Johannes vom Kreuz: Dunkle Nacht
Johannes vom Kreuz
Quelle: Sämtliche Werke in fünf Bänden, neue deutsche Ausgabe von P. Aloysius ab Immac. Conceptione und P. Ambrosius A S. Theresia, unbeschuhte Karmeliten, im Kösel Verlag München, II. Band, Nach der neuesten kritischen Ausgabe aus dem Spanischen übersetzt von P. Ambrosius A S. Theresia Ord. Carm. Disc.; Vierte unveränderte Auflage 1952 (187 Seiten; Imprimatur Monachii, die 30. Novembris 1940 Buchwieser Vic. Gen.).
Papst Pius XI. verweist auf Apostolischen Schreiben „DIE VICESIMA SEPTIMA“ vom 24.8.1926, wodurch der heilige Johannes vom Kreuz zum Kirchenlehrer proklamiert wird:
Nach seiner ..., verfaßte er neue Schriften, die geradezu übernatürlich inspiriert scheinen, so erstaunlich hellsichtig ist seine Kenntnis der außerordentlichen Gnadengaben Gottes, dieser Stufen auf dem Weg zur Vollkommenheit, die er den Seelen als Ziel vor Augen stellt.
Freilich mögen „Der Aufstieg zum Berge Karmel“, „Die dunkle Nacht“. „Die lebendige Liebesflamme“, sowie noch manche seiner Schriften und auch seine Briefe schwerverständlich und geheimnisvoll scheinen; dennoch offenbaren sie eine so wesenhafte geistliche Lehre und eine so ausgezeichnete Anpassungsfähigkeit an die Fassungskraft des Lesers, dass man sie in ihrer Gesamtheit verdientermaßen bewerten muß als Wegweiser und Kompaß der gottgläubigen Seele auf ihrem Höhenweg zum Gipfel der Vollkommenheit. Die Kanonisationsbulle erklärt also mit Recht, Johannes vom Kreuz habe „Schriften über die mystische Theologie verfaßt, die von überirdischer Weisheit zeugen“. Dieses Urteil, das an sich schon einen hohen Wert besitzt, wurde in seinem Wahrheitsgehalt noch bekräftigt durch das fast einstimmige Zeugnis der Nachwelt. Nach dem Tode des heiligen Johannes vom Kreuz im Jahre 1591 nahm sein Ansehen auf dem Gebiet der Mystik mit der Zeit ständig zu. Seither haben ihn die Fachleute dieser theologischen Wissenschaft und sogar große Heilige stets als einen erfahrenen Lehrmeister der Heiligkeit und des Innenlebens anerkannt; immer wieder schöpften sie aus seinen Lehrschriften, wie aus einem lauteren Quell des christlichen Denkens und des kirchlichen Geistes, die Grundsätze ihrer Abhandlungen über das geistliche Leben.
Papst Johannes Paul II. verweist auf das Buch im Apostolischen Schreiben zum 400 Todestag des heiligen Johannes vom Kreuz 14.12.1990.
.1 N H ALT S -A N GAB E. , j Die dunkle Nacht
Gesang der Seele. Seite Die Nacht der Sinne. § 1. 1. Kapitel: Beginn der Abhandlung über die Unvollkommenheiten der Anfanger 8 §~. ~. Kapitel: Einige geistige Unvollkommen- heiten, welche die Anfanger bezüglich der Hoffart begehen 10 ! § 3. ~. Kapitel: Fortsetzung desselben Gegen- :, standes 13 § 4. 3. Kapitel: Unvollkommenheiten, die einige Anfänger bezüglich der zweiten Haupt- sünde, der geistigen Habsucht, an sich zu haben pflegen 15 § 5. 4. K.apitel. Andere Unvollkommenheiten, welche diese Anfanger bezüglich der dri tten Hauptsünde, der Unkeuschheit, gewöhn- lich an sich haben. t7" § 6. 5. Kapitel. Unvollkommenheiten, in welche die Anfänger bezüglich der Hauptsünde des Zornes fallen ~4 § 7. 6. Kapitel. Unvollkommenheiten bezüglich der geistigen Unmäßigkeit ~5 183 I . I i § 8. 7. Kapitel: Unvollkommenheiien bezüglich des geistigen Neides und der geistigen Trägheit. 30 § 9. 8. Kapitel: Erklärung des ersten Verses der ersten Strophe. Beginn der Abhandlung über die dunkle Nacht 33
- § 10. 9. Kapitel.: Zeichen, an denen man erken-
I nen kann, ob eine geistliche Seele auf dem Wege dieser Nacht und der sinnlichen Rei- nigung wandelt. 36 § 11. 10. Kapitel: Wie sich solche Seelen in dieser dunklen Nacht zu verhalten haben 43 li.Kapitel. 47 § 1.. 50 " !1\, § ~. 1~. Kapitel: Vorteile, welche diese Nacht des Sinnes in der Seele hervorbringt 51 § 3. 13. Kapitel: Andere Vorteile, welche diese Nacht des Sinnes in der Seele hervorbringt 58 14. Kapitel: Erklärung des letzten Verses der ersten Strophe. 64 Die dunkle Nacht des Geistes. I § 1. I.Kapitel:BeginnderAbhandlungüberdie ! dunkle Nacht des Geistes. Zeit ihres Be- ginnes 68 § ~. ~. Kapitel: Einige Unvollkommenheiten der Fortgeschrittenen. 70 § 3. 3. Kapitel: Bemerkung für das Folgende 73 4.Kapitel. ,76 § 1. 5. Kapitel: Beginn der Erklärung, inwie- fern die dunkle Beschauung für die Seele nicht bloß eine Nacht, sondern auch eine Pein und Qual ist. 77 184 I .." § ~. 6. Kapitel: Andere Arten der Peinigung, welche die Seele in dieser Nacht erleidet 8~ § ,3. 7. Kapitel: Fortsetzung desselben Gegen- standes. Weitere Leiden und Bedrängnisse des Willens. 87 § 4. 8. Kapi tel: Andere Peinen, die in diesem Zustand die Seele betrüben. 95 § 5. 9. Kapitel: Diese Nacht verdunkelt den Geist, erleuchtet ihn und verschafft ihm Licht. ,. 100 § 6. 10. Kapitel: Gründliche Erklärung dieser Reinigung durch e~nen Vergleich. .108 § 1. 11. K a pi t~l: Beginn der Erklärung des zwei- ten Verses der ersten Strophe. Inwiefern ist die heftige Leidenschaft der göttlichen Liebe eine Frucht dieser schweren Be- drängnisse? ..11,3 § ~. 1~. Kapitel: Erklärung, inwiefern diese schreckliche Nacht dem Fegfeuer gleicht und wie in ihr die göttliche Weisheit die Menschen auf Erden mit demselben Lichte erleuchtet, mit dem er die Engel im Him- mel reinigt und erleuchtet. .118 § 3. 1,3. Kapitel: Andere wonnevolle Wirkungen, welche diese dunkle Nacht der Beschau- ung in der Seele hervorbringt. .1 ~~ § 4. 14. Ka pi tel: Anführung und Erklärung der drei letzten Verse der ersten Strophe. .130 15. Kapitel. .1,3~ 16. Kapitel: Erklärung, inwiefern die Seele im Dunkel sicher wandelt. .1,33 185 § 1. 17. Kapitel: Erklärung, inwiefern diese dunkle Beschauung "verborgen" ist. .141) , § 1). 18. Kapitel: Erklärung, inwiefern diese ver- , borgene Weisheit auch eine "Leiter" ist. 148 § 5. 19. Kapitel: Erklärung der zehn Sprossen dieser mystischen Leiter der Liebe Gottes nach der Lehre des hl. Bernard und des hl. Thomas. Die ersten fünf Sprossen. .15g, § 4. 1)0. Kapitel: Die fünf übrigen Sprossen der Liebe. , .157 § 5. ~1. Kapitel: Erklärung des Wortes "verklei-. det". Welches si~d die Farben der Ver- kleidung in dieser Nacht? .16g, g,g,. Kapitel: Erklärung des dritten Verses der zweiten Strophe .168 ~3. Kapitel: Erklärung des vierten Verses. Beschreibung des wunderbaren Versteckes, in das sich die Seele in dieser Nacht ver- setzt sieht, und wie der Teufel, wenn er auch zu anderen, sehr erhabenen Verstecken Zutritt hat, in dieses nicht gelangen kann 169 i ~4. Kapitel: Schluß der Erklärung der zwei- ten Strophe. .178 ~5.Kapitel ..18~ ! j , i 186
f
Einführung in die dunkle Nacht.
Ein lebendiger Zug nach Verinnerlichung hat sich
in unseren Tagen vieler Seelen bemächtigt und scheint
noch immer weitere Kreise zu erfassen. Diese mystische
Strömung durchzieht besonders seit dem unglücklichen
Verlauf des Weltkrieges die Länder Europas und ist gewiß
ein erfreuliches Zeichen dafür, daß die innerlich veran-
lagten Seelen nach dem Zusammenbruch aller irdischen
Stützen sich mehr als je an Gott anklammern möchten in
der sicheren Erwartung, in ihm Ruhe für ihre suchenden
Herzen zu finden. Es hieße darum ein wesentliches Ge- ..
biet des religiösen Lebens vernachlässigen, wollte man
diesem mächtigen Zug nach Verinnerlichung nicht Rech-
nung tragen, der so fruchtbringend verwertet werden kann
für die Pflege eines gottinnigen Seelenlebens. Dieser Tat-
sache entsprang auch der Plan zur Neuausgabe der Werke
des hl. Johannes von Kreuz. Die Schriften dieses gotter-
korenen Lehrers des beschaulichen Lebens genießen ja in
der Kirche von altersher ein hohes Ansehen und reihen
sich würdig der Sammlung der alten Mystiker an, die der
Theatiner Verlag in München zur Förderung und Vertie-
fung des Lebens in Gott neu auflegen will. Von den haupt-
sächlichsten Schriften des mystischen Lehrers, alsda sind:
Aufstieg zum Berge Karmel, Dunkle Nacht, Geistlicher
Gesang der Seele und Lebendige Liebesflamme, erscheint
die "Dunkle Nacht" als erstes Bändchen, weil die Neu-
übersetzung nicht als Vollausgabe gedacht ist, sondern in
z\vangloser Folge dargeboten werden soll.
IX
'I
Während sich der Heilige im "Aufstieg zum Berge
KarmeI" die Darlegung der Tätigkeit des\ Menschen in
seinem Streben nach Vereinigung mit Gott zum Ziele
gesetzt hat, behandelt er in der "Dunklen Nacht" die gött-
liche Tätigkeit, die dem Mens!:hen erst die volle Befahigung
zur innigsten Vereinigung mit Gott gibt. Gegenstand der
\
"Dunklen Nacht" ist also die passive Reinigung, die man
mit vollem Recht das Werk Gottes in der Seele nelint im
'I Gegensatz zur aktiven, die als Werk der Seele angesprochen
- 1 werden kann. Aber doch ist die passive Reinigung nicht
~ in dem Maße ausschließlich das Werk Gottes, daß das ~ Geschöpf in vollständige Untätigkeit versetzt würde, son- dern nur insofern, als die göttlil;he Allmacht in ganz be- sonderer Weise daran Anteil ni~mt. Die Notwendigkeit der genannten Reinigung für die Seelen, die in das Brautgemach d~s göttlichen Wortes ein- , treten wollen, J) liegt auf der Ha:nd; denn nur Gott kann ein Herz so zuber~iten, daß es seiner würdig wird. Und es schließen jene Worte, die unser Heiliger anführt, eine große Wahrheit..in sich.: "Soviel stch auch die Seele Mühe gibt, so vermag si, doch nicht durch eigene Anstrengung sich so wirksam zu reinigen, daß sie auch nur im gering- sten zur göttlichen Vereinigung mit Gott fahig wäre, wenn nicht er sie in seine Hand nähme und in jenem dunklen Feuer reinigte." So muß also Gott,die Seelen, die er zur Vereinigung mit sich erheben will, zuerst reinigen und emporziehen aus dem Staube ihrer Niedrigkeit; dies alles ist das Werk der dunklen Nacht. Sinld dann die Seelen in dieselbe eingetreten, so teilt ihnen Gon einen Strahl seines göttlichen Lichtes mit, in dessen Glanz sie die Größe und Schwere ihrer Sünden erk~nnen. Eine Unzahl vou Un- vollkommenheiten, die sic;:h bisher ihrem natürlichen Gesichtskreis entzogen, tritt vor ihr Auge; die vielen, ihnen 1) Schlußsatz des 5. Kap. der Nacht des Sinnes. X innewohnenden ungeordneten Neigtmgen, v;on denen sie sich trotz aller Mühe durch die aktive Reihigung nicht frei machen konnten, zeigen sich in ihrer ganzen Verwerf- lichkeit und schreckenerregenden Gestalt. ImGlanzedieses reinigenden Lichtes sehen sie auch ihre natürliche Nied- rigkeit sowie den tiefen Abstand ein, der zwischen der Seele und der erhabenen Reinheit und Größe Gottes besteht. Dasselbe Licht, das herabfließt von deI' Höhe, beleuchtet mit seinem Schimmer nicht nur nen Verstand dieser glück- lichen Seelen, es entzündet auch nach Art einer brennep- den Flamme ihre Herzen, verzehrt den Rest ihrer Unvoll- kommenheiten, dringt mehr in das Innere derselben ein und teilt ihnen seine göttlichen ,Eigenschaften mit. Der Heilige zeigt nun, wie Gott diese Reipigung zu Ende führt und wie die Seele sich zu verhalten hat, um dem Wirken Gottes, der sie mit unaussprechlichen Gnaden- gütern bereichern wil.I, nicht entgegenzuarbeiten. Er teilt seinen Gegenstand in "Dunkle Nacht des Sinnes" und "Dunkle Nacht des Geistes". In der ersteren spricht ~r von der passiven Reinigung des sinnlichen Teiles, oder besser gesagt, von der Umgestaltung und Zügelung der Gelüste. Die Reinigung des Sinnes, so sagt er, ist jedoch im Vergleich mit der des Geistes nur die Pforte und der Anfang der Beschauung, welche mehr dazu dient, die Sinn- lichkeitdem Geiste gefügig zu machen als den Geist mit Gott zu vereinigen. I) Er führt darum die vielen Unvoll- kommenheiten- an, welche die Anhänger bezüglich .der sieben Hauptsünden an sIch tragen, damit sie die Schwäche dieses ihres Zustandes erkennen, Mut fassen und in sich das Verlangen erwecken, Gott möge sie in diese Nacht ein- führen. Und diese Sehnsucht nach Vereinigung mit Gott wird auch immer mehr gesteigert, da die Seele hier Kraft und Festigkeit in den Tugenden gewinnt und unaussprech- I) 2. Kap. der dunklen Nacht des Geistes. XI
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liche Wonnen der Liebe Gottes genießt. Die Schilderung der Fehler und Unvollkommenheiten ist überaus lebendig und geistvoll, ja oft reizend, reich an tiefen psycholo~schen Beobachtungen und durchtränkt von wohltuender Rea- listik, was alles von der praktischen Seelenkenntnis des r Heiligen Zeugnis ablegt. Diese Abhandlungen offen- baren nach den Worten eines modemen Schriftstellers') seine ganze Geistesgröße sowie die Gaben eines hervor- ragenden Geisteslehrers. Nach dieser scharfen Beleuchtung der Unvollkommen- heiten behandelt der Heilige die beseligende Nacht, in welcher sich die Anfänger von all diesen Unvollkommen- heiten zu reinigen beginnen. Dieselbe besteht in einertrocke- nen und ~inigenden Beschauung, mittels welcher sie Gott von der Mutterbrust der sinnlichen Genüsse und Süßig- keiten entwöhnen und an eine andere kräftigere Speise, die das Wachstum der Tugend fördern soll, gewöhnen will. Endlich gibt der mystische Lehrer drei Merkmale an, aus denen die Seelen erkennen können, ob ihre Trockenheit in der Beschauung, in die sie Gott eintreten läßt, oder in der Lauheit oder in körperlicher Unpäßlichkeit ihren Grund hat. Das erste Kennzeichen besteht in der Wahrnehmung, daß sie keinen Geschmack und keinen Trost mehr an irgend einem Geschöpfe finden, das zweite in dem Gefühl, daß ihre Gedanken sich in peinlicher Angst und Sorge mit Gott beschäftigen, weil sie glauben, sie würden eher rückwärts schreiten, als im Dienste Gottes vorwärts wandeln. Das dritte Kennzeichen besteht in .der Erkenntnis, daß sie beim Betrachten und forschenden Nachdenken sich nicht mehr in dem Maße wie früher, oder in keiner Weise mehr der Phantasie bedienen können. 2) 1) Paul Töth (ital. Ausgabe der Werke des Heiligen). 2) 9. Kap. der Nacht des Sinnes. XII
~ , I ! Hierauf unterweist der Heilige die Seelen über das Verhalten in diesen Trockenheiten; er gibt ihnen den Rat, sich bezüglich der nachforschenden Tätigkeit des Ver- standes keine Mühe zu geben, sondern in Ruhe und lieben- dem Auftnerken auf Gott zu verharren, und beschließt dann die Abhandlung über di~ dunkle Nacht unter beson- derer fIervorhebung der großen Vorteile, die in der muti- gen Hinnahme der Beschwerden dieser Nacht begründet sind. Diese Vorteile sind folgende: tiefe Erkenntnis ihres Elendes u~d der Erhabenheit der göttlichen Vollkommen- heiten, die Beseitigung der Hauptsünden, Wachstum der ihnen entgegengesetzten Tugenden, allgemeine Erinne- rung an Gott und ein lebendiges Liebessehnen nach ihm in Verbindung mit vielen anderen Tugenden, deren Auf- zählung zu weit führen würde. Im Anschluß an die dunkle Nacht des Sinnes geht der mystische Lehrer an die Darlegung seines Hauptzieles; es ist die dunkle Nacht des Geistes, die er mit größerer Ausführlichkeit behandelt, da nur wenige Seelen hierin Erfahrung besitzen, und ganz selten davon gesprochen oder geschrieben wird. I) In diese beseligende Nacht treten die Seelen erst ein, wenn sie die Trockenheiten und Bedrängnisse der vorher- gehenden hinter sich haben; es liegt gewöhnlich ein langer Zeitraum dazwischen, vielleicht vergehen auch Jahre, bis sie G~tt in dieselbe einführt. Wie ein liebender und be- sorgter Vater bereitet er die Seelen in dieser Zwischenzeit auf die schrecklichen Prüfungen vor, die ihrer warten, und erfreut sie zu diesem Zwecke mit himmlischen Gnaden- erweisungen, mit Tröstungen, Exstasen und Offenbarungen. So zubereitet führt er sie in diese dunkle, schreckliche und stürmische Nacht des Geistes, deren Trübsale beson- ders für die Seelen, die Gott zu höherer Vollkommenheit 1) 5. Kap. der dunklen Nacht des Sinnes. XIII .""'Co"...: erheben will, so tiefgehend sind, daß die Leiden dieses Lebens mit ihnen keinen Vergleich aushalten. Dem sinn- lichen Teil wird jeder geistliche Genuß und Wohlgeschmack benommen, der Verstand gerät in entsetzliche Finsternis, der Wille in furchtbare Bedrängnisse und das Gedächtnis wird erfüllt von höchster Betrübnis und Angst. Solche Seelen fühlen sich hineingeworfen in ein Meer von Schmerzen und sehen alle Pforten verschlossen, durch die ihnen Trost zukam. Die Peinen erfahren eine Steigerung durch die Erinnerung an den früheren glücklichen Zu- stand, der nach ihrer Ansicht ein Ende genommen, und sie geraten in tiefste Betrübnis bei der Wahrnehmung ihrer Unfähigll;eit, das Herz zu Gott zu erheben. Doch das sind noch nicht die schwersten Peinen, es warten ihrer noch weit schre~klichere. Ihre Betrübnis nimmt zu durch die klare ErkeI\~tnis ihres Elend~s und ihrer Sünden. Der An- blick ihrer tiefsten Verabscheuungswürdigkeit vor Gott und das Gef~hl, von ihm für immer verlassen zu sein -und dies ist nach ihrez: Meinung ganz gerecht - bereitet ihnen unsägliche Herzensqual. Die Erduldung solcher Peinen legt ih~en de~ Gedanken nahe, daß Gott alle Trübsalswellen über ihre Häupter losbrechen ließ; sie sehen sich umgeben und gleichsam umringt von den Schmerzen des Todes und der Hölle. Gott pflegt ja die auserwählten Seelen durch viele Arten von Peinen zu reinigen; durch Erscheinungen und Quälereien von seiten des bösen Feindes, durch heftige Versuchungen zur Unlauterkeit, zum Ung,lauben und zur Gotteslästerung, durch Krankheiten, Beschimpfung, Verachtung und Ver- tolgung von seite~ guter Menschen. Diese Prüfungen aber sind nur nebensächliche Erscheinungen der geistigen Rei- nigungl). Deshalb spricht auch der mystische Lehrer nur von einigen derselben und beschäftigt sich hauptsächlich 1) Soudran, Los grados de la vida espiritual tom. I. p. 282. XIV mit den oben angeführten, die sozusagen den wesentlichen Teil der Nacht des Geistes bilden. Die Hauptursache all dieser Bedrängnisse ist die ein- gegossene Beschauung, die in diesem Stande die Seele weit mächtiger erfaßt als in der dunklen Nacht des Sinnes und infolgedessen für sie auch weit qualvoller ist. Aber offen- bar ist diese Pein nicht direkt auf jene Beschauung zurück- zuführen, sondern auf die Verfassung jener Persönlichkeit, die mit den Eigenschaften der Beschauung im Wider- spruch steht. Die Wirkungen dieser Beschauung in den Seelen, die ihrer Tätigkeit kein Hindernis setzen, sind wunderbar. Sie beseitigt von Grund aus die durch die bleibenden Un- vollkommenheiten bewirkte Verunstaltung der Seele, was die sinnl~che Reinigung nicht zustande bringt, verleiht dem sinn1;ichen Teil die nötige Kraft, um ihn für den Empfang der Gnadenerweise des Himmels zu befcihigen, entfernt aU$ den Seelenkräften alle irdischen Bilder und V orstellung~n, um sie mit göttlichen Erkenntnissen zu erfüllen, schärft ihren Geist für die Aufnahme des Wonne- genusses sinnlicher Dinge, erleuchtet den Verstand, be- reichert das Gedächtnis mit heiligen Gedanken und ent- zündet den Willen mit brennender Liebe, die ganz ver- schieden ist von der in der. Nacht des Sinnes erwähnten Liebe und so hoch über derselben steht, wie die Seele über dem Körper, wie der geistige über dem sinnlichen Teil. Zugleich schmückt sie die Seele mit einem wunderbaren dreifarbigen Gewande. In dieser dreifarbigen Verkleidung vermag sie auf der verborgenen Leiter der Beschauung emporzusteigen bis zur Höhe der Liebesvereinigung, ohne daß die drei Feinde, die Welt, der Teufel und das !ileisch, ihre Fußspuren entdecken und ihren Aufstieg hindern können. XV .-
I I Dies ist kurz gefaßt der Gegenstand, den der mystische Lehrer in der dunklen Nacht des Geistes behandelt. Er schildert diese Nacht mit all ihren Bedrängnissen und tiefen Finsternissen in so bewunderungswürdiger und anzie- hender Weise wie niemand außer ihm. Und wir dürfen wohl annehmen, daß das eigene Erleben all dieser Vor- kommnisse, sowie das tiefe Verständnis der geheimnis- vollen Stellen der Hl. Schrift ihm bei seinen Erklärungen die Feder geführt haben. So kann nur einer sprechen, der aus eigener Erfahrung geschöpft. Dieser Abhandlung folgten ursprünglich zwei andere, in denen er, wie er bei Angabe des Hauptinhaltes ver- sprochen, verschiedene wunderbare Wirkungen der gei-. stigen Erleuchtung und Liebesvereinigung mit Gott er- läuterte. Aber unglücklicherweise sind sie in keiner seiner Handschriften, die uns erhalten blieben, zu finden und scheinen verloren gegangen zu sein. Ein unersetzlicher Verlust, den wir nie genug beklagen können. Oder hat ihn seine tiefe Demut veranlaßt, diese Schriften zu vernichten, wi~ es mit den meisten seiner Briefe geschehen ist? Aber wir sind dem Heiligen auch für diese Abhandlung von Herzen dankbar und es ist unser Wunsch, es möchten I .recht viele heilsbegierige Seelen darin Aufklärung in ihren Zweifeln und Bedrängnissen, sowie auch mächtigen An~ sporn zur Pflege eines wahren Innenlebens finden. , i I . , i XVI ,,' ." ,,"', '~, . DIE DUNKLE NACHT. ERKLÄRUNG DES GESANGES, WELCHER DIE ART UND WEISE WIEDERGIBT, WIE DIE SEELE AUF DEM GEIST- LICHENWEGE ZUR VOLLKOMMENEN LIEBESVEREINI- GUNG MIT GOTT GELANGT, SOWEIT SIE IN DIESEM LEBEN MÖGLICH IST. EIGENSCHAFTEN, DIE DER ZU DIESEM STANDE DER VOLLKOMMENHEIT ERHOBENEN SEELE NACH DEM WORTLAUTE JENES GESANGES ANHAFTEN. Hauptinhalt. Dieses Buch bringt zuerst alle zu erklärenden Strophen; hierauf wird jede einzelne für sich erklärt unter Voran- stellung der betreffenden Strophe vor die Erklärung; spdann schreiten wir zur Erläuterung eines jeden Verses, wobei der- selbe immer an die Spitze gestellt wird. In den zwei ersten Strophen werden die Wirkungen der zwei geistigen Läu. terungen, nämlich des sinnlichen und geistigen Teiles im Menschen, erklärt. In den übrigen sechs Strophen kommen die verschiedenen wunderbaren Wirkungen der geistigen Er- leuchtung und Liebesvereinigung mit Gott zur Behandlung. 1 I' I Gesang der Seele. t) 1. Es war in dunkler Nacht, Ich bran~t' von Liebeswehen, ~ 0 Glück, das selig macht! --' Entwich ich ungesehen i .Und ließ mein Haus in Ruhe stehen. I fl.. Gehüllt in dunkle Nacht, I Vermummt mußt ich entsteigen. 0 Glück, das selig macht!- In heimlich, dunklem Schweigen Lag still das Haus, das mir zu eigen. 3. In jener Nacht voll Glück, Da sich kein Aug' mir wandte, Der Augen blöder Blick Kein weisend Licht erkannte, Als das, so mir im Herzen brannte. 4. Mit ihm fand sich'rer ich Als in des Mittags Sc};limmer Ihn, der geharrt auf mich, Den ich geliebt schon immer. Ein ander Gut traf ich dort nimmer. j5. Du warst mir Führer, Nacht; I Nacht, süßer als der Morgen, I Hast Herz zu Herz gebracht,
- Hast uns in Lieb geborgen
Mich im Geliebten, ihn in mir verborgen. 6. An meiner sei 'gen Brust, Die ihm allein zu eigen, Ruht er in süßer Lust. Und ich: mich liebend zu ihm neigen, Ihm Kühlung weh'n mit Zedernzweigen. 1) Wir setzen hierher den Gesang in rythmischer Dichtung, für die Erklärung des Textes nehmen wir eine mehr wörtliche Übersetzung. Da eine allseitig erschöpfende Wiedergabe des spezifisch kÜnst- lerischen Gehaltes in der Übertragung nicht möglich ist,lassen wir zur Ergänzung des Eindruckes nebenan die Übersetzung des Kar- dinals Diepenbrock folgen. fl. ~~'.""'cc;'7~"'" 'J '- 7. Als schon der Morgenwind Begann sein Haar zu spreiten, Um meinen Nacken lind Ließ er die Rechte gleiten; Mir schmolz das Herz in Seligkeiten. 8. Ich gab, ergab mich ganz, Das Haupt am Lieb geborgen. Es schwand der Dinge Glanz, Vergessen war mein Sorgen, Da ich in Lilienduft geborgen. 40 rOswald (Diskussion):.: - Gesang der Seele. 1) 1. In einer Nacht gar dunkel, Da ganz mein liehend Herz vor Inbrunst glühte, 0 hochbeglückte Stunde! Entschlich mit leisem Tritte Ich meiner tief in Ruh versunknen Hütte. 2. Im sichern Schutz des Dunkels War die geheime Leiter bald erstiegen; 0 hochbeglückte Stunde! Verhüllt und tiefverschwiegen Ging ich und ließ in Ruh die Hütte liegen. ,3. 0 seligste der Nächte, Da ich beherzt den dunklen Pfad erklimmte, Da mich kein Blick erspähte, Kein Licht den Tritt bestimmte, Als das, das in der innern Brust mir glimmte. 4. In dieses Lichtes Glanze Fand sicherer ich, als bei des Mittags Helle Den prt, wo meiner harrte Der Liebste meiner Seele Dort in der Öd' an unbetret'ner Stelle. 5. 0 Nacht, die mich beglückte, Wie lieb ich dich ob Morgenrotes-Scheine; Dein Dunkel ja mich führte Z~m seligsten Vereine, Wo ich, in ihn gewandelt, ward die Seine! 6. An meinem blüh'nden Busen, Den unversehrt ich stets für ihn bewachte, Sank er in sanften Schlummer, Indes ich für ihn wachte Und mit dem Zederzweig ihm Kühlung fachte. I) Übersetzung nach Kardinal Diepenbrock. I' -3 0;;:: ,. 7. Und als Auroren~ Atem Sein lockig Haar ?egann umherzuspreiten, Ließ sanft lUn meinen Nacken Er seine Rechte gleiten, Mir schwanden alle Sinn' in Seligkeiten. 8. Von heil' ger Wonne trunken, Durft ich mein Haupt auf den Geliebten lehnen; Die Welt war mir entsunken, Gestillet all mein Sehnen, Begraben unter Lilien, Harm und Tränen. 5 J( ~...,:,~:, -. Beginn der Erklärung des Gesanges, der von dem Verhalten der Seele auf dem Wege zur Liebes- vereinigung mit Gott handelt. Bevor Wir an die Erklärung dieses Gesanges gei}en, möchten wir darauf hinweisen, daß die Seele ihn singt, nachdem sie schon in den Stand der Vollkommenheit, zur Liebesvereinigung mit Gott gelangt ist. Sie hat bereits die empfindlichen Schwierigkeiten und Bedrängnisse, die ihr die geistlichen Übungen auf dem engen Wege zum ewigen Leben bereiteten, hinter sich, von dem unser Erlöser 1m Evangelium redet, und auf dem die Seele gewöhnlich wan- delt, um zur erhabenen und geheimnisvollen Vereinigung mit Gott zu gelangen. Da dieser Weg so eng ist und ihrer, wie der Herr sagt, I) so wenige sind, die ihn finden, sO hält es die Seele für ein großes Glück, auf demselben zur bese- ligenden Liebesvereinigung gelangt zu sein, wie sie es in der ersten Strophe besingt. Sie nennt da diesen Weg ganz bezeichnend eine dunkle Nacht, wie aus der Erklärung der Verse der genannten Strophe hervorgeht. Und so besingt nun die Seele freuderfüllt die Wanderung auf diesem engen Weg, der ihr so große Gnadengüter brachte. 1) Math. 7, 14. 6 Die Nacht der Sinne
Erste Strophe. Es war in dunkler Nacht, Entflammt von Liebessehnen, - 0 du glückselig Los - Entwich ich ungeseh'n; Schon lag mein Haus in Schlumtper.
Erklärung. Die Seele schildert in dieser ersten Strophe, wie sie von der Neigung zu sich und allen Dingen ausgegangenj wie sie in gründlicher Abtötung allen Geschöpfen und sich selber abgestorben, um die süße und wonnevolle Liebe in Gott zu erleben. Sie sagt, daß dieses Ausgehen aus sich und allen Dingen in einer ~,dunklen Nacht" geschehen sei. Sie meint damit, wie später erklärt werden wird, das reinigende Licht der Beschauung, welches dieses Loslösen von sich und allen Dingen bewirkt, wobei die Seele sich leidend verhielt, Sie habe dies, wie sie bemerkt, mit Kraft und Lebendigkeit, die ihr die Liebe zu ihrem Bräutigam in jener dunklen Beschauung verliehen, ausführen können. Sie hebt das große Glück hervor, das ihr auf diesem Wege zu Gott durch diese Nacht so günstig war, daß sie keiner der drei Feinde, weder die Welt, noch Satan und Fleisch, die auf diesem Wege immer Schwierigkeiten bereiten, auf- halten konnte. Die genannte Nacht der reinigenden Be- schauung hatte nämlich alle verkehrten Regungen der Leidenschaften und Begierden in der Hütte ihrer Sinnlich- keitzur Ruhe gebracht und ertötet. Sie singt darum den Vers "Es war in dunkler Nacht", 7 § 1. 1. Kapitel. Beginn der Abhandlung über die Unvollkommen- heiten der Anfanger. In diese dunkle Nacht treten di~ Seelen allmählich, ein, wenn Gott sie aus dem Stande der Anfänger, die noch auf dem geistigen Wege der Betrachtung wandeln, heraus- führt und in, den der Fortschreitenden erhebt. Dies ist schon der Stand der Beschauung. Und haben sie diesen durchschritten, dann gelangen sie in den Stand der Voll- kommenen, der in der übernatürlichen Vereinigung der Seele mit Gott besteht. Zur deutlicheren Erklärung und zum besseren Ver- ständnis des Wesens dieser Nacht der Seele und der Ursache, warum sie Gott in dieselbe hineinführt, müssen wir zuerst einige Eigenheiten der Anfanger anführen; -dies wird, wenn es auch nur mit möglichster Kürze geschieht, doch , den Anfangern selbst nützen, -damit sie die Schwäche dieses ihres Standes erkennen, Mut fassen und in sich das Verlangen erwecken,1) Gott möge sie in diese Nacht ein- führen. Denn hier gewinnt die Seele Kraft und Festigkeit in den Tugenden und genießt unaussprechliche Wonnen der Liebe Gottes. Und wenn wir hier ein wenig verweilen, so geschieht es nur, weil es notwendig ist, um dann sogleich von dieser dunklen Nacht zu handeln. Sobald nämlich die Seele mit Entschiedenheit sich zum Dienste Gottes wendet, beginnt Gott gewöhnlich, sie geistiger Weise so zu hegen und zu pflegen, wie eine liebende Mutter ihr zartes Kindlein. Diese erwärmt es an ihrer 1) Die älteren Ausgaben, das Manuskript G. und das der Karmelitinnen zu Toledo sagen hier: "Para que entiendan la flaqueza deI estado que llevan y se animen". Damit sie die Schwächen dieses ihres Standes erkennen und Mut fassen. -8
Es fehlt S. 9
und ganz erlangen konnten, müssen sie notwendigerweise wie kleine Kinder schwächlich handeln. Damit man nun recht klar einsehe, wie schwach diese Anfänger noch in der Tugendübung sind, und wie sie nur das mit Leichtigkeit tun, was ihnen solche Freude bereitet, wollen wir hier die sieben Hauptsünden behandeln und einige von den vielen Unvollkommenheiten anführen, die sie bei jeder derselben begehen. Dabei wird man klar I: erkennen, daß sie noch bei all ihrem Tun nach Art der !:: Kinder handeln. Man wird aber auch sehen, wie viel Gutes die dunkle Nacht, von der wir eben reden wollen, mit sich bringt, da sie die Seele von allen Unvollkommenheiten r,i läutert und reinigt. ,'" §:r: Sl.. ~ K. I;: 2. ap 1 te . ~1,pige geistige Unvollkommenheiten, welche die Anfänger bezüglich der Hoffart begehen. Wenn diese Anfänger bezüglich der geistlichen Dinge und ihrer Andachtsübungen sich so inbrünstig und eifrig sehen, erwacht in ihnen, da sie noch unvollkommen sind, infolge dieses Wohlergehens gar oft eine gewisse Art ver- borgenen Hochmutes, obwohl solch erhabene Dinge an und für sich demütig machen sollen. So fallen sie der Versuchung zum Opfer, an ihren Werken und an sich ein Genügen zu finden. Daraus erwächst ein etwas eitles und manchmal auch sehr eitles Verlangen vor anderen über geistliche Dinge zu reden. Sie wollen oft lieber andere i' belehren, als selber Belehrung annehmen und verurteilen c ", in ihrem Herzen andere, wenn sie dieselben nicht so ! ; andächtig sehen, wie sie es wünschen. Mitunter sprechen 'I sie sich auch darüber aus wie jener Pharisäer, der sich im 1 Gebete vor Gott seiner Werke rÜhmte und mit Verachtung , :1 auf den Zöllner herabschaute. I) i ,] I ,~ ) Luc. 18,11U. 12. 10 1. I , , " , f i ' 1! 'i 'i' i l Ii ! :f Gar oft vergrößert der böse Feind in ihnen den Eifer und die Neigung zu diesen oder jenen Werken, wenn er sieht, daß bei ihnen der Hochmut'und die Anmaßung wachsen. Denn er weiß sehr wohl, daß ihnen all diese Werke und Tugenden nichts nützen, sondern sogar als Fehler angerechnet werden. Ja manche von ihnen verirren sich soweit, daß sie wünschen, es m?chte niemand außer ihnen für tugendhaft angesehen werden. Und darum verur- teilen und verleumden sie andere bei jeder Gelegenheit in Wort und Ta,t. Sie sehen nur den Splitter im Auge ihres Bruders und nicht den Balken in ihrem eigenen Auge, an anderen seien sie Mücken, selber aber verschlucken sie Kamele. I) Und billigen ihre geistlichen Führer, nämlich Beicht- väter und Vorgesetzte, ihren Geist und ihre Handlungs- weise nicht, so verstehen dieselben nach ihrer Ansich:t ihren Geist nicht und sind nicht tugendhaft, weil sie den- selben nicht anerkennen und nicht darauf eingehen; denn sie wünschen, daß man ihre Einfälle würdigt und aner- kennt. Und so verlangen sie und verschaffen sie sich auch eine Aussprache mit einem anderen, der ihnen zusagt; denn gewöhnlich wollen sie sich nur mit solchen über ihren Geist besprechen, von de,nen sie wissen, daß sie ihre Ansichten gutheißen und anerkennen. Sie fliehen jene wie den Tod, die sie von ihren Verkehrtheiten abbringen und auf den rechten Weg führen wollen, ja manchmal hassen sie dieselben geradezu. Indem sie eine allzu gute Meinung von sich selbst haben, nehmen sie sich vieles vor und tun wenig. Zuweilen wünschen sie, es möchten andere ihren Andachtsgeist wahrnehmen. Zu diesem Zwecke machen sie sich durch Bewegungen, durch Seufzer und andere auffällige Formen nach Außen hin bemerkbar, sie fallen in Verzückungen und zwar für gewöhnlich mehr in der I) Math. 7, 3 u. 23, 24. 11 Öffentlichkeit als im Verborgenen, wozu ihnen der böse Feind behilflich ist. Sie haben großes Wohlgefallen daran, daß man sie in solchem Zustande sieht, nach dem sie so i sehr Verlangen tragen. Viele wollen bei den Beichtvätern besonders in Gunst und Gnade stehen, woraus viele Eifer- r süchteleien und Zwistigkeiten entstehen. Dies hindert sie, ihr~ Sünden offen zu bekennen, damit die Beichtväter sie nicht gering schätzen, und beschönigen dieselben, damit sie nicht 50 schlimm erscheinen; und so ist ihre Beichte i mehr eine Entschuldigung als eine Anklage. Zuweilen suchen sie einen anderen Beichtvater auf, dem sie ihre , schlimmen Taten gest~en, damit ihr eigener ja nicht auf ! den Gedanken komme, sie hätten Schlimmes, sondern nur
- Gutes getan. Diesem wollen sie nur Gutes und oft mit
