Johannes Chrysostomus: Vom jungfräulichen Stand

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De virginitate

(Vom jungfräulichen Stand)

Kirchenlehrer: Johannes Chrysostomus

Quelle: In: Ausgewählte Schriften des heiligen Chrysostomus, Erzbischof von Konstantinopel und Kirchenlehrer. Übersetzt von Dr. Chrysostomus Mitterrutzner. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 3), Kempten 1890. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

Inhaltsverzeichnis

1. Der jungfräuliche Stand der Ketzer hat keinen Lohn zu gewärtigen

S. 156 Das vortreffliche Gut des jungfräulichen Standes verabscheuen die Juden; es ist auch kein Wunder, da sie sogar den aus einer Jungfrau geborenen Christus verschmähten: die Heiden bewundern ihn und staunen darüber: Eifer dafür hat allein die Kirche Gottes. Denn die Jungfrauen der Ketzer möchte ich nicht einmal so nennen; erstens weil sie nicht keusch sind; denn sie sind nicht Einem Manne verlobt, wie jener heilige Brautwerber Christi es will, wenn er sagt: „Ich habe euch Einem Manne verlobt, als keusche Jungfrau euch Christo darzustellen.“ Denn wenn dieses auch von der ganzen Versammlung der Kirche gesagt ist, so umfaßt diese Rede doch auch Jene. Wie können also diejenigen keusch sein, welche nicht Einen Mann lieben, sondern einen anderen Gott, der es nicht ist, einführen? Für’s erste also sind sie aus diesem Grunde nicht Jungfrauen; zweitens aber, weil sie, indem sie die Ehe verdammen, auf dem Wege dazu gekommen sind, sich der Ehe zu enthalten. Denn da sie dieselbe für sündhaft erklären, so haben sie sich den Lohn der Jungfrauschaft im Voraus benommen. Denn es ziemt sich ja nicht, daß diejenigen gekrönt werden, welche das Laster vermeiden, sondern nur, S. 157 daß sie nicht der Strafe verfallen; und das kann man nicht blos aus unseren Gesetzen ersehen, sondern es ist auch in jenen der Draußenstehenden so festgesetzt. „Wer einen Mord verübt“, heißt es, „der soll getödtet werden“: es wird aber nicht auch beigefügt: „Wer keinen Mord verübt hat, der soll geehrt werden.“ „Der Dieb soll bestraft werden,“ nicht aber auch: „Wer fremdes Gut nicht geraubt hat, soll eine Belohnung erhalten“: und während sie den Ehebrecher tödten, haben sie den, welcher fremde Ehen nicht untergrub, keiner Ehre würdig erachtet. Denn Lob und Bewunderung verdienen nur jene, welche sich der Tugend befleissen, nicht diejenigen, welche das Laster fliehen: den für diese ist es schon Ehre genug, daß sie keine Strafe erleiden. Deßhalb hat auch unser Herr demjenigen, welcher unbesonnen und grundlos seinem Bruder zürnt und ihn einen Narren heißt, mit der Hölle gedroht, hat aber denjenigen, welche nicht grundlos zürnen und sich des Schmähens enthalten, nicht das Himmelreich in Aussicht gestellt, sondern von ihnen etwas Anderes verlangt, was mehr und größer als das ist, indem er sagt: „Liebet euere Feinde.“ Und da er zeigen wollte, daß es etwas gar Geringes und Unbedeutendes sei und keine Belohnung verdiene, wenn man die Brüder nicht hasse, so sagt er, nachdem er etwas viel Größeres befohlen, nämlich sie zu lieben und ihnen Gutes zu thun, daß selbst dieses nicht hinreiche, um einen Lohn zu verdienen. Denn wie könnten wir das, da wir hierin nichts vor den Heiden voraushaben? Wollen wir also eine Belohnung aussprechen, so muß noch etwas weit Größeres dazu kommen. „Denn nicht bloß deßhalb,“ sagt er, „halte dich der Krone für würdig, weil ich dich nicht zur Hölle verdamme, der du dich des Schmähens und des Zornes gegen deinen Bruder enthältst. Denn ich fordere nicht bloß ein solches Maaß freundlichen Sinnes; sondern, wenn du dir auch kein Schimpfwort erlaubst, und du ihn sogar zu lieben behauptest, so S. 158 stehst du noch tief und stellest dich neben die Zöllner. Willst du vollkommen und des Himmels würdig erscheinen, so bleibe nicht dabei stehen, sondern steige weiter hinauf und nimm einen höhern Flug der Gedanken, als die Natur selbst ist; das besteht aber darin, daß du die Feinde liebest.“ Da nun für uns das allseitig feststeht, so mögen die Häretiker aufhören, sich vergeblich zu quälen; denn sie werden keine Belohnung empfangen, nicht als ob Gott ungerecht ist — das sei ferne —, sondern weil sie selbst unwissend und gottlos sind. Was nun? Es wurde bewiesen, daß für die bloße Flucht der Sünde kein Lohn in Aussicht gestellt sei; Sie aber halten die Ehe für sündhaft und fliehen sie deßhalb: wie werden sie also für die Meidung der Sünde eine Belohnung fordern können? Denn wie wir, falls wir nicht ehebrechen, keine Krone verdienen, Ebenso wenig auch sie, weil sie nicht heirathen. Denn es wird derjenige, der an jenem Tage über uns Gericht halten wird, sie also anreden: „Ich habe nicht denjenigen Ehren verheißen, die sich bloß der Laster enthielten (denn das ist in meinen Augen gering); sondern ich werde diejenigen, welche jegliche Tugend geübt, in die ewige Erbschaft des Himmels einführen. Wie verlangt also ihr, die ihr die Ehe für unrein und sündhaft gehalten, für die Flucht vor der Sünde Belohnungen, welche für jene bestimmt sind, welche Gutes gethan?“ Denn darum stellt er die Lämmer auf die rechte Seite, belobt sie und führt sie in’s Himmelreich ein, nicht weil sie nichts Fremdes geraubt, sondern weil sie auch das Ihrige Andern mitgetheilt haben: und denjenigen, welchem fünf Talente anvertraut worden, belobt er, nicht weil er sie nicht vermindert, sondern weil er das Anvertraute vermehrt und das Pfund doppelt zurückgebracht hat. Wie lange werdet ihr also nicht aufhören, umsonst zu laufen, euch vergeblich zu mühen, vergeblich zu kämpfen und Luftstreiche zu führen? Aber wenn doch nur vergeblich! ob- S. 159 gleich es schon als nicht geringe Strafe erscheint, daß diejenigen, welche viel gearbeitet haben und einen höhern Lohn, als ihre Arbeiten waren, erwarten, an jenem Tage des Ruhmes unter die Ruhmlosen eingereiht werden.

2. Der jungfräuliche Stand der Ketzer hat sogar Strafe zu gewärtigen

Nun ist aber das nicht das einzige Unglück, nicht der einzige Verlust, der sie trifft, daß sie keinen Gewinn ziehen, sondern sie werden noch etwas weit Schwereres zu erdulden haben: das unauslöschliche Feuer, den nimmer sterbenden Wurm, die äußerste Finsterniß, Trübsal und Angst. Wir müßten also zahllose Zungen und die Macht der Engel besitzen, um Gott für seine Sorgfalt gegen uns würdigen Dank zu erstatten; oder vielmehr, auch so wäre es nicht möglich. Denn wie könnten wir das? Das Beschwerliche des jungfräulichen Standes ist für uns und die Häretiker gleich, ja vielleicht für sie noch viel größer, die Frucht der Bemühungen ist aber ungleich; denn auf sie warten Bande, und Thränen, und Heulen und unaufhörliche Peinen: auf uns aber das Loos der Engel, leuchtende Lampen, und das höchste aller Güter, der Umgang mit dem Bräutigam. Warum ist denn aber der Lohn für die gleichen Bemühnngen ein entgegengesetzter? Weil jene den jungfräulichen Stand gewählt haben, um Gott ihre eigene Satzung entgegenzustellen; wir aber diesen erwählen, um dessen Willen zu thun. Denn daß Gott wünsche, alle Menschen möchten sich der Ehe enthalten, dafür gibt derjenige Zeugniß, durch den Christus redet: „Ich wünsche,“ sagte er, „daß alle Menschen so seien, wie ich bin“, nämlich enthaltsam. Allein der Heiland hat um uns zu schonen, und weil er wußte, daß der Geist zwar willig, das Fleisch aber schwach sei, die Ehelosigkeit nicht in ein zwingend Gebot eingeschlossen, sondern die Wahl uns selbst überlassen. Denn wäre sie Vorschrift und Satz- S. 160 ung, so würden die, welche sie hielten, keine Ehre erlangen, sondern nur hören: „Ihr habt gethan, was zu thun euere Pflicht war“; und die Uebertreter würden keine Verzeihung erhalten, sondern die Strafe der Gesetzübertreter erdulden. Nun aber hat er mit den Worten: „Wer es fassen kann, der fasse es“, jene nicht verdammt, die es nicht können, denen aber, die es können, einen schweren und großen Kampf in Aussicht gestellt. Darum sagt auch Paulus, in die Fußtapfen des Meisters tretend: „Was aber die Jungfrauen betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn, einen Rath aber gebe ich.“

