenheit einnimmt, und wie er sich dazu äuuert. So schleicht sich dann ungemein leicht und ganz unwillkürlich eine gewisse Selbstzufriedenheit und überschätzung in diesen Dingen ein, und schlie~lich wendet die Seele ihre Augen völlig ab von der Tiefe des Glaubens. I) Mt 15, 14, 168

Der Grund, warum dies so leicht möglich ist, muß wohl darin zu suchen sein, dass die Seele sich zu sehr da. mit beschäftigt. Und da diese Dinge sinnlicher Art sind, denen der natürliche Mensch sich ohnehin leichter zuneigt, und da die Seele aufJerdem Gefallen findet an solch außer- ordentlichen, sinnlichen Dingen und dafür empfänglich ist, so braucht sie nur an dem Beichtvater oder an jemand anderem irgendwelche Wertschätzung dieser Dinge be- merken, und schon tut sie es auch, ja, es regt sich gerade- . zu das Verlangen danach, sie findet mehr und mehr Ge- schmack daran, verspürt immer mehr Neigung dazu und hängt sich allmählich daran. Daraus erwachsen zum min- desten viele Unvollkommenheiten; denn die Seele ist nicht mehr demOtig. Sie meint, jene (auoerordentlichen) Dinge seien doch etwas Besonderes, und es sei das für sie etwas Gutes, und Gott selbst schätze sie darob. So ist sie denn mit sich selbst ganz und gar zufrieden, und eben dies ver. stöot gegen die Demut. Und schon ist auch der Teufel zur Stelle und hilft im stillen dazu, dass in ihr, ohne dass sie es merkt, jenes Gefühl der Selbstzufriedenheit wächst. Dann bringt er ihr allmählich bei, über andere Seelen einen Vergleich anzustellen, ob sie wohl auch solch außerordentliche Dinge erfahren wie sie oder nicht; ob sie auch so seien oder nicht. Dies ist aber ein Ver- stoa gegen die heilige Einfalt und gegen die geistige Ein- samkeit Neben diesen schädlichen Einflüssen, welche dieSeelen am Wachstum im Glauben hindern, wenn sie sich von den- , seI ben nicht frei machen, gibt es in diesem Bereiche noch andere Nacqteile, die zwar nicht so greifbar und offen zu- c' tage treten wie die genannten, aber dafOr um so heim- tückischer und in den Augen Gottes um so minfälliger sind, deshalb, weil man nicht in völliger Entblönung wandelt Doch davon wollen wir einstweilen absehen, bis wir dazu kommen, vom Laster der geistlichen Gaumenlust sowie von 169

den anderen sechs Hauptsünden zu sprechen1)." Dort wer. iii den wir dann, so Gott will, manches über diese feinen, kaum bemerkbaren Wunden sagen, die dem Geiste dadurch 111:: gescWagen werden, daß man es nicht versteht, ihn in Ent.

1 blößung zu leiten. Hier wollen wir nur einiges anfügen

ii ilber die Methode der Seelenführung, nach welcher manche Beichtväter vorgehen, bei der sie allerdings die Seelen übel beraten. Und ich möchte es fürwahr recht gut erklären, denn ich weiß sehr woW, wie schwer es sich sagen läßt, wie der Geist des Schülers sich ganz still und unmerklich nach dem seines geistlichen Vaters bildet. Und doch fällt es mir schwer, über dieses umfangreiche Gebiet zu sprechen; denn es kommt mir vor, das eine kann Inicht erklärt werden, ohne daß man zugleich auch auf das andere Bezug nimmt. Handelt es sich um geistige Dinge, die in inniger Wechselbeziehung zu. einander stehen. Weil ich nun einmal bei der Behandlung dessen stehe, was ich versprochen habe, (so möchte ich noch dies hinzu. fügen): Nach meinem Dafürhalten -und es ist auch nicht anders -wird ein geistlicher Führer, dessen Geist so sehr für Offenbarungen eingenommen ist, daß sie in seinem Inneren Anerkennung und Zuneigung finden, unfehlbar sicher, auch ohne es zu beabsichtigen, dem Geiste seines Schülers die gleiche Freude und Wertschätzung (dieser .Dinge) aufprägen, sofern nicht der Schüler schon weiter voran ist als er selbst. Aber auch in diesem Falle kann es dem Schüler viel schaden, wenn er bei ihm bleibt. Denn aus dieser Hinneigung und Freude an derartigen Visionen entsteht bei dem geistlichen Vater eine Art Hochschätzung derselben. Und wenn er nicht recht vorsichtig ist, wird er unvermeidlich dieses seinem Schüler in Ausdrücken oder Gefühlen zu erkennen geben. Ist nun auch dieser von dem. selben Geist der Zuneigung zu den angedeuteten Dingen I) Siehe" Dunkle Nacht" 1. Buch, § 1. 170

eingenommen, dann kann es gar nicht anders sein, als daß sie sich gegenseitig die gr06e Vorliebe für solche Dinge mitteilen. Indes, wir wollen uns hier nicht zu sehr in Einzelheiten verlieren. Wir wollen nur davon sprechen, daö z. B. ein Beichtvater, ob er nun solchen Dingen zugetan ist oder nicht, die für ihn erforderliche Klugheit nicht hat, um eine Seele von Hindernissen frei zu machen und das Verlangen seines Schülers nach solchen Dingen zu beseitigen. Ein solcher wird im Gegenteil gerne mit seinem Schüler dar. flber sprechen, und den Hauptgegenstand ihrer geistlichen Unterhaltung werden sol(",he Visionen bilden, an denen er seinen Zuhörern Merkmale an die Hand gibt, um echte und uneehte voneinander unterscheiden zu können. WobI mag es gut sein, dies zu verstehen; doch wozu die Seele in solche Mühsal, Sorge und Gefahr stürzen, wofern nicht eine dringende Notwendigkeit vorliegt, wie oben angedeu- tet wurde? Legt man hingegen diesen Visionen keine Be- deutung bei, u~d will man nichts davon wissen, dann ent- geht man all dem und tut das einzig Richtige. Aber damit noch nicht zufrieden, gehen diese Beichtväter so weit, daö sie solch gottbegnadete Seelen sogar bitten, sie möchten doch zu Gott beten, daö er ihnen dies und jenes offenbare und mitteile, was sie oder andere angeht. Und die ein- fältigen Seelen gehen auf solches Ansinnen ein, in der Meinung, es sei erlaubt, auf diesem Wege etwas erfahren zu wollen. Sie meinen, weil Gott manches auf übernatür. liche Weise offenbaren und mitteilen wolle, wem und wozu es ihm gefällt, so sei es auch erlaubt, eine solche Offenbarung zu wollen, ja sogar ihn darum anzuftehen. Kommt es dann vor, daö Gott auf ihr Bitten hin das Ge. wünschte offenbart, so fassen sie für fernere Gelegenheiten noch gröbere Zuversicht, in der Annahme, Gott habe Wohl- gefallen daran und erwarte es. In Wirklichkeit hat aber 171

Gott daran weder Wohlgefallen, noch will er es. Da sie nun einmal für diese Art des Umgangs mit Gott eingenommen sind, so richten sie vielfach ihr Verhalten und ihren Glau- ben nach dem ein, was ihnen geoffenbart oder geantwortet wurde, und ihr Wille fügt sich gerne darein und stimmt ganz natürlich dem bei. Und da dies ihrer Natur zusagt, so passen sie sich dieser Art natürlichen Erkennens an und gehen dann in ihren Äu&erungen gar oft fehl. Und wenn sie dann merken, da& es anders kommt, als wie sie es aus- gelegt haben, wundern sie sich darüber und fangen gleich an zu zweifeln, ob die Offenbarung wohl von Gott war oder nicht, da sie ja nicht in Erfüllung geht oder wenigstens nicht so, wie sie gemeint hatten. Und nun sind es zwei Gedanken, die ihnen zunächst kommen; nämlich: Erstens, diese Offenbarung stammte von Gott, weil sie sich sonst nicht so tief eingeprägt hAtte. Es kann indes sehr wohl sein, da& die natürliche Neigung dazu schuld war, daß sie sich so tief einprägte, wie wir ausgeführt haben. Zweitens: Stammte sie aber von Gott, dann muß sie auch so in Er- füllung gehen, wie sie es sich zurechtlegten und verstan- den. Doch eben hierin liegt ein großer Irrtum. Denn die Offenbarungen und göttlichen Ansprachen gehen nicht im- mer so in Erfüllung, wie die Menschen sie auslegen, oder wie sie wörtlich lauten. Darum darf man ihrer nicht so sicher sein und darf ihnen nicht blindlings glauben, selbst wenn man wei&, da& es sich wirklich um Offenbarungen, Antworten oder Aussprüche Gottes handelt. Mögen sie immerhin an sich gewi& und wahr sein, so sind sie dies doch nicht immer in ihren Ursachen und in der Art, wie sie von uns aufgefa&t werden. Dafür werden wir im folgen- den Abschnitt den Nachweis erbringen. Zugleich werden wir dann auch zeigen, wie Gott kein Wohlgefallen daran habe, wenn man ihn um so etwas bittet, selbst wenn er manchmal darauf eine ßbernatürliche Antwort erteilt, und wie ihm solches mi&fAllt. 172

17. Kapitel Es soll nachgewiesen werden, wie wir uns sogar in den Visionen und Ansprachen, soweit sie göttlichen Ur- sprungs und echt sind, täuschen können. -Belege aus der Heiligen Schrift. Zwei Gründe f(lhrten wir an, warum die göttlichen Visionen und Ansprachen zwar echt und an sich immer sicher sein können, dies aber nicht immer auch f(lr Ul1S sein brauchen. Der eine Grund ist unsere mangelhafte Art, sie zu deuten. Der andere liegt in den Veranlassungen und Begr(lndungen derselben, die bisweilen sich ändern. Was den ersteren Grund betrifft, so ist es doch eine unbe- strittene Tatsache, dafi sie nicht immer so sind und so in Erf(lllung gehen, wie sie nach unserer Art, sie zu deuten, lauten. Der Grund ist dieser: Gott, der Unendliche und Unergr(lndliche, legt gewöhnlich seinen Prophezeiungen, Offenbarungen und Ansprachen ganz andere Begriffe und einen anderen Sinn zugrunde, als der ist, in dem wir sie auslegen können. Sie sind aber nichtsdestoweniger an sich um so echter und gewisser, je weniger sie uns das zu sein scheinen. Wir haben ja daf(lr auf jeder Seite der Heiligen Schrift Beweise. Darum gingen vielen aus jener alten Zeit manche Prophezeiungen und Worte Gottes nicht so in Er- f(lllung, wie sie gehofft hatten, weil sie dieselben ganz nach ihrem Sinn und ganz buchstäblich verstanden. Dies geht aus folgenden Stellen deutlich hervor. I Im Buche Genesis spricht Gott zu Abraham, nachdem . er ihn ins Land Kanaan gef(lhrt: "Dieses Land will ich dir geben1)." Und da ihm dies oft gesagt wurde, ihm aber das Land, trotzdem er schon sehr alt war, nicht gegeben wurde, richtete er an Gott, der ihm dies eben wieder ver- sprach, die Frage: Domine, unde scire possum, quod pos- sessurus BUm eam? "Herr, woran soll ich erkennen, dafi II) Gn 15, 7. 173

ich dies Land besitzen soI11)?" Daraufhin offenbarte ihm Gott, d~ nicht er in eigener Person, sondern daD es erst vierhundert Jahre später seine Nachkommen in Besitz neh. men würden. Nun erst verstand Abraham vollends die Ver. heißung, die an sich vollkommen der Wahrheit entsprach; denn wenn Gott das Land ihm zuliebe seinen Nachkommen gab, so war das so viel, als wenn er es ihm selber gegeben hätte. So war also Abraham in einem Irrtum befangen, so, wie er die VerheiDung auffaßte. Hätte er also dieser seiner Auffassung entsprechend gehandelt, dann hätte er in groDen Irrtum geraten können, da sich die Verheißung nicht auf jene Zeit bezog. Jene aber, die ihn dahinsterben sahen, ohne daß ihm das Land übergeben worden war, die ihn aber doch hatten sagen hören, daß Gott es ihm ver. ! heiDen habe, wären verwirrt worden, da sie hätten anneh. J men müssen, die Verheiß\mg sei falsch gewesen. . Und später erschien Gott auch seinem Enkel Jakob, als dessen Sohn Joseph ihn wegen der Hungersnot im Lande Kanaan nach Ägypten kommen ließ. Als er schon auf dem Wege dorthin war, sprach er zu ihm: Noli timere, descende in Aegyptum... Ego descendam tecum illuc et ego inde adducam te revertentem. "Fürchte dich nicht, ziehe nur' hinab nach Ägypten. Ich will mit dir hinabziehen und dich von dort wieder heraufführen, wenn du zurückkehrst2)." Aber auch diese Verheißung ging nicht so in Erfüllung, wie sie in unserem Sinne sich hätte erfüllen müssen. Wissen wir doch, daß der greise Jakob in Ägypten starb und nicht mehr lebend zurückkehrte. Erst in seinen Nachkommen sollte die Verheißung wahr werden, denn diese führte er viele Jahre später wieder von dort heraus und war selbst "ihr Führer auf dem Wege. Wer also, das folgt daraus, um diese Verheißung Gottes an Jakob wußte, der durfte doch sicher sein, daß Jakob genauso, wie er lebend und per. sönlich nach Gottes Anordnung und unter seinem Schutz 1) Gn15,B. I) Gn46,3,4. 174

nach Ägypten gezogen war, wieder lebend und in eigener Person zurückkehren würde. Gott hatte ihm ja die Rück- kehr von dort und seinen Schutz bei derselben mit den gleichen Worten und in derselben Weise versprochen. Ein f solcher hätte sich darum getäuscht gesehen und sich ge- wiß sehr verwundert, wenn er sah, daß Jakob in Ägypten starb und infolgedessen seine Hoffnung nicht in Erfüllung ging. Unter solchen Umständen konnte man sich also be- züglich eines göttlichen Ausspruches schwer täuschen. Im Buche der Richter lesen wir folgende Begebenheit: Alle Stämme Israels hatten sich zusammengetan, um gegen den Stamm Benjamin Krieg zu führen, in der Ab. sicht, eine gewisse Freveltat zu rächen, welche mit Ein- willigung jenes Stammes unter ihnen verübt worden Vjar. Gott selbst hatte den Stamm bezeichnet, der im Kriege die Führung übernehmen sollte. Deshalb waren sie des Sieges völlig gewiß. Als sie nun desungeachtet unterlagen und von ihren Leuten zweiundzwanzigtausend fielen, da , waren sie darob sehr verwundert. Und sie traten vor Gott hin und weinten den ganzen Tag, da sie sich nicht erklären konnten, warum sie unterlegen seien. Denn nach ihrer Meinung hätten sie siegreich aus dem Kampfe hervorgehen müssen. Wie sie nun Gott fragten, ob sie noch einmal in den Kampf ziehen sollten oder nicht, gab er ihnen zur Antwort: ja, sie sollten gegen jene ziehen. Als sie auch diesmal ihres Sieges gewiß und voll des Mutes in den Kampf zogen, wurden sie gleichwohl auch dieses Mal be. siegt und erlitten ihrerseits einen Verlust von achtzehn- tausend Mann. Darob waren sie nun ganz ratlos und tf wußten nicht, was sie tun sollten. Denn sie sahen, daö sie ungeachtet der Weisung Gottes, in den Krieg zu ziehen, , jedesmal unterlegen waren. Zudem waren sie ja ihren , Feinden an Zahl wie an Tapferkeit weit überlegen; denn

derer vom Stamm Benjamin waren nicht mehr als fünf-

i undzwanzigtausendsiebenhundert, ihrer hingegen waren 175

vierhunderttausend. So täuschten sie sich wohl, aber nur, ji weil sie die VerheiDung in ihrem Sinn auslegten; denn der " ..I'! Ausspruch Gottes selbst war durchaus nicht zu einer I: Täuschung angetan. Gott hatte ihnen nicht versprochen, daD sie siegen würden, sondern nur gesagt, sie sollten in den Kampf ziehen. Durch diese Niederlagen wollte sie Gott nur strafen für eine gewisse Sorglosigkeit und Ver. messenheit, die sie sich hatten zuschulden kommen lassen, und wollte sie demütigen. Als er ihnen aber zuletzt znr Antwort gab, sie würden siegen, da war es auch so: durch grone List und Tapferkeit siegten sie auch!). Auf diese und manch andere Art können sich die Seelen bezüglich der Offenbarungen und Aussprüche Got. tes oft täuschen, weil sie deren Sinn nur buchstäblich und oberflächlich nehmen. Wie schon angedeutet wurde, geht die Absicht Gottes bei solchen Dingen haup~ächlich da. hin, ihnen den Geist kundzutun, der darin verborgen ist Der aber ist schwer zu fassen. Und der ist zugleich viel umfassender als der Buchstabe; er ist etwas ganz Außer. gewöhnliches und geht weit über die engen Grenzen d~ Buchstabens hinaus. Wollte sich darum jemand an den Wortlaut eines solchen Ausspruches halten oder an die Vorstellung oder das sinnlich wahrnehmbare Bild der Vi. sion, der würde sich unfehlbar sicher in groDen Irrtum verwickeln und sich hinterdrein arg beschämt und betrogen sehen, weil er sich dabei nur von seinen Sinnen leiten lie~ statt davon abzusehen und den'l Geiste die Führung zu ilberlassen. Denn "der Buchstabe tötet", sagt der heilige Paulus, "der Geist aber macht lebendig!)." (Littera occidi~ spiritus autem vivificat.) Man muD darum in diesem Fall auf die buchstäbliche Bedeutung des sinnlich Wahrnehmbaren verzichten und im Dunke] des Glaubens wandeln, d. h. im Geiste, den die Sinne nicht zu fassen vermögen. I) Jod~, 11 ff. 1 '> 2 Kor S, 6. j 176 . Dies ersieht man so recht an den Kindern Israels. " Sie tauten die Aussprüche und Weissagungen der Prophe. ten im buchstäblichen Sinn. Darum gingen diese nicht so in Erfüllung, wie sie erwarteten. Und so hielten sie schlieu- lich nicht mehr viel von ihnen und glaubten ihnen nicht mehr. So kam es, daa es allmählich allgemein üblich, ja , fast sprichwörtlich wurde, wie man über die Weissagungen i. spottete. Dies hat denn auch Isaias im Auge, wenn er sich r in folgenden Klagen ergeht: Quem docebit scientiam? Et quem intellegere faciet auditum? Ablactatos a lacte, avul. sos ab uberibus. Quia manda remanda, manda remanda, exspecta, reexspecta, exspecta, reexspecta, modicum ibi, modicum ibi. In loquela enim labii et lingua altera loquetur ad populum istum. "Wen wird Gott Weisheit lehren? Und wen wird er wohl sein Wort und seine Weissagung vernehmen lassen? Sind es nicht die, so entwöhnt sind der Milch, weggenommen von der Mutterbrust? Gebot und wieder Gebot, Gesetz und wieder Gesetz, Vorschrift auf Vorschrift; hier ein wenig, dort ein wenig. Ja, mit unver. ständlicher Lippe und in einer fremden Sprache wird man zu diesem Volke reden1)." Darin gibt Isaias deutlich zu verstehen, dau jene mit den Weissagungen Spott trieben, und dass sie zum Spott das Sprichwort gebrauchten: "Warte, warte nur!" Damit wollten sie eben sagen, dass sie doch nie in Erfüllung gingen. Man blieb eben am Buch- staben hängen, den ich mit der Milch für Kinder ver- gleichen möchte, und an ihren eigenen Sinnen wie an der Mutterbrust. Beide aber sind unvereinbar mit der erhabe. nen Wissenschaft des Geistes. Darum sagt er: Wen wird er die Weisheit seiner Weissagungen lehren? Und wem wird er seine Lehre weisen? Wem anders als den der Milch des Buchstabens und der Mutterbrust ihrer Sinne Entwöhnten? Denn das ist es, weshalb sie die Weissagun. Igen nicht verstehen, weil sie nicht von dieser Milch der ; I 18~, 9 ff. . 177

Obertlächlichkeit und des Buchstabens, von diesen Brüsten ihrer Sinne lassen wollen. Und darum sagen sie: Versprich nur, versprich nur; warte, warte nur usw. Denn seine Lehre mu& ihnen Gott mit seinem Munde mitteilen und in einer fremden Sprache, nicht in der ihrigen. Wir wissen, da& die Sprechweise Gottes seinem Geiste entsprechend eine andere ist als die unsere und von uno serem Verstehen sehr verschieden und zugleich schwer zu fassen ist. Darum dürfen wir sie auch nicht nach uno serem Sinn und unserem Sprechen bemessen. Sogar Jere. mias, der doch ein Prophet des Herrn war, sah ein, daß die Bedeutung der Worte Gottes so ganz verschieden sei von dem gemeinen Sinn der Menschen, und glaubte deshalb einer Täuschung zum Opfer zu fallen. Darum sprach er gleichsam im Namen seines Volkes zu Gott: Heu, heu, heu, Domine Deus, ergo ne decepisti populum istum et Jeru. salem, dicens: Pax erit vobis; et ecce pervenit gladius usque ad animam? "Wehe, wehe, wehe, Herr, Gott! Hast du also dieses Volk und Jerusalem getAuscht, da du sprachest: ihr werdet Frieden haben? Und siehe, nun dringet das Schwert bis an die Seele1)!" Unter dem Frieden, den Gott ihnen versprochen, war jener gemeint, der da bestehen sollte .zwischen Gott und den Menschen, und den der kommende Messias vermitteln sollte; sie aber verstanden darunter einen irdischen Frieden. Als nun Kriege und Plagen über sie kamen, da meinten sie, Gott halte sie zum besten, da ja das Gegenteil von dem eintrat, was sie erhofften. Und darum sprachen sie durch den Mund des Jeremias: Exspectavimus pacem et non erat bonum. "Wir hofften auf Frieden, aber es kam nichts Gutes')," So konnte es denn gar nicht anders kommen, als da& sie sich getAuscht sahen, weil sie sich einzig nach dem buchstäb- lichen Sinn richteten. Und welcher Verwirrung und wel, chem Irrtum mu6te der anheimfallen, der sich in jener .I)Jr4,lO..')Jr8,15. 178

Weissagung, welche David im ganzen einundsiebzigsten Psalme von Christus verkündet, an den blo&en Wortlaut halten wollte, und zumal an jener Stelle: Dominabitur a mari usque ad mare, et a Dumme usque ad terminos orbis terrarum. "Herrschen wird er von Meer zu Meer und vom Strome bis ans Ende der Erde')"; oder wenn er im weiteren Verlaufe von ihm sagt: Liberabit pauperem a potente: et pauperem, cui non erat adjutor. "Denn er wird erretten den Armen, der um Hilfe ruft, und den Elenden, dem kein Helfer ist!)." Sah man doch später, wie Christus aus nie- derem Stande geboren ward, wie er in Armut lebte und im Elend starb, da& er nicht nur nicht in dieser Zeit während seines Lebens auf Erd~n herrschte, ja, da& er vielmehr einem gemeinen Volke untertan war, bis er unter der Macht des Pontius Pilatus starb. Man sah ferner, daß er seine JUnger nicht blof& nicht aus der Hand der Mächtigen dieser Welt errettete, sondern sogar sie um seines Namens willen verfolgen und töten lie&. Jene Weis!oagungen mußten eben im geistigen Sinn auf Jesus Christus bezogen werden; in diesem Sinn entsprechen sie aber auch ganz und gar der Wahrheit. Denn Jesus Christus war nicht nur der Herr der ganzen Welt, sondern auch des Himmels, weil er ja Gott war. Und er sollte die Armen, die ihm nachfolgten, aus der mächtigen Hand des Teufels, jenes Gewaltigen, gegen den sie keinen Helfer hatten, loskaufen und befreien; und ~icht blo& das, er sollte sie auch zu Erben des Himmel. reiches machen. Wenn also Gott hier von Christus und seinen Nachfolgern sprach, so meinte er damit ein ewiges Reich und ewige Freiheit; und das ist die Hauptsache. Die Juden aber verstanden darunter nach ihrem Sinn das min. der Wichtige, auf das Gott nicht viel Wert legt, nämlich Herrschaft und Freiheit in diesem Leben. Dies ist aber in den Augen Gottes weder Herrschaft noch Freiheit. So lieGen sie sieh denn betören vom gemeinen Buchstaben I' I) PB 71, 8. '> Ps 71, 12. 179

und drangen nicht ein in dessen Geist und Wahrheit. Da. her kam es, daD sie ihrem Herrn und Gott das Leben nah. men, wie es auch St. Paulus ausspricht in folgenden Wor. ten: Qui enim habitabant Jerusalem, et principes ejus, hunc ignorantes et voces prophetarum, quae per omne Sabbatum leguntur, judicantes impleverunt. "Denn die Bewohner Je- rusalems und ihre Führer haben Jesus nicht erkannt und durch ihren Richterspruch die Worte der Propheten erfüll~ die jeden Sabbat vorgelesen werdew)." Ja, so weit kann man mit der Schwierigkeit, die Worte Gottes richtig zn deuten, kommen, daß sogar seine Jünger, die doch mit ihm umgegangen waren, an ihm irre wurden. So erging es z. B. jenen beiden, die nach seinem Tode traurig und mutlos nach dem Flecken Emaus wanderten und dabei die Äußerung taten: Nos autem sperabamus quia ipse esset redempturus Israel. "Wir waren der Hoffnung, er wDrde: Israel erlösen2)." Auch sie hatten gemeint, es müsse diese Erlösung und Herrschaft eine zeitliche sein. Da erschien ihnen Christus, der Herr, und tadelte sie, daß sie so uno verständig und harten Herzens seien im Glauben an das. was die Propheten gesagt haben')." Ja, selbst da noch, als Jesus gen Himmel fuhr, waren einige von ihnen noch in dieser Unwissenheit befangen, da sie ihn fragten: Do. mine, si in tempore hoc restitues Regnum Israel? "Herr,: richtest du in dieser Zeit das Reich Israel wieder auf')?" Der Heilige Geist läDt vieles aussprechen, womit er einen anderen Sinn verbindet als die Menschen. Dies geht z. B. deutlich hervor aus den Worten, die er dem Kaiphas von Christus eingab: "Es ist besser, wenn ein Mensch stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde gehti)." Dies sagte er aber nicht aus sich selbst Und was er hier sprach, verstand er in ganz anderem Sinn als der HeiligeGeist (der es ihm eingab),. Hieraus ersehen wir deutlich, daß wir uns auf die Aussprüche und Offenbarungen nie so sicher verlassen dar. I) Apg 18, Zl. ') Lk 24,21. 8) Lk 24, 25. f) Apg 1, 6. ~) Joh 11, 180

fen, selbst wenn sie göttlichen Ursprungs sind. Wir kön- nen uns eben in der Art. wif' wir sie deuten, oft und sehr leicht täuschen. Denn sie alle sind für uns voll des uner- gründlich tiefen Geistes. Wollte man sie nur so viel gelten lassen, was wir davon verstehen und was unsere Sinne zu fassen vermögen, so hiebe das ebensoviel als die Luft oder ein Sonnenstäubchen darin mit der Hand erhaschen wollen; die Luft entweicht, und wir haben nichts. Darum soll ein Lehrer des geistlichen Lebens dafür Sorge tragen, dafa der Geist seines Schülers nicht darin ausarte, all den übernatürlichen Wahrnehmungen besonderen Wert beizu- legen. Sie sind ja gewissermafaen doch nichts weiter als geistige Sonnenstäubchen. Hat man sonst nichts als sie, dann bringt man es bestenfalls dazu, dass man des G~stes völlig bar wird. Nein, er entwöhne ihn vielnlehr aller Vi- sionen und Ansprachen und lehre ihn die Kunst, in der Frei- heit und Dunkelheit des Glaubens zu wandeln. In ihr wird uns die Fülle des Geistes zuteil und als dessen Auswirkung auch die Weisheit und rechte Einsicht in die Worte Gottes. Ein Mensch, der nicht geistig ist, kann unmöglich über göttliche Dinge urteilen oder sie mit seiner Vernunft er- fassen; er ist aber dann nicht geistig, wenn er sie nach seinem Sinn beurteilt. Ja, selbst wenn sie unter die Sinne fallen, versteht er sie doch nicht, wie dies auch St. Paulus bestätigt mit den Worten: Animalis autem homo non percipit ea, quae sunt spiritus Dei: stultitia enim est illi, et non potest intellegere, quia spiritualiter examinatur. Spiritualis Rotem judicat omnia. "Der Mensch mit seinen bloß natürlichen Kräften erfaßt nicht, was vom Geiste Gottes kommt; als Torheit gilt es ihm; er ist nicht im- stande. es zu verstehen, weil es geistig verstanden sein will. Der Geistesmensch dagegen versteht alles1)." Unter dem natürlichen Mens('.hen ist hier derjenige zu verstehen, der sich nur seiner Sinne bedient; unter dem geistigen hin- I) 1 Kor 2, 14. 181

gegen jener, der nicht an den Sinnen hängenbleibt uud sich nicht von ihnen leiten läßt. Darum ist es ein ver. messenes Beginnen, mit Gott verkehren zu wollen und dazu den Sinnen auf dem Wege übernatürlicher Wahrnehmung volle Freiheit zu gewähren. Zum besseren Verständnis dessen wollen wir hier einige Beispiele anführen. Nehmen wir an, ein Heiliger ist in großer Bedrängnis, weil seine Feinde ihm so sehr zusetzen. Nun spricht Gott zu ihm: Ich will dich von all deinen Feinden befreien. Diese Verhei6ung kann vollstän. dig der Wahrheit entsprechen, obwohl desungeachtet seine Feinde ihn bezwingen und er unter ihren Händen erliegt. Würde er nun die Verhei6ung im irdischen Sinne deuten, da~n sähe er sich betrogen, denn Gott konnte sehr wohl die wahre und eigentliche Freiheit, den wahren Sieg mei. nen, nämlich die ewige Seligkeit, in der die Seele wahrhaft frei ist und siegreich über all ihre Feinde. Diese Freiheit entspricht viel mehr der Wahrheit und ist eine viel höhere, als wenn sie sich hienieden von ihren Feinden befreit. So ~'ürde diese Verhei6ung der Wahrheit entsprechender und viel vollkommen~r in Erfüllung gehen, als es der Mensch verstehen konnte, wenn er sie nur in ihrer Beziehung auf das irdische Leben deutete. Gott spricht eben stets in seinen Worten und hat dabei den eigentlichen und höheren Sinn im Auge, während der Mensch es nach seiner Art und in einer weniger wichtigen Bedeutung auffassen kann Utld sich so getäuscht sieht. Wir sehen dies z. B. in jener Weissagung Davids von Christus, wo er sagt: Reges eos in virga ferrea, et tamquam vas figuli confringes oos. "Mit eiserner Keule wirst du sie zerschmettern. Und wie Töpfergeschirr sie zerschlagew)." Gott spricht hier von der eigentlichen und vollkommenen Herrschaft, die eine ewige ist, wie sie auch in Erfüllung ging, nicht aber von der minder wichtigen, d. i. der zeitlichen, die an Chri.

. I) Ps 2, 9.

182

stus dem Herrn während seines ganzen irdischen Lebens nicht in Erfüllung ging. Ein anderes Beispiel: Da ist ein~ Seele, die groües Verlangen nach dem Martyrium hat. Nun kann ihr viel- leicht Gott versprechen: Du wirst ein Martyrer werden. Dies gewährt ihr nun groDen inneren Trost und Zuversicht, dafJ es wirklich so sein werde. Desungeachtet aber kann es sein, dafJ sie nicht des Martyrtodes stirbt, und trotzdem bleibt die VerheiDung wahr. Warum ging sie lI.ber nicht so in Erfüllung? Weil sie nach ihrem eigentlichen und wesentlichen Sinn wahr werden sollte. Gott verlieh ihr dem Wesen nach die Liebe und den Lohn des Martyriums und machte sie zum Martyrer der Liebe in einem lang- wierigen Martyrium voller Mühsale, dessen Dauer weit peinvoller ist als das Sterben. So gibt er der Seele in Wahrheit, was sie formell ersehnte, und was er ihr ver- sprach. Denn das formelle Verlangen der Seele hatte nicht jene Todesart zum Inhalt, sondern es war darauf gerichtet, Gott das Opfer des Martyriums zu bringen und die gleiche Liebe zu Gott in sich zu nähren wie ein Martyrer. Ohne diese Liebe hat ja auch der Martertod keinen Werl Diese Liebe aber und die Pflege derselben und den Lohn eines Martyrers verleiht ihr Gott weit vollkonunener durch an. dere Mittel. Stirbt also eine solche Seele nicht des Marter- todes, so ist sie gleichwohl ganz zufrieden, weil dennoch ihr Wunsch erfüllt wurde. Solche und ähnliche Wünsche, die aus glühender Liebe entspringen, geben ja stets in Er- Iflllung, zwar nicht so, wie die Menschen darum bitten oder es meinen, dafflr aber auf andere, bessere Weise, die mehr zur Ehre Gottes gereicht, als man je hätte erflehen können. In diesem Sinne spricht denn auch David: Desi- derium pauperum exaudivit Dominus. "Das Begehren der Armen hat der Herr erhöretl)," Und im Buche der Sprich- wörter sagt die göttliche Weisheit: Desiderium suum justis I) Ps9,41. 183

dabitur. "Was der Gerechte begehrt, das wird ihm ge. währV)." Nun wissen wir zwar, dafJ manche Heilige vieles von Gott erflehten, daR aber gleichwohl ihr Verlangen me. nieden nicht erfüllt wurde. Der Glaube aber lehrt uns, dai dieses Verlangen, sofern es gerecht und echt ist, im an. deren Leben vollkommen erfüllt wird. Trifft dies also in Wirklichkeit zu, dann bleibt es auch wahr, wenn Gott den Menschen in diesem Leben etwas verspricht und ihnen etwa sagt: Euer Bitten soll erhört werden, auch wenn es dann nicht in der Weise geschieht, wie sie meinten. Auf diese und manch andere Art können die göttlichen Aussprüche und Visionen wohl echt und verbürgt sein, und doch können wir uns ihrethalben irren. Das kommt aber nur davon, weil wir es nicht verstehen, sie in ihrer er. habenen und eigentlichen Bedeutung zu fassen, und nicht der Absicht und dem Sinn gerecht werden, die Gott ihnen zugrunde legt. Darum ist es am geratensten und sichersten, darauf hinzuarbeiten, daR die Seelen sich behutsam vor solch übernatürlichen Dingen in acht nehmen, und sie dar. an zu gewöhnen, in lauterem Geiste im Dunkel des Glau. bens zu wandeln. Denn dies ist das Mittel zur Vereinigung. 18. Kap i tel An der Hand von Schriftstellen wird bewiesen, daß die Worte und Aussprüche Gottes zwar an sich stets der Wahrheit entsprechen, aber gleichwohl nicht immer in ihren eigentlichen Ursachen verbürgt sind. Es obliegt uns nunmehr die Aufgabe, den zweiten Grund zu beweisen, warum die Visionen und Aussprilche von seiten Gottes, die zwar an sich stets wahr sind, doch nicht immer in ihrer Beziehung auf uns gewiR sind. Der Grund dafür ist zu suchen in den Veranlassungen und Be. weggründen, auf die sie sich stützen. Sehr oft verspricht I) Spr 10, 24. 184

nämlich Gott etwas, was Geschöpfe und deren Wirkungen zur Voraussetzung hat. Diese aber sind veränderlich und können versagen. Damit können aber auch die Worte, die jene zur Voraussetzung haben, sich ändern oder können versagen; denn wo das eine vom anderen abhängt, muü not- wendig beim Versagen des einen auch das andere ver- sagen. Wenn also z. B. Gott sagte: Binnen Jahresfrist werde ich die oder die Plage über jenes Reich schicken. Die Ver- anlassung und der Grund zu einer solchen Drohung ist etwa irgendeine Beleidigung, welche Gott in jenem Reiche zu- gefügt wurde. Würde nun das Unrecht beseitigt, oder würde es sich ändern, dann könnte auch die Strafe in Wegfall kommen oder sich ändern. Die Drohung bliebe dennoch wahr, weil sie eine tatsächliche Schuld zur Vor- aussetzung hatte und tatsächlich ausgeführt würde, wenn diese fortbestünde. Man spricht in diesem Fall von Dro- hungen oder Offenbarungen, die eine Drohung zum Inhalt haben oder unter einer Bedingung gegeben sind. Solches ist zugetroffen an der Stadt Ninive. Gott ge- bot dem Propheten Jonas, er solle dort in seinem Namen an Ninive folgende Drohung verkünden: Adhuc quadraginta dies et Ninive subvertetur. "Noch vierzig Tage, und Ninive wird untergehew)." Allein die Drohung ging nicht in Er- füllung, da die Ursache dieser Strafandrohung, die Sünden der Niniviten, aufhörten; die Bewohner von Ninive taten nämlich sofort Bufie für ihre Sünden. Ohne diese wäre die Drohung ausgeführt worden. Ebenso lesen wir im dritten Buch der Könige vom König Achab, der eine sehr schwere Sünde begangen hatte. Gott liefi ihm dafür für seine Person und für sein Haus und für sein Reich eine schwere Strafe androhen'). Als nun Achab vor Schmerz hierüber sein Gewand zerrifi und ein Bufigewand anzog und fastete und in einem Sacke schlief J) JOD 3, 4. i) 3 Kg 16, 00 ff. 17, 1 ff. . 185

und traurig und gedemütigt einherging, da lieD ihm Gott durch den gleichen Propheten (Elias) folgendes verkünden: Quia igitur humiliatus est mei causa, non inducam malum in diebus ejus, sed in diebus filii sm. "Weil er sich also vor mir gedemütigt hat, so will ich das Unglück während seines Lebens nicht über ilm kommen lassen; aber in den Tagen seines Sohnes will ich es kommen lassew)." Daraus ersehen wir also: weil Achab seine Gesinnung und Neigung änderte, änderte auch Gott seinen Rechtsspruch. Hieraus können wir für unsere Erörterung entnehmen: Hat auch Gott einer Seele etwas geoffenbart oder ange. kündigt, sei es zum Heil oder zum Unheil, was sie selbst oder andere angeht, so kann sich dies zum Besseren oder Schlimmeren wenden, sich ändern oder ganz ausbleiben. je nachdem eine solche Seele ihre Neigung ändert oder die Veranlassung wegfällt, welche Gott dabei im Auge hatte. Es wird dann auch nicht so kommen, wie man ~ hoffte. Aber meist wein man dann nicht, warum; Gott allein weiD es. Denn Gott p8egt vieles auszusprechen, zu lehren und zu versprechen, nicht, dass man es augenblick. lich verstehe oder habe, sondern daD man es später ver. stehe, wenn man darüber Klarheit bekommen hat, oder wenn seine Wirkung eingetreten ist. So hat er es auch mit seinen Jüngern gehalten. Er: redete zu ihnen in mancherlei Gleichnissen und Sprichwor.: ten, deren Sinn sie nicht erfaDten, bis der Zeitpunkt ge. kommen war, daD sie dieselben verkünden sollten. Di~ traf ein, als der Heilige Geist auf sie herabkam. Der sollte ihnen, wie es Christus der Herr vorausgesagt, alles er. !klären, was er ihnen während seines ganzen Lebens gesagt hatte. Bei dem Berichte von jenem Einzug Christi in Jeru.' salem fügt darum St. Johannes bei: Haec non cognoverunt: discipuli ejus primum, sed quando glorificatus est Jesus, tune recordati sunt, quia haec erant scripta de 00. "Das I) 8 Kg21, 29. 186

verstanden seine Jünger anfangs nicht.. Als aber Jesus ver. herrlicht war, erinnerten sie sich, daß dies von ihm ge. schrieben stand1)." So kann einer Seele von seiten Gottes vieles begegnen, was weder sie selbst noch ihr Führer ver. steht, bis die Zeit dazu da ist. Ähnlich lesen wir im ersten Buche der Könige, wie Gott erzürnt über Heli, den Priester Israels, der seinen Sölmen ihre Sünden ungestraft hingehen lie6, an ihn den Samuel sandte und durch diesen u~ter anderem ihm sagen lie6: Loquens locutus sum, ut domus tua et domus patris tui ministraret in conspectu meo usque in sempiternum. Nunc autem dicit Dominus: absit hoc a me; sed quicumque glorificaverit me, glorificabo eum. "Ich sprach: Dein Haus. und das Haus deines Vaters sollen mir dienen ewiglich. Nun aber spricht der Herr: Das sei ferne von mir! Denn, die mich ehren, die werde auch ich ehren2)." Das Priester- amt war eingesetzt zur Ehre und Verherrlichung Gottes. Dazu war denn auch das Priesteramt seinem Vater für immer verhei6en worden, wenn er es darin nicht fehlen lie6e. Heli aber lie6 es an Eifer für die Ehre Gottes fehlen. Denn Gott selbst lie6 sich bei ihm darüber beklagen, dass er seine Söhne mehr ehre als Gott, indem er deren Sünden nbersah, um sie nicht beschimpfen zu müssen. Darum hatte jetzt die Verhei6ung keine Geltung mehr, die für immer gegolten hätte, wenn auch bei jenen der heilige Dienst und der Eifer angehalten hätte. Wir dürfen darum nicht meinen, die Aussprüche und Offenbarungen Gottes mü6ten, weil sie an sich wahr, uno fehlbar sicher so in Erfüllung gehen, wie sie lauten, zumal wenn sie nach Gottes Anordnung an menschliche Ursachen geknüpft sind, welch letztere sich ändern oder ins Gegen- teil verkehren k6nnen. Wann sie nun von solchen Ur- sachen abhängig sind, das wei6 nur Gott. Er tut es nicht jedesmal kund, sondern spricht ein Wort oder gibt eine ') Joh 12, 16. t) 1 Sm 2, 00. 187

Offenbarung, wobei er manchmal die Bedingung nicht nennt, wie er den Niniviten getan. Denen erklärte er be. stimmt, sie würden binnen vierzig Tagen zugrunde gehen. Bisweilen nennt er auch die Bedingung, wie es z. B. bei Roboam war, zu dem er sprach: "Wenn du meine Gebote hältst, wie mein Knecht David getan, dann will ich mit dir sein wie mit ihm, und will dir ein Haus bauen, wie ich es David getan, ffi;einem Knechte!)." Mag er es in. dessen aussprechen oder nicht, wir dÜrfen uns doch nie zutrauen, daü wir es verstehen; denn die verborgenen Wahrheiten Gottes in seinen Aussprüchen und den mannig. fachen Sinn derselben können wir nicht erfassen. Er woh. net droben im Himmel und spricht Worte der Ewigkeit, wir Blinden aber wohnen auf Erden und verstehen uns nur auf die Wege des Fleisches und der Zeit So fasse ich auch die Worte des weisen Mannes auf: Deus enim in coelo, et tu super terram: idcirco sint pauci sermones tui. "Gott ist im Himmel, du aber bist auf Erden; daher sollst du wenig reden2)."

Du magst mir vielleicht entgegenhalten: Aber, wenn wir doch diese Dinge nicht begreifen können und uns nicht in solches einmischen sollen, wozu teilt sie uns dann Gott mit? Ich habe schon gesagt, dafJ man alles zu seiner Zeit verstehen wird, wann es jenem gefAllt, der es gespro. ehen, und dafJ nur der es erfassen wird, den Gott dazu bestimmt hat Man wird einsehen, dafJ es so kommen mufJte; denn Gott bleibt bei allem, was er tut, gerecht und wahrhaftig. Glaubet mir, man wird nie so ganz den Sinn der Worte und Werke Gottes verstehen und erfassen; man soll sich aber auch nicht vom AufJeren Schein be. stimmen lassen, wenn man nicht grofJem Irrtum zum Opfer fallen und arg beschAmt werden will. Dies wufJten die Propheten gar wohl, in deren Hände das Wort Gottes gelegt war. Für sie bedeutete das Weis. J) 8 Kg 11, ~ I) Prd 5, 1. 188

sagen an das Volk eine gr06e Last. Denn sie sahen, wie bereits angedeutet, dass vieles von dem, was ihnen geoffen- bart worden, nicht so buchstäblich in Erfüllung ging. Da- her kam es, dass man sich vielfach über die Propheten lustig machte und ihrer spottete, so dai Jeremias in die Klage ausbrach: "Ich bin zum Gespötte geworden jeden Tag. Alle verlachen und verachten mich; denn schon ge- raume Zeit rede ich gegen die Bosheit und verkünde ihnen Verderben. Aber das Wort des Herrn ist mir zum Schimpf geworden und zum Spotte Tag für Tag. Ich sprach also: Nicht mehr will ich sein gedenken und nicht mehr will ich reden in seinem NamenI)." Der heilige Prophet spricht sich an dieser Stelle zwar voll Ergebung in sein Schicksal aus und wie ('in Mensch, der zu schwach ist, um die Wege und Geheimnisse des Herrn zu ertragen; aber er gibt zu- gleich deutlich zu verstehen, wie weit die Erfüllung der göttlichen Aussprüche verschieden ist von der gewöhn- lichen Auffassung der Menschen. Denn man hielt die hei- ligen Propheten für Schwätzer, und es hatten diese um ihrer Aufgabe willen so viel zu leiden, dass derselbe Jere- mias an anderer Stelle ausruft: Formido et laqueus facta est nobis vaticinatio et contritio. ,;Zum Schrecken ist uns geworden und zum Fallstrick die Weissagung und zum Verderben')." Und der Grund, weshalb sich Jonas dem Auftrage. des Herrn, den Untergang Ninives zu verkünden, durch die Flucht entzog, war kein anderer, als weil er er- kannte, wie sehr die Aussprüche des Herrn verschieden sind von der Auffassung der Menschen, und wie sie sich ja nach ihrer Veranlassung ändern. Damit er also nicht zum Gespötte werde, wenn man seine Weissagung nicht in Erfüllung gehen sehe, floh er, um nicht prophezeien zu müssen, und hielt sich die ganzen vierzig Tage über au6er- halb der Stadt auf, um zu sehen, ob sie in Erfüllung gehe. Und als dies nicht eintrat, grämte er sich so sehr darüber, I 1) Jr 00,7 ff. I) Klg13, 47. 189

daß er zu Gott sprach: Obsecro, Domine, numquid non hoc est verbum meum, cum adhuc essern in terra mea? propter hoc praeoccupavi, ut fuge rem in Tharsis. "Ach, Herr, habe ich das nicht gesagt, als ich noch in meinem Lande war? Eben deshalb habe ich es vorgezogen, nach Tharsis zu ßiehew)." Und der heilige Mann grämte sich darüber und bat Gott, er möge ihn aus dem Leben nehmen. Was sollen wir uns also wundern, wenn so manches, was Gott zu den Seelen spricht und ihnen offenbart, nicht so ausgeht, wie sie meinen? Nehmen wir z. B. an, es ver. sichert Gott einer Seele etwas oder stellt ihr dies oder jenes in."Aussicht, Gutes oder Böses, das sie selbst oder jemand anderen betrifft. Nun hat aber die Verheißung usw. zur Voraussetzung eine bestimmte Handlung, einen Dienst oder aber eine Beleidigung, welche jene. Seele oder eine andere Gott gegenüber zu leisten hat bzw. ihm zufügt. Verharren nun die Betreffenden darin, dann wird auch die Versicherung usw. in Erfüllung gehen. Allein trotzdem ist es noch nicht sicher, ob sie genau nach dem Wortlaut er- füllt wird, denn man hat noch keine Gewißheit, ob sie aus. harren. Man darf sich also auf keinen Fall auf seine Ein- sicht verlassen und versteifen, sondern nur auf den Glauben. 19. K a pi te I Gott erhört zwar manchmal die an ihn gestellten Bitten, doch hat er kein Wohlgefallen an einem solchen Vor. gehen. Wenn er sich auch herabläßt und auf solche Bitten eingeht, so hat er doch gar oft daran Mißfallen. Wie oben schon angedeutet.. verfallen manche geist- liche Seelen einer falschen Sicherheit. Sie halten nämlich die Neugierde, die sie bisweilen dazu veranlaot, auf über. nattlrlichem Wege etwas zu erfahren, für etwas Gutes; da t)Jon~2- 190

Gott n1anchmal ihrem inständigen Bitten nachgibt, meinen i sie, es sei dieser Weg, den sie eingeschlagen, ein guter, und Gott habe sein Wohlgefallen daran. Indes, wenn es auch seine Richtigkeit damit hat, dafJ Gott auf ihre Bitten eingeht, so ist dies gleichwohl nicht der rechte Weg uncl hat Gott durchaus keine Freude daran, im Gegenteil, es mifJfällt ihm. Ja, noch mehr, in den meisten Fällen wird t er dadurch gar sehr erzürnt und beleidigt Warum? Weil f kein Geschöpf die Schranken, die ihm Gott nach den Ge- i.. setzen der Natur zu seiner Leitung gesetzt hat, übers~hrei- r ten darf. Dem Menschen nun hat Gott zu dessen LeItung .die Schranken der Natur und der Vernunft gewiesen. Also ist es nicht angängig, über dieselben hinaus zu wollen und etwas ergründen und auf übernatürlichem Wege erreichen t zu wollen; denn das hiehe die Grenzen der Natur durch- brechen wollen. Das aber ist unerlaubt, und infolgedessen hat Gott kein Wohlgefallen daran, da er durch alles, was unerlaubt ist, beleidigt wird. Dies wufJte König Achaz gar wohl. Obwohl ihm Isaias im Auftrage Gottes befahl, er möge sich ein Zeichen erbitten, wollte er dies dennoch nicht tun, sondern sprach vielmehr: Non petam, et non tentabo Dominum. "Ich will um keines bitten und will den Herrn nicht auf die Probe stellen1)." Denn Gott auf die Probe stellen hiefJe mit ihm auf aufJergewöhnlichen, d. i. übernatürlichen Wegen verkehren wollen. Nun werdet ihr mir entgegenhalten: Wenn dem so ist. und Gott kein Wohlgefallen daran hat, wie kommt es dann, dah erderffioch manchmal auf unsere Bitten eingeht? [ Darauf antworte ich folgendes: Manchmal ist es nur der ~ Teufel. der Antwort gibt In den Fällen aber, wo es Gott t selber tut. tut er es aus Rücksicht auf die Schwachheit jener Seele, die diesen Weg einschlagen will; er willfahrt "ihr, damit sie nicht entmutigt und so rfickfällig werde,

Oswald (Diskussion)amit sie nicht denke, Gott sei ihr böse und prfife

i I) 18 7,12. 191

sie allzu schwer, oder auch aus anderen Ursachen, die nur Gott bekannt sind und die in der Schwachheit jener Seele ihren Grund haben. Gott sieht eben aus alledem, dass ~ gut ist, ihr zu ,,'illfahren, und läßt sich auf diesem Wege zu ihr herab. Ähnlich verfährt er auch mit manch anderen schwachen und 7.artfüWenden Seelen, indem er ihnen ganz fühlbare Wonne und Süßigkeit in ihrem Verkehr mit Gott verleiht. Dies tut er jedoch nicht, weil er es so will, oder weil es ihm gefällt, daß man auf diese Art oder auf diesem Wege mit ihm verkehre. Nein, er teilt einer jeden Seele! mit, was, und wie es für sie am besten ist. j Gott gleicht der Quelle, aus der ein jeder schöpft, so. viel sein Gefäß fassen kann. Bisweilen läßt er es zu, dafl man sich solcher außergewöhnlicher Gefäße zum Schöpfen bedient. Allein, daraus ergibt sich nicht, daß es deshalb auch erlaubt sei, darum zu bitten, daß man das Wasser mit ihnen schöpfen dürfe. Nein, sondern es steht Gott allein zu, dies zu geben wann, wie und wem er will, ohne dass einer darauf Anspruch hätte. So läßt sich Gott manchmal auf das Verlangen und Flehen mancher Seelen ein, die gut und einfältig sind, und die er darum nicht ohne Hilfe lassen will, um sie nicht zu betrüben, nicht aber, weil er etwa an solchem Unterfangen seine Freude hätte. Dies ersieht man noch deutlicher aus folgendem Ver. gleich. Ein Familienvater setzt auf seinem Tisch viele Spei. sen verschiedener Art vor. Die einen davon sind gut, die anderen weniger gut. Da ist nun ein Kind, das ihn um ein Gericht bittet, und zwar nicht von dem besseren, son. dern von dem nächstbesten, das ihm erreichbar ist. Un das Kind bittet gerade um dieses, weil es ihm hesse schmeckt als ein anderes. Da nun der Vater sieht, daß das Kind von der besseren Speise nichts nehmen würde, auch wenn er ihm davon reichte, sondern nur von jener, um die es bittet, und daß es nur an dieser Geschmack findet, so gibt er ihm eben davon, wenn auch ungern, nur 192

um das Kind nicht ohne Speise zu lassen und es nicht zu betrüben. So verfuhr Gott, auch, wie wir wissen, mit den Söhnen Israels, als sie ihn um einen König baten. Er gab irulen wohl einen, aber mit Widerwillen, denn der sollte ihnen nicht gut bekommen. So sprach er denn zu Samuel: Audi vocem populi non enim te abjecerunt, sed me, ne reg- nern super eos. "Gib Gehör dem Rufen dieses Volkes und gib ihnen den König, um den sie dich bitten; denn sie haben nicht dich verworfen, sondern mich, auf daü ich nicht herrsche über siel)!" In ähnlicher Weise verfährt Gott auch mit manchen Seelen und gewährt ihnen, was ihnen nicht zum besten ist, weil sie nur auf diesem Wege wandeln wollen oder können. Bekommen sie also bisweilen zarte und süf3e Empfindungen des Geistes und der Sinne zu kosten, so gibt sie ihnen Gott, weil sie noch nicht im- stande sind, die stärkere und kräftigere Kost der Leiden des Kreuzes seines Sohnes zu vertragen. Nach dieser allein sollten sie nach dem Wunsche Gottes die Hand ausstrecken, statt nach irgend etwas anderem. Ich halte es gleichwohl für viel schlimmer, etwas auf übernatürlichem Wege erfahren, als andere geistige Ge- nüsse mittels der Sinne kosten zu wollen. Denn ich' sehe nicht ein, wie eine nach solchen Dingen gierige Seele zum mindesten nicht läßlich sündigen sollte, mag auch ihre Absicht noch so gut sein, und mag sie auch noch so weit in der Vollkommenheit voran sein. Ein Gleiches gilt auch von dem, der sie dazu aufmuntern würde oder damit ein- verstanden wäre. Nichts von alledem ist notwendig. Wir r, haben die natürliche Vernunft, das Gesetz und die Lehre ! des Evangeliums; das reicht vollständig hin zu unserer (geistlichen) Leitung. Es gibt keine Schwierigkeit, die ni'cht gelöst, und keine Seelennot, die mit den angedeuteten Mitteln nicht geheilt werden könnte, und zwar weit gott- , I) 1 Sm 8, 7. 193

gefälliger und der Seele viel erspri~licher als auf dem r anderen Wege. Ja, wir müssen uns an die Vernunft und die Lehre des Evangeliums so genau halten, dau wir sogar von den Dingen, die uns etwa auf übernatürlichem Wege, ob mit oder ohne unser Zutun, kundwürden, nur das. jenige annehmen dürfen, was mit der Vernunft und der Lehre des Evangeliums voll übereinstimmt. Und nimmt man es dann an, so soll es geschehen, weil es vernünftig is~ und nicht, weil es geoffenbart ist; man soll dabei ganz ab. sehen von allem, was dabei nach Offenbarung schmeckt. Aber man mua gleichwohl jenen Vernunftschluu weit schärfer ins Auge fassen und prüfen, als wenn man darüber keine Offenbarung gehabt hätte, denn auch der Teufel sagt manches, das in der Folge sich bewahrheitet und mit der Vernunft in Einklang steht, um einen dadurch zu täuschen. Darum bleibt uns in all unseren Nöten und Leiden und Schwierigkeiten kein besseres und zuverlässigeres Mittel als das Gebet und die Zuversicht, Gott werde für die Mittel sorgen, die er anwenden will. Diesen Rat gibt uns auch die Heilige Schrift. Wir lesen nämlich da, wie König Josapha~ einst in gröuter Bedrängnis ob der Menge der Feinde, die ihn umgaben, zum Gebete seine ZuOucht nahm und zu Gott also sprach: Cum ignoremus, quid agere debeamus, solum habemus residui, ut oculos nostros dirigamus ad te. "Da wir nicht wissen, was wir tun sollen (in unserer Not), so bleibt uns nur übrig, dau wir unsere Augen auf dich rich. tew)", auf dau du für uns sorgest, so, wie es dir am besten gefällt. Zwar könnte man aus den bisherigen Ausführungen schon genugsam entnehmen, dau Gott, wenn er auch bis- weilen auf solche anmafAende Forderungen eingeht, den- noch manchmal darob zürnet; aber es dürfte gleichwohl angebracht sein, dafür auch aus der Heiligen Schrift einige Belegstellen anzuführen. So lesen wir z. B. im ersten J) 2 Par 00, 12. 194.

Buch der Könige, dass Sau! einst den Wunsch äuoerte, es ' möchte der Prophet Samuel, der doch schon tot war, zu ihm " sprechen. Der genannte Prophet erschien ihm zwar. Doch I Gott war darob entrüstet. Denn der Propbet Samuel er- J teilte ihm sogleich eine Rüge, dass er so etwas getan habe,

. und sprach: Quare inquietasti me, ut suscitarer? "Warum

~ hast du meine Ruhe gestört und mich erwecken lassen1)?" t -Wir wissen ferner, dass Gott über die Kinder Israels ( sehr ungehalten war, obwohl er ihnen willfahrte und ihnen das Fleisch, nach dem sie verlangten, gab. Denn allsogleich sandte er zur Strafe dafür Feuer vom Himmel, wie im Buche Numeri geschrieben steht, und wie uns auch David berichtet in den Worten: Adhuc escae eorum erant in ore ipsorum, et ira Dei ascendit super eos. "Noch hatten sie ~im Mund ihre Speise, da stieg Gottes Zorn wider sie auf2)." -Ebenso lesen wir im Buche Numeri, dass Gott immerfort -dem Propheten Balaam zürnte, weil dieser zu Balak, dem König von Madian, gerufen wurde und sich tatsächlich t auch zu ihm begab, nachdem ihm Gott geboten, er solle nur hingehen. Aber Balaam hatte ein Verlangen danach und

hatte auch Gott darum gebeten. Als er sich nun schon auf

dem Wege dorthin befand, trat ihm der Engel mit dem Schwerte entgegen, ihn zu töten, und sprach: Perversa est via tua mihique contraria. " Verkehrt ist dein Weg und mir entgegen')." Und darum wollte er ihn töten. Auf diese und manch andere Art läfat sich Gott, wenn auch freilich zürnend, zu den Gelüsten der Seelen herab. Wir hätten hiefür in der Heiligen Schrift viele Beweise und Beispiele; doch ist es nicht notwendig, sie anzuführen, da die Sache ohnehin schon klar ist. Ich. möchte nur das eine sagen, dass es weit gefährlicher ist, als sich aussprechen läfat, mit Gott auf solchen Wegen verkehren zu wollen; und wer nicht von dieser Art des Verkehrs lassen wollte, der ~ ~~nfehlbar auf Irrwege geraten und sich oft ent- r 1) Sm~, 15. t) Ps 77, 34. ') Nm 22, 82. 195

täuscht sehen. Und wer viel darauf hält, der wird, durch !:' die Erfahrung belehrt, mich wohl verstehen. Abgesehen davon, daß es ohnehin schon schwierig is~ selbst bei den Ansprachen und Visionen, die von Gott kom. men, nicht auf Irrwege zu geraten, gibt es gewöhnlich viel~ die direkt vom Teufel stammen. Denn dieser gibt sich der Seele gegenüber in seinem Äußern und in seinem Gebaren ähnlich wie Gott, enthüllt ihr Dinge, die den von Gott ilu mitgeteilten täuschend ähnlich sehen, und schleicht sieb so verstohlen ein, wie der Wolf im Schafpelz sich in diE Herde einschleicht, so daß man ihn nur schwer erkennen kann. Da er nämlich manches offenbart, was wahr ist und der Vernunft entspricht und sich in der Folge tatsächlic~ .verwirklicht, so kann man sich leicht täuschen. Man meint weil es sich bewahrheitet und wirklich eintrifft, wie ~ vorausgesagt wurde, so könne es nur von Gott stammen Solche Leute bedenken eben nicht, daß es eine Leichtig- keit ist für ihn, der doch von Natur aus eine klare Er- kenntnis hat, vieles aus der Vergangenheit oder aus deJ Zukunft in seinen Zusammenhängen zu ergründen. Und s~ mag er manches erraten, was erst kommen wird. Da a\S(I Satan ein so scharfer Verstand zu eigen ist, so kann el auch ganz leicht von der und jener Ursache auf die und die Wirkung schließen. Freilich mag es manchmal nichl genau so zutreffen, da ja zuletzt doch alle Ursachen vom Willen Gottes abhängen. Nehmen wir z. B. an: Der Tenfel erkennt aus der Be- schaffenheit der Erde und der Luft, sowie aus der Stellun@ der Sonne, daß dies alles in hohem Grade dazu angetan ist daß infolge des Zustandes dieser Elemente binnen einer be stimmten Frist die Menschheit durch die Pest heimgesuchl werde, und zwar in der einen Gegend mehr, in einer an- deren weniger. Siehe, in diesem Fall wurde die Pest aU! ihren Ursachen erkannt! Was ist da gar viel dabei, wem der Teufel dies einer Seele offenbart und ihr sagt: In einern 196

oder einem halben Jahr tritt eine Pest auf; und es trifft dann wirklich zu? Wir haben es hier eben nur mit einer Prophezeiung des Teufels zu tun. Ebenso kann er auch ein Erdbeben voraussehen, indem er wahrnimmt, wie das Erd- innere sich mit Gasen anfOllt, und ~ann dann sagen: In der und der Zeit wird ein Erdbeben kommen. Das ist aber nichts weiter als natürliche Erkenntnis. Dazu ist nichts weiter erforderlich, als daß man den Verstand frei- hält von den Leidenschaften der Seele, wie dies auch (der Dichter) Boetius ausspricht: Si vis claro lumine cernere verum, gaudia pelle, timorem spemque fugato, ne dolor adsit. " Willst du klar das Wahre erkennen, dann halte ferne Freude und Furcht, sowie Hoffnung und Schmerz1)!" Ja, auch flbernatftrliche Fälle lassen sich erraten, so- fern deren Ursachen in der göttlichen Vorsehung begrOndet sind, die ja unendlich gerecht ist und unfehlbar sicher dafOr sorgt, was die günstigen wie ungOnstigen Verhält- nisse der Menschenkinder erheischen. Man kann nämlich auch auf gewöhnlichem Wege zur klaren Erkenntnis kom- men, diese oder jene Person, die und die Stadt, oder sonst etwas, werde in diese oder jene bedrängte Lage, in die und die Verhältnisse geraten, so da~ Gott in seiner Gerech- tigkeit und gemäß seiner allwaltenden Vorsehung ein- greifen muß, so, wie es eben die Verhältnisse erheischen, sei es, um zu strafen oder zu belohnen oder wie immer; und so kann man dann ruhig sagen: binnen der und der Zeit wird euch Gott dies und dies gewähren, dies und dies über euch verhängen, oder es wird dies oder jenes mit Bestimmtheit eintreten. Dies gab auch Judith dem ,. Holofernes zu verstehen. Um ihn zu Oberzeugen, da~

1) Der Ausspruch sch{'int aus dem Gedächtnis wiedergegeben zu sein. Der eigentliche Wortlaut bei Bot!tius (Migne 75, 1~) ist dieser: Tu quoque si vis lumine claro ICernere veruml Tramite reeto ßarpere callem IGaudia pelle,1 Pelle timorem, ISpemque fugato,1 Neß dolor adsit.