i übertriebenen Ausdrücken sagen, wenigstens mit dem Ver- 1 langen als tugendhaft bei ihm zu gelten, während es doch, wie wir sogleich zeigen werden, mehr Demut verrät, wenn man das Gute an sich gering anschlägt und wünscht, daß weder der Beichtvater noch sonst jemand etwas davon hält. Einige dieser Seelen machen sich wenig aus ihren" Fehlern; manchmal aber werden sie übermäßig betrübt, ~ sehen zu müssen, daß sie in dieselben fallen. Sie glauben? schon heilig zu sein und geraten so in heftigen Unwillen ~! und Ärger über sich selbst, was wieder zu einer anderen Unvollkommenheit führt. Oft wenden sie sich mit be- kümmertem Herzen zu Gott, er möge sie von ihren Un- . vollkommenheiten und Fehlern befreien, jedoch mehr, um von ihnen nicht belästigt in Frieden leben zu können, als um Gottes willen. Sie sehen nicht ein, daß sie vielleicht noch hochmütiger wären, wenn er sie davon befreien würde. Sie können es nicht ertragen, wenn andere gelobt ~ werden, sehen es aber gerne, wenn ihnen Lob gespendet ~ I:'" wird, und verlangen es mitunter sogar. Und hierin gleichen - sie den törichten Jungfrauen, die. ihre ausgelöschten Lam- '" pen in Händen hielten und das Oel bei anderen suchten. 1) 1) Math. 26, 8. l~ § 3. 51.. Kapitel. Fortsetzung desselben Gegenstandes. Manche fallen in viele, recht bedenkliche Unvoll- kommenheiten und stürzen dadurch in großes Unheil; einige fallen in geringerem, wieder andere in höherem Maße. Manche spÜren nur die ersten Regungen oder et- was mehr, aber es werden sich sehr selten Anfänger finden, die sich zur Zeit dieses ersten Eifers nicht in et- wa verfehlen würden. Jene aber, die in dieser Zeit der Vervollkommnung entgegen gehen, schreiten in ganz an- derer Weise und mit völlig verschiedener Geistesverfassung voran. Sie machen Fortschritte in der Demut und geben ein gutes Beispiel; ihre eigenen Werke achten sie für nichts, denken nur gering von sich, während sie alle üb- rigen für weit besser halten. Es erfüllt sie gewöhnlich ein heiliger Neid mit dem Verlangen, Gott ebenso zu dienen wie jene. Je größeren Eifer sie an den Tag legen, je mehr Werke sie vollbringen und je mehr sie daran Gefallen finden, desto lebendiger kommt es ihnen in ihrer Demut zum Bewustsein, wie viel sie Gott schulden und wie wenig sie für ihn tun. Je mehr sie darum tun, um so weniger sind sie mit sich selbst zufrieden. Sie haben eine so hohe Auf- fassung von dem, was sie aus Liebe und Hingabe an ihn tun möchten, daß ihnen all ihre Werke für nichts er- scheinen. Und diese liebende Sorgfalt drängt, beschäftigt und nimmt sie so sehr gefangen, daß sie gar nicht darauf achten, ob andere etwas tun oder nicht; und wenn sie es wirklich wahrnehmen, so glauben sie, wie schon erwähnt, daß alle übrigen weit besser seien, als sie. Da sie nur eine geringe Meinung von sich haben, so möchten sie, daß auch andere sie gering achten, auf ihre Handlungs- weise keinen Wert legen und sie verachten. Ja noch mehr, 13 "Cc ,..: - will jemand lobend oder ehrend von ihnen reden, so können sie das in keiner Weise glauben, und es kommt ihnen ganz seltsam vor, daß man von ihnen Gutes rede. Solche Seelen haben in ihrer Gelassenheit und De- mut ein großes Verlangen, daß jemand sie belehre, der ihnen zum Fortschritt verhelfen kann. Das ist das gerade Gegenteil von dem Verhalten jener, die wir oben erwähnt haben. Diese wollen immer andere belehren, und sobald sie bemerken, daß man sie irgendwie belehren möchte, nehmen sie ihnen sogleich das Wort vom Munde, gleich als ob sie es schon wüßten. Jene (demütigen) Seelen aber wünschen nichts weniger, als jemand zu unterweisen. Sie zeigen im Gegenteil die vollste Bereitwilligkeit einen anderen Weg zu wandeln und ihren bisherigen zu ver- lassen, wenn sie dazu aufgefordert werden, denn sie glau- ben nie, daß sie irgendwie recht handeln. Das Tun an- derer lobend anzuerkennen bereitet ihnen Freude, während sie nur darüber in Betrübnis geraten, daß sie Gott nicht so dienen wie jene. Sie wollen nie von ihren Seelen- angelegenheiten sprechen; denn sie halten dieselben für so unbedeutend, daß sie in ihrer Schiichternheit sie selbst l' ihrem geistlichen Führer nicht offenbaren; weil es nach ihrer Ansicht nicht der MUhe wert ist, davon zu reden. :: Viellieber wollen sie ihre Fehler und Sünden bekennen .. oder was sie sonst als nicht tugendhaft an sich wahrnehmen, ,,: und darum sind sie mehr geneigt, ihre Seelenangelegen- c(- ~ heiten mit solchen zu besprechen, die ihre Werke und -i ihre Geistesverfassung nicht besonders hoch anschlagen. :~ Und dies ist das Zeichen eines einfältigen, reinen, auf- - richtigen und Gott überaus wohlgefälligen Geistes. Denn ,@ der Geist der göttlichen Weisheit, der in diesen demütigen - Seelen wohnt, veranlaßt und treibt sie an, ihre Schätze 1 "' innerlich zu verbergen und ihre bösen Eigenschaften nach ~ außen hin kund zu tun. Den Demütigen gibt Gott in '; 14 " Verbindung mit den übrigen Tugenden auch diese Gnade, die er den Hochm.ütigen verweigert. Solche Seelen würden gerne ihr Herzblut hergeben für jeden, der Gott dient, und ihre ganze Kraft aufbieten, daß ihm gedient werde. Die Unvollkommenheiten, in die sie fallen, tragen sie mit Demut, Sanftmut des Geistes, mit kindlicher Gottesfurcht und Vertrauen auf ihn. Doch sind es meines Wissens nur wenige Seelen, die gleich an- fangs so vollkommen wandeln, ihre Zahl ist sehr gering und wir dürfen schon zufrieden sein, wenn die Seelen nicht in die entgegengesetzten Fehler fallen. narum ver- setzt Gott, wie wir noch ausführen werden, diejenigen, die er von all diesen Unvollkommenheiten reinigen will, in die dunkle Nacht, um sie weiter zu fordern. § 4. 3. Ka pi tel. Unvollkommenheiten, die einige Anfänger bezüglich der zweiten Hauptsünde, der geistigen Habsucht, an sich zu haben pflegen. Viele dieser Anfänger ergeben sich auch zuweilen allzusE!hr der geistigen Habsucht. Man sieht sie fast~ie zufrieden mit der Seelenverfassung, die Gott ihnen gibt, sie sind ganz trostlos und mißvergnügt, weil sie in den geistlichen Dingen nicht den Trost finden, den sie suchen. Viele können gar nie genug geistlichen Rat und Belehrung anhören, nehmen viele Bücher zur Hand und lesen die diesbezüglichen Abhandlungen und vergeuden damit viel mehr Zeit, als sie auf die Erwerbung der ihnen so not- wendigen Selbstverleugnung und Vervollkommnung der inneren Armut des Geistes verwenden. Sie überladen sich mit Bildern, Rosenkränzen und Kreuzen von merkwür- diger und teurer Art j bald nehmen sie die einen, dann 15 .-; c.;i;~, , ,- 'i~ ..~. 1 'C ~~ '..;' , wieder die anderen zur Hand; bald tauschen sie diese ein, dann vertauschen sie dieselben wieder. Jetzt wollen sie solche von dieser Art, dann wieder von einer anderen, bald gewinnen sie diese, dann jene wieder mehr lieb, weil sie seltener und kostbarer sind. Andere sieht man behängt mit Agnus dei, mit Reliquien und Namen von Heiligen wie Kinder mit ihrem Spielzeug. Hierin verurteile ich nur die Anhänglichkeit des Herzens, das Versessensein auf die Form, auf die Zahl und schöne Ausführung dieser Dinge, weil nämlich diese Handlungsweise gegen die Ar- mut des Geistes verstößt, die allein auf das Wesen der Andacht sieht, sich nur zu diesem Zwecke ihrer bedient und auf alle diese Mannigfaltigkeit und Kostbarkeit nicht achtet. Die wahre Andacht muß vom Herzen kommen I und darf nu~ auf .die. Wahrh~it und das Wesen vo~ d~m 1 i sehen, was dIe geIstlIchen DInge darstellen; alles ubnge I i ist Anhänglichkeit und ein Anzeichen von Unv.ollkommen- , r I heit. Und wer in den Stand der Vollkommenheit gelangen will, muß diesem Gelüste entsagen. Ich kannte eine Person, die mehr als zehn Jahre lang sich eines Kreuzes bediente, das ganz plump aus einem geweihten Zweig gefertigt und mit einer umgebogenen Stecknadel zusammengefügt war. Sie legte es nie ab und J trug es bei sich, bis ich sie traf; zudem besaß diese Person , ! kein geringes Maß von Einsicht und Verständnis. Eine ~! andere kannte ich, die sich eines Rosenkranzes bediente, " dessen Körner aus den Knochen eines Fischrockgrates be- standen. Die Andacht dieser Person hatte sicher nicht weniger Wert vor Gott; denn in diesen beiden Fällen legte man offenbar weder auf die kunstvolle AusIuhrung noch auf den Wert des Gegenstandes ein Gewicht. Jene, diE als Anfanger den rechten Weg wandeln, greifen nich' nach derlei sichtbaren Hilfsmitteln noch überlade! sie sich mit denselben; sie wollen auch nicht meh 16 '~'::'7;;~ft!"4~T?it:ß~ wissen, als was sie für ihre Berufstätigkeit benötigen. Sie sehen einzig nur darauf, daß sie mit Gott gut stehen und ihm gefallen, dahin geht ihr Verlangen. Sie geben mit großer Freigebigkeit alles hin, was sie haben, und finden eher Freude daran, Gottes wegen und aus Liebe zum Nächsten auf dies alles verzichten zu können, ohne mehr darauf zu achten, ob es geistliche oder zeitliche Dinge sind. I) Sie richten aber, wie gesagt, ihre Augen auf das Wesen der inneren Vervollkommnung, damit sie in allem Gott gefallen, sich selber aber in keinem Stücke. Von diesen aber sowie auch von allen anderen Unvoll- kommenheiten kann sich die Seele vollkommen reinigen, wenn sie Gott der passiven Läuterung der dunklen Nacht unterzieht, von der wir im folgenden reden werden. Aber die Seele muß auch ihrerseits, soweit sie es vermag, an \ dieser Reinigung und Vervollkommnung arbeiten, damit sie würdig werde, daß Gott sie in seine göttliche Zucht nimmt, in der er die Seele von allem heilt, was nicht selbst die Heilung herbeiführen kann. Soviel sich auch die Seele Mühe gibt, so vermag sie doch nicht durch eigene An- strengung sich so wirksam zu reinigen, daß sie auch nur - im geringsten zur vollkommenen Liebesvereinigung mit Gott fähig ist, wenn er sie nicht in seine Hand nimmt und in jenem dunklen Feuer reinigt, wie wir es noch erklären werden. § 5. 4. Kapitel. Andere Unvollkommenheiten, welche diese Anfänger bezüglich der dritten Haupt- sünde, der Unkeuschheit, gewöhnlich an sich haben. Ich erwähne nur einige der am hä~figsten vorkom- menden Unvollkommenheiten, die gleichsam die Quelle I) Inden bisherigen Ausgaben stand: B.egalandolo todo con las leyes deesta virtud. IndemsieallesregeInnachdenGesetzen dieserTugend. 2 17 ..,~ . i . ~ ! ~ und die Ursache der übrigen sind. Vielr- andere aber, die ~ ,sich auf alle Hauptsünden beziehen und womit viele An- . ranger behaftet sind, will ich, um nicht weitläufig zu werden, '.' übergehen. Bezüglich der Hauptsünde der Unkeuschheit ~ i; sehe ich von dem Falle geistlicher Personen in diese Sünde i ab; denn ich will nur von den Unvollkommenheiten reden. ~ j von denen man sich in der dunklen Nacht frei machen muß, 1 , Da gibt es viele Unvollkommenheiten, die man geistige '-; Unlauterkeit nennen könnte, nicht als ob dies wirklich R Unlauterkeit wäre, sondern weil geistliche Dinge sie hervor- 1 rufen. Denn oft geschieht es, daß selbst bei den geistlichen -~ Übungen, ohne daß man es hindern kann, unehrbare Re- ;' gungen und Vorgängel) sich bilden und entstehen und of.t sogar, wenn der Geist im Gebete tief gesammelt ist oder wenn man die Sakramente der Buße und des Al- tar~s empran~. Diese u~willkürlichen Regungen eni- 1spnngen aus eIner der dreI nachfolgenden Ursachen. Die erste Ursache ist oft2) das Wonnegefühl, das die , Natur an geistlichen Dingen findet. Denn da dem Geist { und der Sinnlichkeit ein Genuß zu teil wird, so kommt: jeder dieser beiden Teile im Menschen je nach seiner; Eigenheit und Veranlagung in wonnige Erregung. Der Geist wird als der höhere Teil von der Freude und dem Wonnegefühl in Gott angeregt und die Sinnlichkeit als der niedrige Teil vom sinnlichen Wohlgefallen und Er- götzen. Denn diese vermag nichts anderes zu erfassen und zu genießen. Und ihr Genuß erstreckt sich mehr auf das, was ihr am nächsten steht, d. h. auf das sinnliche Ergötzen; Und so kann die Seele dem Geiste nach innig mit Gott .im Gebete verbunden sein, und andererseits im sinnlichen Teile Empörungen, Regungen und Wollust verursachend~. 1) Siehe Gebetsschule des ehrw. Joh. von Jesu Maria Tract. XIII n. 33. 2) Die alten Ausgaben haben: Manchmal, aber seltener ud bei Menschen von schwächlicher Naturanlage. 18 Vorgänge ganz gegen ihren Willen fühlen und erleiden. Und dies kommt oft vor bei der hl. Kommunion; denn da der Seele bei diesem Liebesakte Freude und Wonne zu teil wird, wenn der Herr sie verleiht, -und er schenkt sich uns ja auch zu diesem Zwecke :-- so empfindet auch der sinnliche Teil seine Freude, aber nach seiner Art. Und da beide Teile im Grunde ge- nommen nur ein Wesen ausmachen, so nehmen gewöhn- lich beide an dem, was der eine von ihnen empfindet, Anteil, aber jeder in seiner Weise. Denn nach der Lehre der Philosophie richtet sich alles, was aufgenommen wird, nach der Veranlagung dessen, der es aufnimmt. Und so nimmt in diesem Anfangsstadium und auch, wenn die Seele schon weiter vorangeschritten ist, die Sinnlichkeit, weil sie noch unvollkommen ist, den göttlichen Geist oft ebenso unvollkommen auf. I) Aber wenn der sinnliche 1) Mit philosophischem Scharfsinn und bewunderungs- würdiger Genauigkeit und Bündigkeit bezeichnet und erklärt hier unser Lehrer die Ursache dieser ungeordneten Regungen, welche einige geistliche Seelen fühlen, ohne daß eine Versuchung des bösen Feindes vorangeht, und zwar in Augenblicken, in denen es scheinen möchte, als kämen bei solchen Seelen derartige Em- pörungen des Fleisches nicht vor. Denn sie entstehen, wenn die Seele sich in süßer Beschauung befindet und aus den Strömen der geistigen Freuden trinkt. Diese außergewöhnliche Erscheinung erklärt sich, wie der Heilige sagt, aus der innigsten Verbindung der Seele mit dem Leibe und aus dem gegenseitigen Einfluß, unter dem beide stehen. Von einer gleichen Erscheinung in einem einzelnen Fall be- richtet die mystische Lehrerin (Theresia), die in einem Brief an ihren Bruder Don Laurentius de Cepeda, der ähnliche Belästi- gungen erlitt, die folgenden Worte schrieb: "Aus den Bedräng- nissen, von denen Sie mir berichten, machen Sie sich gar nichts. Ich habe zwar dergleichen nie erfahren, da mich Gott in seiner Güte vor diesen sinnlichen Eindrücken bewahrt hat, aber es muß dies meiner Ansicht nach daher kommen, daß die außerordent- liche Wonne der Seele sich auch der sinnlichen Natur mitteilt. Mit Gottes Gnade wird sich das verlieren, wenn Sie darauf nicht achten." (Schr. d. hl. Ther. B. V. Brief 156, S.596 u. V2 Br.161, S.8.) Zu bemerken wäre noch, daß diese Vorgänge sich nicht häufig ~instellen, sondern gewöhnlich nur bei Personen mit recht schwäch- licher Naturanlage sich zeigen. 2. 19 ~c' J.,.; Teil durch die Reinigung der nun zur Sprache kommen- den dunklen Nacht schon ganz umgestaltet ist, dann trägt er nicht mehr diese Schwächen an sich. Denn da nimmt nicht dieser den göttlichen Geist in sich auf, sondern er wjrd vielmehr von demselben an sich gezogen. Und so empfängt er dann alles in geistiger Weise. Die zweite Ursache, aus welcher zuweilen solche Empörungen entspringen, ist der böse Feind. Dieser sucht die Seele zur Zeit, wo sie betet oder beten will, zu beun- ruhigen und zu verwirren, und ruft zu diesem Zweck in ihrem Naturtrieb diese schändlichen Regungen hervor. Und wenn die Seele denselben sich irgendwie überläßt, erleidet sie großen Schaden. Denn sie läßt aus Furcht vor dieser Belästigung vom Gebete etwas ab, -und das will er ja gerade -um gegen diese Regungen anzukämpfen; ja mancbe geben dasselbe ganz auf. Denn sie glauben, daß ihnen bei dieser Übung derartige Dinge häufiger be- gegnen als sonst, und es ist auch wirklich so. Der Teufel setzt ihnen eben beim Gebete mehr zu als bei einer anderen- Beschäftigung, damit sie von dieser geistlichen Übung lassen. Unä nicht nur dies, er geht sogar soweit, daß er ihnen sehr häßliche und schändliche Dinge vor Augen führt und oft in innigster Verbindung mit geistlichen Dingen und Personen, die ihrer Seele forderlich sind. Dadurch will er sie verzagt und mutlos machen. Solche Seelen, die darauf etwas geben, scheuen sich etwas anzusehen oder irgend eine Betrachtung zu halten, da sie dabei allsogleich wiede] darin zu Falle kommen. Und diese Regungen entstehen be melancholisch Veranlagten mit solcher Gewalt und Heftig keit1), daß man mit ihnen Mitleid haben muß; dennihrLebel ist wirklich sehr traurig. Und dieses Übel kann bei Per sonen, die mit solch schlimmer Gemütsart behaftet sini einen so hohen Grad erreichen, daß sie den deutliche ') Mit solcher Gewalt und Häufigkeit (M. A. u. T.) Q.o §g::§:~;;:~ Oswald (Diskussion)"J~ ~%Oswald (Diskussion)il~ ~:f!!f,~b~;~ . Die d,ritte Quelle dieser unehrbaren Regungen und des durch sie hervorgerufenen Kampfes ist gewöhnlich die Furcht, welche solche Personen vor dergleichen Regungen und schändlichen Vorstellungen schon im vornhinein in sich tragen. Und diese Furcht, die sie bei der plötzlichen Erinnerung an das, was sie sehen, tun und denken, beflillt, bewirkt, daß sie diese Regungen ganz ohne ihre Schuld ~-cj erleiden. -: Es gibt auch einige Seelen von solch empfindsamer ;, und leicht erregbarer Naturanlage, daß sich in ihnen, so- '1 bald ihnen eine geistige oder Gebetsfreude zuteil wird, j auch der Geist der Unlauterkeit regt, der sie so mIt sich; fortreißt und die Sinnlichkeit derart berauscht 1), daß sie sich gleichsam hineingeworfen sehen in den Schmutz und Reiz ~ . dieses Lasters. Bei dem einen, wie bei dem andern ver- 1 halten sie sich leidend und oft kommt es vor, daß sie als -~ Folge davon unehrbare Handlungen und gegen die Ver- :~ nunft verstoßende, fleischliche Vorgänge wahrnehmen. ~ Der Grund ist der, weil bei diesen von Natur aus empfind- ,- samen und leicht erregbaren Seelen bei jeder Aufregung die Körpersäfte und das Blut sich empören, und daraus entstehen dann diese Regungen. Dasselbe begegnet ihnen, ~enn sie in Zo~ g.eraten oder irgend eine Störung oder ' I:f: ellen Schmerz m sich empfinden. Bei manchen geistlichen Seelen erwacht, wenn sie ;1 über geistliche Dinge reden oder sich damit beschäftigen, -';, eine gewisse feurige Lebhaftigkeit beim Gedanken an Personen, die sie eben vor sich haben und mit denen sie sich in eitlem Wohlgefallen unterhalten. Dies üt auch eine Folge der geistigen Unlauterkeit, wie wir sie hier verstehen, wozu dann gewöhnlich das Wohlgefallen im ~ Willen kommt. I) Emborga=bestrickt (Ms. der Karmelitinnen zu Toledo)~ ~~ Manche derselben unterhalten mit einigen Personen geistige Privatfreundschaften, die aber oft in der Unlauter- keit und nicht im Geiste ihren Ursprung haben. Dies kann man daraus ersehen, daß bei der Erinnerung an jene Freund- schaft nicht das Andenken und die Liebe zu Gott, sondern die Gewissensbisse sich steigern. Denn wenn diese Freund- schaft rein geistig ist, dann muß mit ihr auch die Liebe zu Gott wachsen. Und je öfter man sich derselben erinnert, desto häufiger denkt man auch an Gott und findet Freude an ihm. Mit dem Wachstum der einen wächst auch die andere, Der Geist Gottes hat eben das Eigentümliche, daß er das eine Gute zugleich mit dem andern vermehrt, inso- fern es mit demselben Ähnlichkeit und Gleichformigkeit hat. Entspringt aber eine solche Liebe aus der genannten fehlerhaften Sinnlichkeit, so erzeugt sie die gegenteilige Wirkung. Je mehr die eine Liebe zunimmt, deso mehr wird die andere und auch die Erinnerung daran vermin- dert. Sobald diese sinnliche Liebe wächst, wird man wahr- nehmen, daß man in der Liebe zu Gott erkaltet, und bei der Erinnerung an jene vergiBt man seines Gottes, wenrl auch -mit manchen Gewissensvorwürfen. Gewinnt dagegen die Liebe zu Gott in der Seele an Wachstum, so erkaltet in ihr die verkehrte Liebe und gerät in Vergessenheit. Da diese beiden Arten von Liebe einander wiedersprechen, so kann keine der anderen zum Wachstum verhelfen, viel- mehr löscht die vorherrschende die andere aus und zerstört sie und gewinnt dadurch, wie die Philosophen sagen, selbst an Kraft. Deshalb sagt unser Herr im Evangelium: Quod natum est ex carne caro est, et quod natum est ex spiritu, spiritus est (Joh. 3, 6). "Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist." Die Liebe, die aus der -Sinnlichkeit entsteht. ist auf das Sinnliche gerichtet, und jene, die aus dem Geiste entspringt, ist auf den Geist Gottes gerichtet und fordert dessen W achs- !l3 , J:~::~:'"; ~ tum. Das ist der Unterschied, an dem man diese beiden Arten von Liebe erkennen kann. Wenn die Seele in die dunkle Nacht eintritt, dann kommt Ordnung in diese beiden Arten von Liebe. Die eine, nämlich die Liebe zu Gott, erstarkt und wird gereinigt, die andere verliert an Kraft, wird zerstört oder ertötet. Im Anfange aber bewirkt diese Nacht, daß die Seele beide aus dem Auge verliert, wie ich später zeigen werde. § 6. 5. Kapitel. . ,- Unvollkommenheiten, in welche die Anfänger: bezüglich der Hauptsünde des Zornes fallen. !I I. H Da viele Anfänger nach geistigen Genüssen Verlangen \1 tragen, so begehen sie, wenn sie im Besitze derselben sich .[j befinden, oft gar viele Unvollkommenheiten bezüglich der jl lHauptsünde des Zornes. Wird ihnen einmal dieser Ge- I j schmack und Genuß an geistigen Dingen entzogen, so !I fühlen sie sich natürlicherweise unbefriedigt. Und dieses 11 Mißbehagen macht sie verdrießlich bei ihren Berufs- .I] arbeiten, sie erzürnen sich leicht über jede Kleinigkeit und }.1 werden manchmal ganz unerträglich. Dieses ereignet sich \1 oft, wenn sie eine recht wonnevolle, fühlbare Andacht I' beim Gebete finden; und ist diese Wonne und dieser Wohl- ii geschmack vorüber, dann bleibt selbstverständlich die !j Natur voll Mißbehagen und Unlust. Es geht ihnen da wie ,i einem Kinde, das man von der Mutterbrus.t wegnimmt, [.1 r! an der es sich nach Herzenslust gelabt. Solange man bei n dieser natürlichen Erscheinung die Mißstimmung nicht 1I herrschen läßt, ist es keine Sünde, sondern Unvollkommen- ! heit, die durch die Trockenheit und die Bedrängnisse der, dunklen Nacht schon beseitigt wird. ' 9.4
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Einige dieser Anfänger im geistlichen Leben verfehlen sich durch eine andere Art geistlichen Zorns. Sie geraten in Erbitterung und in einen gewissen stürmischen Eifer wider die Fehler anderer; sie beobachten andere und es erfaßt sie oft eine heftige Anwandlung, sie mit Entrüstung zu tadeln. Sie tun dies auch manchmal und benehmen sich, als ob sie Meister der Tugend wären. Dies alles aber ist ein Verstoß geg~n die Sanftmut des Geistes. E~ gibt wieder andere, die mit nicht geringer Unge- duld sich gegen sich selbst entrüsten, wenn sie eine Un- vollkommenheit an sich wahrnehmen. Sie werden deswegen so ungeduldig, weil sie an einem Tage heilig sein wollten. Gar manche von ihnen legen sich vieles auf und machen großherzige Vorsätze, aber da sie nicht demütig sind und auf sich selbst vertrauen, I) so fallen sie um so öfter, je mehr sie Vorsätze fassen. Und weil sie nicht mit Geduld erwarten können, daß Gou ihnen geben werde, was und ,wann es ihm gefällt, so werden sie immer unwilliger. Und das ist wieder gegen die genannte Demut des Geistes. Von all diesem kann nur die Reinigung der dunklen Nacht Abhilfe schaffen. Freilich gibt es auch einige, die so große Geduld mit sich haben und so gemächlich voranschreiten wollen, daß es Gott lieber wäre, sie hätten nicht so viel Geduld. § 7. 6. Kapitel. .Unvollkomntenheiten bezüglich der geistigen Unmäßigkeit. Über die vierte Hauptsünde, geistige Unmäßigkeit genannt, gibt es vieles zu sagen. Es findet sich kaum ein Arifänger, der trotz seiner guten Fortschritte nicht in eine "- P~- 1) Humildes ni desconfian de si = und sich nicht mißtrauen. ~ (Ms.A.u.M.\ ( 25 .
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der vielen Unvollkommenheiten fiele, die an diesen Seelen bezüglich dieser Hauptsünde zu Tage treten, und hervor- gerufen werden durch den Wohlgeschmack, den sie anfangs bei den geistlichen Übungen finden. Angelockt durch den Wohlgeschmack und Genuß, der ihnen bei diesen Übungen zuteil wird, suchen sie in diesem Betreffmehrdie ErquickJlllg des Geistes als die Reinheit und kluge Mäßigung; I) das allein hat Gott im Auge und nimmt es mit Wohlgefallen an auf allen Wegen des geistlichen Lebens. Abgesehen von der Unvollkommenheit, die sich in dem Verlangen nach diesen Genüssen kundgibt, treibt sie die geistige Nasch- haftigkeit von einem Extrem ins andere; sie verlassen die goldene Mittelstraße, auf der allein die Tugenden Bestand haben und gedeihen können. Angezogen vom Genusse, den sie dabei finden, richten sich manche durch Bußwerke zu grunde, andere schwächen sich durch Fasten, indem sie ohne Anordnung und Rat eines anderen mehr tun, als ihre Schwäche ihnen gestattet; sie tragen den Forderungen ihres Leibes keine Rechnung, die sie in dieser Beziehung berück- sichtigen sollten, ja manche wagen dies sogar zu tun, wenn ihnen auch das Gegenteil befohlen wird. Das sind die Unvollkommensten, Menschen ohne Verstand, welche Buß- werke höher achten als Unterwürfigkeit und Gehorsam, Dieser allein ist eine vernünftige und mit kluger Mäßigung vorgenommene Bußübung und deshalb Gott angenehmer und w04lgefälliger als alle übrigen. Läßt man die kluge Mäßigung beiseite, dann ist ihre Handlungsweise nichts anderes als eine Bußübung unvernünftiger Tiere, wozu sie ebenso wie die Tiere durch die Begierde und das Behagen, das sie darin finden, hingezogen werden. Da alle E:x:treme fehlerhaft sind und sie durch diese Handlungsweise nur . ihren Eigenwillen pflegen, so nehmen sie mehr an Fehlern ' 1) Y devocion verdadera = wahre Andacht steht in den älter~ I Aus§aben. ~ 26 als an Tugenden zu. W enigstens v~rlallen sie der geistigen Naschhaftigkeit und Hoffart, da sie nicht im Gehorsam wandeln. Manche derselben betört der böse Feind in hohem Grade, indem er in ihnen durch Steigerung der Be- gierden und Genlisse diese Naschhaftigkeit entfacht. Auf diese Weise tun solche Seelen etwas anderes oder mehr als ihnen befohlen wurde, oder vollziehen den Befehl auf andere Weise; sie können nicht anders, da der Gehors8.ri1 sie hierin übe~all einengt und bitter stimmt. Auf diesem Wege ge- raten manche in solches Elend, daß sie alle Lust und An- dacht ve:rlieren; sie haben nur Lust und Freude an dem, was ihnen zusagt, was sie aber vielleicht besser unterlassen würden. Viele von diesen drängen in ihrem Starrsinn ihre geistlichen Führer, daß sie ihrem Willen nachgeben, und mitunter erzwingen sie dies mit Gewalt. Erreichen sie aber nichts, dann werden sie mißvergnügt und untröstlich wie die Kinder; sie leben in dem Glauben, Gott nicht dienen zu können, wenn man sie nicht ihren Willen tun lasse. Sie leben nach ihrem Gefallen und Eigenwillen und halten dies fürs Höchste. Befiehlt man ihnen aber von ihrem Eigensinn abzulassen und sich dem Willen Gottes zu beugen, dann werden sie von Trübsinn erlaßt, verlieren all ihre Kraft und erliegen. Sie meinen Gott dienen und ihm gefallen bestehe im Genusse und in der Befriedigung, die die eigene Natur empfmdet. Wieder andere gibt es, die infolge ihrer geistigen Schwelgerei so geringe Kenntnis ihrer eigenen Armselig- keit und ihres Elends und so wenig kindliche Furcht und Ehrerbietung vor der erhabenen Größe Gottes haben, daß sie ohne Bedenke~ ihre~ Beichtvätern die Erlaubnis ab- nötigen recht oft zur hl. Beichte und .Kommunion gehen zu dürfen. Das Schlimmste 1st, daß sie es wagen, nach... eigenem Gutdünken und ohne Erlaubnis und das Gut- ~7 " " ..'{ achten des Dieners und Stellvertreters Christi zur Kom- munion zu gehen und ihm die Wahrheit zu verheimlichen. Da sie nur auf die Kommunion ihr Augenmerk richten, beichten sie nur so obenhin; sie haben ein größeres Ver- langen nach dem Genuß, als nach dem Empfang mit rei- nem und wohl vorbereitetem Herzen. Weit heilsamer und zuträglicher wäre für sie die gegenteilige Neigung, die sich in der Bitte an die Beichtväter kundgeben würde, sie nicht so oft zur Kommunion gehen zu lassen. Doch das beste zwischen diesen beiden Extremen wäre demütige Gelassen. heit. Übertriebene Verwegenheit in diesem Punkte ist immer von großem Übel und man kann wegen solcher ~j Anmaßung mit Recht Strafe fürchten. I) :. Das ganze Bestreben derartiger Seelen ist darauf ge- ~ richtet sich beim Empfang der hl. Kommunion mehr ein ,~ Gefühl der Süßigkeit zu verschaffen als den in ihren .-;j Herzen gegenwärtigen Gott zu verehren und in Demut 1 zu preisen. Sie sind so sehr von diesem Gedanken ein- ~ "' genommen, daß sie, wenn sie nicht irgend ein süßes oder ,,1 sinnliches Gefühl der Andacht wahrnehmen, nichts getan zu haben vermeinen und de$halb sehr gering von Gott denken. Denh sie verstehen nicht, daß das sinnliche Ge- fühl die geringste Wirkung dieses heiligsten Sakramentes ist, während die unsichtbare Gnade, die es verleiht, weit höher zu schätzen ist. Gar oft entzieht Gott den Seelen diese fühlbaren Süßigkeiten und Genüsse, damit sie die Augen des Glaubens auf ihn richten. Diese aber wollen "- Gott fühlen und kosten sowohl beim Kommunizieren als auch bei anderen geistlichen Übungen, gleich als ob man ihn sinnlich erfassen und sich ihrp nahen könnte. Dies alles verrät große Unvollkommenheit und ist ein arger Verstoß gegen Gottes Erhabenheit, der man einen reinen ~ " Glauben schuldet. " " 1) Die Handschriften haben hier: Cosa es para grande mal y castigo de ellos sobre tal temeridad. Offenbar fehlen hier einige Worte. = 28 Ebenso verhalten sich diese Seelen bei ihren Gebets- übungeri. Sie leben in dem Glauben, es hänge alles da- von ab, daß man dabei sinnliches Wonne- und Andachts- gefühl empfinde; sie suchen sich dieses mit Gewalt zu verschaffen und erschöpfen so ihre Kräfte und ermüden ihren Kopf. Und finden sie dieses Wonnegefühl nicht, dann geI:aten sie in große Trostlosigkeit und glauben nichts getan zu haben. Durch dieses ihr Bestreben verlieren sie die wahre Andacht und den rechten Geist, der in gedul- digem, demütigem Ausharren, im Mißtrauen auf sich selbst und in der Absicht Gott allein zu gefallen besteht. Finden solche Seelen einmal bei dieser oder jener geist- lichen Übung kein süßes Wonnegefühl, so erlaßt sie ein großes Mißbehagen und Widerstreben, sich derselben hin- zugeben und manchmal unterlassen sie dieselbe auch wirk- lich. Sie sind, wie schon erwähnt, den kleinen Kindern ähnlich, die sich nicht von der Vernunft, sondern vom Genuß zum Handeln leiten lassen. Ihr ganzes Sinnen und , Denken zielt darauf hin, überall geistigen Genuß und Trost zu suchen, weshalb sie auch nie genug Bücher lesen können. Bald nehmen sie diese, bald jene Betrachtung vor und machen in göttlichen Dingen gleichsam Jagd auf das Wonnegefühl. Gott aber versagt ihnen dasselbe in seiner großen Gerechtigkeit, Weisheit und Liebe; geschähe dies nicht, so würden sie durch diese geistige Schwelgerei und Naschhaftigkeit in zahllose Übel fallen. Darum ist diesen Seelen der Eintritt in die dunkle Nacht überaus notwendig, damit sie sich reinigen von diesem kindischen Wesen. Außer dieser Hinneigung zu jenen Tröstungen tragen solche Seelen auch noch eine andere sehr große Unvoll- kommenheit an sich. Sie Sllld nämlich allzu lässig und träge, um den beschwerlichen Weg des Kreuzes zu wandeln. Denn eine Seele, die sich dem Genusse hingibt, scheut g,9 "",.",," ~ "- ~ 1 , natürlicherweise vor allen Unannehmlichkeiten der Selbst- verleugnung zurück. Solche Seelen ~ind aber auch noch mit vielen anderen Unvollkommenheiten behaftet, die aus den genannten entspringen. Der Herr heilt sie zu seiner Zeit durch Versuchungen, Trockenheiten und andere Beschwerden, die alle in den Bereich der dunklen Nacht gehören. Von all diesem will ich, um nicht weitläufig zu werden, hier nicht handeln; ich möchte nur erwähnen, daß die geistige Nüchternheit und Mäßigung ganz anders sich in der Abtötung, in der Furcht und in jeglicher Art von Unterwürfigkeit zeige; diese ~eistige Nüchternheit wird auch zur Einsicht verhelfen, daß die Vollkommen- heit und der Wert der Dinge nicht in der großen Zahl und im Wohlgefallen an den Werken, sondern darin liege, daß man sich in ihm zu überwinden wisse. Darauf müssen diese Seelen, soviel an ihnen liegt, ihr Augenmerk zu richten sich bemühen, bis sie Gott, um sie zu reinigen, in die dunkle Nacht hineinführen will. Um möglichst bald zur Abhandlung dieser dunklen Nacht üb.ergehen zu können, will ich mich mit der Erklärung dieser Unvoll- ~, kommenheiten beeilen. 1 § 8. .l 7. Kapitel. U n,vollkommenheiten bezüglich des geistigen Neides und der geistigen Trägheit. Auch bezüglich der zwei noch übrigen Hauptsünden des geistigen Neides und der Trägheitpflegen die Aufänger .viele Unvollkommenheiten zu begehen. Was den Neid betrifft, so werden viele von ihnen vou Regungen des Ärgers über die Anderen zu teil gewordenen geistlicJ1en Güter angefochten. Es bereitet ihnen fühlbare Betrübnis, daß jene auf diesem Wege sie übertreffen, und es ist ihnen unangenehm zu sehen; daß andere Auerkennung ernteu. 30 I j , Sie betrüben sich über die Tugenden anderer und oft können sie sich nicht enthalten, gegenteilige Bemerkungen zu machen und dieses Lob, so viel sie es vermögen zu verringern; sie finden daran, wie man sagt, ihr er- gnügen. Sie fühlen es schmerzlich, daß man ihnen nicht die gleiche Anerkennung ausspricht, da sie in allen Stücken einen Vorzug genießen wollen. Dies aber ist der Liebe direkt entgegengesetzt, die sich, wie der hl. Paulus sagt, I) am Guten 2) erfreut. Und wenn sich wirklich ein Neid in ihr regt, so ist es ein hl.Neid; denn es mißfallt ihr, daß sie nicht die Tugenden eines anderen besitzt, während sie sich freut, daß dieser sie sein eigen nennen kann; und es bereitet ihr große Befriedigung, daß andere sie im Dienste Gottes übertreffen, da es bei ihr in diesem Stücke so sehr fehle. Auch bezüglich der geistigen Trägheit haben manche Anfänger eine Scheu vor Dingen, die mehr geistiger Na- tur sind, und fliehen vor denselben. Dazu gehören jene, die ihrem sinnlichen Geschmack nich~ zusagen. Da sie bis., ~er so großen Wohlgeschmack "an geistlichen Dingen fan- den, so werden sie derselben überdrüssig, sobald ihnen diese fühlbare Süßigkeit e~tzogen wird. Finden sie ein- mal bei einer Gebetsübung nicht jene Befriedigung, die nach ihrem Geschmacke ist und die ihnen Gott diesmal zu ihrer Prüfung versagt, so wollen sie sich derselben nicht mehr hingeben; manchmal unterlassen sie dieselbe ganz oder verrichten sie nur mit Widerstreben. Und so setzen sie durch diese Trägheit den Weg der Vollkommenheit, der in der Verleugnung ihres Willens und Geschmackes aus Liebe zu Gott besteht, dem Geschmack und dem Er- götzen ihres eigenen Willens nach und wollen so mehr 1) I, Kor. 13, 6. 2) Der Heilige zitiert hier nicht den Wortlaut, sondern den Sinn des Apostels. 31 '..;:, ihren als den gQttlichen Willen befriedigen. Viele der- selben haben auch den Wunsch, Gott möchte sich ihrem Willen anpassen, und werden mit Betrübnis erfüllt, wenn sie sich dem Willen Gottes unterordnen sollen; und nur mit Widerstreben unterwerfen sie ihren Willen dem gött- lichen. Daher kommt es, daß sie oft das, was nicht nach ihrem Willen qnd Geschmack ist, nicht als Willen Gottes ansehen, während sie der Ansicht leben, daß auch Gott zufrieden gestellt sei, wenn ihr Wille befriedigt werde. Sie beurteilen eben Gott nach sich und nicht sich ~elber nach Gott, obwohl der Ausspruch des Herrn ganz das Gegenteil besagt mit den Worten: Qui autem perdiderit animam suam propterme, invenieteam.l) "Wer aber seine ~eele um meinetwillen verli~rt, der wird sie finden" d. h. wer ihm zu Liebe von seinem Willen läßt, wird ihn ge- winnen, wer ihn aber durchsetzen will, wird ihn verlieren. i' Solche Seelen lassen sich auch vom Widerwillen mit fortreißen, wenn man ihnen etwas befiehlt, was nicht nach ihrem Geschmack ist. Und weil sie immer nach geistiger Freude und Tröstung Verlangen tragen, so sind sie auch allzu träge Und schwach für die Anstrengung und die Schwierigkeiten der Selbstvervollkommnung. Sie gleichen jenen, die weichli,?h erzogen, vor jeder Schwierigkeit miß- vergnügt zurückschrecken, die vor dem Kreuze fliehen, welches die wahren Süßigkeiten des Geistes in sich schließt, und mit um so größerem Widerwillen erfüllt werden, je mehr etwas ins Gebiet de~ Geistigen gehört. Sie wollen in geisdichen Dingen für ihre Ungebundenheit einen weiten Spielraum und, nach der Neigung ihres Willens leben, weswegen sie mit nicht geringer Betrübnis und Ab- neigung den engen Weg des Lebens betreten, von dem Christus spricht.2) 1) Math. 16, 25. 2) Math. 7, 14. 351. Oswald (Diskussion): Es mag hier die Aufzählung dieser Unvollkommen- heiten genügen; es sind nur einige von den vielen, in welche die Anfanger im ersten Stadium des geistlichen Lebens fallen. Daraus ist ersichtlich, wie notwendig es ist, daß Gott sie in den Stand der Fortschreitenden versetze. Dies geschieht dadurch, daß sie Gott in die dunkle Nacht einführt, von der wir sprechen werden. In dieser entfernt er sie von der Mutterbrust der Wonne und Süßigkeit und schickt ihnen innere Trockenheit und Finsternis , wodurch er alle diese Unvollkommenheiten und Kindereien beseitigt und sie auf ganz anderen Wegen zur Tugend führt. So sehr auch der Anfanger der Abtötung bezüglich seiner Handlungen und Leidenschaften sich befleißigt, so wird er doch nie ganz, ja rii.cht einmal annähernd zum Ziele kommen, bis nicht Gott mittels der Reinigung der dunklen Nacht ihn dazu führt. Möge mir Gott seine gött- liche Erleuchtung senden, damit ich hierüber zum Nutzen (der Seelen) sprechen kann! Denn diese Erleuchtung ist zur Behandlung einer so dunklen Nacht und zur Be- sprechung 1) einer so schwierigen Sache überaus notwendig: Es folgt nun der Vers: "Es war in dunkler Nacht." S 9. 8. Kapitel. Erklärung des ersten Verses der ersten Strophe. Beginn der Abhandlung über die dunkle Nacht. Diese Nacht, welche wir die Beschauung nannten, verursacht in geistlichen Personen eine zweifache Art von Finsternis und Reinigung, entsprechend der zweifachen Natur des Menschen, der sinnlichen und geistigen. Die 1) Wir haben hier das Manuskript korrigiert, da sich in ihm ein offenbarer Fehler findet. Para ser hablada y recitada. In dem Manuskript von Alba wurde früher dieselbe Korrektur angebracht. 3 33 -, ..",. -..