3. Die Verachtung der Ehe ist eine teuflische Bosheit

Nun aber haben weder Marcion, noch Valentinus, noch Manes diese Mäßigung beobachtet; denn aus ihnen redet nicht Christus, der seine Schäflein schont und für dieselben sein Leben hingibt, sondern jener Menschenmörder und Vater der Lüge. Deßhalb haben sie Alle, die auf sie hörten, zu Grunde gerichtet, indem sie sie dieselben hier mit unnützen und unerträglichen Lasten beluden, dort aber mit sich in das für sie bereitete Feuer hineinzogen.

4. Die Jungfrauen der Ketzer sind sogar elender, als die der Heiden

O ja, ihr seid noch schlimmer daran, als die Heiden! Denn obgleich die Strafen der Hölle die Heiden erwarten, so genießen sie doch wenigstens hier ein Vergnügen, dadurch, daß sie Ehen eingehen, und daß sie Geld besitzen, und die übrigen Freuden des Lebens; ihr aber habt auf beiden Seiten Qualen und Trübsal, hier freiwillig, dort gegen euren Willen zu tragen. Den Heiden wird Niemand für S. 161 ihr Fasten und den jungfräulichen Stand weder Belohnung noch Strafe ertheilen; ihr aber werdet für das, wofür ihr unermeßliches Lob hofft, die härtesten Strafen erleiden und mit den Uebrigen hören müssen: „Weg von mir in’s ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“ — mit diesem euren Fasten, mit dieser eurer Jungfräulichkeit! Denn weder das Fasten, noch die Jungfräulichkeit sind an sich gut oder böse, sondern sie werden das Eine und das Andere erst durch die Absicht derjenigen, welche sie üben. Den Heiden bringt diese Tugend keinen Gewinn; denn sie gehen des Lohnes verlustig, weil sie sich ihr nicht aus Gottesfurcht unterzogen; ihr aber, die ihr dieselbe geübt, nachdem ihr mit Gott Krieg geführt, und sien Werk verdammt habt, werdet nicht nur eures Lohnes verlustig, sondern auch noch gestraft werden. Und was die Lehren betrifft, so werdet ihr mit ihnen auf gleicher Linie stehen, weil ihr ebenso, wie die Heiden, den wahren Gott verworfen und eine Vielgötterei eingeführt habt. Was aber euer Leben betrifft, so werden jene besser durchkommen, als ihr; denn jenen gereicht blos dieses zum Nachtheil, daß sie nichts Gutes erlangen, euch aber, daß ihr Strafe erduldet: und jenen war es gestattet, in diesem Leben Alles zu genießen, ihr aber entbehret der beiderseitigen Vortheile. Kann es wohl eine härtere Züchtigung geben als die, statt der Belohnung für Anstrengung und Mühe Strafen zu erhalten? Der Ehebrecher, der Betrüger, wer im fremden Eigenthum schwelgt und seinen Nächsten beraubt, hat doch einigen Trost — er ist zwar kurz, aber sie haben ihn doch, — weil sie für das bestraft werden, was sie hier genossen; wer sich aber freiwillig der Armuth unterzieht, um jenseits bereichert zu werden: wer sich den Mühen der Jungfräulichkeit unterzieht und jenseits mit den Engeln Reigen aufzuführen; welch’ unsäglichen Schmerz muß er aus einem so unerwarteten Ereignisse schöpfen, wenn er plötzlich und S. 162 gegen alle Erwartung dafür gestraft wird, wofür er eine herrliche Belohnung gehofft hat! Denn ich glaube, daß ein solcher nicht minder durch sein Gewissen als durch das Feuer werde gepeiniget werden, wenn er sich erinnert, daß diejenigen, welche mit ihm die gleichen Werke vollbracht, bei Christus verweilen, er hingegen für das, wofür jene unaussprechlichen Freuden genießen, die äußersten Strafen erleide und, nachdem er ein strenges Leben geführt, härter als Schwelger und Lüstlinge gezüchtiget werde.

5. Der jungfräuliche Stand der Ketzer ist sogar schimpflicher als Ehebruch

Ja, die Enthaltsamkeit der Häretiker ist schlimmer als jegliche Wohllust. Denn diese fügt blos den Menschen ein Unrecht zu; jene aber kämpfet wider Gott und verletzt die unendliche Weisheit. Solche Schlingen legt der Teufel seinen Verehrern. Denn daß der jungfräuliche Stand der Häretiker eine Erfindung seiner Bosheit sei, das behaupte nicht ich, sondern derjenige, welcher dessen Fallstricke kennt. Was sagt dieser nun? „Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten Einige vom Glauben abfallen und irreführenden Geistern und Teufelslehrern Gehör geben werden, die mit Scheinheiligkeit Lügen reden, gebrandmarkt in ihrem eigenen Gewissen; die verbieten zu heirathen und Speisen zu genießen, welche Gott geschaffen hat.“ Wie könnte also Jemand Jungfrau sein, der vom Glauben abfällt, Irrlehrer anhört, und den Dämonen gehorcht, und die Lüge ehrt? Wie könnte Jemand jungfräulich sein, der ein gebrandmarktes Gewissen hat? Denn eine Jungfrau muß nicht bloß dem Leibe, sondern auch der Seele nach rein sein, wenn sie den heiligen Bräutigam aufnehmen will. Wie aber könnte diese mit so vielen Brandmalen behaftete rein sein? Denn wenn es schon nothwendig ist, sogar die zeitlichen Sorgen von diesem Brautgemach ferne zu halten, weil es unmöglich ist, mit S. 163 ihnen die Wohlgestalt zu erhalten, wie aber wäre es möglich, die Zierde der Jungfrauschaft zu bewahren, wenn sich im Innern gottlose Gedanken herumtummeln?

6. Die Jungfrauen auf Seiten der Ketzer beflecken nicht nur die Seelen, sondern auch die Leiber

Wenn auch ihr Leib unversehrt bleibt, so ist dennoch das Beste verdorben, die Gesinnung der Seele. Was nützt es aber, daß die Umzäumung noch steht, nachdem der Tempel zerstört ist? Oder was frommt es, wenn die Stelle des Thrones rein, der Thron selbst aber mit Schmutz bedeckt ist? Aber auch so gibt es noch etwas zu sühnen; denn die Lästerung und die gottlosen Reden werden zwar im Innern erzeugt, bleiben aber nicht im Innern der Seele, sondern verunreinigen, durch den Mund gesprochen, die Zunge, beschmutzen das Ohr, das sie aufnimmt, und zerfressen, wie ein tödtliches Gift, das in die Seele gefallen, ärger noch als jegliche Motte die Wurzel, und verderben mit ihr zugleich den ganzen übrigen Körper. Wenn nun die Jungfrauschaft darin besteht, daß man sowohl dem Leibe, als der Seele nach rein sei; wie kann jene eine Jungfrau sein, die nach beiden Seiten hin unrein und fluchbelastet ist? — „Aber sie zeigt mir doch ein bleiches Gesicht, abgemagerte Glieder, eine elende Kleidung und einen sanften Blick.“ Was nützt aber das, wenn das innere Auge schamlos ist? Denn was ist schamloser, als dieser Blick, welcher die äußern Augen verleitet, die von Gott geschaffenen Dinge als schlecht zu betrachten? „Die ganze Schönheit der Königstochter ist von innen“; diese aber verkehrt die Reihenfolge der Worte indem sie äußerlich in Schönheit erprangt, innerlich aber voll Schmutz ist. Denn das ist eben die Schandthat, daß diejenige, welche die größte Bescheidenheit gegen die Menschen zur Schau trägt, gegen Gott, ihren Schöpfer, die höchste S. 164 Wuth äußert, und daß diejenige, welche einen Mann sich nicht einmal anzusehen getraut, — wenn es etwa einige solche unter ihnen gibt, — den Beherrscher der Menschen mit unverschämten Augen anblickt und gegen den Allerhöchsten Schändliches redet; sie hat ein buxfarbiges und todtenähnliches Antlitz. Sie verdienen deßhalb viele Thränen und Klagen, weil sie nicht umsonst, sondern auch zum Verderben ihres eigenen Hauptes sich solche Qualen aufluden.