197 die Kinder Israels ganz sicher zugrunde gehen m erzählte sie ihm zuerst von den vielen Sünden und Fr die jene begangen hatten. Dann sagte sie: Ergo, qu hoc faciunt, certum est, quod in perditionem dah " Weil sie also solches tun, werden sie bestimmt der derben überantwortet werden1)." Das ist nichts ander die Strafe aus ihrer Ursache voraussehen. Es soll eben gesagt sein: Es ist sicher, daö solche Missetaten Strafen von seiten Gottes fordern, da er der une Gerechte ist. Auch die göttliche Weisheit äu~ert s ähnlicher Weise: "Worin einer sündigt, darin wird e gestraft2)." Satan kann dies nicht nur kraft seiner lichen Erkenntnis wissen, sondern auch aus seiru fahrung heraus, indem er Gott schon also verfahre Und so kann er es voraussagen, und bisweilen tr auch tatsächlich zu. Auch der fromme Tobias erkannte aus der Ursac Züchtigung der Stadt Ninive. Darum ermahnte er Sohn, er solle in der Stunde, da er und die Mutter s würden, die Stadt verlassen, da diese nicht mehr be könne. Video enim, quia iniquitas ejus nnem da "Ich sehe nämlich voraus, daö ihre Bosheit ihr End bei führen wird8)." Als wollte er damit sagen: Icl deutlich voraus, daß gerade ihre Bosheit die Ursach4 Züchtigung sein muß, welche darin bestehen wird, rl untergeht und gänzlich zerstört wird. Sowohl der wie auch Tobias konnten diese Folgerung ziehen nic~ aus der Bosheit der Stadt, sondern auch aus ih~ fahrung. Sie sahen ja, da~ die Stadt die gleichen taten angehäuft hatte, um derentwillen Gott die Erde die Sintflut vernichtet hatte, um derentwillen er au Bewohner von Sodoma gestraft hatte, die durch Feul ') .Tdt 11,12. '> Weish 11, 17. 8) Tob 14, 18, 198

kamen. Tobias wu6te dies aber auch infolge einer Offen- barung des Geistes Gottes. Ebenso kann z. B. der Teufel auch wissen, dass ein gewisser Petrus nach dem natürlichen Verlauf der Dinge nicht mehr länger leben kann als so und so viele Jahre, und kann es infolgedessen voraussagen. Ähnlich ist es mit vielen anderen Dingen, die man nicht alle aufzählen, ja, mit denen man gar nicht anfangen kann, weil es sich da um sehr heikle und verwickelte Sachen handelt. Aber es kann dabei leicht Betrug mit nnterlaufen. Und wie soll man sich davor verwahren? Nur dadurch, dass man sich vor all diesen übernatürlichen Offenbarungen und Visionen und Ansprachen in acht nimmt. Darum zürnt Gott mit Recht über den, der sich in solches einlüt. Wei6 er doch, dass es von seiten eines solchen Menschen Vermessenheit ist, sich in solche Gefahr zu stürzen, und daß es Anma6ung und Neugierde ist, die wieder eine Tochter des Hochmutes, Wurzel und Quell der Ehrsucht, MifJachtung des Göttlichen ist und außerdem die Ursache vieler übel, wobei schon viele zu Fall gekommen sind. Solche Menschen erzürnten dadurch Gott derart, dass er sie geflissentlich in Irrtum, Täuschung und geistige Ver- blendung geraten lie6, so dass sie schlie61ich die gewöhn- lichen Lebenswege verlie6en und sich ihren Torheiten und Phantasiegebilden überließen. Denn also spricht Isaias: Dominus miscuit in medio ejus spiritum vertiginis. "Der Herr hat ausgegossen in ihrer Mitte einen Geist des Tau. mels1)." Das will auf gut deutsch hei6en, einen Geist, alles verkehrt aufzufassen. Damit hat Isaias ein offenes Wort gesprochen, das gerade zu unserer Sache pa6t, denn es war dies Wort an jene gerichtet, welche künftige Dinge auf übernatürlichem Wege wissen wollten. Und darum sagt er, Gott habe ihnen einen Geist, alles verkehrt auf- zufassen, eingegossen. Nicht als ob Gott gewollt hAtte, daß I) 18 19, 14. 199

sie in Irrtum geraten sollten, oder als ob er ihnen tat. sächlich den Geist des Irrtums mitgeteilt hätte, nein, son. dern weil sie sich an Dinge heranmachen wollten, die ihnen auf natürlichem Wege unerreichbar waren, so ließ er, dar- ob erzürnt, zu, daß sie im Ungewissen herumtappten, und entzog ihnen das Licht in Dingen, die sie wider seinen Willen wissen wollten. Somit ist das Wort: Gott gOß in sie jenen Geist aus, in dem Sinne aufzufassen, daü er sie des rechten Geistes beraubte. Also ist Gott die Ursache jenes Unheils, d. h. er ist die beraubende Ursache, insofern er sein Licht und seine Gnade entzieht, so daß man infolge davon 1mfehlbar in Irrtum verfällt. Auf diese Weise erlaubt Gott auch dem Teufel, daFl er manche blende und täusche, die es durch ihre Sünden und Frevel verdient haben. Und der Teufel kann es und hat damit auch Erfolg, da ihm jene glauben und ihn für einen guten Geist halten. Ja, sie kommen so weit, daß sie sich durch nichts mehr ihren Irrtum benehmen lassen, selbst wenn sie ganz davon überzeugt sind, es sei kein guter Geist. So sehr haben sie schon mit Gottes Zu- lassung den Geist, alles verkehrt aufzufassen, in sich auf- genommen. Wie uns berichtet wird, ist solches auch den Propheten des Königs Achab widerfahren. Gott lieü 7.0, daü sie vom Geiste der Lüge irregeführt wurden und gab Satan dazu die Erlaubnis mit den Worten: Decipies et praevalebis; egredere et fac im. "Du wirst ihn hintergehen, und es wird dir gelingen: gehe hin und tue alsol)." Und er hatte mit seinem Trug solche Macht Ober die Propheten und über den König, daß sie dem Propheten MichAa..., nicht mehr glauben wollten, als ihnen dieser ganz in Gegensatz zu dem, was jene prophezeit hatten, die Wahrheit verkündete. Dies geschah, weil sie Gott mit Blindheit schlagen lien, 1) 8 Kg 22, ~ 200

da sie in ihren Wünschen ganz von ihrem Eigenwillen eingenommen waren. Sie wollten nämlich, Gott solle ihnen willfahren, und es solle ihnen alles nach ihren Gelüsten und Wünschen gehen. Dies war das sicherste Mittel und die beste Vorbereitung dafür, daü sie Gott geflissentlich in Verblendung und Irrtum fallen lieü. Ähnliches finden wir auch beim Propheten Ezechiel ausgesprochen. Indem er sich gegen jemand wendet, der mit Vorwitz und hochmütigen Geistes etwas auf gött- lichem Wege erfahren möchte, spricht er (im Namen Got- tes): "Wenn jener Mensch zum Propheten kommt, um mich durch ihn zu befragen, so werde ich, der Herr, selber ihm Antwort geben, und ich werde mein Angesicht voll Zorn auf ihn richten. Und wenn der Prophet in dem, um was er gefragt wurde, sich irrt: Ego Dominus decepi prophetam illum, so bin ich es, der Herr, der den Propheten getäuscht hatI)", d. h. indem ich ihm mit meiner Gnade nicht beistehe, um nicht in Irrtum zu fallen. Denn das soll das Wort besagen: Ich, der Herr, werde selber in meinem Zorne ihm Antwort geben. Dies soll heiüen: Gott entzieht einem solchen Menschen seine Huld und Gnade, und die unausbleibliche Folge davon ist, daü dann derselbe ein Opfer des Betruges wird. Da ist denn der Teufel gleich zur Stelle und willfahrt einem solchen Menschen nach dessen Geschmack und Verlangen. Und da dieser Freude daran hat, und da die (gewünschten) Antworten und Mit- teilungen ganz nach seinem Wunsche ausfallen, lä~t er sich völlig umgarnen. Alle bisherigen Ausführungen sind dazu angetan, un- sere Behauptung zu erhärten. Denn aus all dem geht her- vor, da~ Gott kein Wohlgefallen daran hat, wenn man nach der Finsternis verlangt, will sagen nach solchen Vi- sionen, sonst lieüe er es nicht zu, daü man durch sie so furchtbar in Irrtum geführt wird. J) Ez 14, 7. 8. 201

iO. Kap i tel Daß es im Neuen Bunde nicht wie im Alten erlaubt Gott auf übernatürlichem Wege zu befragen. E8 dies ein nützlicher B~itrag 8ein zum bes8eren V er8t~ ni8 der Geheimni8se unseres heiligen Glaubens. Be, aus dem heiligen Paulu8, von dem eine Stelle zu diel Zwecke erklärt wird. Während wir eben dies schreiben, tauchen D Zweifel auf. Darum können wir nicht so schnell wei gehen, wie wir gerne möchten. Nachdem wir sie se aufwerfen, ist es notgedrungen auch unsre Pflicht, SiE lösen. Nur so kann die Wahrheit dieser Lehre in vc Klarheit und in ihrer Wucht zutage treten. Indes ha solche Zweifel das Gute an sich, dass sie, wie in vorliej dem Fall, doch sehr dazu beitragen, unseren Gegenst besser zu erklären und lichtvoller zu gestalten. Darum es wenig zu sagen, wenn sie uns ein wenig aufhalten. Im vorausgehenden Kapitel behaupteten wir, es gegen Gottes Willen, wenn die Seelen bestimmte Di durch Visionen oder Ansprachen usw. auf ObernatOrlicl Wege erfahren wollen. Anderseits sahen und folgel wir im gleichen Kapitel aus den daselbst angefühl Stellen der Heiligen Schrift, dass der angedeutete V er~ mit Gott im Alten Bunde Oblich und erlaubt war. Ja n bl06 erlaubt war er, sondern Gott gebot ihn geradezu sprach Worte des Tadels aus, wenn man nicht darauf acht Dies ersehen wir z. B. aus Isaias; da tadelt nämlich ( die Israeliten, weil sie, ohne ihn zuvor zu fragen, D Ägypten zu ziehen gedachten. Er sprach zu ihnen: ambulatis, ut descendatis in Aegyptum, et os meum interrogastis. ,,(Wehe euch), die ihr, ohne mich zu fra! nach Ägypten zieheV)!" Auch im Buche Josue lesen wie der Heilige Geist den Kindern Israels, die von I) 1800,2. 202

Gabaoniten waren getäuscht worden, diese Unterlassung zum Vorwurf macht mit den Worten: Susceperunt igitur de cibariis eorum et os Domini non interrogaverunl "Sie nahmen also von ihren Lebensmitteln an und fragten den Herrn nicht um Ratl)." Ähnlich ersehen wir aus der Heiligen Schrift, daß Moses sowie der König David und alle Könige Israels in ihren Kriegen und Bedrängnissen stets den Herrn um Rat fragten. Ebenso taten die Priester und die alten Propheten. Und Gott gab ihnen Antwort und redete mit ihnen und zürnte ihnen nichl Und es war gut so. Hätten sie es aber unterlassen, so wäre es nicht recht gewesen. Wenn dem nun so ist, warum sollte es denn jetzt im Neuen Bunde der Gnade nicht mehr erlaubt sein wie ehedem? Darauf möchte ich zur Antwort geben: Der Haupt- grund, warum es. im Alten Bunde erlaubt war, solche Fragen an Gott zu richten, und warum die Propheten und Priester Visionen und Offenbarungen von Gott verlangen mußten, ist der, weil damals der Glaube noch nicht so fest begründet und das Gesetz des Evangeliums noch nicht gegeben war. Darum mu6ten sie Gott fragen und mußte Gott zu ihnen reden, bald in Worten, bald in Visionen und Offenbarungen, bald in Bildern und Gleichnissen, bald in r mancherlei anderen Zeichen. Alles, was Gott da antwortete , und redete und wirkte und offenbarte, waren Geheimnisse c unseres Glaubens oder wenigstens etwas, das auf den Glau- ben Bezug hatte oder auf ihn eingestellt war. Sachen des Glaubens sind eben nicht Menschenwerk, sondern sie stam- men aus dem Munde Gottes selbst. Er hat sie durch seinen eigenen Mund geoffenbarl Darum war es, wie schon gesagt, notwendig, dass sie zu diesem göttlichen Munde kamen, um sich Rats zu holen. Und eben deshalb verwies es ihnen [. Gott, wenn sie in ihren Angelegenheiten nicht auf seinen Mund horchten, was er ihnen sagen würde, um so ihre I) -Tos 9, 14. 203

scbicke und ihre Angelegenheiten dem Glauben ent- gegenzuführen, den sie noch nicht hatten, da er noch nicht gefestigt war. Jetzt hingegen, in der Zeit der Gnade, wo der Glaube in Christus festgegründet und das Gesetz d~ Evangeliums geoffenbart ist, besteht keine Veranlassung mehr, ihn auf jene Weise zu fragen, auf daß er zu uns rede und uns Antwort gebe, wie er ehedem getan. Denn dadurch, daß er uns seinen Sohn geschenkt, der ein Wort von ihm ist und außer welchem es kein andres gibt, hat er alles zumal in diesem einen Worte gesprochen und braucht nun nicht mehr zu uns zu reden. Dies ist auch der Sinn jener Stelle, durch die der hei- lige Paulus die Hebräer dahin bringen will, daß sie sich frei machen von jener ursprünglichen Art mit Gott zu ver- kehren, wie sie im mosaischen Gesetze üblich war, und statt dessen ihre Augen einzig auf Christus richten sollten. Er sagt da nämlich: Multifariam multisque modis olim Deus loquens patribus in Prophetis, novissime diebus istia locutus est nobis in Filio. "Zu wiederholten Malen und auf mannigfache Art sprach Gott einst durch die Propheten zu den Vätern; in diesen letzten Tagen sprach er durch seinen Sohn zu uns1)." Damit will uns der Apostel zu verstehen geben, Gott sei gleichsam stumm geblieben und brauche nicht mehr zu sprechen; denn, was er ehedem nur stflck. weise zu den Propheten geredet, das hat er rnmmehr im ganzen gesprochen, indem er uns das Ganze gab, nämlich seinen Sohn. Wer demnach jetzt noch Gott befragen oder von ihm Visionen oder Offenbarungen haben wollte, der wflrde nicht bloß unvernllnftig handeln, sondern er wilrde Gott geradezu beleidigen, weil er seine Augen nicht einzig auf Christus richtet ohne jegliches Verlangen nach aufier. ordentliehen Dingen. Gott könnte zu einem solchen Men. schen sagen: Ich habe dir ja schon alles geoffenbart in mei. nem Worte, d. i. meinem Sohne; ich habe also nichts mehr, I) Hbr 1,1. . 204

was ich dir noch offenbaren oder k~dtun könnte, das mehr wäre als dieses (mein Wort); richte also deine Augen einzig auf ihn, denn in ihm llabe ich dir alles vorgestellt und ge- sagt und geoffenbart. In ihm wirst du mehr finden, als was du erbitten und wünschen kannst. Du verlangst nach An- sprachen, Offenbarungen, Visionen. Das alles ist nur Stück- werk. Richtest du dagegen deine Augen auf ihn, so wirst du in ihm alles finden; denn er ist all meine Aussprache und meine Antwort; er ist all mein Schauen und Offen- baren. Durch ihn liabe ich zu euch gesprochen, euch geant- wortet und kundgetan und geoffenbart; denn ich habe ihn euch zum Bruder, Lehrer und Freund gegeben, ihn zum Preise und zum Lohne. Ich habe mich einst an jenem Tage mit meinem Geiste auf dem Berge Tabor auf ihn nie- dergelassen, als ich die Worte sprach: Hic est filius meus dilectus, in quo mihi bene complacui; ipsum audite. "Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe; ihn sollt ihr hören1)!" Darum habe ich nichts mehr zu schaffen mit derartigen Unterweisungen und Antworten; von ihm hie6 es ja: Ihn sollt ihr hören! Ich habe also kei- nen anderen Glauben zu offenbaren, keine anderen Dinge kundzutun. Habe ich ehedem (zu den Menschen) geredet, so geschah es, um Christus zu verhei6en; und hat man mich befragt, so zielten diese Fragen ab auf das Verlangen nach Christus und auf die Hoffnung auf ihn. In ihm war alles Heil zu finden, wie gegenwärtig aus der ganzen Lehre der Evangelisten und Apos~l zu ersehen ist. Wollte mich darum unter den jetzigen Verhältnissen jemand auf jene frühere Art befragen und wollte jemand, dass ich zu ihm rede oder ihm etwas offenbare, so hie6e das gewisserma6en mich neuerdings um den Erlöser bitten und verlangen, dass ich ihm noch mehr zu glauben offenbare, als ich ohnehin schon geoffenbart habe. Das wäre aber ein mangelhafter Glaube an Christus, in welchem er geoffenbart ist. Und so ~ I) Mt 17, 5. 205

würde ein solcher Mensch meinem geliebten Sohne große Unbill zufügen, weil es ihm nicht nur am Glauben an ihn fehlte, sondern weil er dadurch gleichsam zum Ausdruck brächte, er solle aufs neue Mensch werden und durchs Leben gehn und den Tod nochmals kosten. Du wirst nichts finden, was du von mir verlangen oder wünschen könntest an Offenbarungen oder Visionen. Sieh nur genau auf ihn, denn in ihm findest du das alles schon vollbracht und ge. geben, ja mehr noch als dies. Willst du, daß ich dir ein Wort des Trostes sagen soll, dann schau' auf meinen Sohn, der mir gehorsam war und aus Liebe zu mir große Trübsal erfahren hat. Du wirst sehen, was er dir zur Antwort geben wird. Willst du, daß Gott dir gewisse geheime Dinge und.. Geschicke offenbare: richte nur deine Augen auf ihn! In ihm wirst du die tiefsten Geheimnisse, Kenntnisse und Wunder schauen, die in ihm verborgen sind, wie dies auch mein Apostel ausspricht in den Worten: In quo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae absconditi. "In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgew)." Diese Schätze der Weisheit sind für dich viel erhabener und lieblicher und nützlicher als das, was du wissen möch. test. Deshalb rief der gleiche Apostel frohlockend aus, "er habe kein anderes Wissen geglaubt (seinen Korinthern) zeigen zu sollen als das von Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten". Non enim judicavi me seire aliquid inter vos, nisi Jesum Christum, et hunc crucifixum2)." -Willst du ferner noch andere Visionen od,er Offenbarungen von gött- lichen oder körperlichen Dingen, dann schau' nur wieder ihn an in seiner Menschheit, und du wirst in ihm mehr finden, als du denkst. Denn es sagt ja St. Paulus von ihm: In ipso inhabitat omnis plenitudo Divinitatis corporaliter. "In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftiga)." Man darf also Gott nicht mehr auf jene Art befragen, und es ist durchaus nicht nötig, daß er zu uns spreche. J) KoI 2, 9. 2) 1 Kor 2, 2. S) KoI 2, 9, 206

Nachdem er ja bereits alles, was zu glauben ist, in Christus i verkündet hat, gibt es keinen anderen Glauben mehr zu offenbaren, und er ;wird dies auch nie mehr tun. Wer also jetzt noch auf übernatürlichem, außergewöhnlichem Wege etwas erfahren wollte, der würde gleichsam Gott als FeWer vorhalten, als habe er uns in seinem Sohne nicht alles zur Genüge mitgeteilt. Denn selbst wenn man solches unter- nimmt, obschon man den Glauben voraussetzt und an ihm. festhält, so verrät das dennoch Vorwitz und mangelhalteIl Glauben. Darum darf man sich in solchem Vorwitz auf übernatütlichem Wege keine Belehrung oder sonst etwas erwarten. Denn in dem Augenblick, da Christus am Kreuze sterbend ausrief: Cosummatum est. "Es ist vollbrachV)". I haben nicht bloß all jene Arten (lnit Gott zu verkehren), ! sondern auch alle Ritualgesetze des Alten Bundes aufge- i hört.

So müssen wir uns denn in allem durch die Lehre un- t seres Herrn Jesus Christus, der da Mensch geworden, so. i wie von seiner Kirc~e und ihren Dienern nach Menschen- ! art und in sichtbarer Weise leiten lassen und müssen auf diesem Wege unsere Unwissenheit und unsere geistigen Schwächen heilen lassen. Denn für all das finden wir auf diesem Wege Heilmittel in Fülle. Was sich von diesem Wege entfernt und eigene Wege geht, das ist ni~ht blo~ Vorwitz, sondern gröbliche Vermessenheit. Nichts, das uns auf übernatürlichem Wege kundwird, soll man glauben als allein die Lehre des Gottmenschen Jesus Christus und seiner menschlichen Diener. Dies ist so ernst zu nehmen, I dafJ ein heiliger Paulus sagt: "Sed licet... Angelus de coelo evangelizet vobis, praeterquam quod evangelizavimus i vobis, anathema sit. "Selbst wenn euch ein Engel vom ! Himmel ein anderes Evangelium predigte, als das wir euch verkündet haben, er sei ver8ucht~)!" 1) .Toh 19,00. ') Gall, 8. 207

So bleibt es denn dabei, daü man stets sich an das halten muü, was uns Christus gelehrt hat. Alles andere taugt nichts, und man darf es nur dann gläubig annehmen, wenn es mit der Lehre Christi übereinstimmt. Wer heute noch nach Art der Menschen im Alten Bunde mit Gott ver. kehren wollte, der ginge verkehrte Wege. übrigens war es ja auch nicht einmal damals einem jeden erlaubt, Gott zu befragen, noch gab Gott allen zugleich Antwort, sondern nur den Priestern und Propheten, aus deren Mund das Vo~ Gesetz und Lehre entgegennehmen sollte. Wollte also je mand von Gott etwas erfahren, so fragte er durch Ver mittlung eines Propheten oder Priesters darum und nich in eigener Person. Und wenn David bisweilen in eigene Person Gott befragte, so geschah das nur, weil er ein Pro phet war. Aber trotzdem tat er es nur dann, wenn er mi dem priesterlichen Gewande angetan war. So lesen wir il ersten Buche der Könige, wie er zu dem Priester Abjatha sprach: Applica ad me Ephod. "Bringe mir das Eplw herI)!" -es war aber das Ephod eines der vorzüglichste Priestergewänder -und er fragte, mit diesem angetan, dE Herrn um Rat. In anderen Fällen holte er sich durch Ve mittlung des Propheten Nathan oder anderer Propheb Rats bei Gott. Was so den Israeliten durch den Mund d, Propheten und der Priester verkündet Wllrde, das gI ihnen als Gottes Wort und nicht als deren persönliche A sicht. Und was Gott sonst sprach, dem konnte keine A torität und keine Gewalt völlige Glaubwnrdigkeit mitteilE wenn es nicht durch den Mund der Priester und Prophet erhärtet wurde. Gott hat eben eine ganz besondere VI liebe dafnr, daü die Menschen wiederum durch Mensch! die ihm ähnlich sind, geleitet und gefnhrt werden, und d der Mensch hinwieder sich regieren und leiten la~se dUI 1) 1 Sm 00, 7. Im Original ist !ltatt Abjathar Abimelech zu let der der Vater Abjathars war. -Ferner 1st hier in der spanisol Ausgabe 1 Sm ~, 9 zitiert, während die oben angeführte Stelle zu 00, 7 stimmt. 208.

r die natürliche Vernunft. Darum verlangt er durchgehends, daü wir den Wahrheilen, die er uns auf übernatürlichem Wege mitteilt, keinen vollen Glauben beimessen sollen und daß wir uns ihretwegen nicht voll und ganz gewiß halten sollen, solange sie nicht durch diesen menschlichen Kanal, ~d. i. den Mund des Menschen zu uns gelangt sind. Sooft er dar~m der S~ele etwas ~tteilt o~er offe~art, tut er .es stets, Indem er Jener Seele eine gewISSe NeIgung dazu ein. r flößt, es jenen mitzuteilen, die ein Recht darauf haben. ~ Solange dies nicht geschieht, gewährt er auch gewöhnlich keine volle Befriedigung darüber, damit so der Mensch lerne, diese von einem anderen Menschen, der ihm ähnlich ist, entgegenzunehmen. Solches ist, wie wir im Buche der Richter lesen, dem Führer Gedeon widerfahren. Obwohl ihm Gott schon des ~ öfteren versichert hatte, er werde die Madianiten besiegen, , blieb dieser gleichwohl voller Zweifel und Furcht. Gott be- ~; ließ ihm denn auch dieses bange Zagen, bis er aus dem Munde der Menschen selber vernahm, was Gott zu ihm gesprochen. Als ihn nun Gott so mutlos sah, sprach er zu ihm: Surge et descende in castra. ...et cum audieris, quid I. loquantur, tunc confortabuntur manus tuae, et securior ad hostium castra descendes. "Mache dich auf und geh in das Lager hinab Und wenn du hörst, was sie reden, wer- den erstarken deine Hände, und du wirst mit größerer Zu- versicht in das Lager der Feinde hinabziehew)." So ge- schah es denn auch. Als er höfte, wie ein Madianite seinem Nachbar einen Traum erzählte, in welchem jener geträumt hat,te, Gedeon werde die Medianiten besiegen, da faßte er wieder Mut und begann mit großer Freude zur Schlacht zu f. rüsten. Daraus. ersieht man, ,,:ie G~tt nicht haben. wo~lte, t dass Gedeon serner Sache geWIß seI; denn er verlIeh Ihm diese Gewißheit nicht ausschließlich auf übernatürlichem Wege, bis sie nicht auf natürlichem Wege bestätigt war. I) Richt 7, 9. 11. 209

Weit wunderbarer ist noch, was in dieser Hinsicht dem Moses begegnete. Gott hatte ihm nämlich aus man. cherlei Ursachen den Auftrag gegeben, er solle hingehen und die Kinder Israels befreien. Er hatte diesen Auftrag auch noch bekräftigt durch Wunderzeichen, wie z. B. durch den Stab, der in eine Schlange verwandelt wurde, sowie durch Heilung der aussätzigen Hand. Aber trotzdem war Moses so unentschlossen, so zaghaft und unsicher auf dem Wege zur Erledigung dieses Auftrages, dass er ungeach. tet des Zümens Gottes über ihn doch nie zu einem festen Entschlun sich aufraffen konnte, mit lebendigem Glauben das Werk zu vollbringen. Da ermutigte ihn Gott selber, indem er ihn an seinen Bruder Aaron verwies und zu ihm sprach: Aaron, frater tuus Levites, scio quod eloquens sit: ecce ipse egreditur in occursum tuum, vidensque. te laeta. bitur corde. Loquere ad eum et pone verba mea in ore ejus: et ego ero in ore tuo et in ore illius. "Ich wein, da& Aaron dein Bruder, der Levit, beredt ist. Sieh, er kommt dir entgegen und freut sich von Herzen, wann er dich sieht. Rede mit ihm und lege all meine Worte auf seine Zunge: ich werde in deinem und seinem Munde seinl)", auf daß so ein jeder seine Beglaubigung aus dem Munde des anderen erhält. Als Moses diese Worte vernahm, fante er sogleich Mut in der Hoffnung des Trostes, der ihm durch den Rat seines Bruders zuteil werden sollte. Solches erhält nämlich die Seele in der Demut, so dass sie sich nicht anmant, allein mit Gott zu verkehren. Sie findet ja keine volle Beruhi. gung, wenn sie nicht Leitung und Beratung von Menschen empfängt. Und so ist es auch der Wille Gottes. Denn wo immer sich mehrere Menschen zusammenfinden, um sich Ober die Wahrheit zu besprechen, da gesellt er sich zu ihnen und erleuchtet und festigt sie in der Wahrheit, die auf der natürlichen Vernunft sich gründet, wie er Moses und Aaron getan, als er im Munde der beiden war. Darum 1) Ex 4, 14. 15. 210

heiüt es auch im Evangelium: Ubi enim sunt duo vel tres congreg-ati in nomine meo, ibi sum in medio eorum. "Wo Izwei oder drei in meinem Namen versammelt sind -um zu beraten, wa.s mehr zur Ehre Ul1d Verherrlichung meines Namens gereicht -, da bin ich mitten unter ihnen1)" und erleuchte und stärke ihre Herzen in der göttlichen W ahr- heit. Wolllgemerkt, es heiüt nicht: wo ein e r ist, da bin ich dabei, sondern wo mindestens z w e i sind. Damit will Gott zu verstehen geben, es .sei nicht nach seinem Willen, dai einer für sich allein &1 das glaube, was er für gött. liche Wahrheit halte, oder sich darin bestärke, ja es auch nur zu behaupten wage, bevor er sich nicht der Lehrgewalt der Kirche und ihrer Diener unterworfen habe. Denn wo sich einer auf sich allein verläit, da mag auch Gott nicht die Wahrheit in seinem Innern erhellen und stArken, und so bleibt. denn ein solcher trotzdem matt und kalt. Das ist es, was denn auch der Prediger betont mit den Worten: Vae soli, quia, cum ceciderit, non habet sublevan- tem se. Et si dormierint duo, fovebuntur mutuo: unus, i, quomodo calefiet? Et, si quispiam praevaluerit contra unum, duo resistunt ei2). "Wehe dem, der allein ist! Denn, wenn er fällt, hat er niemand, der ihm aufhilft. Wenn zwei bei- l. sammenschlafen, so wärmen sie einander; wie wird sich f aber einer allein wärmen?", d. h. wie soll er allein sich der I Kälte in göttlichen Dingen erwehren? "Und wenn einer

. den anderen übermag" (d. h. wenn Satan übermächtig

t wird über jene, die in göttlichen Dingen für sich allein da- r stehen wollen), "so werden zwei vereint ihm widerstehen", I d. i. der Schüler und der Meister, wenn sie sich zusammen- f tun, um die Wahrheit zu erforschen und zu erfüllen. Denn bis dahin wird sich gewöhnlich der einzelne lau und matt Lf ~ der Wahrheit, mag er sie auch noch so deutlich i ) Mt 18, 00. ') Prd 4, 10-12. 211

von Gott vernommen haben. Dies schien selbst einem heiligen Paulus so wichtig, daa er, der doch schon lange das nicht von Menschen, sondern von Gott empfangene Evangelium verkündete, nicht mit sich allein fertig werden konnte, sondern hinging, um sich mit St. Petrus und den übrigen Aposteln zu besprechen. Denn er sagte: Ne in vacuum currerem, aut cucurrissem. "Es sollte nicht mein jetziger und mein früherer Lauf vergeblich sein1)", d. h. er war seiner Sache nicht sicher, bis ihm nicht diese Ge. wißheit aus Menschenmund bestätigt wurde. Ist das nicht etwas ganz Sonderbares, 0 Paulus, daß der, der dir das Evangelium geoffenbart hat, dir nicht zugleich auch ver. bürgen konnte, daß du in der Verkündigung der göttlichen Wahrheit keinen Irrtum begehest? Daraus ersieht man deutlich, daß man sich in den von Gott geoffenbarten Dingen keiner Gewißheit hingeben darf, es sei denn auf dem eben beschriebenen Weg. An. genommen z. B., jemand habe eine Gewißheit, wie sie St. Paulus bezüglich seines Evangeliums hatte, das er doch schon eine Zeitlang gepredigt, so kann er dennoch, wenn auch die betreffende Offenbarung wirklich von Gott I stammt, sich hinsichtlich ihrer oder in dem, was zu ihr I; gehört, irren. Denn wenn auch Gott das eine sagt, offenbart I er damit nicht immer auch das andere; und gibt er bis. weilen die Sache selbst an, so doch nicht zugleich die Art ihrer Ausführung. Für gewöhnlich tut und offenbart er nämlich nicht alles das, was der Mensch durch eigenes Zutun und gestützt auf den Rat eines anderen vollbringen kann, und zwar nicht einmal dann, wenn er schon lange Zeit in ganz vertrautem Verkehr mit der Seele gestanden hat. Das wußte auch St. Paulus gar wohl; denn obwohl er überzeugt war, daß ihm das Evangelium von Gott ge., offenbart worden, ging er doch hin, um sich darüber zu besprechen. 1) Gal 2, 2. 212

Dafür liegt uns auch ein deutlich sprechendes Beispiel vor im Buche Exodus. Obwohl da nämlich Gott so ver. traut mit Moses verkehrte, gab er ihm doch nie jenen heilsamen Rat, den ihm sein Schwiegervater Jethro er- teilte, er solle nämlich noch andere Männer als Richter auf- stellen, die ihn (in Ausübung seines Amtes) unterstützen sollten, damit das Volk nicht von früh bis abend warten brauchel). Gott billigte denn auch diesen Rat; und doch hatte er ihn nicht selbst gegeben, weil dies in den Bereich gehörte, wo menscWiches Urteil und Denken sich betätigen konpte. In ähnlicher Weise offenbart denn auch Gott für gewöhnlich all das nicht, was hinsichtlich der göttlichen Visionen und Ansprachen in das Gebiet menschlicheri Ur- teils und Rates bezogen werden kann. Er will nämlich stets, dass man sich desselben, soweit das möglich ist, bediene. Und all diese Dinge sollen danach behandelt werden, mit '; Ausnahme der Wahrheiten des Glaubens, die über alle Urteilskraft und Vernunft erhaben sind, wenn sie auch nicht dagegen verstoßen. Es denke darum niemand, weil Gott und die Heiligen unfehlbar sicher mit ihm oftmals in vertrautem Verkehr stünden, müßten sie ihn deshalb auch auf die Fehler auf- merksam machen, die er etwa an sich habe, obwohl er sie doch auf andere Weise selber erkennen könnte. Man darf sich also nie in volle Sicherheit wiegen. So lesen wir in der Geschichte der Apostel, wie St. Petrus, der doch das Oberhaupt der Kirche und von Gott selber belehrt worden war, dennoch hinsichtlich eines rituellen Brauches, der unter den Heiden(christen) üblich war, verkehrte Wege ging. Und Gott schwieg dazu. Darum stellte ihn St. Paulus nach seinem eigenen Bericht darüber zur Rede. Es heirat da: Sed cum vidissem, quod non recte ambularent ad veri- tatem Evangelii, dixi Cephae coram omnibus: Si tu, cum judaeus sis, gentiliter vivis, et non judaice, quomodo gentes 1) Ex 18, 21. 2, 213

cogis judaizare? "Da ich sah, dafi sie nicht nach der Wahr. heit des Evangeliums handelten, sagte ich zu Kephas offen vor allen: Wenn du als Jude nach heidnischer und nicht nach jüdischer Sitte lebst, wie kannst du dich so ver. stellen, die Heiden zu zwingen, nach jüdischer Weise zu lebew)." Gott verwies dem Petrus diesen Fehler nicht selbst, weil es sich bei dieser Verstellung um etwas han. delte, das in den Bereich der Verstandesarbeit gehörte, und dessen er auf dem Wege der überlegung bewuflt werden konnte. Ja, Gott wird am Jüngsten Tage gar viele Fehler und Sünden an so manchen Seelen züchtigen, mit denen er hienieden in innigem Verkern gestanden, und denen er viel Licht und Tugend verlieoon hatte. Im Vertrauen auf diesen Umgang mit Gott und die ihnen verliehene Tugend versäumten sie nämlich ihre übrigen Pflichten, die sie 'I hätten erfüllen sollen, und wurden dadurch nachlässig. \ .Dann werden sie sich (an jenem Tage) wundern, wie Chri. ~ stus unser Herr im Evangelium sagt, und werden fragen: \ Domine, Domine, nonne in nomine tuo prophetavimus et , in nomine tuo daemonia ejecimus, et in nomine tuo virtutes multas fecimus? "Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, in deinem Namen böse Geister aus. getrieben, in deinem Namen viele Wunder gewirkt2)?" Und der Heiland bezengt, daß er diesen zur Antwort geben werde: Et tunc confltebor illis: quia numqu~m novi vos; discedite a me, qui operamini iniquitatem. "Ich habe euch i nie gekannt; hinweg von mir, ihr übeltAtera)!" Zu diesen zählt auch der Prophet Balaam und andere dieser Art, zu denen zwar Gott sprach, und denen er Gnaden verlieh, die aber trotzdem Sünder waren. Aber um so mehr wird der Herr auch seine auserwählten Freirnde tadeln, die trotz des vertrauten Umgangs mit ihm hienieden in ihren Fehlern und Nachlässigkeiten stecken geblieben waren. Sie brauchte I) Gal 2, 14. ') ~t 7, 'll. 8) Mt 7. 28. 214

Gott derenthalben lucht selber warnen; sie hatten ja das Gesetz und die natürliche Vernunft, nach der sie sich zu- rechtfinden konnten. Um nun mit diesem Abschnitt zu Ende zu kommen, ziehe ich aus dem bisher Gesagten den Schluü und erkläre: Was nur immer einer Seele auf übernatürlichem Wege zuteil geworden ist, und wie dies auch immer geschehen sein mag, das muü sie sogleich klar und ohne Umschweife und vollständig, in aller Einfalt und Wahrheit ihrem geist- lichen Führer mitteilen. Mag es ihr auch vorkommen, daß kein Grund vorliege, darüber Rechenschaft zu geben und die Zeit damit zu vergeuden, zumal sie sich ja davon los- machen wolle und nichts darauf gebe und auch gar kein Verlangen danach trage, so ist es doch notwendig, über dies alles sich auszusprechen, wenn es auch die Seele nicht einsehen will, wozu es gut sein soll. Denn nur so gelangt die Seele, wie wir gezeigt haben, zur vollen Ruhe. zumal, wenn es sich um Visionen, Offenbarungen oder an- dere übernatürliche Mitteilungen handelt; ob sie nun deut- lich gegeben seien oder nicht, das hat wenig zu bedeuten. Und zwar soll diese Mitteilung aus einem dreifachen Grunde geschehen: 1. Gott teilt so manches mit, dessen Wirkung, Kraft, Licht und Gewiüheit er nicht in jeder Hinsicht der Seele fühlen läüt, solange sie sich nicht mit demjenigen ins Be- nehmen setzt, den Gottes Wille dazu bestimmt und zum geistlichen Richter dieser Seele aufgestellt hat. Dieser hat für sie die Gewalt zu binden und zu lösen, zu billigen oder zu mifJbilligen, wie wir dies durch die obenangeführten Stellen bewiesen haben und es durch die tägliche Er- fahrung beweisen können. Wir sehen nämlich, wie jene demütigen Seelen, die mit solchen Dingen zu tun haben, sobald sie nur darüber mit ihrem Vorgesetzten geredet haben, auch schon ein bis dahin ungeahntes Gefühl von Ruhe und Kraft und Licht und Sicherheit verspflren. Ja, 215

manchen dieser Seelen dünkt es, als ob bis zum Auge] blick, wo sie darüber sich aussprechen können, di,ese Dill! ihnen ganz fremd wären und sie nichts angingen, a würden sie ihnen erst in jenem Augenblick neu zuteil. 2. Für gewöhnlich bedarf die Seele einer Belehrw über die Zustände, in die sie kommen kann, wenn ande sie auf diesem Wege zur geistigen Nacktheit und Arm gelangen, d. ~. in die dunkle Nacht eingehen will. Mangl ihr jedoch eine solche Belehrung, so wird sie. selbst we ihr Verlangen nicht nach solchen Dingen geht, ganz l versehens auf dem Wege des geistlichen Lebens v' dummen und auf den Weg des Sinnlichen geraten, wo ja auch teilweise solch besondere Zustände gibt. 3. Soll die Seele demütige Unterordnung und 1 tötung lernen, so ist es gut für sie, wenn sie von all Mitteilung macht, auch wenn sie auf das alles kein I wicht legt, ja es für nichts hält. Es gibt nämlich See] denen es arg wehe tut, wenn sie solche Dinge offenba sollen, weil sie diesen Dingen keine Bedeutung beimes und weil sie auch nicht wissen, wie sie jene Personen, denen sie darüber reden sollen, auffassen werden. Das aber geringe Demut, und eben deshalb ist es notwen dafa sie sich zu einer Aussprache bequemen. Wi. andere gibt es, die schämen sich, über solche DingE sprechen, weil sie nicht einsehen, wie gerade sie so Zustände haben sollten, die doch nach ihrer Ansicht Heiligen zukommen; oder es fällt ihnen aus anderweit -Gründen schwer, sich zu offenbaren. Und weil sie so nichts auf diese, Dinge geben, meinen sie, es liege Grund vor, warum sie sich darüber aussprechen sol Aber gerade deshalb ist es gut, wenn sie sich überwi] und sich offenbaren. So erst werden sie gedemütigt, sagen demütig, mitteilsam, gefügig und bereitwillil einer Aussprache, und werden die Sache später steh Leichtigkeit erledigen. 216

Doch möchte ich zu diesen Ausführungen noch be- merken: Wenn wir auch so strenge darauf dringen, da& man sich mit derlei Dingen nichts zu schaffen machen soll, und dass die Beichtväter mit den Seelen nicht darüber reden sollen, so wäre es doch nicht recht, wenn die Seelenführer den Seelen gegenüber sich unfreundlich zeigen würden, sobald es sich um solche Dinge handelt. Denn sie würden diese dadurch abstooen und ihnen derartige Vorgänge verächtlich machen; so würden sich dann jene zurück- ziehen und sich nicht mehr getrauen, solches zu offenbaren. Dies würde aber zu einer Menge von Unzukömmlichkeiten führen, wenn ihnen der Weg zu einer Aussprache versperrt würde. Nein, es soll das vielmehr ein Mittel sein, ja ein Mittelweg, auf dem Gott solche Seelen führen will. Und darum liegt kein Anlao vor, weshalb man darüber böse sein oder sich darüber wundern oder ärgern sollte. Im Gegenteil, man soll mit Güte und Gelassenheit sich dazu herbeilassen, ihnen Mut machen und es ihnen ermöglichen, sich auszusprechen. Und sollte es notwendig sein, es ihnen ~geradezu zu gebieten, weil es manchen Seelen bisweilen so schwer fällt, davon zu reden, so wäre es ganz am Platze. Man möge sodann solche Seelen auf den rechten Weg des Glaubens führen und sie in aller Liebe anweisen, wie sie ihre Augen von all diesen Dingen abwenden sollen. Man , möge ihnen ferner zeigen, wie sie Wille und Geist davon i frei machen sollen, um vorwärts zu kommen, und ihnen zu verstehen geben, dass vor Gott ein einziges Werk oder ein einziger Willensakt aus Liebe zu ihm mehr Wert hat, als alle Visionen oder Offenbarungen oder Mitteilungen, die sie vom Himmel erlangen können, da es sich dabei ja weder um Verdienst noch um Mioverdienst handelt. End- lich möge man ihnen bedeuten, dass es viele Seelen gibt, welche von all diesen Dingen nichts wissen und dennoch unvergleichlich weiter voran sind, als so manch andere, die deren in Menge haben. 217

IV. Teil Erkennen und Glauben in ihrer Beziehung zu den rein geistigen Wahrnehmungen 21. Kap i tel über die Wahmehmungen des Verstandes nach der Seite des rein geistigen Weges. Ihr WeBen. Die Lehre über die Wahrnehmungen des Verstandes auf dem Wege der Sinne, wie wir sie hier gegeben haben, ist zwar im Verhältnis zu dem, was darüber alles zu sagen wäre, etwas kurz ausgefallen. Doch wollte ich mich dabei in anbetracht des Zieles, das ich mir hier gesteckt, nicht zu sehr ins Einzelne verlieren und dadurch weitschweifig werden. Dieses Ziel aber ist kein anderes, als den Verstand von der Fessel dieser Wahrnehmungen zu lösen und ihn in die Nacht des Glaubens einzuführen. Aber ich fürchte dennoch, mich schon zu sehr in Weitschweifigkeit er. gangen zu haben. So wollen wir denn jetzt übergehen zur Bespre- chung der vier Wahrnehmungen des Verstandes, so. weit sie, wie wir im achten Kapitel andeuteten, rein geistiger Natur sind, nämlich der geistigen Visionen, Offen- , barungen, Ansprachen und Empfindungen. Wir nennen ii", diese deshalb rein geistige, weil sie nicht wie die leiblichen !ii:! oder die durch die Einbildungskraft vermittelten dem

\ Verstande auf dem Wege der leiblichen Sinne mitgeteilt

111 ,;,erden. .Nein, o~ne irgend welche Vermit~lung ei?es lei?- ,,1'1 h.chen Smnes, sei es von außen oder von mnen, blete~ sie

~ sich dem Verstande ohne dessen Zutun klar und bestimmt

fjl auf übernatürlichem Wege dar; d. h. die Seele unternimmt 218

nicht das Mindeste und trägt ihrerseits nichts dazu bei, wenigstens nicht selbsttätig und wie aus eigenem. Es ist indes zu beachten, sofern wir hier im weiteren und allgemeinen Sinn sprechen, dass man alle diese vier Wahrnehmungen auch Visionen der Seele nennen kann. Wir nennen ja auch den Verstand, will sagen das Ver- stehen der Seele, ein Schauen der Seele. Insoferne nun alle diese Wahrnehmungen dem Verstande erkennbar sind, heiöen sie auch geistig sichtbare. Und so kann man denn die Erkenntnisbilder, die durch sie im Verstande erzielt werden, als intellektuelle Visionen (oder Visionen der Er- kenntniskraft) bezeichnen. Wie nämlich alle Objekte der übrigen Sinne, d. i. alles, was man sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen kann. zugleich auch ein Objekt für den Verstand bilden, insofern sie unter den Begriff des Wahren und Falschen fallen, und wie alles körperlich Sichtbare für die leiblichen Augen ein Gegenstand körper- lichen Schauens ist, so ist für die geistigen Augen der Seele, d. i. für den Verstand, alles übersinnliche ein Gegen- stand geistigen Schauens; denn etwas erkennen hei6t, wie schon bemerkt, es schauen. Wir können somit jene vier Wahrnehmungen, allgemein gesprochen, auch Visionen nennen. Das kann man bei den anderen Sinnen nicht, da der eine nicht zugleich auch für da Objekt eines anderen (Sinnes) aufnahmefähig ist. Weil nun diese Wahrnehmun- gen sich der Seele nach Art der sonstigen Sinnestätigkeit einprägen, so können wir im eigentlichen und speziellen Sinn das als Vision bezeichnen, was der Verstand nach Art des Sehvorgangs in sich aufnimmt. Der Verstand kann nämlich die Dinge genau so geistig schauen, wie sie das Auge körperlich schaut. Ebenso können wir das, was der , Verstand durch Wahrnehmen und Erkennen von neuen Objekten erfasst -wie auch das Ohr bis dahin nicht vernommene I-,aute wahrnimmt -, als Offenbarung an- 219

sprechen; und das, was er nach Art des Hörens aufnimm~ als Ansprache; und das; was er nach Art der Tätigkeit der übrigen Sinne aufnimmt, nennen wir geistige Empfindun- gen, wie diesz. B. die übersinnliche Erkenntnis von geisti- gem Wohlgeruch oder geistigem Geschmack oder geistigem Wonnegefühl ist, das die Seele übernatürlich kosten kann. Aus alledem schöpft nun der Verstand ein Erkennen oder ein geistiges Schauen; wie wir es genannt haben, und zwar ohne Zuhilfenahme irgendeiner Form, eines Bildes oder einer Gestalt der Einbildungskraft oder der natürlichen Phantasie, die ihm diese Erkenntnis liefern würde. Nein, unmittelbar, durch übernatürliches Eingreifen und durch übernatürliche Vermittlung werden diese Dinge der Seele mitgeteilt. Indes, auch von dieser Art von Wahrnehmungen, wie wir dies auch bei den leiblich.sinnlichen Wahrnehmungen und denen der Einbildungskraft betonten, mub man den Verstand frei machen und ihm über dieselben hinweg die rechte Richtung geben und ihn einführen in die geistige Nacht des Glaubens zur göttlichen und wesenhaften Ver. einigung der göttlichen Liebe. Denn sobald man sich mit derlei Dingen abgibt, verliert der Verstand an Schärfe und versperrt sich dadurch den Weg zur Einsamkeit und Ent. blönung von an diesen Dingen, die dazu erforderlich ist Zwar sind diese Wahrnehmungen höherer Art und nütz. licher und viel sicherer als jene durch die leiblichen Sinne und durch die Einbildungskraft vermittelten, da sie ja schon innerlicher, rein geistig und dem Teufel weniger zugänglich sind. Sie werden nämlich der Seele ohne das geringste aktive Zutun von ihrer Seite oder von seiten der Einbildungskraft viel reiner und erhabener vermittelt. Trotzdem könnte es sehr leicht sein, dass der Verstand nicht nur auf dem angedeuteten Wege in die Irre ginge, sondern dass er auch aus Mangel an Vorsicht arg getäuscht würde. 220

Wir könnten zwar alle vier Arten von Wahrnehmun- gen gemeinsam behandeln und für alle, wie wir es für die übrigen getan, den gleichen Rat erteilen, daa man sie nämlich nicht vermessentlich begehren soll; allein, da die Sache klarer wird, wenn man sie von verschiedenen Seiten ins Auge faßt und das eine oder andere dazu fügt, so scheint es uns angebracht, jede derselben einzeln zu be- handeln. Darum wollen wir zunächst von den ersten, nämlich den geistigen oder intellektuellen Visionen sprechen. . 22. Kap i tel Von zwei Arten geistiger Visionen, die auf übernatür- lichem Wege zustande kommen. Ich möchte im folgenden von den geistigen Visionen im eigentlichen Sinne sprechen, d. h. jenen, die ohne die gering- ste Inanspruchnahme eines leiblichen Sinnes vor das gei- stige Auge treten. Ich behaupte nun, daß vornehmlich zwei Arten von Visionen in den Bereich der Verstandestätigkeit gerechnet werden können. Die einen sind die Visionen von körperlichen Wesen (Substanzen), die anderen solche von unkörperlichen Wesen oder Wesen, die (von der Materie) gesondert sind. Die Visionen von körperlichen Wesen er. strecken sich auf alle materiellen Dinge, die es im Himmel und auf Erden gibt. Diese kann die Seele, solange sie noch im Leibe wohnt, vermittels einer gewissen übernatürlichen Erleuchtung schauen, die ihr von seiten Gottes zu teil wird. Und in diesero Lichte kann sie alle Dinge im Himmel und auf Erden schauen, auch wenn sie ferne von ihr sind. So lesen wir z. B. in der Geheimen Offenbarung 1) von einer solchen Vision, die der heilige Johannes hatte, wo er uns' erzählt von der Herrlichkeit der himmlischen Stadt Jerusa- lern. die er im Himmel schaute. Ähnlich lesen wir auch vom heiligen Benedikt, wie er in einer geistigen Vision die 1) Oftb 21. 221

ganze Welt schautel). Dieses Schauen ist nach dem Zeugnis des heiligen Thomas in seinen Quaestion~ quodlihetae2) in einem vom Himmel kommenden Lichte vor sich ge- gangen. Die anderen Visionen, welche körperlose Wesen zum Gegenstand haben, können auch mittels dieses von oben stammenden Lichtes nicht geschaut werden, sondern nur in jenem anderen viel erhabeneren Lichte, dem soge. nannten Licht der Glorie. Darum sind solche Visionen von körperlosen Wesen, wie z. B. des Wesens Gottes, der Engel und Seelen, in diesem Leben nicht möglich, und man kann sie im sterblichen Leibe nicht schauen. Wollte sie Gott in ihrer Wesenheit einer Seele mitteilen, dann müflte diese sogleich den Leib verlassen und aus diesem sterb. lichen Leben scheiden. Deshalb sprach Gott zu Moses, als dieser ihn bat, er möge ihm sein Wesen offenbaren: Non videbit me homo et vivet. "Kein Mensch wird mich sehen und dabei am Leben bleiben')." Sooft darum die Kinder Israels glaubten, sie würden Gott schauen, oder sie hätten Gott oder einen Engel gesehen, fürchteten sie, sie müßten sterben, wie im Buche Exodus zu lesen ist. Darum sprachen sie in ihrer Furcht zu Moses: Non loquatur nobis Dominus, ne forte moriamur. "Der Herr soll nicht mit uns reden, wir möchten sonst etwa sterben.)." Sie wollten damit gleich. sam ausdrücken: Gott möge sich uns nicht offen zeigen! Ähnliches lesen wir auch im Buche der Richter. Dem Manue, der später der Vater Samsons wurde, und seiner Frau war ein Engel in der Gestalt eines schönen Jünglings erschienen und hatte mit ihnen geredet. Da nun Manue glaubte, sie hätten wirklich den Engel gesehen, sprach er zu seinem Weibe: Morte moriemur, quia vidimus Dominum. "Wir werden sterben, weil wir den Herrn geschaut habeni)." 1) S. Greg., I. 2. Dia!. e.85. ') Quodl.1.. 8) Ex 00,2. .} Ex ~.19. I) Riebt 18, 22. 222

Darum sind solche Visionen nicht vereinbar mit dem Leben bienieden, es müite denn sein, daß sie einmal aus- nahmsweise jemand zuteil würden, und auch dann nur, wenn Gott dabei entweder die natürlichen Lebensbedin- gungen auäer Kraft setzt oder sie aufrecht erhält, aber dabei den Geist vollständig von der Natur loslöst, so daä dann mit Gottes Hilfe die natürlichen Beziehungen von Seele und Körper ersetzt werden. Aus diesem Grunde drückt sich St. Paulus bei Erwähnung der körperlosen Wesen, die er im dritten Himmel geschaut, folgendermaäen aus: Sive in corpore, nescio, sive extra corpus, nescio, Deus seit; "ob in oder awer dem Leibe, ich weiB es nicht, Gott weiä es1)." Er wurde entrückt zum Schauen dieser Dinge, und er hat sie gesehen, aber er sagt selbst, er wisse nicht, ob er dies in oder awer dem Leibe g~chaut habe; nur Gott wisse es. Daraus geht deutlich hervor, daä er dem natür- lichen Leben entrückt wurde, wobei Gott die Art dieser Entrückung bewerkstelligte. Die gleiche Ursache liegt auch der folgenden Begeben. heit zugrunde, die uns die Heilige SchrifV) berichtet: Als Gott, wie man annimmt, dem Möses seine Wesenheit offen- barte, sprach er zu ihm, er werde ihn in eine Felsengrotte stellen und ihn beschützen, er werde ihn mit seiner Rech- ten bedecken und bergen, damit er nicht sterbe, wann seine Herrlichkeit erscheine. Dieses Erscheinen oder Vor- übergehen war nur eine vorübergehende Offenbarung Got- tes, wobei er mit seiner Rechten das natürliche Leben des Moses beschützte. Doch solche Visionen des Wesens Gottes, wie die des heiligen Paulus und des Moses und Elias, der bei dem lieblichen Säuseln Gottes sein Antlitz verhüllte, sind, wenngleich nur vorübergehend, doch äuäerst selten und kommen fast nie vor und nur bei ganz wenigen. Gott gibt sie besonders nur denen zu kosten, die, wie die drei 1) 2 Kor 12, 2. 'l) Ex 88, 22. 223 obenangeführten Männer, Quellen des Geistes der Kirche und des göttlichen Gesetzes sind. Solche Visionen von geistigen Wesen können zwar hienieden nach dem gewöhnlichen Gang der Dinge nicht hüllenlos und klar mit dem Verstande geschaut werden, wohl aber kann man sie im Innersten der Seele fühlen, und zwar mittels eines liebevollen Erkennens, verbunden mit wonnevollen Vereinigungen und Berührungen (Gottes). Doch dies gehört in das Gebiet jener geistigen Empfindungen, von denen wir mit Gottes Hilfe später sprechen wollen. Auf dieses Ziel, nämlich auf die Verbindung und Vereini. gung der Seele mit der göttlichen Wesenheit, ist ja all unser Bemühen eingestellt und hingerichtet. Davon werden wir sprechen, wenn wir die mystische, allgemeine und dunkle Erkenntnis behandeln, die vorerst noch unerortert bleibt. Dann wollen wir- besprechen, wie sich Gott mittels dieses liebevollen und dunklen Erkennens in hohem, ja göttlichem Grade mit der Seele verbindet. In gewisser Beziehung dient nämlich dieses liebevolle, dunkle Erken. nen, unter welchem wir uns den Glauben zu denken haben, in diesem Leben zur göttlichen Vereinigung, so wie das Licht der Glorie im jenseitigen Leben das Mittel zur klareIl Anschauung Gottes ist. Für jetzt wollen wir uns nur mit den Visionen körper licher Wesen befassen, die nach der Art der leiblicher Visionen geistigerweise in der Seele aufgenommen werden Wie nämlich die Augen körperliche Objekte mittels deJ natürlichen Lichtes wahrnehmen, so schaut die Seele dieS! nämlichen natürlichen Objekte mittels des Verstande unter Einwirkung des von oben gespendeten übernatür lichen Lichtes, von dem bereits die Rede war, innerlicb ebenso auch alle anderen Dinge, wie es eben Gott gefälli Der einzige Unterschied liegt nur in der Art und Form de Schauens. Die geistigen oder intellektuellen Visionen sin nämlich viel deutlicher und schärfer als die leiblichen. Wi 224


Gott einer Seele diese Gnade erweisen, dann spendet er ihr jenes übernatürliche Licht, von dem oben die Rede war. Und in diesem Lichte schaut sie die Dinge, die Gott sie schauen lassen will, ganz leicht und klar, mögen die- selben nun himmlischen oder irdischen Ursprungs sein. Es ist dabei völlig belanglos und durchaus kein Hindernis für sie, ob dieselben fern oder nahe sind. Es ist manchmal, als täte sich ein Lichttor auf, und als sähe man es hinter diesem wie einen Blitz aufleuchten, der das Dunkel der Nacht für einen Augenblick erhellt. Man sieht da die Dinge klar und bestimmt, aber sogleich sinken sie wieder ins Dunkel zurück, nur die Formen und Eindrücke von den Gegenständen bleiben in der Phantasie zurück. Ein ähn- licher Vorgang vollzieht sich auch in der Seele, nur weit vollkommener. Es prägen sich ihr nämlich jene Dinge, die sie unter der Einwirkung jenes Lichtes geistig schaute, so tief ein, dass sie dieselben jedesmal, sooft sie sich ihrer mit der Gnade Gottes bewu6t wird, genau so erkennt, wie sie dieselben zuerst, schaute. Es ist da wie in einem Spiegel, der die vor ihm befindlichen Gegenstände widerspiegelt, sooft man in denselben schaut. Und der Eindruck dieses Bildes in der Seele ist so stark, dass die Formen der ge- schauten Dinge nie ganz aus der Seele verschwinden, wenn sie auch zuweilen etwas zurückgedrängt werden. Die Wirkung, welche diese Visionen in der Seele her- vorbringen, ist Ruhe und Klarheit, eine Freude wie in der Himmelsglorie, ist Wonne und lautere Liebe, ist demütiger Sinn und Hinneigung oder Erhebung des Geistes zu Gott.. Diese Wirkung ist nun freilich manchmal stärker, manch- mal weniger stark; bisweilen in diesem Gefühl mehr be. merkbar, bisweilen in jenem, je nach der seelischen Ver- fassung und nach dem Wohlgefallen Gottes. Aber auch der Teufel kann in der Seele solche Visionen hervorrufen oder nachäffen, indem er sich eines natür- lichen Lichtes bedient und auf die Phantasie einwirkt. Es 225

wird dabei infolge einer geistigen Suggestion im Gei über die Dinge, mögen sie nahe oder ferne sein, ein he Licht gebreitet. Darum behaupten einige Gelehrtel) jener Stelle bei Matthäus (4, 8), wo der Teufel unsel Heiland alle Reiche der Welt mitsamt ihrer Herrlich] zeigte: Ostendit ei omnia regna mundi, der Teufel b dies durch geistige Suggestion bewirkt; denn es sei möglich, daß man mit den leiblichen Augen alle Rei der Welt und ihre Herrlichkeit schauen könne. Indes, zwischen diesen Visionen, die der Teufel vorruft, und jenen, die von Gott sind, ist ein großer Ur schied. Denn die ersteren bringen ganz andere Wirkm in der Seele hervor als die letzteren. Sie verursachen E lich Trockenheit des Geistes im Verkehr mit Gott, gewisse Neigung zur Selbstschätzung, ein Haschen] und ein hartnäckiges Festhalten an den genannten V nen, keineswegs aber die Salbung der Demut und Gottesliebe. Selbst ihre EindrOcke bleiben nicht mit j wohltuenden Klarheit in der Seele haften wie die echten; und sie dauern nicht an, im Gegenteil verschwi sie bald wieder aus der Seele, außer etwa in dem Fall, die Seele großen Wert darauf legt. Aber auch dann i wieder nur die Eigenliebe, die natOrlicherweise einE innerung daran in der Seele wachruft; doch auch dies nur schwach und hinterläßt nicht als Frucht jene I und Demut, wie sie die guten Visionen in uns weckeT oft man ihrer gedenkt. Da diese Arl von Visionen die Geschöpfe zu i Objekte haben, die zu Gott in keiner Beziehung UT keinem Verhältnis und in keiner wesentlichen Verbill stehen, so können sie für den Verstand auch nicht nAc Mittel der wesentlichen Vereinigung mit Gott sein. D muß die Seele ihnen gegenOber eine negative Ha einnehmen, genau so wie jenen gegenüber, von dene 1) Siehe bei S. Thomas, s. p., qu. 41, an. 2 ad s, u. Abul. in 226

reits die Rede war; denn nur das nächste Mittel, d. i. der Glaube, kann sie im !,'ortschritte fördern. Deshalb darf die Seele die Eindrücke solcher Visionen, die sich iw' einge- prägt haben, nicht wie Schätze in sich aufspeichern, noch auch darf sie sich auf sie verlassen wollen. Denn sobald sie das täte, würden ihr jene Eindrücke und Bilder und Personen, von denen ihr Inneres eingenommen wäre, nur ein Hindernis sein auf dem Wege zu Gott durch Verzicht auf alle geschaffenen Dinge. Allerdings würden jene Ein- drücke, seIhst wenn sie ihr beständig gegenwärtig wären, ihr nicht sonderlich schaden, vorausgesetzt, dass sie ihnen keine große Bedeutung beiIniut. Es ist ja wohl richtig, daß die Erinnerung an sie imstande ist, in der Seele einen ge- wissen Grad von Gottesliebe und Lust zur Beschauung zu wecken; jedoch, dies vermag in viel höherem Grade der reine Glaube und der Verzicht auf all das, wobei sich die Seele gar nicht darum kümmert, wie und woher ihr dies zuteil wird. So kann es denn sein, dass die Seele vom Sehn- suchtsdrang lauterster Gottesliebe erfüllt ist, ohne dass sie das Woher und Warum davon kennt. Der Grund davon aber liegt darin, dass in dem gleichen Maue, als der Glaube mittels jenes Entblöutseins und Dunkels, jener Ent- äußerung von allen Dingen oder jener geistigen Armut, was ja alles ein und dasselbe bedeutet, in der Seele Wurzel faf3te und sich in sie ergon, zugleich auch die Gottesliebe in ihr entbrannte. Je mehr also die Seele von all diesen äußeren und inneren Dingen, für die sie aufnahmefähig ist, dunkel und leer bleiben will, in desto reicherem Maf3e 'wird der Glaube in sie ergossen und zugleich mit ihm auch Hoffnung und Liebe, weil ja diese drei theologischen Tu- genden voneinander unzertrennlich sind. Freilich gewahrt und fühlt es der Mensch manchmal gar nicht, da ja diese Liebe, sobald sie da ist, nicht im Gefühl durch eine gewisse Zärtlichkeit sich kundgibt, sondern vielmehr sich in der Seele offenbart durch Kraft und gröf3eren Mut und Herz- 227

haftigkeit, die sie früher nicht kannte. Manchmal freiu, strömt sie auch auf die Sinne über und äußert sich I in süßem Wonnegefühl. Will man demnach diese Liek Freude und Wonne kosten, die diese Visionen in der S~ hervorbringen, so muß man Festigkeit und Abtötungsgei aufbringen und muß entschlossen sein, von all dem le und im Dunkel zu bleiben; muß ferner diese Liebe w Wonne zur Grundlage haben, was man nicht sieht w nicht fühlt, was man hienieden überhaupt nicht sehen w fühlen kann, nämlich Gott, den Unbegreiflichen, ihn, d über allem thront. Darum müssen wir auf dem Wege d völligen Entsagwlg ihm entgegengehen. Versäumte m dies. so würde die Seele nicht vorwärtskommen. seil Ole ;,eeie elll J:1111Uerl~ tier ~t;1~"1e~" vw,;; u..~ .~ u. ~ der Leere im Glauben sein. Denn gerade dies ist unq gänglich notwendig, wenn die Seele zur Vereingung I] Gott gelangen will. Da nun von diesen Visionen das gleiche gilt, was ~ im 19. und 20. Kapitel von den übernatürlichen Vision und Wahrnehmungen der Sinne gesagt haben, so brauch wir uns nicht länger bei diesem Gegenstande aufzuhalu 23. Kap i tel Von den Offenbarungen. -Wesen und Einteilu derselben. Dem von uns aufgestellten Plane folgend, wollen 1 nunmehr von der zweiten Gattung geistiger Wahrnehm~ gen sprechen, die wir oben Offenbarungen nannten. Eini derselben gehören im eigentlichen Sinne zur Kategorie d Geistes der Weissagung. 228