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eine Nacht oder die sinnliche Reinigung, wodurch eine Seele bezüglich des sinnlichen Teiles geläutert und ent- blößt wird, unterwirft diesen dem Geiste; die andere Nacht oder die geistige Reinigung, wodurch die Seele in geistiger Beziehung gereinigt und geläutert wird, bereitet und be- fähigt dieselbe zur liebenden Vereinigung mit Gott. Die sinnliche Nacht ist etwas gewöhnliches und kommt bei vielen vor, nämlich bei den Anfängern, von den wir zuerst reden werden. Die Nacht des Geistes findet sich nur bei sehr wenigen, und das sind jene, die schon in der Tugend erprobt und vorangeschritten sind. Von diesen werden wir nachher sprechen. Die erste Nacht oder Reinigung ist bitter und schreck- lich für den sinnlichen Menschen. Die zweite ist ohne Vergleich weit schrecklicher und entsetzlicher für den Geist, wie wir alsbald erklären werden. Weil die sinnliche Nacht der Ordnung nach die erste ist und auch zuerst ein- tritt, so wollen wir davon nur in Kürze einiges sagen - über sie ist nämlich sehr viel geschrieben worden, da sie etwas Gewöhnlicheres ist -damit wir dann eingehender über die Nacht des' Geistes reden können. Von ihr wird sehr selten weder in mündliche'r noch in schriftlicher Be- lehrung gesprochen; und man hat darüber auch wenig Erfahrung. I) Da die Handlungsweise dieser Anfänger in ihrem Wandel zu Gott noch sehr unvollkommen und wie oben angedeutet vielfach von Eigenliebe und Selbstsucht an- gesteckt ist, so will sie Gott weiter fördern, -von dieser untersten Stufe der Liebe entfernen und zu einem höheren Grade der Liebe zu ihm erheben. Er will sie von dieser gewöhnlichen Übung des Sinnens und Nachdenkens, bei der sie nur mit Mühe und mit so viel Schwierigkeiten ihn suchten, befreien, und sie in die Schule des Geistes 1 1) Das Manuskript von Alba sagt: Muy poca statt muy poco. 3+ nehmen, in der sie in weit höherem Grade und viel voll- kommener mit Gott verkehren können. Haben sie sich eine Zeit lang auf dem Wege der Tugend geübt, in der Betrachtung und im Gebete sich tr~u erwiesen und durch die Süßigkeit und den Genuß, den sie dabei gefunden, sich von der Anhänglichkeit und Liebe zu den Dingen dieser Welt freigemacht, haben sie sich endlich einige geistige Kraft in Gott erworben, wodurch sie das Gelüsten nach den Geschöpfen bezähmen und um Gottes willen einige Beschwerden und Trockenheiten ertragen können, ohne sich nach jener besseren Zeit zurück zu sehnen, wo sie an den geistlichen Übungen mehr Wohlgeschmack und Ge- nuß empfanden und ihnen nach ihrer Meinung das Sonnen- licht der Gunstbezeugungen Gottes heller leuchtete: dann verdunkelt ihnen Gott all dieses Licht, verschließt ihnen die Türe und verstopft ihnen die. Quelle des süßen Wassers des Geistes, aus der sie bisher immer, und so oft es ihnen beliebte, getrunken hatten. Solange sie nämlich noch schwach und weichlich waren, war ihnen die Türe nicht verschlossen, wie der hl. Johannes in der geheimen Offen- barung sagt.I) Jetzt aber versetzt er sie in Finsternis, so daß sie nicht wissen, wohin sie sich mit ihrer Einbildungs- kraft und ihren Gedanken wenden sollen. Sie können nun in keiner Weise mehr betrachten, wie sie es vorher gewohnt waren, da die inneren Sinne schon in diese Nacht versenkt und in solche Trockenheit versetzt sind, daß ihnen die geistigen Dinge und frommen Übungen, an denen sie ehedem ihre Freude und Wonne fanden, saftlos und geschmacklos erscheinen, ja sogar Widerwillen und Überdruß verursachen. Gott hat nämlich, wie schon er- wähnt, ihr anfangliches Wachstum wahrgenommen, und um sie mehr zu kräftigen und ihnen aus den Kinder- schuhen zu helfen, reißt er sie los von der süßen Mutter- 1) Off. 5, 8. 3" 35 -r f i i brust; und indem er sie von seinen Armen herabläßt, lehrt er sie auf eigenen Füßen gehen.1) Das alles erscheint ihnen als ganz neu, da sich alles ins Gegenteil gekehrt hat. Dies tritt bei Personen, die zurückgezogen vom welt- lichen Geräusch ein geistliches Leben zu führen beginnen, meistens schneller ein als bei anderen; denn sie sind viel- - mehr den Gelegenheiten entrückt, wieder umzukehren, und wenden ihre Begierden viel schneller von den Dingen der Welt ab. Dies alles wird erfordert für den Beginn des Eintritts in die beseligende Nacht des Sinnes. Für gewöhn- lich vergeht, nachdem sIe einmal angefangen haben, nicht viel Zeit, bis der größte Teil derselben in die dunkle Nachi des Sinnes eintritt; denn man nimmt gewöhnlich wahr, daß sie in diese Trockenheiten versetzt werden. Für diese Art sinnlicher Reinigung könnten wir hier, da sie sehr allgemein ist, viele Stellen aus der HI. Schrift anführen, die sich auf jeder Seite, vor allem in den Psalmen und Propheten, in großer Menge finden. Ich will aber damit die Zeit nicht vergeuden; wer sie dort nicht nachsehen will, dem möge die allgemeine Erfahrung genügen. § 10. g. Kapitel. Zeichen, an denen man erkennen kann, ob eine geistliche Seele auf dem Wege dieser Nacht und der sinnlichen Reinigung wandelt. Weil nun diese Trockenheiten oft nicht in der ge- nannten Nacht und Reinigung des sinnlichen Gelüstens, sondern in den Sünden und Unvollkommenheiten, in der Schlaffheit und Lauheit, in einer üblen Laune oder Un- i) So sagen auch die Ausgaben und das Manuskript von M. Die Manuskripte von Alba und Toledo haben: Los eusena a andar. Die Manuskripte von Sevilla und Madrid schreiben: Los veza a andar. 56 1 , päßlichkeit des Körpers ihren Grund haben, so möchte ich hier einige Zeichen angeben, aus denen man erkennen kann, ob diese Trockenheit aus der genannten Reinigung oder aus den hier angeführten Fehlern entspringt. Ich finde hiefür vorzüglich drei Kennzeichen. Das erste Zeichen ist vorhanden, wenn die Seele ebenso wie sie an göttlichen Dingen keinen Geschmack und keinen Trost findet, auch aus den Geschöpfen keinen gewinnt. Denn da Gott die Seele in diese dunkle Nacht versetzt, um das sinnliche Gelüste auszutrocknen und sie da- von zu reinigen, so läßt er sie ~ keiner Sache mehr Gefallen und Geschmack fmden. Daraus erkennt man mit ziemlicher Sicherheit, daß diese Trockenheit und di~ses Mißbehagen nicht von den erst vor kurzem be- gangenen Sünden und Unvollkommenheiten herrühren. Wäre dies der Fall, so würde die Natur eine Neigung oder Begierde nach anderen als göttlichen Dingen in sich fühlen. Sobald man nämlich in irgend einer Unvoll- kommenheit dem Gelüste die Zügel schießen läßt, fühlt man sogleich auch eine größere oder geringere Neigung zu derselben, je nach dem Maße des Wohlgefallens und der Zuneigung, die man ihr entgegenbringt. Weil aber dieser Widerwille an himmlischen und irdischen Dingen aus irgend einer körperlichen Unpäßlichkeit oder aus melancholischer Gemütsverfassung kommen könnte, wo- bei man oft auch an nichts Gefallen findet, so ist auch das zweite Kennzeichen, die zweite Eigenschaft notwendig. Das zweite Kennzeichen und die zweite Eigenschaft, aus der man auf die genannte Reinigung schließen kann, besteht darin, daß die Seele gewöhnlich mit peinlicher Angst und Sorge an Gott denkt und glaubt, sie diene ihm nicht und es gehe rückwärts, weil sie keine Freude an göttlichen Dingen in sich wahrnimmt. Daraus ersieht man, daß dieser Widerwille und diese Trockenheit nicht im 37 i I , i :;1 Kaltsinn und in der Lauheit ihren Grund haben; denn es ist eine Eigenschaft der Lauheit, daß sie sich nicht viel um göttliche Dinge kümmert und innerlich sich darüber keine Sorge macht. Deshalb besteht zwischen Trockenheit und Lauheit ein großer Unterschied. Die Lauheit äußert sich durch große SchlafTheit des Geistes und Trägheit des Willens verbunden mit größter Sorglosigkeit betreffs des Dienstes Gottes; in der reinigenden Trockenheit aber ist die Seele, wie schon erwähnt, gewöhnlich in peinlicher und schmerzlicher Sorge, sie möchte Gott nicht dienen. Wenn auch diese Trockenheit manchmal mit Melancholie oder mit einer anderen Gemütsart, wie es zuweilen ge- schieht, verbunden ist, so bewirkt sie deswegen die Reinigung des Gelüstens nicht im geringerem Maße; denn sie nimmt der Seele jeden sinnlichen Wohlgeschmack und richtet einzig und allein ihre Gedanken auf Gott. Ist es aber nur eine reine Gemütsstimmung, so bewirkt sie nur Widerwillen und Zerstörung der Natur und zwar ohne daß damit das Verlangen Gott zu dienen ver- bunden ist, das sich in der reinigenden Trockenheit immer findet; und wenn auch deswegen der sinnliche Teil infolge des geringen Genusses, den er dabei findet, ganz schlaff, träge und kraftlos zum Handeln sich fühlt, so ist doch der Geist regsam und stark. Der Grund dieser Trockenheit ist folgender: Gott überträgt die Güter und Kräfte des sinnlichen Teiles auf den Geist, und da die Sinnlichkeit und die natürliche Kraft für diese Güter keine Empfcinglichkeit haben, darum leiden sie Entbehrung, bleiben trocken und leer. Denn der sinn- liche Teil de.s Menschen hat keine Befähigung für das, was des Geistes ist. Wenn daher der Geist Erquickung findet, fühlt das Fleisch Widerwillen und zeigt sich schlaff zum Handeln. Der Geist aber, der zur s~lben Zeit Nah- rung empfängt, wird weit kräftiger, wachsamer und um- 38 ... "" sichtiger als vorher, um es im Dienste Gottes an nichts fehlen zu lassen. Wegen dieser plötzlichen Änderung fühlt er nicht gleich anfangs die geistige Wonne und Süßigkeit, sondern Trockenheit und Mißvergnügen, da sein Ge- schmack bisher an sinnliche Genüsse gewöhnt und die Augen immer darauf gerichtet waren. Denn der geistige Geschmack ist für einen so erhabenen Genuß noch nicht zubereitet und gereinigt und muß erst allmählich mittels dieser Trockenheit und dunklen Nacht befahigt werden; deshalb kann er die geistige Süßigkeit, dieses Gut, nicht ge- nießen, sondern empfindet nur Trockenheit und Miß- behagen, indem ihm der Genuß entzogen ist, der ihm vorher so leicht zu teil wurde. Solche Seelen, die Gott durch diese Einsamkeit der Wüste zu führen beginnt, sind den Kindern Israels ähnlich, welchen Gott in der Wüste Brot vom Himmel gab, das alle Süßigkeit in sich enthält, so daß alle den Geschmack fanden, den sie suchten. Deßungeachtet fühlten sie den Mangel des Genusses und Wohlgeschmackes der Fleischspeisen und Zwiebeln, die sie in Aegypten genossen hatten, weit mehr als die wohl- schmeckende Süßigkeit dieser Himmelsspeise; ihr Gaumen war nämlich an diese Genüsse gewöhnt und von ihnen eingenommen. Im Besitze dieser Himmelsspeise weinten und seufzten sie nach den Fleischtöpfen. Recordamur pis ci um, quas comedebamus in Aegypto gratis, in mentem nobis veniunt cucumeres, et pepones, porrique et cepe et allia. "Wir gedenken der Fische, die wir in Aegypten umsonst aßen,unddie Kürbisse, Melonen, Lauche, Zwiebeln und der Knoblauch kommen uns in den Sinn.".) So tief sind wir in unseren Begierden gesunken, daß wir nach unserem Elend Verlangen tragen und an dem unvergleich- lichen Gute des Himmels Ekel empfinden. Wenn aber diese Trockenheit, wie gesagt, von der reinigenden Nacht 1) Num. 11,5. 39 ~,:c . des sinnlichen Begehrungsvermögens kommt, so gewinnt der Geist, wenn er auch anfangs aus den angeführten Gründen keine Wonne fühlt, doch Kraft und Entschlossen- heit zum Handeln infolge der inneren Speise, die ihm da- durch zu teil wird. Diese innere Speise besteht im Ein- tritt in die dunkle und für den sinnlichen Menschen J trockeae Beschauung, die etwas Verborgenes und auch j J für den, der sie besitzt, geheimnisvoll ist. GeWÖhnliCh ji verschafft di~se ~eschau~ng ~eben jener Trocken~eit und Leere, womIt sIe den sInnlIchen Menschen erfullt, der 1, Seele eine Neigung und ein Verlangen nach Einsamkeit j und Ruhe, otIne daß sie an etwas Be~timmtes denken könnte noch auch wollte. Würden jene Seelen, denen dies begegnet, es verstehen, sich ruhig zu verhalten, würden sie sich weder um ihre innere noch äußere Tätigkeit kümmern noch auch besorgt und bestrebt sein, etwas zu tun,1) so würden sie gar bald in dieser Ruhe und in 1) Andere Ausgaben haben an dieser Stelle noch den Zusatz: "Würden sie sich von Gott leiten lassen, seine Gnade aufnehmen und mit liebendem Aufmerken auf ihn hören." Da sich hier Gelegenheit bietet, müssen wir bemerken, daß die Mystiker allgemein den Rat geben, die Seele soll sich da ruhig verhalten und nichts tun. Damit wollen sie nicht sagen, daß sie die Tätigkeit ihrer Kräfte aufheben, sondern nur das forschende Nachsinnen unterlassen sollen und zwar aus zwei Gründen: Fürs erste ist diese Tätigkeit des Nachsinnens nicht mehr notwendig, da sie den Zweck schon erreicht hat, den sie erstrebt, nämlich die Erforschung der Wahrheit; fürs zweite verliert die Seele, 'Yenn sie sich durch Nachsinnen zerstreut, die Aufmerksamkeit auf Gott und dessen unaussprechliche Güter, die ihr dadurch zu teil werden. Um zu beweisen, daß dies der Sinn dieses und anderer ähnlicher Aussprüche sei, genügt es darauf zu achten, was der mystische Lehrer sagt und bis zum Übermaß wiederholt: Die Seele soll in dieser Lage in einem einfachen liebenden Aufmerken auf Gott verweilen. Durch das Wort "Aufmerken" bezeichnet er den Akt des Verstandes, der vernimmt, was Gott in der Seele spricht; mit dem Wort "einfach" will er die Vielfältigkeit der Akte ausschließen, wie es beim Nachsinnen der Fall ist, und durch das andere Wort "liebend" bezeichnet er den Akt des Willens, der in Liebe aufnehmen soll, was der Herr ihr mitteilt. Daraus geht hervor, daß die Mystiker nicht einer vollen Aufhebung der Tätigkeit das Wort reden, wie dieRationalisten unserer Tage meinen. 40 diesem Vergessen aller Dinge jene überaus köstliche innere Erquickung empfinden. Diese Erquickung ist nämlich so zart, daß sie die Seele gewöhnlich nicht fühlt, wenn sie ein übermäßiges Verlangen danach trägt oder in besonderer Weise um den Genuß derselben besorgt ist. Denn sie bringt, wie gesagt, ihre Wirkung in der Seele hervor, wenn diese sich in größter Ruhe und Selbstvergessenheit befin- det. Sie gleicht der Luft, die sogleich entschwindet, wenn man sie mit der Hand erfassen will. In diesem Sinne können wir die Worte verstehen, welche die Braut im hohen Liede zum Bräutigam spricht: Averte oculus tuos a me, quia ipsi me avolare fecerunt. " Wende deine Augen von mir, denn sonst ziehen sie mich an sich." 1) Gott be- handelt die Seele in diesem Stande in der Weise und führt sie auf einem so eigenartigen Wege, daß sie, wenn sie aus eigener Kraft und. Fähigkeit ~irken will, das Werk Gottes, das in ihr zustande kommen soll, eher hindert als fördert. Das war vorher ganz anders. Der Grund ist der: Da die Seele im Stande der Beschauung vom forschenden Nach- sinnen in den Stand der Fortschreitenden übergeht, so wirkt Gott in der Seele in der Weise, daß es den Anschein gewinnt, als binde er die inneren Seelenkräfte und ent- ziehe er dem Verstande die Stütze, dem Willen die innere Kraft und dem Gedächtnis das Nachsinnen. Was die Seele in diesem Stande aus sich selbst tun kann, dient, wie schon erwähnt, nur dazu, den inneren Frieden und das Werk,das Gott in jenerTrockenheitdes sinnlichen Menschen im Geiste wirkt, zu stören. Da dieser Friede geistig und üb.er- aus köstlich ist, so ist auch sein Wirken ruhig, zart, still, befriedigend und friedevoll und von den früheren Genüssen, die mehr fühlbar und sinnlich wahrnehmbar waren, durchaus verschieden. Es ist das jener Friede, den Gott nach den Worten Davids 'in die Seele hinein spricht, um 1) Hohel. 6, 4. 41 , ..' sie geistig zu machen.l) Und darin liegt der Grund des dritten Kennzeichens. Das dritte Kennzeichen, aus dem wir auf diese Rei- nigung des sinnlichen Menschen schließen können, besteht darin, daß die Seele nicht mehr betrachten und nathsin- nen und trotz aller Anstrengung den inneren Sinn der EinbildungskI1l.ft nicht mehr gebrauchen kann; um ihn zur Betrachtung anzuregen. Gott teilt sich in diesem Stande der Seele nicht mehr durch die Sinne mit, wie er es vorher mittels des forschenden Nachdenkens tat, das die Erkenntnisse miteinander verband und voneinander trennte, sondern er hat jetzt begonnen sich mittels des reinen Geistes mitzuteilen, wobei ein Aufeinanderfolgen von Gedanken nicht mehr stattfindet, nämlich mittels des Aktes der einfachen Beschauung, zu der weder die inneren noch äußeren Sinne des sinnlichen Menschen eine Be- fahigung haben. Daher kommt es, daß die Einbildungs- kraft und die Phantasie bei der Betrachtung nicht mehr als Stütze zu dienen vermögen und man sich ihrer auch nicht mehr bedienen kann. Bezüglich dieses Kennzeichens ist zu bemerken, daß diese Hemmung der Seelenkräfte und ihr Widerwille nicht von einem krankhaften Gemütszustand herrühren. Würde dieses Unvermögen daher kommen, dann könnte die Seele, sobald dieser Gemütszustand, der sich nie gleich bleibt, ein Ende genommen, mit Aufwand einer auch nur geringen Sorgfalt sogleich wieder tun, was sie vorher vermocht, lmd sich ihrer Kräfte bedienen. Bei der Reinigung des sinnlichen Begehrungsvermögens aber ist es nicht so. Sobald die Seele in dieselbe eintritt, nimmt das Unver- mögen, ihre Kräfte zum Nachdenken zu gebrauchen, immer mehr zu. Allerdings ist diese Reinigung bei einzelnen anfangs nicht von solcher Beständigkeit, daß sie nicht ') Ps. 84- 9. 4~ " auch manchmal sinnliche Ergötzung und Erholung fän- den; denn wegen ihrer Schwachheit können sie nicht mit einem Schlag der Mutterbrust entwöhnt werden; al- lein sie treten immer mehr in diese Reinigung ein, wobei die Sinnestätigkeit, wenn sie wirklich voranschreiten, ein Ende nimmt. Mit jenen, die nicht auf dem Wege der Beschauung wandeln, verhält es sich ganz anders. Bei ihnen pflegt die Nacht der Trockenheit bezüglich des sinnlichen Menschen nicht etwas Dauerndes zu sein; manchmal leiden sie an derselben, manchmal auch nicht; und wenn sie auch zu Zeiten nicht betrachten können, so vermögen sie es ein andermal wieder ebenso gut wie gewöhnlich. Denn Gott versetzt sie nur deshalb in diese Nacht, um sie zu unterweisen, zu demütigen und das sinnliche Begehrungsvermögen zu läutern, damit sie sich nicht an eine verkehrte Naschhaftigkeit in geisdichen Dingen gewöhnen, nicht aber um sie auf dem Wege des Gei&tes d. h. der Beschauung zu führen. Nicht alle, die ihrem Stande gemäß ein geisdiches Leben führen, erhebt Gott zur vollkommenen Beschauungj die Ursache daran ist nur ihm bekannt. Deshalb entwöhnt er die Sinne dieser Seelen nie ganz der Mutterbrust der Betrachtung und des forschenden Nachdenkens, sondern nur zuweilen und in gewissen Zwischenräumen. § 11. 10. Kapitel. Wie sich solche Seelen in dieser dunklen Nacht zu verhalten haben. Zur Zeit der Trockenheit dieser Nacht des Sinnes, .. in welcher Gott den oben besprochenen Wandel schafft und die Seele vom Wege der Sinne auf den Weg des 43 , , " ! ~c" i " I i ""m"db.ood"B"rn,hru.,w,B,.,b,uuo,f'hn wo.i"u.,i,b oi,b" ru,h,ruouod ibreK,'f" wm N"bd,.k,. '00' ,ö,ai,b, Dio.. ."b'm,b,..hrnu,b,. "'oiodi""Z,i,lcid,o..i.a',b,S,eI,o,ro', TriiM." d" Gw.d di,re, On,'-iou., i" oi,b' hlo' di, Trook,ob,i.. di, ,i, oof,ll.. wod". ,u,b di, Fu,ob.. ,i,m&b".,ufdi,remW,..,i,b."wirnb,oooSi,l. 000 i. dom Gloooo., ,110 ..i,ai,h,. G"" .,eloreo w b,ooou.d.ooGo".,elureowo,d,o,ureiod,"'" "w" Gm,m k,i., S"'m uod k,'o,. """bm"k m,b, find,oJott'pl""o,i,,iob,huod~,.u,h,oibre,G. wohDb,i' ..m" do~b Noohd,w. 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- :;~:~;;oi:,";;;:::";;;o;:~~:;:.;,~ ::;o:,~",Oswald (Diskussion) 14:52, 25. Jul. 2022 (CEST),~: ::~::
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verschafft und um deretwillen .ie den Gang durch diese
Nacht für ein beseligendes Los hält. Alle diese Vorteile
faßt die Seele im folgenden Vers zusammen: i
"Entwich ich ungeseh'n," '1]
§1.
1. ~
,
U~~er diesem Entweichen ist die Befreiung von der
Unterwürfigkeit zu verstehen" in welcher die Seele bezüg-
lich des sinnlichen Teiles stand, da sie in ihrem Streben
nach G_ott durch eine so schlaffe, be&chränkte und gefähr-
liche Tätigkeit, wie sie dem niedrigen Teile eigen ist,
gebunden war, Da fiel die Seele fast bei jedem Schritte
in tausend Unvollkommenheiten und Torheiten, wie wir
es oben Dei Behandlung der sieben Hauptsünden aus-
geführt haben. Von all diesen Fehlern bleibt sie jetzt frei;
denn diese Nachtbeseitigt alle Genüsse höherer und niederer
A~, setztalle nachforschende TätigkeitinsDunkel und schafft
unzählige andere Vorteile bezüglich der Erwerbung der Tu-
genden, was wir jetzt besprechen wollen, Es ist für den, der
auf diesem Wege wandelt, überaus angene~m und tröstend
zu sehen, daß etwa$, was der Seele so hart und wider-
wärtig erscheint und dem Geschmack des Geistes ,so sehr
widerspricht, so erhabene Güt~r in ihr wirkt, Diese Güter
entspringen daraus, daß sich die Seele bezüglich ihrer
Neigung und Tätigkeit in dieser Nacht von allen ge-
schaffenen Dingen lostrennt und den ewigen zuwendet.
Dies bereitet große Beglückung und Beseligung, vor allem
wegen des großen Vorteils, der in der Ertötung des Ge-
lüstens und der Neigung zu allen Dingen besteht, sodann
weil es so wenige gibt, die sich gedulden und ausharren,
bis sie auf dem schmalen Weg, der zum Leben führt, durch
die enge Pforte eintreten, wie unser Heiland sagt. I) Denn
die enge Pforte ist die Nacht des Sinnes, in welcher sich
1) Mt. 7, 14.
50
i
f ~ die Seele aller Dinge beraubt und entblößt, um durch dieselbe einzutreten; sie stützt sich dabei auf deI\ Glauben, der jedes sinnliche Erkennen ausschließt, um dann auf dem schmalen Weg der anderen Nacht des Geistes zu wandeln. In dieser Nacht schreitet die Seele noch weiter " vorwärts auf dem Wege zu Gott und zwar im reinsten ~ Glauben, der .das Mittel der Vereinigung der Seele mit " ~ Gott ist. Auf diesem Wege, der so schmal, dunkel und ~ i. schrec:klich ist, daß er, wie wir noch sagen werden, be- ~; züglich der Dunkelheit und der Beschwerden mit der r Nacht des Sinnes in keiner Weise verglichen werden kann, ~ wandeln nur sehr wenige; aber auch die Vorteile desselben ~ sind überaus groß. Von diesen Vorteilen der sinnlichen f Nacht wollen wir jetzt in möglichster Kürze handeln, um ~ dann zur anderen Nacht übergehen zu k?nnen. ~ § Q.. lQ.. Kapitel. Vorteile, welc4e diese Nac4t des Sinnes in der Seele hervorbringt. Die Nacht oder Reinigung der Gelüste ist wegen der f großen Güter und Vorteile, die sie hervorbringt, für die ~ Seele überaus beseligend, wenn es ihr auch, wie schon erwähnt, scheint, sie werde dadurch derselben beraubt. Wie Abraham ein großes Fest feierte, als sein Sohn Isaakl) entwöhnt wurde, so herrscht auch im Himmel Freude darüber, daß Gott diese Seele aus den Windeln heraus- nimmt, von seinen Armen herabläßt und sie auf eigenen Füßen gehen heißt, um ihr jetzt, nachdem er ihr die Mutter- milch und die zarte, süße Speise der Kinder entzogen hat, Brot I:' mit der Rinde zumEssen reicht. EsherrschtFreudeimHim- f mel, daß sie allmählich am Brot der Starken Geschmack ~ findet, das in diesen Tro!::kenhei ten undFinsternissen des sinn-
- 1) Gen. 21,8.
4' 51 4 lichen Erkennens dem von denSinnesgenüssen gereinigten und entleertem Geiste gereicht zu werden beginnt, Es ist das die schon erwähnte eingegossene Beschauung. Sie ist der erste und hauptsächlichste Vorteil, der der Seele daraus erwächst. In ihm haben fast alle ~deren ihren Ursprung. Der erste dieser Vorteile ist die Erkenntnis seiner selbst und seines eigenen Elends. Denn abgesehen davon, daß alle anderen Gnaden, welche Gott in der Seele wirkt, ge- wöhnlich in dieser Erkenntnis eingeschlossen sind, schaffen diese Trockenheiten und diese Leere der Seelenkräfte ~ im Vergleich mit der früheren Reichhaltigkeit der Sinnes- , wahrnehmungen, sowie der Überdruß, den die Seele am Guten findet, in ihr eine solche Erkenntnis ihres Elendes' und ihrer Armseligkeit, wie sie dieselbe zur Zeit ihres Wohlergehens nie wahrnehmen konnte. Wir haben hie- c, von ein schönes Bild im 2. Buche Moses. Als nämlich Gott die Kinder Israels demütigen und zur Selbsterkenntnis führen wollte, befahl er ihnen ihr Festgewand und ihren Schmuck, mit dem sie in der Wüste gewöhnlich bekleid,et waren, auszuziehen und abzulegen, indem er sprach: Jam nunc depone ornatum tuum. "Lege nun jetzt deinen Schmuck ab." 1) Ziehet jetzt das Festgewand aus und be- kleidet euch mit dem gewöhnlichen Arbeitsgewande, da- mit ihr einsehen lernt, welche Behandlung ihr verdient. Damit wollte er sagen: Weil euch das Fest:' und Freuden., gewand, das ihr traget, ein Anlaß ist, daß ihr nicht so gering, wie es billig wäre, von euch denkt, so leget dieses Kleid ab, damit ihr, wenn ihr euch fürderhin mit diesem gewöhnlichen Gewande angetan erblicket, erkennet, daß ihr ~icht mehr verdient und wer ihr seid. Daraus geht hervor, daß die Seele aus ihrem eigenen Elende die Wahr- heit erkenne, die sie ehedem nicht erkannte. Denn zu der Zeit, als sie noch im Festgewande einherging und an 1) Ex. 55, 5. . 5Sl , ~ Gott großen Trost, Süßigkeit und Stütze fand, war sie mehr befriedigt und mit sich zufrieden, weil sie Gott einigermaßen zu dienen vermeinte. Wenn sie auch nicht ausdrücklich daran festhält, daß dies so sei, so ist sie doch wegen der Befriedigung, die sie im Genusse findet, von dieser ~nsicht in etwa eingenommen. Hat aber die Seele dieses Gewand der Dürftigkeit, der Trockenheit und Hilf- losigkeit angezogen, dann besitzt sie, nachdem ihre frühe- ren Erleuchtungen sich in Dunkel gehüllt haben, jene erhabene und notwendige Tugend der Selbsterkenntnis in weit höherem Grade. Jetzt macht sie in keinem Stücke mehr etwas aus sich und gestattet sich keine Befriedigung, weil sie sieht, daß sie aus sich nichts tue und nichts ver- möge. Dieses Unbefriedigtsein mit sich selbst und diese Betrübnis darüber, daß sie Gott nicht diene, achtet und schätzt Gott weit höher, als alle früheren We~ke, die die Seele verrichtete, und alle Süßigkeiten, die ihr zu teil wurden, so erhaben sie auch gewesen sein mochten. Denn dieselben waren für sie ein Anlaß zu vielen Unvollkommen- heiten und Torheiten. Aus diesem Gewande der Trocken- heit, d. i. aus der Selbsterkenntnis; entspringen wie aus ihrem Ursprunge und ihrer Quelle nicht nur jene bereits erwähnten Vorteile, sondern auch jene, die wir noch be- sprechen werden, und noch viele andere, die wir mit Still- schweigen übergehen. c.'. An erster Stelle erwirbt sich die Seele eine weit größere r Ehrfurcht und Bescheidenheit im Handeln und im Um-
- gang mit Gott, die im Verkehr znit dem Allerhöchsten
~ immer erfordert werden. Diese hat sie, als es ihr bei ihren Tröstungeft und Genüssen wohlerging, nicht an den Tag gelegt. Denn jene wohltuenden Gunstbezeugungen, die \ ihr zu teil wurden, bewirkten, daß ihr Verlangen nach f -Gott sich in einer mehr anmaßenderen, unbescheideneren " ~ und unüberlegteren Form äußerte, als es sich geziemte. . [ 53 t So erging es selbst dem Moses, als er wahrnahm, daß Gott mit ihm redete, Angespornt durch diesen Genuß und dieses Gelüsten wagte er es ohne Bedenken sich Gott mehr zu nähern, bis er ihm befahl, inne zu halten und die Schuhe abzulegen. I) Daraus können wir entnehmen, daß wir mit Ehrfurcht und \Torsicht, frei von Gelüsten mit Gott ver- kehren müssen. Durch diesen Gehorsamsakt wurde Moses so klug und vorsichtig, daß er, wie die ffi. Schrift sagt, sich nicht mehr anmaßte, ihm nahe -' zu kommen, noch viel weniger es wagte, ihn anzu- schauen2). Nachdem er die Schuhe der Gelüste und des Genusses abgelegt hatte, gewann er eine so große Erkenntnis seines Elendes, daß er gewürdigt wurde, die göttliche An- sprache zu hören. Ebenso bereitete Gott auch den Job, um mit ihm zu sprechen, nicht durch Wonnegenüsse und .Beseligung, die ihm nach seinem eigenen Geständnis .früher in seinem Verkehr mit Gott zu teil wurden, vor, sondern dadurch, daß er ihn nackt, verlassen und verfolgt von seinen Freunden und erfüllt von Seelenqual und Bitterkeit auf einen Düngerhaufen setzte; der von Würmern ganz übersät war. Jetzt erst und auf diese Weise würdigte sich Gott aer Allerhöchste, der den Armen aus dem Staube erhebt,8) sich herabzulassen und mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, jetzt erst eröffnete er ihm die tiefen Schätze seiner Weisheit, wie er es zur Zeit seines~ Wohlergehens niemals getan.4) Wir müssen hier an dieser Stelle, weil gerade die Gelegenheit davon zu reden sich schickt, auf einen anderen überaus erhabenen Vorteil hinweisen, den man sich in dieser Nacht und Trockenheit des sinnlichen Menschen er,virbt. In dieser dunklen Nacht der Gelüste erfüllt sich 1) 2. Mos. 3, 5. I) 2. Mos. 3. 6. ') Joh. 112,7. f) Joh. 2,8; 29, 3°, 58. 54 r nämlich das Wort des Propheten: Orietur in tenebris lux tua. "In der Finsternis wird dein Licht aufgehen." 1) Gott erleuchtet die Seele; wie schon erwähnt, nicht bloß durch die Erkenntnis ihres Elendes und ihrer Niedrigkeit, son- dern auch mit "der Größe und Erhabenheit Gottes. Nach- dem die sinnlichen Gelüste, Genüsse und Stützen hinweg- genommen sind, bleibt der Verstand frei und rein zur Erkenntnis der Wahrheit; denn der s-innliche Genuß und das Gelüsten verdüstern und hemmen den Geist, auch bezüglich der geistigen Dinge. Nun aber 'erleuchtet und belebt diese Bedrängnis und Trockenheit des sinnlichen Erkennens den Verstand nach den Worten des Isaias: Vexatio intellectum dabit auditui. "Die Bedrängnis wird das Verständnis dafür geben",2) wie Gott die entleerte und von allen Hindernissen freie Seele -was für das göttliche Wirken erfordert wird ~ auf übernatürliche Weise mittels jener dunklen Nacht und trockenen Beschauung in seiner göttlichen Weisheit unterrichtet; dies hat er vorher wegeJI der früheren Genüsse und Ergötzungen nicht getan. Darüber gibt uns am besten derselbe Prophet Aufschluß, wenn er sagt: Quem docebit scientiam? et quem intelligere facit, auditum? ablactatos a lacte, avulsos ab uberibus. "Wem will Gott Erkenntnis lehren? Und wem seine Lehre ver- nehmlich machen? Den von der Milch Entwöhnten, den von der Mutterbrust Genommenen." 8) Aus diesen Worten geht hervor, daß die zur Aufnahme dieses göttlichen Ein- flusses notwendige Verfassung weder die frühere Milch geistiger Süßigkeit noch die nährende Brust des wohltuen- den Nachdenkens, auf die sich die Seele mittels der sinn- r! lichen Vermögen stützt, ist, sondern der Verzicht auf das
- eine und die Beraubung des anderen. Um auf Gott hören
- zu können, muß die Seele ganz auf eigenen Füßen stehen
! 1) Is. 58, 10. 'l) Is. 28, 19. 8) Is. 28, 9. 55 .," und darf sich bezüglich ihrer Gelüste und ihres sinnlichen Erkennens auf nichts stützen, wie der Prophev) von sich sagt: Super custodiam meam stabo et figam gradum super munitionem; et contemplabor, ut videam quid dicatur mihi. "Ich will mich auf meine Warte stellen (ich will mich frei machen vom sinnlichen Begehren) und meinen Euß setzen (ich will mit meinen Sinnen nicht nachdenken) und schauen, um zu vernehmen, was Gott zu mir spricht." So steht es also fest, daß aus dieser trockenen Nacht zuerst die Erkenntnis seiner selbst hervorgeht, und diese verur~acht wiederum die Erkenntnis Gottes. Deshalb spricht der hl. Augustin2) zu Gott: "Herr, würde ich mich erkennen, dann besäße ich auch die Erkenntnis deiner; den~, wie die Philosophen sagen, wird das eine Extrem am besten durch das andere erkannt. Um die Wirksam- keit dieser Nacht des Sinnes, welche durch ihre Trockenheit die lilihere Erleuchtung Gottes in der Seele verursacht, klarer hervorzuheben, will ich jene Stelle Davids an- führen. in der er in ganz vorzüglicher Weise das erhabene Wirken dieser Nacht bezüglich der Mitteilung jener tiefen Erkenntnis Gottes mit folgenden Worten schildert: In terra deserta et invia et inaquosa, sic in sancto apparui tibi, ut viderem virtutem tuam et gloriam tuam.8) "Im wüsten, unwegsamen und wasser- losen Lande erscheine ich vor dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu schauen." Es ist wirklich zum Erstaunen, wie David uns hier zu verstehen gibt, daß nicht die geistigen Freuden und zahlreichen Genüsse, die ihm zu teil wurden, die Voraussetzung und das Mittel zur Er- kenntnis der Hernichkeit Gottes waren, sondern Trocken- heit und Eritblößung des sinnlichen Menschen, waS hier mit den Worten, "wasserloses und wüstes Land", bezeichnet 1) Hob. 2, 1. ,. 2) S. Aug. Selbstgespr. 2. Hauptst. 8) Ps. 62, 3. 56 ,,; ;,;. ;': .' ... . wird. Ebenso bemerkt er, daß für ihn nicht jene Be- griffe von Gott und jene diskursiven Gedanken an ihn, wo- mit er sich oft beschäftigte, der Weg waren, um Gottes Macht wahrzunehmen und zu schauen, sondern das Un- vermögen sich von Gott weder einen Begriff zu machen ~: noch durch nachforschendes Betrachten mittels der Ein- t bildungskraft voran zu kommen, was er hier mit den Wor- ten "unwegsames Land" ausdrückt. Somit ist diese dunkle Nacht mit ihrer Trockenheit und Leere das Mittel, um Gott und sich selbst kennen zu lernen, wenn auch nicht in jener vollkommenen und vollendeten Weise, wie es in der anderen Nacht des Geistes geschieht; denn diese Er- kenntnis ist nur der Anfang der anderen. In der Trockenheit und Leere dieser Nacht des Sinnes nimmt die Seele auch an Demut des Geistes zu. Diese Tugend ist das Gegenteil der ersten Hauptsünde; die wir geistige Hoffart nannten. Durch diese Demut, welche die genannte Selbsterkenntni~ der Seele verschafft, reinigte sie sich von all jenen Unvollkommenheiten, in welche sie bezüglich der Hoffart zur Zeit ihres Wohlergehens fiel. Denn wenn sie sich so trocken und elend sieht, steigen in ihr nicht einmal die Spuren von Regungen auf, als sei sie besser. wie andere, oder als übertreffe sie die- selben, wie es früher der Fall war; vielmehr erkennt sie, .daß andere weit vollkommener handeln. Daraus ent- springt denn auch die Liebe zum Nächsten; sie achtet andere hoch, beurteilt sie nicht mehr wie ehedem, wo sie an sich größeren Eifer wahrnahm als an anderen; sie er- kennt jetzt nur ihr eigenes Elend, das ihr so lebhaft vor Augen schwebt, daß sie keine Zeit mehr findet, dieselben auf jemand anders zu richten. Dies hat David, als er sich in dieser Nacht befand, in wunderschöner Weise zum Ausdruck gebracht mit den Worten: Obmutui et humi- liatus sum et silui a bonis, et dolor meus renovatus est. 57 "Ich verstummte und beugte mich und schwieg fern von den Gütern; und mein Schmerz erneuerte sich."I) Dies sagte er, weil ihm die Gnadengüter seiner Seele so sehr entschwunden zu sein schienen, daß ihm nicht bloß die Worte fehlten, um davon zu sprechen, sondern daß er auch bei der schmer1.lichen Erkenntnis seines eigenen Elen- des über die Gnaden anderer wie ein Stummer schwieg. In diesem Zustand des geistlichen Lebens werden die Seelen auch unterwürfig und gehorsam. Denn da sie sich so elend sehen, hören sie nicht bloß gerne den Belehrungen anderer an, sondern wünschen sogar, daß jeder ihnen die Wege weise und ihnen sage, was sie zu tun hätten. Auch verlieren sie jene Anmaßung, die sie oft an den Tag legten, endlich werden auf diesem Wege, wie schon erwähnt, alle Unvollkommenheiten von Grund aus entfernt, welche wir berührten, als wir von der ersten " Hauptsünde, der geistigen Hoffart, sprachen. § 3. 13. Kapitel. ,~ Andere Vorteile, welche diese Nacht des Sinnes " in der Seele hervorbringt. Was die aus der geistigen Habsucht hervorgehenden Unvollkommenheiten betrifft, die bald nach diesen bald. nach jenen geistlichen Dingen Verlangen trug, so wird die Seele jetzt in dieser dunklen und trockenen Nacht auch in dieser Beziehung völlig umgestaltet. Denn infolge der Lüsternheit des sinnlichen Begehrungsvermögens- und des Genusses, den sie an geistlichen Dingen fand, gab sie sich weder mit diesen noch mit jenen Übungen zufrieden. Da sie nun jenen gewohnten Genuß und Geschmack nicht mehr daran findet, sondern nur Widerwillen und Betrüb- nis, so gibt sie sich denselben mit solcher Mäßigung hin, 1) Ps. 58, 5. 58 ~ daß sie eher durch zu wenig den Verlust derselben be- fürchten könnte, als es ihr früher durch zu viel begegnete. l Verleiht Gott auch denjenigen, die er in diese Nacht führt, r -gewöhnlich Demut und Bereitwilligkeit zum Guten, so ~ tun ~ie doch alles, was ihnen aufgetragen wird, rein um ~ Gottes willen, wenn sie auch keine Befriedigung dabei
- finden. Und so entäußern sie sich in vielen Stücken, da
[ sie keinen Genuß dabei finden.
- Auch bezüglich der geistigen Lüsternheit wird die
" ~ Seele, wie es sich klar zeigt, durch diese Trockenheit und ~ diesen Widerwillen des sinnlichen Teiles an geistigen Dingen von allen oben genannten Unvollkommenheiten befreit. Denn diese gehen ja, wie schon erwähnt, gewöhn- lich von dem Genusse hervor, der vom Geiste auf das sinnliche Begehrungsvermögen überströmt. Die Unvollkommenheiten bezüglich der vierten Hauptsünde, der geistigen Unmäßigkeit, von denen sich die Seele in dieser dunklen Nacht frei macht, kann man oben nachlesen, wenn sie auch dort nicht alle aufgezählt sind, da sie unzählbar sind. Ich will sie auch hier nicht anführen, weil ich mit dieser Nacht zu Ende kommen möchte, um zur anderen übergehen zu können, wo wir eine sehr wichtige Lehre zu behandeln haben. Um die unzählbaren Vorteile zu verstehen, welche die Seele außer den bereits erwähnten durch die Bekämpfung der geistigen Unmäßigkeit in dieser Nacht gewinnt, genügt es zu sagen, daß sie sich von all den dort angeführten Unvollkommen- heiten und von vielen anderen Übeln und abscheulichen Häßlichkeiten frei macht, die wir hier nicht aufzählen wollen. In diese Fehler sind, wie wir aus Erfahrung wissen, viele deshalb gefallen, weil sie ihr Gelüsten be- züglichder geistigen Naschhaftigkeit nicht bezähmt haben. . Denn wenn Gott eine Seele in diese trockene und dunkle Nacht führt, hält er ihre Begierlichkeit und ihr Gelüsten 59
- - Oswald (Diskussion)
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derart im Zaum, daß sie sich an keiner Süßigkeit und an keinem sinnlichen Genusse, weder höherer noch niederex Art,laben kann; und dies tut er solange, bis die Seele hin- sichtlich der Begierlichkeit und der Gelüste zerknirscht, umgewandelt und gänzlich erdrückt ist. Sie verliert die Macht der Leidenschaften und der Begierlichkeit und ver- trocknet gleichsam, da sie sich des Geschmacksinnes nicht mehr bedienen kann; es ist das geradeso, wie wenn durch die Entwöhnung des Kindes von der Mutterbrust der Milchlauf der Brust vertrocknet. Und wenn dann die Ge- lüste der Seele unterjocht sind, ergeben sich außer den genannten Vorteilen infolge dieser wunderbaren geistigen Nüchternheit noch weitere Vorteile in der Seele. Nach- dem einmal die Gelüste und Begierlichkeiten zur Ruhe gebracht sind, lebt auch die Seele in Frieden und gei- stiger Ruhe. Denn wo weder das Gelüsten noch die Begier- lichkeit die Herrschaft führt, da gibt es keine Verwirrung sondern Friede und Gottes Trost. Daraus entspringt dann ein zweiter Vorteil, eine anhaltende Erinnerung an Gott, verbunden mit Ji'urcht und Besorgnis, man möchte, wie bereits gesagt wurde, rückfalligwerden im geistigen Leben. Das ist ein großes geistiges Gut und keineswegs eines von' den geringsten, die man bei dieser Trockenheit und Rei- .nigung des sinnlichen Begehrungsvennögens erwirbt. Da wird die Seele rein und frei von den Unvollkommenheiten, die sich in ihr infolge der Gelüste und Neigungen fest- setzten und sie schwächten und blendeten. Noch ein anderes, sehr erhabenes Gut, erwächst der Seele aus dieser Nacht; und das ist die Übung jeglicher Tugend. Da ist es vor allem die Ergebung und ausharrende Geduld, die sie in hohem Grade in dieser Trockenheit und inneren Leere an den Tag legt, indem sie in ihren geist- lichen Übungen auch ohne Trost und Erquickung geduldig bleibt. Da übt sie ferner die Liebe zu Gott, da nicht das 60 ~, ~ Empfinden des wohltuenden Genusses der Beweggrund ihres HandeIns ist, sondern allein Gott. Auch die Übung der Tugend des Starkmutes zeigt sich an ihr; denn bei jenen Schwierigkeiten und UnannehIhlichkeiten, die ihrem Wirken entgegentreten, schöpft sie Kraft aus der Schwäche und wird dadurch stark; kurz, die Seele übt sich in dieser Trockenheit in allen Tugenden, in den Kardinaltugenden wie in den sittlichen Tugenden, sowohl körperlich wie geistig. Daß die Seele alle diese vier hier aufgezählten Vorteile in dieser Nacht sich erwirbt, näm- lich einen beseligenden Frieden, eine anpaltende, mit liebender Besorgnis verbundene Erinnerung an Gott, Lau- terkeit und Reinheit der Seele und Übung der aufgezählten Tugenden, bezeugt David, der sich selbst in dieser Nacht befunden und also spricht: Renuit consolari anima mea, memor fui Dei, et delectatus sum, et exercitatus sum et defecit spiritus meus,l) "Meine Seele wollte sich nicht trösten lassen, da dachte ich an Gott, ich fand Trost, und ich mühte mich ab in Sorge und mein Geist schmachtete dahin," Und weiter sagt er: "Und ich sann des Nachts in meinem Herzen, und härmte mich ab und durchforschte und reinigte meinen Geist, nämlich von allen Neigungen. "2) Auch von den anderen Unvollkommenheiten der
- . übrigen drei obenerwähnten Hauptsünden, des Neides,
.. [. Zornes und der Trägheit reinigt sich die Seele in dieser ~; Trockenheit des sinnlichen Gelüstens und erwirbt sich " r die ihnen entgegengesetzten Tugenden, Zerknirscht und ~ gedemütigt durch diese Trockenheiten und Schwierig- l. keiten, sowie durch andere Versuchungen und Beschwer- , t" den, mit denen sie Gott außerdem noch in dieser Nacht , t prüfte, erwirbt sie sich den Frieden mit Gott, mit sich und ~ dem Nächsten. Jetzt regt sie sich nicht mehr leidenschaft- I) Ps, 76; 5-4. 2) Ps. 76, 6. 61
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r;"'-"""",~,,*_O"',"C'~-- """' ~ lich auf über sich wegen ihrer eigenen Fehler noch auch , j über die Fehler des Nächsten; sie ist nicht mehr unzu- J frieden mit Gott, noch klagt sie auch ehrfurchtslos über ihn, daß er sie nicht sogleich vollkommen macht. Was den Neid betrifft, so ist sie jetzt liebevoll g~gen alle, hegt sie auch noeh eine gewisse Eifersucht, so ist sie doch nicht mehr sündhaft wie früher, als sie noch schmerzlich berührt wurde, wenn andere ihr vorgezogen wurden oder sie über- trafen. Jetzt, da sie sich so elend sieht, gibt sie ihnen gerne den Vorzug. Und wenn sie noch Eifersucht im Herzen trägt, ich sage wenn, dann ist diese eine tugendhafte; denn sie besteht in dem Verlangen anderen nachzufolgen; und dies ist gewiß ein Zeichen von großer Tugend. Auch die Unlust und der Eckel an geistigen Dingen ist nicht mehr sündhaft wie ehedem; diese Stimmung entstand aus den geistigen Genüssen, die der Seele manch- mal zu teil wurden, und nach denen sie verlangte, wenn sie dieselben nicht kostete. Aber dieser Eckel geht nicht hervor aus der Schwäche des Wonnegefühls; denn in die- ser Reinigung der sinnlichen Gelüste hat sich die Seele bezüglich aller Dinge Gott hinge:geben. Außer diesen angefühl'ten Vorteilen gewinnt die Seele in dieser reinen Beschau\lng noch ur.zählige andere. Inmitten dieser Trockenheiten und Bedrängnisse teilt Gott der Seele manchmal, wenn sie am wenigsten daran denkt, eine geistige Süßigkeit und reine Liebe, sowie oft ganz erhabene geistige Kenntnisse mit, von denen jede einzelne mehr fördert und kostbarer ist als alle früheren Genüsse. Freilich hat die Seele im Anfang nicht dieses Empfinden, denn der geistige Einfluß ist hier überaus zart, er bleibt dem sinnlichen Menschen verborgen. Da sich die Seele hier von allen sinnlichen Neigungen und Gelüsten reinigt, gelangt sie in den Besitz der Frei- heit des Geistes, in we]cher sie sich die zwölf Früchte des 62 "
hl. Geistes erwirbt. Ebenso wird sie hier auch in bewun- derungswürdiger Weise den Händen der drei.Feinde, des Teufels, der Welt und des Fleisches entrissen; ist sie ein- mal dem sinnlichen Wohlgeschmack und Genuß an allen Dingen abgestorben, dann sind auch dem Teufel, der Welt und der Sinnlichkeit die Waffen und die Kraft genom- men, sich wider den Geist aufzulehnen. Diese Trockenheiten bewirken, daß die Seele in reiner Liebe sich Gott hingeben kann; jetzt wird sie nicht mehr durch Lust und Freude am Werke zum Handeln bestimmt, wie vielleicht früher, als sie noch fühlbare Süßig- , keitempfand, sondern nur durch das Verlangen, Gottzuge- ~, fallen. Jetzt handelt sie nicht mehr aus Anmaßung und ~~ Eigendünkel wie zur Zeit ihres Wohlergehens, sondern ,~ ist in Furcht und Sorge über sich selbst und frei von jeder f~ Selbstzufriedenheit. Und darin besteht die hl. Furcht, die Hüterin una Förderln der Tugenden. Diese 'trockenheit beseitigt auch, wie schon erwähnt, die Begierlichkeit und Heftigkeit der Natur. Denn würde ihr Gott nicht aus sich von Zeit zu Zeit einen Genuß bereiten, so wäre es, wie gesagt, ein Wunder, wenn sie durch eigenes Bemühen irgend einen sinnlichen Genuß oder Trost an einem Werke ode~ einer geistlichen Übung fände. Es nimmt in dieser trockenen Nacht die Besorgnis und Angst zu in bezug auf den Dienst Gottes. Da nämlich .die Brüste der Sinnlichkeit,' an denen die Seele ihre Ge- , t lüste befriedigte und an denen sie hing, allmählich ver- r" trocknen, so bleibt in dieser Trockenheit und Entblößung nur mehr die -ängstliche Besorgnis um den Dienst Gottes. Und dies ist Gott überaus wohlgefällig nach den Worten des Psalmisten: 1) "Ein Opfer vor Gott ist ein zerknirschter Geist." Die Seele erkennt nun, daß sie aus dieser an ihr vollzogenen trockencen Reinigung so viele und kostbare " 1) Ps. 50, 19. " 6,.. 3 ~ ~" ].'