7. Bei der Jungfrau ist nicht auf das Kleid sondern auf das Herz zu sehen

Aermlich ist das Gewand; aber nicht in den Kleidern, sondern in Leib und Seele ist die Jungfräulichkeit. Denn wenn wir den Philosophen nicht nach dem Haare, nicht nach dem Stock, und nicht nach dem Mantel, sondern nach seinen Sitten und seinem Geiste bemessen; den Krieger nicht nach dem Oberkleide, oder dem Panzer, sondern nach seiner Stärke und seinem Mannesmuth: wie ungereimt wäre es nicht, wenn wir einer Jungfrau, einem so bewunderungswürdigen und alles Menschliche übersteigenden Wesen, das struppige Haar, den gesenkten Blick und das schmutzige Kleid ohne weiters und oberflächlich zur Tugend anrechnen wollten, ohne ihre Seele entblößt und daraus ihre Neigungen sorgfältig erforschet zu haben? Das aber gestattet der nicht, welcher die Gesetze dieses Kampfes festgestellt hat; denn er befiehlt, jene, welche sich in diesen Kampf stürzen, nicht nach dem Kleide, sondern nach dem Glauben und der Seele zu schätzen. „Denn wer“, heißt es, „sich im Wettkampfe übt, enthält sich von Allem“: von Allem, was die Gesundheit der Seele beschädigt; und „Niemand wird gekrönt, wenn er nicht gesetzmäßig gekämpft hat.“ Welches sind nun die Gesetze dieses Kampfes? Höre, was wieder er, oder vielmehr durch ihn Christus, der Urheber des Kampfes spricht: „Ehrbar ist die Ehe, und unbefleckt das Ehebett.“ S. 165

8. Die Verachtung gegen Verheirathete schadet der Jungfräulichkeit

„Was geht nun das mich an“, entgegnet sie, „die ich der Ehe entsagt habe?“ Gerade das, du Unglückliche, ist dein Verderben, daß du meinst, diese Lehre berühre dich nicht. Dadurch, daß du die Sache so sehr verachtest, hast du die Weisheit Gottes beschimpft und die ganze Schöpfung geschmäht. Denn ist die Ehe unrein, so sind auch alle aus ihr entsprungenen Wesen unrein, also ihr selber nicht rein; denn ich möchte nicht sagen: Die Menschennatur. Wie ist also die Unreine eine Jungfrau? Denn auch diese zweite, ja noch eine dritte Art von Schmutz und Unreinigkeit ist von euch ausgedacht worden, und ihr, die ihr die Ehe als etwas Schändliches flöhet, wurdet gerade durch diese Flucht von Allen die Schändlichsten, indem ihr eine Jungfrauschaft erfunden, die schimpflicher ist, als Hurerei.

Wo soll ich euch also eine Stelle anweisen? Bei den Juden? Das werden diese aber nicht dulden; den sie halten sowohl die Ehe in Ehren, als bewundern sie auch die Schöpfung Gottes. Oder bei uns? Aber ihr wollt ja Christus nicht hören, der durch Paulus spricht: „Ehrbar ist die Ehe, und unbefleckt das Ehebett.“ Es bleibt also nur übrig, daß ihr bei den Heiden eine Stelle einnehmt. Aber auch diese werden euch abweisen als Solche, die gottloser sind als sie selbst. Denn Plato sagt, daß derjenige gut war, der dieß Alles gemacht hat; und, daß kein Guter wegen irgend einer Sache Mißgunst empfinde. Du aber nennest ihn böse und den Schöpfer böser Dinge. Doch fürchte dich nicht; du hast Genossen deiner Lehre; den Teufel und seine Engel, oder besser gesagt: nicht einmal diese; denn auch bei diesen, die dich zu diesem Wahnsinn verführten, darf man nicht die selbe Gesinnung vermuthen. Denn daß siewissen, S. 166 Gott sei gut, kannst du aus ihrem Rufe entnehmen, indem es bald heißt: „Wir wissen, wer du bist: der Heilige Gottes“; bald: „Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes“, die euch den Weg des Heiles verkünden.“ Wollt ihr nun noch mit der Jungfräulichkeit prahlen, und euch ihrer rühmen, und nicht vielmehr weggehen, und euch selber beweinen, und die Thorheit betrauern, mit welcher euch der Teufel gleichsam wie Gefangene fesselt und in das höllische Feuer hinabzieht? — Du hast keine Ehe eingegangen? Aber das ist noch keine Jungfrauschaft; denn nur jene möchte ich eine Jungfrau nennen, welche, obgleich sie es konnte, sich dennoch nicht verheirathen wollte; da du aber behauptest, das gehöre zu den verbotenen Dingen, so ist die Befolgung nicht mehr Sache deiner eigenen Wahl, sondern des Zwanges durch das Gesetz. Deßhalb bewundern wir die Perser, welche keine Mütter heirathen, nicht aber die Römer: denn hier erscheint dieses Allen ohne Ausnahme als eine Schandthat, dort aber hat die Straflosigkeit derjenigen, die solches wagen, bewirkt, daß jene gelobt werden, die sich von dieser Vermischung enthalten. Auf dieselbe Weise muß man auch bei der Frage bezüglich der Ehe verfahren. Denn nachdem sie bei uns Allen erlaubt ist, bewundern wir mit Recht diejenigen, die sich der Ehe enthalten; ihr aber, die ihr sie unter die sündhaften Dinge hinstellt, habt in dieser Sache keinen Anspruch auf Lob; denn sich von verbotenen Dingen enthalten, ist nicht das Zeichen eines erhabenen und kräftigen Geistes. Denn ein Zeichen vollendeter Tugend ist es, nicht das zu unterlassen, weßhalb wir, wenn wir es thäten, bei Allen als Frevler erschienen, sondern in jenen Dingen zu glänzen, welche denjenigen, die sie unterlassen, darob keinen Vorwurf zuziehen, und jene, welche sie unternehmen und üben, nicht nur von dem Vorwurf eines Frevels befreien, sondern sie auch den Guten zuzählen. Denn gleichwie Niemand die Verschnittenen, weil sie keine Ehe eingehen, ob des jungfräulichen Standes belobt, auch euch nicht; denn was S. 167 für jene Zwang der Natur ist, das ist für euch der Ausspruch des verdorbenen Gewissens; und gleichwie die Verstümmelung des Körpers die Verschnittenen bei dieser Sache des Ruhmes beraubt hat, so quält euch der Teufel, während die Natur bei euch unverletzt bleibt dadurch, daß er euere gesunde Ansichten verkehrt und so euch nicht zu heirathen zwingt, sowohl mit Anstrengungen, als mit dem Verluste des Ruhmes. Du verbietest die Ehe? Deßhalb wird dir auch für die Ehelosigkeit kein Lohn zu Theil werden, wohl aber Strafe und Züchtigung.