Wir möchten vor allem bemerken, dass eine Offen- barung nichts anderes ist als die Enthüllung irgendeiner verborgenen Wahrheit oder die Kundmachung eines Ge- heimnisses oder Mysteriums. Wir können sagen, Gott gibt da der Seele etwas zu verstehen, indem er den Verstand über dessen Wahrheit oder Wirklichkeit erleuchtet, oder vielmehr über etwas, das er vollbracht hat oder vollbringt oder vollbringen will. Demnach können wir zwei Gattun- gen von Offenbarungen unterscheiden: solche, welche eine Enthüllung von Wahrheiten für den Verstand bedeuten, und wir können sie im eigentlichen Sinne intellektuelle Kenntnisse oder Erkenntnisse nennen; und solche, welche eine Kundmachung von Geheimnissen darstellen, die wir ) darum im eigentlichen Sinne und mit grö6erem Recht als die ersteren als Offenbarungen ansprechen. Die ersteren können wir ja, streng genommen, nicht als Offenbarungen bezeichnen; denn sie bestehen nur darin, dass Gott die Seele hüllenlose Wahrheiten erkennen läßt, und zwar solche, die sich auf materielle Dinge beziehen, wie auch solche, die geistige Objekte zum Inhalt haben, indem er sie ihr klar und unzweideutig vor Augen hält. Diese verschiedenen Gattungen wollte ich in meiner Abhandlung unter dem Namen "Offenbarungen" zusammen- gefa6t wissen, einerseits, weil sie zueinander nahe ver. wandt sind, anderseits, um nicht die an sich schon gr06e Zahl von Untercheidungen noch zu bereichern. So können wir denn die Offenbarungen in zwei Arten von Wahr- nehmungen einteilen: die eine belegen wir mit der Be- zeichnung "intellektuelle Kenntnisse", die andere nennen wir "Offenbarung geheimer Dinge und verborgener Ge. heimnisse Gottes". Wir wollen uns damit so bündig als möglich in zwei ~apiteln befassen und in dem folgenden mit der Besprechung der intellektuellen Kenntnisse be- ginnen. 229

24. Kap i tel Verstandesmäßige Erkenntnis reiner Wahrheiten. - Deren Einteilung in zwei Gattungen. -Wie sich die Seele zu ihnen verhalten soll. Sollte ich die rechten Worte finden zur Behandlung dieser Erkenntnis von reinen Wahrheiten, wie sie sich im Verstande vollzieht, dann müüte mich Gott selbst bei der Hand fassen und mir die Feder führen. Denn du mußt bedenken, daü die hohe Bedeutung dieser Wahrheiten an sich und für die Seele nicht in Worte gefaüt werden kann. Da ich jedoch dieselben für jetzt nicht erschöpfend be. handeln will, sondern nur von ihnen spreche, um dadurch -Diese Gattung von Visionen oder, besser gesagt, von Erkenntnissen reiner Wahrheiten ist himmmelweit ver. schieden von jener, von der im 22. Kapitel die Rede war. Es handelt sich ja hiebei nicht um ein Schauen von zeit. lichen, will sagen von materiellen Objekten mittels des Verstandes, sondern wir haben es hier zu tun mit einem verstandesmäüigen Erfassen und Schauen von Wahrheiten! über Gott und die Dinge sowie über Gegenwärtiges, Ver. i gangenes und Zukünftiges. Dies ist aber nahe verwandt mit dem Geiste der Prophetie, wie später erklärt werden wird. Es ist also wohl zu beachten: Diese Art von Erkennt. nissen zerfällt wieder in zwei Unterarten, insofern die einen, die der Seele zuftieüen, sich auf den Schöpfer, die anderen auf die Geschöpfe beziehen. Wohl sind heide (Arten) für die Seele ungemein wonne~oll; und doch läßt i sich der Genuü, den die sich auf Gott beziehenden Kennt. ! 230

nisse in der Seele erzeugen, mit nichts anderem ver- gleichen, noch lä~t er sich in Worte oder Begriffe fassen. Gott selber ist es ja, von dem diese Erkenntnisse und damit auch diese Wonnen stammen; er, von dem David spricht: Non est, qui similis sit tibi. "Nichts lä~t sich mit dir vergleichenl)." Denn diese Erkenntnisse haben un- mittelbar Gott zum Inhalt und dringen tief ein in die ei~e oder andere seiner Eigenschaften, in seine Allmacht, Stärke, Güte und Anmut usw., und jede dieser Erkennt- nisse prägt sich der Seele dauernd ein. Da dies in reiner Beschauung vor sich geht, erkennt die Seele deutlich, da~ es rein unmöglich ist, etwas davon in Worten auszu- drücken, au~er etwa in allgemein gehaltenen Begriffen. Denn das überma~ der Wonne und des Glückes, das man da verspürt, legt den Seelen, in denen solches vor sich . gegangen, diese allgemeinen Ausdrücke gleichsam auf die Zunge. Jedoch sind dieselben völlig unzureichend zum vollen Verständnis dessen, was die Seele gekostet und empfunden hat. Auch David, der wohl etwas davon er- fahren haben mag, spricht davon nur in allgemeinen An. deutungen, wenn er sagt: Judicia Domini vera, justi6cata in semetipsa. Desiderabilia super aurum et lapidem pre- tiosum multum, et dulciora super mel et favum. "Jahves Rechte sind wahrhaftig und gerecht zumal. Fürwahr, be- gehrenswerter sind sie als Gold und kostbares Edelge. stein. Sü~er sind sie als Honig und Honigseim2)." Auch von Moses lesen wir, da~ er ihn eines Tages in erhabener Erkenntnis sein Wesen schauen lie~, indem er an ihm vorüberging. Aber auch er spricht nur in ganz allgemeinen Ausdrücken davon. Als nämlich der Herr an ihm vorOber- ging, um ihm diese Erkenntnis mitzuteilen" warf sich Moses sofort auf die Erde und sprach: Dominator Domine Deus, misericors et clemens, patiens et multae miserationis ac verax, qui custodis misericordiam in milia. "Herrscher, F I) Ps 00, 7. I) Psls, 10. 11. 231

f Herr und Gott, der du barmherzig und gütig, langmütig, ! ii von groaer Erbarmung und wahrhaft bist, der du die Gnade I bis ins tausendste Glied bewahrstl)." Daraus ersieht man, .I daa auch Moses sich unfähig fühlte, in einem einzigen Aus. druck wiederzugeben, was er in Gott erkannt. Und darum gebraucht er bei seinem Berichte diese vielen Worte. Wer. den dennoch manchmal diese Erkenntnisse in Worten aus. gedrückt, so weia die Seele sehr wohl, daa sie damit soviel wie nichts gesagt habe; denn sie sieht, es gibt keinen Namen, mit dem man so etwas treffend bezeichnen könnte. Darum hat auch St. Paulus, als ihm einst eine so tiefe Er. kenntnis Gottes zuteil wurde, sich gar nicht bemQh~ darüber zu sprechen, sondern er sagte einfach, es sei dU! J::JU1i.tJllt:o tOtJ1t1., t" ...u \; U\;llll ~\;ll1, Uau u~~v, ". gleich eine Wahrheit sich geltend machte, die an Gott nic~ heranreicht. Wo es sich aber um das" Prinzip selber han. delt, da wird sich auf keinen Fall etwas Einzelnes davon abtrennen lassen. Und diese erhabenen Erkenntnisse der Liebe können nur einer Seele zuteil werden, die zur göttlichen Vereinigung gelangt ist, weil sie ja nich~ anderes sind als diese Vereinigung selber. Diese besteht ja in einer Art Berührung, welche zwischen der Seele und der Gottheit stattfindet. So ist es also Gott selbst, den man dabei fühlt und genieat, zwar nicht so offenkundig und deutlich wie in der Glorie. Und doch ist diese Be. rührung voll Erkenntnis und Wonne so köstlich und er. haben, daß sie das Innerste d~r Seele durchdringt. Da ist es nun dem Teufel unmöglich, sich einzudrängen oder et. was Ähnliches zu schaffen. Es steht ihm ja nichts zu Ge. bote, was diesem ähnlich wäre, oder was gleiche Wonne 1) Ex 84, 6. I) 2 Kor 12, 4. 232

und Freude bereiten könnte. Diese Erkenntnisse sind ja ein Kosten des Wesens Gottes und des ewigen Lebens. Der Teufel aber kann nichts so Erhabenes ersinnen. Wohl kann er etwas Ähnliches nachäffen, indem er der Seele irgend etwas Grones und Prunkhaftes, das in die Augen fällt, vorgaukelt und ihr beizubringen sucht, dies sei von Gott. Doch diese Bilder dringen nicht in das Wesen der Seele ein, um sie zu erneuern und mit Liebe zu ent- ftammen, wie es die von Gott kommenden Eindrücke zu- wege bringen. Es gibt nämlich unter diesen gewisse Er- kenntnisse und Berührungen, die Gott im Wesen der Seele bewirkt Diese bereichern die Seele derart, dass eine ein- zige davon hinreicht, sie nicht nur mit einemmal von allen. Unvollkommenheiten zu läutern, die sie ihr ganzes Leben lang nicht hätte ablegen können, sondern sie noch dazu mit göttlichen Gnaden und Tugenden zu überhäufen. Und diese Berührungen sind für die Seele so lieblich und voll inner- ster Wonne, dass sie durch eine einzige derselben hinläng- lich entschädigt ist für alle Leiden, die sie ihr Leben lang ausgestanden hat, wenn diese auch noch so zahlreich wären. Ja, sie wird dadurch mit solchem Mut.und solchem Verlangen erfüllt, recht vieles um Gottes willen zu leiden, dass es ihr besonders leid ist, nicht viel leiden zu können. Zu solch erhabenen Kenntnissen kann sich die Seele nicht durch irgendein Gleichnis noch durch Betätigung ihrer Einbildungskraft erheben, da sie ja, wie schon er- wähnt, über all dieses erhaben sind. Somit ist es Gott allein, der sie in der Seele ohne deren Zutun wirkt Ja, gerade wenn die Seele am wenigsten daran denkt oder am wenigsten danach verlangt, pflegt ihr Gott bisweilen solch göttliche Berührungen zu gewähren, die dann auch gewisse Erinnerungen an Gott im Gefolge haben. Diese werden in ihr zuweilen ganz unvermittelt hervorgerufen, einzig da- durch, dass sie an gewisse Dinge, manchmal ganz gewöhn- liche, denkt. Aber sie sind so fühlbar und so stark, dass 233

manchmal nicht blo6 die Seele, sondern sogar der Leib davon erschaudert. Ein andermal kann es auch wieder sein, dass der Geist davon ganz unberOhrt bleibt und keine ErschOtterung verspOrt, obwohl sich zugleich ein erhabenes GefOhl der Wonne und geistiger Erquickung einstellt. Bisweilen werden diese EindrOcke hervorgerufen durch irgendein Wort aus der Heiligen Schrift oder sonstwoher, das man anfahrt oder hört. Doch ist es sehr verschieden, wie sie wirksam oder fOhlbar sind, weil man sie oft kaum wahrnimmt. Wie zahlreich sie indes auch sein mögen, so ist doch eine einzige dieser BerOhrungen und Erinnerun., gen Gottes für die Seele wertvoller, als noch so viele Er.! wird Gott sein Werk tun, wie und wann es ihm gefällt. Ich möchte also nicht sagen, die Seele solle sich auch gegen diese Erkenntnisse ablehnend verhalten, wie gegen die Obrigen Wahrnehmungen; sind sie doch ein Teil jener Vereinigung, zu der wir der Seele verhelfen möchten. Nein, wir geben ihr nur den Rat, sie solle sich aller anderen ent. äu6ern und entledigen. Und damit sie ihr Gott verleih~ soll sie in Demut und Ergebung, ohne Rücksicht auf jeg. liche Vergeltung, rein aus Liebe zu Gott die Leiden auf sich nehmen. Denn diese Gnaden werden der Seele nicht zuteil, weil sie Anspruch darauf hat; nein, sie sind nur ein Erweis ganz besonderer Liebe, welche Gott gegen eine solche Seele hegt, weil auch diese gegen ihn ganz uneigen. nützig ist.. Dies meint der Heiland, wenn er bei Johannes sich also äufJert: Qui autem diligit me, diligetur a Patre meo, et ego diligam eum et manifestabo ei meipsum. "Wer mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt. und auch 234

ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren1).'" In diesen Worten sind also all die Erkenntnisse und Berührungen enthalten, von denen wir im vorausgehenden sprachen: Gott offenbart sich der Seele; die sich ihm überläDt und ihn wahrhaft liebt. Die zweite Gattung von Erkenntnissen oder Visionen oder inneren Wahrheiten ist sehr verschieden von jener, die wir eben besprochen haben; denn ihr Objekt sind Dinge, die nicht an Gott heranreichen. Sie umfaDt die Er- kenntnis der Wahrheit über die Dinge an sich sowie die der Taten und Vorkommnisse unter den Menschen. Die Wahrheiten, die bei dieser Erkenntnis der Seele mitgeteilt werden, prägen sich ihrem Inneren tief ein, wenngleich sie von sonst niemand ein Wort darüber vernimmt. Man mag zu ihr davon sagen, was man will, sie kann solchem trotz- dem nicht beistimmen, wie sehr sie auch möchte. Denn der Geist erkennt in dem Objekte, das ihm durch ein anderes Licht dargeboten wird, etwas ganz anderes. Es ist ihm, als schaue er es ganz deutlich. Diese Art von Erkennen gehört, wie wir schon sagten, zum Geiste der Propheten und zu jener Gnade, welche der heilige Paulus als Gabe der Unter- scheidung der Geister hezeichneV). Obschon nun die Seele von der Wahrheit dessen, was sie erkennt, unerschütter- lich überzeugt ist und dieses ihr inneres Festhalten daran nicht unterdrücken kann, so mur.. sie gleichwohl dem geist- lichen Führer aufs Wort glauben und ihre Vernunft dessen Anweisung unterwerfen, mag diese auch ihrem eigenen Empfinden völlig zuwider sein. Die Seele muD sich eben im Glauben zur Vereinigung mit Gott führen lassen, und zu dieser wird sie mehr der Weg des Glaubens als des Verstehens führen. Für diese heiden Arten der Erkenntnis bietet uns die Heilige Schrift deutliche Belege. Hinsichtlich der speziellen 1) Joh 14, 21. I) 1 Kor 12, 10. 235

Erkenntnis der Dinge gibt uns der Weise folgende Lehre: lpse enim dedit milli horum, quae sunt, scientiam veram, ut sciam dispositionem orbis terrarum et virtutes elemen. torum, initium et consummationem et medietatem tempo. rum, vicissitudinum permutationes, et commutationes terno porum, anni cursus et stellarum dispositiones, naturas ani. malium et iras bestiarum, vim ventorum et cogitationes hominum, differentias virgultorum et virtutes radicum, et quaecumque SUDt absconsa et improvisa, didici: omnium enim artifex docuit me sapientia. "Gott gab mir eine wahre Erkenntnis dessen, was ist, damit ich weiB, wie der Erd. kreis geordnet ist, und welche Kraft die Elemente haben, wie auch den Anfang, das Ende und die Mitte der Zeit, Unterscwoo uer 1: lläJliot:ll ..J ..", 4~' ~,.~ ~~. Alles, was verborgen und unbekannt ist, lernte ich. Di Weisheit, welche die Werkmeisterin aller Dinge ist, be. lehrte michl)." Der weise Mann spricht an dieser Stelle von einer Kenntnis, die ihm Gott über alles Geschaffene I verliehen habe. Es handelt sich in diesem Fall allerdings nur um eine allgemeine und eingegossene Erkenntnis. Doch können wir aus der angeführten Stelle zur Genüge ent. nehmen, daB Gott auch alle einzelnen Kenntnisse über die Dinge auf übernatürlichem Wege den Seelen eingießt, wenn es ihm gefällt. Es ist das nicht so zu verstehen, als teile ihnen damit Gott eine dauernde und allgemeine Kennt. nis mit, wie dies bei Salomon in den angeführten Dingen der Fall war; nein, sondern er eröffnet ihnen nur diese oder jene Wahrheiten über irgendeines der von dem Weisen hier aufgezählten Objekte. Es ist wohl richtig, daß Gott schon manchen Seelen ein dauerndes Wissen in vielen 1) Weish 7, 17-21. 236

Dingen mitgeteilt hat; doch war dies nie von so allgemei- nem Umfang wie bei Salomo. Es gibt eben auch hier eine Abstufung, wie bei' den von St. Paulus aufgeführten Gaben Gottes, als da sind: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, gotterleuchtete Rede, Unter- scheidung der Geister, Sprachengahe, Auslegung der Spra- chen USW.l). All diese Kenntnisse sind eingegossene, bleI- bende Zustände, die Gott aus reiner Gnade mitteilt, wem er will, bald auf natürlichem, bald auf übernatürlichem Wege. So hat er z. B. auf natürliche Weise dem Balaam und anderen heidnischen Propheten sowie vielen Sibyllen den Geist der Weissagung verliehen. Das gleiche hat er auf übernatürlichem Wege an den heiligen Aposteln und Propheten und anderen Heiligen gewirkt. Aber auch ab- gesehen von diesen Zuständen oder diesen umsonst ver- liehenen Gnaden gewährt Gott nach unserem Dafürhalten sehr häufig solchen Seelen, die entweder schon vollkom- men sind oder wenigstens auf dem Wege dazu sind, Er- leuchtungen und Kenntnisse über nahe und ferne Dinge. Sie erlangen diese Kenntnis mittels des Lichtes, das sich ihrem schon erleuchteten und geläuterten Geiste eingient. In diesem Sinne können wir jene Stelle aus den Sprüch- wörtern auffassen, wo es heint: Quomodo in aquis resplen- dent vultus prospicientium, sic corda hominum manifesta sunt prudentibus. "Gleichwie das Antlitz derer, die ins Wasser schauen, sich darin widerspiegelt, so offenbaren sich die Herzen der Menschen den Klugen2)." Unter den Klugen sind jene zu verstehen, die bereits die Weisheit der Heiligen zu eigen haben; und diese heint in der Heiligen Schrift Klugheit. Auf solche Weise dringen diese Geister manchmal auch in die Kenntnis der übrigen Dinge ein, freilich nicht immer nach ihrem Belieben. Denn das ist das Vorrecht derer, die diese Kenntnis schon als bleibende Eigenschaft be. I) 1 Kor 12, 8-11. I) Spr 27,19. 237

sitzen. Ja, sogar bei solchen ist dies nicht immer in allen Stücken der Fall, weil Gott auch diesen nur seinen Bei- stand verleiht, wie es ihm gefällt. Gleichwohl dürfen wir annehmen, dafA jene, deren Geist schon geläutert ist, sehr leicht auf natürliche Weise erkennen können, was im Her- zen und im Inneren vorgeht, sowie die Neigungen und Talente der Menschen. Freilich besteht auch hier wieder je nach der Gnade der Erkenntnismöglichkeit ein Unter- schied. Und zwar gelangen sie zu dieser Kenntnis durch äuf3ere Anzeichen, wie unscheinbar diese auch sein mögen, wie z. B. durch Worte oder Bewegungen oder sonstige Äuf3erungen. Wenn solches doch schon dem Teufel nicht unmöglich ist, da er ja ein Geist ist, so bringt es auch de~ danken oder das, was im Inneren des Menschen vorgeht natürlicherweise auch nicht ergründen können, so könner sie dies doch kraft übernatürlicher Erleuchtung aus ge wissen Anzeichen sehr wohl erkennen. Und wenn sie auc! in dieser Erkenntnis aus äuf3eren Zeichen sich oft tAusche! können, so treffen sie doch in den m.eisten Fällen da Rechte. Doch darf man sich auf keines von beiden ver lassen; denn der Teufel mischt sich da mit V orliebe e~ und wendet seine ganze Schlauheit an, wie wir gleich zei gen wollen. Darum soll man stets diese Art von Kennt nissen oder Wahrnehmungen von sich weisen. Daf3 geistliche Menschen auch von den Taten und 6f schicken abwesender Menschen Kenntnis haben könneJ dafür bietet uns das 4. Buch der Könige einen Belej Als nämlich Giezi, der Diener des Elisäus, diesem das Gel verheiDJlichen wollte, das er von Naaman, dem Syrer, emJ 1) 1 Kor 2, 15. I) 1 Kor 2,10. 238

fangen hatte, sprach Elisäus: Nonne cor meum in praesenti erat, quando reversus est homo de curru suo in occursum tui? "War mein Geist nicht gegenwärtig, als der Mann von seinem Wagen dir entgegenkam1)?" Wir haben es hier mit einer geistigen Vision zu tun: er sah nämlich in seinem. Geiste alles, als wenn er zugegen gewesen wäre. 1m glei- chen Buche wird uns ein weiterer Beleg dafür erbracht. Wir lesen ebenda, wie Elisäus, der alles wuüte, was der König von Syrien insgeheim mit seinen }.'ürsten verab- redete, dies dem König von Israel hinterbrachte. So wur- den alle Pläne des Königs von Syrien zunichte. Als er nun sah, daü man alles wisse, sprach er zu seinen Beratern: Quare non indicatis mihi, quis proditor mei sit apud Regem Israel? "Warum zeigt ihr mir nicht an, wer mich an den König von Israel verraten hatZ)?" Darauf erwiderte einer von seinen Dienern: Nequaquem, Domine mi Rex, sed Eli- seus Propheta, qui est in Israel, indicat Regi Israel omnia verba, quaecumque locutus fueris in conclavi tuo. "Nicht so, mein Herr und König; sondern der Prophet Elisäus, welcher in Israel ist, offenbart dem König von Israel alle Worte, die du bei der geheimen Beratung geredeta)." In beiden Fällen werden diese Kenntnisse von Dingen der Seele passiv mitgeteilt, ohne daü sie selbst das Ge- ringste dazu tut. Es kann z. B. vorkommen, daü jemand nicht im mindesten daran denkt, und doch prägt sich sei- nem Geiste ein klares Verständnis dessen ein, was man gerade liest oder hört, so daü er es viel besser versteht, als es ihm der Wortlaut beibringen kann. Ja, manchmal kommt es vor, daü man die betreffende Sprache, wenn es z. B. lateinisch ist, gar nicht versteht, und trotzdem erfaüt er den Sinn der Worte vollkommen. Es gäbe nun freilich viel zu sagen darüber, wie der , Teufel bei dieser Art von Kenntnissen und Wahrnehmun- 1) 4 Kg 5, ~. I) ~ Kg 6,11. 8) Ebd 6,12. 239

gen die Seele täuschen kann und sie wirklich täuscht. Denn die Tücken, die er hiebei anzuwenden pflegt, sind grou und sehr geheim. So kann er z. B. auf dem Wege der Suggestion der Seele vielerlei intellektuelle Kenntnisse mit Zuhilfenahme der leiblichen Sinne vorzaubern und ihr mit solcher überzeugung einflüstern, dau sie wirklich meint, es könne gar nicht anders sein. Ist nun eine solche Seele nicht demütig und vorsichtig, dann wird sie zweifel. los diesem Ränkespiel erliegen. Denn diese Einflüsterung (des Teufels) wirkt auf die Seele mächtig ein, zumal, wenn auch noch die Schwachheit der Sinne mit im Spiele ist ! Dabei prägt sich die (gewonnene) Erkenntnis so stark und j so bestimmt und mit solcher Oberzeugung der Seele ein, dass diese hernach nur mit dem Aufgebot innigen Gebetes sich derselben entledigen kann.

Zuweilen hält er auch der Seele die Sünden und den traurigen Gewissenszustand anderer vor Augen, sowie die sündebeladenen Seelen anderer; und das alles, wenn auch im Gegensatz zur Wahrheit, so doch mit grouer Klarhei Er verfolgt bei alledem nur das eine Ziel, andere zu ver. leumden und die Sünden anderer aufzudecken, damit so i wieder neue Sünden begangen werden. Dadurch will er l die Seele zu einem falschen Eifer verleiten, jene wieder zu Gott zurückzuführen. Es ist allerdings richtig, dafu auch Gott manchmal heiligen Seelen den traurigen Seelenzu. stand ihrer Mitmenschen offenbart, damit diese dieselben Gott im Gebete empfehlen oder ihnen helfen. So lesen wir z. B. beim Propheten Jeremias1), daö ihm Gott die Not des Propheten Baruch offenbarte, damit er ihn darüber be. lehrte. Doch in den meisten Fällen ist es der Teufel, der dies tut, wie ich aus Erfahrung wei6. Und zwar tut er dies aus Verstellung, um andere in schlimmen Ruf zu brin. gen und in Sünde und Trostlosigkeit zu stürzen. Ein ander. mal gaukelt er ihr mit grouer ttberzeugungskraft wieder 1) Jr 45, 8. 240

andere Dinge vor und bringt sie dahin, daa sie dieselben wirklich glaubt. Ob nun diese Erkenntnisse von Gott stammen oder nicht, sie können der Seele auf ihrem Weg zur Vereinigwlg mit Gott doch nur sehr wenig behilflich sein, wenn sich die Seele auf sie verlassen wollte. Im Gegenteil, wenn sie nicht bestrebt ist, sich ihrer zu entledigen, werden sie ihr nicht bloa hinderlich, sondern ihr sogar sehr schädlich sein und sie vielen Täuschungen überantworten. Denn all die angedeuteten Gefahren und Schwierigkeiten, die in den bisher behandelten übernatürlichen Wahrnehmungen auf. treten können, und noch viel mehr, stellen sich auch hier ein. Darum möchte ich nur das eine sagen: man sei be. strebt, sie von sich zu weisen, und trachte, Gott entgegen- zugehen, ohne etwas zu wissen; stets gebe man darüber seinem Beichtvater oder Seelenführer Rechenschaft und folge seinem Rat. Dieser aber möge dafür sorgen, daa die Seele nur ganz flüchtig daran vorbeigehe und durchaus nichts darauf gebe, weil es ja der Seele auf ihrem Weg zur Vereinigung doch nichts nützt. Denn da diese Dinge, wie schon erwähnt, der Seele nur passiv mitgeteilt werden, so haben sie stets nur jene Wirkung, die Gott erzielen will, ohne daf3 die Seele dabei ihre Tätigkeit entfalten braucht. Darum halte ich es für unnötig, mich hier noch ein- gehender mit den Wirkungen der echten und unechten Visionen zu befassen, weil das nur ermüden würde und man doch an kein Ende käme. Denn ihre Wirkungen lassen sich nicht in einer kurzen lehrhaften Abhandlung abtun. Wie diese Wahrnehmungen selber zahlreich und vielge- staltig sind, so sind es auch deren Wirkungen: die echten Wahrnehmungen bringen gute Wirkungen hervor und die- nen zum Heile, die unechten dagegen bringen schlimme Wirkungen hervor und sind zum Unheil. In dem einen Satz: "weise alle ohne Unterschied von dir", ist alles ge- sagt, was dich vor Täuschung bewahren kann. 241


25. Kap i tel , Von der zweiten Gattung von Offenbarungen, nämlich , der Enthüllung geheimer Dinge und verborgener Ge. heimni8se. -Inwiefern 8ie der Vereinigung mit Gott hinderlich oder förderlich 8ind. -Wie Satan 8ich ihrer zu argem Truge bedient.

Als zweite Gattung von Offenbarungen bezeichneten wir die Erschlieuung von geheimnisvollen Dingen und tie. fen Geheimnissen. Diese kann eine zweifache sein. Die erste Art bezieht sich auf das Wesen Gottes und umfaflt somit die Offenbarung des Geheimnisses der heiligsten Dreifaltigkeit und der Einheit in Gott. Die zweite Art hat zum Gegenstand das Wirken Gottes in seiner Schöpfung und umfaut die übrigen Artikel unseres heiligen katho. lischen Glaubens sowie die Lehrsätze, die ausführlich die daraus abgeleiteten Wahrheiten enthalten.

Zu diesen letzteren gehören auch zum großen Teil die Offenbarungen der Propheten, die Verheiuungen und Dro. hungen Gottes, sowie anderes, das noch zu diesem Gebiet des Glaubens gehört. ,Zu dieser zweiten Reihe können wir auch noch viele besondere Fälle zählen, die Gott hin und wieder über die Welt im allgemeinen wie auch über ein. zeIne Reiche, Provinzen, Staaten, Familien und Personen offenbart. Beispiele haben wir für beides in der Heiligen ,!:i Schrift genug, zumal bei sämtlichen Propheten. bei denen ! ~ sich Offenbarungen aller angedeuteten Gattungen finden. Da dies ohnehin etwas Allbekanntes ist, führe ich keine Beispiele an. Nur das eine möchte ich bemerken, daf3 diese

Offenbarungen nicht bloß auf dem Wege des gesprochenen

Wortes ergehen, da ja Gott vielerlei Wege und Arten da. für zu Gebote stehen. Das eine Mal geschehen sie nur auf dem Wege des gesprochenen Wortes, ein andermal nur mittels Zeichen und Gestalten, Bildern und Gleichnissen; 242

dann wieder in beiden zugleich, wie aus den Propheten und besonders aus der ganzen Geheimen Offenbarung zu er- sehen ist. Hier finden wir ja nicht bloß alle angegebenen Gattungen von Offenbarungen, sondern auch die einzelnen Arten und Unterabteilungen, von denen in diesem Ab- schnitt die Rede ist.

Die Offenbarungen der zweiten Gattung läßt Gott nach Belieben auch noch in unseren Tagen ergehen. Er teilt nämlich dem einen oder anderen mit, wie lang er noch lebe oder was noch alles über ihn kommen werde, was dieser oder jener Person, dem und dem Reiche zustoßen werde usw. Wenn er aber die Wahrheiten unserer Glaubensgeheimnisse dem Geiste entfaltet und nahebringt, so ist dies zwar keine Offenbarung im eigentlichen Sinn, da es sich in diesem Fall ja um etwas handelt, was schon geoffenbart ist, sondern vielmehr eine Darbietung oder Erklärung einer bereits geoffenbarten Wahrheit.

Auch bei dieser Art von Offenbarungen kann der Teufel seine Hand häufig im Spiele haben. Denn da die Offenbarungen dieser Art gewöhnlich durch Worte, Zeichen und Geheimnisse vermittelt werden, so ist es dem Teufel ein leichtes, solches nachzuäffen, zumal dann, wenn sie nur an den Geist gerichtet sind. Wenn uns also hin- sichtlich dieser ersten und zweiten Art. die wir hier im Auge haben, in bezug auf unseren Glauben etwas Neues oder davon Abweichendes geoffenbart würde, so dürften wir dies auf keinen Fall annehmen, selbst dann nicht, wenn wir volle Gewißheit hätten, daß uns dieses von einem Engel des Himmels geoffenbart worden sei. Denn so spricht St. Paulus: Sed licet nos, aut Angelus de coelo evangelizet vobis praeterquam quod evangelizavimus vobis, anathema sit. "Aber gesetzt, daß wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium predigen, als wir euch ver- kündet haben: der sei verftuchtl)!" Da der heiligen Kirche schon alle Sätze unseres Glaubens im Wesen ge- I) Gal!, 8. 243

offenbart sind, so können keine neuen mehr hinzukommen. Infolgedessen darf man nichts annehmen, was etwa der Seele Neues darüber geoffenbart würde. Ja, man soll sogar in der Annahme anderer Wahrheiten, die darin enthalten sind, auf der Hut sei. Denn in bezug auf den Glauben soll sich die Seele vollkommen rein bewahren. Wenn ihr darum bereits geoffenbarte Wahrheiten neuerdings geoffenbart werden, so soll sie dieselben nicht deshalb annehmen, weil sie ihr wieder dargeboten werden, sondern weil sie der Kirche schon hinreichend geoffenbart sind. Die Seele möge nur ruhig die Augen des Verstandes vor ihnen schliefien und sich in aller Aufrichtigkeit der Lehre der Kirche und ihrem Glauben überlassen, der nach einem Worte des heiligen Paulus vom Anhören kommt: Fides ex auditu'). Willst du ganz sicher gehen, dann schenke solchen aufs neue geoffenbarten Glaubenssachen nicht leichthin Glauben und la6 dich nicht davon einnehmen, wenn du auch meinst, sie stimmten mit der Wahrheit vollkommen überein. Will nämlich der Teufel jemand hintergehen und belügen, so bringt er ihm erst Wahres bei und solches, das der Wahr- heit ganz ähnlich sieht, um dadurch seine Bedenken zum Schweigen zu bringen. Dann erst geht er dazu über, ihn zu betrügen. Er macht es dabei ähnlich wie der Schuh. macher, der das Leder nähen will. Erst zieht er eine steife Borste durch die öffnung, dann erst den weichen Faden, der nicht hindurchzubringen wäre, wenn nicht die Borste vorher durchgezogen würde. Nimm dich also davor wohl in acht! Selbst wenn in Wirklichkeit keine Gefahr zu fürchten wäre, hintergangen zu werden, so ist es doch für die Seele viel besser, wenn sie in Sachen des Glaubens nicht so klar sehen will. Denn so bewahrt sie sich das Ver- dienst des Glaubens rein und ganz, und nur so gelangt sie in dieser Nacht des Verstandes zum göttlichen Lichte der Vereinigung mit Gott. Vor jeder neuenOffenbarung schließe 1) Röml0,17. 244

man darum seine Augen und richte sie auf die früheren Prophezeiungen. Ja, es liegt so viel daran, dafj man sich an diese Weisung hält, dafj sogar ein Aposlei Petrus, der t doch die Herrlichkeit des Gottessohnes auf dem Berge i Tabor geschaut, dennoch in seinem Briefe das Wort aus- r spricht: Habemus firmiorem propheticum sermonern: cui f benefacitis attendentesl). D. i. wenn wir auch in Wahrheit runsern Herrn Jesus Christus auf dem Berge geschaut r haben, so ist uns dennoch das Wort der Propheten, das f uns geoffenbart worden, noch zuverlässiger und sicherer, und ihr tut gut daran, wenn ihr euch daran haltet. Wenn dem nach den angegebenen Gründen wirk- lich so ist, dafj man vor jeder neuen Offenbarung in Glaubenssachen seine Augen verschlief3en soll, um wie viel mehr wird es notwendig sein, dafj man die (lbrigen Offenbarungen, d.e doch ganz anderen Inhalt haben, nicht annimmt und ihnen keinen Glauben schenkt! Denn gerade bei diesen Dingen hat der Teufel gewöhnlich die Hand im Spiele. Darum scheint es mir ganz unmöglich, daf3 einer, der sich nicht davon frei macht, in vielen Stücken der Täuschung zum Opfer fällt; so stark ist der Schein der Wahrheit und der Eindruck, den der Teufel damit zu er- wecken versteht. Und er bringt so viele Gründe der Wahr- scheinlichkeit und Zulässigkeit bei, dass man sie schlien- lich gläubig hinnimmt, und er wein sie den Sinnen und der Einbildungskraft so überzeugend beizubringen, dar3 es dem Betreffenden vorkommt, es könne gar nicht anders sein. Und auf diese Weise versteht er es, die Seele davon zu (lberzeugen und dafür zu gewinnen, dass nichts mehr im- stande ist, die Seele vom Gegenteil zu überzeugen, wenn sie nicht demütig ist. Nach alledem muf3 a1so die Seele in Reinheit und Einfalt, mit Vorsicht und Demut, mit gleicher Energie und Sorgfalt den Offenbarungen und anderen Vi- sionen widerstehen und ihrer los zu werden suchen, a1s I) 2 Ptr 1, 19. 245

gälte es die gefährlichsten Versuchungen. Denn nicht das Haschen nach ihnen, sondern nur ihre Verneinung kann die Seele in der Liebesvereinigung fördern. Das wollte auch Salomon ausdrücken mit seinem Worte: Quid necesse est homini, majora se quaerere? "Was hat der Mensch nötig, nach Dingen zu forschen, die über seine natürliche Fas. sungskraft hinausgehen1)?" Als wollte er damit sagen: Der Mensch hat es zur Erlangung der Vollkommenheit durchaus nicht nötig, auf übernatürlichem und außergewöhnlichem Wege nach übernatürlichen Dingen zu forschen; denn das übersteigt seine Fassungskraft. Den Einwürfen, die hiegegen erhoben werden können, ist bereits durch die Erklärungen im 19. und 20. Kapitel dieses Buches die Spitze abgebrochen. Darauf möchte ich hier verweisen und damit die Abhandlung über die Offen. barungen beschließen. Es ist genug, wenn man wei&, dass die Seele klug daran tut, wenn sie sich vor all diesen Mit. teilungen in acht nimmt; nur so kann sie in Reinheit und ohne Gefahr des Irrtums durch die Nacht des Glaubens zur göttlichen Vereinigung gelangen. ~6. Kap i tel Von den inneren Ansprachen, die auf übernattirlichem Wege an den Verstand ergehen. -Einteilung derselben. Möge der Leser stets die Absicht und den Zweck im Auge behalten, den ich in diesem Buche verfolge. Es isl kein anderer, als die Seele durch all diese natürlichen lind übernatürlichen Wahrnehmungen hindurch zu geleiten, ~ daß sie ohne Täuschung und unbehindert im unverfälschteE Glauben zur Vereinigung mit Gott gelangt. So wird es denll der Leser auch verstehen, wenn ich mich hinsichtlich dei Wahrnehmungen der Seele und der darüber zu gebendeE Erklärung nicht so ausführlich fasse und in der Behandllln@ I) Prd7, 1. 246

dieses Gegenstandes und seiner Einteilungen nicht so ins Einzelne gehe, wie es vielleicht das Verständnis erheischen würde. Es wird trotzdem nichts Unvollständiges sein. Ich glaube, ich habe in bezug auf all das hinreichende Rat- schläge erteilt, ErklärUllgen und Beweise erbracht, so dafs die Seele in der Lage ist, in all diesen äußeren und inneren Schwierigkeiten entsprechende Vorsicht und Klugheit auf. zubringen, damit sie vorwärtskommt. Dies ist auch der Grund, warum ich mich bei den Prophezeiungeff wie auch bei den übrigen Wahrnehmungen so kurz gefaßt habe. Es wäre ja über jede derselben viel mehr zu sagen; ich hätte die einzelnen Unterschiede und Abarten aufzählen können, die bei jeder derselben vorkommen. Doch dünkt mich, man würde sie doch nicht vollkommen verstehen. Ich habe mich also damit begnügt, nur das zu bringen, worin nach meinem Dafürhalten das Wesen derselben besteht, sowie die Seele darüber zu unterrichten, wie sie sich gegen dieselben, wie in allen ähnlichen Fällen, die ihr begegnen können, zu ver- halten habe. .Ähnlich werde ich es auch bei der Behandlung der dritten Gattung von Wahrnehmungen halten, die wir als übernatürliche Ansprachen bezeichneten. Diese wirken ohne Vermittlung eines leiblichen Sinnes auf den Verstand der beschaulichen Seelen. Treten sie gleich in mannigfachen Abstufungen auf, so können sie doch nach meiner Ansicht in folgende drei Hauptgruppen zusammengefaßt werden: nämlich in sukzessive, formelle und substantielle An- sprachen. Unter sukzessiven Ansprachen verstehen wir gewisse Worte und Schlußfolgerungen, die der in sich gekehrte Geist sich bildet und für sich aufstellt. Formelle Ansprachen sind gewisse Worte, die klar und bestimmt zum Ausdruck kommen, die aber der Geist nicht aus sich selbst vernimmt, sondern von einer dritten Person, mag er nun dabei gesammelt sein oder nicht. 247

Substantielle Ansprachen endlich sind Worte, die aus. drücklich an den Geist ergehen, mag er gesammelt sein oder nicht. Diese dringen in das Innerste der Seele ein und bewirken dort jenes Wesen und jene Kraft, deren Aus. druck sie sind. Diese alle wollen wir nun der Reihe nach behandeln. 27. Kapitel Von der ersten Gruppe der Ansprachen, nämlich den sukzessiven, die der in sich gekehrte Geist sich bildet. - Ihre Ursache, sowie von dem Nutzen oder Schaden, der daraus erwachsen kann. Die sukzessiven Ansprachen treten stets nur dann ein, wenn der Geist vollkommen gesammelt ist und gleichsam ganz aufgeht in irgendeiner Betrachtung. über den Stoff, den man sich zur Betrachtung vorgenommen hat, eilt der Geist von Gedanken zu Gedanken, bildet Worte und Schluofolgerungen, die genau der Sache entsprechen, un,d zwar zwanglos und sicher und über Dinge, die ihm bisher völlig unbekannt waren, dass es ihm vorkommt, nicht von ihm selbst gehe das aus, sondern von jemand anderem, der in seinem Innern diese Vernunftschlüsse bildet, ihm Antwort gibt und ihn belehrt. In der Tat, eine solche Seele ist auch nur zu berechtigt, dies anzunehmen. Denn sie selber ist es, die sich die Fragen vorlegt und sich zugleich darauf antwortet, gerade als ob zwei miteinander sprächen. Und in gewisser Beziehung ist es auch nicht anders. Denn es ist zwar ihr Geist, der auf diese Weise tätig ist; aber er ist dabei nur das Werkzeug des Heiligen Geistes, durch dessen Mitwirkung er diese Begriffe und Worte und rechten VernunftschlOsse bildet. Und so redet denn die Seele mit sich selber, als spräche eine dritte Person mit ihr. Wenn nämlich die Seele der Betrachtung obliegt, dann ist der Verstand in die Wahrheiten des Betrachtungs- 248

stoffes versenkt und mit ihnen ganz vereinigt. Aber auch der Heilige Geist ist mit dem Verstande durch jene Wahr. heiten eins geworden, da er ja stets mit jeder Wahrheit ! ist. Daraus ergibt sich dann eine Verbindung des Ver. standes mit dem Heiligen Geiste, wobei jene Wahrheiten r das Zwischenglied bilden. Daraus leiten sich dann in ihrem r Innern nach und nach die übrigen Wahrheiten ab, die mit jener Zentralwahrheit zusammenhängen, und der Heilige Geist selber ist es, der in seiner Eigenschaft als Lehrer der Wahrheit die Türe dazu auftut und Licht einströmen läßt. Dies ist indes nur eine von den verschiedenen Arten, wie der Hcilige Geist sich als Lehrer betätigt. Ist nun der Verstand solcherart von diesem Lehrer erleuchtet und be- lehrt, so daß er jene Wahrheiten ganz erfaßt, dann geht er weiter und bildet von selber Schlüsse über Wahrheiten, die ihm von anderwärts mitgeteilt werden. Man kann somit auch hier sagen: "Die Stimme ist zwar die Stimme Jakobs, die Hände aber sind Esaus Händel)." Wer nun solches an sich erfährt, der wird sich kaum zur vollen überzeugung durchringen können, daß dem wirklich so ist, sondern er mag wohl annehmen, daß jemand anderer zu ihm spricht. Denn er kann nicht verstehen, daß sich der Verstand ebenso leicht, wie eine dritte Person, mit sich selbst unter- halten kann, selbst wenn diese Begriffe und Wahrheiten ihm von anderer Seite zukommen. Zwar kann bei solcher Mitteilung und Erleuchtung, die dem Verstande zuteil wird, keine Täuschung vorkommen, das ist richtig. Wohl aber kann sich ein Irrtum ein- schleichen, und er macht sich tatsächlich auch häufig gel- tend bei den formellen Worten und Vernunftschlüssen, die der Verstand darüber bildet. Da nämlich einerseits jenes Licht, das ihm mitgeteilt wird, häufig sehr fein und geistig ist, so daß sich der Verstand darin nicht ganz zurechtfindet, anderseits aber er es ist, der von selbst diese 1) Gn 27,~. 249

Vernunftschlüsse bildet, so kommt es, dau diese oft falsch, bisweilen auch der Wahrheit nur nahe kommend oder mangelhaft sind. Anfangs hat nämlich der Verstand den Faden der Wahrheit sozusagen fest in der Hand; dann fügt er jedoch sogleich von dem seinen dazu, VernOnftiges oder Törichtes, je nach seiner geringen Einsicht. Und so ist es leicht möglich, dau er entsprechend seiner Fassungskraft die Sache anders gibt, gerade so, wie es der Fall ist, wenn man mit einer anderen Person spricht. Ich kannte jemand, der diese sukzessiven Ansprachen hatte. Jedoch unter einigen ganz richtigen und wesent- lichen Sätzen, die er sich über das Heiligste Altars- sakrament bildete, fanden sich auch solche, die knapp an Häresie grenzten. Ich kann mich nicht genug darüber wundern, was in dieser Hinsicht gerade in unseren Tagen vorkommt. Wenn da eine Seele, deren Betrachten kaum vier Pfennig wert ist, bei der geringsten Sammlung schon Ansprachen, zu verspüren meint, nennt man das alles gleich göttlichen Ursprungs, und, da man davon ganz überzeugt ist, heißt es dann: Gott hat mir dies und das gesagt, Gott hat mir, dies geantwortet usw. Und doch ist dem durchaus nicht so, i sondern meistens sind solche es selber, die, wie wir bereits sagten, so mit sich redeten. Zudem ist es nur die Freude, die solche Leute an diesen Dingen haben, und die Neigung ihres Herzens dazu, die sie selber sich Rede und Antwort stehen läut, während sie meinen, Gott sei es, der ihnen Rede und Antwort gebe. So geraten dann solche Leute in groue Torheiten, wenn sie nicht streng in Zaum gehalten werden, und wenn ihr Seelenführer ihnen nicht ausdrück. lich solches Gerede verbietet. Denn dadurch gerät die Seele nur in ein geschwätziges Wesen hinein und wird ihre Lauterkeit getrübt, statt dau sie Demut und buDo fertige Gesinnung daraus schöpfte. Sie meint ja, es sei ihr damit etwas Groues widerfahren, und es habe Gott zu ihr gesprochen, während es im Grunde genommen vielleicht 250

etwas mehr gewesen sein mag aus nichts, oder auch gar nichts, oder noch weniger als nichts. Denn wozu könnte wohl das gut sein, was nicht Demut und Liebe und Bufl- geist und heilige Einfalt u~d Stillschweigen usw. in der Seele weckt? Darum stehe ich nicht an, zu behaupten, dafl solche Wahngebilde der Seele sehr hinderlich sein können auf ihrem Wege zur göttlichen Vereinigung; denn, wenn sie darauf Wert legt, reiflen sie die Seele weg vom Ab- grund des Glaubens, in dessen Dunkel der Verstand sich versenken sollte. Denn im Dunkel der glaubensvollen Liebe und nicht in allerlei Vernünfteleien soll er vorwärts trachten. Du magst mir nun entgegenhalten: Aber warum soll denn der Verstand von diesen Wahrheiten absehen, wenn doch, wie du selber sagst, der Heilige Geist es ist, der den Verstand darin el'leuchtet? Wie können sie also schlecht .? sem. Darauf erwidere ich: Der Heilige Geist erleuchtet den Verstand, wenn er gesammelt ist, und zwar erleuchtet er ihn nach dem Grade dieser Sammlung. Nun aber kann der Verstand nirgendwo eine größere Sammlung erlangen als im Glauben. Demnach wird ihn der Heilige Geist in nichts anderem besser erleuchten, als im Glauben. Denn je reiner und vollendeter eine solche Seele in der Vollkom- menheit lebendigen Glaubens wandelt, um so reicher ist das Maß der eingegossenen göttlichen Liebe. Und je größere Liebe ihr innewohnt, um so ausgiebiger spendet ihr der Heilige Geist sein Licht und seine Gaben. Somit ist also die Liebe Ursache und Mittel der Mitteilung dieser Gaben. Wohl empfängt auch die Seele bei dieser Be- leuchtung der Wahrheiten (durch den Verstand) einiges Licht; allein dies ist von jenem, das ihr im Glauben zuteil wird, wo sie nichts deutlich unterscheiden kann, sehr verschieden; so ungefähr, wie sich qualitativ feinstes Gold 1 zum gewöhnlichsten Metall, und quantitativ, wie sich 251

ein Ozean zu einem Wassertropfen verhält. Denn durch den Verstand erhältst du das Wissen einer, zweier oder dreier Wahrheiten; im Lichte des Glaubens aber empfängst du alle göttliche Weisheit zumal, nämlich den Sohn Gottes selber, der sich der Seele im Glauben mitteilt. Dagegen magst du etwa einwenden: Alles recht, aber dann steht doch das eine dem anderen nicht im Wege. Darauf erwidere ich: Und doch, es steht ihm sehr im Wege, besonders wenn die Seele auf ihre eigene Verstandestätig. keit Gewicht legt. Denn das heiüe ich den Verstand mit Dingen beschäftigen, die an sich klar sind und wenig Wert haben, die aber gerade hinreichen, um die Mitteilung ejnes unermehlichen Glaubensgutes hintanzuhalten, in welchem Gott in der Stille die Seele auf übernatürlichem Wege unterweist und sie mit Tugenden und Gnadengaben erfüllt, die ihr völlig unerreichbar sind. Der Vorleil, den jene allmähliche Mjttejlung bewirken soll, darf nicht davon ausgehen, daü man den Verstand absichtljch darauf ein. stellt. Denn das bieüe vielmehr ihn davon entfernen nach dem Worte, das die Weisheit im Hohenliede zur Seele spricht: "Wende deine Augen von mir ab, denn sie haben mich schüchtern gemachV)", d. h. sie haben bewirkt, daß ich weit von dir fliehe und mich mehr in die Höhe erhebe. Man soll vielmehr in aller Lauterkeit und Einfalt des Her. zens den Willen auf dje Liebe Gottes einstellen und darf njcht den Verstand mit Gewalt darauf hinlenken, was ihm auf übernatürlichem Wege mitgeteilt wird. Denn die Liebe ist es, durch deren Vermittlung jene Güter mitgeteilt wer. den, und die sie uns in noch viel reichlicherem MaDe zu- wenden würde als sonst. Wenn sicl} nämlich bei diesen Dingen, die übernatürlich und ohne Zutun der Seele mit. geteilt werden, die natürliche Fähigkeit des Verstandes oder andere Vermögen frei betätigen will, so erreicht sie I) m6,4. 252

infolge ihrer Unzulänglichkeit und Unbeholfenheit ihr Ziel nicht. Der Verstand wird infolgedessen diese Wahrheiten seiner Fassungskraft anpassen und anders wiedergeben, als sie an sich sind. Er wird also in den unvermeidlichen Irrtum geraten, daü er die Vernunftschlüsse nach eigenem Ermessen bildet. Was dann übrigbleibt ist aber weder etwas übernatürliches, noch auch ein Schein davon, sondern vielmehr etwas ganz Natürliches, sehr Fehlerhaftes und Gewöhnliches. Es gibt indes manchmal Leute, die einen äuüerst leb- haften und scharfen Verstand haben. Kaum haben sie sich bei einer Betrachtung etwas gesammelt, so ergehen sie sich auf ganz natürlichem Wege und mühelos in Gedanken, kleiden diese in Worte und fa&bare Schlüsse, und meinen .dann, das stamme alles von Gott. Und doch ist es nichts weiter, als ihr Verstand, der das geleistet hat. Denn auch das natürliche Licht des Verstandes, das durch die Tätig- keit der Sinne nicht behindert ist, bringt dies und noch viel mehr zuwege, ohne jegliche übernatürliche Beihilfe. Es kommt das sehr häufig vor, da& sich auf diese Weise manche täuschen und meinen, sie befänden sich im Zu- stande auüerordentlichen Gebetes und in Verbindung mit Gott. Dann schreiben sie das, was in ihnen vorgeht, nieder oder lassen es niederschreiben. Und doch ist das alles viel- leicht nichts und enthält nicht eine Idee von Tugend und dient zu nichts weiter, als daü sie sich damit nur aufblähen. Möchten doch solche Menschen lernen, auf nichts anderes zu achten, als wie sie den Willen in der Kraft demütiger :~; Liebe fest begründen und wahre Tugend üben, indem sie 411 dem Sohne Gottes in seinem Leben und Leiden nachfolgen, j;~; und in allem sich abtöten! Denn das allein ist der Weg zu .'; allen geistigen Gnaden. nicht aber eine Menge innerer . Ansprachen. Auch bei dieser Art von sukzessiven inneren An- sprachen hat der Teufel gar oft seine Hand im Spiele, 253

zumal bei jenen Seelen, die eine gewisse Neigung UD Anhänglichkeit dazu im Herzen tragen. Sobald sich nän lich solche Seelen sammeln wollen, ist auch schon d~ .Teufel zur Stelle, bietet ihnen geeigneten Stoff zu weitau: holenden Erwägungen, bingt dem Verstande auf dem W~ der Suggestion Begriffe und Worte bei, spiegelt ihr schlau, wie er ist. Wahres vor und stürzt ihn so i Irrtum. Es ist dies eben einer seiner Kniffe, sich mit dellE in Verbindung zu setzen, die mit ihm stillschweigend odl ausdrücklich einen Vertrag eingegangen haben. So tritt 1 in Verbindung mit gewissen Irrlehrern, besonders m Sektenstiftern, bietet ihrem Verstande Begriffe und Ve nunftschlüsse, die zwar äußerst spitzfindig, aber, trotzde sie den Schein der Wahrheit für sich haben, falsch UI irrig sind. Zu den bisherigen Ausführungen ist noch die B merkung nachzutragen, daß die Quelle dieser sukzessiv! inneren Ansprachen im V erstan~e eine dreifache se kann, nämlich der GeistGottes, der den Verstand erleucht und anregt; ferner das natUrliche Licht des Verstand selbst; endlich der Teufel, der auf dem Wege der Sugg stion zu ihm redet. Wir wUrden indes mancherlei Schwi rigkeiten begegnen, wollten wir hier die Merkmale w Anzeichen anführen, an denen man ersieht, aus welcb Quelle sie sich herleiten. Es mögen zu diesem Zwe einige allgemeine Regeln genügen. wie wir sie im fl genden geben. Wenn die Seele durch solche Worte und Gedank zur I..iebe angeregt wird, und wenn die Liebe zugleich au Demut und Ehrerbietung gegen Gott im Gefolge hat, ist dies ein Zeichen, dass sie vom Heiligen Geist ausgeh~ Denn der Geist Gottes kleidet stets seine Gnaden, so ~ er solche spendet, in diese Tugenden. Entspringen sie al: nur der Findigkeit und dem [,ichte des Verstandes, da ist es auch nur der Verstand, der das alles wirkt, ob 254

dass dabei die obengenannten Tugenden sich geltend ~machen, obschon der Wille auch in ganz natürlicher Weise der Erkenntnis und dem Lichte jener Wahrheiten sich in Liebe zuwenden kann. In diesem Falle bleibt der Wille nach ScWun der Betrachtung trocken, wenn er auch nicht gerade der Eitelkeit oder der Sünde fröhnt; es mante denn sein, dass ihn Satan hiezu noch neuerdings verleitete. Dies ~ist bei den Ansprachen, die von einem guten Geiste kom- men, nicht der Fall; denn da ist der Wille gewöhnlich mit i Liebe zu Gott erfüllt und dem Guten zugetan. Mag sein, dass der Wille manchmal trotzdem keine Anregung spürt, [ obwoW die Mitteilung von einem guten Geiste kam; in solchen Fällen wird es eben Gott so gefflgt haben, weil es so fflr die Seele besser war. Ein andermal wieder mag die l Seele die Wirkungen oder Anregungen jener Tugenden, (welche der Geist Gottes in ihr wirkt), nicht sonderlich verspflren, obwohl die Mitteilung, die ihr zuteil wurde, gut. war. Eben aus diesem Grunde ist es nach meiner Ansicht schwierig, aus den jedesmaligen Wirkungen genau zu be- stimmen, wie sie sich im einzelnen Fall voneinander unter- scheiden. Indes, die angefflhrten Wirkungen sind die ge- wöhnlicheren, wenn sie auch das eine Mal mehr, ein ander- mal weniger zutage treten. i Aber auch jene Ansprachen, die vom bösen Geiste stammen, sind bisweilen schwer als solche zu erkennen. Sie regen zwar fflr gewöhnlich den Willen nicht zur Got~es- liebe an und hinterlassen in der Seele eine Neigung zur Eitelkeit und Selbstgefälligkeit. Aber sie bringen doch auch manchmal in der Seele eine Scheindemut und eine glflhende Liebe im Willen hervor. Doch die ist nur eine andere Form ,r der Eigenliebe; und darum muss eine solche Seele schon in ! geistigen Dingen sehr erfahren sein, um sich da zurecht. zufinden. Dies tut der Teufel nur, um sich noch mehr zu verstellen. Ja, er bringt es sogar fertig, dass man manch. mal Tränen der Rflhrung vergie6t. Denn so weckt er in 255

der Seele gerade die Neigungen, die ihm gelegen sind. Immer aber sorgt er dafür, dafj der Wille solcher Personen angeregt wird, diese inneren Mitteilungen hoch einzu. schätzen und recht viel darauf zu geben, damit sie sich so denselben ganz hingeben und sich in ihrem Inneren mehr mit Dingen befassen, die mit Tugend nichts zu tun haben, und so auch noch jene Tugend einbüfjen, die sie schon haben. Bewahren wir denn bei den verschiedenen Arten die. ser Ansprachen die notwendige Vorsicht, dann werden sie uns nicht zum Fallstrick und zum Hindernis werden. Mes. sen wir ihnen keinen Wert bei, sondern stellen wir uno seren Willen mit allem Nachdruck auf Gott ein, indem wir sein Gebot und seine heiligen Ratschlüsse genau erfüllen. Darin besteht die Weisheit der Heiligen. Seien wir zu. frieden, wenn wir nur die Geheimnisse und Wahrheiten des Glaubens kennen in jener Schlichtheit und Wahrheit, wie sie uns die Kirche vorlegt. Das reicht vollkommen hin, .um unseren Willen anzufeuern. Geben wir uns nicht ~ mit tiefsinnigen Spekulationen und Spitzfindigkeiten, dem das geht selten ohne Gefahr ab. Befolgen wir, was in diesel Hinsicht St. Paulus mahnt: "Nicht höher sinnen, als mal sinnen sollt)!" -Damit möge es mit der Lehre von deI sukzessiven Ansprachen sein Bewenden habenI 28. Kap i tel Von den formellen inneren Ansprachen, die auf übel natürlichem Wege an den Geist ergehen. -Von de Gefahren, die sie zur Folge haben können und welch Vorsicht man anwenden muß, wenn man nicht irregl führt werden will. Die zweite Gattung der inneren Ansprachen um fant d formellen, welche bisweilen auf übernatürlichem Wege ur ohne Zuhilfenahme irgendeines Sinnesorgans im Geis 1) Röm 12, B. 256

zustandekommen, gleichviel ob der Geist gesammelt ist oder nicht. Wir nennen sie formelle, weil es dem Geiste wirklich vorkommt, als richte sie eine dritte Person an ihn, ohne daß er selbst dabei tätig ist. Deshalb sind sie auch sehr verschieden von denen, die wir eben behandelt haben. Sie unterscheiden sich von diesen nicht nur dadurch, dau der Geist, nicht wie bei jenen, durch eigene Tätigkeit mit. wirkt, sondern auch dadurch, daß sie zustandekommen, ohne daü er gesammelt zu sein braucht, ja sogar, im Gegensatz zu ersteren, oft nicht im geringsten an das denkt, was zu ihm gesprochen wird. Jene nämlich, die sukzessiven, befassen sich stets mit dem Gegenstand, den man eben betrachtete. Diese formellen Ansprachen sind manchmal sehr scharf geprägt, manchmal wieder nicht. Oft sind sie nur wie Gedanken, durch die dem Geiste etwas mitgeteilt wird, sei es in Form einer Antwort, sei es auf andere Weise. Bald ist es nur ein einziges Wort, bald sind es zwei oder mehr, bald sind es mehrere aufeinanderfolgende Worte, wie bei der ersteren Gattung. Sie währen manchmal auch längere Zeit, indem sie die Seele belehren oder etwas mit ihr verhandeln, stets aber so, daü der Geist dabei untätig ist; denn man hat immer den Eindruck, als höre man je. mand mit einem anderen reden. Es ist da ähnlich, wie wir bei Daniellesen, "als ob ein Engel mit ihm redetet)." Dieses Reden war ebenfalls ein formelles und sukzessives, indem er seinen Geist zu Schlußfolgerungen anregte und belehrte. Denn so sprach der Engel zu ihm: "Ich bin gekommen, dich zu belehren." \Venn diese Ansprachen rein formell sind, hinterlassen sie in der Seele keinen tieferen Eindruck. Denn ihr Zweck. besteht in der Regel darin, daü sie die Seele über irgend- einen Punkt belehren oder ihr ihn näher erklären. Und um dieses Ziel zu e1Teichen, brauchen sie keine größere Wirk- J) Dn 9, 22. 257

samkeitzu entfalten, als ihr Zweck e.rheischt. Sind sie von Gott, dann erreichen sie auch immer in der Seele diesen Zweck. Sie machen nämlich die Seele empfänglich und ge. lehrig für die erteilten Weisungen oder Lehren. Manchmal mag es zwar vorkommen, daß die Seele dennoch mit einem gewissen Widerwillen oder mit Schwierigkeiten dagegen zu kämpfen hat, ja, daß diese dadurch nur noch gröner werden. Allein das läßt Gott zu, um die Seele noch mehr zu belehren, zu größerer Demut und Vollkommenheit an. zuleiten. Dieses Widerstreben beläßt Gott der Seele haupt. sächlich darnl, wenn er .ihr wichtige Werke aufträgt oder Werke, aus denen der Seele Auszeichnung erwachsen kann. Wo es sich aber um gewöhnliche und erniedrigende Dinge handelt, da verleiht er der Seele leichten Sinn und Bereit. willigkeit. So lesen wir z. B. im Buche Exodus: Als Gott dem Moses befahl, er solle zum Pharao gehen und sein Volk aus der Knechtschaft führen, fühlte dieser solchen vViderwillen dagegen, daß es ihm Gott dreimal gebieten und ihn durch Wunderzeichen bestimmen mußte. Aber selbst das war noch nicht genug, ihn umzustimmen; erst als ihm Gott den Aaron zum Begleiter und Teilhaber des ehren. vollen Auftrags gab, ließ er sich dazu herbeiJ). Das Gegenteil davon trifft zu, wenn die Ansprachen und Mitteilungen vom Teufel ausgehen. Dann nämlich stellt sich in der Seele bei Dingen von gröfJerer Tragweite und Bedeutung ein gewisser Eifer und Bereitwilligkeit dazu ein, wo es sich aber um gewöhnliche Dinge handelt, Wider. willen. Wenn aber Gott sehen muß, wie manche Seelen allf Auszeichnungen erpicht sind. so verabscheut er das gar sehr. Wenn er ihnen auch ehrenvolle Dinge überträgt, .so sollen sie gleichwohl ohne Hast dabei zu Werke gehen und nicht danach verlangen. Und gerade durch diese Be. reitwilligkeit, welche Gott gewöhnlich in Verbindung mit diesen formellen Ansprachen der Seele mitteilt, unterschei. 1) Ex 8 u. 4. 258