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""'i Vorteile gewonnen, und so ruft sie in dieser Strophe, die i wir eben erklären, mit vollem Recht aus: ~f ,,0 du glückselig' Los! l 1 E.h.hh' " ntw1c 1C ungese n . Damit will sie sagen: ich bin den Fesseln und der Sklaverei der sinnlichen Gelüste und Neigungen unbe- merkt entflohen, ohne daß es die genannten drei Feinde hindern konnten. Diese nämlich verstrickten, wie schon erwähnt, die Seele in den Gelüsten und Genüssen und hiel- ten sie gefangen, so daß sie aus sich zur vollkom- menen Freiheit der Liebe Gottes nicht gelangen konnte; ohne diese hätten sie aber, wie gesagt, die Seele nicht bekämpfen können. Wenn darum durch beständige Selbstverleugnung die vier Leidenschaften der Seele: die Freude, der Schmerz, die Hoffnung und die Furcht zur Ruhe gebracht, wenn die natürlichen Gelüste durch fortdauerndp. Trockenheit der Sinnlichkeit eingeschlummert sind, wenn das harmonische Zusammenwirken der Sinne und der inneren Seelenkräfte aufhört und die nachforschende Tätigkeit der Seele unter- bleibt, -dies alles geh?rt in den Bereich und in das Gebiet des niederen Teiles der Seele -dann kann sie von °de;r Hütte (der Seele) sagen: "Schon lag mein Haus in Schlummer." 14. Kapitel. Erklärung des letzten Verses der ersten Strophe. Nachdem nun diese Hütte der Sinnlichkeit in Ruhe, das heißt nachdem durch die genannte Nacht der sinn- lichen Reinigung die Leidenschaften ertötet, die Begierden beschwichtigt, die Gelüste beruhigt und eingeschläfert waren, entwich die Seele, um den Weg des Geistes zu wan- deIn; es ist dies der Weg der Fortschreitenden und Voran- 64 r geschrittenen, den man auch Erleuchtungsweg oder ein- gegossene Beschauung nennt. Auf diesem Wege belehrt und erquickt Gott selbst die Seele, wobei das schlußfol- gernde Nachdenken und jede Betätigung und aktive Mit- wirkung der Seele selbst unterbleibt. Darin besteht für die Seele, wie schon erwähnt, die Nacht oder Reinigung des Sinnes. Diese ist bei denen, die später, um zur übernatür- lichen Liebesvereinigung mit Gott zu gelangen, in die andere weit dunklereNacht des Geistes eintreten, -estre- ten aber gewöhnlich nicht alle, sondern nur sehr wenige in dieselbe ein -von schweren Trübsalen und sinnlichen Versuchungen begleitet, die bei den einzelnen nicht von gleichlanger Dauer sind. Einigen naht sich derSatansengel, der Geist der Unlauterkeit, der ihre Sinne mit heftigen und abscheulichen Versuchungen quält, den Geist mit häßlichen Gedanken und die Einbildungskraft mit so lebendigen Vor- stellungen martert, daß es ihnen größere Qual bereitet als selbst der Tod. Manchmal gesellt sich zu dieser Nacht auch noch der Geist der Gotteslästerung, der alle ihre Begriffe und Ge- danken mit unerträglichen Gotteslästerungen erfüllt und sie mitunter der Einbildungskraft so lebendig eindrückt, daß er sie zu ihrer größten Qual gleichsam drängt, dieselben auszusprechen. Bisweilen überfällt sie ein anderer verabscheuungs- würdiger Geist, den man den Geist des Schwindels nennt, nicht um sie zu Fall bringen, sondern um sie zu prüfen. Dieserverdunkelt derart ihre Sinne und erfüllt ihre Urteils- kraft mit tausend Skrupeln und solcher Verwirrung und Ratlosigkeit, daß sie mit nichts sich zufrieden geben und ihr Urteil dem Rat und der Meinung anderer nicht unter- werfen können. Das ist eine der schwersten und schauder- vollsten Versuchungen, die jenen Vorgängen in der Nacht des Geistes am meisten nachkommt. ,;' 65
.,lI Mit diesen Stünnen und Trübsalen prüft Gott in die- ser Nacht und Reinigung des Sinnes gew?hnlich diejenigen, die er später in die Nacht des Geistes einführt, wenn auch: nicht alle in dieselbe eintreten. So gezüchtigt und gleich- ! sam mit Fäusten geschlagen sollen sie ihre Sinne und Seelenkräfte einüben, abhärten und vorbereiten für die Vereinigung mit der Weisheit, die ihnen dort zu teil wer- den soll. Denn solange die Seele nicht durch Versuchungen und Trübsale geprüft, geübt und erprobt ist, ist die Sinn- lichkeit für die Weisheit nicht reif. Darum heißt es im , Buche Sirach:l) Qui non est tentatus, quid scit? Qui.non
- est expertus, pauca cognoscit. " Wer nicht versucht wurde,
was weiß der? Und wer nichts erfahren hat, kennt wenig." Diese Wahrheit bezeugt in treffender Weise Jeremias, wenn er sagt:2) Castigasti me et eruditus sumo "Du hast mjch gezüchtigt und ich ward unterwiesen". Die gewöhnlichste l lt'~ Art dieser Züchtigung für den Empfang der Weisheit be- ' ! :' steht nun in diesen inneren Bedrängnissen: sie reinigen I die Sinne weit wirksamer von allen Genüssen und Tröstun- gen, denen die Seele infolge ihrer natürlichen Schwäche zugetan war, und durch sie wird auch die Seele gründlich gedemütigt für die kommende Erhöhung. Es läßt sich nun nicht bestimmt sagen, wie lange die Seele in dieser Enthaltsamkeit und Bußübung in bezug auf die Sinnlichkeit verbleiben muß. Denn nicht alle wer- den in gleicher Weise behandelt, nicht alle erleiden die- selben Versuchungen; es wird ihnen dies durch den gött- lichen Willen zugemessen je nach dem Grad der Unvoll- kommenheit, von der sie gereinigt werden müssen. Und I je nach dem Grade der Liebesvereinigung, zu der sie Gott erheben will, ist auch die Demütigung mehr oder minder gründlicher und währt längere oder kürzere Zeit. Wer mehr I} Sir. 54. 9 U. 10. 2) Jer. 51, 18. 66 ~c Befähigung und Kraft zum Leiden besitzt, wird gründlicher und schneller gereinigt. Schwächere pruft er in dieser Nacht durch leichte Versuchungen und mit großer Nach- sicht, aber längere Zeit hindurch und bereitet ihnen mei- stens sinnliche Erquickungen, damit sie nicht umkehren. I Darum gelangen sie auch nur sehr spät zur vollkommenen Reinheit in diesem Leben und manche erreichen sie über- haupt nie; sie befinden sich eigentlich nie vollkommen in dieser Nacht und nie ganz außer derselben. Wenn sie auch nicht vorwärtskommen, so prüft sie Gott, damit sie in der Demut und Selbsterkenntnis erhalten werden, den- noch manchmal durch diese Trockenheiten und Versuchun- gen und kommt ihnen von Zeit zu Zeit mit seinen Tröstun- gen zu Hilfe, damit sie den Mut nicht verlieren und wie- der irdischen Trost suchen. Anderen noch schwächeren Seelen entzieht sich Gott, verbirgt sich gleichsam vor ihnen, um ihre Liebe auf die Probe zu stellen; denn würde er sie nicht auf diese Weise zurückstoßen, dann lernten sie .. nie, sich Gott zu nähern. Übrigens müssen diese Seelen, die zu dem beseligen- den und erhabenen Stand der Liebesvereinigung gelangen sollen, gewöhnlich ziemlich lange in diesen Trockenheiten und Versuchungen verbleiben, wenn sie auch Gott sehr schnell in denselben erhebt. Dies bestätigt die Erfahrung. Doch nun ist es Zeit, daß wir mit der Behandlung der zweiten Nacht beginnen. 5' 67 ',.. '"",; Die dunkle Nacht des Geistes. §'l. 1. Kapitel. Beginn der Abhandlung über die Nacht des Geistes. Zeit ihres Beginnes. Hat die Seele, die Gott weiter fördern will, einmal die Trockenheiten und Beschwerden der ersten Reinigung und Nacht der Sinne durchgekostet, so versetzt sie Seine Majestät nicht sogleich in die Nacht des Geistes. Vielmehr gehteine lange Zeit vorüber, es verfließen Jahre, in welchen die Seele, nachdem sie den Stand der Anfänger verlassen, auf den Wegen der Fortschreitenden wandelt. Eine solche , Seele kann sich, wie wenn sie einem dunklen Kerker ent- flohen wäre, mit viel größerer Freiheit und Befriedigung göttlichen Dingen hingeben und findet darin eine weit reichlichere und tiefgehendere Wonne als ehedem vor ihrem Eintritt in die genan~e dunkle Nacht; ihre Ein- bildungskraft und ihre Seelenkräfte sind auch nicht mehr an das nachforschende Denken und an gewisse Vorschrif- ten des geistlichen Lebens gebunden. Ohne sich mit Nach- denken Mühe zu geben, wird ihrem Geiste sogleich eine beruhigende und liebende Beschauung und geistige Wonne zu teil. Aber es fehlt noch die Hauptsache, die. Reinigung des Geistes; ohne diese kann wegen der innigen Verbindung beider Teile im Menschen, die zu- sammen ein Individuum ausmachen, die Reinigung der Seele keine vollendete und vollkommene sein, wenn auch die Nacht der Sinne noch so beschwerlich gewesen ist. Und eben deshalb, weil die Reinigung der Seele noch nicht 68 f vollendet ist, werden sich manchmal gewisse Bedrängnisse, Trockenheiten, Finsternisse und Seelenängste einstellen, die oft viel intensiver sind als die vorhergehenden. Sie sind gleichsam die Anzeichen und Vorboten der kommenden Nacht, dauern aber nicht solange wie die Nacht selbst, die man erwartet. Denn sobald einige Zeitabschnitte oder Tage in dieser Nacht oder in diesem Sturme verstrichen sind, stellt sich die gewohnte Gemütsruhe wieder ein. Auf diese Weise reinigt Gott manche Seelen, die keine so hohe Stufe der Liebe besteigen sollen wie andere, indem er sie mit Unterbrechung von Zeit zu Zeit in diese Nacht der Beschauung oder geistigen Reinigung führt und ihnen für kurze Zeit die Sonne auf- und dann wieder untergehen läßt. Es erfüllt sich hier was David sagt, daß er sein Eis, nämlich die Beschauung, hinwirft wie Brocken. Mittit cry- stallum suam sicut buccellas.l) Diese Brocken der dunklen Beschauung sind jedoch nie so wirkungsvoll wie jene schreckliche Nacht der Beschau~ng,von der wir jetzt reden werden, in welche Gott die Seele in der Absicht führt, um sie zur göttlichen Vereinigung zu erheben. Dieser Wohlgeschmack und innere Genuß, den diese Fortgeschrittenen, wie schon erwähnt, geistigerweise weit reichlicher und leichter empfinden und verkosten, wird ihnen in größerer Fülle zu teil als früher und strömt von da auf den sinnlichen Teil weit fühlbarer über als vor der Reinigung der Sinne. Denn da die Sinne schon mehr ge- läutert sind, so besitzen sie eine größere Fähigkeit,' wenig- stens nach ihrer Art die Süßigkeiten des Geistes zu kosten. Und da schließlich der sinnliche Teil der Seele zu schwach und unfähig ist, um die starke Kraft des Geistes in sich aufzunehmen, so erleiden die Fortgeschrittenen infolge dieser Verbindung des Geistes mit dem sinnlichen Teil gar manche Schwächen, Nachteile und Verdauungs- I) Ps. 147, 17. 69 störungen und infolgedessen auch geistige Beschwerden nach den Worten des we~sen Mannes: Corpus enim, quod ~ corrumpitur, aggravat animam.l) "Der vergängliche Leib beschwert die Seele." Und daher können diese Mitteilungen nie so mächtig, tiefgehend und geistig sein, wie sie für die übernatürliche Vereinigung mit Gott erfordert werden, und zwar infolge der Schwäche und Verdorbenheit des sinnlichen Teiles, der davon betroffen wird. Darin haben auch die EntlÜckungen, Herzkrämpfe und Verrenkungen der Glieder ihren Grund, die immer eintreten, wenn die -Mitteilungen nicht rein geistig sind, d. h. nicht dem Geiste allein. widerfahren, wie es bei den Vollkommenen der Fall ist, die schon durch diese zweite Nacht des Geistes gereinigt sind. Bei diesen haben alle Verzückungen und körp3r- lichen Feinen ein Ende, sie erfreuen sich der Freiheit, des Geistes, ohn~ daß sie der sinnliche Teil verfinstert oder ablenkt. Um nun zu erkennen, wie notwendig es ist, daß .diese in j~ne Nacht des Geistes eintreten, wollen wir hier einige Unvollkommenheiten und Gefahren anführen, welche diesen Fortgeschrittenen drohen. ~ § 2. ~. Kapitel. Einige Unvollkommenheiten dieser Fo~eschrittenen. ,- Mit zweierlei Unvollkommenheiten sind diese Fort_1 geschrittenen behaftet; die einen sind bleibend, die andem vorübergehend. Die bleibenden sind Neigungen und ge- wohnheitSmäßige Unvollkommenheiten, die sich gleich- sam im Geiste eingewurzelt haben, so daß die sinnliche Reinigung sie nicht erreichen konnte. Bezüglich der Reinigung dieser beiden Arten von Unvollkommenheiten besteht derselbe Unterschied wie zwischen der Entwurz- 1) Weisheit, 9. 15. 70
- ,
lung und Abastung eines Baumes, oder zwischen der Be- seitigung eines frischen oder schon veralteten, tief ein- gefressenen Schmutzfleckes. Denn die Reinigung des Sinnes ist im Vergleich mit der des Geistes nur die Pforte und der Anfang der Beschauung -wir ha.ben davon auch schon gesprochen, -und sie dient mehr dazu, die Sinnlichkeit dem Geiste gefügig zu machen, als den Geist mit Gott zu vereinigen. Aber immerhin haften dem Geiste noch die Fehler des alt~n Menschen an, wenn es ihm auch nicht so scheint und er sie nicht sieht. Und werden diese nicht mit der Seife und der scharfen Lauge der Reinigung diesel: Nacht hinweggewaschen, dann kann der Geist nicht zur Reinheit der göttlichen Vereinigung gelangen. Solche Seelen leiden auch an Stumpfheit des Geistes und an natürlicher Ungeschicklichkeit, die jeder Mensch durch die Erbsünde sich zugezogen, sowie auch an Zer- streuung und Veräußerlichung des Geistes; deshalb muß -an Stelle dieser Unvollkommenheiten durch die Feinen und Bedrängnisse dieser Nacht Licht, Klarheit und innere Sammlung treten. Mit diesen bleibenden Unvollkommen- heiten sind alle behaftet, die über diesen Stand der Fort- geschrittenen noch nicht hinausgekommen sind; mit dem vollkommenen Stande der Vereinigung mit Gott aber sind sie unvereinbar. In aktuelle, d. i. vorübergehende Unvollkommen- heiten fallen nicht alle in gleicher Weise; einige derselben aber, die diese geistigen Güter nur so äußerlich und für die Sinne leicht faßbar an sich tragen, geraten in größere Schwierigkeiten und Gefahren, wie wir anfangs schon gesagt haben. Sie finden immer an sich eine Menge solch geistiger Mitteilungen und Wahrnehmungen, die sowohl die Sinne wie den Geist betreffen, und nehmen sinnen- fällige und geistige Erscheinungen wahr. Gar vielen 71
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begegnet dies alles in diesem Stande und zwar in Ver- bindung mit süße~ Wonnegefühlen, wobei der böse Feind und die eigene Phantasie in den meisten Fällen allerlei Blendwerk in der Seele hervorrufen. Und da der böse Feind die genannten Wahrnehmungen und Empfindungen mit so großem Wonnegefühl der Seele eindrückt und bei- bringt, so kann er sie leicht in Staunen versetzen und täuschen, wenn sie nicht alle: Vorsicht anwendet, um all diese Vtsionen und Wahrnehmungen ruhig über sich er- gehen zu lassen und sich stark im Glauben dagegen zu wehren. Hier verursacht der böse Feind bei vielen den -:;' c., Glauben an eitle Visionen und falsche Prophezeiungen; :.~ in diesem Stande erweckt er bei ihnen den anmaßenden ~' .Wahn, als hätten Gott und die Heiligen gesprochen, , während sie doch nur häufig auf ihre Phantasie hören. Hier pflegt der böse Feind sie mit Anmaßung und Hoch- mut zu erfüllen, und von Eitelkeit und Eigendünkel ge- trieben, wollen sie ihre Handlungen, die den Schein der :~;o C i""- Heiligkeit an sich haben, wie es bei V erzückungen und ,;~ anderen Erscheinungen der Fall ist, nach außen hin zur Schau tragen. So werden sie anmaßend gegen Gott, ver- lieren die hl. Furcht, die der Schlüssel zu allen Tugenden, und die Wächterin derselben ist. Ja bei einigen von ihnen ci C'" häufen sich die Täuschungen und Verirrungen so sehr lJ und setzen sich so tief fest, daß ihre Rückkehr auf den ;~ reinen Weg der Tugend und des wahren Geistes sehr : ",- zweifelhaft ist. In dieses Elend aber geraten sie deshalb, weil sie beim Beginn ihres Fortschrittes auf dem geis~- lichen Wege mit allzugroßer Sicherheit sich leeren Ein- bildungen und geistigen Empfindungen überließen. Es ii wäre noch soviel zu sagen über die Unvollkommenheiten ~ solcher Leute sowie auch darüber, daß sie viel schwerer 1 zu heilen sind als andere, da man sie für geistiger hält ~ als jene, aber ich will davon abstehen. Nur zur Begründung ~ 72 ~' " , der Notwendigkeit der Nacht des Geistes, d.eser Reinigung fiir denjenigen, der vorwärts schreiten will, sage ich noch das eine: So wacker sich auch diese Fortgeschrittenen halten, so findet sich doch kein einziger, der nicht viele dieser natürlichen Neigungen und ge,wohnheitsmäßigen Unvollkommenheiten an sich trage~ würde, die, wie wir schon gesagt, notwendigerweise erst entfernt werden müssen, wenn man zur göttlichen Vereinigung gelangen will. Außerdem muß man, wie wir oben schon erwähnt haben, wohl beachten, daß diese geistigen Mitteilungen, insofern nämlich der niedere Teil des Menschen in die- selbe hineingezogen wird, nicht so tiefgehend, rein und kraftvoll sein können, wie es "für die genannte Reinigung erforderlich wäre. Deshalb muß die Seele, damit sie zu dieser Vereinigung gelangt, in die zweite Nacht des Geistes eintreten, wo die Sinne und der Geist von allen Wahr- nehmungen und sinnlichen Gefühlen vollständig entblößt werden, siemußim dunklen und reinen Glauben wandeln, welcher das geeignetste und passendste Mittel zur Ver- einigung mit Gott ist nach den Worten des Oseas:l) Sponsabo te mihi in fide, "ich werde dich mir verloben," d. h. dich mit mir vereinigen "im Glauben". § 3. 3. Kapitel. Bemerkung für das Folgende. ' Nachdem nun diese Fortgeschrittenen in der voraus. gehenden Zeit die Sinne mit süßen Mitteilungen genährt haiten, wurde der sinnliche Teil vom geistigen Genuß, der vom Geiste ausging, so angezogen und mit derselben Geschmacksrichtung erfüllt, daß er sich mit dem Geiste vereinigte und sich demselben vollkommen anpaßte. Beide I) Os. 2, 20. 73 . I: j I .! , i , haben nämlich von ein und derselben geistigen Speise genossen und als ein und dasselbe Individium und als dieselbe Person aus der gleichen Schüssel gespeist, und so sollen die beiden Teile der Seele auch einigermaßen ver- einigt und in etwa zusammenstimmend fähig sein, die zu erwartende schwierige und tiefgehende Reinigung des Gei~tes zu durchkosten, in welcher beide Teile, der geistige und der sinnliche, vollkommen gereinigt werden. Denn kein Teil wird ohne den anderen ganz gereinigt und die Reinigung der Sinne wird erst dann voll zur Geltung kommen, wenn die des Geistes ernstlich beginnt. Deshalb kann und soll die genannte Nacht der Sinne eher eine Umgestaltung und Zügelung der Gelüste genannt werden als eine Reinigung. Der Grund davon ist die Tatsache, daß , alleUnvollkommenheiten und Unordnungendes sinnlichen Teiles ihre Kraft und ihre Wurzel im Geiste haben, wo
- sich der Herd der guten und schlimmen Gewohnheiten
befindet. Und solange diese nicht entfernt werden, können auch die Empörungen und Unordnungen des sinnlichen -Teiles nicht vollkommen beseitigt werden. Und darum
- werden in dieser folgenden Nacht beide Teile zusammen
gereinigt. Das ist auch der Zweck, warum der sinnliche Teil die umgestaltende Tätigkeit der ersten Nacht über sich ergehen lassen und die aus ihr entspringende Ruhe sich erwerben mußte, damit er vereint mit dem Geiste einigermaßen gereinigt wjirde und b~ide miteinander mit größerer Standhaftigkeit die Leiden auf sich nehmen könn- ten. Dies i3t die für die tiefgehende und gründliche Reini- gung durchaus notwendige Voraussetzung; denn wenn die t. Schwäche des niederen Teiles nicht behoben wäre und man durch den angenehmen und wohltuenden Verkehr mit Gott nicht Kraft gewonnen hätte, die man nachher wirklich bei ihm gefunden, dann hätte die Natur weder die Kraft noch die Befähigung, dieBeschwerden auf sich zu nehmen. 74
~ .c:
Darum ist der Verkehr mit Gott und die Handlungs-
weise dieser Fortgeschrittenen immer noch sehr armselig,
da sie noch nicht das gereinigte und leuchtende Gold des
Geistes besitzen. Darum denken sie von Gott immer noch
wie Kinder, reden von G!)tt wie Kinder, sind ihre Erkennt-
nisse und Urteile über Gott wie die der Kinder nach den
Worten des hl. Paulus.l) Sie sind eben noch nicht zur
Vollkommenheit, das ist zur Vereinigung der Seele mit
- Gott gelangt, mittels welcher sie gleichsam als Erwachsene
~ Großes im Geiste vollführen, so daß ihre Werke und ~ Seelenkräfte schon mehr göttlich als menschlich erschei- ~ nen, wie nachher gesagt werden wird. Da will i4nen Gott ~ das Gewand des alten Menschen ausziehen und sie mit r dem neuen Menschen bekleiden, der nach Gott geschaffen " ~ ist in der Erneuerung des Sinnes, wie der Apostel schreibt; 2) ~ . f". Da entblößt Gott ihre Seelenkräfte, Neigungen und Emp- ~ findungen, sowohl die geistigen wie die sinnlichen, die ':.. äußeren wie die inneren, indem er den Verstand mit Fin- sternis, den Willen mit Trockenheit und das Gedächtnis mit Leere erfüllt, die Affekte der Seele in die äußerste t.. Betrübnis, Bitterkeit und Bedrängnis stürzt und _sie des t Gefühles und Genusses geistiger Güter beraubt, den sie ~ früher daran fanden. Denn diese Beraubußg soll eine von ~ den Grundbedingungen sein, die im Geiste erfordert wer- V den, wenn er aufnahme- und einigungsf<ihig. werden soll r mit der geistigen Form des Geistes, die in der Liebesver- einigung mit Gott besteht. Dies alles wirkt der Herr in der Seele mittels der reinen und dunklen Beschauung, wie sie dies im ersten Gesang andeutet. Wenn dieser auch schon bei Beginn der ersten Nacht des Sinnes in passender Weise erklärt worden ist, so versteht ihn doch die Seele in erster Linie von der zweiten Nacht des Geistes, weil I) I. Kor. 13,11. 2) Eph. 4,23 U. 24. 75 diese der vorzüglichste Teil der Reinigung der Seele ist. Zu diesem Zwecke wollen wir ihn wieder hersetzen und nochmals erklären. Erklärung der ersten Strophe: Es war in dun~er Nacht, Entflammt von Liebessehnen - 0 du glückselig Los I - Entwich ich ungeseh 'n. Schon lag mein Haus in Schlummer. 4. Kapitel. Wir nehmen nun diesen Gesang in bezug auf die Reinigung, Beschauung, Entblößung oder Armut des Gei- stes, was hier alles das gleiche bedeutet, und da können wir ihn in der Weise erklären, als sagte die Seele: In der Armut und Hilflosigkeit, wobei sich meine Seele auf keine Wahr- nehmungen ,tützen konnte, d. h. in der Finsternis meines Verstandes, in der Bedrängnis meines Willens, in der Betrübnis und Beängstigung meines Gedächtnisses habe ich mich in der Dunkelheit dem reinen Glauben, dieser dunklen Nacht für alle natürlichen Seelenkräfte überlassen. Während mein Wille allein von Schmerz, Betrübnis und Sehnsucht nach der Liebe Gottes erfüllt war, ging ich von mir selbst aus, d. h. von meiner armseligen Erkenntnis- tätigkeit, von meinem lauen Liebesleben und von dem mir nur dürftig und spärlich zu teil gewordenen Genusse an Gott, ohne daß weder die Sinnlichkeit, noch der böse Feind mich daran hinderten. Das war " ein großes Glück und herrliches Los für mich. Denn sobald ich die Ver- mögen, die Leidenschaften, Begierden und Neigungen meiner Seele, durch welche ich so gering von Gott dachte und so spärlichen Genuß von ihm hatte, zu nichte gemacht und beschwichtigt hatte, entwich ich meinem dürftigen, menschlichen Verkehr und Wirken und ging zu einem 76 ~ ,~-~~ Verkehr und Wirken mit Gott über, d. h. mein Verstand ging aus sich aus und wurde ~us einem menschlichen und natürlichen ein göttlicher. Er vereinigte sich mit Gott mittels dieser Reinigung und ist nicht durch eigene natür- liche Kraft tätig, sondern durch göttliche Weisheit, mit der er sich vereinigte. Auch mein Wille ging von sich aus und wurde ein göttlicher. Vereint mit der göttlichen Liebe liebt er nicht mehr mit seiner beschränkten natürlichen Kraft, sondern in der Kraft und Reinheit des hl. Geistes. Und so wirkt der Wille auch in bezug auf Gott nicht mehr nach menschlicher Art. In ganz gleicher Weise befaßt sich auch das Gedächtnis mit Vorstellungen des ewigen Lebens. Endlich werden alle Kräfte und Neigungen der Seele mittels dieser Nacht und Reinigung des alten Menschen vollständig umgewandelt in göttliche Anlagen und Freuden- quellen. Es folgt der Vers: "Es war in dunkler Nacht." S 1. 5. Kapite.l. Beginn der Erklärung, in wie fern die dunkle Beschauung für die Seele nicht bloß eine Nacht, sondern auch eine Pein und Qual ist. Diese dunkle Nacht ist ein Einwirken Gottes auf die Seele, welches sie reinigt von ihrer Unwissenheit und ih~en bleibenden Unvollkommenheiten, sowohl natürlichen wie geistigen. Die Gelehrten nennen sie eingegossene Beschau- ung oder mystische Gottesweisheit. In ihr belehrt und unterweist Gott die Seele in geheimnisvoller Weise in der Vollkommenheit der Liebe, ohne daß sie selber etwas tut, noch auch versteht, wie diese eingegossene Beschauung vor sich geht. Die liebende Weisheit Gottes ist es nämlich, welche die Hauptwirkung in der Seele herVorbringt, sie 77 ,.',' , bereitet dieselbe durch ihre reinigende und erleuchtende Tätigkeit vor für die Liebesvereinigung mit Gott; dieselbe liebende Weisheit, die durch ihre Erleuchtung die seligen Geister reinigt, reinigt und erleuchtet auch hier die Seele. Es entsteht nun die Frage, warum hier die Seele dieses göttliche Licht, das sie erleuchtet und von ihrer Un- wissenheit reinigt, eine dunkle Nacht nennt. Darauf ist zu antworten, daß die göttliche Weisheit aus zwei Ursachen nicht nur Nacht und Finsternis für die Seele ist, sondern auch eine Pein und Qual. Die erste ist die Erhabenheit der göttlichen Weisheit, welche die Fassungskraft der Seele übersteigt und in dieser Beziehung für sie Finsternis ist. Die zweite ist die Niedrigkeit und Unreinheit der Seele selbst, und in dieser Beziehung ist sie für die Seele .- peinlich, schmerzlich und dunkel. Zum Beweise des ersten müssen wir einen Lehrsatz der Philosophie zur Grund- lage nehmen, der da sagt: Je klarer und offenbarer die göttlichen Dinge an sich sind, um so dunkler und ver- borgener sind sie naturgemäß für die Seele. Es ist ebenso wie beim Lichte. Je heller es ist, desto mehr blendet und verdunkelt es das Auge der Nachteule. Und je fester einer in das volle Sonnenlicht schaut, um so mehr verdunkelt er seine Sehkraft, ja er wird derselben, weil sie im Ver hältnis zu dem überschwänglichen Lichte der Son~e zu schwach ist, sogar beraubt. Wenn daher dieses göttliche Licht der Beschauung in die Seele tritt, die noch nicht vollständig erleuchtet ist, so verursacht es in ihr geistige Finsternis. Denn es übersteigt nicht nur die natürliche Er- kenntniskraft, sondern verdunkelt auch den Akt des Er- kennens und beraubt sie desselben. Darum nennen der hl. Dionysius und andere mysti- sche Theologen diese eingegossene Beschauungeinen Strahl der Finsternis für die noch nicht erleuchtete und gerei- nigte Seele. Denn durch ihr außerordentliches übernatür- 78 liches Licht wird die natürliche Erkenntniskraft der Seele überwältigt und ausgelöscht. Deshalb spricht auch David: Nubes et caligo in circuitu ejus. 1) "Gewölk und Dunkel ist um Gott herum." Nicht als ob es in sich so wäre, sondern nur in Bezug auf unsern schwachen Verstand, der durch dieses unermeßliche Licht geblendet und verdunkelt wird, weil er so Erhabenes nicht fassen kann. Dies erklärt der- selbe David mit den Worten.: Prae fulgore in conspectu ejus nubes transierunt.2) "I)urch den übergroßen Glanz seiner Gegenwart verzogen sich die Wolken," die zwischen Gott und unserm Verstande liegen. Dies ist auch der Grund, warum Gott, wenn er diesen hell glänzenden Strahl seiner geheimnisvollen Weisheit in die noch nicht umgewandelte Seele einströmen läßt, dunkle Finsternis im Verstande verursacht. Und daß diese dunkle Beschau- ung im. Anfang für die Seele sich auch peinlich gestaltet, ist klar: Denn da diese göttliche eingegossene Besche.uung eine Fülle von äußerst erhabener Vollkommenheit in sich begreift, die noch nicht gereinigte Seele aber, die sie empfängt, in ein Meer äußerst schrecklichen Elendes gerät, so wird sie, da zwei Gegensätze in einem Subjekte nicht bestehen können, notwendigerweise geq uäl t und gepeinigt. Denn sie ist das Subjekt, in welchem diese beiden Gegen- sätze einander feindlich gegenüberstehen. Diese Leiden der Seele hab~n ihren Grund in der Reinigung von den Unvollkommenheiten, welche durch jene Beschauung sich vollzieht. Wir wollen dies durch Schlußfolgung auf fol- gende Weise dartun: Was das erste betrifft, so ist es sicher, daß diese Beschauung wegen ihres erhabenen Lichtes der Seele, die es aufnimmt, Pein verursacht. Denn das Licht und die Weisheit dieser Beschauung ist überaus hell und rein, die Seele aber, in die es fällt, finster und unrein. I) Ps. 96, 2. 2) Ps. 17, 15. 79 ",:b::...; f!",~ ' Wie nämlich die Augen, die infolge verdorbener Säfte krank und unrein sind, durch rasches Einströmen des hellen Lichtes Schmerz empfinden, so ist die Pein der Seele infolge ihrer Unreinheit ungemein groß, wenn sie wirklich von diesem göttlichen Lichte ergriffen wird. Wenn nämlich dieses reine Licht in dieSeeie einströmt, um - die Unreinheit aus derselben zu beseitigen, fühlt sich die- selbe so unrein und elend, daß es ihr scheint, als sei Gott ihr und sie Gottes Feind. Dies bereitet ihr so großen Schmerz und solche Betrübnis, daß sie glaubt von Gott wirklich verstoßen zu sein. Dies war eines der schmerz- lichsten Leiden Jobs, der in die folgenden Worte ausbrach, als ihn Gott auf diese Weise heimsuchte: Quare posuisti . me contrarium tibi et factus sum mihimetipsi gravis?!) "Warum hast du mich dir zum Gegner gesetzt, so daß ich mir selbst zur Last geworden bin". Wenn nämlich die Seele mitteist dieses hellen und reinen Lichtes, wenn auch im Dunkel, ihre Unreinheit klar sieht, so hält sie sich Gottes und aller Geschöpfe für vollkommen unwürdig. Was ihr aber am schmerzlichsten fällt, ist die Furcht, daß sie nie Gottes würdig werde und all ihre Gnadenschätze eingebüßt habe. Die Ursache davon ist die tiefe Ver- senkung des Geistes in die Erkenntnis und in das Gefühl ihrer Sünden und ihres Elendes. Denn hier offenbart dieses göttliche und dunkle Licht ganz deutlich das ganZE Sündenelend und die Seele sieht klar ein, daß sie aus sict nichts anderes haben könne. In dieser Bedeutung könner wir jenen Ausspruch Davids verstehen, wenn er sagt Propter iniquitatem corripuisti hominem et tabescer fecisti sicut araneam animam ejus.2) "Um seiner Misseta willen strafst du den Menschen und läßt seine Seele veJ gehen und zu nichte werden, wie die Spinne sich selb I) Job. 7, zo. 2) Ps. 58, lZ. 80 . entäußert." Die zweite Art der PeinigUng der Seele hat ihren Grund in ihrer natürlichen, sittlichen und geistigen Schwäche. Denn da die göttliche Beschauung die Seele etwas heftig erlaßt, um sie zu kräftigen und zu beherrschen, so leidet sie in ihrer Schwäche derart, daß sie beinahe verzweifeln möchte; dies geschieht manchmal besonders dann, wenn die Beschauung mit außerordentlicher Gewalt sie erfaßt. Da leiden Sinne und Geist. als ob sie von einer ungeheuren dunklen Last zu Boden gedrückt würden und sie geraten in solche Todesängste, daß sie gerne den Tod als eine Erleichterung und Begünstigung wünschten. Dies hat auch der hl. Job erfahren, wenn er ausrief: Nolo multa fortitudine contendat mecum, ne magnitu- dinis suae mole me premat.l) "Ich will nicht, daß er mit der Fülle seiner Kraft mit mir streite, damit ermich nicht erdrücke mit der Last seiner Größe". Denn unter der Macht dieses Druckes und dieser Last fühlt sich die Seele jeder Gunstbezeugung so vollständig leer, daß es ihr scheint, -und es ist auch so -es sei ihr jetzt alles, woran sie noch irgendwie eine Stütze gefunden mit allem übrigen entschwunden, und es könne Niemand mehr mit ihr Mitleid haben. In dieser Beziehung spricht auch Job: Miseremini mei miseremini mei saltem vos amici mei, quia manus Domini tetigit me.2) "Erbarmt euch meiner, erbarmt euch meiner, wenigstens ihr meine Freunde, denn die Hand des Herrn hat mich berührt." Es ist in der Tat recht staunens- und 'bewundernswert, daß die Seele so schwach und unrein ist und infolgedessen die an sich freundliche und liebevolle Hand so schwer und feindlich empfindet, die sie doch nicht drücken und ihr eine Last auflegen, sondern nur aus Barmherzigkeit berühren will, und zwar nicht um sie zu züchtigen, sondern um ihr Gnade zu erweisen. I) Job. 23, 6. 2) Job. 19, 21. 6 81 ". 'Co:.' § 2. 6. Kapitel. Andere Arten der Peinigung; welche dieser Nacht erleidet. Die IJ.ritte Art der Leiden und Feinen, welche die Seele hier auf sich nehmen muß, hat ihren Grund in der Verbindung der beiden anderen Extreme, nämlich des göttlichen und menschlichen, die sich hier vollzieht. Das göttliche Extrem ist die reinigende Beschauung, das menschliche die Seele selbst. Das göttliche arbeitet darauf hin, die Seele reif zu machen und zu erneuern, um sie so zu vergöttli1:hen, indem sie dieselbe von den bleibenden Neigungen und Eigenheiten des alten Men- schen befreit, mit denen sie so innig vereint, verschmol- zen und gleichsam eins war. Auf diese Weise zermürbt und vernichtet Gott die geistige Substanz der Seele- und hüllt sie in eine so tiefe und schwarze Finsternis ein, daß sie sich angesichts und in Anbetracht ihres Elendes der Vernichtung und Auflösung durch einen schrecklichen Geistestod preisgegeben glaubt. Es ist ihr, als sähe sie sich von einer Bestie verschlungen, liegend in deren fin- sterem Bauch, und als fühlte sie sich schon verdaut von ihr und als würde sie die gleichen Seelenkämpfe ausstehen wie Jonas im Bauche jenes Seeungeheuers.l) In diesem Grabe muß sie verbleiben bis zur geistigen Auferstehung, die sie erhofft. ~ Die Art dieser Feinen, die wirklich alle anderen Arten' übertreffen, beschreibt David mit den Worten: Circum- .. dederunt me dolores mortis ...dolores inferni circum- dederunt me ...in tribulatione mea invocavi Dominuni et ad Deum meum clamavi.2) "Todesschmerzen haben 1) Jon. 2, 1. ~ 1)17,5-7. .,; 82 P! " ., mich umrungen .; ., des Totenreiches Qualen umfingen mich, in meiner Not habe ich zum Herrn gerufen und zu meinem Gott gefleht." Was aber ~e betrübte Seele hier am schmerzlichsten empfindet, ist der Gedanke, Gott habe sie allem Anscheine nach verstoßen und als verabscheu- ungswürdiges Geschöpf in die Finsternis gestürzt, und dieser Glaube, Gott habe sie verlassen, ist für sie eine über- aus schwere undmitleiderregendePein. DieshatauchDayid in dieser schweren Heimsuchung empfunden, wenn er sagt: Sicut vulnerati dormientes in sepulchris, quorum non est memor amplius; et ipsi de manu tua repulsi sunt; posuerunt me in lacu inferiori, in tenebrosis et in umbra mortis; super me confirmatus est furor tuus, et omnes fluctus tuos induxisti super me.I) "Ich bin gleich den Er- schlagenen, die in den Gräbern ruhen, die von deiner Hand verstoßen sind und deren du nicht mehr gedenkst; sie senk- ten mich in die tiefste Grube, unten in Finsternis und in Todesschatten. Auf mir ruhte schwer dein Grimm und alle deine Wogen führtest du über mich dahin." Wenn darum diese reinigende Beschauung die Seele erfaßt, dann fühlt sie in der Tat Todesschatten, Todesseufzer und Schmerzen der Hölle aufs lebhafteste. Es ist dies das Ge- fühl ohne Gott zu sein, von Gott in seinem großen Un- willen und Zorn gestraft und verworfen zu sein. Das alles empfindet die Seele in dieser Lage und noch dazu die furcht- bare Angst, daß es allem Anscheine nach immer so bleiben werde. Und sie fühlt sich ebenso verlassen und verachtet von allen Geschöpfen, besonders aber von seiten ihrer k Freunde. Deshalb fcihrtDavid sogleich fort mit den Worten: t Longefecistinotos meosame,posueruntIIleabominationem i -sibi.2) "Du hast alle meine Freunde und Bekannten von mir entfernt, sie machten mich zu einem Abscheu für 1) Ps. 87, 5-7. 2) Ps. 87, 9. 6" 83 .. sich." All das, sowie auch was er in körperlicher und gei- stiger Beziehung im Bauche des Seeungeheuers erfahren, bezeugt Jonas in treffender Weise, wenn er sagt: Proje- cisti me in profundum in corde maris et {turnen circum- dedit me; omnes gurgites tui et fluctus tui super me trans- ierunt. Et ego dixi: abjectus sum a conspectu oculorum tuorum, verumtamen rursus videbo templum sanctum tuum; circumdederunt me aquae usque ad animam, abys- sus vallavit me, pelagus operuit caput meum. Ad extrema montium descendi, terrae vectes concluserunt me in aeter- num. J) "Du hast mich in die Tiefe, in das Herz des Meeres geschleudert, daß die Strömung mich umgab, alle deine muten und Strudel rauschten über mich hin. Da sprach ich: verstoßen bin ich aus deinen Augen, doch werde ich deinen hl. Tempel wiederschauen; die Wasser umgaben mich bis an die Seele; es umschloß mich die Tiefe, das Meer bedeckte mein Haupt, zu den tiefsten Gründen der Berge bin ich hinabgesunken; der Erde Riegel haben sich über mir geschlossen." Diese Riegel bedeuten hier die Un- vollkommenheiten der Seele, die sie am Genusse dieser wonnevollen Beschauung hindern. Die ~ierte Art der Pein wird in der Seele hervorge- rufen durch eine andere Vollkommenheit dieser dunklen Beschauung, nämlich durch ihre Erhabenheit und Größe. Hierin liegt der Grund, daß der Seele das andere Extrem, ihre tiefste Armut und ihr äußerstes Elend, fühlbar zum Bewußtsein kommt. Es ist dies eine der Hauptpeinen, welche die Seele in dieser Reinigung erduldet. Sie fühlt nämlich eine tiefe Leere und Armut an drei Arten von Gütern, an zeidichen, natürlichen und geistigen Gütern, deren Genuß für die Seele bestimmt ist. Sie sieht sich mitten in jene den genannten Gütern entgegengesetzte Übel hineinversetzt, ins Elend ihrer Unvollkommenheit,: t) Jon. 2, 4-7. '. 84 in. Trockenheit, in völlige Ohnmacht, sich mit ihren Seelen- kräften etwas vorzustellen, und in finstere Verlassenheit des Geistes. Da nämlich Gott hier die Seele hinsichtlich ihrer sinnlichen und geistigen Substanz und ihrer inneren und äußeren Vermögen reinigt, so muß sie sich auch in an diesen Teilen leer, arm und verlassen fühlen und auch trocken, leer und in Finsternis bleiben. Denn der sinnliche Teil. wird gereinigt durch Trockenheit, die Seelenkräfte durch das Unvermögen sich etwas vorzustellen und der Geist durch dunkle Finsternis. Dies alles bewirkt Gott .mittels dieser dunklen Beschauung, in welcher die Seele durch Entziehung und Aufhebung dieser natürlichen Stützen und Vorstellungen überaus schmerzlich betroffen wird. Es ist ihr zu Mute, wie wenn man sie aufhängen und in der Luft halten würde, ohne daß sie zu atmen ver- mag. Aber Gott reinigt die Seele auch noch dadurch, daß er in ihr alle Neigungen und zuständlichen Unvoll- kommenheiten, die sie sich während, ihrer ganzen Lebens- , zeit zugezogen, zu nichte macht, aufhebt und zerstört, wie das Feuer Rost und Schimmel am Metall verzehrt. Da sich diese tief im Wesen der Seele eingewurzelt haben, so pflegen außer dieser genannten natürlichen und gei- stigen Armut und Entblößung auch noch große körper- liche und innere verzehrende Qualen dazu zu kommen, damit sich das Wort des Propheten Ezechiel erfüllt, der da sagt: Congere ossa, quae igne succendam; consumentur carnes et coquetur universa compositio et ossa tabescent. "Lege die-Knochen aufeinander, damit ich sie im Feuer verbrenne; so soll das Fleisch verzehrt, die ganze Mischung zerkocht werden und das Gebein zergehen." 1) Daraus kann man erkennen, wie qualvoll sich diese Leere und Armut für die Seele hinsichtlich ihrer sinnlichen und geistigen Substanz gestaltet. Dazu bemerkt der Prophet ') Ez.240, 10. 85 ~, ~:' ['!i~ .""~::;'i~'" I 'I noch weiter: Pone quoque eam super prunas vacuam, ut ~' ' ~ncal.escat et lique~at aes ejus; et confletu.r in ~edio ejus rnqulnamentum eJus et <;onsumatur rublgO e)us. "Setze sie auch leer auf glühende Kohlen, daß sein Erz heiß und fließend werde und die Unreinigkeit in ihrem Innem weggeschmolz~n und ihr Rost verzehrt wird,"l) Daraus können wir entnehmen, wie gewaltig die Pein der Seele infolge der Reinigung durch das Feuer dieser Beschauung anwächst. Der Prophet sagt nämlich, daß die Seele, um den Rost der in ihr sich vorfindenden Neigungen zu ent- fernen und auszutilgen, in gewissem Sinne sich erst ver- nichten und verzehren muß, da ihr diese Leidenschaften und Unvollkommenheiten gleichsam zur zweiten Natur, ': geworden sind, Und weil die Seele nach den Worten des ..-weisen Mannes in dieser Esse gereinigt wird wie das Gold im Feuer (tamquam aurum in fomace probavit illam,2) so fühlt sie dieses gewaltsame Verzehrtwerden in ihrem 1 eigenen Wesen, und zwar in 'solcher Weise, daß sie vor Armseligkeit gleichsam vergeht. Wir können dies aus den Worten Davids ersehen, der in dieser Lage flehend zu Gott rief: Salvum me fac Deus, quoniam intraverunt aquae usque ad animam meam. Infixus sum in limo profundi, et non est substantia; veni in altitudinem maris et tem- pestas demersit me; laboravi clamans, raucae factae sunt fauces meae, defecerunt oculi mei, dum spero in Deum meum. "Hilf mir, 0 Gott, denn die Wasser dringen bis an meine Seele. Ich versinke im tiefen Schlamme und kein Grund ist da; ich bin in die Tiefe des Meeres geraten und der Sturm hat mich versenkt; ich habe mich müde gerufen, heiser ist meine Kehle geworden, meine Augen schmach- teten, während ich auf meinen Gott harrte."B) Hier de mütigt Gott die Seele in hohem Grade, um sie dann noch 1)Ez.24,11. 2) Weish. 5, 6. a) Ps. 68, 2-4. 86 ~ höher zu erheben. Und würde er nicht Vorsorge treffen, daß diese Gefühle, wenn sie in der Seele recht lebendig erwachen, wieder eingeschläfert werden, so müßte sie in kürzester Zeit den Leib vfJrlassen. Glücklicherweise drängen sich ihr diese Gefühle nur in kurzen Zwischenräumen mit äußerster Lebendigkeit auf. Aber manchmal nimmt sie ihre verwerfliche Unwürdigkeit so lebendig wahr, daß es ihr scheint, als sähe sie die Hölle, das Verderben offen vor sich. Solche Seelen gehören zu jenen, die in der Tat lebendig in die Unterwelt hinabsteigen, weil sie hier ebenso gereinigt werden wie dort. Denn diese Reinigung müssen sie dort durchmachen. Und so betritt die Seele, die auf diese Weise hier leidet, überhaupt nicht jenen Ort, oder wird nur sehr kurze Zeit zurückbehalten, da sie sich hierin einer Stunde mehr vervollkommnet, als dortin vielen. § 3. 7. Kapitel. Fortsetzung desselben Gegenstandes. Weitere Leiden und Bedrängnisse des Willens. Auch die Leiden und Bedrängnisse des Willens sind in diesem Zustande unermeßlich, sodaß sie die Seele bei der plötzlichen Erinnerung an die Übel, in die sie sich gestürzt sieht, und bei der Ungewißheit einer Rettung, manchmal durchbohren. Dazuk9mmtnochdieErinnerung an ihren früheren glücklichen Zustand. Gewöhnlich haben nämlich solche Seelen vor ihrem Eintritt in diese Nacht große Süßigkeiten in Gott gefunden und vieles in seinem Dienste getan. Und was sie noch mehr schmerzt, ist die .Wahrnehmung, daß sie diesem Gute ferne stehen und zu demselben nicht mehr gelangen können. Dies bezeugt auch Job aus eigener Erfahrung mit folgenden Worten: Ego ille quondam opulentus repente contritus sum; tenuit 87 r,; ." cervicem meam, confregit me et posuit me sibi quasi in signum. Circumdedit me lanceis suis, convulneravit lum- bos meos, non pepercit et effudit in terra viscera mea. Concidit me vulnere super vulnus, irruit in me quasi gigas. Saccum consuit super cutem meam et operui cinere carnem c, ~~ meam. Facies mea intumuit a fletu et palpebrae meae ~~ caligaverunt.l) "Ich, einst so reich, bin plötzlich ve~ ~;. nichtet und zermalmt worden; er faßte mich beim Nacken, '.