9. Demjenigen, welcher die Ehe verbietet, steht es nicht zu, den jungfräulichen Stand zu empfehlen

„Du aber“, sagt man, „gibst du nicht dasselbe Verbot?“ Es sei ferne, daß ich in deinen Wahnsinn verfalle. „Wie kommt es denn aber“, sagt man, „daß du ermahnest, ehelos zu bleiben?“ Weil ich überzeugt bin, daß der jungfräuliche Stand weit ehrwürdiger sei als die Ehe. Darum aber halte ich die Ehe noch nicht für böse, ja im Gegentheil, ich lobe sie sehr; denn sie ist für diejenigen, welche sich ihrer in rechter Weise bedienen wollen, ein Hafen der Enthaltsamkeit, indem sie die Ausschreitung der Natur verhindert. Denn dadurch, daß sie den gesetzlichen Beischlaf als Schutzwehr aufstellt und dabei die Wogen der Begierlichkeit aufnimmt, gewährt sie uns vorzüglich Ruhe uud Schutz. Es gibt aber Manche, die dieses Schutzmittel nicht brauchen, sondern statt dessen die Heftigkeit der Natur durch Fasten, Nachtwachen, durch das Liegen auf bloßer Erde und durch andere ähnliche Bußwerke bezähmen. Diese ermahne ich nicht zu heirathen, verbiete aber die Ehe nicht. Zwischen diesen und jenen aber ist ein sehr großer Unterschied, ja ein so großer, wie zwischen Zwang und freier Wahl. Denn wer einen Rath gibt, stellt es dem Zuhörer frei, ob er das, was er anräth, befolgen wolle; wer aber verbietet, der nimmt ihm diese Befugniß. Zudem verurtheile ich, der ich hiezu rathe, nicht die Sache, S. 168 noch klage ich den an, der sich dazu nicht versteht. Du aber, der du dieses verdammst und für sündhaft erklärst, und dir die Rolle eines Gesetz- und nicht eines Rathgebers anmaßest, hassest jene mit Recht, die nicht gehorchen; ich aber nicht, sondern ich bewundere diejenigen, welche sich diesem Kampf unterziehen, klage aber auch jene nicht an, die an diesem Kampf nicht Theil nehmen. Denn die Klage ist erst dann berechtigt, wenn Jemand etwas verübt, was zweifellos bös ist. Wer aber, nachdem er eine niedere Stufe der Tugend erklommen, die höhere nicht erreicht, der entbehrt zwar, dem Stärkern gegenüber, des Lobes und der Bewunderung, verdient aber darum nicht getadelt zu werden. Wie verbiete ich also die Ehe, der ich die Ehegatten nicht anklage? Hurerei und Ehebruch verbiete ich, niemals aber die Ehe; und diejenigen, die sich erfrechen, jenes zu treiben, züchtige ich und schließe sie aus von der Gemeinschaft der Kirche; diejenigen aber, die heirathen und dabei das rechte Maaß halten, lobe ich sogar unausgesetzt. Denn so erwächst ein doppelter Vortheil, einmal, weil wir das Werk Gottes nicht verdammen, dann aber, weil dadurch der jungfräuliche Stand nicht nur seine Würde bewahrt, sondern sogar weit mehr verherrlichet wird.

10. Wer die Ehe verdamVom jungfräulichen Stande (De virginitate)11.mt, thut Abbruch auch dem jungfräulichen Stand

Wer nämlich die Ehe verdammt, der benimmt auch dem jungfräulichen Stand seinen Ruhm; wer sie belobt, der macht diesen um so bewunderungswürdiger und herrlicher. Denn was im Vergleiche mit etwas Schlechterem gut erscheint, das ist zweifelsohne nicht vorzüglich gut; was aber noch besser ist als das, was in den Augen Aller gut ist, das ist außerordentlich gut, und das lehren wir bezüglich der Jungfräulichkeit. Wie daher diejenigen, welche die Ehe verdammen, den Ruhm derselben zerstören, so lobt der, welcher in ihr nichts Böses erblickt, nicht so fast sie als vielmehr die Jungfräulichkeit. Denn auch bei den Leibern bezeichnen wir ja nicht jene als schön, welche die ver- S. 169 stümmelten, sondern jene, welche die unversehrten und mit keinem Mangel behafteten übertreffen. Die Ehe ist etwas Gutes, und deßhalb die Jungfrauschaft bewunderungswürdig, weil sie besser ist als das Gute, und zwar in dem Grade besser, in welchem der Steuermann besser ist als die Bootsknechte, der Feldherr besser als die Soldaten. Wie man aber, falls man die Ruderer aus dem Schiffe wegnimmt, dieses versenkt, und falls man die Krieger aus dem Treffen entfernt, den Feldherrn gebunden den Feinden ausliefert, so ist es auch hier: stürzt man die Ehe von ihrer Höhe herab, so gibt man den Ruhm der Jungfräulichkeit preis und thut ihr den äußersten Schimpf an. Der jungfräuliche Stand ist etwas Gutes; das sage auch ich; er ist aber auch besser, als die Ehe; auch das ist meine Behauptung. Und wenn du willst, so werde ich auch beifügen, um wie viel er besser sei: um so viel, als der Himmel die Erde überragt, als die Engel die Menschen, ja um auch etwas Stärkeres zu sagen, noch mehr. Denn wenn die Engel auch nicht zur Ehe nehmen und nicht genommen werden, so sind sie dafür auch nicht aus Fleisch und Blut zusammengesetzt, wohnen nicht auf der Erde, empfinden nicht die Gluth der Begierlichkeit, brauchen weder Speise noch Trank, können weder durch liebliche Gesänge erweicht, noch durch ein schönes Gesicht oder irgend etwas ähnlicher Art gerührt werden; sondern wie der Himmel, von keiner Wolke getrübt, am hohen Mittag einen reinen Anblick gewährt, so müssen auch ihre Naturen, welche von keiner Begierlichkeit beunruhigt werden, rein und glänzend bleiben.

11. Die wahre Jungfräulichkeit macht die Menschen zu Engeln

Allein das Menschengeschlecht, das seiner Natur nach jenen Glückseligen nachsteht, spannt seine eigene Kraft an und ist eifrigst bemüht, jenen nach Vermögen gleichförmig zu werden. Auf welche Weise? Die Engel heirathen nicht und werden nicht geheirathet; aber auch die Jungfrau nicht. Sie stehen ohne Unterlaß vor Gott und dienen ihm; das S. 170 thut auch die Jungfrau. Darum hält sie auch Paulus, damit sie nicht im Eifer zerstreut werden, von allen Sorgen zurück. Wenn sie aber nicht, wie jene, in den Himmel hinaufsteigen können, weil das Fleisch sie herabzieht, so haben sie doch auch hier schon einen herrlichen Trost, indem sie den Herrn des Himmels aufnehmen, wenn sie dem Leibe und der Seele nach heilig sind. Siehst du die Würde der Jungfräulichkeit? Wie sie bei den Erdebewohnern eine Aehnlichkeit des Lebens mit den Himmelsbewohnern schafft? Wie sie nicht zugibt, daß die mit dem Leibe Umkleideten von den unkörperlichen Mächten überragt werden, und wie sie Menschen zu einem englischen Eifer antreibt? Aber nichts von dem kommt bei euch vor, die ihr ein so herrliches Werk verdammt und den Herrn beschuldigt und ihn bös nennt. Darum harret eurer die Strafe des gottlosen Knechtes; den Jungfrauen der Kirche hingegen werden viele und große Güter zu Theil werden, die sowohl Auge und Ohr und die menschliche Fassungskraft übersteigen. Lassen wir deßhalb jene bei Seite (denn wir haben zu ihnen schon genugsam gesprochen), und richten wir jetzt unsere Rede an die Kinder der Kirche.

12. Der Rath des heiligen Paulus: „Den Uebrigen aber sage ich, nicht der Herr,“ darf nicht als ein bloß menschlicher angesehen werden