.den sich diese von jenen anderen, den sukzessiven. Diese regen nämlich die Tätigkeit des Gcistes nicht so kräftig an, wie jene, und teilen ihm auch nicht die gleiche Bereit- willigkeit mit. Da sie nämlich deutlicher ausgeprägt sind, gestatten sie auch weniger, dass der Verstand aus Eigenem etwas dazu beitriigt. Trotzdem kann es aber sein, dass ge- wisse sukzessive Ansprachen manchnlal eine' gröBere Wir- kung hervorbringen, und zwar infolge des gröBeren Ein- flusses, den der Geist Gottes bisweilen auf den Menschen- geist ausübt. Doch bleibt immerlün noch ein groBer Unter- schied zwischen beiden Gattungen hinsichtlich der Art und Weise dieser Wirkungen. Wo es sich also um solche for- melle Ansprachen handelt, braucht sich die Seele nicht erst fragen, ob sie selber es sei, die dieselben an sich richte; denn sie sieht ganz klar, dass dies nicht der Fall ist, zumal wenn sie gar nicht an das dachte, was ihl' in diesen An- sprachen mitgeteilt wird. Und selbst wenn sie sich in dem gleichen Gedankenkreis bewegte, 80 hat sie das deutliche und bestimmte Gefühl, dass dies von jemand anderem komme. Doch soll die Seele all diesen formellen Ansprachen keine gröBere Bedeutung beimessen als den sukzessiven. Abgesehen davon, daß sich der Geist mit etwas be- fante, was nicht das ordentliche und nächste Mittel zur "göttlichen Vereinigung sf'in kann, das allein der Glaube ist, könnte sie vom Teufel sehr leicht hintergangen werden. Denn in vielen Fällen wird man schwer unterscheiden kön- , nen, ob die Worte vom guten oder vom bösen Geist aus-

gehen. Obwohl nämlich die formellen Ansprachen keine so

groBe Wirkung hervorbringen, kann man sie dennoch nicht an ihrer Wirkung von den anderen lmterscheiden. Oft kommt es ja vor, dass die vom Teufel ausgehenden A nspra- chen auf die unvollkommenen Seelen eine fühlbarere Wir- kung ausüben, als jene vom guten Gejste kommenden auf die geistlichen Seelen. Man darfa.Jso nie sofort an die Alls- 259

führung dessen gehen, was in solchen Ansprachen zum Ausdruck gebracht wird, noch soll man ihnen eine Bedeu. tung beimessen, ob sie nun von einem guten oder bösen Geist kommen. Man offenbare sie vielmehr sofort einem erfahrenen Beichtvater oder sonst einem verschwiegenen und weisen Mann, damit er die Seele darüber belehre und sehe, was in dem betreffenden Fall zu tun sei. Seinem Rate folge man sodann mit ganzer Ergebung und mit Zurück. stellung des eigenen Urteils. Findet sich jedoch kein Mann, der in diesen Dingen Erfahrung besitzt, so ist es besser, man hält sich an das, was diese Ansprachen an Wesent. lichem und Sicherem enthalten; im übrigen kümmere man sich nicht um sie und teile niemand etwas davon mit. Denn es könnte leicht sein, daB man es mit Leuten zu tun be. käme, die zum Untergang statt zur Erbauung der Seele beitrügen. Es kann ja doch nicht jeder Nächstbeste Seelen. führer sein, und es steht das Höchste auf dem Spiele, wo es gilt, in einer so wichtigen Angelegenheit entweder das Rechte oder das Verkehrte zu treffen. Ferner achte die Seele gar sehr darauf, daB sie ja nichts von dem, was ihr in solchen Ansprachen geoffenbart ,vurde, nach eigenem Gutdünken ausführe oder tun lasse, bevor sie nicht die Sache mit jemand reiflich erwogen und beraten hat. Denn in dieser Hinsicht kann sich ja so leicht in ganz feiner und auBerordentlicher Weise Betrug ein. schleichen. Darum halte ich meinerseits dafür, daü eine Seele, die nicht all diesen Dingen abhold ist, unvermeidlich in vielen Fällen ein Opfer der Täuschung wird, sei es im GroBen oder im Kleinen. Von diesen Gefahren der Täu. schung sowie von der Vorsicht, die man hiegegen anwen. den soll, war bereits im 17., 18., 19. und ~O. Kapitel diMes Buches die Rede. Auf diese sei hier verwiesen; dann brauche ich mich hierüber nicht mehr eingehender zu ver. breiten. Ich möchte nur noch das eine sagen: die wichtigste und sicherste Lehre, die wir daraus ziehen sollen, ist diMe, 260

solchen Ansprachen keine Bedeutung beizumessen, wie vor. trefflich sie auch zu sein scheinen, sondern sich in allem von der Vernunft und von der Lehre der Kirche leiten zu lassen, die sie uns bereits gegeben und noch täglich erteilt. ~9. Kap i tel Von den 8ub8tantiellen An8prachen, die dem Geiste in. nerlich zuteil werden. -Wodurch sie sich von den for. meIlen unterscheiden. -Von dem aus ihnen erwachsen- den Gewinn und welche Ehrfurcht ihnen die Seele ent- gegenbringen BOll. Die dritte Gattung der inneren Ansprachen bezeie.h- neten wir als substantielle. Diese sind zwar auch formell, insoferne sie sich ganz deutlich wahrnehmbar der Seele einprägen. Sie sind aber gleichwohl von jenen verschieden, insofern die substantiellen Ansprachen in der Seele eine starke und wesentliche Wirkung hervorbringen, was bei den fonnellen nicht der Fall ist. So ist also jede: substan- tielle Ansprache zugleich auch eine formelle, doch ist nicht jede formelle zugleich auch eine substantielle, ~ondern nur jene, die, wie eben erwähnt, der Seele dasjenige, was sie ausdrücken soll, wesentlich mitteilt. Dies träfe zu, ,venn der Herr zur Seele z. B. sagen würde: Sei gut! und sie würde sogleich wesentlich gut. Oder wenn er zu ihr sagte: I..iebe mich! und sie würde sofort in sich die wesentliche Liebe, d. h. die wahre Gottesliebe, besitzen und verspüren. Oder wenn er zu einer recht ängstlichen Seele sagte: Fürchte nichts! und sie würde im gleichen Augenblick groBen Mut und Frieden empfinden. Denn "das Wort des Herrn ist" nach dem Zeugnis des Weisen "gar mächtigl)". ..Es bringt eben in der Seele auch wirklich. das hervor, was es dem Wortlaute nach besagen will, wie es auch David bezeugt mit den Worten: "Der Herr wird seine Stimme l) Prd 8, 4. 261

erschallen lassen, seine Stimme voll Kraftl)." Er zeigte das auch an Abraham, der auf das Wort des Herrn hin: "Wandle vor mir und sei vollkommen~)!" sogleich vollkorn. men ward und stets in Ehrfurcht vor Gott wandelte. In ähnlicher Weise offenbart Gott auch die Macht seines Wortes in den Evangelien: mit einem einzigen Wort heilte Christus die Kranken und erweckte Tote zum Leben usw. Ähnlich läüt Gott auch an manche Seelen substantielle Ansprachen ergehen. Und ihre Bedeutung und ihr Wert für die Seele? Sie sind ihr Leben und Kraft und unver. gleichliches Gut. Eine einzige von ihnen wirkt in solchem Augenblick in der Seele mehr Gutes, als was sie zeit des ganzen Lebens zustande gebracht hat. Werden der Seele solche Ansprachen zuteil, dann braucht sie nichts tun, nichts wünschen, nichts fürchten; es ist auch gleichgültig, i ob sie dieselben will oder nicht will, ob sie sich dagegen sträubt. Die Seele braucht nicht einmal dafür zu sorgen, wie sie das, was ihr in denselben kundgetan wird, in die Tat umsetze; denn Gott läüt solche substantielle Anspra. chen nie ergehen, damit man sie erst in die Tat umsetze, sondern er wirkt selbst in ihnen. nadurch unterscheiden sie sich eben von den formellen und sukzessiven Anspra. r.hen. Darum behaupte ich auch, dafl es einerlei ist, ob die Seele sie will oder nicht will; denn ein Verlangen danach von ihrer Seite ist durchaus nicht Vorbedingung, damit Gott sie betätige, aber auch ihr Widerstreben dagegen hat keinen Einftuü darauf, daü dieselben die angedeutete Wir. kung nicht hervorbrächten. Sie möge sich nur in demütiger Ergebung ihnen überlassen! Sie braucht sich ihrer auch nicht zu erwehren; denn ihre Wirkung ist wesenhaft in der Seele, nämlich eine Fülle de~ göttlichen Gnade. Und da sich diese Wirkung in der Seele passiv vollzieht, so hat auch eine entgegengesetzte Tätigkeit seitens der Seele im ganzen weniger Bedeutung. I) Ps 67, 34. '1) Gn 17. 1. 262

Auch keine Täuschung braucht die Seele zu fUrchten; denn weder der Verstand noch der Teufel können hiebei im Spiele sein. Der GeiSt der Bosheit wird nie und nimmer imstande sein, in einer Seele, die sich passiv verhält, eine substantielle Wirkung hervorzubringen, d. h. ihr die Wir. kung seines Wortes bleibend einzuprägen. Es mODte denn sein, daD sich die Seele durch einen freien Pakt dem Teufel verschrieben hätte, so daD dieser in ihr als ihr Herr seine Wohnung aufgeschlagen hat; denn dann kann er solche Wirkungen in ihr hervorbringen, natürlich nicht im guten, sondern im schlimmen Sinn. Insofern eben eine solche Seele freiwillig mit ihm eins geworden ist in Bosheit, so wäre es dem Teufel ein leichtes, ihr seine boshaften Ge- danken und Worte aufzudrängen. Wir wissen zwar aus Erfahrung, daD er oft auch gute Seelen durch seine Ein- 8üsterungen arg bedrängt und gewaltig auf sie einwirkt. Wären sie erst böse, was könnte er dann erst in ihnen vollbringen? Allein, das ist ihm unmöglich, daD er den guten Wirkungen gleichgeartete an die Seite stellte; denn seine Worte lassen sich mit den göttlichen nicht auf die gleiche Stufe stellen; es ist, als wären sie nicht, und auch ihre Wirkung ist nichts im Vergleich mit der Wirkung der göttlichen Ansprachen. Darum spricht der Herr bei Jere- mias: "Was hat das Stroh mit dem Weizen gemein? Sind meine Worte nicht wie Feuer und wie ein Hammer. der Felsen zerschmettert?1)" So sind denn diese substantiellen Ansprachen ein mäch- tiges Hilfsmittel, die Seele in der Vereinigung mit Gott zu fördern. Und je mehr sie sich im Inneren der Seele voll- ziehen, desto mehr erfassen sie auch ihr Wesen, und desto gröberen Gewinn schaffen sie. Glückselig die Seele, an welche Gott solche Worte ergehen lieD! .,Rede 0 Herr. dein Diener hört2)!,' , I) ,Jr~,28f. '> 1 Sm 3, 10. 263 . 30. Kap i tel Von den inneren Empfindungen, die der Seele auf über. natürlichem Wege zuteil werden und den Verstand be. einflussen. -Woher sie kommen, und wie sich die Seele auf ihrem Weg zur Gottvereinigung gegen sie zu ver. halten hahe. Wir kommen nun zur vierten und letzten Gattung der intellektuellen Wahrnehmungen. Es sind die;s geistige Empfindungen, die sehr häufig beschaulichen Seelen auf Obernatürlichem Wege zuteil werden und den Verstand be. einflussen. Wir zählen sie den deutlich umschriebenen Wahrnehmungen des Verstandes bei. Diese klar umschriebenen geistigen Empfindungen können zweifacher Art sein: die eine umfabt die Empfin. dungen, die in der Neigung des Willens wurzeln; die an. dere umfabt jene Empfindungen, die im Wesen der See1e ihren Sitz haben. Beide können wieder sehr mannigfacher Natur sein. Jene, die im Willen der Seele ihren Ursprung haben, erreichen, sofern sie von Gott stammen, einen sehr hohen Grad. Jene hingegen, welche im Wesen der Seele selber ihren Sitz haben, Oberragen alle anderen und sind Oberreich an Segen und Nutzen. Weder die Seele selbst noch auch ihr FOhrer sind imstande, ihren Ursprung zu er- grOnden oder zu erfassen, auf welchen Wegen oder um welcher Werke willen Gott der Seele solche Gnaden er. weist. Sie stehen ja in keiner Beziehung zu den Werken, welche die Seele verrichtet, noch auch zu irgendwelchen Betrachtungen, die sie anstellt; diese können höchstenfalls eine treffliche Disponierung der Seele für jene Gnaden sein. Gott verleiht sie eben, wem er will, und wie es ihm beliebt und zu dem Zweck, den er dabei im Auge hat. Es kann vorkommen, dafJ sich jemand in vielen Werken be- währt hat, und dennoch werden ihm diese sO~en Berührun- gen nicht zuteil, während ein anderer viel weniger solch 264

guter Werke sein eigen nennt und sie dennoch in höch- stem Grade und in reicher Fülle erfährt. Darum ist es nicht notwendig, daß die Seele tatsächlich sich mit geistlichen Dingen beschäftige, damit Gott sie jene Berührungen kosten Jasse, aus dcßen ihr die genannten Empfindungen zuteil \\'erden. Allerdings ist es besser, wenn sie "ich mit solch geistlichen Dingen beschäftigt, weil sie dies mehr darauf vorbereitet. Ja, sehr häufig kommt es vor, daß die Seele nicht einmal an solche Dinge denkt. Von diesen Berührun- gen sind die einen deutlich erkennbar und gehen schnell wieder vorüber, während die anderen weniger bestimmt sind, aber dafür um so längere Zeit andauern. Insofern diese Empfindungen zu den hier besprochenen zählen, gehören sie nicht bloß dem Gebiete des Verstandes- lebens an, sondern auch dem des Willens. Deshalb will ich sie hier nicht eingehender besprechen, da ich im dritten Buche bei der Behandlung der Läuterungsnacht des Wil- lens in seinen Neigungen darauf zurückkomme. Weil aber häufig, ja in den meisten Fällen von diesen Empfindungen auch auf den Verstand eine Wahrnehmung, Erkenntnis und ein Verständnis überströmt, so mUß ich, einzig aus ROck- sicht darauf, auch hier davon Erwähnung tun. Alle diese Empfindungen also, sowohl jene, welche die Willenstätigkeit beeinflussen, wie auch jene, die in dem Wesen der Seele ihren Sitz haben, mögen sie nun lange andauern oder von kurzer Aufeinanderfolge sein, lassen sehr oft dem Verstand eine erkennende und verstehende Wahrnehmung zukommen. Diese besteht für gewöhnlich in einem ganz erhabenen, für den Verstand äußerst wonne- 70llen Gottverspüren. Doch ist es unmöglich, dieses ge- lauer zu bezeichnen, ebensowenig wie das GefOhl, dem es !ntspringt. Diese erkennenden Wahrnehmungen sind ver- chiedenartig, bald erhaben und deutlich erkennbar, bald vieder weniger erhaben und deutlich. Es hängt dies eben usammen mit der Verschiedenartigkeit der göttlichen Be- 265

rührungen, welche hin,,'ieder die Empfindungen beursachelL denen jene Wahrnehmungen entstammen, sowie mit ihrer Eigenart. Will man eine Vorsichtsma6regel aufstellen, wie man den Verstand mittels jener Kenntnisse im Glauben zur gött. lichen Vereinigung führeil soll, so bedarf es dazu nicht vieler Worte. Wie nämlich die genannten Empfindungen der Seele passiv zuteil werden, d. h. ohne dafs die Seele ihrerseits sich bemüht, sie zu erlangen, so werden auch die ihnen entstammenden Wahrnehmungen dem Verstande passiv zuteil, ohne da& er selbst sich um ihre Erlangung bemüht. Die Philosophie spricht hier von einem intellectus passibilis. Soll jede Täuschung ausgeschaltet werden, und f sollen sie ungehindert sich fördernd betätigen können, dann darf der Verstand mit seiner Tätigkeit sich nicht ein. mischen, sondern muss sich völlig passiv verhalten und seine natürliche Fassungskraft beiseite lassen. Denn er könnte durch sein Eingreifen sehr leicht jene zarten Wahr. nehmungen gänzlich zunichte machen, wie wir schon ge. legentlich der sukzessiven Ansprachen bemerkt haben. Sie bestehen ja in einer wonnevollen übernatürlichen Erkennt. nis, die dem natürlichen Verstande' völlig unerreichbar ist. und die dieser nicht durch eigene Betätigung erfassen kann. sondern nur dadurch, da& er ihrer teilhaft wird. Man darf sie darum nicht zu erlangen trachten und soll auch kein Verlangen danach aufkommen lassen, sonst könnte es sein, da& der Verstand weitergeht und selber sich (andere) Erkenntnisse bildet, ja es könnte dadurch dem Teufel Tür und Tor geöffnet werden, dass er mit allen mögli~hen Trug. bildern die Seele belästigt. Solches ist ihm um so leichter möglich bei einer Seele, die sich solchen Wahrnehmungen hingibt als A usftu& der genannten Empfindungen. Denn solche kann er selber der Seele vermitteln, die sich auf jene Wahrnehmungen verläßt, indem er sicb dazu der leib. \ lichen Sinne bedient. 266

Nein, die Seele möge sich nur ganz stille halten, de- mütig und gelassen sein. Da sie dieselben ohne ihr Zutun von Gott empfängt, wird Gott sie ihr auch mitteilen, wann es ihm gefällt, falls er die Seele demütig und selbstlos findet. Befolgt sie diesen Rat, dann wird sie dem reichen 11 ' Gewinn, der ihr aus diesen WahrnellDlungen auf dem i! Wege zur Vereinigung mit Gott ersteht, in sich kein Hin- ' (i dernis bereiten. Es sind dies ja alles Berührungen, welche zur Vereinigung mit Gott führen sollen. Und diese vollzieht sich nur passiv in der Seele. Ich beschließe hiemit die Abhandlung über die über- . natürlichen Wahrnehmungen des Verstandes, insofern dieser mit ihrer Hilfe im Glauben zur göttlichen Vereini- t I' gung geführt werden soll. Nach meinem Dafürhalten dürfte I das, was darüber geäußert wurde, hinreichend sein. In allen .! eventuellen Fällen, in welche die Seele hinsichtlich der 1 Verstandestätigkeit kommen kann, findet sie Aufschluß und Vorsichtsmaßregeln in den aufgeführten Paragraphen. Manchmal freilich ßlag es ihr vorkommen, als finde sie in keinem von ihnen etwas ihrem speziellen Fall Entsprechen- des; -nach meiner Ansicht dürfte es allerdings keine in- tellektuelle Wahrnehmung geben, die nicht auf eine der vier Gattungen von bestimmten Wahrnehmungen zurflck- gefflhrt werden könnte. -In solchen Fällen mag sie Wei- sung und Richtschnur aus dem entnehmen, was in den vier Paragraphen für ähnliche Fälle gesagt wurde. Damit gehen wir zum dritten Buche über. Wir wollen darin mit Gottes Hilfe die innere geistige Läuterung des Willens bezüglich seiner inneren Neigungen behandeln und möchten dies als aktive Nacht bezeichnen. 267


Drittes Buch Die dunkle Nadtt des Geistes (Formetzung)

Aktive Läuterung und Nacht des Gedächtnisses und Willens. -Richtlinien für die Seele, wie sie sich hin. sichtlich der Wahmehmungen dieser beiden Seelenkräfte zu verhalten hat, um in vollkommener Hoffnung und Liebe zur Vereinigung mit Gott zu gelangen. 269


lnhaltsübersidtt Im Vorausgehenden brachten wir An\\.eisungen, wie das erste Seelenvermögen, der Verstand, in all seinen Wahrnehmungen geläutert werden müsse durch die erste thwlogische Tugend, den Glauben. Erst wenn dies ge. schehen, kann sich die Seele hinsichtlich dieses Vermögens auf dem Wege des reillen Glaubens mit Gott vereinen. Nun erübrigt noch, ähnliche Anweisungen auch für die beiden allderen Seelenvermögell, Gedächtnis und Wille, zu erbringen. Dellll auch diese müssen erst in ihren Wahr. nehmungen geläutert werden, dalnit die Seele auch lun. sichtlich dieser beiden Vermögen in vollkommener Hoff. nung und Liebe sich mit Gott vereinen könne. Dies .soll nun in aller Kürze in diesem dritten Buche geschehen. Denn, da wir uns über den Verstand, der wie in einem Gefäße alle Objekte in sich vereinigt., welche die beiden anderen Vermögen beeinflußen, sehr eingehend verbreitet haben, so haben wir damit bereits eine groDe Strecke Weges für das Folgende zurückgelegt. Somit ist es nicht notwendig, daß wir auch diese beiden Seelenvermögen so ausführlich behandeln. Eine geistliche Seele, die wie immer ihren Verstand, den gegebenen Weisungen entsprechend, dem Glauben unterordnet, kann unmöglich davon absehen, zugleich auch die heiden anderen Seelenvermögen in den beiden anderen Tugenden, wenigstens ganz flüchtig, zu üben; die Beziehun. gen beider zueinander sind zu enge. Um nun den bisher eingeschlagenen Weg auch weiterhin zu verfolgen und zugleich ein genaueres Verständnis zu ermöglichen. halten wir es für angebracht, diesen Gegenstand noch eingehend 270

unter den1 Gesichtspunkt seiner speziellen Eigenart zu behandeln. Wir wollen darum im t'olgenden die speziellen WahrnehJIiungen eines jeden der beiden Seelenvermögen bringen, und zwar vorerst die des Gedächtnisses je nach ihren Unterarten, soweit es für unseren Zweck erforderlich ist. Wir ~önnen dieser Einteilung die Unterscheidung ihrer Objekte in natürliche w1d übernatürliche, in imaginäre und geistige zugrunde legen. Ihnen entsprechen ebenso viele Arten von Kenntnisformen des Gedächtnisses, nämlich natürliche und übernatürliche, imaginäre und geistige. Diese Erkenntnisformen wollen wir denn mit Gottes Hilfe hiemit zum Gegenstand unserer Untersuchungen machen und wollen gleich mit den natürlichen, welche die mehr äuQeren Objekte zum Inhalt haben, beginnen. Darauf wollen wir von den Neigungen des Willens sprechen, und damit soll zugleich das (folgende) dritte Buch der aktiven geistigen Nacht abgeschlossen werden. 271

L Absdtnitt Vom Gedämtnis ,

Das Gedämtnis und die natürlimen Wahrnehmungen.1

1, Kap i tel Wie das Gedächtnis von den natürlichen Wahrnehmun. gen geläutert werden muß, damit die Seele auch diesem Vermögen nach zur göttlichen Vereinigung gelangen kann, Möge der Leser bei keinem Buch den Gegenstand, um den es sich handelt, aus dem Auge verlieren! Widrigen. falls könnten ihm gar viele Bedenken kommen fiber das, was er liest, nicht blofi über das, was wir im Voraus. gehenden vom Verstande gesagt haben, sondern ebenso auch über das, was wir nunmehr vom Gedächtni~ und später vom Willen zu sagen haben. Sieht er nämlich, wie nach unserer Auffassung diese Vermögen bezüglich ihrer Tätigkeit vernichtet werden müssen, so möchte er etwa gar auf den Gedanken kommen, wir wollten das Gebäude des geistlichen Lebens niederreissen, statt es aufzubauen. Er hätte damit auch tatsächlich recht, wenn ,vir hier nichts anderes bezwecken wollten, als lediglich den Anfängern Anweisungen zu geben. Denn diese müssen ja in der Tal durch solche Wahrnehmungen, wie sie aus dem Nach. sinnen und schlufJfolgerndenDenken geschöpft werden,sich dazu vorbereiten. Wir möchten indes mehr erreichen, 272

nämlich eine Anleitung geben, wie man durch die Be. schauung Fortschritte macht auf dem Wege zur göttlichen Vereinigung. Dazu ist aber Vorbedingung, dass die Seele auf alle diese sinnenfälligen Hilfsmittel der Seelenkräfte stillschweigend verzichte, auf dass Gott allein in ihr diese Vereinigung bewirke. Um dies zu ermöglichen, gibt es nur ein Mittel, nämlich alle Hindenusse aus dem Wege räumen und dafür sorgen, dass die Seelenkräfte in ihrem natürlichen Bereiche jegliche Tätigkeit einstellen. Dadurch r soll Raum geschaffen werden für das übernatürliche, mit I dem die Seele erfüllt und erleuchtet werden soll. Denn ihre eigene Fähigkeit reicht nicht hin, sie zu so erhabener Würde zu erheben; im Gegenteil, die Seele würde sich selbst ein Hindernis sein, wenn sie sich nicht aus dem Spiele läßt. Wenn es nun richtig ist -und es ist in der Tat nicht anders .-, dass die Seele Gott mehr aus dem erkennen muss, was er nicht ist, als aus dem, was er ist, so mUh sie in gleicher Weise zu ihm gelangen, indem sie auf ihre Wahrnehmungen, natürliche wie übernatürliche, ganz und gar verzichtet, statt dieselben zuzulassen. Nach dieser Methode werden wir im Folgenden mit dem Gedächtnis vorgehen; wir wollen ihm nämlich alle die natürlichen beengenden Schranken aus dem Wege räumen und e.., dann über sich selbst erheben, d. h. über jegliche genau umschriebene Kenntnis und über jeden sinnenflilligen Be- sitz, empor zur höchsten Hoffnung des unfanbaren Gottes. Wir wollen also zunächst mit den natürlichen Kennt- I nissen beginnen. Als solche betrachte ich in bezug auf das Gedächtnis alle jene, die dieses aus den Objekten der fünf Sinne des Leibes, als da sind Gehör, Gesicht, Geruch, Geschmack und Gefühl, gewinnt, ferner alle Wahrnehmun- gen, welche es auf diese Weise bilden und sich vergegen- Iwärtigen kann. All dieser Kenntnisse und Bilder mUh das Gedächtnis vollständig entkleidet werden. Man mu.& 273

danach trachten, daß es sogar die Vorstelluug davon (in der Einbildungskraft) verliere, so da& dieselben nicht den geringsten Eindruck noch die leiseste Spur zurück. lassen. Ja, es soll so ganz leer sein von all dem, so völlig i darauf vergessen, als hätte es nie etwas davon gewuüt Will sich die Seele auch hinsichtlich des Gedächtniss~ mit Gott vereinen, so bleibt ihr nichts anderes übrig, als daü alle Bilder aus den1 Gedächtnis verbannt werden. Denn nur dann kann es sich mit Gott vereinen, wenn es sich voll. 1 ~tän~ig von. alle~ Form.en ~ußer Gott frei macht. Gott fällt j Ja rucht, wIe wIr bereIts In der dunklen Nacht des Ver. j standes dargetan haben, unter den Begriff einer bestimm. ' ten Form oder Kenntnis. Und da, wie unser Herr gelehrt hat, "niemand zwei Herren zugleich dienen kann1)", so kann auch das Gedächtnis nicht zugleich mit Gott und den einzelnen Formen und Kenntnissen vollkommen vereint sein. Da es nun keine Form und kein Bild gibt, unter dem das Gedächtnis Gott erfassen könnte, so ist dies, solange es mit Gott vereint ist, gleichsam formlos und bildlos, die Einbildungskraft ist nicht mehr tätig, das Gedächtnis ist vollständig versenkt ins höchste Gut in völligem Vergessen, ohne die geringste Erinnerung an irgend etwas. Denn durch jene Vereinigung mit Gott wird die Phantasie völlig entleert; man möchte meinen, es würden durch di~elbe alle Formen und Erkenntnisse daraus gefegt, um sie iJ1S Bereich des übernatürlichen zu erheben. Es geht dann etwas ganz Außerordentliches darin vor. Wenn Gott dem Gedächtnis solche Berührungen der Vereinigung gewährt, dann kommt es manchmal vor, da& plötzlich im Gehirn, wo es seinen Sitz hat, ein gewisser Umschwung vor sich geht. Dieser ist so stark, daß man meint, der Kopf vergebe einem ganz und gar und es schwinde einem aller Verstand und Sinn. Dies ist manchmal stärker, manchma~ weniger stark, je nachdem jene Berührung mehr oder weniger I) Mt 6, 24. 274


spÜl'bar ist. Und dann wird infolge dieser Vereinigung das Gedächtnis, wie gesagt, von allen Kenntnissen entleert und geläutert; diese werden ihm gewisserma~en fremd, und es verfällt bis\\'eilen in ein solches Vergessen seiner selbst, daü es oft große Mühe braucht, um sich an etwas zu erinnern, Dieses Vergessen des Gedächtnisses und diese Lahmlegung der Einbildungskraft, die infolge der Vereini. gung des Gedächtnisses mit Gott eintritt, ist manchmal so groß, daß geraume Zeit vergeht, bis es wieder zu si~h kommt und merkt, was während dieser Zeit vor sich gegangen ist Und da manchmal die Einbildungskraft auf. gehoben bleibt, so fühlt es die Seele nicht einmal, wenn ihr etwas widerfährt, was ihr Schmerz bereitet. Deun ohne Einbildungskraft gibt es keine Empfindung, nicht einmal in Gedanken; es gibt ja auch kein Denken. Gott wird nun aber der Seele erst dann diese Berührungen der Vereini- gung gewähren, wenn sie, wie gesagt, das Gedächtnis von allen wahrnehmbaren Erkenntnissen frei gemacht hat. Doch darf nicht übersehen werden, daß diese Ausschaltung der Seelenvermögen bei denen, die schon vollkommen sind, nicht mehr so vorkommt, da bei ihnen die Vereinigung eine vollständige ist, während jene nur am Anfang der Vereinigung vorkommt. Man mag mir vielleicht entgegenhalten: Das alles ist ,ja ganz recht; allein wenn dem so ist, so obede;utet das die Zerstörung des natürlichen Gebrauches und regelmäßigen Weges der Seelenkräfte. Dann ist der Mensch armselig wie das Tier, weil ohne Bewußtsein, ja noch elender ist er daran. Denn dann ist er ja nicht einmal mehr imstande, vernünftig zu denken, noch sich der natürlichen Bedürf- nisse und Lebensfunktionen zu erinnern. Gott aber zerstört doch die Natur nicht, sondern vervollkommnet sie viel. mehr. Aus dem aber, was hier gelehrt wird, folgt unfehlbar die Vernichtung der Natur; denn da weiß der Mensch nichts mehr von den Regeln der Sittlichkeit und Vernunft, 275

nach denen er sich doch richten sollte, nich~ mehr von den Gesetzen der Natur, die er einhalten sollte. Er ist ja der Kenntnisse und }4'ormen beraw)t, die notwendig sind für das Erinnerungsvermögen. Was ist darauf zu erwidern? Daß es in der Tat nicht anders ist; deml in je höherem Grade sich das Gedächtnis mit Gott vereint, desto mehr treten die Einzelerkennt. nisse zurück, bis sie völlig verschwinden. Letzteres tritt besonders dann ein, \venn die Vollkommenheit in den Zustand oder in das Wesen der Vereinigung übergehl Darum ist es zumal bei Eintritt dieses Zustandes unaus. bleiblich, dass die Seele ihre Umgebung allmählich ganz vergint, da alle Bilder und Erinnerungen aus dem Ge. dächtnis entschwinden. Infogedessen macht sie auch in ihrem äußeren Gehaben mancherlei Fehler; man denkt da weder ans Essen oder Trinken, noch daran, ob man etwas bereits getan oder nicht, ob man etwas gesehen habe oder nicht, ob man etwas bereits gesagt habe oder nicht, weil eben das Gedächtnis so ganz in Gott versenkt ist. Sobald indes die Vereinigung, dieses unschätzbare Gut, eine dauernde geworden ist, kommt in Sachen des sittlichen und natnrlichen Verhaltens kein solches Vergessen mehr vor; im Gegenteil, die der Seele entsprechenden und not. wendigen Handlungen erlangen jetzt eine viel größere Vollkommenheit, da die Anregung zu denselben nicht mehr von den Bildern und Erinnerungen des Gedächtnisses aus. geht; denn da sich die Seele jetzt, wie gesagt, im Zustande der Vereinigung, also einem übernatürlichen Zustand, be. findet, wird die natürliche Tätigkeit des Gedächtnisses wie der übrigen Kräfte völlig aufgehoben; diese verlassen das Gebiet ihrer natürlichen Betätigung und gehen über in den Bereich des Göttlichen, d. i. des übernatnrlichen. Ist nun das Gedächtnis in Gott umgestaltet, so ist es hinfUr uno fähig, den Eindruck von Dingen durch Vermittlung von Bildern und Kenntnissen in sich aufzunehmen. Infolge. 276

dessen sind alle Betätigungen des Gedächtnisses wie auch der übrigen Seelenkräfte in diesem Zustande göttlicher Art. Da also die Seelenkräfte umgestaltet sind in Gott, sind sie Gott zu eigen und ist Gott ihr alleiniger Herr; darum ist auch er es, der sie in Tätigkeit setzt und seinem göttlichen Geiste und Willen gemäß Ober sie gebietet. Darum gibt es hier keine verschiedenen Tätigkeiten mehr, sondern es ist alles Wirken der Seele göttliches Tun. Ja, diese Betätigungen der Seele sind göttlicher i Natur; denn "wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit

Also, die Betätigungen der Seele im Zustande dpr Vereinigung gehen vom Geiste Gottes aus und sind gött- licher Art Darum sind auch die Werke solcher Seelen die allein geziemenden und der Vernunft angemessenen und sind nie unangebracht Denn der Geist Gottes bewirkt, daß sie wissen, was sie wissen sollen; da& sie anderseits nicht wissen, was ihnen nicht zuträglich ist; da& sie sieh dessen erinnern, woran sie sich erinnenl sollen, ob nun mit oder ohne Bilder; daß sie vergessen, was sie vergessen sollen; daß sie lieben, was wirklich liebenswert ist,dagegen nicht lieben, was nicht zu Gott in Beziehung steht. Dem- nach sind stets die ursprünglichen Regungen der KrAfte solcher Seelen göttlicher Natur, und das ist durchaus nicht zu verwundern, da ja die Seelenkräfte in Gott umge- staltet sind. Hier nur einige Beispiele zur Beleuchtung dieser Wirkungen. F..s bittet jemand eine Person, die sich in diesem Zu- stande (der Vereinigung) befindet, sie möge Gott ihr An- liegen empfehlen. Nun wird sich aber genannte Person nicht an das erinnern, um was sie jene andere ersucht hatte, vermitte1s eines Bi1des oder einer Erinnerung, die sich ihrem Gedächtnis eingeprägt hAtte. Ist es nun an. I) 1 Kor 6,1'1. 277

gebracht, das Anliegen jener Person Gott zu empfeWen, d. h. will Gott das Gebet für sie annehmen, dann wird er den Willen der Mittelsperson anregen und in ihr Lust erwecken, für jene zu beten. Will aber Gott von einem solchen Gebet nichts wissen, dann mag sich bewuüte Mittelsperson noch so sehr Mühe geben, für jene zu beten; sie wird es nicht vermögen und wird auch keine Lust dazu verspüren. Bisweilen hingegen wird Gott sie veranlassen, für andere zu beten, die sie nie kennenlernte und von deren Anliegen sie nie etwas hörte. Das kommt eben daher, dass Gott allein die Kräfte solcher Seelen, wie bereits erwähnt, anregt, und zwar zu Werken, welche .genau dem Wunsch nnd Willen Gottes entsprechen, ohne dass es ihnen möglich wäre, anders zu handeln. Darum haben auch die Bestrebungen und Gebete solcher Seelen immer Erfolg. Solcher Art waren z. B. die Werke der glorreicheIl Gottesmuttter. Da sie von Anfang an in diesen erhabenen Stand (der Vereinigung mit Gott) erhoben war, so trug sie in ihrer Seele nie das Bild eines Geschöpfes, das sie von Gott abgelenkt hätte, oder von dem ihr irgendwelche An. regung geworden wäre. Alle Anregung in ihr ging vielmehr aus vom Heiligen Geiste. Ein anderes Beispiel. Es soll jemand zu der und der Zeit eine bestimmte notwendige Arbeit verrichten. Nichts gemahnt ihn mehr daran. Aber auf einmal, olme zu wissen wie, kommt es ihm infolge der eben erwähnten Anregung des Gedächtnisses zum Bewu6tsein, wann und wie er seinem Auftrag nachzukommen habe, ohne es an etwas fehlen zu lassen. Aber nicht bl06 bei solchen Gelegenheiten kommt der Heilige Geist diesen Seelen mit seinem Lichte zu Hilfe, sondern in vielen anderen Fällen, die vorkommen oder eintreten können, selbst wenn diese einern ganz ferne 278

liegen. Manchmal vollzieht sich dies auf dem Wege intel. lektueller Eindrücke, des öfteren ohne sinnenfällige Bilder, ohne daR man sich des Woher dieses Wissens bewuRt ist. In Wirklichkeit ist es jedoch die göttliche Weisheit, von der dieses Wissen ausgeht. Denn da solche Seelen be- müht sind, mittels ihrer Fähigkeiten nichts zu wissen und nichts zu verstehen, was sie hindern könnte (an der Vereinigung), so kommen sie dadurch gewöhnlich so weit, daR sie, um unseren Ausdruck bei der Beschreibung des Berges zu gebrauchen, alles wissen, so daR sie mit dem weisen Manne sagen können: "Die Allkünstlerin Weisheit hat mich alles gelehrP)." Du magst mir vielleicht einwenden: Aber die Seele kann doch das Gedächtnis nicht so sehr von allen Ein. drücken und Phantasievorstellungen leer und frei machen, dafi sie einen so erhabenen Stand erreichen könnte; denn zwei Schwierigkeiten stehen dem im Wege, welche alles menschliche Bemühen und Können illusorisch machen, nämJich daR man mit natürlichen Mitteln das Natürliche abstreifen, was doch unmöglich ist, und, was noch viel schwieriger zu verwirklichen ist, das übernatürliche an. ziehen und mit ihm eins ,,-erden sollte. Will man der Wahrheit gerecht werden, so muß man zugeben, daR das mit menschlichen Mitteln allein uno erreichbar ist. Ich mUR in der Tat zugeben, daR in erster Linie Gott die Seele in diesen übernatürlichen Zustand erheben muss. Doch mUR auch die Seele, soviel sie kann, dazu beitragen, um sich dazu vorzubereiten. Und das kann auf ganz natürlichem Wege geschehen, zumal wenn Gott auch noch mit seiner Hilfe unser Bemühen unterstützt. .Je mehr die Seele ihrerseits Fortschritte macht in der Entäußerung und in dem Verzicht auf all das äuUere Beiwerk, desto mehr ist auch Gott bereit, sie in den [. Besitz der Vereinigung zu versetzen. Gott wirkt dies in 11 I) Weish 7. 21. 279

der Seele ohne deren Zutun, wie wir noch mit Gottes Hilfe in der passiven Nacht der Seele näher ausführen werden. So wird denn Gott schließlich die Seele, wann es ihm gefällt, und soweit er es für gut hält, in den endgültigen Besitz der vollkommenen göttlichen Vereinigung gelangen lassen. Doch wollen wir uns hier bei Behandlung der aktiven Nacht und Läuterung nicht mit den göttlichen Wirkungen befassen, welche dieser Zustand in der Seele sowohl in Hinsicht auf den Verstand wie auf Gedächtnis und Willen hervorbringt. Denn die reicht nicht hin, diese göttliche Vereinigung zustande zu bringen. Es ist das viel. mehr Ziel und Aufgabe der passiven Läuterung, durch welche Gott diese Vereinigung schaffen wird. Und darum wollen wir bei Behandlung der passiven Läuterung auf jene Wirkungen zu sprechen kommen. Ich will mich hier nur darauf beschränken, anzugeben, was für das Gedächt. nis notwendig ist, wenn es sich, soweit es dessen fähig ist, kraft eigenen Bemühens in diese Nacht und Läuterung versetzen will. Eine dem geistlichen J..eben ergebene Seele halte sich im allgemeinen an folgende Regel: Was aurh immer der Gesichl~-, Gehör-, Geruch- und Tastsinn ihr bieten mag, davon bewahre sie nichts im Gedächtnisse auf, sondern gebe es sogleich dem V ergessen anh~im und bemühe sich, wenn nötig, an andere Dinge zu denken. Kein Bild der Erinnerung daran bleibe im Gedächtnis haften, so, als hätten diese Dinge nie existiert. Man lasse das Ge. dächtnis völlig frei und unbehindert und suche es ja nicht zu irgendwelcher Betrachtung himmlischer noch irdischer Dinge zu veranlassen, gerade,als hätte man diese Fähigkeit gar nicht. Man lasse es ruhig geschehen, wenn diese Dinge im Vergessen versinken, wie etwas, das doch nur hinder. lif.h im Wege ist, welln es nicht verschwindet. Denn all die Dinge des natürlichen Lebens sind eher hemmend statt fördernd, wenn man sich ihrer im übernatürlichen Leben bedienen will. 280

Es möchten scJlließlich auch an dieser Stelle wieder die gleichen Zweifel und Bedenken geltend gemacht werden, wie oben bei der Behandlung des V erstande~, i nämlich daß man auf diese Weise nichts leiste und nur die Zeit unnütz vel'SChwende, daß man sich der geistlichen Güter beraube, welche die Seele mittels des Gedächtnisses empfangen könne. Die Lösung all dieser Bedenken habe ich bereits oben gegeben und werde ich noch obendrein bei der Be- sprechung der passiven Nacht geben. Darum will ich mich hier nicht länger damit befassen. Doch möchte ich auf das eine aufmerksam machen: Es mag vielleicht einige Zeit vergehen, ohne daß man den Nutzen dieses Verzichtes auf die Erinnerungen und Eindrücke merkt. Doch das ist ~kein Grund, weshalb sich die geistliche Seele beunruhigen sollte. Gott wird schon helfend eingreifen, wenn es an der Zeit ist. Ein so großes Gut ist es wohl wert, daß man darob vielf's über sich ergehen läf3t und geduldig aus. harrt. Freilich ist richtig, daß man selten jemand findet, der immer und überall unter dem Antriebe Gottes handelt, und zwar kraft einer so ununterbrochenen Vereinigung mit Gott, daß seine Seelenkräfte ohne Vermittlung irgend. eines Eindruckes von außen stets unter dem F~inftuß des göttlichen Beistandes arbeiten. Immerhin aber gibt es auch Seelf'n, deren Tun für gewöhnlich vom göttlichen Antriebe ausgeht. Diese also handeln nicht aus eigenem Antrieb. Denn von ihnen gilt das Wort des Apostels Paulus, "daf& die Kinder Gottes", das sind in unserem Fall die in Gott Umgewandelten nnd mit ihm Geeinten, "vom Geiste, Gottes getrieben werdew)", nämlich gemäß ihren FAhigkeiten zu göttlichem Tun. Somit ist es auch nicht zu verwundern, dafJ ihre Werke göttlich sind, nachdem doch die Seele mit Gott vereinigt ist. I) Röm 8. 14. ,281

2. Kapitel Von dem dreifachen Nachteil, den eine Seele sich zu. zieht, wenn 8ie nicht geläutert wird durch den Verzichl auf die Erinnerungen und Einfälle de8 Gedächtni88es. - Vom er8ten Nachteil. Wenn nun eine geistliche Seele sich trotzdem der Erinnerungen und natürlichen Denktätigkeiten des Ge. dächtnisses bedienen will, sei es um so zu Gott zu ge- langen oder sei es aus anderen Absichten, so wird sie dafür einen dreifachen Nachteil auf sich nehmen müssen. Die ersten zwei Arten desselben sind positiver Natur, die dritte Art privativer. Die Ursache des ersteren liegt in den Dingen dieser Welt, die Ursache des zweiten ist beim Teufel zu suchen, der dritte und privative ist ein Hindernis und Hemmnis, welches der göttlichen Vereinigung im Wege steht. Die erste Gattung dieser Nachteile, die in den Dingen dieser Welt ihren Ursprung hat, besteht darin, da& man unter dem Einfluß der Kenntnisse und Eindrücke des Ge. dächtnisses unter mannigfachen Arrnseligkeiten zu leiden hat, wie z. B. unter Täuschungen, Unvollkommenheiten, Gelüsten, Neigung zum Kritisieren, Zeitverschwendung usw., die alle die Seele mit mancherlei Makeln be. schmutzen. Es ist auch gar nicht anders' denkbar, als daß derjenige, der auf solche Kenntnisse und Eindrücke etwas hält, allerlei Täuschung zum Opfer fällt; denn gar oft wird ihm das Wahre unrichtig und das Sichere zweifelhaft vorkommen, und umgekehrt; wir vermögen ja kaum auch nur einer Wahrheit auf den Grund zu gehen. Diesem allen geht man aber aus dem Wege, wenn man das Gedächtnis von jeder Erinnerung und allem selbständigen Denken läutert. Wo man dagegen das Gedächtnis sich mit dem be. schäftigen läfJt, was man durch den Geruch., Gehör-, Ge. 282

sicht-, Geschmack- und Gefühlssinn wahrgenommen, fällt man anf Schritt und Tritt in Unvollkommenheiten. Davon ! bleibt ja stets eine gewisse Neigung bald zu Betrübnis und

Furcht, bald zu Han und vermessenem Hoffen, oder zu

eitler Freude und Ehrbegierde in der Seele zurück. Und das alles sind doch zum mindesten Unvollkommenheiten, wo nicht offensichtliche länliche Sünden, lauter Dinge, t welche die vollkommene Reinheit der Seele und die lautere Vereinigung mit Gott verhindern. Ferner ist ohne weiteres ersichtlich, dass dadurch auch Gelüste sich regen, die ja in den erwähnten Erinnerungen und Gedanken ihren Grund haben; denn schon das blone Verlangen nach solchen ist ein GelOsten. Weiters ist nicht zu leugnen, dal'il t eine solche Seele auch oft zu falschem Urteil veranlaBt , wird. Denn es ist ganz unausbleiblich, da& man in Hinsicht auf das Gute und Böse seitens des Näehsten irregeht, \Vo man sich auf sein Gedächtnis verlä&t, indem einem das r Böse gut und das Gute bös erscheint. Nach meinem DafOr- halten wird sich von all diesen Fehlern nur derjenige bewahren, der sein Gedächtnis durch ein völliges Ver- zichten und Vergessen von allen Dingen läutert. Man mag dagegen etwa einwenden: dem allen könne der Mensch doch entgehen, sobald diese Fälle an ihn heranträten. Doch dem halte ich entgegen: das ist rein unmöglich, zumal wenn man auf solche Kenntnisse etwas hAlt; denn es schleichen sich dabei tausenderlei Unvoll. kommenheiten mit ein und zwar oft so unscheinbar und fein, da& sie sich ganz unmerklich der Seele ankleben, so etwa wie das Pech den HAnden dessen, der es berOhrt. Am besten entgeht man dem allen auf einmal, wenn man das Gedächtnis von allem freimacht. Du magst wohl noch einwenden, da& sich die. Seele auf diese Weise vieler guter Gedanken und göttlicher Er- wägungen beraube, welche der Seele gar sehr zur Er. langung göttlicher Gnaden verhelfen k~nnen. Dazu sage 283

ich: gewiß, was sich einzig auf Gott bezieht, und was zu jener dunklen und allgemeinen, lauteren und einfachen Kenntnis Gott~ beiträgt, darauf braucht man nicht ver- zichten, sondern nur auf das, was ihn uns bildlich oder durch Vergleich mit dem Geschöpfe nahebringt. Zu dieser Läuterung, welche vorbereitend zu jenen Gnadenerweisen von seiten Gottes wirkt, trägt nichts besser bei als die Reinheit der Seele. Diese aber besteht darin, da& sich keine Anhänglichkeit an Geschöpfliches oder sonst ver- gängliche Dinge, ja nicht einmal eine nachhaltige Erin. nerung daran der Seele anhafte. Allerdings wird nach meinem Dafürhalten trotzdem noch viel von die...er An- hänglichkeit hängen bleiben und zwar infolge der Unvoll- kommenheit, welche den Seelenkräften von Natur aus in ihrem Wirken innewohnt. Darum ist es das B~te, die Seelenkräfte zur Ruhe und zum Schweigen bringen zu Jemen, auf dass Gott zur Seele reden könne. Denn in An- betracht des Stand~ der Vereinigung muß man, wie ge- sagt, die natürlichen Tätigkeiten ausschalten. Di~ ge- schieht aber dann, wenn nach einem Prophetenworte die Seele hinsichtlich ihrer Kräfte "sich in die Einsamkeit be- gibt, auf daß Gott zu ihrem Herzen rede1)." Wenn man mir gleichwohl entgegenhält: die Seele könne keine Gnade erlangen, wenn sie nicht nachdenke und ihl'e Gedanken auf Gott richte; denn sie würde ja dann in viele Zerstreuungen und Lauheit verfallen; so antworte ich darauf: wenn sich das Gedächtnis freihält von allem, was ~ hienieden und jenseits beunruhigen könnte, dann sehe ich gar keine Möglichkeit, wie denn eine Schlechtigkeit oder Zerstreuung, noch sonstige Unge- hörigkeiten oder Fehler Eingang fänden, die doch stets nur die Folge eines ausschweifenden Gedächtnisses sind. Denn dann ist ja deren Quelle verstopft und der Eingang gesperrt. Etwas anderes wäre e.~, wenn man den Erwägun. ') Os 2, 14- 284

gen und Betrachtungen über himmlische Dinge Tür und Tor versperren, dagegen sie solchen über irdische Dinge \veit aufmachen würde. Doch in unserem Falle versperren wir den Zutritt allem, was dieser Vereinigung hinderlich ist und was eine Quelle von Zerstreuungen sein könnte, und tragen dazu bei, dafJ das Gedächtnis in stille Einsam. t keit eingeht. Und in dieser Stille des Schweigens hört der ~ Geist aufmerksam auf die Stimme Gottes, mit dem Pro- ~ pheten sprechend: "Rede, Herr, dein Diener hörV)!" So sollte nach dell Worten des Bräutigams im Hohenliede dessen Braut sein, wenn er sprach: "Meine Schwester ist ein verschlossener Garten und ein versiegelter QueI12)", d. h. sie ist verschlossen für alles, was bei ihr Eingang finden könnte. So bleibe denn die Seele verschlossen und sei ohne Sorge und Angst! Denn der ~ so einst leibhaftig zu seinen Jüngern kam, obwohl die Türen versperrt waren, und ihnen seinen Frieden brachte, ohne dafJ sie wufJten, wie das möglich sei, der wird auch geistigerweise in die Seele einkehren, ohne dafJ sie es weifa oder etwas dazu beiträgt. Nur müssen die Zugänge zu ihren Kräften: Gedächtnis. Verstand und Wille, allen Eindrücken verschiossen blei. ben. Dann wird sie erfüllt werden mit Frieden, und es wird, um mit dem Propheten zu sprechen, sich ein Strom des Friedens über sie ergiefaen. Und. dieser wird sie be. freien von jeglicher Besorgnis und allem Argwohn, von Verwirrung und Finsternis, die in ihr die Befürchtung . wachriefen, sie sei schon verloren oder wenigstens nahe daran, verloren zu gehen. Utinam attendisses mandala mea: facta fuisset sicut flumen pax tua. ,,0, hättest du doch beachtet meine Gebote: so wäre Friede dir geworden wie ein Stroma)!" Ja, die Seele harre nur aus in sorgfälti- gem Gebet und im Hoffen, in Entsagung und Losschälung. denn ihr Heil wird nicht verweilen. J) 1 Sm 8, 10. ') H1 4, 12. 8) Is 48, 18. 285


3. Kapitel Ein weiterer Nachteil, welcher der Seele durch den Trug des Teufels aus den natürlichen Wahrnehmungen de8 Gedächtnisses erwächst. Ein weiterer positiver Nachteil erwächst der Seele aus den Kenntnissen des Gedächtnisses, deren sich der Teufel bedient, um einen starken Druck auf die Seele auszuüben. Er ist nämlich imstande, der Seele neue Eindrücke, Kennt. nisse und Einfälle beizubringen und mit deren Hilfe in ihr Stolz, Geiz, Neid, Zorn usw. wachzurufen, sie zu ungerech. i tem HaJj und eitler Liebe zu verführen und so auf allerlei J ! Art zu täuschen. AuJjerdem pflegt er die Dinge der Phan- tasie fest einzuprägen und weiJj sie so hinzustellen, dass das Falsche wahr, und das Wahre falsch erscheint. Kurz). und gut, weitaus die meisten Täuschungen und das meiste Unheil, das der Teufel der Seele zufügt, entspringen aus den Kenntnissen und Vorstellwlgen des Gedächtnisses. Wenn daher dieses Vermögen in völlige Dunkelheit des Vergessens gehüllt und seine Tätigkeit unterbunden ist, bleibt die Pforte dem schädlichen EinfluJj de.s bösen Feindes verschlossen und frei von all diesen Vor. spiegelungen, was der Seele zu groJjem Segen gereicht. Der böse Feind vermag eben auf die Seele nur mittels der j Tätigkeit ihrer Vermögen einzuwirken, insbesondere mit. i tels der Erkenntnisse und bildlichen Formen, da die Ge- samttätigkeit der übrigen Vermögen davon abhängt. Wenn darum das Gedächtnis leergeworden ist von diesen Er. kenntnissen und sinnlichen Wahrnehmungen, dann ver. mag der böse Feind nichts; es fehlt ihm die Angriffsfläche. und Sünden, vor denen sie uns s(',hützt. Ich wünschte, die geistlichen Seelen möchten volles Verständnis für die GröJje des Elendes bekommen; in das die bösen Geister mittels des Gedächtnisses sie stürzen. wenn sie sich auf dasselbe verlassen. Von wie vielen Be. 286

trübnissen, Trostlosigkeiten und eitlen Freuden werden sie nicht eingenommen, lucht nur dann, wenn sie ihre Ge. danken auf Gott richten sollten, sondern auch dann, wenn sie sich ihren irdischen Obliegenheiten hinzugeben haben! Wie viele Unreinigkeit schleicht sich nicht in ihren Geist ein, die ihn von der wahren Sammlung im hohen MaDe ablenkt, während doch die Seele mit all ihren Fähigkeiten im unbegreiflichen Gute ruhen sollte, indem sie sich von allen wahrnehmbaren Dingen lossagt. Denn diese haben mit jenem Gute nichts gemein. Daraus folgt, daD man diese EntblöDung, wenn sie uns auch nicht zur Sammlung in Gott föhrte, dennoch als groDes Gut ansehen muD, da sie uns von vielen Leiden, BetrObnissen und Bitterkeiten bewahrt, gar nicht zu reden von den Unvollkommenheiten und Sünden, vor denen sie uns schotzt. 4. Kap i tel Dritter Nachteil, der aus den klaren, natürlichen Er- kenntnissen des Gedächtnisses der Seele erwächst. Es ist nun die Rede vom dritten Nachteil, den sich die Seele durch die natörlichen Wahrnehmungen des Gedächt- nisses zuzieht; und dieser ist ein privativer. Dieselben kön- nen das sittlich Gute der Seele hintanhalten und sie des geistigen Gutes berauben. Zuerst wollen wir davon spre. chen, wie diese Wahrnehmungen das sittlich Gute der Seele hintanhalten. Dieses Gut besteht in der Beruhigung der Leidenschaften und in der ZOgelung der ungeordneten Gelüste. Dadurch stellen sich in der Seele Ruhe, Friede und Gelassenheit und in ihrem Gefolge die sittlichen Tu- genden ein, \\'as alles unter dem Namen sittliches Gut zu verstehen ist. Die Seele könnte in der Tat denselben nie Zaum und ZOgel anlegen, wenn sie nicht auf alle Dinge, die eine gewisse Zuneigung in ihr hervorrufen, vergessen und sie von sich weisen wOrde; denn nur aus den Wahr, 287

nehmungen des Gedächtnisses entstehen die Verwirrungen in der Seele. Hat man aber auf alle Dinge vergessen, dann vermag nichts den Frieden zu stören oder die Gelüste zu reizen. Darum sagt das Sprich".ort: Was das Auge nicht i sieht, danach hat das Herz kein Verlangen. Diese Er- fahrung macher. wir jeden Augenblick. Wir sehen, dafJ die Seele jedesmal, sooft sie an etwas denkt, erregt wird und mehr oder minder die Ruhe verliert, je nach dem I Eindruck, den der Gegenstand auf sie macht. Ist der Gegenstand lästig oder beschwerlich, so empfindet sie darüber Traurigkeit oder Widerwillen, ist er angenehm, so er\veckt er Freude und Sehnsucht. Welcher Art auch immer die Eindrücke sind, die durch die Gedanken her- i vorgerufen wurden, dieselben mÜssen notwendigerweise in I. der Seele Verwirrung auslösen; sie wird bald Freude, bald Traurigkeit, dann wieder Haß oder Liebe in sich wahrnehmen und nicht imstande sein, in der gleichen Stimmung zu verharren; das ist nur der inneren Ruhe möglich, die ein Ausfluß des Bemühens ist, alle Dinge zu vergessen. Daraus geht deutlich hervor, daß diese Er- kenntnisse das Gut der sittlichen Tugenden in der Seele in hohem Maße hindern. Aus dem Gesagten ist klar ersichtlich, daß das von Vorstellungen eingenommene Gedächtnis ein Hindernis ist für das Gut des mystischen und geistigen Lebens. Denn die in Unruhe lebende Seele, die am sittlich Guten als solche keine Stütze findet, ist unempfänglich für das Gei- stige, das nur in einer gelassenen und friedvollen Seele seine Heimstätte findet. Und legt dann die Seele noch. überdies Wert und Gewicht auf die Wahrnehmungen des Gedächtnisses, obwohl sie eigentlich nur einer Sache ihre Aufmerksamkeit schenken kann, und wendet sie sich diesen Wahrnehmungen und Erkenntnissen des Gedächt- nisses zu, dann kann sie sich unmöglich Gott dem Uno begreiflichen hingeben. Ich habe schon wiederholt darauf 288

hingewiesen: will die Seele zu Gott gelangen, so muü sie das Nichtverstehen dem Verstehenwollen vorziehen, das Veränderliche und Begreifliche vertauschen mit dem Un- veränderlichen und Unbegreiflichen. O. Kap i tel Vorteile, die der Seele aus dem Verzicht und der Ent- äußerung von allen Gedanken und Erkenntnissen er- wachsen, die das Gedächtnis ihr auf natürlichem Wege verschaffen kann. Von den genannten Nachteilen, die sich die Seele durch die Vorstellungen des Gedächtnisses zuzieht, können wir auch auf die ihnen entgegengesetzten Vorteile schlie- ben, die der Seele erwachsen, wenn sie dieselben vergibt und unterdrückt. Denn nach der Lehre der Naturphilo. sophie kann man die Grundsätze, die für einen Gegensatz Geltung haben, auch auf den anderen anwenden. Der erste Vorteil besteht in der Ruhe und im Frieden des Geistes. Die Verwirrung und Unruhe, gie die Gedanken und Erkenntnisse des Gedächtnisses erzeugten, existieren nicht mehr; und dies hat noch etwas weit Kostbareres zur Folge: die Reinheit des Gewissens und der Seele. So wird die Seele aufs beste zubereitet für den Empfang der menschlichen und göttlichen Weisheit sowie der Tugen. f den. r Zweitens wird die Seele von vielen Einflüsterungen, r Versuchungen und Beunruhigungen des bösen Feindes be- wahrt, der sich mittels dieser Gedanken und Erkenntnisse in die Seele einschleicht. Dadurch stürzt er sie wenig- stens in viele Unvollkommenheiten und, wie schon er- wähnt, wohl auch in Sünden nach den Worten Davids: "Sie dachten und redeten BosheiV)." Sind aber diese Ge- danken einmal entfernt, so findet der Teufel keine Hand. ') Ps 72, 8. 289

habe mehr, um den Geist auf natürlichem Wege anzu. fallen. Drittens gewinnt die Seele durch dieses Vergessen und ihre Isolierung von den Geschöpfen eine Empfänglichkeit für die Anregungen und Einsprechungen des Heiligen Geistes, wie der weise Mann sich ausdrOckt: Auferet se a cogita:tionibus, quae sunt sine intellectu. ,,(Der Heilige Geist) bleibt ferne von den Gesinnungen, die ohne Ein. sicht sindl)!" Würde aber der Mensch aus diesem Ver. gessen und dieser Reinigung des Gedächtnisses auch kei. nen weiteren Nutzen ziehen, als dafJ er sich von diesen Belästigungen und Verwirrungen freimacht, so mOfite er dies schon als bedeutendes Gut und großen Gewinn an. sehen. Denn all die Beschwerden und Verwirrungen, die widrige Dinge und PrOfungen in der Seele verursache!!, dienen in keiner Weise zur Erleichterung dieser Prüfun. gen, vielmehr verschlimmern sie gewöhnlich dieselben und schaden auch der Seele selbst. Deshalb ruft uns David zu: " Wohl umsonst beunruhigt sich der Mensch2)." Es ist klar, dafJ diese Verwirrung nutzlos ist, da sie in keiner Weise einen Gewinn bringt. Und nähme auch alles ein Ende, ginge alles zugrunde, wOrden alle Vorkommnisse unsere Erwartungen enttäuschen und unseren WOnschen entgegen sein, so wäre jede Beunruhigung zwecklos; wir wOrden uns vielmehr eher schaden als nOtzen. Wir müssen alles mit Ruhe und friedvollem Gleichmut ertragen; so be. reichert sich die Seele mit vielen GOtern und ist selbst in der Lage, diese widrigen Vorfälle mit Scharfblick zu beur. teilen und entsprechende Abhilfe zu schaffen. Salomon erkannte zur GenOge, welcher Schaden und welcher Nutzen aus derlei Anlässen entstehen, wenn er sagt: Cognovi, quod non esset melius, nisi laeta:ri et facere bene in vita: sua. "Ich erkannte, dafJ es (für den Menschen) nichts Besseres gebe, als sich zu freuen und Gutes zu I) Weish 1, 5. t) Ps!l3, 7. 290

tun im Leben1)." Damit gibt er zu verstehen, daü wir uns bei allen Vorfällen, so betrübend sie auch sein mögen, eher freuen als verwirren lassen sollen, damit wir nicht ein Gut, welches jeglichem Wohlergehen vorzuziehen ist, ver- i lieren, nämlich die Ruhe der Seele und den Frieden bei widrigen wie bei erfreulichen Anlässen, die wir alle mit Gleichmut ertragen sollen. Diesen Frieden wird der Mensch nie verlieren, wenn er es versteht, auf diese Erkenntnisse zu verzichten und sich von den Gedanken frei zu machen sowie auch sich nach Kräften ferne zu halten vOn allem, was durch Hören, Sehen und Sprechen in sein Inneres eindringt. Unsere Natur ist eDen so wandelbar und ge- brechlich, daü sie trotz manch guter Gewohnheiten es kaum vermeiden kann, durch das Gedächtnis sich in Ding~ zu verlieren, die den Geist verwirren und in Aufregung bringen, der sich der Ruhe und des Friedens erfreute, so- lange er an nichts derartiges dachte. Darum sagt Jere. mias: "Die Erinnerung kam mir ins Gedächtnis und meine machtete dahin'):' ; 1) Prd 5, 12. ') Klg13, 20. 291

11. Teil Das Gedädttnis und die übernatürlidten Wahrnehmungen 6. Ka p i tel Die zweite Art der Wahmehmungen des Gedächtn die übernatürlichen imaginären. Schon bei Behandlung der ersten Art von Eindrt die auf natürlichem Wege ins Gedächtnis treten, I wir die imaginären, die ja auch natürlich sind, mit- zogen; aber wir müssen diese Einteilung machen \ anderer Formen und Erkenntnisse, die das GedAcht! sich bewahrt und die sich auf die übernatur bezl Es sind das die übernatürlichen Visionen, Offenbaru innere Ansprachen und Empfindungen. Wenn der~ Eindrücke durch die Seele ziehen, bleibt gewöhnlich i Seele, und zwar oft sehr lebendig und nachhaltig, iI1 dächtnis oder in der Phantasie ein Bild, eine Form eine Erkenntnis haften. Auch da sind Anweisungen I damit das Gedächtnis sich nicht in Schwierigkeiten wickelt, und diese Dinge der Seele nicht zum Hindei werden für die Vereinigung mit Gott in reiner voJ] mener Hoffnung. Ich sage darum: Damit die Seele dieses Ziel un( erreicht, darf sie nie über klare und bestimmte Dinge sinnen, die auf übernatürlichem Wege in sie eintretel der Absicht die Formen, Bilder und Erkenntnisse ( 292

, Dinge im Gedächtnis zu bewahren. Wir dürfen nie den i Hauptgrundsatz vergessen: Je mehr sich die Seele auf be- i stimmte und klare Wahrnehmungen, seien sie natürlicher oder übernatürlicher Art, einläßt, desto weniger Empfäng- lichkeit und Fähigkeit besitzt sie, um in die Tiefe des Glaubens einzudringen, der jede Erkenntnis in sich auf- gehen läßt. Denn wie ich schon angedeutet habe, ist keine jener Formen und Erkenntnisse, die auf übernatürlichem I Wege ins Gedächtnis gelangen und dort bewahrt werden, Gott, noch hat sie die geringste Ähnlichkeit mit ihm, sie können darum auch nicht als nächstes Mittel zur Vereini- gung mit Gott gelten. Die Seele muß sich, um zu Gott zu , gelangen, reinigen von allem, was nicht Gott ist, sie muß t das Gedächtnis frei machen von allen Formen und Erkennt- t nissen, um sich mit Gott in vollkommener mystischer Hoffnung vereinigen zu können. Jeder Besitz ist ja der t Hoffnung entgegen, die nach den Worten des heiligen Paulus das zum Gegenstand hat, was man nicht besitzV). Je mehr darum das Gedächtnis sich in der Entsagung übt, desto mehr gewinnt die Hoffnung an Kraft, und je mehr die Hoffnung wächst, desto inniger vereinigt sie sich mit Gott. Und in dem Maße, als die Hoffnung zunimmt, werden der Seele auch höhere Gunstbezeigungen zuteil. Und die Hoffnung wächst, wie schon erwähnt, im Verhältnis zur Selbstentsagung. Und hat diese Selbstentäußerung den höchsten Grad erreicht, dann ist auch der Besitz Gottes 'in der göttlichen Vereinigung ein vollkommener zu nennen. Schade, daß so viele auf diese Befriedigung und Süßig- keit dieser Erkenntnisse des Gedächtnisses nicht ver- zichten wollen, weshalb sie auch nie die höchste Wonne und vollkommene Süßigkeit zu kosten bekommen. Denn wer nicht allem entsagt, was er hat, kann kein Jünger Christi sein2)."