- i zerschmetterte mich und stellte mich zur Zielscheibe für
f",c sich auf; er umgab mich mit seinen Speeren, verwundete schonungslos meine Lenden und schüttete meine Ein- geweide auf die Erde; er schlug mir Wunde über Wunde und stürmte gegen mich an wie ein Riese. Ich nähte ein Trauerkleid um meine Haut und bedeckte meinen Leib mit Asche. Mein Angesicht ist angeschwollen vor Weinen und meine Augenlider sind verdunkelt." So zahlreich und groß sind die Leiden dieser Nacht und es finden sich soviele Stellen der HI. Schrift, die hierfür angeführt werden könnten, daß es uns an Zeit und Kraft fehlen würde, sie niederzuschreiben. Ohne Zweifel ist all das, was man hier sagen kann, wenig; die angeführten Stellen lassen uns aber diese Leiden in ge- wissemSinne wenigstens ahnen. Und damit ich mit diesem Verse zu Ende komme und etwas mehr verständlicher mache, wie diese Nacht in der Seele sich äußert, will ich anführen, was Jeremias davon denkt, was er so ergreifend schildert und mit ausführlichen Worten in folgender Weise beweint: Ego vir videns paupertatem meam in virga indignationis ejus. Me minavit et adducit in tenebras et non in lucem. Tantum in me vertit et con- vertit manum suam tota die. Vetustam fecit peIlern meam et carnem meam, contrivit ossa mea. Aedificavit in gyro meo et circumdedit me felle et labore. In tenebrosis collo- 1) Job. 16, 13-17. 88 cavit me quasi mortuos sempiternos. Circum3.edificavit adversum me, ut non egrediar; aggravavit compedem me- um. Sed et cum clamavero et rogavero exclusit orationem meam. Conclusit vias meas lapidibus quadris, semitas meas subvertit. Ursus insidians fa,ctus est mihi, leo in absconditis. Semitas meas subvertit et confregit me: po- suit me desolatam. .Tetendit arcum suum et posuit me quasi signum ad sagittam. Misit in renibus meis filias pharetrae suae. Factus sum in derisum omni papula meo, canticum eorum tota die. Replevit me amaritudi- nibus,inebriavitme absynthio, et fregit ad numerum dentes meos, cibavit me cinere. Et repulsa est a p3.ce anim3. mea, oblitus sum honorum et dixi: Periit finis meus et spes mea a Domino. Recordare paupertatis, et transgressionis meae, absynthii et fellis: Memoria memor ero et tabescet in me anißla mea.l) "Ich bin der Mann, der sein Elend sah unter der Rute seines Grimmes. Mich drängte er und führte mich in Finsternis und nicht zum Lichte. Nurwider mich wendet er immer aufs neue seine Hand den ganzen Tag. Er machte meine Haut und mein Gebein altern, zermalmte mein Gebein. Ringsum umbaute er mich und umgab mich mit Galle und Mühsal. Er versetzte mich in Finsternis gleich den auf ewig Toten. Ringsum hat er mich ummauert, daß ich nicht entkommen kann, er hat meine Fesseln schwer gemacht. Wenn ich auch rufe und bitte, er weist mein Gebet ab. Er hat meine Wege mit Quadersteinen versperrt, meine Pfade zerstört. Ein lauern- der Bär ist er mir geworden, ein Löwe im Hinterhalt. Er hat meine Schritte in die Irre geleitet, mich zermalmt, hat mich trostlos gemacht. Er hat seinen Bogen gespannt und mich als Ziel für den Pfeil aufgestellt. Er ließ in meine Nieren seines Köchers Töchter dringen. Ich ward zum Gespötte für mein ganzes Volk, ihr Spottlied den 1) Klagl. 3, 1-20. 89 ganzen Tag. Er sättigte mich mit Bitterkeit und tränkte mich mit Wermut. Er zerbrach mir die Zähne der Reihe nach, speiste mich mit Asche. Verstoßen ist aus dem Frieden meine Seele, vergessen habe ich des Glückes. Da sprach ich: Verloren ist mein Ziel, meine Hoffnung auf den Herrn. Gedenke meines Elendes und meiner Ver- lassenheit, des Wermutes und der Galle. Immer denke ich daran und meine Seele schmachtet in mir dahin." Mit all diesen Jammerworten beweint Jeremias seine Peinen und Betrübnisse und zeichnet damit die Leiden der Seele, in welche sie diese Reinigung und Nacht des Geistes versetzt, ganz nach dem Leben. Man muß darum großes Mitleid mit der Seele haben, die Gott in diese stür- mische und schreckliche Nacht einführt. Die Seele fühlt sich zwar infolge der großen Gnadengüter, die ihr daraus zufließen, äußerst glücklich, wenn Gott nach den Worten Jobs in ihr die höchsten Gnadenschätze aus der Finsternis hebt und den Todesschatten ins Licht führt,l) oder wenn er, wie David spricht, sein Licht setzt, wo. Finsternis war. Aber trotzdem scheint ihr wegen der unermeßlichen Pein, die sie leidet, und wegen der großen Ungewißheit ihrer Erlösung aus derselben, -sie glaubt nämlich ihr Elend nehme, wie der Prophet sich ausdrückt, kein Ende -, daß Gott sie nach den Worten Davids gleich den längst Verstorbenen in die Finsternis hinabstoße, ihren Geist mit Beängstigung und ihr Herz mit Schrecken erfülle.2) Und das ist überaus schmerzlich und bedauernswert. Dazu kommt noch, daß die Seele infolge der Einsamkeit und, Verlassenheit, welche diese dunkle Nacht in ihr verurs,acht, weder an einer Belehrung noch an einem geistlichen Füh- rer Trost und Stütze finden kann. Wenn man ihr auch die mannigfachsten Trostgründe vor Augen führt, wodurch 90 sie sich im Hinblick auf die Güter, die ihr aus diesen Leiden erwachsen, aufricht,en könnte, so kann sie es doch nie glau- ben; da sie nämlich so lebendig durchdrungen und einge- nommen ist vom Gefühl dieser Übel, an welchen sie ihr Elend ganz klar erkennt, so meint sie, andere sähen nicht, was sie sehe und fühle, oder redeten nur so, ohne davon Kenntnis zu haben. Und statt des Trostes wird sie mit neuem Schmerze erfüllt, da nach ihrer Ansicht dies alles ihrem üblen Zustande nicht abhelfen könne. Und es ist auch in der Tat so. Denn solange der Herr die Rei- nigung nicht auf jene Weise vollzogen hat, wie es ihm gefällt, findet sich kein Mittel und keine Arznei, ihren Schmerz zu lindern. Ja, die Seele kann sich in diesem Zu- stande ebensowenig selbst helfen wie ein Gefangener, der im fin~teren Kerker an Händen und Füßen gebunden ist, sich weder bewegen noch etwas sehen noch auch }Iimm- lischen oder irdischen Trost empfangen kann, bis sie dem Geiste nach ganz sanft, demütig und rein und so klug, einfältig und klein geworden ist, daß sie eins werden kann mit dem Geiste Gottes je nach dem Grade der Liebesver- einigung, den ihr seine Barmherzigkeit gewähren will. Dieser Grad steht immer im Verhältnis mit der größeren oder geringeren Schärfe der Reinigung und der längeren oder kürzeren Dauer derselben. Soll diese Reinigung ir- gendwie eine ernstliche sein, so dauert sie, wie strenge sie auch immer sein m~g, einige Jahre, wenn auch in dieser Zeit sich manche Unterbrechungen und Erleichterungen einstellen, in denen die dunkle Beschauung nach Gottes Anordnung nicht in reinigender, sondern erleuchtender und wohltuender Weise auf die Seele einwirkt. Da fühlt sich dann die Seele wie aus einem Kerker und von Fesseln befreit und versetzt in die Freiheit und Zwanglosigkeit, sie fühlt und genießt die höchste Wonne des Friedens und der liebenden Freundschaft mit Gott, so daß sie leicht und 91 in überfließender Weise geistig mit ihm verkehren kann. Dies alles ist für die Seele ein Zeichen ihres Heiles, das durch die genannte Reinigung in ihr bewirkt wird, eine Ankündigung des zu erwartenden R~ichtums. Ja, manche werden so von geistigen Tröstungen überschüttet, daß sie glauben, all ihre Beschwerden seien nun schon zu Ende. Denn die geistigen Dinge, vor allem, w~nn sie rein geistig sind, äußern sich in der Seele in der Weise, daß diese, wenn nach dem Genusse dieser Gunstbezeugungen die Beschwerden wieder zurückkehren, im Glauben lebt, sie könne nicht mehr davon frei werden und alle ihre Gnaden- güter hätten ein Ende, wie wir es aus den angeführten Schriftstellen ersehen. Ebenso meint die Seele, wenn ihr geistige Güter zuteil werden, daß alle ihre Mühseligkeiten vorüber seien und ihr Wohlstand kein Ende mehr nehmen. könnte. So legte auch David, als er sich im Genusse des- selben sah, folgendes Geständnis ab und sagte: Ego autem dixi in abundantia mea, non movebor in aeternum.1) "Ich aber sprach in meines Glückes Fülle, nimmermehr werde ich wanken." Dies hat darin seinen Grund, weil im Geiste der wirkliche Besitz eines neuen Gutes aus sich selbst den wirklichen Besitz und das Gefühl eines anderen ihm ent- gegenstehenden vertreibt. Dies ist aber nicht in gleicher Weise im sinnlichen Teil der Seele der Fall wegen der Schwäche der Aufnahmefähigkeit. Aber weil hier der Geist noch immer nicht ganz gereinigt und geläutert ist von den Neigungen, die der niedere Teil sich zugezogen, so kann er, wenn er auch als Geist, behaftet mit diesen Unvollkommenheiten, sich nicht ändert, doch bezüglich der Schmerzen einer Ver- änderung unterworfen sein. Wir sehen, welche Veränderung später an David vor sich gegangen, der sich von zahllosen Schmerzen und I) Ps. 29, 7. 92 ?' Leiden umgeben fühlte, obwphl er zur Zeit seiner Glückes- fülle geglaubt und gesprochen hatte, er werde nimmer- mehr wanken. So meint auch diewSeele, wenn sie sich des wirklichen Genusses jener Fülle von geistigen Gütern erfreut, aber nicht wahrnimmt, daß die zurückgebliebene Wurzel der Unvollkommenheit und Unreinheit noch nicht ausgerottet ist, es würden alle ihre Mühseligkeiten vor- über sein. Aber diese Meinung hat sie nicht oft. Denn so- lange die geistige Reinigung nicht ganz vollzogen ist, werden ihr die süßen Mitteilungen Gottes selten in solcher Fülle zu teil, daß sie die noch zurückbleibende Wurzel (der Unvollkommenheit) ganz bedecken; die Seele hat noch immer in ihrem Innern das Gefühl, daß ihr noch etwas fehle und an ihrer Vervollkommnung weiter ge- arbeitet werden müsse. Dieses Gefühl läßt sie nie jene Erquickung vollkommen genießen, da sie noch immer einen Feind in ihrem Innern wahrnimmt, der zwar jetzt beruhigt ist und schläft, von dem sie aber stets fürchtet, er könnte sich erheben und sein Werk fortsetzen. Und dies ist auch .wirklich so der Fall. Denn gerade da, wo die Seele am wenigsten daran denkt und sich ganz sicher glaubt, sucht er sie wieder zu verschlingen und in eine noch schwerere, härtere, dunklere und schmerzlichere Leidensstufe hinabzustürzen als früher, und diese Leidens- zeit wird vielleicht noch länger dauern als die vorher- gehende. Und auch hier lebt die Seele wiederum im GlauPen, all ihre Gnadenschätze seien ihr für immer ent- zogen. Auch der Genuß der früheren, nach der ersten Heimsuchung ihr zu teil gewordenen Gnadengüter, deren Süßigkeit in ihr den Gedanken wachrief, als hätte sie nun nichts mehr zu leiden, ist nicht im Stande, sie auf dieser zweiten Stufe der Bedrängnisse von der Meinung abzu- bringen, daß all ihre Glückesfülle vorüber sei und das frühere Wohlergehen nicht mehr zurückkehre. Diese so 93 fest gegründete Meinung der Seele hat, wie schon erwähnt, ihren Grund in der wirklichen Vorstellung des Geistes, die in ihm alles zu nichte macht, was ihr widerspricht. Dies ist auch der Grund, warum die Seelen, die im Feg- feuer leiden, große Zweifel haben, ob sie je wieder aus demselbenerlöstund ihre Leiden ein Ende nehmen würden. Wenn sie auch die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe habituell besitzen, so hindert sie doch das gegenwärtige Gefühl der Leiden und der Ent- fernung von Gott am Genuß des wirklichen Gutes und Trostes dieser Tugenden. Denn wenn sie auch wahr- nehmen, daß sie Gott lieben, so finden sie doch daran keinen Trost, weil sie nicht glauben können, daß Gott sie liebe und sie dieser Liebe würdig seien. Da sie sich vielmehr in ihrer elenden Lage derselben beraubt sehen so meinen sie, sie verdienten aus vielen Gründen von Gott verachtet und mit vollem Rechte für immer verworfen zu werden. 1) Und wenn auch die Seele in dieser Reini- 1) Diese Stelle findet sich in acht Manuskripten, sie fehlt jedoch in zwei ziemlich wichtigen, nämlich in denen von Burgos tmd Alba. Dies hat wahrscheinlich darin seinen Grund, daß der Heilige es unterließ, seineWerke nochmals durchzusehen,umfalsche Auslegungen zu vermeiden. Bezüglich seiner Ansicht müssen wir bemerken, daß der mystische Lehrer nicht die Meinung jener kleinen Zahl von Gelehrten teilt, die behaupten, daß einige Seelen im Fegreuer im Ungewissen seien bezüglich ihres ewigen Heiles, weil Gott ihnen vielleicht, um sie noch mehr zu reinigen, seinen Urteilsspruch verbirgt oder weil vielleicht die Größe der Schmerzen ihren Verstand so sehr gefangen hält, daß sie nicht unterscheiden können, ob sie sich in der Hölle oder im Orte der Läuterung be- finden oder vielleicht noch aus anderen Gründen: Siehe Thomas IV. Sent. dist. 21, quaest. 1, art. 1, Belarmin: Controv. adv. haere- ticos Tract. de Purgat. 1. 11. c. IV., sowie auch andere Autoren, welche alle diese Ansicht anführen, sie aher verwerfen. Zum Be- .weise unserer Behauptung genügt es auf die Äußerung hinzuweisen, daß diese Seelen die drei göttI. Tugenden habituell besitzen, sowie auch auf die Bemerkung, daß sie wahrIIehmen, daß sie Gott lieben. Mit diesen Worten setzt er ohne Zweifel voraus, daß sie Sicher- heit haben bezüglich des Zustandes ihres Heiles. Denn diese Seelen wissen sehr wohl, daß die Verdammten, die fente von Gott sind, ihn hassen. Anderseits unterläßt er in keiner seiner Belehrungen 94 gung wahrnimmt, daß sie Gott liebe und tausend Leben für ihn hingeben würde, -und solche Seelen lieben auch wirklich in dieser Trübsal Gott aufs innigste -so verschafft ihr das keinen Trost, vielmehr noch größere Betrüb~is. Sie liebt nämlich Gott so sehr, daß sie um sonst nichts besorgt ist. Da sie sich aber so elend sieht, so kann sie nicht glauben, daß Gott sie liebe, noch daß er Ursache habe oder haben werde sie zu lieben; viel- mehr ist sie überzeugt, daß sie mit vollem Rechte nicht bloß ihm, sondern auch allen Geschöpfen ein Gegenstand der Verachtung und selber die Ursache sei, weswegen sie von dem verworfen werde, den sie so sehr liebt und nach dem sie so großes Verlangen trägt. § 4. 8. Ka pi tel. Andere Peinen, die in diesem Zustand die Seele betrüben. .Noch etwas gibt es, was in diesem Stande die Seele überaus quält und trostlos macht. Da nämlich diese dunkle Nacht die Kräfte und Neigungen der Seele in so hohem. zu sagen, daß sie in Unkenntnis sind oder dar an zweifeln, ob sie im Fegfeuersich befinden. Der Grund, warum er so spricht, besteht darin, daß sie Zweifel befallen, ob sie aus demselben wie- der erlöst werden, Zweifel, die nicht von der Vernunft kommen, also keine wirklichen Zweifel sondern nur eine Befürchtung sind, hinsichtlich der Dauer der Leiden. Sie fürchten sich, wie Gotti sagt, vor der langen Dauer der Strafen (De Purgat. qu. III. d\lh. III u. XVIII). Ihre Zweifel sind also nur eine Meinung, daß die Dauer der Leiden sich hinausschiebt, daß sie, da ihnen Gott offenbar die Dauer ihres Aufenthaltes dortselbst verbirgt, niemals mehr zum Genuß jener Güter gelangen, die sie mit so großer Sehnsucht erwarten. Daher kommen ihnen die Tage wie Jahre vor. Und wenn er sagt, daß Gott, wenigstens nach ihrer Mei- nung, sie nicht liebe, so erklärt sich das aus den Worten anderer Schriftsteller, die da sagen, daß Christus sich gegen sie zornig zeigt. "Sie fühlen sich", schreibt Bougaud, "verbannt und getrennt von ihm, sowie auch zurückgestoßen, er schaut sie zornigen Blickes an." (Das Christentum und die gegenwärtigen .Zeiten. V. B.) 95 ,",' Grade hemmt, so vermag dieselbe nicht wie früher ihr Herz und ihr Gemüt zu Gott zu erheben, noch auch etwas im Gebete zu erflehen. Es scheint ihr, wie einst dem Jere- mias, Gott habe eine Wolke vor sich gestellt, durch welche das Gebet nicht hindurch dringen könne.I) Er will damit dasselbe sagen, was er in der folgenden Stelle mit den Worten ausdrückte: "Er hat meine Wege mit Quader- steinen verrammelt und versperrt." 2) Und wenn die Seele zuweilen betet, bleibt sie so trocken und gefühllos, daß sie sich des Eindruckes nicht erwehren kann, Gott höre nicht auf sie und kümmere sich nicht um ihr Gebet, wie es auch der Prophet in derselben Stelle mit folgenden Worten andeutet: Sed et cum clamavero et rogavero, exclu- ßit orationem meam. "Wenn ich auch rufe und bitte, so weist er mein Gebet ab." 3) Und es ist hier wirklich nicht die Zeit, mit Gott im Gebete zu reden, sondern, wie Jere- mias sagt, mit seinem Mund den Staub zu berühren, ob nicht doch etwa irgend ein Hoffnungsstrahl ihnaufleuch- tet, und diese Läuterung mit Geduld zu ertragen..) Denn Gott-ist es, der hier in der Seele das Werk vollbringt; aus diesem Grunde vermag sie nichts zu tun. Deshalb kann sie auch weder beten noch den gottesdienstlichen Ver- richtungen mit Aufmerksamkeit beiwohnen, noch viel weniger auf andere Dinge und zeitliche Angelegenheiten ihr Augenmerk richten, ja sie leidet sogar an so großer Geistesabwesenheit und Gedächtnisschwäche, daß. viele Stunden vorübergehen, ohne daß sie weiß, was sie getan -oder gedacht, noch was sie jetzt tut oder tun will; ja sie ist, wenn sie auch wollte, nicht imstande, auf etwas, was ßie umgibt, ihre Aufmerksamkeit zu richten; 1) Klagel. 5, 44. I) Klagel. 5, 9. 8) Klagel, 5, 8. ') Klagel. 5, ~9. .e" C Da nämlich hier nicht nur der Verstand vo~ seinen Erkenntnisweisen und der Wille von seinen Neigungen, sondern auch das Gedächtnis von seinen Gedanken und Erkenntnissen gereinigt wird, so muß die Seele auch be- züglich all dieser Kräfte zu nichte gemacht werden, damit in Erfüllung gehe, was David in dieser Reinigung von sich sagt: "Und ich ward zu nichte gemacht, und wußte es nicht." I) Dieses Nichtwissen bezieht sich auf jene Unwissen- heit und Vergeßlichkeit des Gedächtnisses, jene Geistes- abwesenheit und Kälte aber wird verursacht durch die innere Sammlung, in welcher diese Beschauung die Seele gleichsam aufzehrt. Damit nämlich die Seele für die gött- liche Liebesvereinigung vorbereitet und mit ihren Kräften auf göttliche Weise gestählt wird, muß sie zuerst mit all jenem Vermögen in diesem göttlichen, dunklen, geistigen Lichte der Beschauung aufgezehrt und so von allen Nei- gungen und Vorstellungen bezüglich der Geschöpfe abge- zogen werden. Dies dauert gewöhnlich je nach dem Grade der Beschauung länger oder kürzer. Je reiner und lauterer dieses göttliche Licht in die Seele fällt, desto mehr ver- . dunkelt, entleert und vernichtet es dieselbe bezüglich ihrer einzelnen Vorstellungen und Neigungen sowohl höherer als niederer Art; und je weniger lauter und rein es in die Seele dringt, desto weniger entblößt und verdunkelt es dieselbe.2) Es scheint nun unglaublich zu klingen, wenn man sagt, daß dieses übernatürliche und göttliche. Licht die Seele um so mehr verdunkelt, je größere Klarheit und Reinheit es besitzt, und je weniger klar und rein es ist, um so weniger dunkel erscheint es der Seele. Dies kann' man leicht verstehen, wenn man erwägt, was wir oben aus dem Ausspruch des Philosophen bewiesen haben, daß nämlich die übernatürlichen Dinge für unseren Verstand I) Ps. 7Z, ZZ. t) Siehe Aufstieg zum Berge Karmel, Kap. 12, Anm. 7 97 um so dunkler sind, je klarer und offenbarer sie in sich selber sind. Um dies noch deutlicher zu verstehen, nehmen wir hier ein Bild d~s natürlichen und gewöhnlichen Lichtes. Wir sehen, daß der durch das Fenster eintretende Sonnen- strahl um so weniger deutlich in die Augen fällt, je reiner und freier er von Stäubchen ist; er wird aber um so deut- licher dem Auge sichtbar, je mehr die Luft von Stäubchen und Fäserchen durchtränkt ist. Der Grund ist der, daß das Licht nicht für sich selbst leuchtet, sondern das Mittel ist, wodurch alle anderen Dinge, auf die es seinen Schein wirft, in den Gesichtskreis treten. Und erst durch das Zurück- prallen von den Gegen8tänden, die es bescheint, wird es dem Auge sichtbar; wenn es dieselben nicht bescheinen würde, könnte man es nicht wahrnehmen. Wenn auf diese Weise der Sonnenstrahl durch das Fenster eines Zimmers eintreten, dasselbe durchqueren und durch ein anderes, gegenüberliegendes Fenster wieder hinaustreten würde, so daß es an keinen Gegenstand stieße, noch an einem liegen bliebe, noch Stäubchen fände, die dasselbe zurück- werfen, so würde das Zimmer nicht heller sein als vorher, noch könnte man den Strah] sehen. Vielmehr triu, wenn wir genau Obacht geben, noch größere Dunkelheit ein, da er in etwa das andere Licht verdrängt und verdunkelt, und man sieht ihn nicht, da sich, wie schon erwähnt, keine wahrnehmbaren Gegenstände finden, von denen sein Licht zurückprallt. I) Das gleiche bewirkt auch in der Seele der göttliche Lichtstrahl der Beschauung, welcher durch das mächtige Einströmen seines göttlichen Lichtes die natürliche Fas- 1) Diese Stelle wurde nur deshalb unterdrückt, weil der Hei- lige denselben Vergleich schon im Aufstieg zum Berge Kannel 2. Buch 12. Kap. angeführt hat. Aus demselbeIl Grunde wurde auch eine andere noch viel interessantere Stelle in der lebendigen Liebesflamme unterdrückt, wie wir später sehen werden. 98
omnia scrutatur~ etiam profundaDei~l) "Der Geist erforscht
alles, auch die Tiefen der Gottheit." Von dieser allgemei-
nen und einfachen Weisheit ist zu verstehen, was der HI..
Geist durch den weisen Mann spricht: Attingit autem
ubique propter suam munditiam.2) "Die Wei~heit aber
dringt überall hin kraft ihrer Reinheit," d. h. weil sie nicht
an eine Einzelnerkentnis oder Einzelnneigung gebunden
ist. Und das ist dem gereinigten und bezüglich aller Ein-
zeinneigungen und Einzelnerkenntnisse zu nichte gemach- .
ten Geiste eigen, daß er nichts Einzelnes genießt noch
erkennt,' sondern leer, in Dunkel und Finsternis bleibt
und große Befähigung erhält, alles zu umfassen, damit
sich an ihm im mystischen Sinne das Wort des hl. Paulus
erfüllt: Nihil habentes et omnia possidentes.8) "Sie, die
nichts haben, besitzen alles." Denn eine solche Beseligung
geziemt sich für eine so große Geistesarmut.
§ 5.
9. Kapitel.
Diese Nacht verdunkelt den Geist, erleuchtet ihn
und verschafft ihm Licht.
Es erübrigt hier noch zusagen, daß diese beseligende
Nacht durch diese Verfinsterung des Geistes nichts anderes
bezweckt, als ihn bezüglich aller Dinge zu ~rleuchten, daß
sie ihn nur darum erniedrigt und elend macht, um ihn zu
erheben und aufzurichten, daß sie ihn nur deshalb arm
macht und jeden Besitzes und jeder natürlichen Neigung
beraubt, damit er nach Gottes Weise sich zum wohltuenden
Genuß aller irdischen und himmlischen Dinge erheben
kann, nachdem er jene allgemeine Freiheit des Geistes in
allen Dingen sich erworben. Denn wi~ die Element~, uni
1) 1. Kor. 2, 10.
2) Wei$h. 7, 24
8) 2. Kor. 6, 10
100
sich allen zusammengesetzten und natürlichen Wesen mit-
zuteilen, von keiner Besonderheit bezüglich der Farbe, des
Geruches und Ge~chmackes behaftet sein dürfen, damit
sie sich mit jeder Art von Geschmack, Geruch und Farbe
vereinigen können, so muß auch der Geist einfach, rein
und von allen natürlichen, sowohl vorüberr;ehenden als
auch bleibenden Neigungen entblößt sein, damit er sich
frei und mit seiner ganzen Tiefe mit der göttlichen Weis-
heit verbinden kann. Vermöge dieser Reinheit bekommt
er erst den allseitigen Wohlgeschmack aller Dinge in ganz
be~timmter und erhabener Weise .zu kosten. Ohne diese
Reinigung kann er in keiner Weise die volle Befriedigung,
die ganze Fülle geistiger Süßigkeiten wahrnehmen und
kosten. Denn eine einzige noch bleibende Neigung, eine
1. einzelne Anhänglichkeit des Geistes an etwas Besonderes,
- sei sie nun vorübergehend oder bleibend, reicht hin, daß
man weder bezüglich des Gefühles noch des Genusses An- teil nehmen kann an der Lieblichkeit und innigsten Wonne des Geistes der Liebe, welcher alle Süßigkeit in erhaben- " ster Weise in sich begreift. l Die Kinder Israels konnten eben darum, ~eil sie eine einzige Neigung und Erinnerung an die in Agypten ge- nossenen Fleischspeisen und Gerichte nicht abgelegt hatten, in der Wüste a!I der Süßigkeit des Engelsbrotes, des Man- nas, keinen Geschmack finden, welches nach den Worten der HI. Schrift die Süßigkeit ailer Genüsse in sich ent- hielt und sich nach dem Geschmacke richtete, den jeder wünschte. I) Ebensowenig kann auch der Geist, der noch mit irgend einer vorübergehenden oder bleibenden Nei- gung, mit Einzelerkentttnissen odet mit irgend einer be- grenzten Vorstelluhg behaftet ist, die vom Willen ersehnte Wonne der Freiheit des Geistes verkosten. Der Grund ist der: die Neigungen, Gefühle und Vorsiellungen des 1) Weish. 16, 21. 101 . ." , I ~ I'i ' vollkommenen Geistes sind, da sie göttlich sind, anderer Art, ganz verschieden und erhaben über die Natur, so daß man um die einen aktuell oder habituell zu besitzen, die ~nderen zu nichte machen muß, da sie beide einander widersprechen und deshalb in einem Subjekte nicht ver- eint sein können. Will nun die Seele zu diesem erhabenen Stande gelangen, so ist es ihr sehr zuträglich, ja notwen- dig, daß diese dunkle Nacht der Beschauung sie zuvor zu nichte macht und ihre Niedrigkeit zerstört, sie verfinstert, trocken und leer macht und sie von allem Natürlichen entfernt. Denn die ihr zu teil gewordene Erleuchtung ist jenes überaus erhabene göttliche Licht, welches jedes natür- 1
- 1 liche Licht übertrifft und das der Verstand auf natürlichem
., Wege nicht erfassen kann. Damit nun der Verstand sich mi t diesem Lichte vereinigen und im Stande der Vollkom- , menheit ein göttlicher werden kann, muß er zuerst gerei- nigt und bezüglich seines natürlichen Lichtes zu nichte gemacht werden, indem derselbe mittels dieser dunklen Beschauung in der Tat ins Dunkel geführt wird. Dieses Dunkel muß solange dauern, als es die Entfernung und Zerstörung der seit langem erworbenen Fertigkeit erfor- dert. An Stelle der eigenen aus sich erzeugten Erkenntnis- weise tritt dann die göttliche Erleuchtung, das göttliche Licht. Da nun jene frühere Erkenntnis~aft eine natür- liche ist, so muß auch die Finsternis, die man hier erlei- det, eine tiefe, schreckliche und überaus schmerzlich berührende sein. Man fühlt sie nämlich im innersten Wesen des Geistes, und so scheint sie auch substantiell zu sein. Insofern nun die Liebesneigung, die in dieser gött- lichen Vereinigung mitgeteilt wird, göttlich und infolge- dessen ganz geistig, erhaben, wohltuend und innerlich ist, so daß sie jede natürliche Neigung und Empfindung und jedes Gelüsten des Willens übersteigt, so muß der Wille, um mittels dieser Liebesvereinigung diese so er- lOg .{ " ": j , 1 , j \( I i ! i . habene göttliche Liebe und Wonne, die ihm auf natür- lichen Wege nicht zukommt, zu fühlen und zu kosten, zu- erst gereinigt und zu nichte gemacht werden bezüglich all seiner Neigungen und Gefühle. Er muß solange in Trockenheit und Bedrängnis bleiben, als es die erworbene Fertigkeit erfordert, mit der er sich seinen natürlichen Neigungen sowohl in Hinsicht auf göttliche als auf mensch-' liche Dinge überließ. Auf diese Weise muß der Wille im Feuer dieser dunklen Beschauung wie das Herz des Fisches, das Tobias auf die Kohlen legte, von allen bösen Ein- flü~sen entleert, befreit und vollkommen gereinigt werden, damit seine Empfänglichkeit rein und lauter und sein Geschmack gereinigt und richtig werde für die Aufnahme der erhabenen und fremdartigen Berührung der göttlichen Liebe. In dieser wird er seine Umgestaltung in Gott erken- nen, nachdem alle früheren aktuellen und habituellen Hindernisse beseitigt sind. Überdies muß die Seele zur Erreichung der genannten Vereinigung, für welche jene dunkle Nacht vorbereitet, mit. einer gewissen verklärten Herrlichkeit für den Verkehr mit Gott erfüllt und aus- gestattet sein. Diese schließt unzählbare Gnadenschätze und Wonnegenüsse in sich, welche allen Reichtum, den die Seele natürlicherweise besitzen kann, in überfließender W ~ise übertrifft und von der schwachen und unreinen Natur nicht aufgenommen werden kann. Denn so sagt Isaias:l) Oculus non vidit, nec auris audivit, nec in cor hominis ascendit, quae praeparavit Deus iis, qui diligunt illum. "Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." Und deshalb muß die Seele zuerst leer und arm im Geiste werden, sie muß sich losmachen von jeder natürlichen Stütze, von jedem Trost und jeder Vorstellung sowohl bezüglich der über- 1) Is. 64, 4. 1°3 ~ . d. h..rd.hD. d.. Id'" Ir ISC en WIe 1 ISC en lDge, aInlt SIe ganz eer un ;~ arm im Geiste und entblößt vom alten Menschen jenes neue und beseligende Leben leben könne, das mittels ,;~ J d~e~er dunk~en Nacht gewonn~n wird und Stand der ver- le;;:' elDlgung mIt Gott genannt wIrd. " Die Seele muß da eine ganz erhabene Einsicht und ',:;; eine wonnevolle Gotteserkenntnis bezüglich aller göttlichen 2 und menschlichen Dinge bekommen, die nicht in den Bereich der gewöhnlichen Beurteilungskraft und des natür- lichen Erkennens und Wissens der Seele fallen. Denn sie :,~~ c. betrachtet die Dinge mit ganz anderen Augen wie früher, ; es ist der Unterschied so groß wie zwischen dem Licht ;i~ und der Gnade des RI. Geistes und dem sinnlichen Er- ~iiI, "'- kennen, und zwischen dem Göttlichen und Menschlichen. [;I Deshalb muß der Geist geläurert und zubereitet werden ~: .' bezüglich der gewöhnlichen und natürlichen Sinnesart, ~:d indem er mittels dieser reinigenden Beschauung in große ~.~ Betrübnis und Bedrängnis versetzt wird. Auch das Ge- ;::~ -däc~tnis muß frei w~rden von je~er liebevoll~~ und be- ~I ruhIgenden ErkenntnIs, das Empnndungsvemlogen muß ,- viel innerlicher und mehr abgestimmt werden für das .1 Verlassen und die Entfremdung von allen Dingen, wobei: alles ungewohnt und anders erscheint als ehedem. So zieht '. diese Nacht den Geist heraus aus seiner gewöhnlichen und: .) niedrigen Denkungsweise über die Dinge, um ihn mit gött- j licher Einsicht zu erfüllen, die der Seele so fremdartig und --~ so verschieden von jeder menschlichen Auffassungsweise ( erscheint, daß sie ganz außer sich gerät. Manchmal meint sie verzaubert oder betäubt zu sein, sie staunt über die Dinge, die sie sieht oder hört, alles kommt ihr ganz fremd und ungewöhnlich vor, obwohl sie nichts anderes tut, als V\"as sie gewöhnlich zu tun pflegte. Der Grund ist darin zu suchen, daß die Seele der gewöhnlichen Denkungsweise und dem früheren Erkennen der Dinge entfremdet und 1040 enthoben wird; sie "muß diesem ersterben, um ins göttliche Erkennen umgestaltet zu werden,dasmehrdemzukünftigen als dem gegenwärtigen Leben angehört. All diese Bedrängnisse und Reinigungsarten des Geistes muß die Seele durchkosten, um mittels jener göttlichen Einwirkung zum Leben des Geistes wiedergeboren zu werden. Und mit diesen Schmerzen gebiert sie den Geist des Heiles. So erfüllt sich das Wort des Isaias, wenn er sagt: I) Sic facti sumus a facie tua Domine. Concepimus et quasi parturivimus et peperimus spiritum. " Von deinem Angesichte haben wir empfangen, wir waren schwanger und in Wehen und gebaren den Geist des Heiles." Außerdem bereitet sich die Seele mittels dieser Nacht der Beschauung auf jene Ruhe und jenen Frieden vor, der so tief und so wonnevoll ist,daß er nach den Worten der HI. Schrift alle Begriffe übersteigt.2) Darum muß jener frühere Friede aus der Seele vollständig entfernt werden. Da nämlich dieser Friede noch voll von Unvoll- kommenheiten war, so war es kein Friede, obwohl er der Seele als Friede und als doppelter Friede erschien, d.h. sie hatte sich schon den Frieden der sinnlichen und geistigen Erkenntnis erworben, insofern sie sich von der geistigen Fülle dieses Friedens bezüglich des Sinnes und Geistes, der jedoch noch unvollkommen ist,. umgepen sah. Dieser Friede muß zuerst in der Seele einer Läute- rung unterzogen werden, sie muß ihn aufgeben und zer- stören, damit sich an ihr erfülle, was Jeremias in jener Stelle, die wir zur Erklärung der Mühseligkeiten dieser vergangenen Nacht angeführt haben, empfunden und mit folgenden Worten beweint hat :8) " Verlassen und heraus- geworfen ist aus dem Frieden meine Seele." Es ist dies eine qualvolle, durch mancherlei Befürchtungen, Kämpfe ')Is. 26, 17, 18. 2) Phil. 4, 7. 3) Jer. 5, 17. 105 ~,,: und Einbildungen hervorgerufene Reinigung, welche die Seele in ihrem Innern erleidet. Sie bekommt dabei einen Begriff und ein Gefühl ihres Elendes, und meint, daß sie verloren sei und alle ihre Gnadengüter für immer einge- büßt habe. Dadurch entsteht im Innersten ihres Geistes ein so empfindlicher Schmerz und ein so tiefes Seufzen, daß es ein heftiges geistiges Aufschreien und Stöhnen verur- sacht, welches sich manchmal in Worten und Strömen von Tränen kund~bt, ,'Venn die dazu notwendige Kraft und Stärke vorhanden ist. Diese Erleichterung wird jedoch der Seele nur selten zu teil. David, der hierin auch Erfahrung besaß, erklärt dies sehr treffend in einem Psalme mit den Worten:l) Afflictus sum et humiliatus sum nimis; rugi- ebam a gemitu cordis mei. "Ich bin überaus bedrängt und niedergebeugt, ich schreie laut auf ob des Stöhnens meines Herzens." Dieses Stöhnen verursacht großen Schmerz; denn manchmal ist die Seele bei der plötzlichen und lebendigen Erinnerung an ihr Elend, in das sie sich versetzt sieht, so in Erregung und bezüglich ihrer Nei- gungen so von Schmerz und Pein geänstigt, daß sie sich nicht auszudrücken weiß und nur wie Job, der sich in ähnlicher betrübender Lage befand, Vergleiche vorbringen kann mit den Worten: "Wie überströmende Wasser er- ~eßt sich mein Stöhnen."2) Wie nämlich die Wasser manchmal mit solcher Gewalt heran stürmen, daß sie alles überschwemmen und anfüllen, so wird auch dieses Auf- schreien und Schmerzgefühl der Seele so mächtig, daß es dieselbe ganz überschwemmt und durchdringt und alle ihre innersten Neigungen und Kräfte in einer alles Erdenk- liche übersteigenden Form mit geistigen Ängsten und Schmerzen erfüllt. Das sind die Wirkungen, welche diese Nacht durch Verhüllung aller Hoffnung auf das Licht des 1) Ps. ~7, 9. 2) Job. ~, 24. 106 ,:;:i;(';~"~;iJi ~ Tages in der Seele verursacht. In diesem Sinne drückt sich auch der Prophet Job aus: Nocte os meum perfor- atur doloribus; et qui me comedunt, non dormiunt.1) "Nachts durchbohren Schmerzen mein Gebein und die an mir nagen, schlummern nicht."2) Unter Gebein verstehen '\vir hier den Willen, der mit. diesen Schmerzen gleichsam durchbohrt ist, die nie aufuören die Seele zu zerreißen und nie schlummern. Denn _die Zweifel und Befürch- tungen, welche die Seele durchbohren, nehmen nie ein Ende. Dieser Streit und Kampf spielt sich deshalb im Innern ab, weil auch der zu erwartende Friede ein ganz innerer sein muß; und der geistige Schmerz ist so innerlich, durch- dringend und bis zum äußersten gehend, weil auch die Liebe, die man sich erwerben soll, ganz innig und rein sein muß. Je innerlicher und wertvoller ein Werk sein und bleiben muß, desto tiefgehender, erhabener und sauberer muß die Arbeit sein, und je größere Kraft man bei der Arbeit verwendet, desto fester wird das Gebäude. Darum welkt, wie Job sich ausdrückt,lI) dahin meine Seele, und es wallt auf ihr Inneres ohne alle Hoffnung.') Weil nun die Seele im Stande der Vollkommenheit, dem sie mittels dieser Nacht zuwandelt, unzählige Schätze an Gaben und Tugenden sowohl bezüglich ihres innersten Wesens als auch bezüglich ihrer Vermögen besitzt und genießt, so muß sie auch zuerst im allgemeinen all diesen Schätzen gegenüber fremd und entblößt sowie auch leer und aun an ihnen sich sehen und fühlen; ja sie müssen ihr so fern liegend erscheinen, daß sie sich gar nicht überzeugen kann, ') Job. 5°, 17. 2) DerA,rtor übersetzt hier os mit boca = Mund, was offen- bar njcht dem Sinn der Stelle entspricht. 8) Job 5°, 16. ') So übersetzt der Herausgeber; nach dem Wortlaute des Schrifttextes heißt die Stelle: "Nun erschlafft meine Seele in mir selbst und die Tage der Trübsal nehmen mich in Besitz." 107 daß sie jemals in den Besitz derselben gelangen könne, sondern vielmehr all ihr Gnadenreichtum ein Ende ge- nommen habe. Darauf weist auch Jeremias in der schon angeführten Stelle hin, wenn er sagt: " Vergessen habe ich das Glück." 1) Wir woilen aber jetzt noch sehen, warum dieses Licht der Beschauung für die Seele so beglückend und wohltuend ist; daß sie kein anderes Verlangen mehr kennt, warum es bei seinem Eindringen in die Seele anfangs so schmerzlich beruhrt und die angeführten schrecklichen Wirkungen her- vorbringt, obwohl die Seele, wie schon erwähnt, mittels desselben sich mit Gott vereinigt und in ihm all die er- sehnten Gnadengüter im Stande der Vollkommenheit fin- det. Auf dieses Bedenken ist leicht zu antworten; wir haben die Antwort zum Teil schon gegeben. Der Grund dieses anfänglichen peinlichen Zustandes ist nicht auf seiten der Beschauung und göttlichen Mitteilung zu suchen; denn da findet sich nichts, was aus sich Schmerz verursacht, ! sondern i~ Gegenteil alles, was Wonne .und Süßigkeit verschafft, wie sie später auch wirklich der Seele zu teil werden. Nein, der Grund liegt vielmehr aUein in der Schwäche und Unvollkommenheit sowie auch in dei' man- gelhaften Empfänglichkeit der Seele, die in sich der Auf- n,ahme dieser Gunstbezeugungen entgegensteht. Aus diesem Grunde verursacht das mächtig in die Seele einströmende göttliche Licht die gen~nten Leiden. § 6. 10. Kapitel. Gründliche Erklärung dieser Reinigung durch einen Vergleich. Um nun über das, was ich gesagt und noch sagen werde, größere Klarheit zu verschaffen, muß ich bemerken, daß diese reinigende und liebende Erkenntnis oder das 1) Klagei. 5, 17. 108 , genannte göttliche Licht bei der Reinigung und Zube- reitung der Seele für die vollkommene Vereinigung mit Gott in derselben Weise verfährt wie das Feuer mit dem Holz, das es in sich umgestalten will. Sobald nämlich das materielle Feuer einem Holzstück nahe kommt, beginnt es zuerst dasselbe auszutrocknen, indem es die Feuchtig- keit nach außen treibt, und bewirkt so, daß das in ihm verborgene Wasser tropfenweise herausquillt. Dann macht es das Holzstück schwarz, dunkel, häßlich und auch übel riechend, und indem es dasselbe immer mehr austrocknet, wird es ans Licht gezogen, wodurch alle häßliche und dunkle Beimischung, die dem Feuer im Wege steht, heraus getrieben wird. Und schließlich beginnt das Feuer das Holz. stück von außen zu entzünden und zu erhitzen und so ge- staltet es da$selbe in sich um und macht es ebenso herrlich und schön, wie das Feuer selbst ist. ~ach diesem Prozeß findet auf seiten des Ho]zstückes keine Tätigkeit und kein Erleiden mehr statt, so daß es mit Ausnahme der Größe und Schwere, die stärker ist als die des Feuers, alle Eigen- schaften und Tätigkeiten des Feuers in sich aufnimmt. Es wird trocken, und wenn trocken, wird es glühend, und glühend erwärmt es, leuchtend geworden leuchtet es, es wird viel leichter als vorher; alle diese Eigenschaften und Wirkungen bringt das Feuer hervor. In derselben Weise müssen wir auch über dieses göttliche Feuer der Beschau- ung denken und urteilen, welches die Seele von allen entgegenstehenden Beimischungen reinigt, bevor es die- selbe mit sich verei~igt und in sich umgestaltet.. Es ent- fernt aus derselben ihre Häßlichkeit, setzt sie in Betrüb- nis und Finsternis und IIlacht sie dem Anscheine nach schlechter wie vorher, sowie auch häßlicher und verab- scheuungswürdiger wie ehedem. DiesegöttlicheReinigung läutert die Seele von allen schlimmen und verkehrten Neigungen, die sie, weil fest eingewurzelt und gleichsam lOg i , , ! t ~ \ mit ihr verwachsen, nicht erkennen konnte. Deshalb kam ihr auch nicht zum Bewußtsein, daß soviel Böses in ihr stecke. Jetzt aber, da diese schlimmen Neigungen beseitigt und ausgerottet sind, treten sie ihr vor Augen und sie sieht dieselben erleuchtet durch das dunkle Licht der Beschau- ung ganz deutlich, obgleich sie weder in sich noch vor Gott schlechter ist als früher. Sie erkennt nun in sich, was sie früher nicht erkannte. Sie kommt sich selbst so schlimm vor, daß sie sich nicht nur des Anblickes Gottes für unwürdig, sondern selbst seiner Verachtung für würdig hält, ja sogar von ihm verachtet zu sein glaubt. Durch diesen Vergleich wird uns jetzt vieles, was wir eben sagen und noch sagen werden, verständlich. In erster Linie können wir daraus abnehmen, wie dieses Licht und diese liebende Weisheit, welche sich nIit der Seele vereinigen und sie in sich umgestalten soll, die- selbe ist, die sie schon von Anfang an reinigte und für denselben Zweck zubereitete. Ferner ist daraus ersichtlich, daß die Seele diese Qualen nicht von seiten der göttlichen Weisheit erleidet, da nach dem Worte des weisen Mannes der Seele alles " Gute zugleich mit ihr zu teil wird,1) sondern von seiten der Schwäche und Unvollkommenheit der Seele selbst, :..' ",~ welche ohne diese Reinigung das göttliche Licht, die gött- i?,,- , .."c liche Süßigkeit und Wonne nicht aufnehmen kann, eben- ;:~i~ so wie das Holzstück nicht in dem Augenblicke, wo es mit ':~'., dem Feuer in Berührung kommt, umgestaltet werden kann, b~vor es nicht entsprechend zubereitet ist; darum muß die Seele soviel leiden. Dieser Wahrhei t pflichtet auch der Weise im Buche Sirach bei, wenn er mit folgenden Worten die Leiden erwähnt, die er erdulden, mußte, um zur Vereinigung und zum Genusse der Weisheit zu gelangen: Anima mea agonizavit pro illa et venter meus t) Weisheit 7. 11. 110 ~~ f~ conturbatus est qumrendo illam: propterea bonam possi- debo possessionem.l) "Meine Seele befand sich um sie in .- Todesnöten und mein Innerstes war bewegt sie zu suchen; darum erwarb ich mir einen vortrefflichen Besitz." Drittens können wir auf die Art der Leiden jener .schließen, die sich im Reinigungsorte befindeh. Denn das ~, Feuer hätte keine Macht über sie, auch wenn es ihnen "nahe käme, wenn sie nicht Unvollkommenheiten an sich , hätten und infolgedessen leidensfähig .wären. Diese liefern den Brennstoff für das Feuer, und wenn dieser verzehrt ist, dann ist nichts mehr zum Verbrennen übrig. " r Viertens können wir daraus schließen, daß die Seele f um so mehr von Liebe erglüht; je mehr sie durch dieses '; Feuer der Liebe gereinigt und geläutert wird, ebenso wie das Holzstück nach dem Maße und Grade der Zubereitung auch mehr vom Feuer erfaßt wird. Freilich fühlt die Seele nicht immer dieses Entbrennen der Liebe, sondern nur zu Zeiten, wenn nämlich die Beschauung nicht so mächtig auf sie einwirkt; und da hat die Seele Gelegen- heit, das zu sehen und zu genießen, was in ihr vollbracht wird; jetzt tritt es klar vor ihr Auge und es scheint, als lasse man eine zeitlang die Hand von der Arbeit ruhen und als ziehe man das Eisen aus dem Glutofen heraus, damit das Kunstwerk einigermaßen zu Tage tritt, das voll- bracht werden soll. Und da vermag dann die Seele das Gute in sich schauen, das sie während der Dauer der , Arbeit nicht wahrnahm. Ebenso kann man auch, wenn ~ die Flamme abläßt, das Holzstück zu berühren, sehr gut I; erkennen, wie mächtig es glüht.