Womit sollen wir also unsere Rede beginnen? Gerade mit jenen Worten des Herrn, die er durch den heiligen Paulus ausspricht; denn seine Ermahnung müssen wir als eine Ermahnung des Herrn annehmen. Denn wenn er sagt: „Den Ehegatten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr“, und wieder: „Den Uebrigen aber sage ich, nicht der Herr,“ so sagt er damit nicht, daß Einiges ihm, Anderes dem Herrn S. 171 angehöre. Denn wie hätte dann der, aus dem Christus gesprochen, und welcher nicht zu leben verlangt hat, damit Christus in ihm lebte, und welcher Herrschaft und Engel und Mächte und jegliche andere Kreatur, kurz alles Andere seiner Liebe nachgesetzt hat, es auf sich nehmen sollen, etwas zu reden, oder auch nur zu denken, was Christo mißfiele, besonders, als er dieses Gesetz aufgestellt hat? Was sagt er daher mit den Worten: „Ich“ und „nicht ich?“ Christus hat uns seine Gesetze und Lehren theils durch sich selbst, theils durch die Apostel gegeben. Denn daß er nicht Alles durch sich selbst angeordnet, darüber höre sein Wort: „Ich hätte euch noch Vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“ Jenes nun, daß das Weib seinen Mann nicht verlassen soll, hat er schon früher, als er im Fleische unter uns weilte, als Gesetz aufgestellt: und deßhalb sagt Paulus: „Den Verheiratheten befehle nicht ich, sondern der Herr.“ Bezüglich der Ungläubigen aber hat uns Christus persönlich nichts gesagt, wohl aber das Herz des Paulus dahin gelenkt, und so eine Satzung gegeben; und darum sagt dieser: „Nicht der Herr, sondern ich“, nicht, daß er damit andeuten wollte, das Gesagte sei etwas Menschliches. Nicht weniger, sondern diese Vorschrift sei den Schülern nicht von dem Herrn, als er noch gegenwärtig war, gegeben worden, sondern werde es erst jetzt durch ihn. Wie also das Wort; „Der Herr, nicht ich“ nicht ein Wort desjenigen ist, der dem Befehle Christi zuwider handelt, ebenso ist das: „Ich, nicht der Herr“ nicht eine persönliche Ansicht eines solchen, der etwas redet, was Gott zuwider wäre, sondern der lediglich anzeigt, daß diese Vorschrift jetzt durch ihn gegeben werde. Denn von der Wittwe redend sagt er: „Seliger ist sie, wenn sie so bleibt nach meinem Rathe“; damit du nun aber wenn du hörst: „Nach meinem Rathe“, dieses nicht für eine menschliche Meinung ansehest, so hob er den Verdacht durch den Zusatz auf: „Ich meine aber, daß auch ich den Geist Gottes besitze.“ Wie er daher, wenn er ausspricht, was des S. 172 Geistes ist, seine Meinung nennt, und wir daher seinen Ausspruch nicht für einen menschlichen halten dürfen, so vermuthe auch hier, wo er sagt: „Ich sage, nicht der Herr“, keinen bloßen Ausspruch des Paulus: denn er hatte ja Christum in sich, der aus ihm redete: und er hätte es auch nicht gewagt, eine so große Lehre nach Art einer Meinung auszusprechen, wenn er für uns nicht von dorther das Gesetz geholt hätte. Denn es hätte ja Jemand ihm sagen können: „Ich ertrage es nicht als ein Gläubiger mit einer Ungläubigen, als Neiner mit einer Unreinen zu leben. Du hast ja selbst im Voraus gesagt, daß du dieses sagest, und nicht der Herr; woher soll ich also Sicherheit und Zuverlässigkeit nehmen?“ Paulus würde ihm aber erwidert haben: „Sei ohne Furcht; darum sagte ich ja, daß ich Christum besitze, der in mir spricht, und daß ich glaube, den Geist Gottes zu haben, damit du in dem Gesagten nichts Menschliches vermuthest. Denn verhielte sich die Sache nicht so, so würde ich für meine Ansicht nie ein solches Ansehen beansprucht haben. „Denn die Gedanken der Menschen sind furchtsam und ihre Vorsätze unsicher.“ Aber auch die Kirche des Erdkreises zeigt allüberall die Macht des Gesetzes, indem sie dasselbe genau beobachtet, es aber gewiß nicht beobachten würde, falls sie nicht deutlich erkennete, daß der Ausspruch ein Gebot Christi sei. — Was sagt also der vom Geiste des Herrn angetriebene Paulus? „Was aber das betrifft, worüber ihr mir geschrieben habt, so ist es dem Menschen gut, ein Weib nicht zu berühren.“ Hier sind die Korinther zu loben, welche, weil sie von ihrem Lehrer keinen Rath bezüglich des jungfräulichen Standes erhalten, ihn mit ihrer Frage zuvorkommen. Schon von nun an zeigt er, daß ihnen ein Zuwachs der Gnade geworden. Denn im alten Testamente war die Sache nicht zweifelhaft; denn nicht bloß alle Uebrigen, sondern auch Leviten und Priester, ja sogar der Hohepriester, ließen sich die Ehe sehr angelegen sein. S. 173

13. Warum die Korinther wegen des jungfräulichen Standes an Paulus geschrieben, und er ihnen nicht zuerst eine Mahnung gegeben

Woher kamen sie denn zu dieser Frage? Sie erkannten klar und deutlich, daß sie einer höheren Tugend bedürfen, nachdem sie auch des größern Geschenkes gewürdiget worden. Auch das verdient beachtet zu werden, warum er ihnen diesen Rath noch nicht gegeben habe; denn sie würden, hätten sie etwas der Art gehört, nicht wieder an ihn geschrieben haben, um ihn über diesen Gegenstand neuerdings zu befragen. Auch hier erkennt man die bewunderungswürdige Weisheit des Paulus. Denn er unterließ es nicht leichtsinnig und ohne Grund, eine so wichtige Sache in Erinnerung zu bringen, sondern er wartete, bis zuerst sie darnach ein Verlangen verspürten und einige Einsicht in die Sache bekämen, um nach der Wahrnehmung, daß ihre Seelen schon für die Jungfrauschaft gewonnen seien, mit Nutzen über diese Dinge reden zu können, weil der Eifer der Zuhörer für eine Sache eine große Erleichterung für die Aufnahme der Ermahnung gewährt. Andererseits zeigt er aber auch die Größe und die hohe Wichtigkeit des Gegenstandes. Denn wäre das nicht der Fall, so hätte er wohl nicht auf ihren Eifer gewartet, sondern ihnen zuvorkommend seine Meinung, wenn auch nicht als Gebot und nicht als Vorschrift, so doch wenigstens als Ermahnung und Rath ausgesprochen. Nun aber hat er damit, daß er das nicht zuerst that, uns deutlich gemacht, daß der jungfräuliche Stand vielen Schweiß und große Anstrengung fordere: aber auch hier verfuhr er nach dem Beispiele unseres gemeinschaftlichen Herrn: denn auch dieser redete erst dann über den jungfräulichen Stand, als ihn die Jünger befragten. Denn als sie sagten: „Wenn die Sache des Mannes mit seinem Weibe sich so verhält, so ist es gut, nicht zu heirathen,“ gab er die Antwort: „Es gibt Verschnit- S. 174 tene, welche sich selbst um des Himmelsreichs willen verschnitten haben.“ Denn wenn die gute That groß ist, und nicht unter den Zwang eines Gesetzes hineinfällt, so ist das Verlangen derjenigen zu erwarten, welche sie verrichten wollen, indem wir auf andere und unverdächtige Weise das Wollen und Verlangen darnach in ihnen nicht zu erzwecken vermögen. So hat nun auch Christus gehandelt. Denn er riß sie nicht durch irgend eine Unterredung über den jungfräulichen Stand zum Verlangen nach demselben hin, sondern indem er nur von der Ehe sprach, und die Schwierigkeit des Verhältnisses zeigte, und in seiner Rede nicht weiter ging, richtete er die Sache so weise ein, daß seine Jünger, welche noch nichts über das Nichtheirathen gehört, aus freien Stücken sagten: „Es ist gut, nicht zu heirathen.“ Deßhalb sprach nun auch Paulus, der Nachahmer Christi: „Was aber das betrifft, worüber ihr mir geschrieben habt“, womit er sich vor ihnen darüber beinahe entschuldigen und sagen wollte: „Ich habe es nicht gewagt, wegen der Schwierigkeit der Sache euch zu diesem erhabenen Gipfel hinaufzuführen; nachdem ihr mir aber mit eurem Schreiben zuvorgekommen seid, so gebe ich euch muthig den Rath.“ Denn warum machte er, da sie ihm doch über viele Dinge geschrieben, nirgends mehr diesen Zusatz? Aus keinem andern Grunde, als aus dem, welchen ich soeben angeführt habe: damit nämlich Keiner seine Ermahnung unwillig aufnehme, ruft er ihnen ihren Brief in’s Gedächtniß zurück; aber auch so, obgleich er einen so günstigen Anlaß gefunden, gibt er ihnen keine zudringliche, sondern eine freundliche Mahnung, indem er auch hierin Christus nachahmte. Denn nachdem der Erlöser seine Rede über den jungfräulichen Stand beendigt hatte, fügt er bei: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ Was sagt also Paulus? „Was aber das betrifft, worüber ihr mir geschrieben habt, so ist es dem Menschen gut, ein Weib nicht zu berühren.“ S. 175