1) Hbr 11, 1. ') Lk 14, 00- 293

7. Kap i tel Nachteile, die die übernatürlichen Erkenntnisse in der Seele verursachen, wenn sie darüber nachsinnt. Zahl derselben und Behandlung des ersten Nachteiles. Fünfach ist der Nachteil der geistlichen Seele, wenn sie sich mit den Erkenntnissen und Formen befaßt, die ihr auf übernatürlichem Wege zukommen und darüber nachsinnt. 1. Sie wird sich gar oft täuschen, indem sie das eine für das andere ansieht. 2. Sie läuft Gefahr, irgendeiner Anmanung oder Eitelkeit zum Opfer zufallen. 3. Der böse Feind hat sehr leichtes Spiel, die Seele mittels dieser Wahrnehmungen in die Irre zu führen. 4. Die Vereinigung mit Gott. durch die Hoffnung \vird hintangehalten. 5. Man hat in dieser Verfassung von Gott meistens eine 'niedrige Anschauung. Bezüglich des ersten Nachteiles ist es ganz selbstver- ständlich, dass die geistliche Seele, wenn sil:' sich mit überlegung mit diesen Erkenntnissen und Formen befa&~ in ihrem eigenen Urteil sich sehr häufig täuscht. Wie man schon das, was auf natürlichem Wege in die Einbildungs- kraft eintritt, nicht vollkommen erfassen noch auch ein ganz sicheres Urteil sich darüber bilden kann, so vermag man noch viel weniger die übernatürlichen Dinge zu be. urteilen, die sehr selten sind und unsere Fassungskraft übersteigen. Man wird sehr oft etwas als göttliche Offen- barungen ansehen, was nur ein Spiel der Phantasie is~ während man andere göttliche Dinge für ein Werk Satans hält und umgekehrt. Sehr häufig wird es geschehen, dafJ sich der Seele Eindrücke oder Vorstellungen über gute oder schlimme Eigenschaften, die sie an anderen oder an sich gewahrt. sehr lebendig einprägen, oder daa sie sich 294

anderen Vorstellungen zuwendet, die sie für ganz wahr und sicher hält, während sie durchaus falsch sind. Andere Eindrücke sind wahr, obwohl man sie für falsch hält, und nach meiner Ansicht verschafft dieses Urteil weit mehr Sicherheit, weil es in der Demut ihren Grund hat. Und täuscht man sich auch nicht bezüglich der Wahrheit einer Sache, so kann man doch in Irrtum geraten bezüglich der GröfJe, Beschaffenheit und Wertschätzung einer Sache, indem man wenig für viel und viel für wenig ansieht. Und bei dem, der auf die Beschaffenheit sein Augenmerk richtet, kann die Einbildungskraft etwas für so oder so beschaffen halten, während es doch nicht so ist, wie es bei Isaias heifJt: "Ihr haltet Finsternis für Licht und Licht für Finsternis und nennet das Bittere SÜfJ und das SüfJe bitterl)." Kurz, trifft man auch in einem Punkte das Rich- tige, so wäre es ein Wunder, wenn man nicht in anderer Beziehung irren würde. Und will man auch vielleicht über diese Dinge kein Urteil abgeben, so reicht schon die Be- achtung derselben hin, dafJ die Seele wenigstens passiv den Schaden erleidet, von dem wir eben sprachen, oder einen von den vier anderen. Damit nun die geistliche Seele sich nicht also schädigt und in ihrem Urteil täuscht, soll sie sich jeden Urteils enthalten und selbst den Wunsch von sich weisen. das zu erkennen, was in ihr vorgeht, oder was sie in sich fühlt, ob es diese oder jene Vision sei, ob eine Erkenntnis oder Empfindung. Sie soll nicht viel darauf geben, sondern ihrem Beichtvater davon berichten, damit er ihr An- weisung gebe, wie sie ihr Gedächtnis von diesen Wahr- nehmungen reinigen könne. So grofJ auch der Wert dieser Wahrnehmungen sein mag, sie vermögen doch nicht so- viel zur Mehrung der Liebe beizutragen, als der geringste Akt lebendigen Glaubens und der Hoffnung, der sich in voll- kommener Entäuf3erung von diesen Erkenntnissen vollzieht. 1) Ia 5, 00. ' 295

8. Kapitel Nachteile der zweiten Art: die Gefahr, in Selbstüber. schätzung und eitle Anmaßung zu verfallen. Die genannten übernatürlichen Wahrnehmungen des Gedächtnisses bilden für geistliche Seelen eine groüe Ge. fahr, in Anmaöung und Eitelkeit zu verfallen, wenn sie denselben Beachtung schenken und Bedeutung beimessen. Wer sich nicht um sie bekümmert, läuft viel weniger Gefahr, in diesen Fehler zu fallen, weil er nichts in sich wahrnimmt, worauf er sich etwas zugute tun könnte. Wer dagegen sein Auge darauf richtet, ist sehr leicht geneigt zu glauben, es sei mit ihm schon sehr weit, da er über. natürliche Mitteilungen empfange. Allerdings kann man dieselben Gott zuschreiben und ihm danken im Gefühle seiner Unwürdigkeit. Aber trotz alledem empfindet man eine gewisse geheime Befriedigung des Geistes, eine gewisse Hochschätzung dieser Vorgänge und seiner selbst, woraus unvermerkt ein arger geistiger Stolz entsteht. Man kann dies ganz deutlich erkennen an der Verdrieölichkeit und der Abneigung gegen diejenigen, die diesen Geist nicht billigen noch jenen GWlStbezeigungen ihre Anerkennung zollen, sowie auch an dem Ärger, der im Herzen sich reg~ wenn man daran denkt oder sagen hört, daö anderen Per. sonen dieselben Gunstbezeigungen oder noch viel Höheres zuteil werden. Dies alles ist eine Auswirkung des ver. steckten Stolzes und einer geheimen Selbstschätzung, und man merkt es nicht, selbst wenn man bis über die Ohren in diesem Laster steckt. Solche Personen meinen, es reiche eine gewisse Er. kenntnis ihres Elendes hin, während sie voll geheimer Selbstüberhebung und Selbstgefälligkeit sind, so daü sie an ihrem eigenen Geiste und an ihren geistigen Gütern mehr Wohlgefallen finden als an denen anderer, gleich 296

dem Pharisäer, der Gott dankte, daD er diese oder jene Tugend besitze und nicht sei wie andere Leute. Damit bekundete er seine Selbstgefälligkeit und Anmaßungl). Solche Personen sprechen zwar nicht ausdrücklich so wie dieser Phapisäer, aber ihre Geistesverfassung ist dieselbe. Ja manche kommen in ihrem Hochmut so weit, daD sie noch schlechter werden wie der böse Feind. Wenn sie wenigstens nach ihrer Meinung einige zur Andacht stim- mende Wahrnehmungen und süDe Empfindungen in sich merken, finden sie daran ihre Befriedigung und glauben ! Gott recht nahe zu sein, während alle anderen, denen diese Gunstbezeigungen nicht zuteil werden, ganz tief unter ihnen stünden. Und deshalb verachten sie dieselben wie der Pharisäer den Zöllner. Um diesem höchst verderblichen und vor den Augen Gottes verabscheuungswürdigen Nachteil zu entgehen, muD die geistliche Seele zwei Dinge im Auge behalten. 1. Die Tugend besteht weder in den Wahrnehmungen und Gefühlen von Gott, so erhaben sie auch sein mögen, noch in etwas dieser Art, was man in sich selbst empfinden kann, sondern vielmehr in dem, was man in sich nicht empfindet. Mit anderen Worten: Sie besteht in der tiefen Demut und Verachtung seiner selbst und alles dessen, was man besitzt, von der die Seele die tiefste und vollkom- menste überzeugung haben muD, sowie auch in dem Ver- langen, andere möchten ebenso von uns denken. So wird man auch darauf verzichten, in den Herzen anderer etwas zu gelten. 2. Man muD überzeugt sein, daD alle Visionen, Offen- barungen und übernatürlichen Empfindungen und was man sich sonst noch Hohes denken mag, viel weniger Wert haben als der geringste Akt der Demut; denn dieser weist die Wirkungen der Liebe auf, die sich in nichts achtet lind 1) Lk 18, 11, 12. 297

sucht, von sich nur böse, von anderen aber nur Gutes denkt. Demzufolge dürfen solche übernatürliche Wahr. nehmungen das Herz nicht aufblähen, vielmehr muss man Sorge tragen, durch Vergessen derselben die Freiheit zu wahren. 9. Kap i tel Dritter Nachteil, welcher der Seele von seiten des bösen Feindes durch die imaginären Wahrnehmungen des Ge. dächtnisses erwächst. I\us all dem, was wir oben ausgefOhrt haben, kaml man abnehmen und zur Genüge erkennen, welch grone Nachteile für die Seele aus diesen übernatürlichen Wahr- nehmungen durch die Einwirkung des bösen Feindes ent- stehen. Er hat die Macht, dem Gedächtnisse und der Phantasie verschiedenartige trügerische Erkenntnisse und Bilder, die dem Anschein nach wahr und gut sind, vorzu. spiegeln; er ist imstande, sie durch seine Einflüsterungen dem Geiste und dem Sinne so lebendig und sicher einzu. prägen, dass es der Seele wirklich vorkommt, als hätten sie in ihr Gestalt gewonnen. Und so nimmt er die Gestalt eines Engels des Lichtes an und erscheint 'der Seele auch als Licht. Ebenso vermag er sie auf verschiedene Weise zu versuchen bezüglich jener Mitteilungen, die wirklich von Gott kommen, indem er sowohl die geistigen, wie sinn. lichen Gelüste und Gefühle in ganz ungeordneter Weise in Erregung bringt. Und wenn die Seele an derlei Wahr. nehmungen Gefallen findet,. hat der Teufel sehr leichtes Spiel, sie für diese Gelüste und Gefühle einzunehmen, so dass sie der geistigen Schwelgerei und anderen Nachteilen zum Opfer fällt. Und um leichter sein Ziel zu erreichen, I erregt er in der Seele das sinnliche Wohlgefallen, die I Freude und das Ergötzen an diesen göttlichen Gunstbe. I zeigungen. Er ködert und betrügt die Seele durch diesen 298

Wohlgeschmack, macht sie blind in ihrem Genusse, so dafJ sie ihre Augen mehr auf die sinnliche Befriedigung als auf die Liebe oder wenigstens nicht vollkommen auf die Liebe richtet und diesen Wahrnehmungen mehr Beachtung schenkt als der EntäufJerung und Leere, welche die gött- lichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und Liebe fordern. So führt er sie immer mehr hinters Licht und bewirkt, dafJ sie sehr leicht seinen trügerischen Vor- ! stellungen Glauben schenkt. Ist einmal die Seele geblendet,

dann scheint ihr das Trügerische nicht mehr als Trug und

I' das Böse nicht mehr als böse, sie sieht die Finsternis für I. Licht und das Licht für Finsternis an. So stürzt sie in tausend Torheiten sowohl in natürlicher wie sittlicher und geistiger Beziehung; der Wein verwandelt sich in ~ Essig. Und was ist die Ursache an all diesen Vorkomm. f nissen? Sie ist DU.. darin zu suchen, dafJ die Seele nicht ~ gleich :on Anfang an die Freude ~n ~olch übernatü~lichen i Erschemungen unterdrückte. Weil sie anfangs darm nur i etwas Unbedeutendes oder wenigstens nichts Schlimmes sah, so befürchtete sie auch nichts; sie läfJt es zu, bis es , gleich dem SenfkörnIein heranwächst zu einem mächtigen Baum. Was anfangs nur ein kleiner Irrtum, sagt das Sprichwort, wird schließlich ein grofJer Fehler. Um darum diesen vom bösen Feind hervorgerufenen Nachteil zu vermeiden, ist es der Seele sehr zu empfehlen, Ian solchen Wahrnehmungen kein Wohlgefallen zu suchen. Denn es ist ganz sicher ,dafJ sie dabei geblendet wird und zu Falle kommt. Das Wohlgefallen, die Freude und der GenufJ schwächen und blenden an sich schon die Seele, ohne daß der böse Feind sich einmischt, was auch David zum Ausdruck bringt mit den Worten: "Vielleicht wird Finsternis bei meinem Ergötzen mich blenden und ich werde die Nacht für Licht haltew)." I) Ps1.':l!, U. 299

10. Kap i tel Der vierte Nachteil, der für die Seele aus den über. natürlichen bestimmten Wahrnehmungen des Gedächt. nisses entspringt. Sie kann unmöglich zur Vereinigung gelangen. über den vierten Nachteil ist hier nicht viel zu sagen; es war ja schon immer die Rede davon in diesem dritten Buche, indem dargelegt wurde, daß die Seele auf allen Besitz des Gedächtnisses verzichten muß, wenn sie zur Vereinigung mit Gott durch die Hoffnung gelangen will; soll nämlich die Hoffnung ganz auf Gott eingestellt sein, so darf das Gedächtnis sich mit nichts anderem be. fassen. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß keine Vor. st~llung, keine Gestalt, kein Bild und au~h keine andere Erkenntnis, die das Gedächtnis in sich aufnehmen kann, Gott ist, und dies gilt in gleicher Weise, ob es sich nun um eine himmlische oder irdische, um eine natürliche oder .übernatürliche Vorstellung handelt. David weist darauf hin mit den Worten: "Keiner der Götter ist dir gleich, 0 Herr1)." Befaßt sich darum das Gedächtnis mit derlei Mit. teilungen, so macht sich die Seele unfähig zur Vereinigung mit Gott. Fürs erste verwickelt sie sich in Schwierigkeiten, und fürs zweite ist sie um so weniger in der Hoffnung begründet, je mehr sie sich diesem Besitz hingibt. Darum muB sich die Seele von diesen bestimmten Formen und Erkenntnissen übernatürlicher Dinge frei machen und sie der Vergessenheit anheimgeben, damit sie die Vereinigung des Gedächtnisses mit Gott in vollkommener Hoffnung nicht hemmt. J) Ps 85, 8. 300

11. K a pi tel Der fünfte Nachteil, der aus den übernatürlichen ima- ginären Formen und Bildern der Seele erwachsen kann: Niedriges und unziemliches Urteilen über Gott. Der fünfte Nachteil ist für die Seele nicht minder geflhrlich. Er besteht in dem Bestreben, die genannten Vorstellungen und Bilder der übernatürlichen Mitteilun- gen mittels der Einbildungskraft im Gedächtnis festzu- halten, und zwar um sich derselben als eines Mittels zur Vereinigung mit Gott zu bedienen. Da kann es leicht ge- schehen, dass man über Gottes Wesen und Grö6e unwürdig und nicht so erhaben denkt, als es seiner U nbegreiftichkeit entsprechen würde. Der Verstand und die Urteilskraft ver- gleichen zwar Gott nicht ausdrücklich und auch nicht unter dem Gesichtspunkte der Ähnlichkeit mit einem ihrer Begriffe, immerhin aber hindert die wirkliche Wert- schätzung dieser Wahrnehmungen die Seele, von Gott so erhaben zu denken, wie es uns der Glaube lehrt; dieser sagt uns, dass er unvergleichlich und unbegreiflich sei. überdies entzieht die Seele all das, was sie dem Geschöpfe beilegt, Gott, sie stellt infolge der Wertschätzung dieser wahrnehmbaren Dinge ganz natürlich in ihrem Innern einen Vergleich zwischen Gott und ihnen an, weshalb Gott weder in ihrem Urteil noch in ihrer Achtung so er- haben dasteht, als er es wirklich ist. Ich habe .c;chon bemerkt, dass weder ein Geschöpf auf Erden noch im Him- mel, weder eine bestimmte natürliche oder übernatürliche Erkenntnis noch ein derartiges Bild, das die Seelenkrlfte zu fassen vermögen --und wäre es auch noch so erhaben --in diesem Erdenzustand mit dem Wesen Gottes ver- glichen noch auf ihn bezogen werden kann. Denn Gott fällt nicht wie sie unter einen Art- oder Speziesbegriff, wie die Theologen sagen. Und die Seele kann in diesem Leben nur das bestimmt lind klar aufnehmen, was unter einen 301

Art- oder Speziesbegriff fällt. Darum sagt auch der neilige Johannes: "Nie.mand hat noch Gott gesehen." Deum nemo vidit unquam1), und Isaias bemerkt: "Es ist noch in keines Menschen Herz gekommen, 'vas Gott ist2)." Und Gott selbst sprach zu Moses, daß kein Mensch ihn in diesem Leben sehen könnei). Wer darum das Gedächtnis und diE ilbrigen VermOgen der Seele dem zuwendet, was dieselbe[ fassen können, vermag Gott nicht so hoch zu achten uni auch nicht so von ihm zu denken, wie es seiner Erhaben heit entsprechen wilrde. Nehmen wir einen ganz gewöhn lichen Vergleich. Je aufmerksamer einer seine Augen au die Dienerschaft des Königs richtet und je mehr er siel mit dieser beschäftigt, desto weniger beachtet und würdig er den König. Diese Achtung (vor der Dienerschaft) i8 zwar nicht formell und bestimmt im Bewußtsein, abe wenigstens in der Tat vorhanden; denn je mehr man de Dienerschaft Beachtung schenkt, desto mehr entzieht lD8i sie dem Herrn. Wer darum in Gegenwart des Königs noc ein Auge für seine Dienerschaft hat, der schätzt den KOni nicht hoch genug ein. So ergeht es auch der Seele in ihrel Verhalten gegen Gott, wenn sie den genannten Gunstill zeigungen Aufmerksamkeit schenkt. Dieser Vergleich ist freilich sehr unwürdig, da dI Wesen Gottes, wie schon erwähnt, von dem Wesen alh iibrigen Geschöpfe unendlich verschieden ist; er hat BI insofern Geltung, als er uns besagt, daß man alle die! Geschöpfe aus dem Auge verlieren muß. Die Seele da ihr Auge keinem dieser Bilder zuwenden, um es in vol kommenem Geiste des Glaubens und der Hoffnung auf Go richten zu können. Darum irren jene sehr, die den genanJ ten imaginären Wahrnehmungen ihre AufmerksamkE schenken und auch glauben, Gott habe mit einer de seIhen. eine Ähnlichkeit, und man könne mittels derselb4 zur Vereinigung mit Gott gelangen. So verlieren sie i I) Joh 1, 18. I) 186-1,4 und 1 Kor 2, 9. 8) Ex 00, 00. 302

Verstande immer mehr das Licht des Glaubens, durch welches dieses S~elenvermögen sich mit Gott vereinigt; auch die Hoffnung nimmt nicht an Kraft zu, mittels der das Gedächtnis sich mit Gott in der Hoffnung vereinigt; dies wird sich nur verwirklichen, wenn es sich aller imagi- nären Vorstellungen entäufJert. 12. Kapitel Vorteile für die Seele, wenn 8ie 8ich aller Wahmehmun. gen der Einbildung8kraft entäußert. Die Vorteile, die der Seele durch die EntäufJerung von den imaginären Vorstellungen erwachsen, traten schon durch die DarleguI)g der erwähnten fünf N~chteile zu- tage, die diese Bilder in der Seele verursachen, wenn sie dieselben in sich bewahren will. Wir haben davon schon bei Behandlung der natürlichen Vorstellungen gesprochen. AufJer diesen können noch andere Vorteile geltend gemacht werden, die im vollkommenen Frieden und in der be. seligenden Ruhe des Geistes bestehen. Abgesehen von der natürlichen Ruhe, die der Geist geniefJt, wenn er frei ist von diesen Formen und Bildern, ist er auch der Sorge ent. hoben, ob dieselben gut oder bös seien, und wie er sich diesen oder jenen gegenüber zu verhalten habe. Er braucht auch keine Zeit und Mühe auf die Beratung mit Geistes. männern zu verwenden, um sich Sicherheit zu verschaffen, ob dieselben gut oder bös sind, ob sie zu dieser oder jener Art gehören. über all das kann man unbesorgt sein, da man sich dieser Dinge entäufJert hat. So kann die Zeit und Kraft der Seele, die man der Sorge für die Erforschung dieser Vorgänge hätte widmen müssen, auf eine viel bessere und heilsamere übung verwendet werden, auf die Unterwerfung unter den Willen Gottes, auf das sorgfältige Streben nach SelbstentäufJerung, auf die geistige und leib- liche Armut, indem man sowohl innerlich wie äufJerlich auf 303

jede Stütze, auf jeden Trost und jede Wahrnehmung ver- zichteL Dies wird am vollkommensten erreicht, wenn man mit ernstem Willen bestrebt ist, sich von diesen Formen loszumachen. Daraus erwächst der Seele der grofJe Vor- teil, dafJ sie Gott um so näher kommt, je mehr die ima- ginären Formen, Gestalten und Bilder verschwinden, da Gottes Wesen nichts derartiges ist Aber du könntest vielleicht einwenden: Wie kommt es, dafJ gewisse fromme Personen manchen Seelen den Rat geben, sich diese göttlichen Mitteilungen und Empfindun- gen zunutze zu machen und Gott um den Empfang der. selben zu bitten, damit sie in der Lage wären, ihm auch wieder etwas zurückzugeben? Denn wenn er nichts gibt, ist auch eine Gegenleistung von unserer Seite unmöglich. Sagt nicht der heilige Paulus: Spiritum nolite exstinguere? "Löschet den Geist nicht aus1)." Und spricht nicht der Bräutigam zur Braut: Pone me ut signaculum super cor tuum, ut signaculum super brachium tuum? "Setze mich wie einen Siegelring auf dein Herz, wie einen Siegelring auf deinen Arm2)." Handelt es sich da nicht um irgend. eine Vorstellung? Nun soll man aber nach der obenange. führten Lehre nichts derartiges begehren, sondern es, selbst wenn Gott es anbietet, abweisen und sich davon wegwenden. Ist es nicht ganz einleuchtend, dafJ Gott, wenn er solche Gunstbezeigungen gewährt, unser Bes~ im Auge hat und nur einen guten Zweck verfolgt? Wir dürfen doch die Perlen nicht von uns weisen! Und wäre es nicht eine Art Hochmut, Gottes Mitteilungen abzu. weisen, gleich als ob wir ohne sie aus uns selbst etwas vermöchten? Um diesen Einwurf zu widerlegen, muss ich den Leser auf meine Darlegungen im 15. und 16. Kapitel des zweiten Buches verweisen. Dort habe ich die Antwort auf diesen Zweifel gfÖfJtenteils schon gegeben. Ich habe dort gesagt: ") 1 'l'hes 5, 19. ~ BI 8, 6. 304

Der Nutzen, welcher der Seele aus diesen übernatürlichen Wahrnehmungen, soferne sie gut sind, erwächst, wirkt sich in ihr passiv aus, und zwar in dem Augenblick, wo sie sich den Sinnen darstellen, und dies ohne dai die Ver- mögen der Seele ihrerseits irgendwie mitwirken. Deshalb ist es nicht notwendig, dai der Wille durch sein Zutun ihnen Eintritt verschafft. Denn wenn die Seele, wie schon erwähnt, bei dieser Gelegenheit mitwirken und ihre Fähig- keiten ausnützen wollte, würde sie. durch ihre von Natur aus niedrige Tätigkeit das übernatürliche, das Gott mittels dieser Wahrnehmungen in ihr weckt, eher hintan- halten als fördern. Da der Geist dieser imaginären Ein- drücke der Seele passiv mitgeteilt wird, so mui sie sich auch dabei passiv verhalten, ohne dai sie irgendwie inner- lich oder äuierlich mitwirkt. Das heiit man die Empfindungen Gottes in sich be- wahren; so verliert man sie nicht durch seine niedrige Tätigkeit. Das heiit man auch "den Geist nicht aus- löschen", den man jedoch auslöschen würde, wenn die Seele einen anderen Weg einschlagen wollte, als den Gott sie führt. Wenn daher Gott der Seele den Geist mitteilt, während sie sich passiv verhilt, wie es ja geschieht bei diesen Wahrnehmungen, sie sich dabei jedoch mit dem Verstande betätigen oder etwas Besonderes suchen wollte, so würde sie offenbar in Widerspruch geraten mit dem Wirken Gottes. Denn die eigene Tätigkeit der Seele kann nur eine natürliche sein, etwas anderes vermag sie aus sich selbst nicht. Zu übernatürlichen Werken kommt die Anregung nicht von ihr selbst; Gott allein regt sie dazu an und führt sie ins übernatürliche ein. Wenn darum die Seele durch eigene Kraft nach Maigabe der ihr zu Gebote stehenden Mittel wirken wollte, so würde sie durch ihre aktive Tätigkeit notwendigerweise das passive Werk ver- hindern, das Gott durch Mitteilung des Geistes in ihr voll- bringt. Die Seele würde in ihrer eigenen Tätigkeit auf- 305

gehen, die ganz anderer Art und viel niedriger ist als jene, durch die Gott wirkt. Die Tätigkeit Gottes hat eine passive und übernatürliche Wirkung, während die der Seele aktiv und natürlich ist. Und dies hieBe den Geist auslöschen. Und es ist auch klar, daß die Wirkungsweise der Seele weit niedriger ist. Die Fähigkeiten der Seele können ihrer Natur nach über etwas nur dann nachsinnen und tätig sein, wenn sie sich einer Vorstellung, einer Gestalt oder eines Bildes bedienen, und das ist nur die Schale und das Zufällige des Wesens und Geistes, das in dieser Hülle verborgen ist. Dieses Wesen und dieser. Geist vereinigen sich mit den Kräften der Seele nur dann in wahrer Er. kenntnis und Liebe, wenn diese ihre Tätigkeit einstellen. Denn der Zweck und das Ziel der Wirkungsweise der Seele besteht nur darin, das Wesen dessen in sich aufzunehmen, was sie unter diesen Formen erkennt und liebt. Zwischen aktiver und passiver Tätigkeit besteht da~um derselbe Uno terschied und derselbe Vorzug wie zwischen dem, was man tun will und dem schon Vollzogenen, wie zwischen dem, was man zu erlangen und zu besitzen wünscht, und dem, was man erreicht und im Besitze hat. Daraus folgt: Will die Seele bei diesen übernatürlichen Wahrnehmungen von ihren Vermögen einen aktiven Gebrauch machen, während Gott den Geist derselben bei passivem Verhalten ihrerseits verleiht, so hieBe das nichts anderes. als vom vollzogenen Werke ablassen, um es nochmal zu tun. Sie hätte keinen GenuB vom vollzogenen Werke und könnte durch ihre Tätigkeit nichts anderes erreichen als das, was sie bereits besitzt, wieder verlieren. Aus sich können sich die Seelen. kräfte den Geist nicht erwerben, den Gott der Seele ohne ihre Tätigkeit verleiht. Und es hieBe direkt den Geist aus- löschen, den Gott mittels der imaginären Wahrnehmungen der Seele mitteilt, wenn sie denselben ihre Beachtung schenkt. Darum muss sie dieselben von sich weisen, indem sie sich, wie schon erwähnt, passiv verhält und nicht auf 306

sie eingeht. Denn dann regt Gott die Seele weit mehr an, als sie es vermag und versteht So sagt der Prophet: Super custodiam meam stabo et figam gradum super munitio- nern, et contemplabor, ut videam, quid dicatur mibi. "Icb will micb auf die Warte stellen und meinen FufJ auf die Feste setzen und schauen, was man mir sagti)." Dies bedeutet soviel, als wenn die Seele sagte: Ich will aufrecht stehen, um über alle meine Vermögen zu wachen, und den Fu6 nicht vorwärts bewegen durch meine Tätigkeit, und so werde ich schauen können, was man mir sagt, d. h. ich werde verstehen und kosten, was mir auf übernatür- lichem Wege mitgeteilt wird. Was aber vom Bräutigam (im Hohenliede) gesagt wird, ist zu verstehen von der .Liebe, die er zur Braut trAgt, von der Liebe, der es eigen ist, die Liebenden miteinander zu vereinigen in dem, was sie als Kostbarstes besitzen. Deshalb spricht er zu ihr: Pone me, ut signaculum super cor tuum. "Setze mich wie einen Siegelring auf dein Herz2)", aus dem die Pfeile der Liebe, an ihre Akte und Regungen wie aus einem Köcher ent- sendet werden. Diese alle müssen auf den Bräutigam hin- zielen und ihm zugewendet werden,so dafJ die Seele mittels dieser Akte und Regungen ihm ähnlich wird bis zu ihrer völligen Umgestaltung in ihn. Der Bräutigam sagt aber auch: "Setze mich wie einen Siegelring auf deinen Arm"; denn der Arm versinnbildet die BetAtigung der Liebe, auf die sich der Geliebte stützt, und an der er seine Erquickung findet Die Seele muss also ihre ganze Sorge darauf richten, bei allen Wahrnehmungen, die ihr von oben zukommen, seien sie nun imaginäre oder anderer Art, sowohl bei den Visionen und Ansprachen, wie bei Empfindungen und Offenbarungen, nicht auf den Buchstaben und auf die Schale zu achten, d. h. auf das, was sie bedeuten oder darstellen oder zu verstehen geben, sondern sie darf nur die 1) Hab 2, 1. ,) Hl8,6. 307

göttliche Liebe im Auge behalten, zu der sie die Se imlerlich anregen. Auf diese Weise also, insofern sie Liebe anregen, ist erlaubt, den inneren Erfahrungen I achtung zu schenken, nicht aber des Wohlgeschmac~ der Süßigkeit oder Gestalt wegen.. Nur um des einzi! Zweckes willen darf man sich zuweilen an irgendein I oder eine Wahrnehmung erinnern, die diese Liebe ver sacht, nämlich um dem Geiste die Motive der Liebe vor führen. Und bringt dann auch die Erinnerung nicht « selbe Wirkung hervor wie die erste Mitteilung, so " doch jedesmal durch die Erinnerung die Liebe aufs n angeregt und das Gemüt zu Gott erhoben, besonders w~ es eine Erinnerung an übernatürliche Bilder, Gestal oder Empfindungen ist, die gewöhnlich wie ein Siegel Seele eingeprägt werden, so daß sie lange andauern 1 manchmal nie mehr aus der Seele schwinden. Und diese Erinnerungen, die wie ein Siegel sich Seele eindr~cken, rufen fast jedesmal, sooft man ilI gedenkt, göttliche Wirkungen der Liebe, der Süßigkeit, Erleuchtung usw. hervor, bald im höheren bald im gel geren Grade; denn sie sind zu diesem Zweck der 8f eingedrückt. Damit erweist Gott der Seele eine g" Gnade, da diese Erinnerung für sie eine unerschöpfli, Quelle von Gütern ist. Diese Bilder, die solche Wirkuni in der Seele hervorrufen, sind ihr ganz lebendig ein drückt, insofern man die geistige Seite des Gedächtnis in Betracht zieht, und gleichen nicht den anderen Bild und Formen, die in der Phantasie sich befinden. Die SE braucht darum nicht zu diesem Vermögen ihre Zuftu nehmen, wenn sie sich daran erinnern will, sondern sieht diese Gestalten in sieh selbst, wie man ein Bild einem Spiegel schaut. Begegnet es der Seele einmal, « sie solche Bilder formell in sich trägt, so kann sie s derselben erinnern, um die genannten Wirkungen der Li! hervorzurufen. So sind sie ihr nicht mehr zum Hinder 308

für die Liebesvereinigung im Glauben; sie darf sich aber ! nicht ganz vom Bilde einnehmen lassen, sondern muß sich I von demselben, sobald sie zur Liebe angeregt, wieder weg- wenden; auf diese Weise wird ihr das Bild nur förderlich , sein. r Es ist aber schwer zu erkennen, wann diese Bilder der Seele eingeprägt sind, und wann sie sich nur, in der Phan- tasie vorfinden; denn diese letzteren stellen sich auch sehr häufig ein. Es gibt Leute, die sich sehr häufig durch die Phantasie und Einbildungskraft imaginäre \Tisionen vor- stellen, und gar oft treten dieselben in dieser Gestalt auf. Dies hat seinen Grund bald in der Empfindsamkeit solcher Personen, so daß sich schon. beim ersten Gedanken der t Phantasie jenes gewohnte Bild darstellt und sichtbar wird. Bald sind dieselben auf die Einwirkung des bösen Feindes zurückzuführen, dann wieder auf die Einwirkung Gottes, ohne daß sie sich jedoch formell der Seele einprägen. Am besten kann man sie aus ihren Wirkungen erkennen. Sind diese Vorstellungen natürlich oder vom bösen Feinde, so bringen sie, obwohl sie sehr häufig vor die Seele treten, keine gute Wirkung, keine Erneuerung des Geistes hervor; die Seele bleibt vielmehr beim Anblick derselben trocken. Die guten machen wohl auch, sooft man sich deren er- .innert., einen vorteilhaften Eindruck, der dem ersten Ein- druck ähnlich ist; die formellen Bilder aber, die sich deut- lich der Seele einprägen, verursachen fast immer, sooft man an sie denkt, irgendeine Wirkung. Wer mit diesen letztern schon begnadigt wurde, wird sie leicht von den anderen unterscheiden können; ja der genannte Unter- schied ist für jeden, der darin Erfahrung besitzt, ganz klar. Ich bemerke nur noch, daß diese formellen Bilder, die sich dauernd der Seele einprägen, sehr selten sind. Welcher Art sie auch immer sein mögen, es bleibt für die Seele das f beste, wenn sie sich derselben nur bedient, um eines zu er- r kennen: Gott durch den Glauben und die Hoffnung. 309

Auf den anderen Einwurf: es scheine Hochmut zu verraten, diese Dinge abzuweisen, wenn sie gut sind, ist zu erwidern: es scheint mir dem Gesagten zufolge vielmehr ein Akt kluger Demut zu sein, den bestmöglichen Nutzen daraus zu ziehen und den sichersten Weg einzuschlagen. 310


III. Teil Das Gedämtnis und die geistigen Wahrnehmungen

13. Kap i tel Die geistigen Erkenntnisse, deren das Gedächtnis fähig ist. Als dritte Art der Wahrnehmungen des Gedächtnisses nannten wir die geistigen Erkenntnisse, nicht weil sie sich auf den körperlichen Sinn der Phantasie beziehen wie die anderen -sie erscheinen ja nicht in der Hülle eines Bil- des oder einer körperlichen Form -, sondern weil sie in den Bereich des geistigen Erinnerungsvermögens und Ge- dächtnisses fallen. Hat einmal die Seele eine solche Er- kenntnis in sich aufgenommen, so kann sie sich derselben erinnern, sooft sie will. Dies hat seinen Grund nicht in der Gestalt oder im Bilde, das die Wahrnehmung im körper- lichen Sinn zurückgelassen -denn als körperlicher Sinn hat er keine Fähigkeit zur Aufnahme geistiger Formen -, sondern diese Erinnerung mittels des Verstandes oder Geistes wird hervorgerufen durch die Form, welche die geistige Erkenntnis in der Seele zurückgelassen; es ist dies eine Form, ein Bild oder ein Begriff geistiger öder formeller Art. Daraus entspringt die Erinnerung, sei es nun direkt oder durch die' dadurch hervorgerufene Wirkung. Aus diesem Grunde zähle ich diese Wahrnehmungen unter die 311

des Gedächtnisses, obgleich sie sich nicht auf jene der Phantasie beziehen. Was sind nun das für Erkenntnisse, und wie mu& die Seele sich derselben bedienen, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen? Diese Fragen sind zur Genüge erörtert worden im 24. Kapitel des zweiten Buches, wo wir sie als Wahrnehmungen des Verstandes betrachtet haben. Der Leser möge dort nachsehen; wir haben an jener Stelle zwei Arten von Erkenntnissen angefilhrt: Erkenntnisse der uno erschaffenen Vollkommenheiten und Erkenntnisse der Ge. schöpfe allein. Was nun die Frage betrifft, wie sich das Gedächtnis denselben gegenüber zu verhalten habe, um zur Vereini. '. gung zu gelangen, so verweise ich auf die Abhandlung im vorhergehenden Kapitel, wo ich von den formellen Bildern gesprochen habe; denn zu diesen Erkenntnissen gehören auch die der g~chaffenen Dinge. Bringen sie eine gute Wirkung hervor, so kann man sich ihrer erinnern, nicht um sie in sich bewahren zu wollen, sondern nur um die Liebe und Erkenntnis Gottes aufs neue zu beleben. Verur. sacht aber die Erinnerung daran keine gute Wirkung, so entferne man sie aus dem Gedächtnis. Handelt es sich aber um unerschaffene Dinge, so darf man so oft als mög. lich seine Gedanken auf sie richten; die Wirkung davon ist immer sehr bedeutungsvoll. Denn es sind das, wie oben erwähnt, Berilhrungen und Empfindungen der Vereinigung mit Gott, zu der wir die Seele filhren wollen. An diese er. innert sich das Gedächtnis nicht mittels einer der Seele eingeprägten Form, eines Bildes oder einer Gestalt, da diese Berilhrungen und Empfindungen der göttlichen Ver. einigung nichts Derartiges an sich haben, sondern mittels der Wirkungen, die sie hervorbringen. Und diese Wirkun. gen sind Erleuchtung, Liebe, Wonne, geistige Erneuerung usw. Und jedesmal, sooft es derselben gedenkt, erneuert sich eine dieser Wirkungen. 312

14. Kap i tel Allgemeine Richtlinien, wie sich die geistliche Seele be- züglich des Gedächtnisses zu verhalten habe. Wir scWieöen nun diese Abhandlung über das Ge- dächtnis; und da wird es gut sein, der geistlichen Seele die Wege anzugeben, die sie im allgemeinen einzuschlagen hat, um mittels dieses Vermögens sich mit Gott zu ver- einigen. Wenn dies auch aus dem bereits Gesagten klar hervorgeht, so wird doch durch eine kurze Zusammen- fassung die Sache verständlicher. Vor allem ist zu be- merken, daö wir einzig die Vereinigung des Gedächtnisses mit Gott im Auge haben. Denn eine Sache hoffen, hewt noch nicht sie besitzen, und je weniger man von anderen .Dingen besitzt, desto mehr Empfänglichkeit und Fähigkeit hat man, das zu erWarten, was man hofft, d. h. desto voll- kommener ist die Hoffnung. Je mehr Gegenstände aber die Seele besitzt, desto geringer ist die Empfänglichkeit und Befähigung etwas zu hoffen, d. h. desto unvollkomme. ner ist auch die Hoffnung. Je mehr darum die Seele vom Gedächtnis die Bilder und Erinnerungen fernehält, die sich nicht auf Gott beziehen, desto tiefer wird sie dasselbe in Gott begrßnden, desto reiner wird sie es bewahren, um hoffen zu können, daö Gott es vollständig in Besitz nimmt. Um darum in vollkommener und reiner Hoff. nung auf Gott leben zu können, darf sich die Seele nicht mit bestimmten Erkenntnissen, Bildern und Formen befassen, sie muö sich vielmehr, sooft dieselben vor ihr Geistesauge treten, in inniger Liebesvereinigung zu Gott wenden, nachdem sie sich all dieser Erinnerungen entledigt hat. Sie darf nur in dem Maöe an dieselben denken oder darüber nachsinnen, als es das Verständnis und die Er- füllung ihrer Pflichten erfordert, wenn sie dieselben zum Gegenstande haben. Aber dann muö es geschehen, ohne Anhänglichkeit und Freude daran, damit sie die Seele 313

nicht völlig einnehmen. Die geistliche Seele darf darum nie unterlassen, an das zu denken und sich an das zu er. innern, was sie tun und wissen mui, um ihre Pflicht zu erfüllen; denn wenn sie keine Anhänglichkeit an ihren Be. sitz unterhält, bringen sie keinen Schaden. Dazu sind die Denksprüche im ersten Kapitel des ersten Buches!) sehr zweckdienlich. Aber der Leser soll dabei wohl beachten, dass unsere Lehre nichts gemein hat und auch nichts gemein haben will mit der jener verabscheuungswürdigen Menschen, die angetrieben vom Hochmut und Neid des Teufels, den Gläu. bigen den heilsamen und notwendigen Gebrauch und die vortreffliche Verehrung der Bildnisse Gottes und der Hei. ligen untersagen wollten. Unsere Lehre ist vielmehr ganz verschieden von der ihrigen. Wir lehren in keiner Weise, dass man sich der Verehrung der Bilder enthalten müsse; wir machen nur auf den Unterschied aufmerksam, der zwischen ihnen und Gott besteht, und wollen diese Dar. stellungen nur insoweit zulassen, als sie dem Aufblick zum lebendigen Urbild nicht hinderlich sind. Und dies ge- schieht, wenn man sich auf den Gebrauch derselben in der Weise beschränkt, dass man sich zum Geistigen erheben kann. Denn ein Mittel ist gut und notwendig, weml es zum Ziele führt. Dies gilt auch bei den Bildern; sie dienen uns als Mittel, um an Gott und an die Heiligen erinnert zu werden. Legt man aber dem Mittel mehr Bedeutung bei und schenkt man ihm mehr Aufmerksamkeit, als es an sich verdient, so wirkt es hemmend, ebenso wie ein anderes Hindernis und aus dem gleichen Grunde. Was ich hier besonders im Auge habe, sind die über- natürlichen Bilder und Visionen, die AnlaYJ geben können zu vielen Täuschungen und Gefahren. Bezüglich der Er- innerung, Verehrung und Wertschll:tzung der natürlichen Bilder jedoch, die uns die katholische Kirche vorstellt, ') Im "Aufstieg zum Berge Karmel". 314

kann es keine Täuschung und Gefahr geben, da man an ihnen nur das verehrt, was sie darstellen, und die Erinne- rung daran wird der Seele nur zum Nutzen gereichen. Denn sie wendet sich mit Liebe dem Gegenstande zu, den sie darstellen; und wenn sich die Seele dieser DarstellWlg nur zu dem Zwecke bedient, um inniger nach Vereinigung mit Gott zu streben, so sind sie mit Gottes Gnade für die Seele kein Hindernis, um von der Darstellung zum leben- digen Gott emporzusteigen in heiligem Vergessen aller Geschöpfe und aller Reize. 315


II. Absdtnitt Vom Willen und seiner Freude 15. Kap i tel Beginn der Abhandlung über die dunkle Nacht des Willens. Stellen aus dem BucheDeuteronomium und den Psalmen Davids. Einteilung der Neigungen des Willens. Wir hätten soviel wie nichts getan, wenn wir uns da- mit begnügten, den Verstand zu reinigen, um ihn in der Tugend des Glaubens zu begründen, das Gedächtnis zu läutern, um es in der Hoffnung zu befestigen, wenn wir nicht auch den Willen durch die dritte theologische Tugend der Liebe der Läuterung unterziehen würden. Denn durch die Liebe werden die im Glauben verrichteten Werke leben- dig und wertvoll, ohne sie aber haben sie keinen Wert nach den Worten des heiligen Jakobus: "Ohne die Werke der Liebe ist der Glaube toV)." Soll ich nun über die aktive Läuterung dieses Ver- mögens sprechen, wie man dasselbe in der Liebe zu Gott vervollkommnen und beleben soll, so finde ich keine pas- sendere Stelle als jene im fünften Buche Moses, wo es heißt: "Liebe den Herrn deinen Gott aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus allen deinen Kräften2)!" In dieser Stelle ist alles enthalten, was die geistliche Seele tun muss, sowie auch alles, worüber ich sie belehren möchte, um in Wahrheit zur Vereinigung des Willens mit Gott durch die Liebe zu gelangen. Durch sie wird der Mensch angewiesen, alle Kräfte, Begehrungen, Werke und Neigungen der Seele für Gott zu verwenden," 1) Jak 2, 20. 2j Dt 6, 5. 316

so dass alle Fähigkeiten und Kräfte der Seele auf diesen Zweck hingeordnet sind gemäß den Worten Davids, der da sagt: Fortitudinem meam ad te custodiam. "Meine Kraft bewahre ich für dichl)." Die Kraft der Seele besteht nun in ihren Vermögen, Leidenschaften und Gelüsten; dies alles aber steht unter der Herrschaft des Willens. Wenn nun der Wille alle diese Fähigkeiten Gott zuwendet und sie von allem ab. zieht, was nicht Gott ist, dann bewahrt er die Kraft der Seele für Gott und liebt ihn auch aus ganzer Kraft. Und damit die Seele imstande ist, so zu handeln, wollen wir jetzt von der Läuterung des Willens von allen ungeord- . neten Neigungen sprechen, welche die ungehörigen Ge. lüste, Anhänglichkeiten und Tätigkeiten erzeugen, die aber auch Ursache sind, dass die Seele ihre ganze Kraft nicht für Gott allein bewahren kann. Diese Neigungen oder Leidenschaften sind vier an der Zahl: Freude, Hoff- nung, Schmerz und Furcht. Wenn man diese Leidenschaf. I ten so regelt, dass ihre Tätigkeit durch die Vernunft auf I "I Gott hingerichtet wird, so ist es klar, dass die Seele einzig I an dem Freude findet, was zur Ehre und Verherrlichung J unseres Herrn und Gottes gereicht, dass ihre Hoffnung I nichts anderes zum Ziele hat, dass ihr Schmerz sich nur ,JII auf das bezieht, was Gott betrifft, und ihre Furcht nichts anderes kennt als Gott. Dadurch wird die ganze Kraft, die ganze Fähigkeit der Seele auf Gott hingerichtet und für ihn bewahrt. Je mehr sich aber die Seele an etwas anderem erfreut, desto mehr vermindert sich die Kraft der Freude an Gott, und je grönereHoffnung sie auf andere Dinge setzt, um so schwächer ist ihre Hoffnung auf Gott usf. Um diesen Gegenstand eingehender darlegen zu kön- nen, wollen wir unserer Gewohnheit gemäß jede dieser vier Leidenschaften und Begehrungen des Willens einzeln behandeln. Denn die Hauptaufgabe, um zur Vereinigung J) Ps 58. 10. 317

mit Gott zu gelangen, besteht in der Läuterung des Wil. lens von seinen Neigungen und Gelüsten. So wird der menschliche und niedere Wille vergottlicht, d. h. eins mit dem Willen Gottes. Diese vier Leidenschaften herrschen um so mächtiger in der Seele und liegen um so heftiger mit ihr im Kample, je weniger sie sich in Gott festigt, und je abhängiger sie von den Geschöpfen ist. Dabei findet die Seele gar leicht ihre Freude anDingen, die keiner Freude wert sind, hofft, was kcinen Gewinn bringt, ist betrübt über das, worüber sie sich eher freuen sollte, und fürchtet, wo nichts zu fürchten ist. Diese Neigungen erzeugen in der Seele, wenn sie nicht im Zaume gehalten werden, alle Laster und Hindernisse oder, besser gesagt, alle Unvollkommen~eiten, aber auch " alle Tugenden, sobald sie wohlgeordnet und in Unter. j würfigkeit gebracht sind. E.benso ist zu be~erken, .das durch den Gehorsam und die Unterwürfigkeit der ell1en i unter die Vernunft auch die anderen sich fOgen. Diese vier Leidenschaften sind Schwestern und so innig mitein. ander verbunden, dau dahin, wo die cine sich aktuell hin. wendet, auch die anderen virtuell folgen. Und verliert die eine aktuell an Spannkraft, so werden auch die anderen virtuell schwächer. Wenn darum der Wille sich an etwas erfreut, so .muß er folgerichtig auch virtuell durch die Hoffnung, durch den Schmerz und die Furcht daran teil. nehmen. Und in dem Maue, als die Freude an einer Sache schwindet, schwinden auch der Schmerz und die Furcht mit der Hoffnung. Der Wille mit seinen vier Leidenschaf. ten ist in gewisser Beziehung versinnbildet in jener Vision Ezechiels von den in einem Leibe vereinigten vier !,ehe. wesen. Sie hatten vier Angesichte, und die Flügel des einen waren verbunden mit den Flügeln des anderen; ein jedes ging gerade vor sich hin, und wenn sie gingen, wen. deten sie sich nicht um1). In gleicher Weise sind die Flügel -- .I) Es 1, 8. 9. 318

der einen dieser Neigungen verbunden mit denen der an- deren, so dafJ da, wo die eine ihr Antlitz, d. h. ihre Tätig- keit aktuell hinwendet, auch die anderen sich gezwungell sehen, virtuell mitzugehen; und wenn eine sich unterwirft, unterwerfen sich auch die anderen, und überhebt sich eine, so tun auch die anderen das gleiche. Auf welche Seite die Hoffnung hinneigt, dahin folgen ihr auch die Freude, der Schmerz und die Furcht, und läfJt sie von ihrem Streben ab, so tun auch die übrigen das gleiche, und so in allen anderen StOcken. c Daraus sollst du, 0 geistliche Seele, erkennen, daü r dem Ziele, dem eine Leidenschaft zustrebt, auch die ganze Seele, der Wille und alle Leidenschaften sich zuwenden; sie bleiben alle Gefangene dieser Leidenschaft, und auch die übrigen drei Vermögen oder LeidellSchaften behalten in ihr ihre I..ebenskraft, um die Seele durch ihre Knech. tung zu peinigen und am Aufstieg zur Freiheit und Ruhe der süßen Beschauung und Vereinigung zu hindern. Aus i diesem Grunde sagt Boetius: Willst du die Wahrheit im I' hellen Lichte sehen, so ,veise. von dir die Freu.de, die Hoffnung, den Schmerz und dIe Furcht. Denn m dem f Grade als diese Leidenschaften herrschen, rauben sie der , Seele die für die Weisheit erforderliche Ruhe und den " Frieden, in deren Besitz sie auf natürlichem oder über- natürlichem Wege gelangen kann. 16. Kap i tel Abhandlung über die erste Neigung des Willens: die Freude. Ihr Wesen. Verschiedene Objekte, an denen der Wille sich erfreuen kann. Die Freude ist die erste 1) der LeidellSchaften der Seele und der Neigungen des Willens. Von dem Gesichtspunkte aus betrachtet, wie wir über die Freude zu sprechen ge- I) Nach dem hl. Thomas ist die erste Leidenschaft der Seele die Liebe j aber in dieser Hinsicht will sie der heilige J ohannes vom Krens nicht behandelt wissen. Thom. B. Th. I. 2 qu. 00, 2. 319

denken, ist die Freude nichl9o anderes als eine Befriedi. I gung des Willens verbunden mit der Wertschätzung einer Sache, die vorteilbringend erscheint. Denn der Wille er. freut sich einer Sache nur, wenn er sie hochschätzt und an ihr Befriedigung findet. Dies gilt auch von der aktiven Freude, wobei nie Seele klar und bestimmt erkennt, was f ihr Freude macht, und es ihr freisteht, derselben Ein. tritt in ihr Herz zu gewähren oder sie zurückzuweisen. Die Freude kann auch passiv sein, wobei der Wille die Freude empfindet, ohne die Ursache klar und bestimmt zu erkennen -zuweilen erkennt er zwar die Ursache, aus der sie entsteht -, und dann liegt es nicht in seiner Macht, die Freude aufkommen zu lassen oder sie zu unter. drücken. über diese Art von Freude werden wir später reden. Jetzt sprechen wir von der aktiven und frei ge. wollten Freude, die in klar erkannten und bestimmten Gegenständen ihren Grund hat. ! Sechs Arten von Dingen oder Gütern können die

Ursache dieser Freude sein, nämlich zeitliche, natürliche,

j sinnliche, sittliche, übernatürliche und geistige Güter. Wir ,1\ wollen diese Güter der Reihe nach behandeln und dem 1I Willen eine vernunftgemäBe Anleitung geben, damit er sich nicht in Schwierigkeiten verwickle, die ihn daran hindern, die ganze Kraft seiner Freude auf Gott zu richten. Zu diesem Zweck mÜSsen wir einen Grundsatz voraus. schicken, der uns als Stab und Stütze dienen und uns be. kannt sein muss. Er soll auch unsere Leuchte sein, die uns führen und unterweisen muss, inwiefern unsere Freude in. mitten all dieser Güter Gott zum Ziele haben muf!. Dieser Grundsatz lautet: Der Wille darf sich nur an dem erfreuen, was zur Ehre und Verherrlichung Gottes gereicht. Und die größte Ehre und Verherrlichung Gottes besteht darin, daß wir ihm in der evangelischen Vollkommenheit dienen, Alles was außer dem Rahmen dieser Vollkommenheit ge. schieht, hat für den Menschen weder Wert noch Nutzen. 320


I. Teil Die zeitlimen Güter 17. Kapitel Die Freude an den zeitlichen Gütern. Wie man diese Freude auf Gott richten 8011. Die erste Art von Gütern, über die wir hier sprechen wollen, sind die zeitlichen. Darunter verstehen wir Reich- tümer, gesellschaftliche Stellung, Ehrenämter und andere Vorzüge, die in der Nachkommenschaft, in den Verwandten und ehelichen Verbindungen usw. ihren Grund haben. An all diesem kann der Wille seine Freude haben. Aber es muß jedem einleuchten, wie eitel die Freude an Reich- tümern, Titeln, gesellschaftlicher Stellung, Ämtern und ähnlichen Dingen ist, wonach die Menschen streben. Würde der Reichtum den Menschen eifriger im Dienste Gottes machen, dann dürfte man sich der Reichtümer freuen. Statt dessen aber sind sie ein Anlan zur Beleidigung Got- tes, wie der Weise lehrt: "Mein Sohn, wenn du reich bist, wirst du nicht frei bleiben von Schuldi)." Wohl ist es wahr, dass die zeitlichen Güter an und für sich nicht notwendig zur Sünde führen, aber für ge- .wöhnlich hängt das Herz des Menschen an denselben und vergiBt Gott, was doch SQnde ist. Und die Sünde ist eine Untreue gegen Gott, weshalb der Weise sagt: "Du wirst nicht frei bleiben von Schuld." Auch unser Herr Jesus Christus hat im Evangelium die Reichtümer Dornen ge- nannt. um anzudeuten, dass derjenige von der Sünde ver- 1) Sir 11, 10. 321

wundet wird, der dem Willen nach an ihnen hängV). Auch sein Ausspruch bei Matthäus soll uns mit Furcht erfüllen: Wie schwer gehen die Reichen ins Himmelreich ein2), d. h. die Freude an diesen Gütern finden. Dadurch gibt er deutlich zu verstehen, dafl der Mensch an den Reichtümern sich nicht freuen soll, da er sich so groflen Gefahren aus- setzt. Um uns vor dieser Gefahr zu bewahren, ruft David aus: "Wenn euch Reichtum zuströmt, hängt das Herz nicht an denselben3)." Ich will mich weiter nicht damit befassen, eine Wahrheit zu beweisen, die an sich klar ist und für die in der Heiligen Schrift zahllose Stellen sich finden; ich führe nur noch Salomon an, der im Buche Ekklesiastes die übel aufzählt, die die zeitlichen Güter verursachen. Dieser Mann, der Reichtümer und Weisheit in Fülle besaa, wuflte wohl, wie man von denselben denken soll, wenn er sagt: "Ich sah alles, was unter der Sonne ist, und sieh', es ist Eitelkeit und Geistesplage4)." Und "wer die Reich- tümer lieb hat, zieht daraus keinen Gewinn5)." Divitiae conservatae in malum domini sui. "Die aufgespeicherten Reichtümer gereichen dem Besitzer zum Unheile6)." Im Evangelium liest man auch von einem Mann, der sich freute, dafl er grofle Vorräte für viele Jahre aufgespeichert hatte, aber vom Himmel das Wort vernahm: Stulte, hac nocte animam tuam repetunt a te; quae autem parasti, cujus erunt? "Du Tor, noch diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; was du gesammelt hast, wessen wird es sein7)?" Schliefllich gibt uns David dieselbe Mah. nung mit den Worten: "Beneide deinen Nachbar nicht, wenn er reich geworden ist; denn das nützt ihm nichts für das andere LebenS)." Damit will er uns zu verstehen geben, dafl der Reiche eher zu bedauern ist. Daraus folgt, dafJ der Mensch sich weder über seine eigenen Reichtümer, noch über die seines Nächsten freuen darf, aufler sie werden 1) Mt 13, 22 und Lk 8, 14. ,>:Mt 19,23. 8) Ps 61, 21. 4) Prd 1,14; 2, ~. ') Prd 5, 9. 8) Prd 5, 12. T) Lk 12, 00. 'J Ps 4B, 17. 18. 322

zum Dienste Gottes verwendet. Wenn man also irgendeine Freude daran finden darf, so nur dann, wenn sie dem ge- nannten Zwecke dienen; aunerdem verschaffen sie uns kei- nen Gewinn. Dasselbe gilt auch von den übrigen zeitlichen Gütern, ,von Titeln, gesellschaftlicher Stellung und Ehren- ämtern usw. Es ist Eitelkeit, sich an all diesen Dingen zu erfreuen, wenn man dadurch Gott nicht eifriger dient und sicherer den Weg zum ewigen Leben findet. Und weil man nie wissen kann, ob man durch dieselben Gott besser dient, so ist es Eitelkeit, einer wirklichen Freude an denselben- Raum zu geben, da für eine solche Freude kein vernünf- tiger Grund gegeben i~t. Denn der Herr sagt: "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leideV)?" Der Dienst Gottes sei darum allein das Ziel unserer Freude! Man soll sich auch nicht freuen über seine Nachkom- men noch darüber, dass sie zahlreich, reich, mit natürlichen Gaben und Vorzügen ausgestattet und mit Glücksgütern gesegnet sind, sondern nur darüber, dass sie Gott dienen. Absalom, dem Sohne Davids, nützte weder seine Schönheit, ~ noch sein Reichtum, noch auch seine Abstammung etwas, denn er diente Gott nicht2). Und darum wäre es eitel ge- wesen, sich dieser seiner Auszeichnung zu freuen. So ist auch das Verlangen mancher Eltern nach Kindern eitel, die , in ihrem Ungestüm die ganze Welt in Verwirrung und i Aufregung bringen. Denn sie wissen nicht, ob ihre Kinder , gut sein werden und Gott dienen; sie wissen nicht, ob nicht die Freude, die sie an ihnen erwarten, sich in Schmerz verwandeln wird, ob nicht die Ruhe, der Trost; die Ehre, die ihnen dadurch erwächst. ihnen zum Unheil, zum Herzeleid, zur Unehre und gröberen Beleidigung Gottes gereichen wird, wie es schon vielen ergangen ist. Von solchen spricht Christus der Herr, dass sie Länder und Meere durchziehen. um ihre Kinder zu bereichern; aber sie J -I) Mt 16, 26. I) 2 Sm 14, 25. 322

zum Dienste Gottes verwendet. Wenn man also irgendeine Freude daran finden darf, so nur dann, wenn sie dem ge- nannten Zwecke dienen; aunerdem verschaffen sie uns kei- nen Gewinn. Dasselbe gilt auch von den übrigen zeitlichen Gütern, ,von Titeln, gesellschaftlicher Stellung und EhrelI- ämtern usw. Es ist Eitelkeit, sich an all diesen Dingen zu erfreuen, wenn man dadurch Gott nicht eifriger dient und sicherer den Weg zum ewigen Leben findet. Und weil man nie wissen kann, ob man durch dieselben Gott besser dient, so ist es Eitelkeit, einer wirklichen Freude an denselben- Raum zu geben, da für eine solche Freude kein vernünf- tiger Grund gegeben i~t. Denn der Herr sagt: "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leideV)?" Der Dienst Gottes sei darum allein das Ziel unserer Freude! Man soll sich auch nicht freuen über seine Nachkom- t men noch darüber, dass sie zahlreich. reich, mit natürlichen Gaben und Vorzügen ausgestattet und mit Glücksgütern Igesegnet sind, sondern nur darüber, dass sie Gott dienen. Absalo~, dem Sohne Davids, nützte weder seine Schönheit, noch sein Reichtum, noch auch seine Abstammung et\\-as, denn er diente Gott nicht2). Und darum wäre es eitel ge- wesen, sich dieser seiner Auszeichnung zu freuen. So ist auch das Verlangen mancher Eltern nach Kindern eitel, die in ihrem Ungestüm die ganze Welt in Verwirrung und Aufregung bringen. Denn sie wissen nicht, ob ihre Kinder gut sein werden und Gott dienen; sie wissell nicht, ob nicht die Freude, die sie an ihnen erwarten, sich in Schmerz verwandeln wird, ob nicht die Ruhe, der Trost; die Ehre, die ihnen dadurch erwächst, ihnen zum Unheil, zum Herzeleid, zur Unehre und gröberen Beleidigung Gottes gereichen wird, wie es schon vielen ergangen ist. Von solchen spricht Christus der Herr, dass sie Länder und Meere durchziehen. um ihre Kinder zu bereichern; aber sie 1) Mt 16,26. I) 2 Sm 14, 25. 323

schaffen sich dadurch nur Kinder des Verderbens, die zwei. mal schlechter sind als siel). Wenn darum dem Menschen auch alles günstig ist und alles gelingt, so dass ihm, wie das Sprichwort sagt, alles nach Wunsch geht, so mutJ er sich doch eher fürchten als freuen, weil sich dadurch, wie schon erwähnt, die Gelegen. heit und Gefahr mehrt, Gott zu vergessen und zu belei. digen. Darum sagt Salomon, der in dieser Beziehung mit Vorsicht zu Werke ging, im Buche Ekklesiastes: "Das La. chen hielt ich für Torheit, und zur Freude sprach ich: Warum täuschest du dich vergeblich3)?" Er wollte damit sagen: Wenn mich auch alle Dinge anlachten, so hielt ich es für Torheit und die Freude an ihnen für Trug. Es ist in Wahrheit ein gr06er Irrtum und eine Torheit, wenn der Mensch sich über das freut, was ihm angenehm und lieb. lich erscheint, weil er nicht sicher weiß, ob ihm daraus etwas Gutes für die Ewigkeit erwachsen kann. "Das Herz des Toren", sagt der weise Mann, "wendet sich der Freude zu, aber das Herz des Weisen der Trauer')." Denn die eitle Freude macht das Herz blind und läßt ihm keine Zeit, die Dinge zu betrachten und abzuwägen, die Traurigkeit aber öffnet die Augen und läßt ihm den Schaden oder Vorteil derselben erkennen. Darum steht auch im selben Buche geschrieben: "Besser ist Zürnen als Lachen4)." Und an einer anderen Stelle heiht es: "Besser ist's zum Haus der Trauer als zum Hause des Trinkgelages zu gehen; denn dort wird man an das Ende alles Menschlichen erinnert~)." Es wäre ferner eine Eitelkeit von seiten des Mannes oder der Frau, sich ihres Standes zu erfreuen, da sie nicht bestimmt wissen, ob sie im Ehestande Gott besser dienen. 1) Mt 23, 15. Die hier angeführte Stelle lautet wörtlich: Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, ,veil ihr du Meer und das Festland durchzieht, um einen einzigen Bekehrten zu machen; und wenn er es geworden, so macht ihr ihn zum Kinde der Hölle, zweifach mehr als ihr." I) Prd 2, 2. 3) Prd 7, 5. 4) Prd 7, 4. 6) Prd7,3. 324