- Fünftens kann man, wie oben erwähnt, aus diesem
, Vergleich folgern, daß die Seele nach solchen Erleichte- rungen wirklich aufs neue noch weit heftigere und emp- findlichere Schmerzen auf sich nehmen muß. Nach dieser 1) Eccli. 51, 29- 111 Läuterung, die da vor sich geht, wenn die mehr äußeren Unvollkommenheiten entfernt werden, wendet sich das Feuer der Liebe jetzt nach innen, um dort zu reinigen und zu verzehren, was noch übrig ist. Dabei werden die Peinen 1 der Seele umso tiefgehender, eindringlicher und. geistiger, je mehr sie von den inneren, verborgenen und geistigen Unvollkommenheiten geläutert wird, die im Innersten der , Seele ihre tiefen Wurzeln haben. Es ist hier dasselbe der Fall, wie bei dem genannten Holzstück. Je mehr das Feuer den innersten Kern ergreift, desto größere Kraft und Wut bietet es auf, um dasselbe mehr im Inneren zuzubereiten und ihn so ganz in seinen Bereich zu ziehen. Sechstens kann man hier auch auf den Grund schlies- sen, warum die Seele all ihre Gnadenschätze eingebüßt zu haben und voll von Schlechtigkeit zu sein glaubt, da ihr während dieser Zeit nichts als Betrübnisse zu teil wurden. Ebenso ist es auch mit dem Holzstück, bei welchem der Luftzug die verzehrende Kraft das Feuer nur in höherem Maße anfacht. Wenn jedoch wieder andere, ruhige Augen- blicke eintreten, hat sie auch größeren, inneren Genuß, da die Reinigung schon mehr im Innern vollzogen ist. 1) Endlich können wir daraus auch folgenden Schluß ziehen: Wenn auch die Seele sich in diesen Zwischen- zeiten recht innig freut, so daß ihr, wie schon erwähnt, die Wiederkehr jener Trübsale, die jedoch sicher bald ein- treten wird, unmöglich erscheint, so gewahrt sie doch immerhin, wenn sie ihr Auge auf sich wendet -und sie tut dies auch zuweilen -eine in ihr zurückgebliebene Wurzel, die den vollen Genuß der Freude nicht gestattet. Und es scheint, daß diese Wurzel ihre Triebkraft bald wieder in bedrohlicher Weise entfalten werde, was sich auch 1) Dieser letzte Absatz wurde ohne Zweifel deshalb nicht gednlckt, weil er von den Abschreibern unfreiwillig ausgelassen wurde, die für den ersten Druck eine Kopie der Manuskripte verfertigten. l.l~ unter diesen Verhältnissen in Bälde vollziehen wird. Denn das, was im Innersten noch geläutert und erleuchtet wer- den soll, kann der Seele beim Anblick dessen, was schon gereinigt ist, nicht verborgen bleiben, ebenso wie das, was im innersten Kern des Holzstückes noch vom Feuer er- faßt werden muß, sichtbar von dem unterschieden werden kann, was schon vom Feuer gereinigt wurde, Wenn dar- um diese geistige Reinigung mehr das Innere erlaßt, so ist es nicht zu verwundern, daß die Seele wiederum auf die Meinung verfällt, sie habe alle ihre Gnadenschätze verloren und dürfe nicht mehr daran denken, dieselben ja wieder zu erlangen. Während sie nämlich diese inneren Qualen erduldet, entzieht sich jedes äußere Gut ihren Augen. Wenn wir diesen Vergleich, den wir auf den ersten Vers der ersten Strophe dieser dunklen Nacht und ihrer erschreckenden Eigentümlichkeiten angewendet haben, im Auge behalten, so wird es gut sein, von diesen betrü- benden Vorgängen in der Seele zur Abhandlung über die Frucht ihrer Tränen und die beseligenden Eigenschaften derselben überzugehen, die sie mit dem zweiten Verse zu besingen beginnt: "Entflammt von Liebessehnen". § 1. 11. Kapitel. Beginn der Erklärung des zweiten Verses der ersten Strophe. Inwiefern ist die heftige Leidenschaft der göttlichen Liebe eine Frucht dieser schweren Bedrängnisse? In diesem Verse gibt die Seele eine Erklärung über das schon erwähnte Feuer der Liebe, das nach Art des materi- ellen Feuers beim Holze die Seele in dieser peinlichen Nacht der Beschauung erlaßt. Dieses Erglühen ist zwar dem 8 113 ~ ,~ oberwähnten, das sich des sinnlichen Teiles der Seele bemächtigt, in gewissem Sinne ähnlich, in anderer Hin- sicht aber, wie wir jetzt dartun werden, von jenen so ver- schieden, wie die Seele vom Leibe, wie der geistige vom sinnlichen Teil. Es ist dies ein Entbrennen der Liebe im , Geiste, von dem sich die Seele inmitten dieser finsteren Bedrängnissedurch die Macht der göttlichen Liebe lebendig und innig verbunden, mit einer gewissen Empfindung und Ahnung Gottes verwundet sieht, ohne jedoch etwas im einzelnen zu erkennen, da sich der Verstand, wie schon erwähnt, im FiI:Isteren befindet. Es empfindet in diesem Zustande der von Liebe lei- denschaftlich entzündete Geist vieles; denn dieses geistige Erglühen erzeugt eine leidenschaftliche Liebe. Und inso- fern diese Liebe eine eingegossene ist und sich mehr im Erleiden als im Handeln äußert, erregt sie in der Seele eine heftige Leidenschaft der Liebe. Diese Liebe hat schon etwas von der Vereinigung mit Gott an sich und deshalb nimmt sie auch in etwa teil an ihren Eigenschaften; diese äußern sich mehr als Tätigkeiten Gottes als der Seele selbst, sie wohnen ihr in passiver Weise inne,dieSeelegibtnur ihre Zustimmung. Aber die Wärme und Kraft, die Stimmung und Leidenschaft der Liebe oder die Entflammung, wie die Seele es hier nennt, verursacht allein die Liebe Gottes, die sich mit ihr vereinigt. Diese Liebe findet die Seele, um sich mit ihr zu vereinigen und sie zu verwunden, um- somehr zubereitet und empfänglich, als sie all ihre Gelüste nach dem Verkosten himmlischer und irdischer Dinge zu- rückgedrängt, entfernt und außer Kraft gesetzt hat. All das geschieht in dieser dunklen Reinigung auf wunder- bare Weise. Denn da versetzt Gott alle Vermögen der Seele in einen solchen Zustand der Entwöhnung und Sammlung, daß sie an keiner Sache Genuß finden können, wenn sie auch wollten. Dies alles tut Gott, um die Kräfte der Seele von i 114 allen Dingen loszureißen und an sich zu ziehen, damit sie mehr Kraft und Fähigkeit gewinne, dieser innigen Liebes- ' vereinigung mit Gott teilhaftig zu werden, die er ihr mit- tels dieser Reinigung schon zu verleihen beginnt. In diesem Zustand muß die Seele lieben mit der ganzen Macht all ihrer Kräfte und ihrer geistigen und sinnlichen Neigungen. Dies könnte aber nicht geschehen, wenn sie sich dem Genusse anderer Dinge zuwenden würde. Darum sprach DaVid, :um die Kraft der Liebe dieser Vereinigung mit Gott in sich aufnehmen zu können, zu ihm: Forti tudinem meam ad te custodia:m.l) "Meine Kraft will ich für dich bewah- ren", d. h. alle meine Fähigkeit, all meine Neigu~gen und Kräfte meiner Seelenvermögen will ich, was ihre Wir- kungsweise und die Art ihres Genusses betrifft, keiner an- . deren Sache zuwenden, als nur dir allein. Daraus kann man schon einigermaßen schließen, wie groß und mächtig diese Liebesglut im Geiste sein muß, wenn Gott alle Kräfte, Vermögen und Neigungen der Seele, die geistigen sowohl wie die sinnlichen, an sich ge- fesselt hält, damit all ihre Kräfte und Fähigkeiten in voll- kommener Harmonie sich mit dieser Liebe beschäftigen und so im vollen Sinne des Wortes dem ersten Gebote Genüge leisten, nach welchem alles, was der Mensch an sich hat, sich dieser Liebe zuwenden muß und nichts da- von ausgeschlossen werden darf. Diliges Dominum Deum tuum ex toto corde tuo et ex tota anima tua et ex tota forti- tudine tua.2) "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus dr-inem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus alle~ deinen Kräften." Sind nun durch dieses Entbre~nen der Liebe alle Neigungen und Kräfte der Seele gehemmt, ist sie selbst an all diesen Fähigkeiten verwundet, getroffen und von I) Ps. 58, 10. ~) 5. Mos. 5, 6. 8" 115 , Liebe entflammt, wie werden sich dann -können wir es verstehen -die Regungen und Auswirkungen all dieser Kräfte und Neigungen gestalten, wenn sie sich von dieser mächtigen Liebe entflammt, verwundet und, ohne sie zu besitzen und daran befriedigt zu sein, in Finsternis und Zweifel erblicken? Ganz gewiß leiden sie Hunger wie die Hunde, die nach den Worten Davids 1) die Stadt umkreisen, und wenn sie sich von dieser Liebe nicht ersättigt sehen, heulen und stöhnen. Denn die Berührung dieser liebe und dieses Feuers trocknet den Geist derart aus und ent- zündet die Begierden nach Stillung seines Durstes so sehr, daß er tausendmal sich selbst zuwendet und auf tausend- fache Weise mit dem ganzen Sehnsuchtsdrang seiner Be- gierden nach Gott verlangt. David gibt diesem Verlangen in ganz bezeichnender Weise in einem Psalm Ausdruck, wenn er sagt: Sitivit in te anima mea, quam multipliciter tibi caro mea.2) ;'Nach dir nur dürstet meine Seele, nacb dir nur lechzt mein Leib." Oder nach einer anderen Über- setzung: "Meine Seele dürstet nach dir, meine Seele ver- geht um deinetwillen." , Das ist der Grund, warum die Seele in diesem Verse spricht: "Entflammt in Liebessehnen," Denn in alleJJ Dingen und Gedanken, die sie in sich vorfindet, bei allel Handlungen und Gelegenheiten, die sich ihr darbieten wird sie in mannigfacher Weise von Liebe und Sehnsuch' erfüllt; und so leidet sie auch zu allen Zeiten und ar allen Orten auf verschiedene Weise an diesem Liebessehnen findet in nichts ihr Genügen und sieht sich mit diesen Sehnsuchtsdrang entzÜndet und verwundet, wie Job es an deutet mit den Worten: Sicut cervus desiderat umbram e sicut mercenarius praestolatur finem operis sui: sic et egt habui menses vacuos et noctes laboriosas enumeravi mihi I) Ps. 58, 16. S) Ps. 62, 2. 116 ~ I I I " nach neben einander stehen. Wenn auch der Sonnenstrahl in Wirklichkeit aus sich alle einzelnen Fenster durchdringt, so überträgt und teilt doch jedes einzelne denselben in mehr gemilderter Form dem anderen mit, entsprechend der Art des Fensters, und mehr beschränkt und abge- schwächt, je nachdem das Fenster der Sonne mehr oder weniger nahe ist. Daraus folgt, daß die höheren und nie- deren Geister, je näher sie Gott stehen, auch durch eine mehr allgemeine Reinigung gereinigt und verklärt sind, und daß die untersten diese Reinigung in einer mehr schwächeren Weise empfangen, da sie ihm ferner stehen. Daraus folgt ferner, daß der Mensch, bis zu dem sich als dem letzten Glied diese liebeatmende Beschauung ergießt, dieselbe, wenn Gott sie ihm verleihen will, in einer ihm entsprechenden und schmerzlichen Weise aufnehmen muß. Denn das göttliche Licht, das den Engel erleuchtet, in Liebe verklärt und entflammt, wie es eben einem reinen, für einen solchen Einfluß zubereiteten Geist entspricht, erleuchtet auch den Menschen, der unrein und schwach ist, in der Weise, daß es denselben, wie oben erwähnt, in Finsternis,Pein und Bedrängnis führt, ebenso wie die Sonne, wenn ihr Strahl auf das kranke Auge fällt, dasselbe reizt und mit Schmerz erfü,llt. Dies dauert solange, bis ihr jenes Feuer der Liebe durch seine Reinigung mehr vergeistigt und vervollkommnet, um nunmehr gereinigt, gleich den Engeln für die Vereinigung und Aufnahme dieses liebe- vollen Gnadeneinflusses befähigt zu sein, wovon wir noch vertrauend auf die Hilfe des Herrn sprechen werden. I) In dieser Zwischenzeit aber empfängt der Mensch diese lie- bende Beschauung und Erkenntnis in Bedrängnis und im Sehnsuchtsdrang der Liebe, wie wir es dargetan haben. 1) In mehreren Ausgaben wurden die folgenden Worte einge- fügt, die aber nicht von unserem Heiligen stammen: Porque almas hay que en esta vida recibieron mas perfecta iluminacion que los angeles. Es gibt nämlich Seelen, denen schon in diesem Leben eine vollkommenere Erleuchtung zu teil wurde als den Engeln. 120 -, Dieses Entbrennen und dieses Liebessehnen fühlt jedoch die Seele nicht immer. Denn bei Beginn dieser Reinigung befaßt sich dieses göttliche Feuer mehr damit, das Holz der Seele auszutrocknen und zuzubereiten als zu entflammen. Aber im Laufe der Zeit, wenn dieses Feuer die Seele schon erwärmt hat, fühlt sie gewöhnlich diese Entzündung und Liebeswärme. Da nun hier der Verstand mittels dieser Finsternis mehr gereinigt wird, so geschieht es manchmal, daß diese geheimnisvolle und liebeglühende Gottesweisheit neben der Entzündung des Willens auch das andere Seelenvermägen, den Verstand, mit göttlichem Erkennen und göttlichem Licht so wonnevoll und göttlich erleuchtet und berührt, daß der Wille mittels dieser Er- leuchtung wunderbar erglüht und, ohne daß er dabei etwas tut, durch dieses göttliche Feuer der Liebe in lichten Flammen entbrennt, so daß jetzt die Seele lebendiges Feuer mit lebendiger Erkenntnis zu empfangen scheint. Des- halb sagt David in einem Psalm: Concaluit cor meum intra me, et in medidatione mea exardescet ignis. "Heiß ward mein Herz in meinem Busen und es entzündete sich ein gewisses Feuer, so daß ich es fühlte." Dieses gemein- same Entbrennen der Liebe der beiden Seelenkräfte, Ver- stand und Willen, die sich hier vereinigen, ist ein kost- barer Reichtum und eine innige Wonne für die Seele. Sie ist ohne Zweifel mit der Gottheit schon in Berührung gekommen und befindet sich im anfänglichen Besitz der vollkommenen Liebesvereinigung, die sie erhofft. Die Be- rührung dieses erhabenen Gefühls und dieser göttlichen Liebe tritt aber erst ein, wenn man viele Mühseligkeiten erduldet und die Reinigung größtenteils durchgemacht hat. Für die niedrigeren Grade jedoch, die gewöhnlich vorkommen, ist eine solche Reinigung nicht notwendig. Aus dem, was wir hier gesagt, kann man folgendes schließen: BeiMitteilungdieser geistigen Güter, die von Gott lQl " ~ ~l':;i)~~.:!::;~ der Seele ohne ihr Zutun eingegossen werden, kommt es sehr leicht vor, daß der Wille liebt, ohne daß der Ver- t, stand zu erkennen vermag, sowie auch, daß der Verstand Ir erkennen kann, ohne daß der Wille liebt. Da nämlich dies~ , 11 ~unkle ~ach~ de~ Beschau~ng g?ttliches Licht ~nd gött- il!I:! hche LIebe In sIch begreIft, WIe das Feuer LIcht und 1 ~i! Wärme, so liegt darin kein Widerspruch, daß dieses liebe- I 1,' Ir glühende Licht bei seinem Einströmen mehr den Willen trifft und ihn mit Liebe entfl~mt, während es den Ver- stand im Dunkel läßt, ohne ihn mit seinem Lichte zu be- rühren; ferner, daß es den Verstand mit Licht und Er- kenntnis erfüllt, während es den Willen in Trockenheit läßt. So kann es auch geschehen, daß man die Wärme des Feuers fühlt, ohne das Licht zu sehen, und daß man das Licht sieht, ohn,e die Wärme zu spüren. Das ist auf das Wirken des Herrn zurückzuführen, der sich mitteilt, wie er will. I) r § 3. I 13. Kapitel. I Andere wonnevolle Wirkungen, welche diese dunkle !i! Nacht der Beschauung in der Seele hervorbringt. 111 In diesem Entbrennen der Liebe können wir einige 1111['1 der lieblichsten Wirkungen ersehen, welche diese dunkle ii Nacht der Beschauung in der Seele hervorbringt. Manch- 1 1' I!i!; mal ist dieselbe inmitten dieser Finsternisse voll Licht, j:!I:: "und das Licht leuchtet in der Finsternis";2) es strömt i I' 1) Wir unterlassen die Erklärung dessen, was der mystische Lehrer hier sagt, da er hierüber in der zweiten Schrift des geist- lichen Gesanges (26. Strophe 2. Vers) eine Erklänmggibt. Dieselbe Lehre gibt er wieder und erklärt sie in bewunderungswürdiger Weise in einer bisher nicht veröffentlichten Stelle der "lebendigen Liebesflamme" in ihren beiden Fassungen. (Str. 5, V. 5, § 10). Man r kann sie auch finden bei unserer heil. Mutter Theresia "Gedanken ~ der Liebe zu Gott", 6. Hauptst. 8,14,15 u. 16 und bei unsermEhrw. 1 P. Joh. y. Jesus Maria' (Gebetsschule, 12. Tract. Dub.5). ') Joh, 1, 5. 19.9. diese geheimnisvolle Erkenntnis in den Verstand, wobei der Wille in Trockenheit bleibt, ohne an der wirklichen Liebesvereinigung teil zu nehmen. Dabei befinden sich die Sinne der Seele in einer so zarten und lieblichen Ruhe und Einfalt, daß man es gar nicht auszudrücken vermag, in dem man bald in dieser, bald in jener Weise das Gefühl der Nähe Gottes hat. Manchmal verwundet diese Liebes- flamme, wie schon erwähnt, auch den Willen, so daß in ihm die Liebe voll Innigkeit, Zärtlichkeit und Kraft, ent- orennt. Denn diese beiden Seelenkräfte, Verstand und Wille, vereinigen sich nach dem bereits Gesagten bisweilen um so vollkommener und erhabener, je mehr derVerstand gerei- nigt ist. Aber bevor man dazu gelangt, fühlt man gewöhn- lich eher die Einwirkung dieser Entzündung im Willen, als die Mitteilung dei' vollkommenen Erkenntnis im Verstaride. Hier erhebt sich nun folgender Zweifel: Wenn diese zwei Seelenkräfte zu gleicher Zeit gereinigt werden, warum fühlt man anfänglich für gewöhnlich mehr im Willen das Entbrennen .und die Liebe dieser reinigenden Beschau- ung als im Verstande die Erkenntnis derselben? Darauf ist zu antworten: Diese passive Liebe berührt nicht direkt den Willen, da derselbe frei ist, und diese Liebesglut ist mehr eine Leidenschaft der Liebe, als ein freier Akt des Willens. Denn diese Liebesglut verwundet die Seele in ihrem innersten Wesen und so regt sie die Neigung der Seele in der Weise an, daß diese sich leidend verhält. So kann man diese Entflammung eher ein Liebesleiden, als einen freien Akt des Willens nennen. Denn nur insofern kann man von einem Akt des Willens sprechen, als er frei ist.. Da aber d.ie Leidenschaften und Neigungen im Willen ihren Sitz haben, so führt man, wenn die Seele sich von einer Leidenschaft hinreißen läßt, dies auf den Willen zurück. Und so ist es auch in der Tat. Denn auf diese Weise wird der Wille gebunden und unfrei, so daß ihn 12.3 der Antrieb und die Kraft der Leidenschaft überwältigen. Und so können wir sagen, daß diese Liebesglut im Willen ihren Herd hat und ihn so zum Begehren anregt. Des- halb nennt man diesen Vorgang eher eine Liebesleidenschaft als einen freien Akt des Willens. Und da die Empfänglich- keit des Verstandes zur Aufnahme der Erkenntnis nur fähig ist, wenn er entblößt ist und sich untätig verhält, -und dies kann nur geschehen, wenn er gereinigt ist, -so emp- findet die Seele vorher weniger tief die Einwirkung der Erkenntnis als die der Liebesleidenschaft. Daher ist es nicht notwendig, daß der Wille bezüglich seiner Leiden- schaften ganz gereinigt ist, da ihm die Leidenschaften noch dazu verhelfen, den heftigen Drang der Liebe zu fühlen.I) Diese Liebesglut und dieser Liebesdurst, der hier vom HI. Geiste hervorgerufen wird, ist ganz verschieden von jenem, den wir bei Behandlung der Nacht des sinnlichen Menschen erwähnten. Wenn auch hier die Sinne an dieser Liebesglut Anteil bekommen, da sie auch mit in die Bedrängnisse des Geistes hineingezogen werden, so fühlt man doch diesen Liebesdurst in seinem innersten Wesen und in seiner Lebendigkeit im höheren Teil der Seele, d. h. im Geiste. Und man nimmt das, was man fühlt, und die Entbehrung dessen, was man wünscht, derart wahr und erkennt es in der Weise, daß man alle Bedrängnis des sinnlichen Teiles, wenn sie auch unvergleichlich größer ist als in der ersten Nacht der Sinne, für nichts achtet. Denn der Geist erkennt in seinem innersten Wesen den ManA'el ejnes überaus erhabenen Gutes, für das ihm nichts Ersatz bieten kann. An dieser Stelle ist noch zu bemerken: Anfangs, wenn diese geistige Nacht beginnt, fühlt man diese Liebesglut 1) Diese wichtige und bemerkenswerte Stelle, die bisher nicht veröffentlicht war, dient in besonderer Weise zur Erklärung verschiedener Abschnitte dieser Werke. Zum besseren Verständ- nis lese man das 11. Kapitel dieses Bändchens nach. IJl4
- '!
~;c;,
~'f:"
,
I noch nicht, weil jenes Feuer der Liebe noch nicht zu wirken
begonnen hat: statt dessen aber verleiht der Herr der Seele
alsbald eine so innige Liebe der Wertschätzung, daß das
Ärgste, was die Seele in den Bedrängnissen dieser Nacht
leidet und fühlt, der Gedanke ist, sie habe Gott verloren
und sei von ihm verlassen. Und so können wir immer
sagen, daß die Seele schon gleich bei Beginn dieser Nacht
von diesem Liebesdrang erfaßt ist, sei es von der Liebe
der Wertschätzung oder von der genannten Liebesglut.
Man kann daraus ersehen, daß die größte Pein, die sie
in diesen Bedrängnissen erduldet, jene Furcht ist. Und
wenn sie in dieser Lage sicher wissen könnte, daß nicht
alles verloren und zu Ende sei, daß vielmehr ihre Pein ihr
zum Besten gereiche, wie es auch wirklich der Fall ist,
und daß Gott ihr nicht zürne, dann würde sie all diese
Beängstigungen für nichts achten, ja sich sogar freuen im
Bewußtsein, Gott dadurch einen Dienst zu erweisen. Denn
die Liebe der Hochschätzung, die sie, wenn auch nur dunkel
und ohne sie zu fühlen, zu Gott trägt, ist so mächtig, daß
sie nicht bloß die genannten Peinen erdulden, sondern
auch mit größter Freude vielmals für ihn sterben würde,
um ihm zu gefallen. Hat aber einmal die Liebesglut die
Seele entzündet und sich mit der schon in ihr wohnenden
Liebe der Hochschätzung Gottes vereinigt, so gewinnt sie
durch die Mitteilung des Feuers der Liebe eine solche Kraft
und solchen Mut und wird von einem so heftigen Sehn-
suchtsdrang nach Gott erfüllt, daß sie mit der größten
Kühnheit, ohne auf etwas zu achten oder Rücksicht zu
nehmen und ohne viel um ihr Tun sich zu kümmern, in
der Kraft und Trunkenheit der Liebe, das Äußerste und
Ungewohnteste, welcher Art es auch immer sei, vollbringen
würde, um den zu finden, den ihre Seele lieb hat.
Das ist auch der Grund, warum Maria Magdalena,
obwohl aus achtbarem Geschlechte stammend, nach den
1~5
j~:~' ,
Worten des hl. Lukas 1) sich um die im Hause des Phari,..
säers beim Gastmahl versammelten vornehmen Männer
, nicht kümmerte und auch nicht Rücksicht nahm, daß e~
I unschicklich und ungeziemend sei, vor den Gästen zu
weinen und T~änen zu vergießen. Sie wollte eben nicht
auf bessere Zeit upd Gelegenheitwarten, um jakeineStunde-
zu verlieren, um zu dem zu gelangen, der ihre Seele ver-
wundet und entzündet hatte. Sie wußte wohl, daß ihr
Geliebter in einem Grabe eingeschlossen sei, das mit einem
Stein versiegelt und von wachhabenden Soldaten umgeben
sei, damit man ihn ja nicht stehlen könnte. Aber diese-
Trunkenheit und Kühnheit der Liebe half ihr über alle
diese sich entgegenstellenden Hindernisse hinweg, so daß
sie vQr Tagesanbruch hinausging, um ihn mit Spezereien
zu salben. Endlich hat diese Trunkenheit und dieses Liebes-
sehnen sie auch veranIaßt, jenen Mann, den sie für den
Gärtner hielt und von dem sie glaubte, er habe den Leich-
nam aus dem Grabe gestohlen, z~ fragen, ob er ihn hin-
11;1 weggenommen und wohin er ihn gelegt habe,2) damit sie
1]:; ihn holen könne. Sie bedachte eben nicht, daß diese Frage
dem gesunden Urteil und der Vernunft widerspreche.
Denn es ist klar, daß jener, wenn er ihn gestohlen, es ihr
nichtgesagt noch weniger ihr gestattet hätte, ihn zunehmen.
Es ist nämlich der innigen und heftigen Liebe eigen, daß
ihr alles möglich scheint, ja sie lebt in der Meinung, alle
anderen müßten ebenso denken und handeln wie sie. Sie-
lebt in der Überzeug;ung, daß niemand mit etwas anderem
sich beschäftigen noch etwas anderes suchen könne, als
was sie suche und liebe, daß man nur das lieben und sich
nur damit beschäftigen könne und alle von demselben
Gedanken eingenommen sein müßten. Deshalb sprach
auch die Braut, als sie den Geliebten auf den Straßen und
1) Luk. 7, 37-
I) Job. 20, 15.
151,6
Gassen suchen ging, in der Meinung, alle anderen hätten
dieselben Gedanken und Gefühle, die Worte: " Wenn ihr
ihn findet, so saget ihm, daß ich vor Liebe krank bin." I)
SO stark war die Liebe dieser Maria, daß sie, wenn ihr der
Gärtner den Ort angegeben hätte, wo er den Herrn verbor-
gen, nach ihrem Dafürhalten hingegangen und ihn zu sich
genommen hätte, wäre es auch noch so strenge verboten
gewesen. Von solcher Art ist auch der Sehnsuchtsdrang
der Liebe, den so eine Seele in sich wahrnimmt, die in
jener geistigen Reinigung schon vorangeschritten ist. Sie
steht bezüglich der Neigung ihres Willens zur Nachtzeit
auf, d. h. im Dunkel dieser Reinigung. Und wie eine Lö-
win oder Bärin mit heftiger Sehnsucht die ihr entrissenen
Jungen sucht, sie aber nicht findet, so sucht auch die von
Liebe verwundete Seele ihren Gott. Es ist das jenes Un-
gestüm der Liebe, in welchem der Mensch nicht lange leben
kann; entweder erreicht er, wornach er sich sehnt, oder er
stirbt. Derartig war auch das ungestüme Verlangen Rachels
nach Kindern, als sie zu Jakob sprach: "Gib mir Kinder
oder ich sterbe." 2)
Aber hier könnte man die Frage stellen, warum die
Seele, die sich so elend und Gottes unwürdig fühlt, wie
es eben in dieser reinigenden Finsternis der Fall ist, so
viel Mut und Kraft hat, daß ~ie es wagt nach Gott zu ver-
langen und nach Vereinigung mit ihm zu streben. Der
Grund ist der: die Liebe verleiht der Seele schon die Kraft,
daß sie innig lieben kann. Es ist aber der Liebe eigen
nach Vereinigung und Verbindung, nach Gleichförmigkeit
und Ähnlichkeit mit dem Geliebten zu streben, um sich
an dem Gute der Liebe zu vervollkommnen.. Und weil
diese Seele in der Liebe noch nicht vervollkommnet ist,
da sie zur Vereinigung noch nicht gelangt ist, darum
1) Hohel. 5, 8.
2) I. Mos. 3°, 1.
127
machen sie der Hunger und Durst nach der noch fehlenden
Vereinigung sowie die durch die Liebe dem Willen ver-
liehene Kraft, womit er schon entzündet ist, so kühn und
mutig; es entbrennt der Wille von Liebe, während der
Verstand, der noch in Finsternis und ohne Licht ist, sich
unwürdig und elend fühlt.
Ich will hier nicht unterlassen auf die Ursache auf-
merksam zu machen, warum dieses göttliche Licht, das
immer ein Licht für die Seele ist, dieselbe nicht schon
gleich bei seinem Einströmen erleuchtet wie nachher,
sondern die genannte Finsternis und Bedrängnis in ihr
verursacht. Wir haben diese Frage schon weiter oben teil-
weise beantwortet, ich möchte aber noch im Besondem
folgendes bemerken: die Finsternis und übrigen Unan~ -'y
nehmlichkeiten, welche die Seele beim Eindringen dieses
göttlichen Lichtes fühlt, sind nicht auf das Licht als solches, ,
sondern auf die Seele selbst zurückzuführen; das Licht
aber erleuchtet die Seele, daß sie dieselben ,vahrnehmen ,
kann. Daher erleuchtet von Anfang an dieses göttliche
Licht die Seele, aber sie vermag mittels desselben zuerst,
nichts zu sehen, als was um sie, oder besser gesagt, in ihr
ist, nämlich Finsternis und Elend, das sie nun durch Gottes
Erbarmung sieht, vorher aber nicht wahrnahm, weil dieses
übernatürliche Licht sie nicht berührte. Und das ist der
Grund, warum sie anfangs nurFinstemis und Beschwerden
fühlte. Ist aber einmal die Seele durch die Erkenntnis dieser
Bedrängnisse gereinigt, dann bekommt sie Augen, mit denen
sie die Vorteile dieses göttlichen Lichtes schauen kann. So-
bald diese Finsternisse und Unvollkommenheiten der Seele
beseitigt und verschwunden sind, beginnt sie den Nutzen
und die großen Vorteile zu erkennen, welche ihr in dieser
beseligenden Nacht der Beschauung zu teil werden sollen.
Aus dem G~sagten geht hervor, welch große Gnaden
Gott der Seele hier erweist, wenn er sie bezüglich des
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sinnlichen und geistigen Teiles mit dem scharfen und
bitteren Getränke von allen Neigungen und bleibenden
Unvollkommenheiten reinigt, die sie hinsichtlich der zeit-
lichen und natürlichen Dinge, hinsichtlich des sinnlichen
und geistigen Teiles an sich trug. Dies geschieht dadurch,
daß Gott die inneren Seelenkräfte ins Dunkel führt und
von allen bleibenden Unvollkommenheiten leer macht,
daß er die Seele bezüglich der sinnlichen und geistigen
Neigungen in Bedrängnis und Trockenheit versetzt, ihre
natürlichen Kräfte schwächt und nach all ihren Bestre-
bungen hin läutert. Dies hätte die Seele, wie wir noch
darlegen werden, aus sich selbst nie erreichen können.
Auf diese Weise läßt sie Gott in natürljcher Hinsicht allem
absterben, was nicht Gott ist, damit sie entblößt und des
alten Gewandes beraubt, neu gekleidet werde. Und so
erneuert sich die Seele, wie ein Adler seine Jugend. 1) Dies
ist nichts anderes als die Erleuchtung des Verstandes mit
übernatürlichem Licht, so daß der menschliche Verstand
vereint mit Gott ein göttlicher wird. Auf gleiche Art
entbrennt auch der Wille von göttlicher Liebe und zwar
so, daß er nunmehr nichts Geringeres wird als ein gött-
licher Wille, nur in göttlicher Weise liebend, vereinigt
und eins mit dem göttlichen Willen und mit der göttlichen
Liebe. Ebenso ist es auch mit dem Gedächtnis und mit
den Neigungen und Begehrungen, die alle Gott gemäß,
in göttlicher Weise umgewandelt und verändert werden.
So wird die Seele jetzt schon eine Seele des Himmels, himm-
lisch und mehr göttlich als menschlich. Alles dies voll-
bringt und bewirkt Gott, wie wir es aus dem Gesagten
deutlich ersehen können, mittels dieser Nacht in der Seele,
indem er sie in göttlicher Weise erleuchtet, so daß sie nur
von Sehnsucht nach Gott und nach keinem anderen Ding
außer ihm entbrennt. Deshalb fügt die Seele ganz billig
1) Eph. 4. 24.
9 129
~.' '..,
und wohlbegründet den dritten Vers der Strophe hinzu,
der da lautet:
,,0 du glückselig' Los
Entwich ich ungeseh'n."
§ 4.
14. Kapitel.
Anführung und Erklärung der drei letzten Verse
der ersten Strophe,
Dieses beseligende Los besteht in dem, was die Seele
jetzt in den folgenden Versen besingt: "Entwich ich un-
geseh'n, schon lag mein Haus im Schlummer," Sie nimmt
das Gleichnis von einem Menschen, der zur ruhigeren
Vornahme seines Geschäftes sein Haus zur Nachtzeit und
im Dunkel, während alle ruhen, verläßt, damit niemand
ihn störe. Da die Seele ein so heroisches und seltenes Werk,
wie die Vereinigung mit ihrem göttlich Geliebten ist, voll-
bringen will, so geht sie aus ihrem Hause heraus i denn
der Geliebte findet sich nur draußen in der Einsamkeit.
Deshalb verlangt die Braut ihn allein zu finden, wenn sie
sagt: Quis mihi det te fratrem meum sugentem ubera
matris meae, ut inveniam te foras et deosculer te? "Wer
gibt dicb mir zu meinen Bruder, daß ich dich drauße~
finde und dir meine Liebe mitteilen könnte?".) Die von
Liebe gefangene Seele mußte gleichsam, um ihr ersehntes
Ziel zu erreichen, des Nachts, während alle Hausbewohner
ruhten und schliefen, das Haus verlassen, d. h. die gewöhn-
liche Handlungsweise der Seele, ihre Wünsche und Be-
gehrungen mußten beseitigt und mitte1st dieser Nacht zur
Ruhe gebracht sein. Sie sind das Hausgesinde, das, solange
es wach jst, nicht zuläßt, daß die Seele sich von ihnen
frei macht, und sie immer an der Erreichung der Gnaden:-
güter hindert~ Sie sind jene Hausgenossen, von denen
') Hohel. 8, 1.