14. Einwürfe gegen den jungfräulichen Stand. Widerlegung derselben

Vielleicht sagt aber Jemand: „Wenn es gut ist, kein Weib zu berühren, warum ist denn die Ehe in’s Leben getreten? Wozu bedürfen wir denn in Zukunft des Weibes, wenn es weder zur Ehe noch zur Erzeugung von Kindern dienen soll? Was wird denn die Vernichtung des ganzen Menschengeschlechtes verhindern, da einerseits der Tod dasselbe täglich abweidet und mäht, anderseits aber diese Lehre verbietet, an die Stelle der Gestorbenen Andere zu setzen? Denn falls wir Alle nach diesem Gut streben und kein Weib herrühren, so wird Alles zerfallen, Städte, Häuser, Aecker, Gewerbe, Thiere und Pflanzungen. Denn gleichwie nach dem Tode des Feldherrn die ganze Schlachtordnung des Heeres sich nothwendig auflöst, so wird, wenn der Mensch, der über alles Irdische herrscht, aus Mangel an Ehe vernichtet ist, nichts von dem Uebrigen seine Unverletztheit und Ordnung bewahren, und es wird diese saubere Lehre den Erdkreis mit zahllosen Uebeln erfüllen.“

Rührten diese Aeußerungen nur von den Feinden und Ungläubigen her, so würde ich die Sache kurz abthun; nachdem aber auch Viele von denen, welche scheinbar zur Kirche gehören, sich einer gleichen Sprache bedienen, da sie aus Schwäche des Willens die Mühen des jungfräulichen Standes verschmähen, und dann durch Verdammung und Geringschätzung desselben ihre eigene Trägheit beschönigen wollen, damit es doch scheine, als hätten sie nicht so sehr aus Nachlässigkeit, als in Folge eines richtigen Vernunfturtheiles diesen Kampf gemieden: wohlan, so wollen wir mit Beiseitesetzung der Feinde („denn der natürliche Mensch aßt nicht, was des Geistes ist, denn es ist ihm Thorheit“), diejenigen, welche sich stellen, als gehörten sie zu den Unsrigen, über beides belehren, daß die Sache weder unnütz, S. 176 sondern vielmehr sehr nützlich und nothwendig sei, noch daß sie einen solchen Tadel straftos erheben, sondern daß sie ihnen eine ebenso große Gefahr bringen werde, als denen Belohnung und Lob, welche sie in Ehren halten. Denn nachdem diese ganze Welt geschaffen, und Alles, was zu unserer Ruhe und Nothdurft gereicht, zubereitet war, hat Gott den Menschen gebildet, um dessentwillen er auch die Welt erschuf. Nachdem aber derselbe gebildet war, blieb er im Paradiese, ohne daß die Ehe erwähnt wird. Er bedürfte auch einer Gehilfin und sie wurde ihm. Aber auch jetzt schien die Ehe nicht nothwendig zu sein; sie war aber auch nicht vorhanden; denn jene lebten im Paradiese, wie in einer Art Himmel, und genossen im Umgang mit Gott der süßesten Ruhe. Die Begierde nach Beischlaf, die Empfängniß, die Wehen und das Gebären, und jegliche Art des Verderbens war aus ihrer Seele verbannt, und wie ein durchsichtiger Fluß, der einer klaren Quelle entströmt, lebten sie dort, geschmückt mit der Jungfräulichkeit. Damals war die ganze Erde leer von Menschen; dasselbe befürchten diese Weltverbesserer, welche sich angelegentlich um fremde Dinge bekümmern, an die eigenen aber sich nicht einmal zu denken getrauen, und indem sie besorgen, es möchte das ganze Menschengeschlecht untergehen, die eigene Seele, gleichsam als wäre sie eine fremde, vernachlässigen, obgleich sie, was diese betrifft, sogar über die geringsten Dinge eine strenge Rechenschaftwerden ablegen müssen, was dagegen die geringe Zahl der Menschen angeht, auch nicht die mindeste Rechenschaft zu geben haben werden. Damals gab es weder Städte, noch Gewerbe, noch Häuser; denn auch das macht euch natürlich keine geringe Sorge. Obgleich aber damals diese Dinge nicht waren, so hinderte und störte dennoch nichts jenes glückliche und weit bessere Leben, als das gegenwärtige. Nachdem sie aber Gott nicht gehorcht, nachdem sie Erde und Asche geworden, verloren sie mit jenem glücklichen Leben zugleich auch den Schmuck der Jungfräulichkeit, und mit Gott verließ diese auch sie und verschwand. Denn solange sie, vom Teufel nicht über S. 177 wunden, ihren Herrn fürchteten, verblieb ihnen die Jungfrauschaft, welche ihnen einen höhern Schmuck verlieh, als den Königen das Diadem und die goldnen Gewänder. Nachdem sie aber, zu Gefangenen gemacht, dieses königliche Gewand abgelegt, und den himmlischen Schmuck eingebüßt, und das Verderben des Todes, und den Fluch und die Schmerzen und das mühevolle Leben eingetauscht hatten, da kam in diesem Gefolge die Ehe, dieses sterbliche und slavische Kleid; denn „wer ein Weib hat“, heißt es, sorget für das, was der Welt ist.“

Siehst du, woher die Ehe ihren Anfang genommen, woher sie als nothwendig erschienen? Von dem Ungehorsam, dem Fluche und dem Tode. Denn wo der Tod, da ist die Ehe; wo aber diese nicht ist, da erfolgt auch jener nicht. Dem jungfräulichen Stand aber folgen diese Dinge nicht, sondern er ist immer nützlich, immer gut und glücklich, sowohl vor als nach dem Tode, sowohl vor als nach der Ehe. Denn sage mir, welche Ehe hat denn den Adam erzeugt, welche Geburswehen die Eva? Du wirst es nicht zu sagen vermögen. Warum ängstigst du dich also umsonst und zitterst du, es möchte, wenn die Ehe aufhört, auch das Menschengeschlecht aufhören? Tausend und abermal tausend Engel dienen Gott, tausend und abermal tausend Erzengel stehen vor ihm, und doch ist keiner derselben durch Fortpflanzung oder Geburt, durch Geburtswehen und Empfängniß entstanden. Um wie viel mehr also hätte Gott auch die Menschen ohne Ehe zu bilden vermocht, wie er auch die ersten gebildet hat, von denen alle Andern stammen?

15. Nicht die Ehe vermehret unser Geschlecht

Aber auch jetzt hält nicht die Kraft der Ehe unser Geschlecht zusammen, sondern das Wort des Herrn, das er S. 178 schon im Anfang gesprochen: „Wachset und mehret euch, und erfüllet die Erde.“ Denn sage mir, was nützte sie wohl dem Abraham, um Kinder zu erhalten? Brach er nicht endlich, nachdem er sich ihrer so viele Jahre bedient, in die Worte aus: „Herr, was wirst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder.“ Wie also Gott damals so vielen Tausenden aus erstorbenen Körpern Entstehung und Ursprung gegeben, so hätte er auch im Anfang, wenn Adam dessen Befehlen gehorchend die Lust am Baume bezähmt, wohl keine Ursache gehabt, über den Weg verlegen zu sein, um das Menschengeschlecht zu vermehren. Denn weder die Ehe vermag, wenn Gott es nicht will, die Menschen zu mehren, noch die Jungfräulichkeit, wenn Gott will, daß sie sich mehren, die Menge zu mindern. — „Aber er wollte es so,“ heißt es, „unsert- und unseres Ungehorsames wegen.“ Warum kam denn die Ehe nicht vor der Verführung zum Vorschein? Warum gab es im Paradiese keinen Beischlaf? Warum vor dem Fluch keine Geburtswehen? Weil diese Dinge überflüssig waren; später hingegen wurden wegen unserer Schwachheit sowohl sie, wie auch alles Uebrige, Städte, Gewerbe, Bekleidung und der ganze übrige Haufe unentbehrlicher Dinge nothwendig. Denn das Alles führte der Tod in seinem Gefolge herbei. Was daher deiner Schwäche verliehen worden, das ziehe dem jungfräulichen Stande nicht vor, ja setze es ihm nicht einmal gleich. Denn aus diesem Grunde könntest du am Ende auch sagen, es sei besser, zwei Weiber zu haben, als sich nur mit Einem zu begnügen, weil das durch das Gesetz Mosis erlaubt war; und so könntest du auch den Reichthum für besser halten, als die freiwillige Armuth, die Schwelgerei für besser, als die Genügsamkeit, die Beleidigung rächen für besser, als sie edelmüthig ertragen.