Vielmehr sollten sie in Sorge sein, es möchte, wie St. Pau. lus schreibt, der Ehestand infolge ihrer gegenseitigen Her. zenseinigung für sie ein Hindernis sein, sich Gott ganz hinzugeben. Deshalb gibt er den Rat: "Bist du frei, so suche kein Weib; hast du aber ein Weib, dann bewahre eine solch~ Freiheit des Herzens, als hättest du keines1)." Diese Unterweisung im Verein mit dem, was wir über die zeitlichen Güter gesagt, ist auch enthalten in den folgenden Worten des Apostels: "Dies nun Brüder, sage ich: Die Zeit ist kurz; es erübrigt sich, dass auch die, die Frauen haben, seien, als hätten sie keine, und die da weinen, als weinten sie nicht, und die, die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die da kaufen, als besäßen sie nichts, und die die Welt genießen, als würden sie dieselbe nicht ge- nienen2)." All dies führt er an, um uns zu belehren, dass es eitel und nutzlos ist, seine Freude in etwas anderem .als im Dienste Gottes zu suchen; denn eine Freude, die nicht dem Willen Gottes entspricht, kann der Seele nicht zumHeilesein. 18. Kap i tel Nachteile, die für die Seele aus der Freude an zeitlichen Gütern entspringen. Wollte ich alle Nachteile aufzählen, die aus der Hinneigung des Willens an die zeitlichen Güter der Seele erwachsen, so würden weder Tinte, noch Papier, noch Zeit ausreichen, denn aus der geringfügigsten Ur. sache können groBe übel und der Verlust bedeutender Güter entstehen. Und ein Feuerfunke, den man nicht aus- löscht, kann einen mächtigen Brand entfachen, der die ganze Welt in Flammen setzt. Alle diese Nachteile haben ihre Wurzel und ihren Ursprung in einern privativen Hauptnachteil, der durch die genannte Freude hervorge- I) 1 Kor 7,27. I) 1 Kor 7,29. 325

rufen wird, und das ist die Abwendung von Gott. Wie aus der Hinwendung des Willens zu Gott der Seele alle Güter erwachsen, so entspringen aus seiner Abkehr von "\ Gott, als der Wirkung seiner Liebe zu den Geschöpfen, alle Nachteile und übel, und zwar nach dem Maue dieser Freude und Liebe; denn an den Geschöpfen Freude finden, heißt sich von Gott abwenden. Nach dem Grade der Ab. kehr von Gott kann man die Gröue des Schadens er. messen. Und dieser ist mehr oder minder grofi dem Umfang oder der inneren verderblichen Wirkung nach und meistenteils in dieser zweifachen Hinsicht. Dieser privative Nachteil, aus dem, wie schon erwähnt, alle übrigen, sowohl die privativen wie die positiven, entstehen, hat vier Stufen. von denen die eine schlimmer ist als die andere. Und ist die Seele auf der vierten Stufe angelangt, so ist sie den Nachteilen und übeln, die sie in dieser Lage ereilen kön. nen, ganz und gar zum Opfer gefallen. Diese vier Stufen führt Moses in treffender Weise im Buche Deuteronomium an mit den Worten: "Der Liebling (Israel) ward fett und schlug aus; er ward fett und dick und breit; da verließ er Gott, seinen Schöpfer, und wich ab von Gott, seinem Heile1). Die ehedem geliebte Seele wird in gewisser Beziehung fett, wenn sie sich der Freude an den Geschöpfen über. läßt. Und das ist die erste Stufe oder der erste Nachteil, der in einem gewissen Rückschritt besteht. Der Verstand wird Gott gegenüber abgestumpft, wodurch die göttlichen Dinge vor ihm verdunkelt werden, ebenso wie der Nebel die Luft verfinstert, so daß sie vom Sonnenlicht nicht mehr erleuchtet wird. Wenn daher die geistliche Seele nur im geringsten ihre Freude in etwas sucht und dem Gelüste nach Ungehörigkeiten Raum gibt, so hüllt sich Gott vor ihrem Auge in Dunkelheit, und es verfinstert sich die vorher ungetrübte Urteilskraft des Verstandes. Der I) Dt 82, 15. 326

Heilige Geist spricht davon im Buche der Weisheit: "Der Zauber oder falsche Schein der Eitelkeit und des Spottes verdunkelt das Gute, und die unstete Begierlichkeit ver. dirbt und verkehrt den arglosen Sinnt)." Damit gibt der Heilige Geist zu verstehen, dass schon die Begierde und Freude an den geschaffenen Dingen hinreicht, um jenen Nachteil der ersten Stufe hervorzurufen, wenn auch der Verstand vorher vom Bösen nicht eingenommen war. Da- durch wird der Verstand abgestumpft und die Urteilskraft verdunkelt, so dass man die Wahrheit nicht mehr recht erkennen"und den Wert einer Sache nicht mehr beurteilen kann. Vor diesem Schaden s~hntzt weder die Heiligkeit noch das gesunde Urteil des Menschen, wenn er der Be- gierde und Freude an den zeitlichen Dingen Raum gibt. Um uns deshalb in dieser Beziehung zu warnen, sprach Gott zu Moses: "Nimm keine Geschenke an, denn diese verblenden auch die Einsichtsvollen2)." Diese Worte gelten in besonderer Weise jenen, die Richter sein sollten. Sie . müssen ein klares und gesundes Urteil haben, das neben dem Gelnste und der Freude an Geschenken nicht bestehen kann. Aus diesem Grunde befahl auch Gott dem Moses, als Richter nur solche aufzustellen, die der Habsucht feind seien; ihr Urteil soll nicht getrnbt werden durch den Reiz der Leidenschaften')." Deshalb mnsse er sich an jene wenden, die nicht nur der Begierde nach zeitlichen Gntern abhold sind, sondern sie auch verabscheuen. Wer sich voll- kommen wappnen will gegen jede Anhänglichkeit, muYJ Abscheu dagegen haben, um so einen Gegensatz durch den anderen zu bekämpfen. Aus diesem Grunde blieb Sa- muel immer ein gerechter und erleuchteter Richter, weil er, wie er im ersten Buche der König,e schrieb, niemals ein Geschenk von jemand annahm. Si de manu cujus- quam munus accepi'). 1) Weish 4, 12. ,) Ex ~ 8. I) Ex 18, 21. 2. ') 1 Sm 12, s. 327

Die zweite Stufe des privativen Nachteils baut sich auf der ersten auf, wie es die obenangeführte Stelle zum AusdrQck bringt. "Er ward fett und breiV)," Diese zweite Stufe besteht in einer Erweiterung des Willens, der sich nun mit gröaerer Unbefangenheit den zeitlichen Gütern überläat. Er macht sich nicht viel daraus, empfindet keine Bedenken und Gewissensbisse, wenn er sich dem Genusse und der Freude an den geschaffenen Dingen hingibt. Dies hat darin seinen Grund, daa man anfangs die Freude nicht gezügelt hat; gewährt man nämlich derselben Raum, so überläüt sich die Seele derselben in erhöhtem Mafle, wie es in der angeführten Stelle heiat, und diese Zunahme der Freude und des Begehrens erweitert den Willen und zieht ihn mächtiger zu den Geschöpfen hin. So entstehen große Nachteile; denn diese zweite Stufe entfremdet den Willen den göttlichen und heiligen übungen und läat ihn daran infolge seiner allzugroaen Hingabe an andere Dinge keinen Geschmack mehr finden; so wird er ein Opfer zahlloser Unvollkommenheiten und Ungehörigkeiten und überläßt sich vielfach eitlen Freuden und Genüssen, Hat diese Stufe den höchsten Grad erreicht, so unterläf~t der Mensch auch seine gewohnten täglichen ?bungen, und. sein ga~zes Sin. i nen und Denken wendet sich den welthchen DIngen zu. j Wer sich auf dieser zweiten Stufe befindet, dessen Ver. j , stand und Urteilskraft ist nicht bloü wie bei denen der j ersten Stufe verfinstert, so daa er kein Verständnis mehr hat für Wahrheit und Gerechtigkeit; er ist auch äu&erst lau, träge und nachlässig und kümmert sich nicht mehr, Wahrheit und Gerechtigkeit zu erkennen und sie in Ausführung zu bringen, wie Isaias sagt: "Alle lieben Geschenke und haschen nach Vergeltungen; der Waise sprechen sie nicht Recht, und die Sache der Witwe kommt nicht vor sie2)." Ein solches Betragen ist nicht frei von Schuld, besonders wenn sie von Amts wegen dazu ver. I) Dt 82, 15, ,) Is 1, 23. 328

pßichtet sind. Die auf der zweiten Stufe Stehenden kann man wohl kaum mehr von der Schuld der Bosheit frei. sprechen \vie jene auf der ersten Stufe, und sie weichen noch weit mehr vom Wege der Gerechtigkeit und Tugend ab, da ihr Wille noch mehr von leidenschaftlicher Liebe zu den geschaffenen Dingen entzündet ist. Die besondere Eigentümlichkeit dieser zweiten Stufe ist eine große Trägheit in den geistlichen übungen und Nachlässigkeit der ihnen obliegenden Pflichten, und wenn sie auch denselben obliegen, so geschieht es weniger aus dem Beweggrunde der Liebe als aus menschlichen Rücksichten oder unter dem Drucke des Zwanges und aus Gewohnheit. Die dritte Stufe dieses privativen Schadens besteht in der vollkommenen Abkehr von Gott. Man kümmert sich nicht mehr um die Erfüllung seines Gesetzes, um nicht. auf die sündhaften Freuden dieser Welt verzichten zu müssen und so fällt man durch die Lüsternheit von einer schweren Sünde in die andere. Und dies ist dann der Zustand von dem die angeführte Stelle spricht: "Er verließ Gott, seinen Schöpfer)." Auf dieser Stufe befinden sich alle jene, die sich mit den Vermögen ihrer Seele so sehr in die weltlichen Dinge, Reichtümer und Angelegenheiten verlieren, dafa sie für die Erfüllung dessen, wozu das Gesetz Gottes sie verpflichtet, kein Auge mehr haben. Sie vergessen und vernachlässigen die Sorge um ihr Heil vollständig, während sie ihre ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt den Dingen dieser Welt zuwenden. Diese nennt unser Herr im Evan- gelium Kinder dieser Welt und sagt von ihnen, daß sie in ihren Angelegenheiten klüger und scharfsinniger zu Werke gehen als die Kinder des Lichtes2)." Handelt es sich um Gott, so sind sie zu nichts zu haben, betrifft es aber welt. liche Dinge, dann stellen sie vollkommen ihren Mann. Das sind die wahrhaft Habsüchtigen, deren Gelüste Imd Freuden I) Dt 32, 15. ') Lk 16, 8. 329 . mit solcher Gier und Hingabe den zeitlichen Dingen zu- gekehrt sind, dafl sie nicht satt werden können. Ihr Hunger und Durst wächst in dem Mafle, als sie sich von der Quelle entfernen, die sie allein sättigen könnte, von Gott. Von solchen spricht Gott durch Jeremias: Me dereli- querunt fontem aquae vivae et foderunt sibi cisternas, cisternas dissipatas, quae continere non valent aquas. "Mich haben sie verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, und haben sich Zisternen gegraben, die durchlöchert sind und kein Wasser halten könnenl)." Und deshalb kann auch der Habsüchtige mit den Geschöpfen seinen Hunger nicht stillen, sondern nUr vermehren. Wer in dieser Verfassung sich befindet, fällt in tausenderlei Sünden; die Uebe zu den zeitlichen Gütern stürzt sie in namenloses Elend. Von diesen spricht David: Transierunt in affectum cordis. "Sie gehen den Gelüsten ihres Herzens nach~)." Die vierte Stufe dieses privativen Schadens ist ange- deutet im letzten Teil unserer angeführten Stelle. "Und er wich von Gott, seinem Heilea)." Zu dieser Stufe steigt man von der eben erwähnten dritten herab. Unterläöt es der Mensch aus Liebe zu den zeitlichen Gütern, sein Herz in Unterwürfigkeit unter das Gesetz Gottes zu erhalten, so entfernt sich seine habsüchtige Seele dem Gedächtnis, dem Verstande und Willen nach immer mehr von Gott, er vergiflt auf Gott, gleich als ob er nicht existierte; er hat eben das Geld und die zeitlichen Güter zu seinem Gotte gemacht. Darum nennt auch der heilige Paulus die Hab- sucht einen Götzendienst4). Diese vierte Stufe führt bis zur völligen Gottvergessenheit, weil man das Herz, das sich vollkommen Gott zuwenden sollte, in aller Form dem Gelde zum Opfer bringt, als würde es keinen anderen Gott geben. Auf dieser vierten Stufe stehen alle jene, die kein Be- denken tragen, das Göttliche und übernatürliche dem Zeitlichen als ihrem Gott unterzuordnen, während es doch I) Jr 2, 1S. ,) Ps 72. 7. 8) Dt 3'2, 15. 4) KoI S, 5. 330

ihre Pflicht wäre, ganz das Gegenteil davon zu tun. Denn wenn sie mit ihrer Vernunft Gott erkennen, mübte sie alles ihm unterordnen. Der gottlose Balaam, der die von Gott empfangene Gnade verkauft, ist ein Beispiel davonI), sowie auch Simon Magus, der im Wahne lebte, die Gnade Gottes nach dem Gelde bewerten zu sollen, und sie um solches kaufen wollte~). Das Geld galt ihm mehr als alles, weil er jemand zu finden glaubte, der dem Gelde mehr Wert beilegen und ihm dafür die Gnade geben würde. In unseren Tagen gib' es viele in der Welt, die in verschiedener Beziehung auf dieser Stufe stehen. Ihr Verstand ist durch die Lüsterheit in geistlichen Dingeil verfinstert, und so dienen sie dem Gelde und nicht Gotl Für ihre Tätigkeit ist nur das Geld und nicht Gott be- stimmend, sie haben nur ein Auge für irdischen Lohn und nicht fÜr den geisf:igen Wert und die göttliche Belohnung. Das Geld wird für sie zum Hauptgötzen, dem sie Gott. ihr letztes Ziel, nachsetzen. Auf dieser letzten Stufe stehen alle jene Elenden, die so in die zeitlichen Güter verliebt sind, dass sie dieselben zu ihren Götzen erheben und ihnen ohne Bedenken ihr Leben opfern, wenn sie die Wahrnehmung machen, dass diesen ihren Götzen eine zeitliche Schädigung zustöbl In ihrer Verzweiflung weihen sie sich aus ganz elenden Mo- tiven dem Tode, und indem sie an sich selbst Hand an- legen, liefern sie selbst den Beweis, welchen Lohn man von einem solchen Götzen zu erwarten hat Man kann von ihm auch nichts anderes erhoffen; er gibt, was er hat: Ver- zweiflung und Tod. Und stÜrzt er sie auch nicht ins äuberste Elend, in den Tod, so läbt er sie in einer be- ständigen peinlichen Todesangst und in namenlosem Elend dahinleben. Er bannt jede Freude aus ihrem Herzen und läbt ihnen in dieser Welt keinen Strahl des Glückes leuch- ten. Solche zahlen beständig den Tribut ihres Herzens dem 1) Nm 22, 7. ') Apg8, 18.19. 331

Gelde, um dessen twillen sie gequält werden, und häufen dasselbe auf bis zur Stunde ihres äußersten Unheils, ihre5 gerechten Verderbens. Der weise Mann spricht da von, wenn er sagt: "Die Reichtümer sind aufbewahrt zum Uno beil ihrers Besitzers1)." Auf dieser vierten Stufe stehen endlich auch jene, von denen der heilige Paulus sagt, dafJ sie Gott ihrer verwerflichen Gesinnung überließ2). Tradi. dit illos Deus in reprobum sensum. In dieses äufiersre Elend stürzt den Menschen die Freude an den zeitlichen Gütern, wenn er den Besitz derselben als sein höchste5 Ziel ansieht. Aber auch jene, denen daraus geringerer Schaden erwächst, sind sehr zu bemitleiden; denn wie schon erwähnt, machen sie sehr große Rückschritte auf dem Wege zu Gott. Deshalb ruftDavid aus: "Fürchte nichts, wenn ein Mensch sich bereichert", d. h. beneide ihn nicht und denke nicht, daß er über dir steht; "denn wenn er stirbt, nimmt er nichts mit sich, und seine Herrlichkeit und Freude steigen mit ihm nicht hinab" (ins Grab)3). I 19. Kapitel Vorteile, die der Seele aus denl Verzicht auf die Freude an zeitlichen Gütern erwachsen. Eine geistliche Seele soll sorgfältig darauf achten, dass sie in ihrem Herzen ja keine Anhänglichkeit an die zeitlichen Gt\ter aufkommen noch die Freude an denselben in ihm erwachen lasse; sie soll vielmehr stets fürchten, es möchte aus Kleinem durch stufenweise Zunahme Großes und aus unbedeutenden Anfängen schließlich ein großer Schaden entstehen. Auch ein kleiner Funke reicht hin, um einen Berg, ja die ganze Welt in Brand zu stecken. Nie darf man sagen, die Anhänglichkeit sei nur unbedeutend, und denken, man werde sie später beseitigen, wenn man sie auch nicht gleich von sich weise. Denn wenn man nicht gleich an. I) Pl'd5, 12. ,) Röm 1,~. 3) Ps 48, 17.18. 332

fangs, wo diese Anhänglichkeit so geringfügig ist, den Mut hat, ihr entgegenzutreten, wie kann man dann denken, und sich zumuten, daß man es fertigbringe, wenn sie erstarkt und eingewurzelt ist? Mit besonderem NachdruCk spricht darum Christus, unser Herr, im Evangelium: "Wer im Kleinen treu ist, ist es auch im Groöen1)." Wer sich vor Geringem hütet, wird nicht in groöe Fehler fallen, und schon aus geringer Anhänglichkeit erwächst ein groöer Schaden, da der Wall und die Mauer des Herzens bereits durchbrochen sind, wie das Sprichwort sagt: Wer an- gefangen, hat die Arbeit schon halb getan. Darauf weist uns David hin mit den Worten: " Wenn euch Reichtum zuströmt, hängt das Herz nicht an denselben2)!" Und sollte auch der Mensch nicht aus Liebe zu Gott oder aus Rücksicht auf die christliche Vollkommenheit so handehl, so müöte er doch, ganz abgesehe~ von den geistigen Vor- teilen, schon um der zeitlichen willen sein Herz vollkom- ! men frei machen von der Freude an den genannten Gütern. f Dadurch schützt er sich nicht bloö vor den verderblichen Nachteilen, die wir im vorhergehenden Kapitel besprochen haben, er erwirbt sich durch diesen Verzicht die Tugend der Freigebigkeit, die eine der vorzüglichsten Tugenden und Forderungen Gottes und unvereinbar mit der Habsucht ist. Zugleich erfreut man sich so der Freiheit des Geistes und der Erleuchtung des Verstandes; Ruhe und Friede, Gelassenheit und Zuversicht auf Gott verbunden mit wahrer Unterwürfigkeit und Gehorsam gegen Gott (kehren in die Seele ein). Man empfindet mehr Freude und Be- friedigung an den Geschöpfen, wenn man auf sie ver- zichtet, eine Freude, wie sie der nie kosten wird, dessen Herz sich in den Besitz derselben zu setzen sucht. Denn i diese Unruhe bindet den Geist wie mit einer Schlinge an und gestattet dem Herzen keine Bewegungs- I) Lk 16, 10. ") Ps 61, 21. 333

freiheit. Durch die Entäuäerung von diesen Gütern erkennt der Mensch auch deutlich deren natürlichen und übernatür. .Jichen Wert, so daß er tiefen Einblick in die wahren Grundsätze bekommt, die man auf sie anwenden soll. Und aus diesem Grunde gereicht ihm auch die Freude zu größerem Nutzen und Vorteil als jenem, der sein Herz an dieselben hängt. Er kostet die Wahrheit, das Bessere und das Wesen derselben, jener aber, der sie nur mit den Sinnen betrachtet, den Trug, das Schlimmere und das Unwesentliche. Die Sinne können eben nur das Unwesent. liche fassen und erreichen, während der Geist, befreit von der unwesentlichen Hülle und dem äußeren Schein, bis zur Wahrheit vordringt und den Wert der Dinge erkennt. Denn das ist sein Objekt. Die Freude verdüstert wie eine Wolke das Urteil; denn es ist ganz unmöglich, sich frei. willig an einem Gescpöpfe zu erfreuen ohne freiwil. ligen Genuf~, und so kann auch die Freude als Leidenschaft I nicht bestehen ohne habituellen Besitz im Herzen. Die , i Verleugnung und der Verzicht auf diese Freude hingegen macht das Urteil klar wie die von Dünsten gereinigte Luft. In dieser Entäu&erung von allen Dingen erfreut sich der Mensch, als besä&e er sie alle, während ein anderer, der sich besondere Mühe gibt, in den Besitz derselben zu gelangen, sich gewöhnlich seine ganze Freude an allem verdirbt. Der erstere besitzt sie alle nach den Worten des heiligen Paulus gerade dadurch, da& er in seinem Herzen keine Anhänglichkeit aufkommen läßt, in grofler FreiheiV), der andere aber dessen Wille eine Anhänglich. keit an sie trägt, hat nichts und besitzt nichts, vielmehr hat das Geschöpf von seinem Herzen Besitz ergriffen, und er leidet wie ein Gefangener. In dem Maße also, als man sich der Freude an den Geschöpfen hingibt, leidet auch das von ihnen eingenommene und ihnen unterworfene Herz unvermeidlich Beängstigung und Pein. I) 2 Kor 6. 10. 334

Wer sein Herz frei bewahrt, wird weder beim Gebet noch außer demselben durch Sorgen beunruhigt. Ein solcher sammelt sich ohne Zeitverlust auf leichte Art eine Fülle geistlicher SchAtze, während ein anderer, dessen Herz mit einer Schlinge gefangen und an die Geschöpfe gebunden ist, sich immer hin und her windet; und wenn er sich auch mit Mühe auf kurze Zeit von dem Gedanken an jenes Geschöpf frei machen kann, führt ihn die Freude bald wieder zum Gegenstand seiner Anhänglichkeit zurück. i Sobald also die geistliche Seele die erste Regung der l Freude an einem Geschöpf in sich erwachen sieht, muß sie :, dieselbe zu unterdrücken suchen. Sie möge sich an das r! erinnern, was wir im vorhergehenden Abschnitte gesagt, ~ daß nämlich der Mensch sich nur an dem erfreuen darf, )1 was den Dienst Gottes betrifft und seine Ehre und Ver- ! herrlichung fördert. Auf dies allein soll er sein Augenmerk ;, richten und sich abwenden von aller Eitelkeit der Welt, so daß er in den Geschöpfen weder seine Befriedigung noch seinen Trost sucht. Ein noch viel größerer und wichtigerer Vorteil folgt aus dem Verzicht auf die Freude an den g~schaffenen Gütern. Das Herz bewahrt seine Freiheit, um sich Gott hinzugeben. Das ist die wesentliche Vorbedingung für alle Gnaden, die Gott dem Menschen erweisen will. Denn ohne dieselbe gewährt Gott nichts. Diese Gnaden sind derart, daß Gott den Verzicht auf eine einzige, wenn auch vor- übergehende Freude aus Liebe zu ihm und zur evange- lischen Vollkommenheit schon in diesem Leben hundert- fach vergilt, wie es seine Majestät im Evangelium ver. heißen haft). Allein ganz abgesehen von diesem Gewinn soll die geistliche Seele sowie der einfache Christ schon um des Mißfallens willen, das er Gott durch diese Freude an den Geschöpfen bereitet, dieselbe aus seinem Herzen verbannen. Wir lesen im Evangelium, daß Gott an jenem I) Mt 19, 20. 335

Reichen, der sich ilber die filr viele Jahre aufgespeicherten Güter glücklich filhlte, solches Mißfallen empfand, dass er zu ihm sprach: "Noch diese Nacht wird man deine Seele von dir fordem1)." Darum milssen wir filrchten, daß Gott jedesmal, sooft wir eitle Freude in uns aufkommen lassen, entsprechend unserem Fehler schwere Strafe über uns verhängt, deren Pein oft bitterer und größer ist als die Silßigkeit der genossenen Freude. Es bleibt ewig wahr, was der heilige Johannes in der Geheimen Offenbarung über Babyion sagt: "So viel sie sich gefreut und in Lüsten gelebt hat, so viel gebt ihr Qual und Leid2)." Es ist damit nicht gesagt, daß die Pein nicht auch empfindlicher sein könne als die Freude, da schon eine kurze Freude mit uno ermeßlichen ewigen Qualen bestraft wird; es wird nur zum Ausdruck gebracht, daß kein Fehler ungestraft bleibt; denn wenn Gott nicht einmal ein unnützes Wort ungestraft läfJ~ dann wird er auch die eitle Freude nicht ohne Strafe hin. gehen lassen. I) Lk 12, 20. ') Oft"b 18, 7. 336

11. Teil Die natürlimen Güter 20. Kap i tel Es ist Eitelkeit, wenn der Wille seine Freude in den natürlichen Güte~n sucht. Wie diese Freude ihm dazu dienen soll, sein Herz Gott zuzuwenden. Unter natürlichen Gütern verstehen wir hier Schön- heit, Liebenswürdigkeit, Anmut, Wohlgestalt und alle üb- rigen körperlichen VorzUge. Bezüglich der Seele sind da- mit inbegriffen ein klarer Verstand, ein gesundes Urteil und alle anderen Eigenschaften der Erkenntniskraft. Wenn der Mensch an diesen Eigenschaften allein seine Freude findet, insofern er sie an sich und an anderen wahrnimmt. wenn er nicht weiter geht und Gott nicht dankt, der sie ihm gegeben, um ihn besser zu erkennen und zu lieben, so ist das Eitelkeit und Selbsttäuschung nach dem Aus- spruch Salomons: "Trügerisch ist die Anmut und eitel die Schönheit: eine Frau, die den Herrn fürchtet, soll gepriesen werdew)." Damit will er uns lehren, daö der Mensch die- ser natürlichen Gaben wegen eher in Furcht sein müsse, weil sie ihn leicht verlocken und irreführen können, so daö er sich von der Liebe Gottes abwendet und der Eitelkeit zum Opfer fällt. Darum sagt er: Körperliche Anmut sei trügerisch. Sie führt den Menschen auf seinem Wege in die Irre und verleitet ihn zu unziemlichen Handlungen durch die eitle Freude an seinen eigenen Gaben oder durch 1) Spr 51, 00. 337

Willfährigkeit gegen jene, an denen solche natürliche Vor. züge zutage treten. Er sagt ferner: Die Schönheit sei eitel; denn sie bringt den Menschen, der sein Augenmerk ihr zu. wendet und an ihr Gefallen findet, auf mannigfache Weise zu }4"'alle; er sollte sich nur darüber freuen, dafJ er oder andere, die damit ausgestattet sind, sie zum Dienste Gottes verwenden. Er sollte vielmehr in Furcht und Sorge sein, er möchte durch diese natürlichen Gaben und Gnaden ent- weder durch eitle Anmaöung oder durch übermäöige Hoch. schlitzung derselben Gott beleidigen, wenn er nur auf sie allein sein Auge richtet. Wer darum solche Gaben besitz~ muss sich immer zurückhalten und darauf achten, daß er nicht durch Eitelkeit und GrofJtuerei je~andßn AnlafJ gebe, auch nur im geringsten sein Herz von Gott abzuwenden. Denn diese körperlichen Gaben und Vorzüge sind sowohl für den, der sie besitzt, als auch für den, der sie bewunder~ so bestechend und verführerisch, dafJ kaum ein Herz der Schlinge und Fessel derselben entgeht. Aus Furcht vor dieser Gefahr haben, wie wir wissen, viele geistliche, mit diesen Gaben bevorzugte Seelen in flehentlichem Gebet zu Gott gerufen, er möge ihr ÄufJeres verunstalten, um weder sich SJlbst noch anderen AnlafJ und Gelegenheit zu törich. ter Anhänglichkeit oder eitler Freude zu geben. Man soll darum im geistlichen Leben durch Verzicht auf diese eitle Freude den Willen läutern und bedenken, daö die natür. liche Schönheit und alle anderen Gaben der Natur von der Erde sind und wieder zu Erde werden, daf~ Anmut und Liebenswürdigkeit wie der Rauch und Dunst dieser Erde vergeht. Um nicht ein Opfer der Eitelkeit zu werden, soll man diese natürlichen Vorzüge auch für eitel ansehen und dabei sein Herz auf Gott gerichtet halten in Freude und Jubel darüber, daö sich in Gott alle Schönheit und Liebens. würdigkeit im erhabensten, alle Geschöpfe unendlich über. ragenden Grade befinden. "Alle diese Vorzüge", sagt Da. vid, ,.werden wie ein Kleid veraltern und vorübergehen, du 338

aber bleibst ewig unveränderlich 1)." Wenn darum der Mensch nicht in allem seine Freude in Gott sucht, ist er immer von Irrtum und Täuschung befangen. In diesem Sinne ist auch das Wort Salomons zu verstehen, wenn er sich an die Freude wendet, die durch die Geschöpfe verur. sacht wird: "Zur Freude sprach ich: Warum täuschest du vergeblich2)?" Und dies geschieht, wenn sich das Herz des Mensch~n von den Geschöpfen einnehmen läßt. 21. Kap i tel Nachteile, die der Seele erwach8en, wenn der Wille seine Freude in den natürlichen Gütern 8ucht. Viele dieser Vorteile und Nachteile, die ich bei Be. handlung der verschiedenen Arten von Freude erwähnte, sind allen gemeinsam. Denn sie ergeben sich direkt aus dem Verzicbt bzw. der Hingabe an die Freude. Sechs Ar. ten werden im besonderen behandelt und ich führe von jeder Art einige Schäden und Vorteile an, die auch bei den übrigen sich finden, da sie die Freude zur Grundlage haben, die für alle der gemeinsame Ausgangspunkt ist. Meine Hauptabsicht ist jedoch, die besonderen Vorteile und Nach. teile herv.orzuheben, die der Seele aus jedem Genuu er- wachsen, je nachdem sie sich demselben hingibt oder auf ihn verzichtet. Ich erwähne sie im besonderen, weil sie die direkten und unmittelbaren Auswirkungen einer be. stimmten Art von Freude sind, während sie aus einer an. deren Art nur mittelbar oder indirekt folgen. Die geist. liche Lauheit zum Beispiel entspringt direkt aus jeder und allen Arten von Freuden. Somit ist dieser Nachteil allen sechs Arten von Freuden gemeinsam, während die Sinn. lichkeit als seelisches übel in besonderer Weise und direkt in der Freude an den natürlichen Vorzügen des Körpers seinen Grund hat. Und von diesen wollen wir jetzt sprechen. 1) Ps 101, 27. ') Pro 2, 2. 339

Die hauptsächlichsten geistigen und körperlichen Nach. teile, die sich für die Seele direkt und unmittelbar aus der Freude an den natürlichen Gütern ergeben, lassen sich auf sechs zurückführen. Der erste Nachteil ist eitle Ehrsucht, Anmanung, Hof. fart und Geringschätzung des Nächsten. Man kann eben eine Sache nicht ausschlieölich hochschätzen, ohne dafi man von anderen sein Auge wegwendet. Daraus entsteht dann wenigstens eine materielle und gleichsam negative Geringschätzung anderer. Denn aus der Hochachtung, die man einer Sache entgegenbringt, folgt ganz naturnotwen. dig, dass man sein Herz von anderen Dingen wegwendet. Diese materielle Geringschätzung führt dann leicht zur beabsichtigten und freigewollten, sei es im allgemeinen oder im besonderen und dieses Gefühl bleibt dann nicht bloß im Herzen, sondern tritt auch nach außen zutage und offenbart sich in Worten wie z. B. diese Sache oder jene Person ist nicht wie sie sein sollte u. ä. Der zweite besteht darin, daö diese Freude die Sinn. lichkeit erregt und zu Nachgiebigkeit, sinnlicher Lust und Unzucht führt. Als dritter Nachteil ist zu erwähnen die Sucht, sich in Schmeicheleien und Lobeserhebungen zu ergehen, in denen trügerische Eitelkeit liegt nach den Worten Isaias: "Mein Volk, die dich glücklich preisen, täuschen dich1)." Ohne Zweifel sagt man manchmal die Wahrheit, wenn man die Anmut und Schönheit eines anderen lobend her. vorhebt, aber immerhin wäre es ein Wunder, wenn diese i Worte nicht irgendeinen schädlichen Einflun ausüben würden, sei es, dass sie den Nächsten zu eitler Befriedigung und Selbstgefälligkeit veranlassen, oder in ihm unvollkom. mene Neigungen und Absichten hervorrufen. Der vierte Nachteil ist allgemein; er besteht in einer starken A bstumpfung des Verstandes und der Urteilskraft 1) Is 8, 12. 340

wie bei der Freude an den zeitlichen Gütern, nur in ge- wisser Beziehung in noch höherem Grade. Denn die natür- lichen Güter stehen nut dem Menschen weit inniger in Verbindung als die zeitlichen und der Eindruck der Freude macht sich weit schneller geltend, haftet viel tiefer den Sinnen an und betört den Menschen in höherem MaDe. So bleiben Vernunft und Urteilskraft nicht frei und werden verfinstert durch ihre innige Verbindung mit jener Neigung und Freude und daraus entsteht dann der fünfte Nachteil durch die Zerstreuung des Ge- dächtnisses, will sagen des Geistes in Gedanken an die Geschöpfe. Und aus diesem folgt dann der sechste Nachteil, Lau- heit und Trägheit des Geistes, der auch allgemein ist und groDen Ekel und überdru~ an göttlichen Dingen verur- sacht, bis man schlie~lich sogar Abscheu vor denselben empfindet. Man verliert bei dieser Freude unausbleiblich die Reinheit des Geistes wenigstens im Anfang; spürt man auch noch einigen Eifer. so ist er doch nur grobsinnlich. hat wenig Geistiges an sich und führt nicht zur Innerlich- keit und Sammlung. Er beruht mehr im sinnlichen Wohl- geschmack als in der Kraft des Geistes; denn der Geist ist zu erdhaft und schwach, als da~ er diese habituelle Freuda zu beseitigen vermöchte. Und diese habituelle Unvoll- kommenheit reicht hin, um die geistige Reinheit zu rauben. wenn auch die Akte der Freude nicht frei gewollt sind. Die Folgen eines solchen Lebens zeugen mehr von sinn- licher Schwäche als von Stärke des Geistes. Zumal bei gewissen Gelegenheiten kann man sehen, wie weit es mit ihm gekommen ist. Ich will damit nicht leugnen, da~ trotzdem neben einer Menge von Unvollkommenheiten viele Tugenden bestehen körnten; aber solange man dieser [ Freude nicht entsagt, kann der innere Geist unmöglich 1 rein und von Wonne erfüllt sein. Da hat noch das Fleisch die Oberhand, das im Kampfe liegt mit dem Geist. und 341

wenn auch dieser den Schaden nicht wahrnimmt, so leidet er doch wenigstens an einer geheimen Zerstreuung. Aber ich mu& nochmals auf den zweiten Nachteil zu- rückkommen, da er die Quelle von unzähligen anderen übeln ist. Keine Feder kann sie beschreiben und kein Wort zum Ausdruck bringen; es bleibt immer ein dunkles und verborgenes Geheimnis, wie weit man sich in dieser Hinsicht verirren kann und welch ein Unheil aus der Freude an der natürlichen Schönheit und Anmut entsteht. Daraus entspringen tagtäglich zahllose Mordtaten, Verlust der jungfräulichen Ehre, gewalttätige überfälle, Ver- schwendung von Hab und Gut, Eifersucht und Streit, Ehe- brüche, Notzucht und Hurerei, das sind die unausbleib- lichen Folgen. Ja selbst Heilige stürzen und zwar in sol- cher Zahl, da& sie dem dritten Teil der Sterne gleichkom. men mögen, die durch den Schweif des Drachen vom Him- mel herabgerissen und zur Erde niedergeworfen werdeni). ,,0 wie ist das reine Gold verdunkelt und verblichen sein Glanz und seine Schönheit. Die berühmten und edlen Söhne Sions, die mit dem feinsten Gold bekleidet waren, wie sind sie den irdenen Gefä&en gleich geworden, die in Scherben zerbrochen sind2)." Welch weite Kreise zieht nicht das aus diesem Schaden entstehende Unheil? Wo findet sich jemand, der nicht mehr oder weniger aus dem vergoldeten Kelche des in der Geheimen Offenbarung genannten baby- lonischen Weibes trinkt? Es sitzt auf dem gro&en Tiere, das sieben Köpfe und zehn Hörner hat'), und ruft aus, da& es weder etwas Hohes noch Niedriges, weder einen Hei. ligen noch einen Sünder gebe, dem sie nicht von ihrem Wein zu trinken reiche, um deren Herz irgendwie zu be- rücken. Und es berauschten sich, wie der Apostel sagt, ilIle Könige der Erde vom Weine ihrer Unzucht'). In allen Ständen macht es Errungenschaften, dringt selbst in das erhabene und herrliche Heiligtum des Priestertums ein 1) Offb 12,4. ') Klgl 4,1,2. 8) Offb 17, 3. 4) Offb 17, 2. 342

und stellt ihr fluchwürdiges Gefäß an heiligem Orte auf, wie Daniel sagV). Kaum wird einer stark genug sein, um zu widerstehen, dem sie nicht mehr oder minder zu trinken gibt von dem Taumelkelch des eitlen Sinnengenusses. Dar. um heißt es, daü alle Könige der Erde trunken geworden sind von diesem Kelche. Denn es wird selbst unter den Heiligen nur wenige geben, die durch den Trunk der Freude und des Wohlgefallens an natürlicher Schönheit und Anmut nicht berückt und verwirrt worden wären. Wir müssen bemerken, daß hier vom Berauschtwerden die Rede ist. Sobald man nämlich vom Wein des Sinnen. genusses getrunken hat, fühlt sich das Herz sogleich ge. fangen und vom Taumel erfaut, der Verstand wird um- nebelt, wie es bei den Weintrinkern der Fall ist. Nimmt man nicht sogleich ein Heilmittel wider dieses Gift, um es schleunigst auszustoßen, so befindet sich das Leben der Seele in Gefahr. Die geistige Schwäche nimmt immer mehr zu und stürzt den Menschen in großes Elend. Wie Sam- son, der mit ausgestoch~nen Augen und abgeschnittenem Haupthaar, in dem seine erste Stärke lag, eine Mühle drehen mußte, so sieht sich auch die Seele von Feinden umgeben und verliert schließlich vielleicht ihr geistliches I Leben, wie Samson sein natürliches zugleich mit seinen , Feinden verlor. Dieser Trunk der Freude verursacht gei- stigerweise dasselbe Elend, in das Samson dem Leibe nach stürzte, und in das auch in unseren Tagen gar viele stür- i zen. Einer solchen Seele werden dann die Feinde zu ihrer eigenen Beschämung zurufen, was einst Samson hören mußte: "Bist nicht du es, der dreifach gebundene Stricke. zerriu, der Löwen erwürgte, tausend Philister erschlug, der die Tore aus den Angeln hob und aus den Händen aller Feinde befreite?" Doch wir wolien diesen Gegenstand beschließen und I~~en Anweisungen geben, um dieses Gift unschäd- I) Dn9,'l'l. 343

lich zu machen. Sobald das Herz sich angezogen fühlt von der eitlen Freude an natürlichen Gütern, soll es sich erinnern, wie eitel es sei, an etwas anderem als am Dienste Gottes seine Freude zu suchen, und wie gefährlich und verderblich jede andere Freude sei. Ferner soll sie be- denken, in welches Elend die Engel gerieten, dafJ sie mit Freude und Wohlgefallen auf ihre Schönheit und ihJ"e na- türlichen Gaben blickten. Denn diese Freude war die Ur- sache ihres Sturzes in den schrecklichen Abgrund. Diese Eitelkeit stürzt auch Tag für Tag die Menschen in namen- loses Elend, weshalb sie zur rechten Zeit sich aufraffen sollen, das Heilmittel anzuwenden, auf das der Dichter hin- weist, wenn er von jenen spricht, die diese Neigung in sich erwachen sehen: "Steuere gleich zu Beginn; zu spät \vird Heilung bereitet, ist durch langen Verzug mächtig das übel erstarkt." "Sieh darum", so spricht der weise Mann, "den Wein nicht an, wenn er so gelblich funkelt, wenn seine Farbe im Glase glänzt. Er gleitet lieblich hinab, aber zuletzt beifJt er wie eine Schlange und spritzt sein Gift aus wie ein Basilisk1)." 2~. Kap i tel Vorteile, die die Seele aus dem Verzicht auf die Freude an den natürlichen Gütern zieht. Zahlreich sind die Vorteile, die der geistlichen Seele erwachsen, wenn ihr Herz derlei Freuden entsagt. Abge- sehen davon, dafJ sie sich für die Liebe Gottes und andere .Tugenden empfänglich macht, bereitet sie in sich selbst der Demut sowie der allgemeinen Liebe gegen den Näch. sten eine Heimstätte. LäfJt sich nämlich die Seele in kei. ner Weise von den verfnhrerischen natnrlichen Schein- gntern eines Menschen gefangennehmen, so bewahrt sie ihre Freiheit und den klaren Blick, um alle in vernnnftiger 1) Spr 28, 31. 344

und geistiger Weise zu lieben, wie Gott es verlangt. So kommt sie zur Einsicht, daü kein Mensch der Liebe würdig sei auüer nur der Tugend wegen, die er besitzt. Eine solche Liebe ist ganz nach dem Willen Gottes und frei von jedem Hemmnis. Ist auch schlieülich eine gewisse Anhänglich- keit dabei, so wird dadurch nur die Hingabe an Gott um so intensiver. Und je mehr diese Liebe zunimmt, desto vollkommener wird auch die Liebe zu Gott, und mit dieser steigert sich auch die Liebe zum Nächsten. Be,ide ent. springen ja derselben Quelle und haben die gleiche Grund- lage. Dieser Verzicht hat einen weiteren sehr bedeutungs- vollen Vorteil zur Folge; nämlich man befolgt und erfüllt in vollkommener Weise den Rat des Herrn, der da lautet: "Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst1)." Dies bringt aber die Seele nicht zustande, solange sie ihre Freude an ihren natürlichen Gaben sucht. Denn wer auf sich selbst noch etwas hält, verleugnet sich nicht und folgt auch Christus nicht nach. Durch den Verzicht auf derartige Freuden erwirbt man sich einen weiteren nicht minder groüen Vorteil, näm- lich eine tiefe Seelenruhe und Freiheit von Zerstreuungen, sowie Sammlung der Sinne. besonders der Augen. Will man einmal auf diesen Genuü verzichten, will man die Augen von solchen Dingen wegwenden und auch den Ub- ligen Sinnen keine diesbezUgliche Freiheit gestatten, läüt man sich von ihnen nicht einnehmen und flieht man vor ihnen, dann vergeudet man weder die Zeit, noch gibt man l sich unnUtzen Dingen hin. Man gleicht der klugen i Schlange, die ihre Ohren den Zaubergesängen verschließt, t um nicht ihrem Einflusse zu unterliegen2). Bewacht man die Sinne, diese Tore der Seele, dann ist man gut geschützt und hat um so mehr Reinheit und Ruhe. Einen anderen Gewinn, der nicht minder vorteilhaft ist, ziehen aus dem 1) Mt 16, 24. I) Ps 57,5. 345

Verzicht auf derartige Genüsse jene, die sich in ( übung schon eine Fertigkeit erworben haben. Die u baren Dinge und deren Kenntnis machen auf sie weder Eindruck, noch sind sie Anlaß zur Unreinheit wie bE deren, die immerhin noch Wohlgefallen daran finden Entsagung und der Verzicht auf diese Freuden habe geistige Reinheit der Seele zur Folge, die sich auch Leibe lnitteilt. Geist und Sinne erlangen eine eng] Gleichförmigkeit mit Gott, wodurch Seele und Lei einem würdigen Tempel des Heiligen Geistes gestaltet den. Eine solche Reinheit ist unmöglich, wenn das an den natürlichen Vorzügen und Reizen seine F sucht. Dazu ist nicht notwendig, daß man in etwas U bares einwillige oder daran denke; schon die Freul Verbindung mit der Erkenntnis dieser Dinge reich! um Seele und Sinne zu verunreinigen. Der weise sagt, daß der Heilige Geist ferne bleibt von törichtel sinnungen, d. h. von solchen Gesinnungen, die nicht I höhere Vernunft auf Gott hinzielen. Noch ein anderer allgemeiner Vorteil ist zu erwä Man erwirbt sich nicht bloü die Freiheit von allen angeführten Nachteilen und übeln, sondern man en auch vielen anderen sowohl geistigen wie zeitlichen 1 besonders jener Geringschätzung, der alle jene ver! die sich ihrer natflrlichen Vorzüge rflhmen oder an eigenen oder denen anderer ihr Wohlgefallen finden. aber derlei Vorzflgen keine Beachtung schenkt, so sich nur mit dem befaßt, was Gott gefällt, den hält für verständig und weise; und das ist er auch. Der letzte von all die&en Vorteilen ist die Fr des Geistes, ein überaus erhabenes Gut der Seele, dl den Dienst Gottes unerläßlich ist. Durch diese Fr des Geistes überwindet die Seele leicht die Versuc erträgt mit Geduld die Beschwerden und erstarkt i mehr in der Tugend. 346

III. Teil . Die sinnlimen Güter 23. Kap i tel Dritte Art der Güter, denen der Wille Freude abgewin- nen kann. Es sind das die sinnlichen Güter. Wesen der- selben und ihre Arten. Wie der Wille sich dieser Freude entäußern und sich Gott zuwenden soll. ' Es folgt nu!} die Abhandlung über die dritte Art der Güter, nämlich der sinnlichen, an denen der Wille sein Genügen finden kann. Unter diesen Sinnes-Gütern ver- stehen wir alI. das, was in diesem Leben irgendwie Objekt der Sinnestätigkeit sein kann, und zwar für Gesicht und Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn, sowie auch, was Produkt der nachforschenden Tätigkeit der Einbildungs- kraft ist. Dies alles gehört in den Bereich der inneren oder äu~erlichen körperlichen Sinne. Um nun den Willen zu entäu~ern und zu reinigen von der Freude an den sinn- lich wahrnehmbaren Dingen und ihn durch sie zu Gott zu führen, müssen wir auf eine schon oft angeführte Wahr- heit hinweisen: die obenerwähnten Sinne des minderen Teiles im Menschen sind durchaus unfähig, Gott zu er- kennen und sein Wesen zu fassen. Das Auge kann ihn nicht sehen noch etwas, das ihm gleichkäme, das Ohr kann ihn nicht hören noch auch einen Ton, der ihm eigen wäre; der Geruchsinn ist für einen so süf3en Wohlgeruch nicht aufnahmefähig; der Geschmacksinn vermag eine so er- habene und wonnevolle Süf3igkeit nicht zu kosten; und 347

auch der Gefühlssinn ist nicht fähig zur Aufnalune einer so zarten und wohltuenden Berührung, die ihm eine Idee von Gott geben könnte. Weder das Denkvermögen noch die Einbildungskraft vermag sich eine Form oder Gestalt von ihm zu bilden nach den Worten Isaias: "Kein Auge hat ihn gesehen, kein Ohr gehört, und in kein Menschen- herz ist es gekommenl)." Dabei ist zu bemerken, daß die Sinne Genuß und Ergötzen finden können entweder von seiten des Geistes mittels einer ihm von Gott innerlich zu- i teil gewordenen Gunstbezeigung, oder von seiten der äußerlichen Dinge, die zu den Sinnesorganen in Beziehung kommen. Aber, wie schon erwähnt, kann der sinnliche Teil weder auf dem Wege des Geistes noch der Sinne Gott erkennen. Seine Befähigung reicht nicht so weit, und so empfängt er die Geistes- und Verstandesmitteilungen auf sinnliche Weise und nicht anders. Wenn sich darum der Wille an dem dnrch eine dieser Wahrnehmungen hervor- gerufenen Genuß erfreuen wollte, so wäre das zum min- desten ein nutzloses Unterfangen, seine Kraft wäre ge. lähmt, und er könnte sieh nicht mit Gott beschäftigen und in ihm allein seine Freude finden. Dieses Glück wird ihm nie vollständig zuteil, außer er tritt ins Dunkel ein und reinigt sich von all diesen Freuden. Ich sage mit Bedacht, daß es zur Eitelkeit führen würde, wollte er an einem der genannten Gegenstände seine Freude suchen. Hält sich aber der Wille dabei nicht auf und richtet er, sobald er durch Sehen, Hören und Empfinden usw. einen Genuß ver- spürt, seine Freude auf Gott, so ist, da er Ursache und Ziel dieses Aktes ist, dieser selbst ein sehr guter. In die. sem Falle ist es nicht notwendig, die Eindrücke, die ihn zur Andacht und zum Gebete stimmen, von sich zu weisen, vielmehr kann und soll man sich derselben zu dieser hei. ligen übung des Gebetes bedienen; denn es gibt Seelen, die sieh durch solche sinnenfällige Gegenstände in be- ,) 1964,4; 1 Kor 2,9. 348

sonderer Weise zu Gott hingezogen fühlen. Man muß je- doch hier mit Klugheit zu Werke gehen und die Wirkun- gen im Auge behalten, die sich daraus ergeben. Gar oft überlassen sich viele geistliche Seelen der genannten Be- friedigung der Sinne, angeblich um sich dem Gebete und Gott hinzugeben, während sie dabei im Grunde genommen mehr der Unterhaltung als des Gebetes pflegen und so mehr sich selbst befriedigen als Gott gefallen. Scheint auch die Absicht auf Gott gerichtet zu sein, so ist doch die Wirkung eine sinnliche Befriedigung, die den Willen schwächt, statt ihn zur vollko~menen Hingabe an Gott anzuregen. Ich möchte darum hier eine Regel aufstellen, nach der man beurteilen kann, wann diese sinnlichen Ge- nüsse förderlich sind und wann nicht. Sooft man eine Musik oder sonst etwas dem Ohre Wohltuendes hört, sooft man lieblichen Wohlgeruch empfindet, angenehme Dinge . kostet und etwas berührt, was dem Gefühlssinn schmei- chelt, die Erkenntnis und Neigung des Willens gleich bei der ersten Regung Gott zuwendet, so da& er an dieser Erkenntnis mehr Freude findet als an dem sinnlichen Be. weggrund und er sich desselben nur zu diesem Zwecke bedient, dann ist das ein sicheres Zeichen, da& die sinn- liche Anregung dem Geiste förderlich und nOtzlich ist. Auf diese Weise darf man sich der sinnlichen Dinge be. dienen, da ein solcher Gebrauch dem von Gott gewollten Zweck entspricht; denn er hat sie geschaffen und uns ge- geben, damit wir ihn dadurch besser erkennen und lieben. Man muD hier wohl bemerken, da& derjenige, bei dem diese sinnlichen Dinge die genannte rein geistige Wirkung hervorbringen, dem GelOste nach denselben widersteht und kein Auge dafOr hat, selbst wenn er die mächtigen Reize derselben empfindet. Er hält sie für göttlichen Genu&, der ihm daraus erwächst. Aus diesem Grunde gibt er sich keine MOhe, sie zu suchen, und wenn sie verlockend vor ihn hintreten, macht sich der Wille sogleich frei von ihnen, 349

weist sie von sich und wendet sich Gott zu. Der Grund, warum die Seele diesen sinnlichen Anregungen, selbst wenn sie den Weg zu Gott öffnen, nicht viel Aufmerksam- keit schenkt, ist der: der Geist hat sich die Fähigkeit er- worben, in allen Dingen und unter allen Verhältnissen sich Gott zuzuwenden; er ist so durchdrungen, so befriedigt und so voll des Geistes Gottes, daß er sie weder gering achtet noch danach Verlangen trägt; und wenn auch die Begierde danach in ihm rege wird, so geht er schnell dar- über hinweg, sucht diesen Eindruck zu vergessen und legt ihm keine Bedeutung bei. Wer dagegen diese Freiheit des Geistes in den ge- nannten sinnlichen Dingen und Genüssen nicht in sich fühlt, sondern seinen Willen ihnen hingibt und darin sein Genügen sucht, der zieht daraus keinen Nutzen und muss sich des Gebrauches derselben entschlagen. Und wenn er auch die Absicht hat, sich derselben auf seinem Wege zu Gott in vernunftgemäßer Weise zu bedienen, so sind sie ihm doch mehr zum Hindernis, denn zur Förderung, mehr zum Nachteil als zum Segen, sobald sich das Gelüsten sinnlich daran ergötzt; denn die Wirkung entspricht immer dem Genuß. Und merkt man, daß das Gelüste nach sol- cher Befriedigung vorherrschend ist, so beneiße man sich der Abtötung; denn je mehr dasselbe erstarkt, desto schwächer und unvollkommener wird man. Darum muss sich die geistliche Seele, sooft ein Sinnenreiz, sei es zu- fällig oder beabsichtigt, vor sie tritt, desselben bedienen, um sich zu Gott zu erheben und so ihre Freude zu einer nützlichen und vollkommenen zu gestalten. Sind al\ ihre Freuden nicht. von dieser Art, verleugnet und weist sie nicht jede andere Freude zurück, so erhaben sie auch dem Anscheine nach sein mag, so ist diese Befriedigung eine eitle und unnütze und hinderlich für die Vereinigung des Willens mit Gott. 350

2'. Kap i tel Nachteile für die Seele, wenn der Wille seine Freude an den sinnlichen Gütern sucht. Wenn die Seele die durch die sinnlichen GOter her- vorgerufene Freude nicht alsogleich unterdrOckt und auf Gott hinrichtet, dann zieht sie sich all die gemeinsamen Nachteile zu, die, wie schon erwähnt, in jeder anderen Art von Freude ihren Grund haben: nämlich Verfinsterung des Verstandes, Lauigkeit und Ekel des Geistes. überdies er. wachsen ihr aus dieser Freude noch im besonderen und direkt viele andere Nachteile, sowohl geistige wie körper- liche oder sinnliche. In erster Linie rutt diese Freude an den sichtbaren Dingen, wenn man sich ihrer nicht zum Aufstieg des Her- zens zu Gott bedient, als direkte Folge Eitelkeit der Seele, Zerstreuung des Geistes, ungeordnete Begierlichkeit, Un- ehrbarkeit, innere und äußere Ausgelassenheit, unreine Gedanken und Regungen des Neides hervor. Die Befriedigung des Gehörsinnes durch unnotze Worte erzeugt direkt Zerstreuung der Einbildungskraft, Geschwät- zigkeit und Neid, vermessenes Urteilen, geistigen Wan- kelmut und noch viele andere sehr verderbliche Nachteile. Die Freude an sOßen WohlgerOchen erzeugt Wider- willen beim Anblick von armen Menschen, was dem Geiste Jesu Christi zuwider ist; sie steht im Widerspruch mit der Unterw6rfigkeit und Hingabe des Herzens an niedrige Dienste und bewirkt geistige GefOhllosigkeit, wenigstens im Verhältnis zur Macht des GelOstens. Die Freude an köstlichen Gerichten rohrt direkt zu Fraß und Völlerei, zu Zorn, Zwietracht, Erkaltung der Liebe gegen den Nächsten und die Armen. Dies war der Fall bei jenem reichen Prasser, der alle Tage herrliche Gelage hielt und den Lazarus verachtetel). Daraus ent- I) Lk 16, 19. 351

stehen Zerrüttung des Körpers, Krankheiten und unehr. bare Regungen, und mehren sich die Reize zur Unzucht. Diese Freude erzeugt ferner direkt grone Stumpfheit des , Geistes, verdirbt den Geschmack an geistlichen Dingen der- , art, dass der Seele jede fromme übung widerstrebt, dass sie sich nicht mehr damit befassen und auch nicht darüber sprechen will. Schlienlich verursacht sie auch Zerstreuung der übrigen Sinne und des Herzens und führt vielfach zur Unzufriedenheit. Die Freude, die aus der Berührung angenehmer Dinge entsteht, erzeugt noch viele andere, weit verderblichere Nachteile. In kurzer Zeit bringt sie die Sinne und den Geist vollkommen in Unordnung und zerstört ihre Kraft und Lebensfrische. Daraus entwickelt sich jenes verab. scheuungswürdige Laster der Weichlichkeit oder die Nei- gung dazu, je nach der Heftigkeit dieser verkehrten Freude. Sie nährt die Unkeuschheit, macht die Seele weichlich und furchtsam, die Sinne verführerisch und süDlich, stets be. reit zum Sündigen und Schadenstiften. Sie erfüllt da.~ Herz mit eitler Ausgelassenheit und Lustbarkeit, führt zur Ausgegossenheit der Zunge und Frechheit in Blicken, be, täubt und stumpft auch die übrigen Sinne ab je nach dem Grade der Leidenschaft. Sie verwirrt die Urteilskraft , und reint sie zu geistigen Torheiten und Albernheiten hin. In sittlicher Beziehung erzeugt diese Freude Kleinmut und Unbeständigkeit, verdunkelt die Seele und schwächt das Herz und macht es furchtsam, wo nichts zu fürchten ist. Aus dieser Freude entspringt gar oft auch der Geist der Verwirrung und der Gefühllosigkeit des Gewissens und Geistes. Dadurch wird der Verstand sehr geschwächt und gerät in eine Verfassung, in der er weder einen Rat annehmen noch geben kann und unempfänglich wird für das geistige und sittliche Gute, unnotz wie ein zerbroche. nes Gel!n. 352

All diese Nachteile, die sich aus dieser Art von Freude herleiten, sind für die einen mehr, rar die anderen minder schädlich. Ihre größere oder geringere Auswirkung hängt von der Leidenschaftlichkeit dieser Freude sowie auch von

der Empfänglichkeit, Schwäche und Unbeständigkeit des

f Subjektes ab, das von dieser Freude eingenommen ist. Manchen Naturen erwächst aus geringfügigem Anlaß ein größerer Schaden als anderen aus einem bedeutenden. Ein kurzes Wohlgefallen des Gefühlssinns hat oft dieselben bedauernswerten Wirkungt'n und Folgen, wie wir sie bei Besprechung der Freude an den natürlichen Gütern dar- gelegt haben. Ich übergehe sie deshalb und erwähne nur noch kurz andere Nachteile, wie z. B. die Vernachlässi- gung der geistlichen übungen und der körperlichen Buß- strenge, sowie auch den Mangel an Andacht beim Empfang [, der Sakramente der Buße und des Altares. i~5. Kap i tel Geistige und zeitliche Vorteile, die der Seele aus dem Verzicht auf die Freude an den sinnlichen Gütern er- Iwachsen. Staunenswert sind die Vorteile, die der Seele aus dem '. Verzicht auf diese Freuden erwachsen; sie sind teils gei- stiger, teils zeitlicher Art. Der erste Vorteil, den sich die Seele durch ihre Ab- kehr von den Sinnesfreuden erwirbt, besteht darin, daß sie wieder erstarkt im Kampfe gegen die Zerstreuungen, in die sie durch allzugroße Betätigung der Sinne gefallen, i und sich in Gott sammelt. Der Geist erhält aufs neue seine Kraft, und die erworbenen Tugenden nehmen dauernd zu. Der zweite geistige Vorteil, der sich aus dem Wider- stande gegen die Sinnesfreuden ergibt, besteht in einer erhabenen Umgestaltung. Wir können in Wahrheit sagen, dass der sinnliche Mensch ein geistiger, der tierische ein 353

vernünftiger und das Menschliche der Engelsnatur ähnlic~ wird; das Zeitliche und Irdische wird in Göttliches un~ Himmlisches usw. verwandelt. Wie ein Mensch, der seill Vergnügen und seine Freude nur in sinnlichen DingeIl sucht, keinen anderen Namen verdient als den eines sinn- lichen, tierischen und irdischen, so erwirbt er sich VOll dem Augenblicke an, ,vo er auf die Sinnes freuden verzich. tet, das Anrecht, ein geistiger und himmlischer Mensc~ usw. genannt zu werden. Diese Wahrheit leuchtet VOll selbst ein. Die Tätigkeit der Simle und die Kraft der Sinnlichkeit stehen ja, wie der Apostel sagt. im Wider. spruch mit der Betätigung und Kraft des Geistes1). Wenll darum die Kräfte der einen abnehmen und schwächer werden, mehren sich und erstarken die anderen, die nicht zunehmen konnten, solange die ersteren hindenld im Wege standen. In dem Maf~e, als der Geist sich vervollkommne~ der als höherer Teil der Seele die Fähigkeit hat mit Gott in Verbindung zu treten, ,'erdient er all die genannten Be- zeichnungen; er vervollkommnet sich in den geistigen und himmlischen Gütern und Gaben. Wir können beides aus .den Worten des heiligen Paulus beweisen; den sinnlicheIl Menschen, dessen Wille sich nur mit dem Sinnlichen be. schäftigt, nennt er einen tierischen Menschen, weil er die göttlichen Dinge nicht erfasst, während er jenen, der seinen Willen zu Gott erhebt, den Namen eines geistigen Men. schen gibt, der alles durchdringt und selbst die Tiefen der Gottheit beurteilV). So erwirbt sich die Seele einen be. wunderungswerten Vorteil, der sie in besonderer Weise zur Aufnahme der göttlichen Güter und geistigen Gaben befähigt. Der dritte Vorteil zeigt sich darin, dass der Genua und die Befriedigung des Willens als zeitliche Belohnung in hohem Ma6e zunimmt. Der Heiland hat ja gesagt, dar, er schon in diesem Leben hundertfach vergelten werdea). I) Ga15,17. ,) 1 Kor 2, 14j 15,10. 3) Mt 19, 29. 354