". 130
,
- , '
\ t t:. ~ .. .' , - anser Herr im hl. Evangelium sagt, daß sie die Feinde des Menschen sind. Et inimici hominis domestici ejus.1) Es mußten darum die Tätigkeiten und Regungen dieser Hausgenossen in dieser Nacht zur Ruhe gebracht werden, damit sie dem Empfang der übernatürlichen Güter der Liebesvereinigung mit Gott nicht im Wege stünden; so- lange diese ihre volle Kraft und Tätigkeit besitzen, kann ihr dieselbe nicht zu teil wM'den. Denn alle natürlichen Tätigkeiten und alle Regungen dieser Neigungen hindern vielmehr an der Erreichung der geistigen Güter, als daß sie dazu verhelfen würden. Ihre natürliche Befähigung ist vollkommen ungenügend zur Aufnahme der übernatür- lichen Güter, welche Gott allein der Seele ohne ihre Mit- wirkung geheimnivoll und still eingießt. Deshalb ist es notwendig, daß alle Seelenkräfte sich passiv verhalten und sich nicht mit ihrer armseligen Tätigkeit und ihrer nie- deren Sinnesart einmischen, damit die Seele diese Mit- teilung Gottes aufnehmen kann. Deshalb war es ein "glückselig Los" für die Seele, daß Gott in dieser Nacht das ganze Hausgesinde,d. h. alle Seelen- kräfte, Leidenschaften, Neigungen und Gelüste sowohl des sinnlichen wie des geistigen Teiles zur Ruhe brachte, da- mit sie, ohne bemerkt oder von jenen Neigungen U.s. w. behindert zu sein, zur vollkommenen geistigen Liebesver- einigung mit Gott gelangen konnte. Sie müssen einge- schläfertundertötetwerden; denn wenn sie in dieser Nacht ins Dunkel eingeführt w:erden, dann können sie ihrer gewöhnlichen und natürlichen Art nach weder wahr- nehmen noch fühlen und so dem Herausgehen der Seele aus sich, selbst und dem Hause ihrer Sinnlichkeit kein Hindernis in den Weg legen. 0 welch ein beseligendes Los ist es {'ur die Seele, wenn sie sich von dem Hause ihrer Sinnlichkeit frei machen kann. Dies vermag nach meiner I) Math. 10, 56. 9" 131 Ansicht eine Seele nur dann zu verstehen, wenn sie es gekostet hat. Denn da erkennt die Seele klar, in welch elender Sklaverei sie gefangen lag, welch großen Armselig- keiten sie unterworfen war, als sie noch unter der Herr- schaft ihrer Seelenkräfte und Gelüste stand. Da erkennt sie, inwiefern das geistliche Leben wahre Freiheit und wahrer Reichtum ist, der unschätzbare Güter nach sich zieht. Wir wollen darum einige von diesen Gütern in den folgenden Strophen anführen, damit man um so deutlicher et;kennen kann, wie die Seele mit vollem Rechte den Aus- gang aus dieser obenerwähnten schrecklichen Nacht ein "beseligendes Los" nennt. ~. Strophe. Ja, sicheres Dunkel war, Verkleidet ich und auf verborgener Leiter. -, -._0 du glückselig Los! -~ Im Dunkel ganz, in aller Heimlichkeit, Da schon mein Haus im Schlummer lag. Erklärung. Die Seele fahrt in dieser Strophe fort, noch einige Eigenschaften dieser dunklen Nacht zu besingen, indem sie wieder auf das beseligende zu Los sprechen kommt, das ihr durch dieselbe zu teil wurde. Sie spricht so, um einem stillschweigenden Einwurf zu begegnen, und bemerkt, man möge nicht glauben, sie habe sich deswegen, weil sie in dieser dunklen Nacht durch Ängste, Zweifel, Befürch- tungen und Schrecknisse so sehr gefoltert worden sei, in größter Gefahr befunden verloren zu gehen, vielmehr habe sie aus dem Dunkel dieser Nacht Gewinn gezogen; denn in derselben machte sie sich frei von allen Wider- sachern, die ihr auf jedem Schritt hinderlich im Wege stan- den, und entwich ihnen in aller Vorsicht. Sie hatte 13~ nämlich im Dunkel dieser Nacht ihr Gewand ge~echselt und wandelt nun gehüllt in ein dreifarbiges Kleid, von dem wir noch sprechen werden.. Sie entwich auf einer ganz verborgenen Leiter, die niemand im Hause kannte, nämlich auf der Leiter des lebendigen Glaubens.. Wir werden das auch an geeigneter Stelle erklären. So verhüllt . und verborgen entfernte sie sich, um ihr Werk besser voll- bringen zu können. Und sie hätte gar nicht sicherer gehen können, vorzüglich weil in dieser reinigenden Nacht ihre Gelüste, Neigungen und Leidenschaften schon ein- geschläfert, ertötet und beseitigt waren; denn w:ären sie wieder zu Kräften gekommen und neu aufgelebt, hätten sie ihr Entweichen nie geschehen lassen. Die Seele setzt also den Vers fort und sagt: "Ja, sicheres Dunkel war." 16. Kapitel. Erklärung, inwiefern die Seele im Dunkel sicher wandelt. Wir haben schon dargetan, daß die Dunkelheit, von welcher hier die Seele spricht, sich auf die sinnlichen, in- neren und geistigen Begehrungen und Seelenkräfte er- streckt, die alle in dieser Nacht bezüglich ihres natürlichen Lichtes ins Dunkel gehüllt werden, damit sie so gereinigt mit dem übernatürlichen Lichte erleuchtet werden kön- nen. Die sinnlichen und geistigen Gelüste sind jetzt ein- geschläfert und ertötet, sie können weder Göttliches noch Menschliches mit W0nne genießen; die Neigungen der Seele sind niedergehalten und unterdrückt, so daß sie sich weder regen noch an irgend etwas eine Stütze finden kön- nen. Die Einbildungskraft ist gebunden und vermag über nichts mehr richtig nachzusinnen. Das Gedächtnis hat seine Kraft verloren, der Verstand ist in Dunkel gehüllt, ohne etwas erkennen zu können, infolgedessen ist auch 133 ~\: ~
- ~
der Wille in Trockenheit und Bedrängnis; endlich sind alle Seelenkräfte leer und untauglich und zu alledem hat sich eine dichte und schwere Wolke über die Seele gelagert, die sie bedrängt und gleichsam von Gott feme hält. Auf diese Weise ins Dunkel gehüllt wandelt die Seele, wie sie sagt, sicher. Der Grund hievon ist schon genügend erklärt. Denn für ge"wöhnlich gerät die Seele nur in Irrtum durch ihre Gelüste oder durch ihr sinnliches Wohlgefallen und nachforschendes Denken, oder durch ihre Meinungen und Neigungen, wodurch sie manchmal zu weit geht oder zu wenig tut oder sich auch verirrt und außer Fassung kommt. Und so wendet sie sich dem zu, was ihr nicht zuträglich ist. Ist nun die Seele in all diesen Tätigkeiten und Re- gungen gehemmt, so ist es klar, daß sie dabei vor Ver- irrungen sicher ist. Dadurch befreit sie sich nicht bloß von sich selbst, sondern auch von den beiden anderen Feinden, von der Welt und dem Teufel, welche gegen die Seele, wenn ihre Neigungen und Tätigkeiten zur Ruhe gekom- men sind, von keiner Seite und auf keine Weise mehr ihre : Feindseligkeiten eröffnen können. Daraus folgt, daß die Seele umso sicherer sich fühlt, ' je mehr sie im Dunkel wandelt und sich ihrer natürlichen i Tätigkeit entäußert hat. Darum sagt auch der Prophet: Perdi tio tua Israel; tan tummodo in me auxili um tuum. "Das Verderben der Seele entsteht allein in ihr selbst, d. h. aus ihren Tätigkeiten und den sich widerstrebenden inneren und sinnlichen Gelüsten; 1) das Heil aber, spricht Gott, kommt allein von mir." Ist nun die Seele auf diese Weise in- bezug auf ihre schlimmen Anlagen in ihrer Tätigkeit gehindert, so folgt, daß ihr nun auch hinsichtlich ihrer Gelüste und Vermögen die Gnade der Vereinigung mit Gott zu teil wird, die sie göttlich und himmlisch gestaltet. Will nun die Seele während dieser Finsternisse auf sich I) Os. 13, 9. 154 c , ~t~ selbst acht haben, so wird sie gar bald die Wahrnehmung machen, wie wenig die Gelüste und Vermögen in eitle und unnütze Dinge sich verlieren, wie sicher sie sich fühlt vor eitler Ehrsucht, vor Hoffart und Anmaßung, vor eitler und falscher Freude und vielen anderen Dingen. Daraus folgt mit voller Sicherheit, daß sie infolge ihres Wandels im dunklen Glauben keineswegs Gefahr läuft verloren zu gehen, sondern vielmehr viel gewinnt; sie erwirbt sich nämlich in diesem Stande die Tugenden. ~ , Es drängt sich hier nun in erster Linie die Frage auf: ~ Wenn die göttlichen Dinge an und für sich der Seele wohl ; tun, ihr Gewinn bringen und sie sicher stellen, warum i " verdunkelt Gott in dieser Nacht ihre Gelüste und Fähig- keiten selbst in bezug auf gute Dinge, so daß die Seele sich derselben nicht freuen., sich derselben nicht wie an- derer Dinge, ja zum Teil noch weniger bedienen kann? Darauf ist zu antworten: In diesem. Zustand ist der Seele weder das Wirken noch der Genuß der geistlichen Dinge von Nutzen, da ihre Fähigkeiten und Gelüste noch allzu unrein, zu niedrig und natürlich sind. Und wenn diese Seelenkräfte auch mit dem Genuß und der Mitteilung so übernatürlicher und göttlicher Dinge bedacht würden, so könnten sie dieselben nur auf ganz gewöhnliche und na- türliche Weise, ganz ihrer Art entsprechend aufnehmen; denn nach der Lehre der Philosophie wird jede Sache, die aufgenommen wird, nach der Fähigkeit des Empfangers aufgenommen. Da nun diese natürlichen Vermögen die entsprechende Reinheit, Kraft und Befähigung für den Empfang und Genuß der übernatürlichen Dinge nicht 'besitzen, d. h. weil sie keine göttliche, sondern, wie wir erwähnt, eine rein menschliche und gewöhnliche Befähi- gung haben, so müssen sie auch in bezug auf diese gött- lichen Dinge in Dunkelheit verse't7.t werden. Durch diese Entwöhnung, Reinigung und Ertötung verlieren sie jene 135 ~ L. I , i I I l I I 1 i r r '-,""'. -.., ~ ""
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l was in Gott Licht und höchste Klarheit ist, für den Men- schen um so größere Finsternis, was auch David unmittel- bar darauf im seI ben Psalm mit den Worten bezeugt: Prae fulgore in conspectu ejus nubes transierunt.l) "Vor seines Angesichtes Glanze zogen Wolken dahin d. h. über den natürlichen Verstand, dessen Licht, wie Isaias sagt, in sei- nemDunkelerloschenist. Obtenebrata est in caligine ejus.3) 0 wie jammervoll ist doch das Geschick unseres Le- bens, in welchem man in so großer Gefahr schwebt und so schwer zur Erkenntnis derWahrheit gelangt I Das Klarste und die erhabenste Wahrheit ist für uns am dunkelsten und unsichersten. Darum fliehen wir es, obwohl es uns am meisten zuträglich wäre, und ergreifen das, was uns mehr einleuchtet und unsere Augen ergötzt. Wir halten es fest, obgleich es für uns oft weniger gut ist und bei je- dem Schritt unseren Augen entschwindet. In welcher Ge- ; fahr und Furcht lebt nicht der Mensch, da gerade das natürliche Licht seiner Augen, das ihm zur Leuchte dienen soll, in erster Linie ihn blendet und täuscht auf seinem Wege zu Gott, da er, um den Weg zu finden, den er gehen soll, die Augen schließen und im Finstern wandeln muß, um vor seinen feindlichen Hausgenossen d. h. vor seinen Sinnen und Seelenkräften sicher wandeln zu können I Hier in diesem dunklen Gewölk, das ringsum Gott ist, wird die Seele aufs beste verborgen und beschützt. Denn wie es Gott selbst als Zelt und Wohnung dient, ebenso findet auch sie darin vollkommenen Schutz und sichere Verwahrung. Wenn sie auch im Finstern wandelt, so ist sie doch gebor- gen und geschützt vor sich selbst und vor allen Nachteilen, die ihr von seite der Geschöpfe zustoßen können. Von diesen' Seelen gilt, wasDavid auch in einem anderen Psalme sagt: Ab- . scondes eos in abscondito faciei tuae a conturbatione homi- 1) Ps. 17, 15. 2) Is. 5, 5°. 140 i,'.,;~;;.:""j':<'i;_i~:~c~ num; proteges eos in tabernaculo tuo a contradictione lin- guarum.l) "Du schirmst sie in deines Angesichtes Hut vor Menschenaufruhr, in deinem Zelte birgst du sie vor dem Hader der Zungen." Damit ist jede Art von Schutz zum Ausdruck gebracht. Denn in Gottes Angesicht geborgen sein vor Menschenaufruhr ist nichts anderes als die mittels dieser dunklen Beschauung gegebene Festigkeit wider alle Gelegenheiten, die ihr von Seite der Menschen unvermutet in den Weg treten können. Und beschützt sein in seinem Zelte vor dem Hader der Zungen ist das Versenktsein der Seele in jenes dunkle Gewölk, das, wie schon erwähnt, für David das Zelt Gottes ist. Wenn daher alle Ge,lüste und Neigungen der Seele ertötet und die Vermögen ins Dun- kel geführt sind, dann ist sie frei von allen Unvollkommen- heiten, die dem Geiste widerstreiten, sei es nun, daß sie in ihrem eigenen Fleisch ihren Ursprung haben, oder von den anderen Geschöpfen herrühren. Es gibt noch eine andere Ursache, die nicht weniger wichtig als die bereits angeführte ist, und aus welcher man ganz krar erkennen kann, daß die Seele, obgleich sie im Dunkel wandelt, sich auf guten Wegen befindet. Es ist dies die Kraft, welche dieses finstere und schmerzvolle dichte Gewölk Gottes allsogleich der Seele verleiht. Wenn es auch dunkel ist, so ist es doch Wasser, und. so erquickt und kräftigt es die Seele für das was ihr am mei- sten zuträglich ist, wenn auch im Dunkel und in schmerz- voller Weise. Da gewahrt die Seele alsbald eine feste Ent- schlossenheit und Entschiedenheit, ja nichts derartiges zu tun, was sie als Beleidigung Gottes erkennt, und nichts von dem zu unterlassen, wodurch sie ihm dienen zu können glaubt. Denn jene dunkle Liebe senkt der Seele eine über- aus wachsame Sorgfalt und ängstliche Aufmerksamkeit auf das ein, was sie für Gott tun und unterlassen soll, um 1) Ps. 5°, 25. 141 ~;':c:c:~'~ ihm wohlzugefallen. Sie fragt sich und überlegt tausend- mal, ob sie nicht etwa Anlaß zu einer Beleidigung Gottes gegeben. Und dies alles mit weit größerer Sorgfalt und Angst als früher, wie wir es oben angedeutet haben, als wir vom Sehnsuchtsdrang der Liebe sprachen. Jetzt zielen alle Anstrengungen, Wünsche und Fähigkeiten der Seele, nachdem sie von allen anderen Dingen losgelöst sind, mit ganzer Kraft und Macht auf den Dienst Gottes hin. So geht die Seele von sich selbst und allen erschaffenen Dingen aus und wandelt in sichermDunkel "der süßen und wonne. vollen" Liebesvereinigung mit Gott entgegen: " Verkleidet und auf verborgener Leiter." S 1. 17. Kapitel. Erklärung, inwiefern diese dunkle Beschauung b" . "ver orgen ISt. Zum Verständnis der drei AusdrüGke, die in diesem Verse enthalten sind, müssen wir drei Eigentümlichkeiten erklären. Zwei dieser Ausdrücke; nämlich "verborgen" und "Leiter" beziehen sich auf die dunkle Nacht der Beschauung, von der wir eben handeln, der dritte aber, nämlich "verkleidet" deutet die Art des Verhaltens der Seele in dieser Nacht an. Bezüglich des ersten nennt hier die Seele diese dunkle Beschauung, auf der sie zur Liebesvereinigung mit Gott gelangt, eine "verborgene" Leiter wegen der zwei Eigen- tümlichkeiten, die sie an sich hat, insofern sie nämlich
- ' "verborgen" und eine "Leiter" ist. Wir werden von diesen
beiden Ausdrücken im Besonderen sprechen. ~: Zuerst nennt sie diese dunkle Beschauung eine "ver' [i:!;'t~ borgene", weil sie, wie wir oben angedeutet haben, die mystische Gottesweisheit ist, welche die Theologen eine 142 1I verborgene Weisheit nennen. Diese wird nach den Worten des hl. Thomas der Seele durch die Liebe verliehen und eingegossen, was auf geheime Weise geschieht, während die natürliche Wirksamkeit des Verstandes und der übrigen Seelenkräfte im Dunkel sich befindet. Und weil die ge- nannten Seelenkräfte dies nicht zustande bringen, sondern wie die Braut im hohen Liede sich ausdruckt, der ffi. Geist sie ein~eßt und damit die Seele ausschmückt, ohne daß sie es weiß und erkennt, wie es geschieht, so wird sie eine verborgene genannt; und dies weiß in der Tat weder die Seele noch sonst jemand, ja auch der böse Feind hat keine Kennt- nis davon; denn der Lehrmeister, der sie lehrt, ist selbst wesenhaft in der Seele, wohin weder der b!ise Feind noch das natürliche sinnliche Erkenntnisvermögen noch auch der Verstand dringen kann. Aber nicht nur aus diesem Grunde kann sie verborgen genannt werden, sondern auch wegen der Wirkungen, die sie in der Seele hervorbringt. Sie ist nämlich sowohl in den Finsternissen und Bedräng- nissen der Reinigung, wenn diese geheimnisvolle Weiß" . heit die Seele reinigt, verborgen, weswegen die Seele darüber nichts zu sagen weiß, als auch nachher bei der Erleuchtung, wenn sich ihr diese W eishei t weit klarer mi t- teilt. Auch da ist sie für die Seele so etwas Verborgenes, daß sie diese weder erkennen noch erklären noch auch sie beim Namen nennen kann. überdies hat die Seele gar kein Verlangen ihr einen Namen zu geben und findet auch keine passenaeForm, keine Ähnlichkeit und kein Mittel, um in genügender Weise eine so erhabene Erkenntnis und eine so zarte geistige Empfindung zum Ausdruck zu bring;n. Und wenn sie auch den innigsten Wunsch hätte sich aus- zudrucken und noch soviel Bezeichnungen anführen wollte, sie bliebe immer für ihre Sprach weise etwas Verborgenes, denn jene innere Weisheit ist ein so einfacher, allgemeiner und geistiger Begriff, daß er in keine Vorstellung gefaßt 145 .. noch als Sinnenbild dargestellt in den Verstand eingetreten ist. Und da sie durch die Sinne und die Einbildungskraft noch niemals aufgenommen wurde und diese ihre Form und ihr Wesen nicht wahrgenommen haben, so vermögen sie auch darüber keine Auskunft zu geben, noch auch sich eine Vorstellung davon zu machen, um sich richtig aus- zudrücken, wenn auch die Seele ganz deutlich erkennt, daß sie jene wonnevolle und ungewöhnliche Weisheit empfinde und koste. Es ist gerade so, wie wenn jemand etwas, das er noch nie gesehen, noch auch etwas diesem ähnliches geschaut, zu Gesicht bekommen würde. Würde er es jetzt erkennen und genießen, so könnte er ihm doch trotz aller Mühe keinen Namen geben noch auch sagen, was es sei, wenn er es auch mit den Sinnen wahrgenom- men. Um wie viel weniger wird er sich dann über etwas aussprechen können, was er nicht durch die Sinne in sich aufgenommen? Es ist eben der göttlichen Ansprache eigen- tümlich, daß sie, wenn sie ganz innerlich, geistig, einge- gossen und übersinnlich ist, sogleich die Harmonie und Fähigkeit der inneren und äußeren Sinne aufhören und verstummen macht. Dafür haben wir viele Stellen sowie auch Beispiele aus der HI. Schrift. Die Unzulänglichkeit, die göttlichen Ansprachen nach außen wieder zu geben und zu offenbaren, deutet Jeremias an, der, nachdem Gott zu ihm geredet, nichts anderes zu sagen wußte, als: A, A, A.l) Die Unfähigkeit des Inneren, nämlich des inneren Sinnes der Einbildungskraft sowie auch der äußeren Sinne bezüg- lich dieser Wiedergabe spricht Moses vor dem Herrn im DOrnbusch aus, wo er zu Gott sagte,2) er wisse nach dieser göttlichen Ansprache weder zu reden, noch wage er, wie die Apostelgeschichte berichtet, mit der inneren Ein- bildungskraft aufzuschauen,B) da es ihm vorkomme, es 1) Jer. 1, 6. I) 1. Mos. 4, 10. S) Apostg. 7, 52. 144 , stehe die Einbildungskraft Gott viel zu fremd gegenüber und er sei unfähig, sich einen Begriff von dem zu bilden, was sie in Gott erkenne,. ja besitze nicht einmal die Fähigkeit, irgend einen Begriff von ihm aufzunehmen. Da nun diese Weisheit eine Sprache Gottes an die Seele und zwar die Sprache eines reinen Geistes zum reinen Geiste ist, so vermögen sie die Sinne, die unter dem Geiste stehen, nicht zu fassen und so bleibt sie ihnen verborgen; sie ver- stehen sie nicht, können sie nicht mit Worten wiedergeben und haben auch kein Verlangen sie zu hören. Daraus können wir schließen, warum manche Men- schen, die auf diesem Wege wandeln, eben weil sie gute und ängstliche Seelen sind, ihren Führern Rechenschaft geben möchten über ihre Erlahrungen, es aber nicht ver- stehen und können. Dadurch nun entsteht in ihnen ein heftiger Widerwille sich zu äußern, vor allem dann, wenn die Beschauung schon etwas einfacher ist und die Seele sie kaum wahrnimmt. Da wissen sie bloß zu sagen, daß die Seele ihre Sättigung, ihre Ruhe und Befriedigung finde, daß sie Gott wahrnehme und es ihnen nach ihrer Meinung gut gehe, aber sie vermögen nicht mit Worten zu erklären, was die Seele besitzt, außer nur mit allgemeinen Aus- drücken, die den obenerwähnten ähnlich sind. Anders ist es, wenn die der Seele zuteil gewordenen Gunstbezeu- gungen von besonderer Art sind, wie z. B. Visionen, Empfindungen usw. Denn diese empfangt man gewöhn- lich unter irgendeiner Gestalt, an welcher das sinnliche Erkennen beteiligt ist. Und unter dieser Gestalt oder durch ein ähnliches Bild kann man sich dann ausdrücken. Aber wenn man seine Empfindungen mit Worten wiedergeben kann, dann liegt keine reine Beschauung mehr vor; denn fur diese fehlt es, wie schon erwähnt, an Ausdrücken, und darum nennt man sie "verborgen"'. 10 145 Aber nicht bloß deshalb wird diese mystischeWeisheit "verborgen "genannt, sondern auch, weil sie die Eigenschaft besitzt, die Seele in sich zu verberg~. Denn außer diesen gewöhnlichen Wirkungen bemächtigt sie sich der Seele der- art und zieht sie in einer Weise in ihren verborgenen Ab- grund, daß diese deutlich erkennen kann, wie feme sie allen Geschöpfen steht und von ihnen verlassen ist. So kommt es ihr vor, man habe sie in eine sehr tiefe und weite Einsamkeit versetzt, wohi~ kein menschliches Wesen dringen kann, in eine unermeßliche Wüste, die nach keiner Seite hin begrenzt ist. Und dies ist ihr um so angenehmer, wohltuender und lieblicher,.je tiefer, weiter und einsamer sie ist. Da fühlt sich die Seele um so verborgener, je mehr sie sich erhaben sieht über jedes geschaffene Wesen. Und dieser Abgrund der Weisheit erhebt und bereichert die Seele in hohem Maße und setzt sie an die Quelle der Wissenschaft-der Liebe. Dadurch läßt er die Seele erkennen, wie tief die Geschöpfe stehen, wenn man das erhabene göttliche Erkennen und Empfinden in Betracht zieht, und bringt sie auch zur Einsicht, wie ungenügend, unzuläng- lich und so zu sagen ungeeignet alle Bezeichnungen und Worte sind, mit denen man in diesem Leben von göttlichen Dingen red~. Ebenso läßt er sie zur Überzeugung kom- men, daß es auf natürlichem Wege unmöglich sei, so er- haben und geistreich man auch davon zu reden vermag, zu erkennen und zu empfinden, wie diese göttlichen Dinge in sich sind, wenn es nicht durch die Erleuchtung dieser mystischen Gottesweisheit geschieht. Und weil die Seele durch ihre Erleuchtung zur Erkenntnis dieser Wahrheit gelangt, die man durch menschliche und gewöhnliche Ausdrucke nichtwieder~eben, noch weniger erklären kann, so nennt sie dieselbe mit Recht eine "verborgene". Diese Eigenschaft, daß sie verborgen ist und die natür- liche Fassungskraft übersteigt, hat die göttliche Beschau. 146 I 1I 1 1I I: t I
- 1
~:l . \1 '" I ~ r ~ j! i -- ung nicht bloß deshalb, weil sie natürlich ist, sondern auch weil sie als Führerin die Seele zu den Vollkommenheiten der Vereinigung mit Gott geleitet. Und da diese Dinge menschlicherweise nicht erkannt werden, so muß man zu ihnen durch menschliches Nichterkennen und durch gött- liches Nichtwissen gelangen, denn mystisch gesprochen, wie wir es hier tun, werden diese g-öttlichen Dinge und Vollkommenheiten nicht erkannt und verstanden, wie sie sind, wenn man sie erforschen und üben will, sondern erst, wenn man sie gefunden und geübt hat. In diesem Be- treff sagt der Prophet Baruch von der göttlichen Weisheit: Non est, qui possit scire rias ejus neque qui exquirat semitas ejus.l) "Niemand vermag die Wege zu ihr zu erkennen, noch die Pfade zu ihr zu erkunden." In gleicher Weise redet auch der königliche Prophet von diesem Weg der Seele, indem er zu Gott also spricht: llluxerunt corrusca- tiones tuae orbi terrae; commota est et contremuit terra; , in mari via tua et semitae tuae in aquis multis et vestigia tua non cognoscentur.2) "Hin zuckten deine Blitzstrahle durch den Erdkreis, die Erde bebte und erzitterte. Dein Weg ging durch das Meer und deine Pfade durch gewal- tige Wasser; doch deine Fußspur konnte man nicht sehen." Dies alles bezieht sich, geistigerweise gesprochen, auf das, wovon wir reden. Denn das Aufleuchten der Blitzstrahlen Gottes zur Erleuchtung des Erdkreises ist die Erleuchtung, welche die göttliche Beschauung in den Kräften der Seele bewirkt, das Beben und Erzittern der Erde ist die schmerz- liche Reinigung, die sie in ihr vollzieht. Und wenn es heißt, der Weg Gottes, 'auf welchem die Seele zu ihm ge- langt, gehe durch das Meer und seine Pfade durch gewal- tige Wasser, weswegen man sie nicht unterscheiden könne, so soll damit gesagt werden, daß dieser Weg, auf dem man 1) Baruch 5, 51. 2) Ps. 76, 19. 20. 10* 147 zu Gott gelangt, so verborgen und geheim für den sinn- lichen Teil der Seele ist, wie für den körperlichen Sinn ein Weg auf dem Meere, dessen Pfade und Fährte man nicht sehen kann. Diese Eigenschaften haben auch die Pfade und Fußtapfen, auf denen Gott in den Seelen wan- delt, die er zu sich führen und in der Vereinigung mit seiner Weisheit auszeichnen will. Sie sollen nicht erkannt werden. Darum werden auch im Buche Job, wo diese Hand- lungsweise gepriesen wird, folgende Worte angeführt: Numquid nosti semitas nubium magnas et perfectas scien- tias.l) "Kennst du qie weiten Wege der Wolken und hast du vollkommenes Wissen?" Darunter sind die Wege und Pfade zu verstehen, auf welchen Gott wandelt, um die Seelen zu verherrlichen und in seiner Weisheit zu ver- vollkommnen; sie werden hier mit dem Worte "Wolken" bezeichnet. Daraus folgt, daß diese Beschauung, welche die Seele zu Gott führt, eine verborgene Weisheit ist. § ~. 18. Ka pi tel. Erklärung, inwiefern diese verborgene Weisheit 'auch eine "Leiter" ist. Es erÜbrigt noch die Besprechung des zweiten Punktes, inwiefern nämlich die verborgene Weisheit auch eine "Leiter" ist. Und da ist es wissenswert, daß wir diese ver- borgene Beschau ung aus vielen Gründen eine Leiter nennen können. J. Wie man auf einer Leiter emporsteigt und in Festungen eindringt, um sich in den Besitz der Vorräte, Schätze und anderer Gegenstände zu setzen, ebenso steigt die Seele mittels dieser verborgenen Beschauung, ohne zu wissen wie, empo~, um zu den himmlischen Gütern und 1) Job 57, 16. 148 Schätzen zu gelangen, sie kennen zu lernen und sich die- selben zu erwerben. Dies gibt der königliche Prophet David deutlich zu verstehen wenn er sagt: Beatus vir, cujus est auxilium abs te; ascensiones in corde suo dispo- suit, in valle lacrimarum in loco, quem posuit. Etenim benedictionem dabit legislator, ibunt de virtutein virtutem, videbitur Deus Deorum in Sion. "Wohl dem, der seine Hilfe setzt auf dich, deß Sinnen darnach geht, durchs Tränental emporzusteigen hin zum gesetzten Ziel; der den Befehl gegeben, gibt auch seinen Segen; so steigen sie von Kraft zu Kraft, d. h. von einer Stufe zu anderen, bis sie auf Sion schauen den Gott der Götter, er selbst ist der Inbegriff dieser festen Burg Sion, nämlich der Seligkeit."1) z. Wir können diese verborgene Beschauung auch aus einem anderen Grunde eine "Leiter" nennen. Wie dieselben Sprossen einer Leiter zum Hinauf- und Herab- steigen dienen, ebenso erniedrigt diese verborgene Beschau- ung die Seele durch dieselben Gunstbezeugungen, die ihr zu teil geworden und sie emporgehoben zu Gott. Denn alle Gunstbezeugungen, die wirklich von Gott kommen, haben das Eigentümliche, daß sie die Seele sowohl ernie- drigen als auch erhöhen. Auf diesem Wege bedeutet eben das Erniedrigen ein Erhöhen und das Erhöhetwerden ein Emiedrigtwerden. "Denn wer sich erniedrigt, wird er- höht werden, und wer sich erhöht, wird erniedrigt werden." Qui se exaltat humiliabitur, et qui se humiliat, exalta- bitur.2) Abgesehen davon, daß diese Tugend der Demut etwas Erhabenes ist, läßt Gott die Seele zur Übung dit:ser Tugend an der Leiter hinaufsteigen, um sie zu erniedrigen und herabsteigen, um sie zu erhöhen, damit sich an ihr erfülle, was der weise Mann sagt: Antequam conteratur, exaltaturcor hominis; et antequam glorificatur,humiliatur. 1) Ps. 82, 6 ff. I) Luc. 14, 11. ,
! 1 "Das Herz des Menschen erhebt sich, bevor es ins Ver- .J 4 derben stürzt; und bevor er geehrt wird, wird er gedemütigt. 1) j Wenn man da auf natürliche Weise spricht und vom Geistigen, das man nicht wahrnimmt, ganz absieht, so kann die Seele, wenn sie darauf achten will, ganz deutlich '1 sehen, wie vielen Wechselfällen sie auf diesem Wegc unter- .; worfen ist und wie auf das Wohlergehen, dessen sie sich 1 erfreut, sogleich wieder StünDe und Bedrängnisse folgen, j so daß jenes Wohlergehen gleichsam nur als Vorbereitung und Stärkung für das kommende Elend gegeben zu sein scheint; und es folgt auch auf das Elend und die Wider- wärtigkeiten reichlicher Genuß und Wohlergehen. So kommt es der Seele vor, man habe ihr für jede Festes- feier ein Vigil oder Fasten verordnet. Und das ist die ge- wöhnliche Ordnung und Übung im Stande der Beschauung , Man bleibt nie auf einem Standpunkt, bis man zum Stande .der Ruhe gelangt, sondern steigt immer aufwärts und ab- wärts. Der Grund ist der: da der Stand der Vollkommen- heit in vollkommener Liebe Gottes und Verachtung seiner selbst besteht, so kann man ohne diese Zweiteilung, ohne Erkenntnis Gottes und seiner selbst, nicht sein. Die Seele muß notwendigerweise zuerst in dem einen und dann im anderen sich üben, sie muß bald das eine verkosten und dadurch erhöht werden, und dann wieder im anderen er- probt und gedemütigt werden. Und dies geschieht solange, bis sie die vollkommene Fertigkeit erreicht hat; dann hört das Auf- und Absteigen auf, nachdem sie an ihrem Ziel angelangt und sich mit Gott vereinigt hat, der auf der Spitze der Leiter steht, auf den die Leiter sich stützt und an den sie sich anlehnt. Diese Leiter der Beschauung, die, wie wir schon erwähnt, von Gott ausgeht, ist ange- }'~ deutet in jener Leiter, welche Jacob im Traume schaute, auf welcher die Engel auf- und abstiegen, herab zu den ~ 1) Sprichw. Iß, IZ. ~: 150 4:' i !! Menschen und hinauf zu Gott, der am obersten Ende die Leiter stützte.i) Dies alles geschah, wie die ill. Schrift be- richtet, bei Nacht, während Jacob schlief, um anzudeuten, wie verborgen und verschieden von jedem menschlichen Erkennen dieser Weg und dieses Aufsteigen zu Gott ist. Daraus ersieht man deutlich, daß der Mensch gewöhnlich dasjenige, was seiner Seele mehr Gewinn bringt, nämlich das Sichselbstverlieren und -zunichtemachen, geringer anschlägt, während er das Geringfügig~, nämlich das Empfinden von Trost und Genuß, wobei er gewöhnlich mehr verliert als gewinnt, für das bessere hält. Um nun mehr auf das Wesen und die Eigentümlich- keit dieser Leiter der verborgenen Beschauung einzugehen, wollen wir noch sagen: Die Haupteigentümlichkeit, wa- rum die Beschauunghiereine "Leiter" genannt wird, besteht darin, daß sie eine Wissenschaft der Liebe, ein einge- gossenes, liebendes Erkennen Gottes ist, das die Seele zu- gleich erleuchtet und mit Liebe entzündet, bis sie von Stufe zu Stufe aufsteigt zu Gott, ihrem Schöpfer. Denn die Liebe allein ist es, welche die Seele einigt und vereinigt mit Gott. Damit man dies klarer erkenne, wollen wir die Sprossen dieser Gottesleiter angeben, indem wir in Kürze die Kennzeichen und Wirkungen dieser Sprossen aufzählen. Daraus kann die Seele ersehen, auf welcher sie sich be- findet. Wir werden sie mit dem hl. Bernard und dem hl. Thomas2) nach ihren Wirkungen unterscheiden: da nämlich diese Leiter der Liebe, wie schon erwähnt, so verborgen ist, daß Gott allein sie messen und abwägen kann, so wäre es unmöglich, auf natürlichem Weg.e diese Sprossen zu erkennnen, wie sie in sich sind. 1) 1. Mos. 28, 12. 2) Ut dicit BenIardus. Magna res est amor, sed sunt in eo gradus. Loquendo ergo aliquantulum magis moraliter quam realiter, decem amoris gradus distinguere possumus. (D. Thomas De dilectione Dei et proximi c. XXVII.) 151 fC" ::" 1' } i i i 1 l§ 3. 0 19, Kapitel. 'C' Erklärung der 10 Sprossen dieser mystischen Leiter der Liebe Gottes nach der Lehre des hl. Bernard und des hI. Thomas. Die ersten fünf Sprossen. Es gibt, wie wir sagten, zehn SprQtSeD an dieser Leiter der Liebe, auf denen die Seele stufenweise zu Gott empor- steigt. Die erste Sprosse macht die Seele zu ihrem Heile krank. Auf dieser Sprosse der Liebe stand die Braut, als sie sprach: Adjuro vos, filiae Jerusalem, si inveneritis di- lectummeum, ut nuntietis ei, quia amore langueo.') "Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen J Geliebten findet, so kündet ihm, daß ich vor Liebe krank bin," Aber diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes. Denn in dieeer Krankheit stirbt die Seele der Sünde und allem ab, was nicht Gott ist, und zwar durch die Liebe Gottes selbst, wie David bezeugt, wenn er sagt: Defecit spiritus meus.Z) "Mein Geist schmachtet dahin",8) nämlich nach deinem Heile bezüg- lich aller Dinge. Wie nämlich der Kranke den Appetit und Geschmack an allen Dingen einbüßt und seine frühere Farbe verändert, so verliert auch die Seele auf dieser Sprosse der Liebe die Lust und den Geschmack an allen Dingen und ändert wie eine Liebende die Farbe und das Häßliche des vergangenen Lebens. Diese Krankheit beflillt die Seele nicht, wenn ihr nicht von oben ein Übermaß der Liebe zu teil wird, wie es durch den folgenden Yen Davids zum Ausdruck kommt, der also lautet: Pluviam voluntariam segregabis Deus haeredidati tuae et infirmata est, tu vero perfecisti eam. "Segen in Fülle sprengtest du, 0 Gott, auf i dein Erbe, und ward es entkräftet, stelltest du es wieder ! 1) Hohel. 5,8, 2) Ps. 142,7. 3) Ps. 118,81. 15~ her."l) Diese Krankheit und dieses Schwinden der Kräfte bezüglich aller Dinge, worin der Anfang und die erste Sprosse beim Aufstieg zu Gott besteht, haben wir oben schon zur Genüge erklärt, als wir von der vollständigen Vernichtung sprachen, in welcher sich die Seele bei Beginn des Besteigens dieser Leiter der reinigenden Beschauung erblickt. Da kann sie nämlich an keiner Sache eine Stütze, einen Geschmack, Trost und Ruhe finden, Deshalb be- ginnt sie von dieser Sprosse aus sogleich die zweite zu besteigen. Die zweite Sprosse läßt die Seele ohne UnterlaB Gott suchen. Wenn darum die Braut sagt, sie habe ihn des Nachts im Bette, in welchem sie auf der ersten Sprosse der Liebe ohnmächtig darniederlag, gesucht und nicht gefunden,'so fügt sie bei: Surgam et quaeram, quem diligit anima mea. 2) "Ich will aufstehen und ihn suchen, den meine Seele lieb hat." Und dies tut die Seele, wie schon erwähnt, ohne Unterlaß, wie auch David dazu auffordert, wenn er sagt: Quaerite Dominum, quaerite faciem ejus semper.8) "Suchet beständig das Angesicht Gottes, suchet es in allen Dingen" und ruhet nicht, bis ihr ihn findet, wie die Braut, die bei den Wächtern nach ihm fragte, und dann schnell vorüber- ging und sie stehen ließ. So handelte Maria Magdalena, die sich nicht einmal um die Engel am Grabe kümmerte.') Auf dieser Sprosse fühlt sich die Seele so liebestrunken, daß sie in allen Dingen den Geliebten sucht, und bei allem, was sie denkt, ihre Gedanken gleich auf den Geliebten richtet. Bei allem, was sie spricht, und bei allen Gesch.n, die sich ihr aufdrängen, spricht und handelt sie vom "Ge- liebten. Sie mag essen oder schlafen oder wachen oder was immer tun, ihre ganze Sorge dreht sich um den Geliebten, 1) Ps. 67, 10. 2) Hohel. 5, 2. 3) Ps. 104, 4, ') Joh. 20, 14. 153
wie wir es oben vom Sehnsuchtsdrang der Liebe dargelegt
haben. Jetzt, da die Liebe wieder gesundet und neue Kraft
gewinnt in der Liebe der zweiten SprQsse, beginnt sie so-
gleich mittels einer neuen Stufe der reinigenden Nacht die
dritte Stufe zu besteigen, welche, wie wir nun erklären
werden, folgende Wirkungen hervorbringt.
Die dritte Sprosse der Liebesleiter setzt die Seele in
Tätigkeit und erfüllt sie mit Eifer, um nicht zu ermüden.
Davon spricht der königliche Prophet, wenn er sagt: Beatus
vir, qui timet Dominum, in mandatis ejus volet nimis.l)
"Dem Manne Heil, der den Herrn fürchtet und Freude
hat an dessen Satzung." Wenn nun schon die Furcht, die
Tochter der Liebe, ein solch wirksames Verlangen her-
vorruft, was wird erst die Liebe selbst zu Wege bringen?
Auf dieser Sprosse achtet die Seele die heroischen Werke,
die sie um des Geliebten willen vollbracht, für gering, die
große Zahl ihrer Werke sind in ihren Augen nur wenige,
und die lange Zeit, die sie auf den Dienst Gottes verwen-
det hat, ko~mt ihr infolge der in ihr brennenden Glut :
des Feuers der Liebe kurz vor. So erschienen dem Jacob ;
! die sieben Jahre, die er nach Ablauf von weiteren sieben
,
i Jahren noch zu dienen hatte, ob der Größe seiner Liebe
wie wenige Tage.2) Wenn nun die Liebe, die doch nur
einem Geschöpfe galt, in Jacob soviel vermochte, was wird
ecit die Liebe zum Schöpfer zustandebringen, wenn sie sich
einmal auf dieser dritten Sprosse der Seele bemächtigt hat!
In ihrer großen Liebe zu Gott achtet hier die Seele die
größten Betrübnidse und Schmerzen, die sie um Gottes
willen erduldet, für gering, und es wäre, wenn sie dürfte,
ihr einziger Trost, sich tausendmal für ihn hinzugeben.
Darum hält sie sich bei allem, was sie tut, für ein unnützes
Geschöpf und meint, ihre Liebe sei nur Müßiggang. Dar-
1) Ps. 111. 1.
2) I. Mos. 29, 20.
154
,
11
1I "
j
aus entspringt eiIieandere bewunderungswürdige Wirkung,
nämlich die feste Überzeugung, daß sie weit schlechter sei
als alle anderen Seelen. Und dies vor allem aus dem Grunde,
weil die Liebe sie immer mehr zur Einsicht bringt, was
sie Gott schuldig ist, und dann, weil sie die vielen Werke,
die sie in diesem Stande für Gott vollbringt, als fehlerhaft
und unvollkommen erkennt. Sie alle verursachen ihr nur
Beschämung und Pein, weil sie einsieht, wie verächtlich
ihre Handlungsweise diesem erhabenen Herrn gegenüber
sich gestaltet. Auf dieser dritten Sprosse liegt der Seele
nichts ferner als eitle Ehrsucht, Anmaßung und Verur-
teilung anderer. Diese liebende Besorgnis nebst vielen an-
deren gleichartigen Wirkungen bringt diese dritte Stufe
der Liebe in der Seele hervor, und so erwirbt sich die-
selbe Mut und Kraft, um bis zur folgenden vierten Sprosse
emporzusteigen.
Die vierte Sprosse dieser Leiter der Liebe verursacht
in der Seel,e ein beständig andauerndes Leiden um des
Geliebten willen. Denn nach den Worten des hl. Augustin 1)
macht die Liebe alles Große und Schwere und Lästige
leicht, so daß es der Seele fast wie nichts vorkommt. Auf
dieser Stufe stehend sprach die Braut in ihrem Verlangen,
sich schon auf dei' obersten zu sehen, zum Bräutigam: Pone
me ut signaculum super cor tuum, ut signaculum super
brachium tuum, quia fortis est ut mors dilectio, dura sicut
infernus aemulatio.2) "Setze mich wie ein Siegel an dein
Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn stark wie der
Tod ist deine Liebe, d. h. die Tätigkeit und Wirksamkeit
der Liebe und unerbittlich wie das Totenreich ihr un-
widerstehlicher Eifer.".In diesem Stande gewinnt der Geist
so an Kraft, daß er das Fleisch in voller Unterwürfigkeit
1) Omnia enim saeva et immania prorsus facilia et prope
nulla effecit amor. S. Aug. S. IX. de verbis Dom. in Ev. secund.
Math. in fine.
2) Hohel. 8, 6.
155
""
erhält und es für so gering achtet wie der Baum eines
seiner Blätter. Die Seele sucht hier in keiner Weise Trost
und Genuß weder in Gott noch anderswo und hat weder
einen Wunsch noch ein Verlangen, sich von Gott Gnaden
zu erbitten, weil sie klar einsieht, daß sie dieselben schon
in großer Zahl empfangen; ihre ganze Sorgfalt geht dahin,
Gott zu gefallen und ihm wenigstens in etwa zu dienen,
wie er es würdig ist und wie sie es ihm schuldet für das,
was sie von ihm empfangen, obgleich auch dies wieder
auf seine Kosten geht. Sie spricht mit Herz und Geist: 0
mein Gott und Herr, wie viele gibt es nicht, die nur in
dir ihren Trost und Genuß suchen und von dir Gnaden
und Wohltaten verlangen I Und wie wenige finden sich,
die dir zu gefallen und dir auf eigene Kosten mit Hint-
ansetzung ihrer persönlichen Wünsche etwas zu geben ver-
langen I Du hast, 0 Gott, den Willen, uns immer neue
Wohltaten zu gewähren, aber wir unterlassen es, die
empfangenen zu deinem Dienste zu verwenden, um dich
zu bestimmen, uns dieselben beständig zu erweisen. Sehr
erhaben ist diese Stufe der Liebe. Da nämlich die Seele in
diesem Stande beständig in aufrichtiger Liebe und mit
dem Geiste für ihn zu leiden, zu Gott hingezogen wird,
so verleiht ihr Seine Majestät sehr oft und gewöhnlich den
Genuß eines freude" und wonnevollen Besuches im Geiste.
Denn die unendliche Liebe des Wortes, Jesu Christi, kann
die ihn liebende Seele nicht leiden lassen, ohne ihr zu
Hilfe zu kommen. Das versichert er selbst bei Jeremias
mit den Worten: Recordatus sum tui, miserans adolescen-
tiam tuam ...quando secuta es me in deserto.l) "Ich habe
deiner gedacht, mich deiner zarten Jugend erbarmend. ..
als du mir folgtest durch die Wüste." Im geistigen Sinne
wird hier unter Wüste die innere Losschälung der Seele
von jedem Geschöpfe verstanden, wo sie keine Anhänglich-
1) Jer. 2, 2.
156
.
keit mehr besitzt und in nichts mehr ihre Ruhe sucht.
Diese vierte Sprosse entflammt und entzündet die Seele
mit einer solchen Sehnsucht nach Gott, daß sie ihr zur
folgenden fünften Sprosse hinaufsteigen hilft.
Die fünfte Sprosse dieser Liebesleiter verursacht in
der Seele ein ungeduldiges Streben und Verlangen nach
Gott. Auf dieser Stufe ist die Sehnsucht der liebenden Seele
nach dem Besitz des Geliebten und nach der Vereinigung
mit ihm so heftig, daß sie jede, auch die kleinste Verzöge-
rung für äußerst lang, lästig und beschwerlich hält, und
nur in dem Gedanken lebt, wie sie den Geliebten finden
könne. Sieht sie sich in diesem Wunsche getäuscht, was
fast jeden Augenblick geschieht, so schmachtet sie vor
Sehnsucht dahin gemäß den Worten, deren sich der Psal-
mist auf dieser Stufe bedient: concupuscit et deficit anima
lJ1ea in atria Domini, 1) "Es sehnt sich und es schmachtet
dahin meine Seele nach den Hallen des Herrn." Auf dieser
Sprosse muß die liebende Seele entweder in den Besitz des
Geliebten gelangen oder sterben gemäß jener Worte, die
Rachel in ihrer übergroßen Sehnsucht nach Kindern zu
ihrem Manne Jacob sprach: Da mihi liberos, alioquin .
moriar. "Gib mir Kinder, sonst sterbe ich."2) Die Seelen
leiden in diesem Stande Hunger wie die Hund~ und um-.
geben und umringen die Stadt Gottes. Vor Hunger
schmachtend nährt sich die Seele auf dieser Stufe von der
Liebe. Und wie der Hunger, so ist auch die Sättigung,
und sO können wir zur sechsten Sprosse übergehen, welche
folgende Wirkungen hervorbringt.
§ 4.
20. Kapitel.
Die fünf übrigen Sprossen der Liebe.
Die sechste Sprosse bewirkt, daß die Seele schnell
Gott entgegen eilt und dessen Nähe oft fühlbar wahr-
1) Ps. 85, 5.
I) 1. Mor. 5°, 1.
157
,
nimmt. Ohne müde zu werden läuft die Hoffnung ihm
entgegen, welche durch die Liebe gekräftigt, schnell zum
Fluge angetrieben wird. Von dieser Sprosse spricht auch
Isaias mit den Worten: Qui autem sperant in Domino,
mutabunt fortitudinen, assument pennas sicut aquilae,
current et non laborabunt, ambulabunt et non deficient.
"Die aber auf den Herrn hoffen, erneuern ihre Kraft,
heben ihre Schwingen gleich Adlern, laufen und werden
nicht ~üde, schreiten voran und werden nicht matt," 1)
wie jene handeln, die sich auf dieser fünften Sprosse be-
finden. Auf diese Stufe bezieht sich auch jene Stelle des
41. Psalmes: Quemadmodum desiderat cervus ad fontes
aquarum, ita desiderat anima mea ad te Deus. "Gleich-
wie der Hirs~h lechzt nach dem kühlen Quell, so lechzt
meine Seele nach dir, 0 Gott."2) Denn der dürstende Hirsch
eilt äußerst schnell zum Wasserquell. Die Ursache dieser
Hehendigkeit der Liebe, welche die Seele auf-dieser Sprosse
erlangt, besteht darin, daß die Liebe in ihr sich sehr er-
weitert hat und ihre Reinigung von allen Dingen fast
vollkommen vollzogen ist, wie es auch im Psalme heißt:
Sine iniquitate cucurri. "Ohne Fehl wandle ich auf dem
rechten Weg." 8) Und in einem anderen Psalme steht ge-
schrieben: Viam mandatorum cucurri, cum dilatasti cor
meum. "Den Weg deiner Satzungen bin ich gelaufen,
denn du hast weit gemacht mein Herz."') Und so gelangt
die Seele von dieser sechsten Sprosse alsbald zur siebenten.
Die siebente Sprosse macht die Seele überaus beherzt.
Auf dieser Stufe läßt sich die Liebe nicht mehr von einer
Meinung leiten, um abzuwarten, sie nimmt auch keinen
Rat mehr an, um abzulassen, noch vermag sie durch Be-
schämung zurückgehalten werden. Denn die Gnade, die
I) Js. 4°, 51.
2) Ps. 41, 1.
a) Ps. 58, 5.
,) Ps. 118,52.
158
"
"
Gott in diesem Stande der Seele verleiht, macht sie über-
aus beherzt. Daraus folgt, was der Apostel sagt: "Die Liebe
glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles."1) Von dieser
Stufe spricht auch Moses, als er zu Gott redete, er möge
dem Volke verzeihen, und wenn nicht, ihn aus dem Buche
des Lebens tilgen, das er geschrieben.!) Solche Seelen er-
langen von Gott, um was sie ihn in ihrer Herzensfreude
bitten. Darum sprach David: "Habe Freude am Herrn,
er wird dir geben, was dein Herz begehrt. "B) Delectare in
Domino: et dabit tibi petitiones cordis tui. Auf dieser
Sprosse faßte die Braut den Mut und sagte: Osculetur me
osculo oris sui. "Er küsse mich mit dem Kusse seines
Mundes."4) Hier muß man wohl beachten, daß die Seele
auf dieser Stufe aus sich so etwas nie wagen dürfte, wenn
sie nicht die innere Gnade "vom Scepter des Königs ihr
.zugewendet" erfahren hätte; denn sonst fiele sie von den
übrigen Sprossen herab, die sie bisher bestiegen, und auf
denen sie sich immer nur durch Demut erhalten kann.
Aus der Kühnheit und Freiheit, die Gott der Seele auf
der siebenten Sprosse verliehen hat, um mit der ganzen
Kraft der Liebe ohne Furcht mit Gott zu verkehren, folgt
die achte, welche der Seele den Besitz des Geliebten und
die Vereinigung mit ihm verschafft.
Die achte Sprosse der Liebe bewirkt, daß die Seele
in. den Besitz des Geliebten gelangt und ihn festhält, ohne
von ihm zu lassen nach den Worten der Braut: Inveni,
quem diligit anima mea; tenui eum nec dimittam. "Ich
habe ihn gefunden, den meine Seele lieb hat; ich halte
ihn fest und will ihn nicht mehr loslassen. "6) Auf dieser Stufe
der Vereinigung wird die Sehnsucht der Seele gestillt, aber
1) 1. Kor. 15,7.
t) 2. Mos., 52, 51, 52.
s) Ps. 56, 40.
i) Hohel. 1, 1.
6) Hohel. 40, 5.
159
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1
J
.1
j
mit Unterbrechung; manche Seelen gelangen zwar für
kurze Zeit zur Vereinigung, aber alsbald werden sie wieder
abgezogen; denn wäre es nicht so und könnten sie auf dieser
Stufe länger verweilen, so .gelangten sie schon in diesem
Leben zu einer gewissen Art von Glorie. Dem Propheten
Daniel, der ein Mann des Verlangens war, wurde von Gott
selbst befohlen, auf dieser Stufe zu bleiben mit den Worten:
"Bleib auf deiner Stufe, weil du ein Mann des Verlangens
bist."l) Auf diese Sprosse folgt die neunte, auf der sich,
I wie wi~ nun erklären werden, ~ie Vol.~ko~enen befinden.
I Die neunte Sprosse der LIebe läßt die Seele vor Ent-
r zücken entbrennen. Es ist das die Stufe der Vollkommenen,
1 die schon in süßer Liebe zu Gott entbrennen. Dieses süße
1 und wonnevolle Entbrennen der Liebe bewirkt der Heil.
Geist kraft der Vereinigung, in der sie mit Gott verbunden
sind. Darum sagt der hl. Gregor2) von den Aposteln, daß .
..sie, als der HI. Geist in sichtbarer Gestalt über sie herab-
kam, innerlich in süßer Liebe entbrannten. Die Gnaden-
schätze und Reichtümer Gottes, zu deren Genuß die Seele
auf dieser Sprosse erhoben wird, können nicht mit Worten
ausgedrückt werden. Würde man auch viele Bücher dar-
I über schreiben, so bliebe doch das meiste noch zu sagen.
" Aus diesem Grunde und weil wir später noch einiges dar-
l
jüber zu sprechen haben, will ich von dieser Sprosse weiter
t nichts sagen, als.daß auf si~ die zehnte ~nd letzte ~prosse der
, "erborgenen LeIter der LIebe folgt, dIe schon rocht mehr
diesem Leben angehört.
Die zehnte und letzte Sprosse an der verborgenen
Leiter der Liebe macht die Seele Gott vollkommen ähnlich
kraft der klaren Anschauung Gottes, in deren Besitz sie
sogleich und unmittelbar gelangt, wenn sie den Leib ver-
1) Dan. 10,11.
I) Dum Deum in ignis visione suscipiunt, per amorem sua-
viter arserunt. Horn. XXX. in Evang.