16. Die Ehe ist nur ein Zugeständniß

„Du aber“, sagt man, „machst etwas Schlechtes daraus.“ S. 179 Ich mache durchaus nichts Schlechtes daraus; denn Gott hat es zugestanden, und es war seiner Zeit nützlich; aber ich nenne es gering, und eher für Kinder, als für Männer angemessen. Daher hat auch Christus, der uns vollkommen zu machen gedachte, diese gleichsam knabenhaften Gewänder, welche weder den erwachsenen Mann zu verhüllen, noch den zum Vollalter Christi Gelangten zu schmücken vermögen, auf die Seite zu legen, und glänzendere und vollkommnere als jene anzuziehen befohlen, wobei er mit sich nicht in Widerspruch kommt, sondern in bestem Einklange steht. Denn sind diese Vorschriften auch größer als jene, so hat doch der Gesetzgeber die nämliche Absicht. Nun was ist das für eine? Die Schlechtigkeit unserer Seele zu beschneiden und diese zur vollendeten Tugend zu führen. Hätte er also nicht Größeres als das Frühere auferlegt, sondern Alles in gleichem Stande gelassen, ohne uns je von jener Armseligkeit zu befreien: dann fürwahr befände er sich mit sich selber im Widerspruche. Gleichwie wir nämlich, hätte er im Anfang, als das Menschengeschlecht noch mehr kindisch gesinnt war, diese strenge Einrichtung getroffen, nie die mildere empfangen, sondern Ehen ob dieser Strenge unser Heil gänzlich eingebüßt haben würden: so würden wir auch, hätte er uns nach diesem langen Zeitraum und der Erziehung durch das Gesetz, obgleich die Zeit uns zu dieser himmlischen Philosophie rief, an der Erde kleben lassen, wohl keinen großen Vortheil aus dieser Nachsicht geschöpft haben, da die Vollkommenheit, um derentwillen die Nachsicht geübt ward, uns nicht zu Theil geworden wäre.

17. Von der Nachsicht Gottes

Nun aber begegnete uns etwas Aehnliches, wie den Küchlein. Denn sobald die Mutter diese erzogen, führt sie dieselben zwar aus dem Neste; wenn sie aber gewahrt, daß sie noch schwach sind und fallen und des Aufenthaltes darin S. 180 noch bedürfen, so läßt sie dieselben noch mehrere Tage zurück, nicht damit sie beständig darin bleiben, sondern damit sie sich mit Sicherheit dem Fluge hingeben können, nachdem ihnen die Flügel tüchtig erstarkt sind und sie die Vollkraft erlangt haben. So hat uns auch unser Herr schon vom Anfang zum Himmel gezogen und den Weg, der dahin führt, gezeigt, nicht als ob er nicht gewußt hätte, — er wußte es vielmehr sehr wohl, — daß wir zu diesem Fluge unfähig wären, sondern um uns zu zeigen, daß der Fall nicht nach seinem Willen, sondern nach unserer Schwachheit geschehe. Nachdem er dieses gezeigt, ließ er uns fürder in dieser Welt und in der Ehe, gleichsam wie in einem Neste erziehen. Nachdem uns aber in der Fülle der Zeit die Flügel der Tugend erstarkt waren, da führte er uns allmälig und stufenweise aus diesem Aufenthalte und lehrte uns einen höhern Flug. Die Einen nun, trag und in tiefem Schlafe begraben, liegen noch behaglich im Neste, da sie den weltlichen Dingen zugethan sind; die Andern dagegen, die Edlen und Freunde des Lichtes, haben dasselbe mit großer Leichtigkeit verlassen, fliegen nach oben und streben zum Himmel, nachdem sie auf alles Irdische, Ehe, Geld, Sorgen und alles Andere verzichtet, was uns gewöhnlich zur Erde herabzieht. Glauben wir daher nicht, daß die anfänglich ertheilte Gestattung der Ehe von nun an eine Nothwendigkeit sei, welche da hindert, die Ehe zu fliehen; denn daß er wünscht, daß wir ihr entsagen, darüber höre sein Wort: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ Wenn er das nicht am Anfang befohlen hat, so ist das kein Wunder; denn auch der Arzt schreibt den Kranken nicht Alles zugleich und zur nämlichen Zeit vor, sondern verbietet ihnen, wenn sie vom Fieber ergriffen sind, die kräftige Nahrung; haben sie aber jene Fieberhitze und die durch sie verursachte Körperschwäche verloren, dann befreit er sie endlich von den unbehaglichen Speisen und führt sie zur gewohnten Nahrung zurück. Sowie aber die unter S. 181 einander streitenden Elemente in den Körpern, sei es durch Uebermaß oder Mangel, die Krankheit erregen, so steht es auch mit der Seele; die Ausschreitungen der Leidenschaften zerstören ihre Gesundheit, und es braucht die rechte Zeit, auf daß zu den vorhandenen Leidenschaften das Gebot passend sich verhalte; ohne Beides wird das Gesetz zur Beseitigung der in der Seele eingetretenen Verschlimmerung durchaus nicht genügen, wie ja auch die Natur der Heilmittel an sich keine Wunde zu bellen vermag. Denn was die Arzneimittel für die Wunden, das sind die Gesetze für die Sünden. Den Arzt nun, welcher oft an der nämlichen Wunde bald schneidet, bald brennt, bald keines von Beiden thut, zankst du nicht aus, selbst wenn er dabei häufig das Ziel verfehlt; Gott aber, der sich nie irrt, sondern Alles regiert, wie es sich für seine Weisheit geziemt, tadelst du und verlangst von ihm Rechenschaft über seine Gebote, und gehst seiner unendlichen Weisheit nicht aus dem Wege, wiewohl du doch nur ein Mensch bist. Ist das nicht der äußerste Wahnsinn? Er sagt: „Wachset und mehret euch.“ So forderte es nämlich die Zeit, da die Natur tobte, die Hitze der Leidenschaften nicht mehr besänftigen konnte, und in jenem Sturme keinen anderen Hafen mehr hatte, um sich in denselben zu flüchten. Denn was hätte er ihnen befehlen sollen? Etwa in der Enthaltsamkeit und im jungfräulichen Stande zu leben? Das hätte aber einen größern Fall verursacht und eine heftigere Flamme erzeugt. Denn wenn Jemand Kindern, die nur der Milch bedürfen, diese Nahrung entzieht und sie zwingt, eine solche zu nehmen, die für Männer sich eignet, so wird nichts im Wege stehen, daß sie sogleich sterben. Ein so großes Uebel ist die Unzeit. Deßhalb wurde der jungfräuliche Stand im Anfang nicht gegeben, oder vielmehr der jungfräuliche Stand war theils vom Anfange an, theils früher als die Ehe vorhanden: darum aber wurde die Ehe später eingeführt und für nöthig gehalten, da sie, wäre Adam gehorsam geblieben, nicht S. 182 nöthig gewesen sein würde. — Aber, sagt man, wie wären dann die vielen Tausende entstanden? Ich aber frage dich wieder, weil dich diese Sorge gar so sehr quält: Woher ist denn Adam, woher Eva gekommen, da doch keine Ehe da war? Wie nun? Sollten denn, sagt man, alle Menschen so geboren werden? Ob auf diese, oder auf eine andere Weise, kann ich nicht sagen; denn es handelt sich jetzt ja nur darum, daß Gott, um die Menschen auf Erden zu mehren, die Ehe nicht nöthig gehabt hätte.

18. Nicht der jungfräuliche Stand, sondern die Sünde vermindert unser Geschlecht

Daß aber nicht der jungfräuliche Stand dem Menschengeschlechte den Untergang bringe, sondern die Sünden und die unnatürlichen Vermischungen, beweist jene Vertilgung der Menschen und Thiere, kurz aller lebenden Wesen auf Erden zur Zeit Noe’s. Denn hätten damals die Kinder Gottes der schändlichsten Lust widerstanden und die Jungfräulichkeit in Ehren gehalten, und nicht mit gottlosen Blicken auf die Töchter der Menschen geschaut, so würde dieses Verderben nie über sie hereingebrochen sein. Indessen soll ja Niemand glauben, daß ich diesen ihren Untergang der Ehe zur Last lege; denn das behaupte ich jetzt nicht, sondern daß, wenn unser Geschlecht untergeht und zerstört wird, dieß nicht die Schuld des jungfräulichen Standes, sondern der Sünde sei.