Für den Verzicht auf eine einzige i"reude wird dir der Herr schon in dieser Welt in geistiger und zeitli~her Hinsicht Hundertfältiges geben, wie dir auch aus dem freiwilligen GenuD einer einzigen Sinnes freude hundertfaclie Qual und Ekel erwAchst. Ist das Auge gereinigt von jeder eitlen Freude am Genusse des Schauens, so geniefit die Seele eine geistige Freude und ist in allem, was sie sieht, sei es Menschliches oder Göttliches, auf Gott gerichtet. Ist das Ohr gereinigt von allem, was die Seele freudig durch den . ! Gehörsinn aufnimmt, so empfindet sie hundertfach soviel r geistige Freude und bleibt bei allem, was sie hört, ob Göttliches oder Menschliches, mit Gott verbunden. Das gleiche gilt auch von den übrigen Sinnen, wenn sie ge- läutert sind. Wie unseren Stammeltern im Paradiese im Stande der Unschuld alles, was sie sahen, redeten, af~en usw. zur Vermehrung des Wonnegenusses der Beschauung diente, da der sinnliche Teil der Vernunft unterworfen und von ihr geregelt war, so wird auch dem, der seine Sinne geläutert und in allen sinnlichen Dingen dem Geiste unter- worfen hat, schon bei der ersten Regung die Wonne des liebenden Aufmerkens auf Gott und der Beschauung zu- teil. Dem Reinen dient alles, sowohl himmlische w;e ir- dische Dinge, zum Besten und zu gröBerer Reinheit, wäh- rend der Unreine in folge seiner Befleckung aus dem einen wie dem anderen Verderben zieht. Wer daher den Reiz des Gelüstens nicht überwindet, dem bleibt die unbefangene Freude an Gott, die man gewöhnlich an seinen Geschöpfen und Werken findet, unbekannt; wer aber kein Sinnenleben mehr führt, verwendet die ganze Tätigkeit seiner Sinne und Vermögen auf die göttliche Beschauung. Denn nach der gesunden Lehre der Philosophie ist .iedes Ding seinem Sein oder Leben entsprechend tätig. Wßnn darum die Seele ein geistiges Leben lebt und das sinnliche ertötet hat, so gibt es in der Tat keinen Widerstreit mehr in ihr; ihre Handlungen und Regungen sind durch ihre geistige 355

Betätigung geistig geworden, und sie kann sich in allem nur Gott zuwenden. Daraus folgt, dass ein solcher Mensch, der ein reines Herz besitzt, aus allen Dingen eine beseli. gende und wonnevolle, eine keusche, reine und geistige, eine freudige und liebende Erkenntnis Gottes schöpft. Aus dem Gesagten ziehe ich folgende Lehre: Solange der Mensch seine Sinne nicht an die vollständige Reinigung von der sinnlichen l"reude gewöhnt hat und sich derselben, wie schon erwähnt, nicht in der Weise bedient, daß er schon bei der ersten Regung in allem sein Geistesauge auf Gott gerichtet hält, solange mub er auf die Freude ver. zichten oder, besser gesagt, das Wohlgefallen unterdrücken, damit er die Seele vom sinnlichen Leben befreie. Da er noch nicht geistig ist, mub er in Furcht sein, er möchte etwa aus dem Gebrauche dieser Dinge den Sinnen mehr Nahrung und Kraft zuführen als dem Geiste; denn die sinn. liche Kraft ist bei seiner Tätigkeit noch vorherrschend und erhöht, unterhält und nährt die Sinnlichkeit. "Was aus dem Fleische geboren ist", spricht unser Heiland, "ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist GeisV)." Möge man diese Wahrheit recht tief beherzigen. Wer dar. um das Wohlgefallen an sinnlichen Dingen noch nicht er. tötet hat, maüe sich nicht an, von der Kraft und Tätigkeit der Sinne einen guten Gebrauch machen und dem Geiste zur Erstarkung behilflich sein zu können. Die Kräfte des Geistes nehmen ohne die Mitwirkung der sinnlichen Ver. mögen mehr zu, als wenn man sich derselben bedient, mit anderen Worten, sie wachsen durch den Verzicht auf die Freude und auf das Gelüsten nach dem Sinnlichen. Von den Gütern der Glorie, die im anderen Leben den Lohn für die Entäuoorung der Sinnes freuden bilden, brau. chen wir hier nicht zu sprechen. Aber abgesehen davon. daü die leiblichen Gaben der Glückseligkeit, als da sind Beweglichkeit und Klarheit, bei diesen weit erhabener I) Job s, 6. 356

sind als bei jenen, die dieser Freude nicht entsagt haben, entspricht auch die wesentliche Vermehrung der Glorie dem Grade der Liebe Gottes, mit der sie auf diese Freude verzichtet haben. Denn jede augenblickliche und vorüber- gehende Freude, der man entsagt, bewirkt, wie der heilige Paulus bemerkt, eine ewige, alles überwiegende Herrlich- keitI)." Ich übergehe die übrigen sittlichen, zeitlichen und gei- stigen Vorteile, die diese Nacht der Freude zur Folge hat, da sie die gleichen sind, welche wir bei Behandlung der anderen Arten von Freuden angeführt haben; allein ihrem Wesen nach sind sie weit erhabener. Denn diese Freuden haben für unsere Natur einen viel größeren Reiz, und so erwirbt man sich auch durch die Entsagung derselben eine viel höhere Herzensreinheit. 1) 2 Kor 4, 17. 357


IV. Teil Die sittlidten Güter 26. Kap i tel Beginn der Abhandlung über die sittlichen Güter. Wesen derselben. Inwiefern darf der Wille daran seine Freude suchen? An vierter Stelle kommen die Güter der sittlichen Ord. nung in Betracht, an denen der Wille sich erfreuen kann. Wir verstehen darunter die Tugenden und erworbenen Fähigkeiten, insofern sie sittlicher Natur sind: nämlich die übung jeglicher Tugend, die übung der Werke der Barm. herzigkeit, die Beobachtung des göttlichen und weltlichen Gesetzes und die Betätigung einer glücklichen Naturanlage und angeborenen Neigung. Besitzt und betätigt man diese Güter, dann wohnt ihnen ein Wert inne, der dem Willen vielleicht ein weit höheres Anrecht verleiht, sich daran zu erfreuen, als die drei anderen schon .erwähnten Arten von Freuden. Der Mensch kann sich dieser Güter nur aus einem der zwei hier folgenden Gründe oder aus beiden zugleich erfreuen. Entweder wegen des eigenen inneren Wertes oder wegen des Gutes, das sie als Mittel und Werkzeug dem Menschen verschaffen. Und so finden wir, daß der Besitz der drei schon erwähnten Güter keinen so hohen Wert in sich schlieöt, da& sie den Willen zur Freude stimmen. Betrachtet man sie in sich selbst, so bilden sie in keiner Weise für den Menschen ein Gut; ebensowenig sind sie fähig, ihm ein Gut zu verschaffen, da sie so hin. 358

fällig und vergänglich sind. Vielmehr verursachen und be- reiten sie ihm Pein, Schmerz und Betrübnis des Geistes. Wenn sie auch infolge des zweiten Grundes eine gewisse Beachtung verdienen, insofern sie dem Menschen behilf. lich sind, sich zu Gott zu erheben, so ist dies doch sehr unsicher, da sie ihm gewöhnlich mehr s.chaden als nützen. Die sittlichen Güter aber verdienen schon des ersten Grundes wegen, um ihres inneren Wertes ".illen, das Wohl- gefallendes Besitzers. Sie erzeugen Friede und (tuhe, die Vernunft wandelt mit ihrer Hilfe die rechten Wege und bleibt infolge ihrer wohlgeordneten Wirksamkeit innerhalb der richtigen Schranken. Deshalb kann der Mensch mensch. lich gesprochen hienieden nichts Besseres sein eigen nen- nen als sie. Und weil die Tugcnden um ihrer selbst willen Wertschätzung und Liebe verdienen, so kann der Mensch- menschlicher\veise gesprochen -mit Recht sich ihres Besitzes und ihrer Wirksamkeit erfreuen, und dies sowohl wegen ihres inneren Wertes als auch um der Vorteile willen, die sie ihm seiner mensc.hlichen Natur nach und in zeitlicher Hinsicht verschaffen.. Aus diesem Grunde ha. ben die Philosophen, Weisen und Fürsten des Altertums die Tugenden geschätzt und mit Lobsprüchen verherrlicht; obwohl sie Heiden waren, gaben sie sich Mühe, in den Be- sitz derselben zu gelangen, und übten sie im Werke. Sie hatten einzig nur den zeitlichen Nutzen dieser Güter im Auge, nämlich ihren materiellen, zeitlichen und natürlichen Wert; sie zogen daraus nur zeitliche Vorteile und irdischen Ruhm, den sie anstrebten, aber Gott. der das Gute auch bei den Heiden und Barbaren liebt und kein gutes Werk ver. hindert, wie der Weise sagt, belohnte sie dafnr1). Er schenkte ihnen langes Leben, Ruhm, Herrschaft und Frie- den. Die Geschichte der Römer zeigt uns das; sie lebten nach gerechten Gesetzen, und Gott unterwarf ihrer Herr- schaft fast die ganze Welt. Da sie ihres Unglaubens wegen I) Wei8h7,~. 359

keinen Anspruch auf ewigen Lohn erheben konnten, ver. galt ihnen Gott ihren geordneten Lebenswandel mit zeit. lichem Segen. Gott liebt nämlich diese sittlichen Güter so sehr, dass er der Bitte Salomons sehr gerne entgegenkam, als er ihn um Weisheit bat, um sein Volk im sittlich Guten unterweisen und gerecht regieren zu können. Er sprach zu ihm: "Weil du zu diesem Zwecke um Weisheit gebeten hast, werde ich sie dir geben, ja noch mehr, als du gebeten, Reichtum und Herrlichkeit, so dass kein König weder vor noch nach dir dir gleich sein wird1)." ~Auch der Christ darf sich dieser ersten Ursache wegen der sittlichen Güter und guten Werke freuen, die er in diesem Leben vollbringt, weil sie ihm nämlich die genann. Wert hat. Darum muss ,er einzig und in erster Linie um der zweiten Ursache willen sich des Besitzes und der Aus. Obung des sittlich Guten erfreuen, indem er seine Werke vollbringt aus Liebe zu Gott und des ewigen Lebens willen. Und so wird er sein Auge immer auf den Dienst Gottes richten und sich freuen, ihn durch sein sittliches Betragen und Tugendleben zu verherrlichen. Ohne diese Absicht hat die Tugend vor Gott keinen Wert, wie wir aus der Parabel von den zehn Jungfrauen im Evangelium sehen. Sie alle hatten die Jungfräulichkeit bewahrt und gute Werke voll. bracht, während fOnf von ihnen, indem sie den zweiten Beweggrund ihrer Freude außer acht ließen, nicht alles Gottes wegen getan hatten. In ihrer Eitelkeit waren sie mit dem ersten Beweggrund ihrer Freude zufrieden und brüsteten sich mit ihren guten Werken; und deshalb wur. 1) 8 Kg 8, 11.12. 18 360

den sie vom Himmel ausgeschlossen, ohne von ihrem Bräu- tigam Dank oder Lohn zu empfangen. So besanen auch viele der alten (Heiden) manche Tu. genden und vollbrachten guten Werke; auch in unseren Ta- gen zeichnen sich viele Christen durch gute Werke aus und vollbringen oft. Grones, aber dies alles nützt ihnEjn nichts fürs ewige Leben, wenn sie dabei nicht einzig und allein die Ehre und Verherrlichung Gottes im Auge haben, wenn nicht die Liebe alles beherrscht. Der Christ darf daran nicht seine Freude finden, dar. er gute Werke ver- richtet und sich eines wohlgesitteten Lebenswandels be. fleißt, sondern dass er mit Ausschluß jeder anderen Ab- sicht in allem aus Liebe zu Gott handelt. Der Lohn in der ewigen Glorie wird um so größer sein, je mehr man bei Verrichtung seiner Werke den Dienst Gottes im Auge hat, aber auch die Beschämung vor Gott wird sich um so emp- findlicher geltend machen, je mehr man sich von anderen Beweggründen leiten ließ. Um nun die Freude am sittlich Guten auf Gott zu rich. ten, soll der Christ bedenken, dass der Wert seiner guten Werke, seiner Fasten, seiner Almosen, Bunübungen und Gebete usw. sich nicht gründe auf die Menge und Be- schaffenheit derselben, sondern allein auf die Liebe zu Gott, die sie hervorgebracht. Diese Werke sind um so ver. dienstlicher, je reiner und vollkommener die Liebe zu Gott ist, mit der sie vollzogen werden, je mehr sein eigenes Ich zurücktritt und je weniger er Freude und Genuß daran findet, oder nach Trost und Lob hascht. Und darum darf der Christ nicht die eigene Befriedigung seines Herzens suchen noch auch Trost, Ergötzung und andere Vorteile, die eine Begleiterscheinung der guten Werke und frommen übungen sind. Seine einzige Freude sei, Gott zu dienen, ohne etwas für sich zu verlangen. Er soll jede andere Freude von sich weisen und im Dunkeln bleiben mit dem Verlangen, Gott allein möge daran sein Gefallen finden, 361

während er selbst im Verborgenen das Glück kostet, keine andere Absicht und kein anderes Ziel zu haben als die J Beförderung der Ehre und Verherrlichung Gottes. Auf 1 diese Weise wird der Christ die ganze Kraft seines Willens bezüglich dieser sittlichen Güter auf Gott hinrichten. 27. Kap i tel Sieben Nachteile, die aus der Freude des Willens am ~sittlich Guten entspringelL Die Hauptnachteile, die dem Menschen aus der ver. kehrten Freude an seinen guten Werken und seinem sitt. lich gtrten Retrarren eJ'wlll'h"en können. kann mAn in !1pn 'und Anmanung. Manche können sich Ihrer Werke nicht freuen, ohne sie hochzuschätzen; und daraus entstehen dann Prahlerei und sonstige Unarten, wie es vom Phari. säer im Evangelium zu lesen, der betete und sich bei Gott in Gunst zu setzen suchte, indem er sich mit seinem Fa. sten und anderen guten Werken brüstetet). Der zweite Nachteil ist gewöhnlich eine Folge des ersten. Man hält andere fQr schlecht und unvollkommen, weil sie anscheinend nicht so viel Gutes tun und nicht so vollkommen handeln. Man trägt gegen sie Geringschätzung im Herzen und bekundet das manchmal auch in Worten. Dieses Laster hatte nuch der Pharisäer an sich, der sich im Gebete also ausdrQckte: "Herr, ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Menschen, wie die Räuber, die Unge- rechten und Ehebrecher2)." So schädigte er sich durch einen einzigen Akt auf zweifache Weise: durch Selbstüber. hebung und Verachtung anderer. Auch in unseren Tagen I) Lk 18, 12. I) Lk 18, 11. 362

gibt es viele, die da sprechen: Ich bin nicht wie der oder der; ich tue nicht dies oder das, wie dieser oder jenl'r. Ja viele derselben sind noch schlimmer als der Pharisäer. Dieser schätzte die ganze Welt gering und bezeichnete nur einen einzigen, indem er sagte: "Ich bin nicht wie dieser Zöllner', jene hingegen, damit noch nicht zufrieden, ge- raten sogar in Zorn und werden von Neid ergriffen, wenn sie sehen, daß andere gelobt werden oder besser sind und mehr gelten als sie. Der dritte Nachteil zeigt sich darin, daä man bei sei- nen Werken nur auf den Reiz sieht, den sie in sich bergen. Man vollbringt sie gewöhnlich nur, wenn sie einem zusagen und wenn man dadurch Lob zu ernten hofft. Und so hrt man alles. um, wie Christus sagt, "von den Menschen ge. sehen zu werden." Ut videantur ab hominibus1). Für solche ist Gott nicht das alleinige Ziel ihres Han'delns. Der vierte Nachteil ergibt sich aus dem ~ritten. Man kamt unmöglich von Gott Vergeltung er\\'arten, wenn man in diesem Leben nur Freude und Trost sucht oder Selbst- verherrlichung oder andere Interessen verfolgt. Von sol- chen sagt unser Heiland: "Sie haben ihren Lohn schon empfangen:!)," Und so bleibt ihnen nur die Beschwerde bei ihren Werken; ohne Aussicht auf Beloh.nung müssen sie beschämt abziehen. In dieser Beziehung herrscht gro- äes Elend bei den Menschenkindern. Nach meiner Ansicht ist d~r gröäte Teil ihrer Werke, die sie vor den Augen der Menschen vollbringen, entweder sündhaft oder wert- los oder doch unvollkommen und mangelhaft vor Gott, weil sie bei Verrichtung derselben nicht frei sind von Selbstsucht oder menschlichen Rücksichten. Was soll man von so manchen Werken und Stiftungen halten, die man nur vollzieht und in die Wege leitet, um sich dadurch Ehre und Achtung vor den Menschen zu verschaffen? Aus purer Eitelkeit ,,-ollen sie ihren Namen. ihr Geschlecht "nd ihre ') Mt~, 5. I) Mt 6, 2. 363

Herrschaft verewigt wissen, und sie bringen sogar ib Wappen und Bilder in den Gotteshäusern an, gleich.~ um dort ihr Heiligenbild aufzustellen, damit jedermal vor ihm das Knie beuge. Alle diese Werke scheinen dJI auf hinzuweisen, dafJ sich manche höher schätzen als GIJ selbst. Und dies ist in der Tat so, wenn sie keine ande Absicht dabei hatten und nur aus diesem Grunde solcl Stiftungen vollzogen haben. Doch lassen wir diese, die zu den schlimmsten g hören! Wie viele andere gibt es nicht, die in mancher] Weise aus ihren Werken Schaden ziehen! Die einen w( len, dar~ man sie lobt, die anderen, dafJ man sich ihru dankbar erweise, andere wieder erzählen ihre Taten UI lIer anaere er~treVel1 JJe1u~ "U'51~CI1. 1J~ IlelUI. J11d.11 "~1 Werke vor sich ausposaunen, wie der Herr im Evangeliu sagt; da." tun die Toren, die von Gott keinen Lohn für ih Werke zu erwarten haben1). Will man diesem übel entgehen, dann muss man vii mehr seine Werke verbergen, damit nur Gott sie sehe, U wünsche, dafJ niemand sie beachte. Man soll sie sowc vor allen anderen Mensch~n, ganz besonders aber vor si selbst verborgen halten, d. h. man darf sich nicht da! selbst gefallen und sie als etwas Besonderes ansehen no auch sein Ergötzen daran suchen, wie es im EvangelilJ heifJt: "Deine Linke soll nicht wissen, was deine Rec~ tut2)." Diese Worte haben geistigerweise aufgefafJt d Sinn: Beurteile deine geistigen Werke nicht mit irdischE und fleischlichem Auge! Auf diese Weise wird die Kr; des Willens auf Gott gerichtet und das Werk bringt Fruc vor ihm. Sonst geht nicht blo~ das Werk verloren, SIJ t)Mt 6, 2.. I) Mt 6, 3. 364

dern man versündigt sich auch noch im Herzen durch Prahlerei und Eitelkeit vor Gott. In diesem Sinne ist auch die Stelle im Buche Job aufzufassen: "Wenn ich meine Hand zum Kua an meinen Mund geführt und mich im stillen gefreut hätte, so wäre das ein übergroaer Frevel1)." Die Hand versinnbildet hier das Werk und der Mund den 'i Willen, der sich daran erfreut, Eine solche Handlungs- 11 weise wäre, ,vie schon erwähnt, Selbstgefälligkeit, was ~ durch die Worte zum Ausdruck gebracht wird: ..,Wenn ii mein Herz sich im stillen gefreut hAtte", das wäre also nach den Worten Jobs eine groae Ungerechtigkeit, E'ine Verleugnung Gottes. Denn ein Werk sich selbst zueignen und zuschreiben, heint dasselbe .Gott entziehen, der der Urheber eines jeden guten Werkes ist. Lucifer hat so ge- handelt; er fand Wohlgefallen an sich selbst und entzog dadurch Gott, was ihm gebührte, um sich selbst zu er. höhen; und das war sein Verderben, Der fünfte Nachteil besteht darin, daa solche Seelen nicht vorwärtskommen auf dem Wege der Vollkommen- heit. Da sie nur den Trost und Genua bei ihrer eigenen Tätigkeit suchen, so werden sie, sobald sie bei ihren Wer. ken und t'bungen nicht mehr diese Befriedigung finden, mutlos und verlieren die Beharrlichkeit; denn diese ist nicht immer getragen vom Genua beim Handeln. Für ge- wöhnlich gibt Gott jenen, die er vorwärts bringen will, das u'ockene Brot der Vollkommenen und entzieht ilmen die Milch der Kinder. Er will da ihre Kraft erproben und ihren feinen Geschmack läutern, damit sie imstande sind, das Brot der Starken zu essen. So kann man jene Worte des weisen Mannes im geistigen Sinne verstehen: ..,Die toten , Fliegen verderben die Lieblichkeit der Salbe2)." Sobald 1 sich nämlich solchen Seelen ein Anlaa zur Abtötung bietet, ersterben sie in ihren guten Werken, geben dieselben auf I) Job 81, ~-~, '> Pro 10,1. 365

und verlieren die Beharrlichkeit, in der die Süoigkeit des Geistes und der innere Trost beruht. Als sechSter Nachteil ist zu erwähnen, dass solche Personen gewöhnlich Täuschungen ausgesetzt sind, indem sie übungen und Werke, die ihnen gefallen, für besser halten als jene, die ihnen miofallen. Und so rühmen und preisen sie die einen, während sie die anderen verwerfen und mioachten. Doch für gewöhnlich sind für die geistliche Seele, besonders wenn sie in der Vollkommenheit nicht weit vorangeschritten ist, jene Werke, die sie mehr über- ~windung kosten, weit kostbarer und angenehmer vor Gott ,.; infolge der Selbstüberwindung, die sie fordern, als andere, bei denen sie Trost und leicht sich selbst suchen kann. r~"\ ;~~;" ~i";eisÜkh;~' &~le~ '~i~ 'b~i 'Oswald (Diskussion)öhnlichen Gläu- bigen ist. Ja ich behaupte, dass man kaum einen findet, der sich bei seinen Werken einzig von der Liebe zu Gott bestimmen läDt, ohne sein persönliches Genügen, seinen Trost, seine Befriedigung oder ein anderes Interesse im Auge zu haben. Der siebente Nachteil zeigt sich darin, daü der Mensch in dem Mao~, als er die eitle Freude an seinen sittlich guten Werken nicht unterdrückt, unempfänglich wird für guten Rat und vernünftige Belehrung bezüglich jener Werke, die er vollbringen sollte. Denn die habituelle Schwäche, die er sich bei seinem Wirken durch die Sucht nach eitler Freude zugezogen hat, hält ihn derart gefangen, dass er entweder den Rat eines anderen nicht für besser hält, oder wenn er ihn auch für besser findet, aus Mut. losigkeit nicht befolgen will. Bei solchen Seelen erschlafft J) Mich 7, 8. 366

gar sehr die Liebe zu Gott und den Nächsten, da sie die auf ihre Werke sich gründende Eigenliebe in der Liebe erkalten läBt. 28. Kapitel Vorteile, die der Seele aus dem Verzicht auf die Freudl~ an den Gütern der sittlichen Ordnung erwachsen. Sehr groB sind die Vorteile, die sich die Seele erwirbt, wenn ihr Wille der eitlen Freude an diesen Gütern ent. sagt. In erster Linie bewahrt sie sich vor vielen Ver. suchungen und Täuschungen seitens des bösen Feindes, die in der Freude an solchen Werken verborgen liegen. Wir köunen dies abllehmen aus einer Stelle im Buche Job: "Im Schatten schläft er, im Rohr versteckt und in sumpfigem SchilfI)." Er sagt das vom Teufel; der Sumpf versinnbildet die Freude und das Röhricht die eitlen Werke, und dieser bedient er sich, um die Seele zu täuschen. Und daü diese geheime Freude eine Täuschung des bösen Fein. des ist, darf uns nicht wundernehmen. Da ist keine Ein- flüsterung von seiner Seite nötig, die eitle Freude allein ist schon Täuschung, besonders, wenn sich das Herz dabei brüstet, wie Jeremias sehr treffend bemerkt: Arrogantia tua decepit te. "Dein anmaüendes Wesen hat dich ge- täuscht2)." Denn welche Täuschung wäre gröüer als die durch Anmaüung verursachte? Davon aber hält sich die Seele frei, wenn sie diese Freude unterdrückt. Der zweite Vorteil ist darin zu suchen, daü die Seele bei ihren Handlungen mit mehr überlegung und Gewissen- haftigkeit zu Werke geht. Denn dann verschwindet alle Leidenschaftlichkeit der Freude und des Genusses an sol. chen Werken. Mit dieser Freude gewinnt der iraszible und konkupiszible Teil der Seele derart an Kraft, daü die Vernunft ihres Einflusses beraubt wird. So wird die Seele I) Job 40, 16. ")Jr49,16. 367

in ihren Handlungen und Vorsätzen gewöhnlich sehr uno beständig; sie gibt das eine auf und unternimmt etwas anderes, sie beginnt etwas und läBt wieder davon ab, ohne es vollendet zu haben. Da sie bei ihren Werken nur den eigenen Geschmack im Auge hat, der bei den natürlichen 1 Handlungen nol~h veränderlicher ist als bei anderen, so bleibt das Werk oder der EntschluB, so wichtig sie auch sind, unvollendet, weil der Reiz geschwunden ist. Bei solchen Seelen ist die Befriedigung die Seele und das Mark des Werkes; finden sie diese nicht mehr, dann fehlt es ihnen auch an Ausdauer, sie stehen ab vom Werke und sind am Ende ihrer Kraft. Von solchen sagt unser Herr, daB sie das Wort mit Freuden aufnehmen, aber dann nimmt der Teufel das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht ausharren 1). Dieses Wort findet bei ihnen keine andere Wurzel und Kraft als die genannte Befriedigung. Um darum ausharren und zum Ziele gelangen zu können, muss der Wille auf diese Befriedigung verzichten. Der bezeichnete Vorteil ist dann ebenso groB wie der entgegengesetzte Nachteil. Der Weise soll darum sein Auge auf das Wesrn und den Nutzen des Werkes richten und nicht auf den Genufa und die Befriedigung, die es verschafft. So macht er keine J.,uftstreiche und zieht aus dem Werke dauernde Freude ohne nach sinnlicher Befriedigung zu verlangen. Der dritte Vorteil ist ganz göttlich; wenn man auf die eitle Freude bei diesen Werken verzichtet, erwirbt man sich die Armut des Geistes, eine der acht Seligkeiten, die der Sohn Gottes preist: "Selig sind die Armen im Geistr, denn ihrer ist das Himmelreich2)." , Der vierte Vorteil äuBert sich darin, dafa man sanft. (c mütig, mild und klug in seinem ganzen Betragen wird. wenn man sich diese Befriedigung versagt. Man handelt nicht mit Ungestüm und Hast und läBt sich bei der Freude ..nicht von der irasziblen oder konkupisziblen Neigung mit 1) Lk8,12. t)..Mt 5, S. 368

fortrei&en, man weiß nichts von Anmaßung, die hervor- gerufen wird durch die in der Befriedigung begründeten Hochschätzung des Werkes; ebensowenig begeht man eine Unklugheit geblendet durch die Freude. Der fünfte Vorteil. macht angenehm vor Gott und den Menschen, befreit die Seele von der Habsucht, von der geistigen GenuDsucht und Trägheit, vom geistigen Neid l und anderen zahllosen Lastern. 369


V. Teil Die übernatürlimen Güter 29. Kap i tel Abhandlung über die fünfte Art von Gütern, den über. natürlichen, an denen der Wille sich erfreuen kann. Ihr Wesen und Unterschied zwischen ihnen und den geistigen Gütern. Wie man dabei die Freude auf Gott richten soll. t Wir müssen nun zur Behandlung der fünften Art von I Gütern übergehen, an denen die Seele ihre Freude suchen kann. Man versteht darunter alle Gunstbezeigungen und Gnaden, die unsere natürliche Fähigkeit und Kraft über. steigen und (in der Theologie) dona gratis data genannt werden. Von dieser Art waren die Weisheit und Wissen. schaft, die Salomon empfing und die Gnaden, von denen Paulus spricht: "Der Glaube, die Gabe, Kranke zu heilen, die Wunderkraft, die Gabe der Weissagung, die Kenntnis und Unterscheidung der Geister, die Sprachengabe und SprachenauslegungI)." Diese Güter sind in der Tat geistige wie jene, von denen wir in der folgenden Abhandlung reden werden; aber da ein gr06er Unterschied zwischen beiden besteht, so wollte ich sie eigens behandeln. Die Wirksam. keit dieser Gnadengaben bezieht sich direkt auf das Heil der Menschen, und zu diesem Zwecke, zum Nutzen des Nächsten, sind sie von Gott verliehen, wie der heilige Paulus bemerkt. "Einem jeden wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen anderer gegeben2)"; dies gilt auch I) 1 Kor 12, 9-10. 2) 1 Kor 12, 7. 370

von diesen Gnadengaben. Das Betätigungsfeld der geistigen Gaben aber ist der Verkehr zwischen Gott und der Seele, sowie zwischen der Seele und Gott mittels des Verstandes und Willens, wie \vir es später noch ausfUhren werden. Der Unterschied liegt also im Objekte. Die geistigen Ga- ben beziehen sich auf den Verkehr zwischen Gott und der Seele, während die übernatürlichen das Heil der Geschöpfe zum Gegenstande haben. Sie unterscheiden sich von jenen durch ihr Wesen und auch in ihrer besonderen Wirksam- keit, weshalb sie auch für sich allein behandelt werden mÜssen. Wenn ich nun von diesen übernatürlichen Gaben und Gnaden spreche, wie ich sie in diesem Abschnitt verstehe, so muss ich bemerken, daß man, um dabei die eitle Freude von sich zu weisen, auf zwei heilsame Wirkungen achthaben muss, die dieser Art von Gütern eigen ist, nämlich die zeitlichen und geistigen. Die zeitlichen Wirkungen sind: Heilung von Krankheiten, Mitteilung des Augenlichtes an ~ Blinde, Erweckung vom Tode. Austreibung der bösen . t Geister, Weissagung bezüglich gewisser zukünftiger Ereig- nisse und anderes Derartiges. Die geistige und ewige Wirkung besteht in der Erkenntnis und Verherrlichung Gottes von seiten desjenigen, der diese Werke vollbringt oder von seiten jener. an denen oder vor deren Augen sie geschehen. Was nun den ersteren, den zeitlichen Vorteil betrifft, so soll die Seele an den übernatürlichen Werken und Wundertaten kein Wohlgefallen haben, da sie, vom zweiten, geistigen Gewinn abgesehen, dem Menschen wenig oder gar keinen Nutzen bringen; denn aus sich sind sie kein Mittel der Vereinigung der Seele mit Gott, was nur der Liebe zukommt. Diese übernatürlichen Werke kann man vollbringen, ohne die heiligmachende Gnade und , Liebe zu besitzen, und Gott kann diese Gnadengaben auch ! so verleihen wie einst dem gottlosen Propheten Balaam 371

und dem Salomon; man kann diese Werke auch betrOg- licherweise durch Mitwirkung Satans vollbringen wie Simon Magus, oder auch mittels geheimer Kräfte der Natur. Wenn einige dieser Werke oder Wundertaten dem, der sie vollbrachte, zum Heile gereichten, dann waren es nur die echten, d. h. jene, die von der Gnade Gottes ausgingen. Welchen Wert diese Gnadengaben haben, wenn man vom zweiten Gewinn absieht, lehrt uns der heilige Paulus mit den Worten: "Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen rede, es fehlt mir aber die Liebe, dann bin ich nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle; und wenn ich die Gabe der Weissagung habe und alle Ge- heimnisse und Wissenschaften kenne, und wenn ich allen Glauben habe, so daß ich Berge versetzen kann, fehlt mir .. aber die Liebe, so bin ich nichts usw.1)." Darum wird auch Christus, unser Herr, einst vielen, die ihre Werke in dieser Weise eingeschätzt haben und dafür die ewige Glorie vel'- langen mit den Worten: Domine, nonne in nomine tuo prophetavimus, et virtutes mullas fecimus. "Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt und viele Wunder- taten vollbrachtS)", zur Antwort geben: Discedite a me, qui operamini iniquitatem. "Hinweg von mir, ihr übeltätera)." Der Mensch soll sich also nicht deshalb freuen, dass er diese Gaben besitzt und damit wirkt, sondern vielmehr, daß er den zweiten geistigen Gewinn daraus zieht, mit anderen Worten, daß er Gott dient in wahrer Liebe, die die Quelle des ewigen Lebens ist. Deshalb tadelte auch unser Herr seine Jünger, als sie ihre Freude darüber äußerten, daß sie Teufel ausgetrieben hätten, mit den Worten: "Nicht darüber sollt ihr euch freuen, daß euch die bösen Geister untertan sind; freuet euch darüber, daf! euere Namen geschrieben stehen im Buche des Lebens.)." Nach der gesunden Lehre der Theologie haben diese Worte: "Freuet euch, daß euere Namen im Buche d~ 1) 1 Kor 16, 1. 2. I) Mt 7, 22. 8) Mt 7, 28. ~ Lk 10, ~. 372

Lebens stehen", folgenden Sinn: Der Mensch soll sich nur glücklich dOnken auf dem Wege dieses Lebens, d. h. wenn er seine Werke in der Liebe vollbringt. Denn was nützt es uns und was haben unsere Werke für einen Wert vor Gott, wenn sie ohne Liebe zu Gott vollbracht werden? Diese Liebe ist nicht vollkommen. solange sie nicht kräftig und verständig genug ist, uns von jeder eitlen Freude zu läutern, und solange sie nicht ihre einzige Befriedigung in der Erfüllung des Willens Gottes sucht. Auf diese Weise muß durch die übernatürlichen Güter die Vereinigung des Willens mit Gott vollzogen werden. 30. Kap i tel Nachteile für die Seele, wenn der Wille in dieser Art von Gütern seine Befriedigung sucht. Drei Hauptnachteile können nach meiner Ansicht der Seele daraus erwachsen, wenn sie ihre Freude den über- natürlichen Gütern zuwendet; diese nämlich, daß sie andere irreführt und selbst irregeführt wird; ferner Rückgang im Glaubensleben; endlich eitle Ruhmsucht oder sonst eine Eitelkeit, der sie zum Opfer fällt. Was den ersten Punkt betrifft, so ist es leicht möglich, daß man andere irreführt und sich selbst irreführen läDt, wenn man an derlei Werk~n sein Gefallen findet Denn es ist viel Einsicht und Erleuchtung von Gott notwendig, um zu erkennen, ob diese Werke echt oder unecht sind und wie und wann man sie vollbringen soll. Die Freude an diesen Werken sowie die Hochschätzung derselben steht jedoch dieser Erkenntnis gar sehr im Wege, und zwar aus zwei Ursachen: erstens weil dieses Wohlgefallen das Ur- teil schwächt und trübt, und dann, weil der Mensch unter dem Druck dieser Leidenschaft sich diese Freude möglichst bald verschaffen möchte, ohne die rechte Zeit abzuwarten. Gesetzt auch den Fall, die Werke und (übernatürlichen) 373

Kräfte seien echt, so reichen schon die zwei genannten Fehler hin, um sich dabei gar oft zu täuschen, indem man sie entweder nicht richtig auffa&t oder sich dieselben nicht zunutze macht oder zu ungelegener Zeit und in verkehrter Weise sich ihrer bedient. Es ist gewi&, dd Gott bei Ver- leihung solcher Gnaden und Gaben auch die nötige Er- leuchtung und Anregung gibt, damit man erkenne, wann und wie man sich derselben zu bedienen hat. Aber nich~. destoweniger können solche Menschen infolge ihrer Zu- neigung und Unvollkommenheit betreffs dieser Gaben in gro&en Irrtum geraten, weil sie nicht dem Willen Gottes entsprechend sich derselben bedienen oder weil sie die von ihm beabsichtigte Art und Weise und den rechten Zeit. punkt nicht beachten. So kann man lesen, da& der Prophet Balaam sich gegen den Willen Gottes entschlo&, dem Volke Israel zu fluchen, worüber Gott so entrüstet war, da& er ihn töten wolltel). Ebenso wollten Jakobus und Johannes in ihrem Eifer Feuer vom Himmel über die Sama. ritaner regnen lassen, weil sie Christus dem Herrn die Herberge verweigerten; er aber verwies es ihnen2). Daraus kann man deutlich ersehen, wie solche unvoll. kommene Menschen sich von einer fehlerhaften Leiden. schaft, die im Wohlgefallen und in der Hochschätzung gewisser Werke zum Ausdruck kommt, zur Vollführung derselben bestimmen lassen, auch wenn sie nicht an- gebracht sind. Ist diese Leidenschaft nicht mit im Spiele, dann lä&t man sich zur VollfOhrung solcher Werke nur bewegen und bestimmen, wann und wie Gott dazu die Anregung gibt, da sie vor diesem Zeitpunkt nicht zu- träglich sind. Aus diesem Grunde beklagte sich Gott durch Jeremias über einige Propheten mit den Worten: "Ich habe diese Propheten nicht gesendet, und doch laufen sie, ich habe nicht zu ihnen geredet, und doch weissagen siel)." Und weiter sagt er: "Sie haben irregef(lhrt mein Volk 1) Nm~~. Ij Lk9,54. 8) Jr2S,21. 374


durch ihre Lügen und Gaukeleien, obwohl ich sie nicht gesandt und ihnen keinen Auftrag gegeben habel)." Eben- so spricht er durch denselben Propheten: "Sie haben nur Visionen ihres Herzens gesehen und diese geoffenbart2)." Dies alles wäre nicht geschehen, wenn sie sich nicht von dieser fluchwürdigen Vorliebe für solche Werke hätten einnelunen lassen. Aus diesen Beispielen können wir ersehen, dafj das Nachteilige dieser Freude nicht blofj im ungerechten und verkehrten Gebrauch dieser von Gott verliehenen Gnaden- gaben besteht -wie es bei Balaam und jenen der Fan war, von denen es heifjt, dafj sie Wunder wirkten, um das Volk zu täuschen -, sondern auch im Gebrauch der Gaben, die Gott nicht verliehen. So machten es jene, die ihre eigenen Einbildungen prophezeiten und ihre Visionen verkündeten, die sie entweder selbst erdichtet, oder die der böse Feind ihnen vorgezaubert hatte. Merkt nämlich der böse Feind, dafj man für solche Dinge eingenommen ist, so eröffnet er ihnen ein freies Feld, bietet ihnen reich. lichen Stoff und drängt sich in vielfacher Weise ein. Diese nützen dann die günstige Gelegenheit aus, werden unver- schämt und frech und haben Gefallen an ihren Wunder- werken. Aber dabei bleiben sie nicht stehen. Sie treiben es sogar in ihrer leidenschaftlichen Gier nach solchen Wunderwerken so weit, dafj sie sich jetzt, nachdem sie bisher schon in geheimer Verbindung mit dem Teufel stan- den -denn daraus schöpften sie ihre Wunderkraft -, sogar erfrechen, einen ausdrücklichen und förmlichen Bund mit dem Teufel zu schliefjen und sich ihm vertragsmäfjig als seine Schiller und Jünger auszuliefern. Zu diesen ge- hören die Schwarzkünstler, die Zauberer, die Magier, die Wahrsager und Hexenmeister. Ja dieses Wohlgefallen an derartigen Wunderwerken treibt sie so weit, dafj sie diese Gaben und Gnaden sogar 1) Jr~82. I) Jr~,~. 375

um Geld zu kaufen verlangen, um sich, wie Simon der Zau- berer, in den Dienst des Teufels zu stellen, ja man weiB sich überdies noch geweihte Gegenstände und -man kann es ohne Schaudern nicht aussprechen -selbst gött. liche Dinge zu verschaffen. Die Erfahrung sagt uns, dass manche sich zur Vollführung ihrer verabscheuungswür- digen Greueltaten des verehrungswürdigen Leibes Jesu Christi bedienten. Und Gott läbt sie gewähren, um seine grobe Barmherzigkeit zu bekunden. Jeder kann daraus deutlich ersehen, in welch grobes Verderben sich solche Menschen selber stürzen und wie gefährlich sie (Ur die christliche Gesellschaft sind. Ich führe nur an, dafj Sau! alle jene Zauberer und Wahrsager, die unter den Söhnen Israels lebten, von der Erde vertilgte; sie vollführten solche Täuschungen und verabscheuungswürdige Handlungen, weil sie die wahren Propheten nachahmen wollten. Wer also eine solche Gabe oder übernatürliche Gnade empfängt, der möge das leidenschaftliche Verlangen und die Freude daran unterdrücken, wenn er sich derselben bedient, und sich nicht damit brüsten. Denn Gott, der sie auf übernatürlichem Wege zum Wohle ,der Kirche und ihrer Kinder verleiht, gibt auch auf übernatürliche Weise die Anregung, sich derselben zu bedienen, wann und wie es zweckdienlich ist. Darum legte der Heiland seinen Jüngern nahe, sich nicht zu sorgen, was und wie sie reden sollten, da es sich um übernatürliche Wahrheiten des Glaubens handelte -und dasselbe gilt auch von diesen Wunderwerken-; denn er will, dass der Mensch auf die göttliche Anregung und das göttliche Wirken in seinem Herzen achte, da jedes Werk in seiner Kraft vollbracht werden mub. Daher flehten die Apostel, obwohl ihnen Gott diese Gaben und Gnaden verliehen hatte, nach den Worten der Apostelgeschichte zu ihm und baten ihn, er möge seine Hand ausstrecken und diese Zeichen und Kran- kenheilungen durch sie vollbringen, um so den Glauben 376

an unseren Herrn Jesus Christus in die Menschenherzen zu pflanzen. Der zweite Nachteil besteht in der Einbuäe an leben- digem Glauben und kann sich auf zweifache Weise aus dem ersten Nachteil ergeben. In erster Linie betrifft er den Nächsten. Will nämlich einer ein Wunder wirken oder eine wunderbare Handlung vollbringen, ohne daß Zeit und Umstände es erheischen, so begeht er eine schwere Sünde, weil er dadurch Gott versucht; es kann aber auch sein, dass dieser Versuch erfolglos ist, und dadurch schwächt er in den Herzen den Glauben und gibt ihn der Mißach- tung preis. Manchmal kann wohl ein Erfolg beschieden sein, weil Gott es aus anderen Gründen und Absichten zu- lä~t. Der Vorgang mit der Hexe des Saul beweist dies (wenn es überhaupt wahr ist, daß der, von dessen Erschei- nen dort berichtet wird, Samuel war). Aber es wird nicht immer so sein, und wenn auch der Erfolg nicht ausbleibt, so kann man sich doch täuschen und wird nicht ohne Schuld sein, weil man sich der empfangenen Gnadengaben in ungeziemender Weise bediente. In zweiter Linie kann man sich selbst schädigen, in- dem man des Verdienstes des Glaubens verlustig gehl Wer diese Wundertaten fÜr etwas Besonderes hält, beraubt sich zum großen Teil der wesentlichen Betätigung des Glau- bens, der in einem habituellen Dunkel begründet isl Denn je mehr Zeichen und äußere Beweise man für eine Sache ! hat, desto geringer ist das Verdienst des Glaubens. Dar- f um sagt der heilige Gregor: Der Glaube sei ohne Verdienst, wenn die Vernunft einen sinnlich wahrnehmbaren Beweis für die Wahrheit habel). Gott wirkt diese Wunder nur, wenn sie wirklich notwendig sind, um jemand zum Glau- ben zu führen, oder aus anderen Absichten, die sich auf seine und seiner Heiligen Verherrlichung beziehen. Damit seinen JUngem das Verdienst des Glaubens an seine Auf- I) S. Greg. Hom.~, in Evang. Mign. tom. 76, p.1l37. 377

erstehung nicht verlorenginge, lieü Jesus sie nicht per- sönlich dabei zugegen sein; und bevor er vor sie hintrat, bediente er sich verschiedener Mittel, um sie zram Glauben zu führen, ohne daü sie ihn sahen. So lieü er Maria Magda. lena zuerst das leere Grab sehen, und zwar erst, nachdem sie aus Engelsmund davon Kunde vernommen. Denn der Glaube kommt nach dem Worte des heiligen Paulus vom Höre.l, und so hat auch sie, noch bevor sie ihn sah, an ihn geg~aubt, einzig auf die Kunde hin, die ihr geworden. Und als sich ihr der Auferstandene schauen lieü, tat er es unter der Gestalt eines Gärtners, um das zu ersetzen, was ihrem Glauben durch den Anblick seiner lebendigen Gegen. wart gefehlt hätte. Auch den Jüngern lieü er zuerst durch Frauen seine Auferstehung verkünden, und dann begaben sie sich selbst zum Grabe. Und bevor er sich den Jüngern auf dem Wege nach Emaus offenbarte, entzündete er zuerst ihre Herzen mit heiligem Glauben, indem er sich in derGestalt eines Fremdlings ihnen beigeselltet). Und endlich tadelte er alle seine Jünger, da sie jenen keinen Glauben schenk. ten, die ihnen seine Auferstehung verkOndeten. Auch dem heiligen Thomas, der sich durch BerOhrung seiner Wun. den von seiner Auferstehung Oberzeugen wollte, erklärte er: "Selig, die nicht sehen, und dennoch glauben2)." Dies alles deutet darauf hin, dass es Gott nicht liebt, sich durch Wunder zu offenbaren. Und wenn er es tut, so geschieht es nur, weil er nicht anders handeln kann. So tadelte er die Pharisäer, die nur auf Wunder hin glauben wollten, mit den Worten: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehe!, so glaubet ihr nichti)." Darum verlieren jene viel am Ver. dienst des Glaubens, die ein besonderes Wohlgefallen an diesen ObernatOrlichen Werken finden. Der dritte Nachteil besteht darin, dass solche Menschen infolge ihres Wohlgefallens an derartigen Werken der eit. len Ruhmsucht oder anderen Eitelkeiten zum Opfer fallen. 1) Lk 24, 15. t) Joh m,~. I) Joh 4, 48. 378

Schon die Freude an diesen Wundertaten allein ist Eitel- keit, wenn sie, wie ge58;gt, nicht rein in Gott beruht und auf ihn gerichtet ist. Dies geht hervor aus dem Tadel, den Jesus über seine Jünger ausgesprochen, als sie sich freuten, dass die bösen Geister ihnen untertan seien 1). Wäre diese Freude nicht eitel gewesen, hätte sie der Heiland nie ge- tade.lt. St. Kap i tel Zwei Vorteile, die man aus dem Verzicht auf die Freude an den übernatürlichen Gnadengaben zieht. Wir haben drei Nachteile aufgezählt, denen die Seele entgeht, wenn sie diese Freude unterdrückt, aber au6er diesem Gewinn erwirbt sie sich auch noch zwei sehr kost- bare Vorteile. Sie trägt nämlich fürs erste zur Verherr- lichung und Erhebung Gottes bei, und zweitens erhebt sie sich über sich selbst. Es wird aber Gott auf zweifache Weise in der Seele erhöht. Erstens dadurch, dass das Herz sich losrei6t von jeder Befriedigung des Willens an allem, was nicht Gott ist, und dass es sich ihm allein zuwendet. Darauf wollte David an jener Stelle hinweisen, die wir schon zu Beginn der Nacht dieser Seelenkraft. angeführt haben: "Der Mensch erhebt sein Herz, und Gott wird erhöht sein2)." Sobald sich das Herz über alle Dinge erhebt, ist auch die Seele erhoben, und da sie sich auf diese Weise Gott allein zuwendet, wird auch Gott erhöht und verherrlicht, der ihr seine eigene Erhabenheit und Grö6e offenbart. Und in diesem Auf- schwung gibt ihr Gott kund, was er in sich ist. Dies kann aber nur geschehen, wenn der Wille auf die Freude und den Trost an allem verzichtet, wie es bei David hei6t: "Lasset ab und bedenket~ ich bin Gott3)." Und an einer anderen Stelle spricht er: "Im wüsten, unzugänglichen und 1) Lk 10, 00. Ij Ps 63, 8. 8) Ps 45,11. 379

wasserlosen Lande, so erscheine ich vor dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu schauen 1)." Und wird Gott schon in W am'beit dadurch erhöht, dafa man seine Freude keinem Geschöpfe zuwendet, so noch mehr durch die Nichtbeachtung dieser mehr wunderbaren Dinge. Und wendet man sich von diesen Dingen ab, die wegen ihres übernatürlichen Charakters auch weit erhabener sind, wn seine Freude allein in Gott zu suchen, so erweist man auch Gott größere Ehre und Verherrlichung als durch den Ver- zieht auf jene erstgenannten. Denn je wertvollere Dinge einer um eines anderen willen unbeachtet läßt, desto mehr ehrt er diesen. Zweitens wird Gott noch weit mehr dadurch erhöht, daß der Wille sich von dieser Art von Werken ab. wendet. Je mehr man auf Gott vertraut und ihm ohne Zeichen und Wunder dient, desto mehr wird er von der Seele erhöht. Denn dann glaubt der Mensch mehr von Gott, als ihm Zeichen und Wunder dartun können. Der zweite Vorteil, durch den die Seele sich erhebt, ergibt sich daraus, daß der Wille durch den Verzicht auf alle Offenbarungen, Zeichen und Wunder zu einem viel reineren Glauben erhoben wird, den Gott in reichlichster Fülle eingießt und vermehrt. Zugleich verhilft er auch den anderen zwei theologischen Tugenden, der Hoffnung und Liebe, zu größerem Wachstum. Die Seele genießt da die erhabenste göttliche Erkenntnis mittels des dunkletl, rei. nen habituellen Glaubens und die höchste Wonne der Liebe in der Liebe, da der Wille keine andere Freude mehr kennt als allein jene im lebendigen Gott und keine Befriedigung mehr findet als in der Hoffnung. Dies alles ist ein bewun- derungswürdiger Gewinn, der direkt und wesentlich zur Vereinigung mit Gott führt. 1) Ps 62, 3. 380


VI. Teil Die geistigen Güter 32. Kapitel Sechste Art von Gütern, an denen der Wille seine Be- friedigung finden kann. Ihr Wesen. Erste Einteilung. Die Absicht, die wir in diesem Werke haben, geht da- hin, den Geist durch die geistigen Güter zur übernatür- lichen Vereinigung der Seele mit Gott zu führen. V\Tir ha- ben darum bei dieser sechsten Art von den übernatürlichen Gütern im eigentlichen Sinne zu handeln, die in weit höhe-

rem MafJe als alle anderen zu diesem Ziele führen. Aus

~ diesem Grunde mui der Leser sowohl wie ich mit beson- ~ derer Aufmerksamkeit zu Werke gehen. Es kommt gewiß sehr häufig vor, dafJ manche sich aus Unkenntnis dieser geistigen Dinge nur dazu bedienen, um darin eine sinnliche Befriedigung zu finden, die aber den Geist kalt läßt. Man wird kaum einen finden, dem nicht der Genuß den Geist im hohen Maße verdirbt. Das erquickende Wasser ist ge- trunken, bevor es zum Geiste gelangt, so daß dieser leer und trocken bleibt. Um nun zur Sache zu kommen, bemerke ich: Unter geistigen Gütern verstehe ich alle jene, die uns Liebe zu göttlichen Dingen einflößen und behilflich sind beim Ver. kehr der Seele mit Gott und bei den Mitteilungen Gottes an die See.le. Soll ich mich auf eine Einteilung festlegen, so md ich mit den obersten Arten anfangen. Und da unterscheide ich 381

zwei Arten von geistigen Gütern, solche, die angenehm und solche, die mühevoll sind. Von den angenehmen geistigen Gütern beziehen sich die einen auf klar und deutlich er. kannte Dinge, die anderen können nicht so klar und be- stimmt erkannt werden. Von den mühevollen geistigen Gütern können die einen ebenfalls klar und deutlich er. kannte Dinge zum Gegenstande haben, die anderen unklare und dunkle. Wir können sie auch einteilen nach den Kräf. ten der Seele: in Erkenntnisse, die sich auf den Verstand beziehen, in Neigungen, die den Willen zum Gegenstande haben, und ill Vorstellungen, die im Gedächtnis ihren Sitz haben. Ich lasse hier die mühevollen Güter beiseite, von denen wir später in der passiven Nacht sprechen werden. Ebeno übergehe ich die angenehmen geistigen Güter, die unklare und unbestimmte Dinge zum GegenstaQde haben. Diese Güter beziehen sich auf die allgemeine, unbestimmte und liebende Erkenntnis, durch die sich die Vereinigung der Seele mit Gott vollzieht. Da dieser Gegenstand zum zweiten Buche gehört, so stellen wir seine Behandlung für später zurück. Wir haben die gleiche Bemerkung schon gemacht im zweiten Buche (9. Kap.) bei Gelegenheit der Einteilung der Erkenntnisse des VerstalIdes. Hier reden wir nur von den angenehmen geistigen Gütern, deren Ob- jekt klare und bestimmte Dinge sind. 33. Kap i tel Geistige Güter, die vom Verstand klar und bestimmt aufgenommen werden können. Verhalten des Willen8 bezüglich der Freude an ihnen. Wir hätten viel zu tun, wollten wir die ungezählten Wahrnehmungen des Gedächtnisses und Verstandes in ihrer Beziehung zum Willen darlegen, um zu zeigen, wie er sich bezüglich der Freude zu verhalten hat, die er an ihnen findet. Aber wir haben davon schon im zweiten und 382

dritten Buch ausführlich gesprochen. Dort wurde darauf hingewiesen, \Vie diese beiden Vermögen zur Vereinigung mit Gott geführt werden müssen. Und da der Wille in der gleichen Weise geleitet werden muss bezüglich der Befrie- digung, die ihm diese Vermögen verschaffen, so ist es nicht notwendig, hier darauf zurückzukommen. Das eine möge genügen: Sooft dort die Rede davon ist, dau diese Ver- mögen sich reinigen müssen von diesen oder jenen Wahr- nehmungen, gilt dies auch für den Willen in bezug auf die Freude, die er aus ihllen schöpft. Dasselbe Verhalten, nach dem sich Gedächtnis und Verstand allen Wahrneh- mungen gegellüber zu richten haben, ist auch für den Willen mafJgebend. Denn da weder das Gedächtnis noch der Verstand etwas aufnehmen oder von sich weisen kön- nen, ohne dau dabei der Wille beteiligt ist, so ist es klar, dau die gleiche Regel in beiden Fällen anzuwenden ist. Man lese darum dort nach, was in diesem Falle zu tun ist. Wenn die Seele es nicht versteht, das Wohlgefallen des Willens bei allen Wahrnehmungen auf Gott zu beziehen, dann fällt sie allen Nachteilen und Gefahren zum Opfer, die dort aufgezählt sind. 34. Kapitel Die angenehmen Güter, die klar und bestimmt vom Willen erlaßt werden können. Ihre verschiedenen Arten. Wir können aIl die Güter, die dem Willen eine klar bewu&te Freude zu verschaffen vermögen, auf vier Arten zurückführen. Sie sind entweder anregend oder ermun- ternd, leitend oder vollendend. Wir wollen sie der Reihe nach behandeln; zuerst die anregenden. Zu diesen zählen wir Bilder und Statuen der Heiligen, Oratorien und Zere- monien. Die Bilder und Statuen der Heiligen können AnIa& sein zu groBer Eitelkeit und eitler Freude. Anderseits sind sie von groBer Bedeutung für den Gottesdienst, um den 383

Willen zur Andacht zu stimmen, wie es die Billigung und der Gebrauch unserer heiligen Mutter der ~irche beweist Wir müssen uns darum derselben bedienen, um uns in unserer Lauheit aufzurütteln. Leider gibt es viele, die mehr in der künstlerischen Ausführung und Vollen. dung der Gemälde Gefallen finden als an dem, was sie vor. stellen. Die ~rche hat den Gebrauch der Bilder aus zwei Gründen gutgeheioon; durch sie sollten die Heiligen ver- ehrt und der Wille zur Andacht angeregt werden. In dieser zweifachen Hinsicht sind sie sehr nützlich und ihr Ge- brauch notwendig. Deshalb soll man jenen den Vorzug geben, die das getreue und lebendige Bild wiedergeben und den Willen mehr zur Andacht anregen; man soll mehr auf diesen Punkt sein Augenmerk richten als auf den Wert und die künstlerische Ausführung, wodurch nur der Lieb- haberei gedient ist. Denn es gibt, wie schon erwähnt, Menschen, die mehr auf die Seltenheit und den künstleri- schen Wert des Bildes sehen als auf das, was es dar- stellt. Ihre innere Andacht, die sich geistigerweise auf den unsichtbaren Heiligen beziehen muß, wendet sich nur der seltenen Ausführung zu und übersieht dabei das Bild, das eigentlich nur zur Anregung dienen soll. Und so sind es nur die Sinne, die sich davon einnehmen lassen und daran ergötzen, während die Liebe und die Befriedigung des Willens nicht auf ihre Rechnung kom- men. Dies lAßt den wahren Geist der Andacht nicht auf. kommen, der die Beseitigung der Anhänglichkeit an alle besonderen Dinge verlangt. Man kann dies an dem verab- scheuungswürdigen Mißbrauch ersehen, der in unseren Ta- gen bei vielen gang und gäbe ist. Sie sehen das Unschick- liche der eitlen Modesucht der Welt nicht ein, schmücken ihre Statuen mit Kleidungsstücken, die dem Zeitgeist der eitlen Welt en~prechen, um so sich die Zeit zu vertreiben und ihrer Flatterhaftigkeit zu dienen. Die Welt tadelt ihre 384

Kleidertracht, aber das hindert sie nicht, ihre Statuen da- mit zu bekleiden. So stellen sie die Heiligen dar, die einst solche Eitelkeit verabscheuten und auch jetzt noch verur. teilen. Dadurch wollen sie und der böse Feind ihre Eitel- keiten selbst kanonisieren, mit denen sie die Heiligen um- geben und aufs schwerste verunehren. Auf diese Weise bleibt die ehrfurchtsvolle und ernste Andacht der Seele, die jede Eitelkeit und jeden Schein derselben von sich fernehalten soll, sozusagen nur am Schmuck der Puppe hängen, so daß für manche das Bild nichts anderes als ein Götzenbild ist, ein Gegenstand ihrer eitlen Befriedigung. Und es gibt Leute, die sich nie genug Bilder verschaffen können, die diese oder jene Form und Gestalt, diese oder jene Fassung haben müssen, in der sie die Sinne am mei- sten befriedigen, während die Andacht des Herzens zu kurz kommt. Und zu diesen Bildern haben sie eine ähnliche Anhänglichkeit wie Michas und Luban gegen ihre Götzen- bilder. Der eine lief aus dem Hause und schrie, weil man sie ihm geraubt hattel), während der andere, nachdem er einen weiten Weg zurückgelegt hatte, alle Habseligkeiten des Jakob durchwühlte (um die Götzen zu suchen2). Der fromme Christ jedoch richtet seine Andacht vor alle.-n auf das Unsichtbare; er begnügt sich mit einer geringen Zahl von Bildern und gebraucht nur wenige. Er gibt jenen den Vorzug, die mehr das Göttliche als das Menschliche zum Ausdruck bringen, und paßt sich im Schmuck der Bilder dem Göttlichen nach der Sinnesart der Heiligen der ver. gangenen Zeit und nicht nach der Mode der jetzigen an. Denn eine solche Person ist nicht eingenommen von der Moderichtung der Zeit, noch will sie durch die Bilder daran erinnert werden, sie will auch nichts vor Augen haben, was auf sie oder deren Liebhabereien hinweist. Ihr Herz hängt nicht an den Bildern, deren sie sich bedient, und sie ist r I) Jdt 18, 24. S) Gn 81, 84. 385

auch nicht beu'übt, wenn mall ihr dieselben wegnimmt. Sie sucht das lebendige Bild, Christus den Gekreuzigten, in sich; dieses Bild gehört ihr, und sie erträgt es gerne, wenn man ihr alle übrigen wegnimmt und ihr nichts mehr bleibt, selbst wenn sie für sie Hilfsmittel und Anregung waren, sich leichter zu Gott zu erheben. Die Beraubung derselben trübt ihren Frieden nicht. Pie- Vollkommenheit der &eIe ist in der Tat größer, wenn sie trotz der Hinweg- nahme dieser Hilfsmittel ruhig und zufrieden bleibt, ab; wenn sie dieselben mit Wohlgefallen und Anhänglichkeit besitzt. Es ist ohne Zweifel etwas Gutes, am Besitze sol- cher Bilder und Gegenstände sich zu erfreuen, die in be- sonderer Weise zur Andacht stimmen, ja man soll sogar jene, die am meisten Anregung bieten, auswäWen, aber es ist nicht vollkommen, wenn man sie mit Anhänglichkeit besitzt und sich betrübt, wenn sie weggenommen werden. Die Seele soll überzeugt sein, daß ihre Andacht und ihr Gebet um so weniger sich zu Gott erhebt, je größere An- hänglichkeit sie einem Bilde oder sinnlichen Gegenstande entgegenbringt. Allerdings entsprechen manche Bilder mehr der Wirklichkeit als andere und regen mehr zur Andacht an, und aus diesem Grunde darf man sie, wie ge- sagt, den anderen vorziehen, aber nie soll man der Zunei- gung und Anhänglichkeit Raum geben. über das, was dem Geiste zur Erhebung des Herzens zu Gott dient, nämlich über das Bild, muß man hinwegsehen, und es darf den Sinnen nicht zum Reize dienen; denn wenn ich mich mit Wohlgefallen den Anregungsmitteln hingebe, so muß mir das, was mir in meiner Unvollkommenheit als Stütze dient, zum Hindernisse werden, und zwar geradeso wie die Anhänglichkeit und Zuneigung zu einer anderen Sache. Gibt es auch bezüglich der Bilder eine gewisse Ent. schuldigung, weil man die zur Vollkommenheit erforder. liche Entblöeung und Armut noch nicht recht erfaf~t hat. 386

so kann man doch die Unvollkommenheit nicht entschul- digen, mit der man sich gewöhnlich der Rosenkränze be- dient. Man findet wenige, die in dieser Beziehung keine Schwäche zeigen. Man hat mehr Vor]iebe für diese Form, Farbe und Beschaffenheit, man hat eine kunstvolle Aus- führung lieber als eine andere. Aber wozu soll dies alles dienen? Erhört Gott das Gebet eher, wenn man mit die- sem oder jenem Rosenkranz betet? Es kommt doch nur darauf an, daa man mit einfältigem und aufrichtigem Her- zen betet, daa man nichts anderes im Auge hat, als Gott zu gefallen, und nicht diesem oder jenem mehr Wert bei- miat, auoor er ist mit Ablässen versehen. Unsere eitlen Wünsehe möchten sich an alle Dinge hängen gleich der Motte, die alles, was unbeschädigt ist, benagt und das Gute wie das Schlimme verderbt. Denn was heiat es anders als allein an einem Hilfsmittel zur Andacht Gefallen finden wollen, wenn du einen zierlichen Rosenkranz haben möchtest und wünschest, daa er gerade aus diesem Stoffe verfertigt ist? Oder wenn du gerade diesem Bild den V orl~g gibst, weil es kostbarer und sel- tener ist, und nicht darauf achtest, daa es dich mehr zur Liebe Gottes anregt? Wäre dein Verlangen und deine Freude auf Gott gerichtet, dann würde es dir gleichgültig sein, ob diese Gegenstände so oder so beschaffen seien. Es könnte einen anekeln, geistliche Personen sehen zu müssen, die so versessen sind auf die Form, Beschaffen- heit und Zierlichkeit dieser Hilfs- und Andachtsmittel. Sie werden nie befriedigt und legen einen Andachtsgegen- stand we~, um ihn mit einem anderen zu vertauschen; und so sind sie durch ihre Anhänglichkeit mehr auf diese sicht- baren Gegenstände bedacht, als auf die wahre Andacht des Geistes. Sie sind für diese GegenstAnde in gleicher Weise eingenommen wie für andere weltliche Kostbarkeiten und erleiden so nicht geringen Schaden. 387