- 160
~ t l läßt, nachdem sie in diesem Leben auf der neunten Sprosse angekommen. Diese Seelen, deren Zahl nur gering ist, bleiben vom Fegfeuer verschont, da sie schon durch die Liebe vollkommen gereinigt sind. Darum heißt es bei Mathäus: Beati mundo corde, quoniamipsi deum videbunt. , "Selig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott an- schauen",') Diese Anschauung ist, wie schon erwähnt, die Ursache der vollkommenen .Ähnlichkeit mit Gott, wie auch der hl. Johannes bemerkt: Scimus, quoniam eum appe- ruerit, similes ei erimus, quoniam videbimus cum sicuti est. "Wir wissen, daß wir ihm ähnlich sein werden".2) Nicht weil die Seele alles so umfaßt wie Gott; denn das ist un- möglich, sondern weil alles, was die Seele ist, Gott ähnlich sein wird. Deshalb wird man sie nennen und wird sie göttlich sein durch Teilnahme. Dies ist die verborgene Leiter, von der die Seele hier spricht, wenn sie ihr auch in den oberen Sprossen nicht mehr so verborgen erscheint, da ihr die Liebe durch die erhabenen Wirkungen, die sie in ihr hervorbringt, vieles enthüllt, Aber auf dieser obersten Stufe der klaren Anschauung, welche die letzte Sprosse der Leiter ist, an der, wie schon erwähnt, Gott steht, gibt es für die Seele wegen ihrer vollen Ähnlichkeit mit ihm nichts Verhülltes mehr. Darum sagt auch unser Heiland: Et in illo die me non regabitis quidquam. "An jenem Tage werdet ihr mich um nichts mehr bitten."8) Aber bis zu diesem Tage bleibt der Seele, wenn sie auch noch so weit vorwärts schreitet, immer noch soviel verhüllt, als ihr von der vollen .Ähnlichkeit mit Gottes Wesen mangelt. Auf diese Weise erhebt sich die Seele durch die mystische Gottesweis- heit und diese geheimnisvolle Liebe über alle Dinge und über sich selbst und steigt empor zu Gott. Denn die Liebe gleicht dem Feuer, das immer nach oben züngelt mit dem Bestreben, sich in das Zentrum seiner Sphäre einzusenken, 1) Math. 5, 8. I) 1. Joh, 5, 2. 8) Joh. ,6, 25. 11 161 J § 5. Sl.l. Kapitel. Erklärung des Wortes "verkleidet". Welches sind die Farben der Verkleidung in dieser Nacht? Nachdem wir nun die Ursachen besprQchen haben, warum die Seele diese Beschauungeine" verborgene Leiter" nennt, erübrigt noch die Erklärung des dritten Wortes "verkleidet" und die Angabe des Grundes, warum die Seele sagt, sie sei auf dieser verborgenen Leiter "verklemet" entwichen. Zum Verständnis des G~nzen möchten wir darauf r hinweisen, daß "sich verkleid~n" nichts anderes heißt, als sich anders gestalten und sein eigenes Kleid und seine eigene Gestalt unter einer anderen verbergen; dies hat den Zweck, jemanden, den man liebt, in dieser Gesta!t und in diesem Kleide seine Liebe und Zuneigung nach .ußen i zu offenbaren und dadurch seine Gunst und sein Wohl- wollen sich zu erwerben, oder aber von seinen Wider- sachern sich zu verbergen, um so sein Vorhaben besser ausführen zu können. Und da nimmt man imm,r jene Form und Farbe in der Kleidung, die mehr die Neigung i des Herzens zum Ausdruck bringt und offenbart oder wo- \' I durch man sich vor seinen Gegnern leichter verbergen , i i kann. Die Seele nun, die in diesem St~de von Liebe zu " Christus, ihrem Bräutigam, entzündet ist, bei dem sie in Gnaden kommen und dessen Wohlgefallen sie gewinnen will, hüllt sich bei ihrem Entweichen in jene Kleidung. welche die Neigungen ihres Geistes am deutlichsten zum Ausdruck bringen und in we~chen sie ihren Widersachern und Feinden, dem Teufel, der Welt und dem Fleische gegenüber am sichersten wandeln kann. Darum hat die Kleidung, die sie trägt, vor allem drei Hauptfarben: nämlich weiß, grün und rot. Durch diese Farben werden die drei gött- 16Sl. '1 . lichen Tugenden, Glaube Hoffnung und Liebe bezeichnet. Durch diese Tugenden erwirbt sich die Seele nicht bloß die Gunst und das Wohlgefallen ihres Geliebten, sie wandelt auch vollkommen geschützt und gesichert vor ihren drei Feinden. Denn der Glaube ist ein weißes Unterkleid von so blendendem Glanze, daß er das Sehvermögen eines jeden Verstandes ablenkt. Wandelt also die Seele im Gewande des Glaubens, so sieht sie weder der Teufel noch wagt er es, sie anzufallen. Im Glauben hat sie einen weit besse- ren Schutz als an den übrigen Tugenden dem Teufel gegenüber, der ihr stärkster und listigster Gegner ist. Da- rum kannte der hl. Petrus gegen die Nachstellungen des Teufels keinen besseren Schutz als den Glauben, wenn er sagt: Cui resistite fortes in fide. "Widersteht ihm stand- haft im Glauben".i) Um aber das Wohlgefallen und die Vereinigung mit dem Geliebten sich zu erwerben, kann die Seele kein besseres Gewand und Unterkleid als anfäng- liche Grundlage für die übrigen Tugenden anziehen als das blendend weiße Gewand des Glaubens; denn "ohne den Glauben," sagt der Apostel, "ist es unmöglich Gott zu ge- fallen. "2) Mit dem Glauben aber, wenn er lebendig ist, muß sie bei ihm Gefallen finden, weshalb er selbst durch den Mund des Propheten spricht: Sponsabo te mihi in fide. "Ich will mich mit dir vermählen i~ Glauben"oB) Mit anderen Worten: wenn du, 0 Seele, dich mit mir ver- einigen und vermählen willst, mußt du mit dem inneren Kleid des Glaubens angetan zu mir kommen. Diesen blendend weißen Glanz des Glaubens trägt die Seele bei ihrem Entweichen aus dieser dunklen Nacht, wenn sie, wie oben erwähnt, in den Finsternissen und inneren Bedrängnissen wandelt. Der Verstand verschafft ihr keine lichtvolle Erquickung mehr weder durch über- 1) 1. Petri 5, 9. ~Hebr.11,6. 8) Oseas 2, 20. 11' 163 . jf I I natürliche Erleuchtung, da ihr der Himmel verschlossen I und Gott verborgen zu sein scheint, noch durch natürliche, 1.' da sie jene, die sie belehren, nicht mehr befriedigen; sie 1 aber duldet standh8.ft und harrt aus und wandelt durch die Trübsale hindurch ohne zu ermüden und das Ver- trauen auf den Geliebten zu verlieren. Dieser prüft in den Trübsalen und Bedrängnissen den Glauben der Braut, so daß sie denn in Wahrheit jenes Wort Davids zu dem ihrigen machen kann: Propter verba labiorum tuorum ego custodivi rias dural. ,,\Jm der Worte deiner Lippen willen hielt ich auf hartem Wege standhaft aus."I) Über dem weißen Unterkleid des Glaubens zieht die Seele also gleich die zweite Farbe an, nämlich ein grünes Kleid, wodurch wie schon erwähnt die Tugend der Hoff- nung bezeichnet wird. In Kraft dieser Tugend verwahrt und schützt sich die Seele vorerst vor dem zweiten Feind, der Welt. Denn dieses frische Grün der lebendigen Hoff- nung auf Gott verschafft der Seele eine solch lebensprühende Kraft und Kühnheit, sie wird so mächtig zu den Gütern des ewigen Lebens emporgetragen, daß ihr im Verhältnis zu dem, was sie hofft, alte Dinge dieser Welt geschmack- los, öde, leblos und ~ertlos vorkommen, wie sie auch in der Tat wirklich sind. JIier entblößt und entledigt $ich die Seele all dieser weltlichen Gewande und Kleider, sie hängt ihr Herz an nichts mehr und hofft nichts von dem, was in der Welt ist noch sein wird, und lebt einzig mit der Hoffnung auf das ewige Leben bekleidet dahin. Da tie ihr Herz so hoch über die Erde erhoben, so kann diese sie nicht mehr berühren und festhalten, ja nicht einmal mit Blicken verachten. Und so wandelt die Seele in dieser grünen Tracht und Gewandung wohlverwahrt vor dem zweiten Feinde, der Welt. Denn die Hoffnung nennt der hl. Paulus einen Helm des Heiles, der eine Waffe ist,2) die 1) Ps. 16,4. 2) 1. Thess. 5, 8. I 164- . das ganze Haupt beschützt und derart verbirgt, daß bis auf das Visier, durch das man sehen kann, alles verhüllt ist. Und dies ist auch der Hoffnung eigen, die alle Sinne des Hauptes der Seele derart verhüllt, daß sie sich in nichts Irdisches vertiefen können und keine Stelle offen bleibt, an der sie durch einen Pfeil der Welt verwundet werden könnte. Es bleibt nur ein Visier, durch das die Augen sich nach oben erheben, sonst aber nichts sehen können. Und darin besteht die eigentliche Aufgabe der Hoffnung, die Augen der Seele einzig auf die Beschauung des Herrn zu richten, wie es David machte, als er sprach: Oculi mei semper ad Dominum. "Stets sind meine Augen auf den Herrn gerichtet." 1) Er hofft nämlich anderswoher kein Heil, wie er in einem anderen Psalme sagt: "Wie der Sklavin Augen auf die Hand der Herrin, so blicken unsere Augen hin auf den Herrn unsem Gott (auf den wir hoffen), bis er sich unser erbarmt."2) In dieser grünen Tracht, in der sie allezeit auf Gott schaut, ihre Augen auf nichts anderes richtet und außer an ihm an nichts Gefallen findet, ist die Seele dem Ge- liebten so wohlgeflillig, daß man in Wahrheit sagen kann, sie erlange von ihm so viel, als sie hofft. Deshalb sprach der Bräutigam im hohen Liede zu ihr, daß sie mit dem Blicke eines Auges sein Herz verwundet habe.8) Ohne diese grüne Tracht der Hoffnung auf Gott kann die Seele sich nicht um eine solche Liebe bewerben; sie würde nichts erreichen, da Gott nur die zuversichtliche Hoffnung bewegt und überwältigt. In diese Gewandung der Hoffnung verkleidet wandelt die Seele, wie schon erwähnt, durch diese verborgene und dunkle Nacht. Da schreitet sie so ganz besitz- und hilflos dahin, daß sie ihre Augen und ihre Gedanken auf nichts 1) Ps. 2+, 15. S) Ps. 122, 2. 8) Hohel, +, 9. 165 ~~ .,. anderes richtet als auf Gott, indem sie ihren Mund in den Staub drÜckt, ob sie etwa noch Hoffnung haben werde; wir haben diese Worte des Jeremias oben schon angeführt. I) Über dieses weiße und grüne Kleid zieht die Seele gleichsam als Krönung und Vollendung der ganzen Klei- dung und Gewandung die dritte F'arbe an, nämlich die prachtvolle hochrote Toga. Damit wird die dritte Tugend, die Liebe, angedeutet, die nicht llur den zwei anderen Tugenden Anmut verleiht, sondern auch die Seele zu solcher Vollkommenheit erhebt und sie so schön undliebens- würdig vor Gott macht, daß sie es wagen darf von sich zu sagen: Nigra sum, sed formosa, filire Jerusalem; ideo dilexit .me Rex et introduxit me in cubiculum suum. "Schwarz bin ich, doch schön, ihr Töchter Jerusalems, darum hat mich der König geliebt und mich eingeführt in sein Ge- mach."2) Durch diese Gewandung der hingebenden Liebe wird die Seele beschützt und verborgen vor dem dritten Feinde, dem Fleische. Denn wo die Liebe zu Gott herrscht, da hat die Liebe zu sich selbst und zu den Seinigen keinen Zutritt mehr. Diese Liebe aber stärkt überdies auch die anderen Tugenden, gibt ihnen Leben und Kraft zum Schutze der Seele, verleiht ihnen Anmut und Liebreiz, um mit ihnen dem Geliebten zu gefallen. Denn ohne die heilige Liebe ist keine Tugend Gott angenehm. Diese Liebe ist, wie es im hohen Liede heißt, der Purpur mit der Lehne, auf dem Gott ruht.8) In diese hochrote Tracht gekleidet wandelt die Seele, wenn sie, wie oben in der ersten Strophe erklärt wurde, in der dunklen Nacht, von sich und allen Geschöpfen ausgeht, und steigt vom Sehnsuchtsdrang in Liebe entflammt auf dieser verborge- nen Leiter der Beschauung empor Zur vollkommenen Liebesvereinigung mit Gott, ihrer beseligenden Liebe. I) Klagel. 5, 29. 2) Hohel. "", 9. 3) Hohel. 3, 10. 166 ~:, " , .. ~~;'i"\~';! Ci Dies ist die' Verkleidung, welche die Seele, wie sie sagt, in der Nacht des Glaubens auf jener verborgenen Leiter getragen, und das sind die drei Fa,rben derselben als geeignetste Zubereitung für die Vereinigung der Seele mit Gott bezüglich ihrer drei Vermögen Gedächtnis, Ver- stand und Wille. Der Glaube macht den Verstand leer und blind bezüglich aller natürlichen Erkenntnis und bereitet ihn dadurch zu für die Vereinigung mit der gött- lichen Weisheit. Di~ Hoffnung entleer1; und trennt das Ge- dächtnis von allem Besitz der geschaffenen Dinge j denn die Hoffnung bezieht sich, wie der hl. Paulus sagt, auf das, was man nicht besitzt. Spes autem, quae videtur, non est spes.l) Und so trennt die Hoffnung das Gedächtnis von dem, was ~s in diesem Leben besitzen kann, und setzt es in den Besitz dessen, was es hofft. Darurn bereitet die Hoffnung auf Gott allein das Gedächtnis nach dem Maße der in ihm bewirkten Entleerung zu, um rein zu sein für die Ver- einigung mit ihm. Auf gleiche Weise ertötet die Liebe alle Neigungen und Gelüste des Willens nach allen Dingen, die nicht Gott sind, und richtet sie alle auf Gott allein. So bereitet diese Tugend das dritte Seelen vermögen zu und vereinigt es mit Gott in Liebe. Weil nun diese Tugenden die Aufgabe haben, alles von d~r Seele zu entfernen, was unter Gott steht, so bewirken sie infolgedessen auch ihre Vereinigung mit ihm. Und so kann die Seele, wenn sie nicht in Wahrheit im Gewande dieser drei Tugenden ein- hergeht, unmöglich zur vollko~menen Liebe Gottes ge- langen. Will also die Seele erreiche~, was sie erstrebt, jene wonne- und freudenvolle Vereinigung mit dem Geliebten, so muß sie notwendig diese Gewandung und Verkleidung ~ anziehen. Es ist darilm ein großes Glück für die Seele, eine solche Kleidung sich erworben zu haben und in derselben zu bleiben, bis sie das erstrebte und ersehnte Z\el, die I) Röm. 8, 2+. 167 Liebesvereinigung, erreicht hat, weshalb sie sogleich den folgenden Vers singt: ,,0 du glückselig Los." Q,Q,. Kapitel. Erklärung des dritten Verses der zweiten Strophe. I Es ist wohl klar, daß es ein beseligendes Los für die Seele ist, ein so schwieriges Werk in Ausführung zu brin- gen, wodurch sie sich, wie schon erwähnt, frei machte vom Teufel, von der Welt und ihrer eigenen Sinnlichkeit. Da gewann sie die kostbare, von allen ersehnte Freiheit des Geistes, stieg vom Niedrigen zum Erhabenen und wurde aus einer irdischen eine himmlische, aus einer mensch- lichen eine göttliche Seele und gelangte dahin, daß ihr Wandel im Himmel war, wie es bei jenen der Fall ist, die bereits im Stande der Vollkommenheit leben. Wir werden davon noch sprechen, wenn auch in kürzerer Form. Denn das wichtigste,. weswegen ich diese Aufgabe hauptsächlich I' auf mich genommen habe, ist schon halbwegs erklärt. Ich i hatte, wie ich schon in der Vorrede gesagt, keinen ande- ~ ren Zweck im Auge als diese Nacht so manchen Seelen zu li erklären, die auf ihrem Wandel durch dieselbe kein rich- 'I tiges Verständnis davon haben. Überdies habe ich ihnen. ~ wenn auch lange nicht in der Form, wie es sein sollte, 1 jil dargelegt, welche großen Gnadengüter diese Nacht der J il Seele verschafft und wie beseligend das Los für jene ist, die dieselbe durchwandeIn, damit sie, wenn sie etwa er- schreckt vor diesen Trübsalen zurückschaudern würden. sich ermutigen mit der sicheren Hoffnung auf so große und erhabene göttliche Güter, wie sie in dieser Nacht ge- wonnen werden, Außerdem war das Entweichen aus dieser Nacht noch ein glückselig Los für die Seele, aus den nun im folgenden Verse angegebenen Gründen. ,.Im Dunkel ganz, in aller Heimlichkeit." 168 f. ...;~~- .~,Oswald (Diskussion)\~..'~.Oswald (Diskussion) "'.CC:':!, '~':;';:":;";.:~'i " ~3. Kapitel. Erklärung des vierten Verses. Beschreibung des wunderbaren Versteckes, in das sich die Seele in dieser Nacht versetzt sieht, und wie der Teufel. wenn er auch zu anderen, sehr erhabenen Verstecken Zu- tritt hat, in dieses nicht gelangen kann. In aller Heimlichkeit bedeutet hier soviel als in Ver- borgenheit und Verhüllung. Und wenn die Seele sagt, sie sei im Dunkel ganz "in aller Heimlichkeit" entwichen. so will sie so klar als möglich die große Sicherheit zum Ausdruck bringen, von der sie im ersten Vers dieser Strophe geredet und die sie mittels dieser dunklen Beschauung auf dem Wege der Liebesvereinigung mit Gott sich er- worben hat. Wenn nun die Seele sagt, "im Dunkel ganz, in aller Heimlichkeit" so bedeutet das nichts anderes, als daß sie dem Teufel und seinen arglistigen Plänen und Nachstel- lungen gegenüber verhüllt und Terborgen ist, eben weil sie in genannter Weise im Dunkel gewandelt. Der Grund. warum die Seele in der Dunkelheit dieser Beschauung frei und beschützt vor den Nachstellungen des Teufels gewandelt. besteht darin, daß die eingegossene Beschauung, mit der die Seele hier beglückt wird, ihr auf geheime Weise, ohne ihr Zutun, mitgeteilt wird, wobei die inneren und äußeren Sinne und Vermögen des sinnlichen Teiles im Dunkel bleiben. Daher kommt es, daß die Seele nicht bloß vor den Hinder- nissen, welche diese Vermögen durch ihre natürliche Schwäche verursachen können, sondern auch vor den Nach- stellungen des Teufels geborgen und ungehindert dahin schreitet, da dieser nur mittels der Kräfte des sinnlichen Teiles inne wird und verstehen kann. was in der Seele ist und in ihr vorgeht. Je geistiger, innerlicher und erhabener über die sinnliche Erkenntnis darum eine Mitteilung ist, desto weniger gelangt der Teufel zum Verständnis der- 169 selben. Darum ist für die Sicherheit der Seele ein derartiger innerer Verkehr mit Gott von höchster Bedeutung, daß die Sinne des niederen Teiles in Dunkelheit und Entbehrung bleiben und nichts davon inne werden; und zwar vorerst deshalb, damit die Schwäche des sinnlichen Teiles die :";:"1 " Freiheit des Geistes nicht hindert und eine reichlichere Igeistige Mitteilung ermöglicht wird. Dann aber auch, weil die Seele mehr gesichert ist vor dem bösen Feinde, der, wie schon erwähnt, nicht so tief ins Innente eindringen 1~ kann. Wir können in dieser Beziehung jenes Schriftwort I'~' unseres Erlösers im geistigen Sinne aufgefaßt verstehen, das da lautet: Nesciat sinistra cia, quid faciat dextera tua. "Deine Linke wisse nicht, was die Rechte tut."l) Er hätte ~ c". auch sagen können: Das was im rechten d. h. i~ höheren ~ ,-c' und geistigen Teil der Seele geschieht, soll der linke nicht ,c~ wissen, d. h. es soll so vor sich gehj!n~ daß der niedere ~: " oder sinnliche Teil deiner Seele nichts davon inne wird; es so' ~oll dies ein Geheimnis bleiben zwischen Gott und der Seele. Allerdings ist es wahr, daß der Teufel, wenn solche ganz innerliche und geistige Mitteilungen der Seele ver- liehen werden, zwar die Beschaffenheit und das Wesen' derselben nicht erfassen kann, ab~r er vermag doch gar oft aus der großen Ruhe und Stille, welche manche der- selben in den Sinnen und Kräften der Seele verursachen, einE:n Schluß zu ziehen, daß so etwas vorgehe und die Seele- mit irgend einer erhabenen Gunstbezeugung begnadi~ 3! werde. Wenn er nun sieht, daß er diese Gnadenerweise im innerEten Grunde der Seele nicht zu; verhindern ver" mag, so sucht er aus alle~ Kräften den sinnlichen Teil, in den er eindringen kann, bald durch Schmerzen, dann wieder durch schreckliche Vorstellungen und Beängsti- gungen zu beunruhigen und zu verwirren, um auf diese Weise den höhem und geistigen Teil zu quälen und aus J) Math. 6, 5- 170 der Fassung zu bringen sowie die Begnadigung, die derselbe empfängt und genießt, zu hintertreiben. Aber wenn die Mitteilung dieser B~schauung ganz rein sich in den Geist ergießt und ihn mächtig durchdringt, so hilft- dem Teufel all seine AnstrenguI1g, die Seele zu beunruhigen, nichts, sie empfängt im Gegenteil -neuen Gewinn, neue Liebe und einen tie~gegrü~deten Frieden. Denn sobald sie die störende Gegenwart des bösen Feindes gewahrt, zieht sie sich -und das ist ganz merkwürdig -ohne zu wissen, wie es geschie:ht, und ohne ihrerseits etwas zu tun.. um so tiefer in das Innerste des Seelengrundes zurück und fühlt dabei gar wohl, daß sie sich in einer sicheren Zufluchts- stätte befindet, wo sie sich mehr vom bösen Feindeent- fernt und vor ihm verborgen weiß. Und so gewinnt sie ein neues Maß von Friede und Freude, die ihr der böse Feind rauben wollte. Doch alle diese Befürchtungen befallen sie nut mehr äußerlich, sie nimmt es ganz deut- lich wahr und freut sich zu sehen, wie sie in solch voll- kommenerSicherheitjenen stillen Frieden und jene Süßig- keit des Bräutigams im Verborgenen genießen kann, jenen Frieden, den die Welt und der Teufel weder geben noch nehmen können. Die Seele empfindet hier in Wahrheit, was die Braut im hohen Liede in dieser Beziehung sagt: Ecce lectulum Salomonis, sexaginta fortes ambiunt ... propter timores nocturnos. "Siehe das Bett Salomons, um dasselbe stcehen sechzig Helden der Tapfersten Israels, ... zur Abwehr der nächtlichen Schrecknisse."l) Mit dieser Stärke und diese~ Feinden sieht sich die Seele ausgerüstet, wenn sie auch z~weilen äußerlich die Qualen des Fleisches und der Ge,beine schmerzlich empfindet. Manchmal aber, wenn die geistigen Mittceilungen nicht allzu tief sich dem Geiste einsenken, sondern auch den sinnlichen Teil b~rühren, vermag der böse Feind mittcels 1) Hohel. 3, 7, 8, 171 der Sinnlichkeit viel leichter den Geist durch solche Schrecknisse zu verwirren und zu stören. Manchmal ist diese Pein und Qual sehr groß, ja bisweilen unsäglich groß. Da es sich hier um ein direktes Gegenüberstehen von Geist und Geist handelt, so sind die Schrecknisse, die der böse im gutem Geist, d. h. in der Seele, verursacht, unert~lich, sobald seine Verwirrung sich ihrer bemächtigt. Auch dies gibt uns die Braut im hohen Liede zu verstehen, wenn sie darauf hinweist, daß ihr so etwas zu einer Zeit begegnet sei, da §ie sich der inneren Sammlung und dem Genusse dieser Gunstbezeugung hingeben wollte: Descendi in hor- tum nucum, ut viderem poma convallium, et inspicerem. si floruisset vinea mea ...nescivi; anima mea contur- bavit me propter qliadrigas Aminadab. "Ich ging in den Nußgarten hinab, um die Früchte in den Gründen zu beschauen, nachzusehen, ob mein Weinberg schon in Blüte stehe; ich wußte um nichts, da geriet meine Seele in Verwirrung ob der Wagen Aminadabs," d. i. des Teufels. 1) Zu anderen Zeiten kommt es vor, daß der Teufel manche Gnadenerweisungen wahrnimmt, die Gott mittels eines guten Engels der Seele mitteilt; denn Gott läßt es gewöhnlich zu, daß der Widersacher diese du~ch einen guten Engel erwiesenen Gunstbezeugungen erkennt. Dies geschieht vor allem, damit er gegen die seele vorgehe! wie es ihm der Gerechtigkeit zufolge zusteht, lind er sich nicht auf sein Recht berufen und sagen kann, es sei ihm keine Gelegenheit gegeben worden, die seele in seinen Besitz zu bekommen, wie er es bei Job getan~2) Und dies wäre der Fall, wenn Gott nicht eine gewisse Gleichheit zwischen den beiden um die Seele streitenden Parteien, zwischen dem guten und bösen Engel zuließe. So wird der Sieg. ehrenvoller und die siegreiche und in der Versuchung treu bewährte Seele um so herrlicher belohnt werde;n. 1) Hohel. 6. 10. I) Job 1, 9. 172 ,c... - ~__.I_R7%~' ' Wir müssen hier wohl beachten, daß dies die Ursache ist, warum Gott dem Teufel nach demselben Maße und in derselben Weise erlaubt, auf die Seele einzuwirken, wie er selbst sie fordert und gegen sie verfährt. Wenn ihr z. B. wahre Visionen durch einen guten Engel zuteil werden -und diese treten, wenn auch Christus erscheint, gewöhnlich auf diese Weise auf; denn in wahrer Person erscheint Christus fast niemals t) -, so gibt er auch dem bösen Geiste die Erlaubnis, daß er ihr ebensolche falsche Visionen vorspiegeln kann, die den wahren so täuschend ähnlich sind, daß die Seele, wenn sie nicht vorsichtig ist, 1) Diese Ansicht des mystischen Lehrers ist ganz überein- stimmend mit der Meinung der Theologen, die nur mit Bedenken Erscheinungen J esu Christi in eigener Person zulassen. Dies ist so wahr, daß sie über keine einzige von denen. die sie berichten, ein einmütiges Urteil ab$'eben und sie als wirkliche persönliche Erscheinung Christi bezeichnen. So nennen die einen die Erschei- nung des hl. Stefanus eine geistige, andere eine einbildliche und wieder andere eine körperliche (Ribet, La mystique divine tom. II pag. 99, edit. 1895). Das gleiche ist der Fall mit der Erscheinung, die dem hl. Petrus zuteil wurde, als er den Bitten seiner Schüler folgend aus Rom floh, um derVerfolgung zu entgehen. Denn wäh- rend der ehrw. P. Michael de la Fuenta aus dem Orden der be- scbuhten Karmeliten, unter Hinweis auf einige Schriftsteller ver- sichert, daß der Erlöser ihm persönlich I:rschienen sei, behauptet P. J ohann de Roda aus dem Franziskanerorden, daß es wabr- scheinlich keine solche Erscheinung gewesen sei. (Las tres vidas deI hombre p. 142 ed. 188N Was nun die Vision des hl. Paulus auf dem Wege nach Damaskus betrifft, so ist es gewiß, daß die Theologen sie einmütig als persönliche Erscheinung Jesu Christi anerkennen; aber dennoch scheint unsere seraphische Mutter. die hl. Theresia von Jesus, die in diesen Fragen hohes Ansehen genießt, der gegenteiligen Meinung zu sein, was sich aus den nachfolgenden Worten schließen läßt: "Aus einigem was der Herr zu mir sagte, erkannte ich, daß er, nachdem er einmal zum Himlilel aufgefahren, niemals auf die Erde herabstieg, um sich jemand mitzuteilen, außer im hlst. Sakramente." (Obras de S. Ther. tom. I, p. 156, ed. Riba- denayra.) Und wenn auch einige Schriftsteller, um diese Ansicht mit der gewöhnlichen in Einklang zu bringen, verschiedene Er- klänmgen darüber gegeben haben, so hat doch der Dominikaner P. Diego Alvarez die mystische Lehrerin verteidigt, indem er, um eitlen Ausflüchten vorzubeugen, beweist, daß dies die Ansicht vieler HI. Väter sei (Meynard, La vida spiritual t. II. p. 508). Dies alles sagt uns zur Genüge, mit wie viel Recht der hl. Johannes vom Kreuz behauptet, daß Christus persönlich fast niemals erscheint. 173
~ .I leicht betrogen werden kann; es ist das schon bei vielen der Fall gewesen. Etwas ähnliches finden wir im 2. B:uche Moses,l) wo hervorgehoben wird, daß alle wahren Wun~er- zeichen, die Moses tat, auch dem Scheine nach von den Zauberern des Pharao vollführt wurden. Als Moses Frösche erscheimen ließ, brachten auch sie solche hervor; als er Wasser in Blut verwandelte, taten auch sie es. Aber nicht bloß diese Art kö~erlicher Visione~ äfft er nach, er bildet auch, wenn er, wie schon oft erwähnt, davQn Kenntnis bekommen kann, die geistigen Gunst- bezeugungen, die durch den guten Engel hervorgebracht werden, nach und mischt sich in dieselben unberufen ein nach deQ Worten Jobs: amne sublime videt.2) "Er schaut .auf alles Hohe." Was nun jene Mitteilungen betrifft, die keine Form und Gestalt haben -denn was geistig ist, ist diesen Eigen- schaften nicht unterworfen -, so verrpag er diese nicht. nachzuäffen und nachzubilden wie die anderen, die unter einer Gestalt oder einem Bilde erscheinen. Um da:rumdie Seele in der Weise, wie sie von Gott begnadigt wird, an- zufechten, tritt er mit seinem furchterregenden Geiste vor sie hin, um das Geistige mit Geistigem zu bekämpfen und zu verderben. Geschieht das zu einer Zeit, wo der gute Engel die Seele in den Zustand der geistigen Beschauung erhebt, so kann sich die Seele nicht so schnell in (die Ver- borgenheit und) das geheime Versteck der Beschauung flüchten, ohne daß sie vom Teufel bemerkt wird und in seinen Gesichtskreis tritt, was einen Schrecken und eine Bestürzung und Verwirrung des Geistes zur Folge hat, die für die Seele überaus peinlich ist. Doch kann sie manch- mal augenblicklich den bösen Feind zurückweisen, so daß seine Schrecknisse auf sie keinen Eindruck zu machen ver- 1)7. 11, 22u.8.7' 2) Job 41, 25. 174 mögen; sie zieht sich gestärkt durch die wirksame geistige Gnade des guten Engels in ihr Inneres zurück. Manchmal aber gewinnt der Teufel die Obe.rhand. und es erfaßt die Seele eine Verwirrung und ein Schrecken, der für sie weit peinlicher ist als irgend eine Qual dieses Lebens. Da nämlich diese schreckliche Einwirkung einzig und allein zwischen Geist und Geist stattfindet ohne Bei- mischung des Körperlichen, so übersteigt deren Qual alle Begriffe. Allerdings währt dies nur einige Zeit im Geiste. nicht allzulang, sonst müßte ein solcher Mensch infolge der furchtbaren Einwirkung des anderen Geistes sterben. Die Erinnerung an diesen Schrecken bleibt noch in der Seele zurück, der hinreicht, ihr nicht geringe Pein zu be- reiten. Ail das hier ErWähnte geht in der Seele vor, ohne daß sie iHrerseits dabei etwas tun oder sich d~egen wehren I könnte. Aber man soll hier beachten, daß der ~te Engel, wenn er dem' Teufel mit diesen geistigen Schrecknissen die Oberhand über die Seele gewinnen läßt, dies nur tut, um sie zu reinigen und durch ein geistiges Vigilfasten auf ein großes Fest und ein geistiges Gnadengeschenk vorzu- bereiten, das er ihr gewähren will. Denn niemals peinigt er die Seele, ohne sie aufs neue zu beleben, und er ernied- rigt nur, um zu erhöhen. Und dies pflegt gar bald zu ge- schehen; denn nach dem Maße der dunklen und schreck- lichen ReiQigung, die sie über sich ergehen lassen mußte. wird die Seele mit demwunderbaren und wonnevollenGenuß der geistigen Beschauung und zwar in so erhabener Weise beglückt, daß sie dafür keinen Ausdruck findet. Indessen machen diese vorausgegangenen Schrecknisse des bösen Feindes den Geist in hohem Maße für die Aufnahme dieses Gnadengeschenkes empfänglich; denn diese geistigen Visio- nen gehören mehr dem ander&n als diesem Leben an, und wenn eine sich zeigt, bereitet sie für's andere Leben vor. J) 1) Dieser kurze Absatz hat keine rechte Verbindung mit dem vorhergehenden. Wir vermuten, daß einige Worte fehlen; wir 175 ,"," Das Gesagte ist von den Gnadenerweisungen zu ver- st~hen, die Gott durch den guten Engel verleiht, wobei die Seele, wie schon erwähnt, nicht so ganz im Dunkel und Verborgenen wandelt, daß der böse Feind sie nicht in etwa ausspäht. Wenn aber Goit selbst sie heimsucht, dann be- wahrheitet sich der genannte Vers im vollkommenen Sinn; denn ganz im Dunkel und wohlverwahrt vor dem Feinde empfängt sie die geistigen Gnadenerweise Gottes. Der Grund davon liegt darin, daß Seine Majestät wesenhaft in der Seele wohnt, wohin weder ein Engel noch der Teufel gelangen kann, um zur Kenntnis zu kommen, was sich dort zuträgt. Und sie vermögen auch zur Kenntnis des .innigen und geheimnisvollen Verkehrs zwischen Gott und der Seele nicht zu gelangen. Denn diese Gnadenerweise sind, insoferne sie vom Herrn selbst ausgehen, ganz gött- lich, erhaben und gewissermaßen wesenhafte Berührungen übernatürlicher Vereinigun~ zwischen Gott und der Seele; in einer einzigen dieser Berührungen, die den höchsten Grad des Gebetslebens ausmachen, empfängt die Seele mehr Gnaden als in allen übrigen. Das sind die Berührungen, um deren Gewährung die Seele mit den Worten des hohen Liedes bittet: Osculetur me osculo oris sui. "Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes." 1) Weil dies in so inniger Verbindung mit Gott vor sich geht, darum verlangt die Seele mit so großem Sehnsuchtsdrang darnach, darum ersehnt sie eine solch göttliche Berührung und schätzt sie höher als alle anderen Gnaden, die ihr Gott erweist. Darum fühlte sich auch die Braut im hohen Liede nach dem Empfang vieler Gnaden die sie dort besungen, konnten dieselben weder in den Manuskripten noch in den vielen unveröffentlichten Bruchstücken der Schriftsteller, die sich mit dem Heiligen befaßten und die uns Fr. Andreas von der Menschwerdung hinterlä,ßt, finden. Wir weisen auch auf den geringen Zusammen- hang hin, der zwischen den beiden Teilen dieses Absatzes besteht. 1) Hohel. 1. 1. 176 nicht befriedigt und bat um diese göttlichen Berührungen mit den Worten: Quis mihi det te fratrem meum sugen- tem ubera matris meae, ut inveniam te foras et deosculer te et jam me nemo despiciat. ,,0 möchte ich dich doch zu meinem Bruder haben, der meiner Mutter Brüste gesogen, daß ich dich draußen allein fande und mit dem Munde meiner Seele küssen dürfte, und hinfort niemand mich verhöhne und sich an mich heranwage." 1) Damit gibt sie zu verstehen, Gott möge ihr diesen Gnadenerweis draußen allein verleihen mit Ausschluß und Zurückweisung aller Geschöpfe. Denn dies deuten die Worte "draußen"",allein" und "gesogen" an, d. h. nachdem die Brüste der Gelüste und Neigungen des sinnlichen Teiles vertrocknet und ver- siegt sind. Und dies ist dann der Fall, ~venn die Seele schon in Freiheit des Geistes mit dem Genusse der Süßigkeit ~nd des beseligenden Friedenskusses dieses Gnadenerweises beglückt ist, ohne daß der sinnliche Teil sie davon zu hin- dern und der böse Feind mittels desselben ihr zu wider- stehen vermag. Denn in diesem Falle würde sie der Teu- fel nicht mehr anzufallen wagen, weil er nichts mehr erreichen und aucb nicht zur Erkenntnis dieser göttlichen Berührungen gelangen könnte, die im Wesen der Seele in Verbindung mit dem liebreichsten Wesen Gottes statt- finden. Dieses Gnadengeschenk wird dem Menschen nur nach vollzogener vollkommen geistiger Reinigung, Ent- blößung und Trennung von allem Geschöpflichen, das heißt im Dunkel, zuteil, wie wir es früher schon ausführ- lich dargelegt haben und auch bezüglich dieses Verses ver- standen wissen wollen. In dieser obenerwähnten Verbor- genheit und Abgeschiedenhei1: wird die Seele in der Ver- einigung mit Gott durch die Liebe befestigt und darum besingt sie dies im genannten Verse mit den Worten: "Im Dunkel ganz, in aller Heimlichkeit." 1) Hohel. 8, 1. l~ 177 .;.: ..,.' ,:'.", :: ,.. ~ i. 'li Wenn jene Gnadenerweise der Seele im Verborgenen I ~ .d. h. allein im Geiste mitgeteilt werden, sieht sie sich, ohne '; zu wissen wie, bezüglich ihres höheren Teiles so vom ,. i. niederen sinnlichen Teil geschieden und getrennt, gewahrt ! sie in sich zwei so voneinander verschiedene Teile, daß es ihr vorkommt, als bestehe keine Gemeinschaft mehr zwischen beiden und als sei der eine vom ilndern ganz ent- fernt und getrennt. Und das ist in gewissem Sinne wirk- lich so, da sie bezüglich ihrer ganzen geistigen Wirksam- keit mit dem sinnlichen Teil nichts mehr gemein hat. So wird die Seele ganz geistig, und in dieser Verporgenheit der einigenden Beschauung stellen die geistigen Regungen und Gelüste ihre Tätigkeit vollkommen ein. Und darum \1 '1 singt die Seele, wenn sie von ihrem höheren Teile spricht, sogleich im letzten Verse: "Da schon mein Haus in Schlummer lag." I .[ 24. Kapitel. r Schluß der Erklärung der zweiten Strophe. i Diese Worte bedeuten soviel als wollte sie sagen: Da i der höhere Teil meiner Seele ebenso wie der niedere be- 1i züglich seiner Gelüste und Vermögen schon in Ruhe war, 11 entwich ich zur übernatürlichen Liebesvereinigung mit I r Gott. Da die Seele mittels jener Kämpfe der dunklen Nacht, [j wie schon erwähnt, in zweifacher Weise angefochten und 11 gereinigt wurde, nämlich bezüglich des sinnlichen und f; geistigen Teiles in Verbindung mit ihren Wahrnehmungen, i: Begehrungen und Regungen, so mußte sie auch nach I1 beiden Seiten hin, im sinnlichen und geistigen Teil mit I.r ihren VermÖgen und Gelüsten zur Ruhe und zum Ii'rieden [1 gebracht werden. Deshalb wiederholt sie auch zweimal i diesen Vers, in dieser und in der vorhergehenden Strophe i in Hinsicht auf diese in ihr sich vorfindenden zwei Teile. ! Damit nun diese bei den zur Liebesvereinigung mit Gott 178 I 'I erhoben werden können, müssen sie zuent bezüglich des i I Sinnenfalligen und Geistigen umgestaltet, in Ordnung und zur Ruhe kommen, entsprechend dem Stande der Un- schuld, den Adam besaß, wenn auch die Seele nicht all- seits frei bleibt von den Venuchungen des niederen Teiles. Und deshalb bezieht sich dieser Vers, der in der ersten Strophe von der Beruhigung des niederen und sinnlichen Teiles zu verstehen ist, in dieser zweiten Strophe vorzugs- weise auf den höheren geistigen Teil, weswegen er auch zweimal angeführt wurde. ' Diese Beruhigung und diesen Frieden des geistigen Hauses muß die Seele sich zu ihrem bleibenden und voll- kommenenBesitzmachen, soweit es d~rStand dieses gegen- wärtigen Lebens zuläßt, und zwar mittels Jener gleichsam wesenhaften Berührungen der göttlichen Vereinigung, von denen wir oben gesprochen haben. Diese Berührungen mußte die Seele wohlverwahrt und geborgen vor den Nach- stellungen des Teufels und durch die sinnlichen Begierden und Leidenschaften hervorgerufenen Verwirrung von Gott empfangen und dadurch gereinigt, beruhigt, gestärkt und widerstandsfähig gemacht werden, um der genannten Ver- einigung wirklich teilhaftig werden zu können, die nichts anderes ist, als die göttliche Vermählung zwischen der , I Seele und dem Sohne Gottes. Sobald nun diese zwei Be- ! hausungen der Seele mit all ihren Hausgenossen, den Seelenkräften und Gelüsten, vollkommen zur Ruhe gelangt und gestärkt sind, sobald sie bezüglich aller natürlichen und übernatürlichen Dinge in nächtlichem Schweigen sich befinden, vereinigt sich mit ihr die göttliche Weisheit unmittelbar durch ein neues Band der lnnewohnung in Liebe und es erfüllt sich, was sie selbst im Buche der Weis- heit sagt: Dum quietum silentium teneret omnia et nox ~' in suo cursu medium iter haberet, omnip9tens sermo tuus 11 ,: 11,' 179 i I. I! !
- ,
!il " , i ~ 1 de coelo a regalibus sedibus prosilivit.l) "Während tiefe Stille alles umfing und die Nacht sich in ihres Laufes Mitte befand, stieg dein allmächtiges Wort vom Himmel vom Königsthrone herab." Das~elbe deutet die Braut im Hohen Liede an, wenn sie sagt, sie habe, nachdem sie an jenen vorübergegangen, die sie nachts ihrer Kleider beraubten und verwundeten, jenen gefunden, den sie lieb hatte.2) Zu dieser Vereinigung kann man nicht gelangen ohne gründ- liche Reinigung, und diese Reinheit erwirbt man sich nur durch gänzliche Losschälung von allem Irdischen, durch tatk+äftige Abtötung. Dies wird zum Ausdruck gebracht durch die Beraubung des Gewandes der Braut und durch die nächtliche Verwundung beim sehnsüchtigen Suchen des Bräutigams. Sie konnte das neue Gewand der Ver- mählung, nach dem sie Verlangen trug, nicht anziehen ohne das alte abgelegt zu haben. W~r sich d~~r weigert in die Nacht einzugehen, um den Geliebten zu suchen, seinen Eigenwillen zu verleugnen und sich selbst abzu- sterben, sondern ihn nur im Bette der Bequemlichkeit suchen will, wie die Braut es getan, wird ihn niemals finden. So bezeugt auch diese Seele von sich, daß sie ihn gefunden, nachdem sie mit Sehnsuchtsdrang das Dunkel betreten. Dri tte Strophe. ~5. Kapitel. In jener seI 'gen Nacht, ln Heimlichkeit und ungeseh'n, Da auch mein Aug' nich,ts sah Als nur das Licht, So führend mir im Herzen glühte. Die Seele nimmt auch hier den bildlichen Ausdruck und Vergleich mit der zeitlichen Nacht wieder auf und 1) Weisheit 18, 14. 2) Hohel. 3, 4. 180 , fährt in der Erklärung der geistigen Nacht weiter. Sie be- ~ ~ singt und hebt die vortrefflichen Eigenschaften rühmend ~ , hervor, die sie in dieser Nacht und mittels derselben sich Ierworben, um schneller und sicherer ihr ersehntes Ziel zu erreichen. Sie erwähnt drei dieser Eigenschaften. ~ Die erste besteht darin, daß Gott die Seele in dieser beseligenden Nacht mit einer so ungestörten und verbor- genen Bescha.uung beglückt, die dem sinnlichen Teil so fremd und unverständlich ist, daß weder Dinge des sinn- lichen Bereiches noch irgend ein Geschöpf mit ihr in Berührung kommen können, um sie zu stören und vom Wege'der Liebesvereinigung abzulenken. Die zweite Eigenschaft wird verursacht durch die geistige Finsternis dieser Nacht, wodurch alle Kräfte des höheren Leibes der Seele ins Dunk~l versetzt werden. Da . die Seele. nichts wahrnimmt und auch nichts wahrzu- nehmen, vermag, gibt sie sich, um zu ihm zu gelangen, außer Gott keiner Sache hin. So wird sie frei von den sie hemmenden Formen, Bild.ern und Wahmehmungen, welche die Seele von der dauernden Vereinigung mit C;;ott abzuhalten pflegen. Die dritte Eigenschaft hat darin ihren Grund, daß' sich die Seele nicht mehr auf eine besondere Erleuchtung des Verstandes noch auf einen äußeren Führer stützt, um an ihnen Trost und Befriedigung auf diesem erhabenen Wege zu finden. Denn die dunklen Finsternisse haben sie aller Stützen beraubt. Vielmehr übernimmt die Liebe, die in dieser Zeit entbrennt und das Herz dem Geliebten zu- wendet, allein die Anregung und Führung der Seele und hebt sie, ohne daß sie weiß wie und auf welche Weise, auf einsamem Wege im Fluge zu Gott empor. Es folgt der Vers: "In jener sel'genNacht.' 1) 1) Wir geben dieses interessante Buch der dunklen Nacht in der unvollständigen Form wieder, wie es hier liegt. Sechs von den 181 j acht Strophen, die der Gesang enthält, bleiben ohne Erklärung, da dieselbe mit dem Beginn der Auslegung der VerBe der dritten Strophe abgebrochen wird: Dieser bedauernswerte Verlust wird zum Teil ersetzt durch den "Geistlichen Gesang" j aber wenn auch in manchen seiner Strophen die Wirkungen der geistigen Erleuch- tung und Liebesvereinigtmg mit Gott behandelt werden, so haben wir doch das Wesentliche dieser Strophen, nämlich ihre Erklärung, verloren, Ich sage, daß der .,Geistliche Gesang" nur zum Teil, nicht vollkommen Ersatz bietet und zwar aus zwei Gründen: 1. ,Vei} der Text der einzelnen Strophen verschieden ist, wenn auch eine gev;isse Aehnlichkeit besteht, besonders zwischen der achten der Nacht und der zweiundzwanzigsten des Geistlichen Gesanges. Und z. weil man, wenn auch der Ausdruck "Liebe" in unzähliger Bedeutung wiedergegeben werden kann, doch annehmen muß, daß der mystische Lehrer die Strophen der "dunklen Nacht" nicht im nämlichen Sinn ausgelegt hat, wie jene des "Geistlichen Gesanges", mit dem sie eine gewisse Aehnlichkei t haben. So haben wir also einen unersetzlichen Schatz mystischer Begriff~ verloren. Ende der dunklen Nacht. 182