35. Kapitel Fortsetzung der Abhandlung über die Heiligenbilder. Unwissenheit mancher Personen in betreff derselben. Es gäbe vieles zu sagen ilber den Unverstand so man- cher Personen bezilglich der Bilder. Ihre Albernheit geht so weit, daü sie auf ein Bild mehr Vertrauen setzen als auf ein anderes und der Ansicht sind, Gott erhöre ihr Gebet eher durch yerehrung des einen als des anderen, obwohl beide das gleiche darstellen, entweder die heiligste Jung- frau oder Christus, den Herrn. Und dies bloü deshalb, weil sie mehr Zuneigung zu der einen Darstellung filhlen als zu einer anderen, was eine grobe Unwissenheit und Albern- heit bezilglich der Gott gebührenden Verehrung und Ver- herrlichung verrät. Denn Gott sieht doch nur auf den Glau- ben und die Herzensreinheit des Beters. Wenn Gott zu- weilen mittels eines Bildes gröüere Gnaden gewährt als durch ein anderes, so ist diese Wirkung nicht in einem mehr als im anderen begrilndet, obwohl sie in der Form sehr verschieden sind, sondern in der Tatsache, daü die Gläubigen durch das eine mehr zur Andacht gestimmt wer- den als durch das andere. Wäre ihre Andacht zu einem anderen Bilde ebenso groü und bestände sie, selbst wenn sie gar kein Bild hätten, dann wilrden sie dieselben Gna. den von Gott empfangen. Der Grund, warum Gott mittels einiger Bilder mehr Wunder wirkt und gröüere Gnaden erteilt, ist nicht darin zu suchen, daü man die einen mehr verehren 8011 als die anderen, sondern darin, daü durch diese Wundertaten die eingeschlafene Andacht wieder er. wache 'und die Gläubigen zum Gebete angeregt werden. Und da nun mittels dieses Bildes die Andacht sich ent. flammt und das Gebet beharrlich sich gestaltet -und das sind die Bedingungen, um von Gott Erhörung und Gewäh. rung der Bitten zu erlangen -, so läüt sich Gott, gerührt ~~': durch das Gebet und die Liebe der Gläubigen, herbei, sich 388

fortgesetzt desselben Bildes zu bedienen, um seine Gnaden zu gewähren und Wunder zu wirken. Sicher würde Gott dieses Bildes wegen, das ja nur eine Darstellung ist, seine Wundertaten nicht wirken, sondern nur um den Glauben und die Andacht zu belohnen, die man gegen den durch dasselbe dargestellten Heiligen trägt. Würdest du von irgendeinem Bilde Unserer Lieben Frau von gleicher An- dacht und demselben Glauben beseelt sein wie vor einem anderen, das dir lieb ist -und auch dann, wenn du, wie gesagt, kein Bild vor dir hast -, so würdest du auf jeden Fall dieselben Gnaden erlangen. Die Erfahrung zeigt uns, daD Gott manche Gnaden und Wunder gewöhnlich an Sta- tuen knüpft, die nicht besonders schön geschnitzt sind, oder an Bilder, die nicht besondere Erfindungs- und Dar- stellungsgabe verraten, damit die Gläubigen nicht der Malerei oder künstlerischen Form eine besondere Kraft zu- erkennen. Gar oft pflegt unser Herr diese Gnaden zu er- weisen durch Bilder, die an einsamen und ferngelegenen Orten verehrt werden. Denn einerseits muD der Gläubige einen weiten Weg zurücklegen, und dadurch wächst die Liebe und wird der Akt der Frömmigkeit inniger, anderer- seits entfernt er sich nach dem Beispiele Jesu vom Ge- räusche und Verkehr mit der Welt, um zu beten. Wer darum eine Wallfahrt unternimmt, tut es am besten dann, wenn sich nicht viel Volk an solchen Orten befindet, und sollte es auch zu ungewohnter Zeit geschehen müssen. Wenn viele Wallfahrer sich dorthin begeben, würde ich es nicht raten, sich anzuschlieDen; denn gewöhnlich kommt man zerstreuter zurück, als man fortgegangen. Und viele unternehmen solche Wallfahrten mehr zur Unterhaltung als aus Andacht. Wo Andacht und Glaube sich findet, da genügt jedes Bild; wo keine Frömmigkeit herrscht, wird auch kein Bild sie ersetzen können. Welches Bild war wohl so lebendig, wie das unseres Heilands bei seinem irdischen Wandel, und doch zog~n jene, die an ihn nicht glaubten, 389

keinen Nutzen daraus, wenn sie auch mit ihm umgingen und seine Wunderwerke vor Augen hatten. Und das war auch der Grund, warum er, wie der Evangelist bemerkt, in seiner Heimat nicht viele Wunder wirktel). Ich möchte hier noch einige übernatürliche Wirkungen erwähnen, die manche Bilder zuweilen in einzelnen Seelen hervorbringen. Sie bestehen darin, daß Gott manchen Bil- dern eine besondere Kraft verleiht, so daü sich die Gestalt des Bildes und die durch dasselbe verursachte Verehrung so lebendig dem Geiste einprägt, als hätte man es immer gegenwärtig. Und sooft man sich daran erinnert, erwacht dasselbe Andachtsgefühl wie beim ersten Anblick, bald mehr, bald weniger, während man beim Anblick eines an- deren Bildes, und wäre es auch ein noch so vollkommenes Kunstwerk, diesen Andachtsgeist nicht fühlt. Manche Personen tragen auch eine besondere Andacht zu einer bestimmten Art von Bildern, was bei vielen nichts anderes ist als natürliche Zuneigung und Geschmacksache, ebenso wie einem das Antlitz eines Menschen mehr zusagt als das eines anderen. Diese Zuneigung ist ganz natürlich, und man erinnert sich leicht daran, weil dieser natürliche Eindruck immer im Gedächtnis haftet. Diese Person ist vielleicht nicht so schön wie eine andere, ihrer natürlichen Neigung sagt eben diese Form und Gestalt zu. Und so meinen auch manche, es sei Andacht, wenn sie sich zu gewissen Bildern mehr hingezogen fühlen, während es nichts anderes ist als Geschmacksache und natürliche Zu- neigung. Manchen Personen begegnet es zuweilen, daß sie ge- wahren, wie ein Bild, wenn sie es anblicken, sich bewegt oder die Züge ändert und Zeichen gibt, oder daß es durch Bewegungen und mancherlei Worte etwas zu verstehen geben wolle. Diese übernatürlichen Wirkungen -wir be- zeichnen sie hier als solche -sind gewiß in manchen 1) Lk 4, 24. 390

Fällen echt und auch heilsam und gehen von Gott aus. der die Andacht dieser Personen steigern oder ihrer schwa- chen Seele eine feste Stütze geben oder ihre Zerstreuun- gen hintanhalten will; aber sehr häufig sind diese Wirkun- gen dem bösen Feinde zuzuschreiben, der die Seelen irre- führen und schädigen will. über dies alles wollen wir im folgenden Kapitel näheren AufschlUB geben. 36. Kap i tel Wie muß man die Freude, welche der Wille an den Bildern findet, auf Gott richten, damit ihm dieselben nicht zum Hindernis werden und ihn irreführen? Die Bilder sind sehr nützlich, das Andenken an Gott und an die Heiligen in der Seele wachzurufen, sowie den Willen zur Andacht zu stimmen, wenn man einen richtigen und ihrer Bestimmung entsprechenden Gebrauch davon macht. Sie können aber auch zu großen Verirrungen An- lafJ werden. wenn sich die Seele bei übernatürlichen Vor- gängen nicht so zu verhalten weiß, wie es auf ihrem Wege zur Vereinigung mit Gott notwendig wäre. Eines der Mittel, deren sich der böse Feind bedient, um unvorsichtige Seelen mit leichter Mühe zu fan~en und ihnen den wahren Weg des Geistes zu verschließen, sind übernatürliche und au~ergewöhnliche Offenbarungen, die er ihnen durch materielle und körperliche Bilder, wie sie die Kirche im Gebrauch hat, vor Augen stellt, oder die er der Phantasie eindrückt unter der Gestalt dieses oder jenes Heiligen oder auch unter seiner eigenen Gestalt, indem er sich in einen Engel des Lichtes kleidet, um die Seelen zu betören. Dieser Geist des Truges weiB sich gerade in dem, was uns in unserer Schwachheit als Hilfsmittel dienen soll, zu verstellen, um uns unversehens in seine Gewalt zu bringen. Die wahrhaft fromme Seele muB gerade dann auf der Hut sein. wenn es sich um etwas Gutes handelt: denn da..o; 391

Böse ist als solches an sich schon gekennzeichnet. Die Nachteile, die der Seele hiebei in dieser Hinsicht erwachsen können, sind folgende: Sie wird gehemmt in ihrem Fluge zu Gott, oder sie macht in ihrer Unwissenheit einen ver. kehrten Gebrauch von den Bildern, oder sie läuft Gefahr, in natürlicher oder übernatürlicher Weise getäuscht zu werden. Wir haben alle diese Nachteile schon oben be. rührl Um nun diesen zu entgehen, und damit die Freude, die der Wille an den Bildern findet, rein bleibt und die Seele durch sie zu Gott geführt wird, was ja die Kirche durch den Gebrauch derselben beabsichtigt, will ich hier nur eine allgemeine Verhaltungsmaüregel angeben, die in allen Fällen zu befolgen ist: Der Zweck der Bilder ist, uns zum Unsichtbaren zu führen. Unsere Aufgabe ist es daher, in ihnen nur die lebendige Wahrheit zu suchen, die sie darstellen; der Wille soll in ihr seine Freude und den Be. weggrund seiner Liebe suchen. Die gläubige Seele soll darum beachten, daß sie sich beim Anblick eines Bild~, sei es nun körperlich oder geistig, sei es künstlerisch schön oder reich verziert, nicht dem sinnlichen Genuü hingibt Mag dieses Bild in ihr sinnliche oder geistige Andacht er. wecken oder selbst übernatürliche Zeichen von sich geben, sie soll auf diese Nebensächlichkeiten nicht achten und sich nicht damit befassen, sondern dem Bilde nur jene Verehrung erweisen, die dem Sinn der Kirche entspricht.. Und dann erhebe sie ihr Gemüt zu dem, was es darstellt, und erhebe die ganze Kraft der Freude des Willens zu Gott in frommem innerlichem Gebet oder zu dem Heiligen, den sie anrufl Denn die Verehrung darf nicht am sinnlichen Gemälde haftenbleiben, sondern muß sich zum Lebendigen und Geistigen erheben. So ist jede Verirrung ausge. schlossen, da die gläubige Seele nicht auf das hört. was das Bild spricht; auch befafst sich weder ihr Sinn noch ihr Geist derart mit dem Bilde, daß letzterer nicht frei sich zu Gott erheben könnte, noch wendet sie ihr Ver. 392

trauen einem Bilde mehr zu als einem anderen. Diese über- natürliche Verehrung des Bildes wird für sie weit frucht- bringender sein, da sich ihr Herz allsogleich in Liebe zu Gott erhebt. Denn Gott will immer, sooft er diese oder andere Gnaden erweist, die Liebe und Freude auf das Unsichtbare gerichtet sehen und wünscht, dass wir die Kraft und das Ergötzen aller Seelenkräfte bezüglich aller sichtbaren und sinnlichen Dinge ertöten. 37. Kapitel Fortsetzung desselben Gegenstandes. Die Güter, die zur Frömmigkeit anregen: Oratorien und die zum Gebete bestimmten Orte. Ich glaube, es deutlich genug erklärt zu haben, daß eine geistliche Seele groben Unvollkommenheiten zum Opfer fällt, wenn sie in dem Nebensächlichen an den Bildern ihre Freude sucht; und diese Anhänglichkeit ist vielleicht noch gefährlicher, als wenn sie an anderen körperlichen oder zeitlichen Dingen ihr Wohlgefallen fin- det. Ich sage: sie ist vielleicht noch gefährlicher. Da es sich um heilige Dinge handelt, fühlt man sich viel sicherer und fürchtet nicht, durch natürliche Anhänglichkeit und Zu- neigung sich zu verfehlen. Und so täuscht man sich gar sehr, indem man glaubt, das Wohlgefallen, das man an diesen Bildern empfindet, sei der Ausdruck einer glühenden Andacht, während es vielleicht nichts anderes ist als eine natürliche Neigung oder ein natürliches Gelüsten, das sich anderen Dingen ebenso zuwendet wie hier diesen Bildern. Daher kommt es -um gleich von den Oratorien zu reden -dass manche Menschen in ihren Oratorien ein Bild an das andere ltängen; sie finden ihre Freude daran, alles recht schmuckvoll einzurichten, damit ihr Oratorium schön geschmückt und wohlgestaltet sei. Aber Gott lieben sie dadurch nicht mehr als sonst, im Gegenteil sogar weniger. : 393

Denn das Wohlgefallen, das sie an diesem bunten Farben- schmuck finden, entziehen sie, wie schon erwähnt, der lebendigen Wirklichkeit. Ich tadle gewiß nicht jene, die allen möglichen Schmuck für ihre Bilder verwenden, um sie zu verehren; es ist das ja noch viel zu wenig (im Ver- hältnis zu dem, was sie verdienen). Vielmehr sind jene zu tadeln, die die Bilder unanständig und unehrerbietig be- handeln, sowie auch die Bildhauer, die so häßliche Bilder verfertigen, daß sie eher die Andacht nehmen als wecken. Solche Handwerksleute sollte man nicht bei- ziehen, da sie in dieser Kunst unwissend und ungebildet sind. Aber was ist dies alles in Vergleich mit dem Geiste der Anhänglichkeit und Zuneigung, wenn dadurch die Sinnlichkeit sich so einnehmen läßt, daß du dein Herz nicht zu Gott erheben, ihn nicht lieben und aus Liebe zu ihm allen Dingen entsagen kannst? Wenn du dich auf diese Weise verfehlst, wird dich Gott, anstatt dir gnädig zu sein, strafen, weil du in allen Dingen nicht sein WohIge- fallen sondern deine eigene Befriedigung gesucht. Dies geht deutlich hervor aus dem Bericht über den festlichen Einzug des Heilandes in Jerusalem. Als sie ihn mit Freuden- gesängen und Palmenzweigen empfingen, weinte der Herr); denn er wußte, daß die Herzen so vieler aus ihnen fern von ihm waren, obwohl sie äußere Zeichen der Freude kundgaben und an diesem Prunk teilnahmen. Man kann da mit Recht sagen, daß diese Menschen mehr sich selbst als Gott ehrten. Und dies geschieht auch oft in unseren Tagen. Findet irgendwo eine Festlichkeit statt, so freut man sich mehr auf die Unterhaltung -etwa weil man andere sieht und gesehen wird, oder weil man gut schmau- sen kann oder aus anderweitigen Absichten -, auf das Wohlgefallen Gottes dagegen vergißt man. Und wie könnte man mit solchen Neigungen und GesinnungenGott gefallen, besOnders wenn die Veranstalter solcher Festlichkeiten t) Mt 21, 9. 394

lächerliche und andachtswidrige Dinge zum besten geben, um das Volk zum Lachen zu reizen, wodurch sie erst recht zerstreut werden? Dasselbe gilt auch von anderen Ver- anstaltungen, die mehr dem Volke gefallen als zur An- dacht anregen. Und was soll man von anderen Absichten, von anderen Interessen sagen bei Veranstaltung solcher Feierlichkeiten, wobei mehr die Lüsternheit der Augen auf ihre Rechnung kommt als der Dienst Gottes? Solche Menschen wissen dies, und Gott, der ihr Treiben sieht, weiß es auch, aber sie sollen überzeugt sein, daß sie auf jeden Fall durch ein solches Benehmen mehr sich selbst verherrlichen als Gott. Alles, was sie zur eigenen Be- friedigung tun oder, um den Menschen zu gefallen, rechnet ihnen Gott nicht an. Viele freuen sich, an einem religiösen Feste teilgenommen zu haben, aber Gott ist entrüstet Ober sie wie einst Ober. die Kinder Israels, als sie vor ihren Götzen in festlicher Weise sangen und tanzten in dem Wahn, Gott dadurch zu verherrlichen. Und wegen dieser Unehrerbietigkeit fanden viele Tausende den Todl). Auch die Priester Nadab und Abiud, die Söhne Aarons, tötete Gott, als sie noch die Rauchfässer in Händen hatten, weil sie ihm fremdes Feuer darbrachten'). Oder wie jener, der in schlechter, unanständiger Kleidung zum Hochzeitsfeste kam, auf des Königs Befehl an Händen und FOßen ge- bunden und in die äußerste Finsternis geworfen wurdei). Daraus kann man ersehen, welch großes Mißfallen Gott an solchen Unehrerbietigkeiten findet. die bei der- artigen, zu seiner Ehre veranstalteten Festlichkeiten zu- tage treten. 0 mein Herr und Gott, wieviel Feste feiern nicht die Menschenkinder, aus denen der Teufel mehr , ! Gewinn zieht als du! Und solche Feste gereichen dem Teufel zur Freude, da er dabei seine Geschäfte macht wie der Kaufmann auf dem Markte. Und wie oft könntest du da, 0 Herr, ausrufen: "Dieses Volk ehrt mich nur mit den J) Ex 82, -;-93. 2) Lv 10, 1,2. 8) Mt22, 12.18. 395

Lippen, sein Herz aber ist fern von mir; sie ehren mich vergeblich!). Man muss also Gott dienen einzig um seiner j selbst willen und alle anderen Absichten ausschlie"en. .I Dient man ihm nicht um dessen twillen, was er ist, so ist der Endzweck der Verehrung nicht Gott. Um wieder auf die Oratorien zurückzukommen, so sage ich, da" manche Personen bei Ausschmückung derselben mehr ihre eigene Befriedigung als das Wohlgefallen Gottes im Auge haben, und die Frömmigkeit spielt dabei eine so untergeordnete Rolle, da" sie dieselben nicht höher achten als profane Zimmer; ja manche achten sie noch geringer, da sie am weltlichen Schmuck mehr Gefallen finden als an göttlichen Dingen. Doch lassen wir diese, reden wir noch von denen, die sich darauf sehr viel zugute tun, daD man sie für fromm hAlt. Es gibt viele von ihnen, die so sehr an ihrem Oratorium hängen und so groDes Wohlgefallen an dem Schmuck des- selben finden, da" sie ihre ganze Zeit darauf verwenden, die sie im Gebete zu Gott und in innerer Sammlung zu- bringen sollten. Und wenn diese kunstgerechte Aus- .: schmückung nicht der inneren Sammlung und dem Frieden " der Seele dienlich ist, dann merken sie nicht einmal, daß sie sich dadurch ebenso zerstreuen wie bei anderen Be- schäftigungen. Diese Befriedigung ihrer Wünsche und Ge. lüste bringt sie jeden Augenblick in Unruhe, besonders wenn man ihnen diese Dinge nehmen will. 38. Kap i tel Oratorien und Kirchen dürfen nur dazu dienen. den Geist auf Gott zu richten. Um zu verstehen, wie man an diesen ehrwürdigen Orten den Geist zu Gott erheben soll, muD ich bemerken, da" es für die Anfänger nützlich und heilsam ist. eine 1) Mt 15, 8. 396

gewisse sinnliche Freude und sinnliches Wohlgefallen an Bildern, Oratorien und anderen sichtbaren frommen Dingen zu finden. Sofern sie nämlich den Geschmack an weltlichen Dingen noch nicht ganz verloren und denselben entsagt haben, wird ihnen durch dieses Wohlgefallen jener Ge. schmack benommen. Will man einem Kinde etwas aus der Hand nehmen, so gibt man ihm etwas anderes dafür, damit es nicht weint, wenn es nichts in Händen hat. Will nun die geistliche Seele voranschreiten, so mufj sie auf alle Ge- lüste und Ergötzungen verzichten, an denen der Wille seine Befriedigung finden kann. Der reine Geist hängt sich in keiner Weise an solche Gegenstände, er kennt nur die innere Sammlung und den geistigen Verkehr mit Gott. Bedient er sich auch der Bilder und Oratorien, so geschieht es nur so nebenbei; denn alsbald erhebt sich sein Geist zu Gott und vergifjt alles Sinnliche. Ist es auch geziemend, an einem anständigen Orte zu beten, so soll man doch einen Ort wählen, wo die Sinne weniger gefesselt sind und der Geist sich frei zu Gott erheben kann. IndiesemSinnemQssen wir auch jene Antwort auffassen, die Christus, unser Herr, dem samaritanischen Weibe gab. Als sie ihn fragte, welcher Ort zum Beten geeigneter sei, der Berg oder der Tempel, antwortete er ihr: Das wahre Gebet sei weder an den Berg noch an den Tempel gebunden, sondern die wahren An- beter, die Gott gefallen, beten ihn an im Geiste und in der Wahrheitl). Wenn auch die Kirchen und stillen Orte die rechte Weihe zum Gebete besitzen -die Gotteshäuser dienen ja zu keinem anderen Zwecke -, so mufj man doch, da es sich um einen so wichtigen inneren Verkehr mit Gott handelt, einen Ort wählen, der die Sinne weniger be. schäftigt und mit sich fortreifJt. Es darf darum kein lieb. licher und den Sinnen schmeichelnder Ort sein -wie es deren manche gibt -, damit nicht der Geist, anstatt sich zu sammeln, sich vielmehr in sinnlichem Genufj und Ergötzung I) Joh 4,2B. 397

zerstreue. Und dazu scheint mir ein einsamer, rauher Ort am geeignelsten zu sein. Da kann sich der Geist mit gan- zer Kraft und geraden Weges zu Gott erheben und wird nicht gehindert und gehemmt durch sinnliche Dinge. Diese können ihm wohl manchmal behilflich sein zur Erhebung zu Gott; aber so nützlich sie sind, man muß auf sie ver- zichten, um sich in Gott zu sammeln. Darum wäWte der Heiland, uns zum Vorbild, zum Beten gewöhnlich einsame Orte, vor allem solche, die den Sinnen nicht viel Nahrung boten und die Seele zu Gott erhoben. Von dieser Art sind die Berge, die sich von der Erde erheben, gewöhnlich keine Vegetation b~itzen und auch keine sinnliche Anregung bieten. Die wahrhaft geistliche Seele darf darum niemals darauf achten, dafa ein Ort zum Gebete besonders bequem sei; denn das wäre ein Beweis, dafa sie noch allzusehr eine Sklavin der Sinne ist. Sie soll vielmehr allein die innere Sammlung im Auge haben, alles übrige aufaer acht lassen und sich einen Ort wählen, der für die Sinne nichls Er- götzendes bietet. Sie soll ihre Aufmerksamkeit von allem wegwenden, damit sie sich, fern von allen Geschöpfen, in Gott allein erfreuen kann. Es macht einen sonderbaren Eindruck, wenn man fromme Personen sieht, die mit aller Sorgfalt sich ein Oratorium zurecht richten, um einen angenehmen, ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrem Geschmack enlsprechenden Ort zum Gebete zu haben, die aber nur sehr wenig oder gar nicht um die innere Samm- lung besorgt sind, was doch das Wichtigste sein sollte. Besäfaen sie wahre Frömmigkeit, so wOrden sie an derlei Äufaerlichkeiten keinen Geschmack, sondern eher über- drufa empfinden. 398

39. Kap i tel Fortsetzung desselben Gegenstandes. Anleitung, wie der Geist mittels der genannten äußeren Gegenstände zur inneren Sammlung gelangen kann. So manche geistliche Seelen können nie in den Besilz der wahren Geistesfreude gelangen, weil sie sich niemals mit ihrem Verlangen nach Freude über diese äußeren, sichtbaren Dinge erheben. Solche Seelen sollen bedenken, daß zwar das sichtbare Gotteshaus oder Oratorium der für das Gebet geeignetste und dem Gebete geweihte Ort ist und die Bilder zur Frömmigkeit anregen, aber nicht in der Art, dafi sie die ganze Kraft und Freude der Seele diesen sichtbaren Gegenständen zuwenden und dabei vergessen, im lebendigen Tempel, in der innigsten Sammlung der Seele, zu beten. Um uns dies vor Augen zu führen, spricht der Apostel Paulus: "Wisset ihr nicht, daß ihr Tempel Gottes seid und der Heilige Geist in euch wolult1)?" Ebenso sagt Christus bei Lukas: "Das Reich Gottes ist in euch2)." Diesen Gedanken legt uns auch jenes schon angeführte Wort Christi an die Samariterin nahe: "Die wahren An- beter beten Gott im Geiste und in der Wahrheit ans)." Gott achtet deiner Oratorien uQd schön geschmückten Gebetsorte wenig, wenn deine Freude und Anhänglichkeit an dieselben vorherrschend ist, und zwar zum Schaden der inneren Entblößung und geistigen Armut, die im Verzicht auf jeden Besitz besteht. Um den Willen von der Freude und dem eitlen Ver- langen nach derlei äußerlichen Dingen zu reinigen und. im Gebete auf Gott zu richten, mußt du einzig darauf achten. ein reines Herz zu bewahren, den Willen mit Gott vereint zu halten und dein Gemüt ihm zuzuwenden. Du muBt dir, wie schon erwähnt, einen möglichst einsamen, abgeschie- denen Ort suchen und die ganze Freude und Befriedigung 1) 1 KorS, 16. t) Lk17,21. 3) Joh 4, 28. 399


deines Willens auf die Anrufung und Verherrlichung Gottes gerichtet halten. Auf die kleinlichen Genüsse und Ergötzungen an Äuöerlichkeiten sollst du in keiner Weise dein Augenmerk richten, sondern sie vielmehr verachten. Denn solange die Seele an der Süßigkeit der fühlbaren Andacht Gefallen findet, wird sie nie jene innige Wonne des Geistes kosten, die man nur in der geistigen Ent- blööung mittels der inneren Sammlung findet. 40. Kap i t e i Einige Nachteile, die aus der sinnlichen Freude an Gegenständen und Orten der Andacht entspringen. Sowohl innerlich wie äuöerlich erwachsen der geist- lichen Seele Nachteile, wenn sie sich bezüglich der ge- nannten Dinge der sinnlichen Freude überläöt. Was den Geist betrifft, so wird er nie zur inneren Sammlung ge- langen, die in einem entschiedenen Verzicht auf alle diese Dinge und in einer Abkehr von allen sinnlichen Er- götzungen besteht; sie wird auch nicht eintreten in die innerste Ruhe der Seele noch sich heldenmütige Tugenden erwerben können. Bezüglich ihres äußeren Verhaltens wird sie nicht mehr imstande sein, an allen Orten zu beten, sondern nur da, wo es ihr gefällt, weshalb die Seele das Gebet oft unterlassen wird; sie wird, wie das Sprichwort sagt, nur mehr in ihrem Hausbuch lesen kön. nen. überdies macht dieses Gelüsten solche Seelen sehr wankelmütig; sie bleiben sehr unbeständig; bald wechseln sie. den Gebetsort, dann wieder ihre Haltung, man kann sie bald an diesem, bald an jenem Orte finden, jetzt führen sie da ein Einsiedlerleben, dann dort, bald errichten sie hier eine Gebetsstätte, dann wieder anderswo. Solche ver. I bringen ihr Leben, indem sie beständig ihren Stand und ihre Lebensweise ändern. Sie fühlen zwar immer Eifer und Lust an g~istlichen Dingen, aber sie machen niemals die 400

nötige Anstrengung, durch Verleugnung ihres Willens und durch geduldige Ertragung ihrer Unbequemlichkeiten zur Geistessammlung zu gelangen. Sobald sie einen Ort finden, der ihnen andachterweckend erscheint, oder eine Lebens- weise oder einen Stand, der ihren Verhältnissen und Nei- gungen zusagt, wenden sie sich diesem zu und geben den bisherigen auf. Und da nur die sinnliche Befriedigung der Beweggrund (ihrer Andacht) ist, so bleiben sie nicht be- ständig und suchen wieder etwas anderes. Denn nichts ist unbeständiger und vergänglicher als der sinnliche GenufJ. 41. Kap i tel Drei verschiedene Orte der Andacht. Wie sich der Wille dagegen zu verhalten hat. Drei Gattungen von örtlichkeiten sind es nach meinem Dafürhalten, deren sich Gott bedient, um den Willen zur Andacht zu stimmen. Die erste Gattung ist der stimmungs- .volle Anblick der verschiedenartigen Landschaftsbilder, die durch ihre Mannigfaltigkeit in der Bodengestaltung, bald durch ihren Baumwuchs, bald wieder durch stille Einsam- keit naturgemäfJ das AndachtsgefOhl wecken. Solche Orte kann man mit Nutzen aufsuchen, wenn man den Willen sogleich auf Gott richtet und von den Naturschön- heiten abkehrt. Denn, will man zum Ziele gelangen, so darf man sich beim Mittel und Motiv nicht länger als notwendig ist, aufhalten. Will man dabei sein Gelüsten und das sinnliche Ergötzen befriedigen, so ist die Folge nur Trockenheit und Zerstreuu~g des Geistes; geistige Befriedigung und Wonne findet man nur in der inneren Sammlung. Man soll sich darum an solchen Orten so be- nehmen, als wäre ma~ nicht dort. Man darf sein Auge nicht auf die Gestaltung des Ortes richten, wenn man innerlich bei Gott sein will. Wollte man an solchen Orten sein VergnOgen und Ergötzen suchen, so hiefJe das sinn- 401

licheAnnehmlichkeit suchen, und man würde Unbeständig. keit d~ Gemütes und nicht Ruhe des Geistes finden. So handelten die Anachoreten und heiligen Einsiedler. Mitten in den weiten und anmutigen Einöden wählten sie sich ein minderwertiges Plätzchen, das ihnen genügte, um eine ganz enge Zelle oder Höhle sich einzurichten, in die sie sich zurückzogen. Der heilige Benedikt lebte in einer solchen Höhle drei Jahre lang, und ein anderer, der hei. lige Simon, band sich mit einem Stricke an, damit er nicht weiter weichen und gehen konnte, als die Länge des Strickes es zulieü. Solch eine Lebensweise führten noch viele Einsiedler, die wir hier nicht aufzählen können. Diese Heiligen erkannten ganz genau, dass sie nicht in den Be. sitz der geistigen Wonne gelangen und keine wahren Gei. stesmäDner werden könnten, wenn sie nicht dem Gelüste nach einer Ergötzung und Befriedigung die Zügel anlegen würden. Mit der zweiten Art von Gebetsorten hat es eine be. sondere Bewandtnis. An solchen Orten, mögen sie nun einsam sein oder nicht, gewährt Gott gewissen Personen besondere geistige Gunstbezeigungen, die von tiefer in. nerer Wonne begleitet sind. Eine solche Person trägt nun gewöhnlich eine besondere Anhänglichkeit an jenen Ort im Herzen, an dem sie so begnadigt wurde, und wird oft von heftiger Sehnsucht getrieben, sich dorthin zu begeben, obwohl sie nicht immer dieselben Eindrücke empfängt wie das erstemal. Denn solche Gnadenerweise hängen nicht von iltrem Willen ab. Gott verleiht seine Gnaden wann, wie und wo er will, ohne an einen Ort, an eine Zeit oder an die Wünsche dessen gebunden zu sein, dem er sie er. weist. Trotzdem finde ich es nicht für ungeordnet, zum Gebet sich dorthin zu begeben, wenn man sich nur vom selbstsüchtigen Gelüste frei macht, und zwar aus drei Grün- den: 1. Obwohl Gott, wie schon erwähnt, nicht an einen Ort gebunden ist, so will er, wie es scheint, von dieser 402

Person gerade dort gepriesen werden, wo er sie begnadigt hat. 2. Die Seele soll umso eindringlicher an ihre Dankes- pflicht erinnert werden, die ihr Gott gegenüber obliegt; 3. gibt diese Erinnerung stets mächtigere Anregung zur Andacht Aus diesen Gründen kann man solche Orte wie- der aufsuchen, aber nicht in dem Wahne, Gott sei mit seinen Gnadenerweisen nur an diesen Ort gebunden, so daß er sie anderswo nicht gewähren könne. Denn die Seele und nicht ein materieller Ort ist für Gott am geeignetsten und angemessensten zur Gnadenspendung. So lesen wir in der HeiligeIl Schrift, daß Abraham an dem Orte, wo ihm der Herr erschien, einen Altar er- baute und dort seinen heiligen Namen anrief. Als er dann bei seiner Rückkehr aus Ägypten wieder am selben Orte vorüberzog, wo ihm der Herr erschienen war, traf er wie- der den von ihm erbauten Altar und rief aufs neue Gott anI). Auch Jakob zeichnete den Ort, an dem ihm Gott zu oberst auf jener Leiter erschienen war, dadurch aus, daß er dort einen Stein aufrichtete, den er mit öl begoB2). Agar gab dem Orte, wo ihr der Engel erschienen war, aus Verehrung gegen denselben einen Namen und sagte: "Wahrhaftig, hier sah ich den Rücken dessen, der mich sah3)." Die dritte Art betrifft jene Orte, die Gott in besonderer Weise auserwählt, damit ihm dort durch Anrufung seines Namens gedient werde. Ein solcher war der Berg Sinai, wo er dem Moses das Gesetz gegeben.). In gleicher Weise der Berg Horeb, den Gott dem Elias zu besteigen befahl, damit er sich ihm dort offenbarea). Ich erwähne auch den Ort auf dem Berge Gargano, den der heilige Michael zu seinem Dienste einweihte, als er dem Bischof von Siponte erschien und zu ihm sprach: Er sei der Beschützer dieses Ortes und verlange, daf& auf diesem ein Heiligtum errichtet 1) Gn 12, 8. 18, 4. Gn ~ 13-18. 8) Gn 16, 18. .) Ex 22, 2 5) 8 Kg 19, 8. 403

werde zum Gedächtnis der Engeil). Auch die allerseligste Jungfrau wählte sich durch das auffallende Wunder des Schneefalles in Rom einen Ort für ein Gotteshaus, das ein Patrizier erbauen sollteI). Den Grund, warum Gott diese Orte vor anderen zu scinem Lobe auserwählt, weiD er seI. ber. Was uns betrifft, so genügt es, zu wissen, daö alles zu unserem geistigen Fortschritt geschieht und Gott uns daselbst und ilberall, wo wir ihn mit vollkommenem Glau. ben anrufen, erhört. Und wenn wir zu ihm flehen an Or. ten, die seinem besonderen Dienste geweiht sind, so haben wir um so mehr Aussicht, erhört zu werden, weil sie die Kirche eigens zu diesem Zwecke bestimmt und geweiht hat. 42. Kap i tel Andere Mißbräuche beim Gebete; sie bestehen bei vie. len Personen in nichtigen und abergläubischen Zere. monien. Die nutzlose Befriedigung und Unvollkommenheit, die in der Anhänglichkeit an die genannten übungen der Fröm. migkeit liegt, die viele Personen an sich haben, sind viel. leicht noch eicigermaöen erträglich und einer unschul. digen Begeisterung zuzuschreiben. Aber unerträglich ist das grenzenlose Vertrauen vieler auf allerlei Förmlich- keiten, welche Menschen von geringer Einsicht und von wenig Einfalt des Glaubens ausgedacht haben. Ich rede hier nicht von jenen Miöbräuchen, bei denen man sich ungewohnter und nichtssagender Ausdrücke und Namen bedient, auch nicht von profanen Gebräuchen, denen uno wissende, ungebildete und des Aberglaubens verdächtige Menschen huldigen. Solche übungen sind offenbar zu ver. urteilen und sündhaft, und viele, die sie vornehmen, stehen sogar in einem geheimen Einvernehmen mit dem bösen I) Brev. am Feste der Ersch. d. hl. Mich. 1) Brev. am Feste Mariä Schnee. 404

Feinde. Man fordert dadurch Gott zum Zorn heraus und vereitelt seine Barmherzigkeit. Damit will ich mich hier nicht befassen. Ich spreche nur von jenen übungen, die nichts derartig Verdächtiges an sich tragen. In unseren Tagen hängen viele Seelen in mißverstandener Frömmig- keit an gewissen übungen, deren sie sich bei ihren An- dachten und Gebeten bedienen; sie schreiben denselben solche Kraft zu und setzen solches Vertrauen auf sie, dass sie der Ansicht sind, es sei alles nutzlos und Gott erhöre sie nicht, wenn auch nUr ein Pünktchen fehle, oder wenn sie zu weit gingen. Sie setzen mehr Vertrauen auf diese übungen als auf den lebendigen Geist des Gebetes, was nichts anderes als eine Verunehrung und Beleidigung Got- tes ist. Solche Leute verlangen zum Beispiel eine Messe, aber unter Benützung einer genau bestimmten Anzahl von Kerzen; sie fordern ferner, daß sie ein ganz bestimmter Priester lese, genau zu dieser Stunde, weder früher noch später, &1 einem bestimmten Tage und nicht zu einer an- deren Zeit. Handelt es sich um Gebete oder Besuchungen des Allerheiligsten, so müssen sie gerade in der Anzahl, in der bestimmten Zeit mit diesem Zeremoniell und dieser körperlichen Haltung vorgenommen werden, ohne daß man die geringste .lnderung der Zeit, der Zahl oder der äußeren Form zulänt. Auch die Person, die dies alles vollzieht, mun gewisse Anlagen und Eigenschaften besitzen. Und fehlt et- was von dem, was solche Personen sich in den Kopf ge- setzt haben, so ist alles umsonst Und derartige Torheiten kommen bei ihnen noch unzählige andere vor. Noch schlimmer und unerträglicher sind jene, die den Anspruch erheben, eine Wirkung ihres Gebetes in sich zu verspüren oder zu erlangen, um was sie bitten, oder auch die Versicherung zu bekommen, daß die Erhörung eine uno mittelbare Folge ihres abergläubischen Gebetes sei. Aber das heißt nichts anderes als Gott versuchen und ihn schwer. beleidigen. Da ist es kein Wunder. wenn Gott dem bösen 405

Feinde zuweilen erlaubt, solche Leute zu täuschen, indem er sie etwas fühlen oder erkennen lä&t, was zum Verderben ihrer Seele gereicht. Und das ist eine gerechte Strafe für ihren Eigensinn, da sie bei ihren Gebeten nicht die Absicht haben, es möge der Wille Gottes, sondern ihr eigener Wille geschehen. Auf diese Weise werden sie nie etwas zu ihrem Heile erreichen, da sie nicht ihr ganzes Vertrauen auf Gott setzen. 43. Kap i tel Wie man die Freude und Kraft des Willens bei den Andachtsübungen auf Gott richten soll Solche Personen sollen woW bedenken, daß ihr Ver. trauen auf Gott umso geringer ist, je mehr Kraft sie den eitlen äußeren Förmlichkeiten zuschreiben. Und darum erlangen sie auch nicht von Gott, um was sie ihn bitten. Gar manchen liegt die Erfüllung ilirer Wünsche weit mehr am Herzen als die Verherrlichung Gottes. Sie wissen zwar, daß eine Bitte nur Erhörung findet, wenn es Gott gefällt und nicht anders, aber dennoch verdoppeln sie in ihrem Eigensinn und in ihrer eitlen Freude an dem, was sie wün. schen, ihre übertriebenen Gebetsübungen, um erhört zu werden. Da wäre es weit besser, wenn sie ihre Kraft wichtigeren Dingen zuwenden würden, etwa der vollkorn. menen Reinigung ihres Gewissens oder dem Verständni.! dessen, was ihnen zum Heile dient,. während sie alle an. dem Bitten, die sich nicht auf dieses Hauptziel beziehen ganz beiseite lassen sollten. Auf diese Weise erlanger solche Personen zwar das, was ihnen besonders nottut aber es wird ihnen auch das, was ihnen sonst noch zu träglich ist, zuteil, selbst wenn sie nicht darum bitten, uni zwar noch weit schneller und vollkommener, als wenn sil ihre ganze Kraft auf Nebensächlichkeiten verwenden. Dern so lautet die Verheißung des Herrn im Evangelium: "Such~ 406

zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch beigegeben werdew)." Diese Bitte um das ewige Heil gefällt Gott am meisten, und es gibt kein besseres Mittel, die Erf(illung der Wünsche unseres Her. zens zu erlangen, a!s die ganze Kraft unseres Gebetes auf das zu richten, was Gott am meisten wohlgefällig ist. Denn da wird er uns nicht blofJ das geben, um was wir ihn bitten, das ewige Heil, sondern auch alles, was er für uns als gut und zuträglich erkennt, auch wenn wir ihn nicht darum anflehen. Darauf weist David hin wenn er sagt: "Nahe ist der Herr allen, die ihn anrufen, die ihn anrufen in Wahrheit2)." In Wahrheit aber rufen ihn jene an, die ihn um die wahren, um die höchsten Güter bitten, um das Heil der Seele. Darum fährt David fort: "Er tut den Willen derer, die ihn fürchten, und erhört ihr Flehen und rettet siel)." Wenn David sagt, der Herr sei nahe, so deutet er damit die Erfüllung unserer Wünsche sowie auch die Ge- währung dessen an, woran wir bei unseren Gebeten nicht einmal zu denken wagen. Wir lesen von Salomon, dafJ er Gott um etwas ihm Wohlgefälliges bat, nämlich darum, sein Volk weise und gerecht regieren zu können, und Gott gab ihm zur Antwort: ,.Weil deinem Herzen die Weisheit mehr geilel als alles andere und du nicht um den Sieg und den Tod deiner Feinde noch auch um Reichtum und langes Leben gefleht hast, so sind dir Weisheit und Erkenntnis verliehen worden, um mein Volk gerecht regieren zu kön. nen; aber auch das, um was du nicht gebeten, will ich dir geben, Reichtum, Schätze und Ruhm, so dafJ kein König dir gleichkommen soll weder vorher noch nachher4)." Und so geschah es auch. Seine Feinde unterwarfen sich, zahlten ringsum den Tribut und störten nie mehr seine Ruhe. Etwas Ähnliches lesen wir auch im ersten Buche Mo- ses. Gott versprach dem Abraham die Nachkommenschaft seines rechtmA&igen Sohnes zu vermehren wie die Sterne 1) Mt 6, ~. I) Ps 144, 18. I) PB 144, 19. 4) 2 Par 1,11-12. 407

des Himmels gemäß der Bitte, die der Patriarch an ihn gerichtet hatte. Und er fügte hinzu: "Auch den Sohn dei- ner Magd will ich zu einem groDen Volke machen, weil er dein Sohn isV)." So muß man die Kraft und Freude d~ Willens auf Gott richten und darf sich nicht auf selbster. j fundene Gebräuche stützen, die der katholischen Kirche unbekannt sind, die sie auch nicht gutgeheijjen hat. Man soll dem Priester die Messe lesen lassen in der Weise, an dem Ort und zu der Zeit, wie es ihm von der Kirche vor- geschrieben ist; man führe keine neuen Gebräuche ein, als j verstünde man die Sache besser als die Kirche und der Heilige Geist. Wenn Gott es für gut findet, uns nicht zu erhören, selbst wenn man in Einfalt betet, so glaube man ja nicht, dajj er uns erhören werde, wenn man sich solch lächerlicher Gebärden beim Gebete bedient. Denn Gott ist uns gegenüber so gesinnt, dajj wir alles erlangen werden, was wir auch immer begehren, wenn wir mit dem über- einstimmen, was ihm entspricht; wenn wir aber unsere persönlichen Interessen verfolgen, dann ist es zwecklos, WlS an ihn zu wenden. In allem, was ullSere Gebetsweise und Andachtsübungen betrifft, sollen wir uns nach dem Bei. spiele Jesu Christi und der Lehre der Kirche richten2). Als die Jftnger den Herrn baten: "Herr, lehre uns beten", da belehrte er sie gewiß über alles, was notwendig ist, um vom ewigen Vater erhört zu werden, da ihm ja sein Wille genau bekannt war. Er lehrte sie nur die sieben Bitten des Vaterunsers, in denen all unsere geistigen und leiblichen Bedürfnisse enthalten sind, und sprach weiter nichts von verschiedenen anderen Gebetsformeln und Zeremonien. Im Gegenteil, er legte ihnen ans Herz, beim Gebete nicht viele Worte zu machen, da unser Vater im Himmel selbst wisse, was wir bedürfen'). Nur eines schärfte er uns mit besonderem Nachdruck ein, daß wir beharrlich sein sollen beim Gebet durch häufige Wiederholung des Vaterunsers: I) Gn 21,18. t) Lk 11,1.2. 3) Mt 6, 7. 8. 408

und anderswo sagte er, daß wir allezeit beten und nicht nachlassen sollen1). Er lehrte uns nicht verschiedene Ge- betsformeln, sondern will nur, daß wir das Vaterunser recht oft, inbrünstig und sorgfältig wiederholen. Denn in diesen Bitten ist, wie bereits erwähnt, alles enthalten, was der Wille Gottes und uns zum Heile ist. Als darum der Gottessohn zum ewigen Vater flehte, bediente er sich drei- mal derselben Worte des Vaterunsers. Er sprach, wie die Evangelisten bemerken: "Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht wie ich, son- dern wie du willstJ)." Was nun die äußeren übungen betrifft, deren wir uns nach seiner Anweisung bedienen sollen, so finden sich nur zwei angegeben. Entweder sollen wir uns zurückziehen in unser Kämmerlein, wo wir ohne Störung und ohne von jemand bemerkt zu werden mit ganz reinem Herzen beten können, wie es uns der Heiland mit folgenden Worten be- fiehlt: "Du aber, wenn du beten willst, geh in dein Kämmer- lein und schließ die TOre und bete zu deinem Vater im Verborgeneni)." Oder wir können uns auch n~ch seinem Beispiele an einen einsamen Ort zurOckziehen, am besten zur Nachtzeit, wo mehr Ruhe herrscht. Es ist also nicht die Rede von bestimmten Zeiten oder bestimmten Tagen, oder daß wir bei unseren Andachtsübungen und Gebeten dieser oder jener Zeremonien und Worte oder Redewen- dungen uns bedienen sollen. Halten wir vielmehr fest an den Gebräuchen, die dem Sinne und Gebrauche der Kirche entsprechen! Dies alles ist enthalten im Vaterunser. Da- mit verurteile ich nicht die Handlungsweise gewisser Per- sonen, die manchmal an bestimmten Tagen ihre Andachts- übungen vornehmen, ich billige vielmehr die Novenen und andere derartige übungen der Frömmigkeit; ich tadle nur das Verhalten jener, die bei ihren AndachtsObungen ihr ganzes Vertrauen auf gewisse äußere Förmlichkeiten set- I) Lk 18, 1. I) Mt~, 00. 8) Mt 6, 6. 409

zen. Diedes Verhalten tadelte auch Judith an den Bewoh. nern von Bethulia, weil sie Gott die Zeit vorschrieben, in der sie von ihm Barmherzigkeit erwarteten. "Ihr habt", so sprach sie, "dem Herrn eine Zeit bestimmt zur Erbar- mung? Das ist keine Rede, die Gott zum Erbarmen be- wegt, sondern seinen Zorn herausfordertI)," 44. Kapitel Die zweite Art bestimmter Güter, an denen der Wille eitle Freude finden kann. Die zweite Art bestimmter angenehmer Güter, die für den Willen eine Quelle eitler Freude sein können, sind jene, die uns anregen und bestimmen, dem Herrn zu die- nen. Wir nennen sie anregende. Dazu rechnen wir die Prediger, über die wir in zweifacher Hinsicht sprechen können, in erster Linie bezüglich ihrer selbst und dann bezüglich ihrer Zuhörer. In dieser zweifachen Beziehung ist die Bemerkung am Platze, daß das Wohlgefallen des Willens auf Gott gerichtet werden soll. Was den Prediger betrifft, so muß er, um dem Volke zu nützen und nicht selbst ein Opfer der Selbstgefälligkeit und eitlen An- maßung zu werden, vor Augen haben, daß das Predigen eine Geistesarbeit und nicht ein bloßes Gerede sei. Wobl bedient er sich äußerlich der Worte, aber die Wirksam- keit und Kraft beruht auf dem inneren Geiste. So erhaben auch die Lehre ist, die er vorträgt, so vollkommen auch die Beredsamkeit und so fein auch immer der Stil sein mag, in den er seine Worte kleidet, er wird gewöhnlich nur insoweit Nutzen stiften, als er selbst vom wahren Geiste durchdrungen ist. Allerdings ist das Wort Gottes aus sich selbst wirk. sam, wie es David mit folgenden Worten andeutet: "Er läßt seine Stimme mächtig erschallen2)." Auch da.5 Feuer 1) Jdt 8, 12. 18. ') Ps 67,84. 410

hat die Kraft, zu brennen, es brennt aber nur dann, wenn es die nötige Zubereitung hat. Damit eine Lehre mächtigen Eindruck macht, wird von seiten des Predigers eine ge- wisse innere Veranlagung und von seiten der Zuhörer eine gewisse Empfänglichkeit ~rfordert, aber gewöhnlich hängt der Nutzen einer Predigt von der Disposition des Pre- digers ab. Darum sagt man: Wie der Lehrer, so der Schüler. Als die sieben SOhne des jüdichen Hohenprie- sters Skevas sich bei Beschwörung der bösen Geister der- selben Worte wie St. Paulus bedienten, da geriet, wie die Apostelgeschichte berichtet, der Teufel in Wut gegen sie und sprach: "Christus kenne ich, und Paulus ist mir be- kannt, aber wer seid ihr?l)" Und er fiel sie an, riß ihnen die Kleider vom Leibe und verwundete sie. Der Grund hievon lag am Mangel der notwendigen Disposition; denn Christus hatte ihnen keinen Auftrag erteilt, in seinem Namen zu handeln. Eines Tages trafen die Apostel einen Menschen, der kein Jünger Jesu Christi war, aber in seinem Namen einen Teufel austrieb. Sie verwehrten es ihm, und der Herr tadelte sie mit den Worten: " Wehrt es ihm nicht, denn niemand kann in meinem Namen ein Wunder wirken und zugleich übles von mir reden2)." Und doch ist er ent- rüstet über jene, die das göttliche Gesetz lehren und es selber nicht befolgen, die den guten Geist verkünden, ihn aber nicht besitzen. Darum sprach er durch St. Paulus: "Der du einen andem lehrst, lehrst dich selbst nicht, der du predigst, nicht zu stehlen, stiehlst selbst')." Durch David aber redet der Heilige Geist: "Zum Sünder spricht Gott: Warum zählst du meine Satzungen auf und nimmst mein Gesetz in deinen Mund, während du doch die Zucht hassest und meine Worte hinter dich wirfst4)." Daraus I kann man abnehmen, daß Gott solchen Menschen nicht den Geist mitteilt, um Früchte hervorzubringen. 1) Apg 19, 15. .1) Mk 9, ~. a) Röm 2, 21. 4) Ps 49, 16. 17. 411

Soweit wir es hier beurteilen können, machen wir gewöhnlich die Wahrnehmung: Je vorbildlicher ein Prie- ster lebt, desto mehr Nutzen stiftet er, mag auch sein Stil noch so armselig, seine Beredsamkeit noch so gewöhn- lich und sein Vortrag noch so einfach sein. Denn der lebendige Geist erwärmt die Herzen. Ohne diesen Geist werden kaum Früchte erwachsen, so glänzend auch der Stil und so erhaben auch der Inhalt. seines Vortrages sein mag. Es ist gewiä nicht zu leugnen, daä ein schöner Stil, entsprechende Aktionen, eine erhabene Lehre und ein , guter Vortrag hinreillen und mächtig wirken, wenn aus all diesem der Geist der Frömmigkeit spricht Aber ohne diesen Geist finden nur die Sinne und der Verstand Er- götzung und Nahrung, während der Wille wenig oder gar nicht erwärmt und belebt wird. Er bleibt gewöhnlic.h ebenso lässig und träge zum Handeln wie vorher, wenn auch bewunderungswürdige WahI'heiten in der vortreff- lichsten Weise vorgetragen werden. Dies alles ist nur ein Ohrenschmaus, wie ihn auch ein Konzert oder Glocken- geläut hervorbringen kann. Aber der Geist läät sich, wie schon erwähnt, aus seiner bisherigen Schläfrigkeit nicht aufwecken; die Beredsamkeit allein hat keine Kraft, einen Toten zu beleben und ihn aus dem Grabe zu erwecken. ~ hat keinen Wert, wenn ich eine Musik höre, die besser ist als eine andere, wenn weder die eine noch die andere mich zum Handeln anregen. Hat man auch noch so be- wunderungswürdige Dinge gehört, sie geraten wieder in Vergessenheit, wenn sie nicht den Willen entflammten. Abgesehen davon, daä die Beredsamkeit aus sich nur we- nig Frucht bringt, da nur die Sinnlichkeit Genua findet an dieser Kost der Lehre, hindert sie auch das Eindringen derselben in den Geist; man hat nur ein Auge für die Predigtweise und andere Nebensächlichkeiten und bleibt dabei stehen. Man lobt den Prediger wegen dieser oder jener Eigenschaft und verfolgt sein Wort nur um dieser 412

willen, nicht aber, um sein Leben zu bessern, Darüber gibt uns der heilige Paulus in seinem Briefe an die Korinther am besten Aufschlu&, wenn er sagt: "Ich, meine Brüder, trat, als ich zu euch kam und Christus predigte, nicht in erhabener Rede und Weisheit auf ---und meine Rede und meine Predigt bestand nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung von Geist und KrafV)," Es war nicht die Absicht des Apostels und ist auch nicht die meinige, einen guten Stil, erhabene Beredsamkeit und gut gewählte Worte zu verurteilen -dies alles ist. sowohl für den Prediger als auch für jeden Geschäftsmann eine kostbare Gabe-, denn die Kunst, das rechte Wort und den passenden Ausdruck zu finden, richtet oft eine ver- lorene und aufgegebene Sache wieder auf, während schlecht gewählte Worte die besten Sachen zugrunde rich- ten und verderben kOnnen2)... 1) 1 Kor 2, 1. 4. I) Anmerkung: Damit endet der "Aufstieg zum Karmel", soweit er auf uns überkommen ist. p, Gerardo, der spanische Herausgeber der Edicion critica der Werke des heiligen Johannes vom Kreuz glaubt, dass die vorliegende Abhandlung nur etwa die Hilf te des ganzen Werkes ausmache, während das übrige durch die Ungunst der Zeitverhältnisse verlorengegangen sei. Denn im 15, Kap. des m. Buchi1s vom "Aufstieg" erklärt der heilige Verfasser ausdrücklich, er wolle die vier LeidenschafteIl des Willens der Reihe nach behan- deln. In Wirklichkeit liegt .jedoch nur die Abhandlung über die erste dieser vier IJeidenschaften vor, über die Freude, und auch diese wieder nur unvollständig, wenigstens ,venn man damit den im Kap. 34 des gleichen m. Buches aufgestellten Plan vergleicht. Allein es steht nicht fest und lässt sich auch durch keine positiven Beweise erhärten, ob die angekündigten Abhandlungen vom Heiligen wirklich ge- schrieben wurden und verlorengingen, oder ob dieselben infolgeZeit- mangels oder anderer Umstände überhaupt nicht abgefa~st wurden. 413

Anhang (Zwei bisher unveröffentlichte FragmenteI). I. i Die Freude als erster Willens affekt. -Kein Objekt des Begehreus kann ein entsprechendes Mittel zur Vereini. gung der Seele mit Gott sein. Die erste Leidenschaft der Seele wie der erste Affekt des Willens ist die Freude2). Diese wird in der Seele durch Vermittlung des Willens hervorgerufen und zwar durch Dinge, die sich ihr als gut und nützlich, als lieblich und angenehm darbieten, insofern sie ihr als schön, ange- nehm, anziehend und kostbar erscheinen. Aus diesem Grunde wendet sich ihnen die Neigung des Willens zu, !hofft sie zu erlangen, freut sich ihrer, wenn er dieselben erlangt hat, fürchtet, sie wieder zu verlieren und ist be- trübt, wenn sie wirklich verloren gegangen sind. So ge- rät die Seele durch die Leidenschaft der Freude in Auf- regung und Unruhe. I) Anmerkung: Die beiden hier folgenden Bmchstücke wurden zum erstenmal veröffentlicht vom Herausgeber der neuen spanischen kritischen Gesamtausgabe der Werke des heiligen Johannes vom Kreuz. Aus dem Umstande, dass die beiden Fragmente in den drei bedeutendsten Handschriften stehen, sowie aus der Schreibart und dem Inhalt derselben lässt sich nicht unschwer die Urheberschaft des heiligen Johannes vom Kreuz nachweisen. Wenn sie in den ersten Ausgaben nicht enthalten waren, so war daran wohl schuld, dass sie entweder erst später wieder aufgefunden wurden, oder weil sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen mit dem " Aufstieg". I) Siehe die Anm. zu m. B., 16. Kap. des "Aufstiegs". 414

C) Will man die Kraft dieser Leidenschaft bezüglich alles dessen, was nicht Gott ist, unschädlich machen, so muß man wohl beachten, daß der Gegenstand einer be- stimmten freudigen Willensregung das Angenehme und Ergötzliche ist; doch nichts von dem ist Gott. Denn Gott kann nicht in den Bereich der Wahrnehmungen der üb- rigen Seelenkräfte fallen; somit ist er auch für die Be- gehrungen und Neigungen des Willens unerreichbar. Da die Seele hienieden das Wesen Gottes nicht zu kosten vermag, so kann kein wie immer süßes oder wonnevolles Gefühl Gott zum Inhalt haben. übrigens kann der Wille ein Objekt nur in bestimmter Form verlangen und kosten, insofern er es als dieses oder jenes Ding erkennt. Und da der Wille das Wesen Gottes niemals gekostet hat noch durch irgendwelche Betätigung ,des Begehrungsvermögens erfaßt hat, so weiß er auch nicht, was Gott ist, noch was ~ heißt, ihn zu genießen. Daraus ergibt sich, daß weder der Begehrungstrieb Gott erfassen noch auch der Ge- schmacksinn ihn kosten kann, da ja Gott Ober jedes Fas- sungsvermögen erhaben ist. Diese Erwägungen zeigen klar, daß keines von all den Objekten, deren der Wille sich freuen kann, Gntt ist. Damit nun die Vereinigung mit Gott zustande kommt, muß man dem Begehren und Gelüsten jeden Genuß so- \\'ohl an natürlichen wie übernatürlichen Dingen versagen, Soll nämlich der Wille irgend wie Gott erfassen und sich mit ihm vereinigen können, so ist das nur möglich durch Liebe, keineswegs aber mittels einer WahrnehmungstAtig- keit des Begehrungsvermögens. Und da die Liebe nicht in irgendeiner Süßigkeit oder einem Genusse besteht, so vermag auch keines dieser Wonnegefühle dem Willen ein geeignetes Mittel zur Vereinigung mit Gott zu bieten. Da. zu führt ihn nur seine eigene Tätigkeit. Die Tätigkeit des Willens ist aber ganz verschieden von seinen Gefühlen. 415

Durch seine Tätigkeit vereinigt sich der Wille mit Gott und findet seinen Abschlu6 in der Liebe, und zwar nicht durch die Empfindung und Wahrnehmung des Begeh. rungsvermögens, die in der Seele als ihrem Sitze Ziel und A bschluB findet. Die Empfindungen haben sonst keine Bedeutung, als dass sie zur Liebe anregen und dem Willen zu weiterem Fortschritt behilflich sind. Deshalb führen auch diese Wonneempfindungen die Seele nicht aus sich selbst zu Gott; sie bewirken vielmehr, dass die Seele in ihnen ihr Genügen finden soll. Die Tätigkeit des Willens dagegen, welche die Liebe Gottes zum Inhalt hat, führt die Seele unmittelbar zu Gott, und indem sie sich über alles Ge- schaffene erhebt, liebt sie ihn über alles. Wenn sich dar- um jemand zur Liebe Gottes angeregt fühlt durch solches Wonnegefühl, so lasse er ruhig dieses sü6e Gefühl unbe- achtet und wende Gott seine Liebe zu, den er ja nicht ge- fühlsmä6ig erfassen kann. Stützt er sich hingegen auf dieses Wonnegefühl und diese Freude, und schenkt er die- sem seine Aufmerksamkeit, so hei6t das seine Liebe etwas Geschöpflichem zuwenden und den Beweggrund mit dem Endziel verwechseln. Dadurch würde die Willenstätigkeit eine verkehrte. Denn da Gott unbegreiflich und unzugäng- lich ist, so darf sich die Willenstätigkeit, um zur Gottes- liebe zu gelangen, nicht dem zuwenden, was der Wille mit seinem Begehren erreichen und erfassen kann, sondern vielmehr dem, was er mit demselben nicht erreichen noch fassen kann. Nur so liebt die Seele mit einer Sicherheit, wie es in Wahrheit dem Glaubensgeiste entspricht, und .bleibt in dieser Entäuöerung im Dunkel des Glaubens frei von allen Empfindungen, die in ihr rege werden können. Und auch der Verstand stützt sich nicht auf seine Erkennt- nis, indem er allem gläubig zustimmt, was über seine Fas. sungskraft hinausgeht 416


II. SoU eich der Wille mit Gott vereinigen, dann muß er auf jede8 natürliche Begehren verzichten. Große Unwissenheit würde es verraten, wenn man annehmen wollte, Gott sei nicht in uns, wenn wir der geistigen Süßigkeit und Wonne entbehren, dagegen anzu- nehmen, wir seien im Besitze Gottes, wenn dieser Wonne. genuß sich einstellt. Noch unverzeihlicher ist diese törichte Meinung, wenn man diese SüÖigkeit in Gott sucht und sich derselben freut; denn das heißt nicht im glau~ns- vollen Verzicht Gott suchen, sondern im geistigen Genun. Der ist aber nur etwas Geschöpfliches. Man würde also damit nur sein Gelüsten befriedigen; und das hieße nicht Gott mehr als alle geschaffenen Dinge lieben. Gott Ober alles lieben heißt vielmehr die ganze Kraft des Willens ihm allein zuwenden. So würde man sich also in seinem Verlangen einem geschöpftiehen Gute zukehren und könnte sich infolgedessen nicht über dasselbe zu Gott, dem Unerreichbaren, erheben. Der Wille kann eben unmöglich die Süßigkeit und Wonne der göttlichen Vereinigung kosten, wenn nicht das Begehren sich jeglichen Genusses entiuQert hat. Dies ist auch der tiefere Sinn der Psalmworte: Dilata os tuum et implebo illud. "öffne deinen Mund, daB ich ihn fOllet)!" Das Begehren ist der Mund des Willens; und dieser Mund öffnet sich, wenn ihn nicht der Bissen irgend': welcher Freude daran hindert; sobald sich hingegen das Begehren irgendeiner Sache zuwendet, schlieDt sich der Mund. Da es nun außer Gott nichts gibt, was uns be. friedigen könnte, so muD der Mund des Willens stets für Gott geöffnet sein, muß leer sein von jeglichem Bissen des Begehrens, auf daB ihn Gott erfülle mit der SüDigkeit seiner Liebe. Er darf seinen Hunger und Durst in Gott I) Ps 9), 11. 417

allein süllen wollen, ohne eigene Befriedigung zu suchen. Hier auf Erden können wir ja Gott nicht seinem Wesen nach kosten. Das aber, was wir davon kosten können, ist vielmehr der wahren Liebe hinderlich, sobald sich irgendein Begehren nach etwas einstellt. Diese Tatsache hatte auch Isaias im Auge, wenn er sagte: "Ihr alle, die ihr dürstet, kommt zu den Wassern1)." Er ladet nur jene ein, welche' nach Gott allein dürsten und kein Geld für ein Gelüsten haben; er ladet sie ein, ihren Durst zu stillen an den Wassern der göttlichen Vereinigung. Und da die Freude durch den Mund des Willens, d. i. das Begehren. gesättigt wird, so wollen wir die verschiedenen Arten dieser Nahrung aufzählen, an denen sie sich sittigen kann; wir wollen aber auch angeben, wie wir uns von all diesen Dingen läutern müssen, damit der Mund, leer von jeder sinnlich fühlbaren Nahrung, nur mehr Hunger habe nach der Erfüllung des Willens Gottes, der da unfafJbar ist'). I) Is 55, 1. I) Anmerkung: Damit schliesst auch dips es Kapitel ul1vollendpt ab, ohne dass man irgendwo das oben ausgesprochene Versprechen des heiligen Verfassers erfüllt rande. Es ist jedpnfalls, wie so manche andere wertvolle Arbpit von ihm, verlorengegangen. 418