19. Es gab für die Ehe ehemals zwei Ursachen, jetzt aber nur Eine

Die Ehe ist nun behufs der Kindererzeugung, weit mehr aber, um die Gluth der Natur zu dämpfen, eingeführt worden. Und das bezeugt Paulus, wenn er sagt: „Um die S. 183 Hurerei zu vermeiden, habe ein Jeder sein Weib“; nicht wegen der Kindererzeugung; und wieder befiehlt er ihnen zusammenzukommen, nicht damit sie Eltern vieler Kinder werden, sondern warum? „Damit euch der Satan nicht versuche”, sagt er; und im weitern Verlaufe spricht er nicht: „Wenn sie Kinder wünschen“, sondern was? „Wenn sie aber nicht enthaltsam sind, so sollen sie beirathen.“ Denn vom Anfang hatte die Ehe, wie ich bemerkte, diesen doppelten Zweck; nachdem aber später die Erde und das Meer und der ganze Erdkreis angefüllt war, blieb nur ein einziger übrig, die Aufhebung der Bosheit und Lüsternheit. Denn denjenigen, die sich auch jetzt noch in diesen Lastern wälzen, oder ein Leben nach Art der Schweine führen, oder in den Hurenhäusern umkommen wollen, nützt die Ehe nicht wenig, weil sie dieselben von jenem Schmutze und jener Noth befreit, und in der Heiligkeit und Keuschheit erhält. Doch wie lange werde ich nicht aufhören gegen einen Schatten zu kämpfen? Denn auch ihr, die ihr dieses behauptet, kennt nicht minder als wir die Vortrefflichkeit des jungfräulichen Standes, und Alles, was von euch vorgebracht wird, ist nur Einbildung und Vorwand und ein Deckmantel der Wollust.

20. Es ist nicht recht, den jungfräulichen Stand zu verachten, selbst wenn es für die Verächter desselben gefahrlos sein würde

Falls es aber auch gefahrlos wäre, Solches zu reden, so müßte man sich auch so der Verleumdung enthalten. Denn wer über vortreffliche Dinge entgegengesetzter Meinung ist, der legt, abgesehen von andern Nachtheilen, bei Allen auch ein nicht geringes Zeugniß seiner eigenen Verkommenheit ab, nämlich sein so verkehrtes und ungerechtes Urtheil. Daher sollte man, wenn auch aus keinem andern Grunde, als um keine schlechte Meinung von sich zu erwecken, seine S. 184 Zunge bezähmen und bedenken, daß der, welcher diejenigen bewundert, die sich in den schwersten Kämpfen hervorthun, wenn er auch nicht das Gleiche erreicht, von Allen leicht Nachsicht erlange. Wer aber Solches nicht übt, ja sogar das noch verdammt, was viele Kronen verdient, der wird mit Recht von Allen als ein Feind und Verächter der Tugend gehaßt und für unglücklicher gehalten, als die Wahnsinnigen. Denn diese wissen nicht, was sie thun, noch übernehmen sie aus freien Stücken, was sie leiden; wenn sie daher selbst die Vorgesetzten beleidigen, so werden sie nicht nur nicht gestraft, sondern sogar von den Verletzten bedauert. Falls aber Jemand das, was jene unfreiwillig thun, wissentlich wagt, so wird er mit Recht nach dem Urtheile Aller als ein Feind unserer Natur verdammt.

21. Den Verächtern des jungfräulichen Standes droht die größte Gefahr

Neun nun auch, wie ich sagte, jener Tadel ungestraft bliebe, so müßte man sich doch wegen des Ehen Erwähnten dessen enthalten. Nun aber liegt in der Sache eine große Gefahr; denn es wird nicht bloß derjenige, welcher dasitzend gegen seinen Bruder sich ausläßt und Anstoß gegen den Sohn seiner Mutter bereitet, bestraft werden, sondern auch jener, der sich unterfängt, das zu tadeln, was vor Gott herrlich erscheint. Höre, was ein anderer Prophet über denselben Gegenstand sagt: „Wehe demjenigen, der das Böse gut, und das Gute bös nennt; der das Licht zu Finsterniß, und die Finsterniß zu Licht macht; der das Bittere in süß, das Süße zu bitter verwandelt.“ Denn was ist süsser, was besser, was glänzender, als der jungfräuliche Stand, der leuchtendere Blitze als selbst die Strahlen der Sonne entsendet, uns von allen weltlichen Geschäften befreit, und ohne Unterlaß mit reinen Angen zur S. 185 Sonne der Gerechtigkeit aufblicken läßt? Und das sagt Isaias von denen, welche unter sich verwerfliche Gerichte halten. Verimm aber auch, was ein anderer Prophet, der mit dem gleichen Ausruf beginnt, von denjenigen sagt, die solche giftige Worte unter das Volk schleudern: „Wehe dem, welcher seinem Nächsten schmutzige Zerstörung zu trinken gibt.“ Das „Wehe“ ist aber nicht einfach ein Wort, sondern eine Drohung, die uns eine unsägliche und unbarmherzige Strafe verkündet; denn in den heiligen Schriften wird dieser Ausruf gegen jene gebraucht, welche den bevorstehenden Strafen nicht mehr zu entrinnen vermögen. Und wieder sagt ein anderer Prophet, indem er die Juden tadelt: „Ihr gebet den Geheiligten (Nasiräern) Wein zu trinken.“ Wenn aber derjenige, welche den Nasiräern) Wein zu trinken gibt, so sehr gestraft werden wird, welche Strafe wird der nicht verdienen, welcher in die Seelen der Einfältigen schmutzige Zerstörnug ausgießt? Wenn derjenige, welcher einen kleinen Theil der Gesetzübung unterschlägt, unerbittliche Strafe erfährt, welche Strafe wird jener erdulden, der dieses unversehrte Heiligthum herabsetzt? „Wer Eines aus diesen Kleinen“, heißt es, „ärgert, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“ Was werden nun jene sagen, die mit solchen Worten nicht etwa Ein Kleines, sondern Viele ärgern? Denn wenn derjenige, welcher seinen Bruder Narr nennt, geradezu in’s höllische Feuer geworfen wird, welchen Zorn wird der auf sein Haupt laden, welche diese engelgleiche Einrichtung anklagt? Maria spottete einst über Moses, nicht wie ihr jetzt über den jungfräulichen Stand, sondern in einer viel geringeren und unbedeutenderen Sache; denn sie tadelte nicht einen Menschen, noch verspottete sie die Tugend jenes Heiligen, sie bewunderte sie sogar sehr: sie sagte nur, daß sie sich der nämlichen Vor- S. 186 züge erfreue, wie er; und dennoch erregte sie den Zorn Gottes so sehr, daß sogar die dringende Fürbitte desjenigen, welcher der Beleidigte schien, nichts ausrichtete, sondern ihr über dessen Ansicht hinaus die Strafe geschärft wurde.

22. Die Strafe der Knaben, welche den Elisäus verspotteten, ist ein warnendes Beispiel

Doch wozu nenne ich Maria, da jene bei Bethlehem spielenden Knaben, die zu Elisäus das Einzige sagten: „Steige herauf, Kahlkopf,“ Gott so sehr erzürnten, daß er sogleich Bären auf diese Schaar — denn es waren ihrer zweiundvierzig — entsendete? Und Alle ohne Ausnahme wurden dann von den Thieren zerrissen, und es nützte weder das Alter, noch die Menge, noch die bloße Scherzrede etwas, und zwar mit vollem Rechte. Denn wenn diejenigen, welche so große Anstrengungen übernehmen, sowohl Knaben als Männern zum Gespötte dienen, wer von den Schwächern wird Anstrengungen übernehmen wollen, wofür er Spott und Hohn zu gewärtigen hat? Wer aus dem Volke wird sich für die Tugend ereifern, wenn er sie so verlacht werden sieht? Denn wenn jetzt, wo sie Alle aller Orten bewundern, nicht blos diejenigen, welche sie üben, sondern selbst jene, die davon abgefallen sind, die Menge vor diesen Anstrengungen Furcht empfindet und zurückweicht; wer möchte sich ihrer Uebung gerne hingeben, wenn er sieht, daß sie nicht bloß nicht bewundert, sondern obendrein von Allen geschmäht wird? Allerdings verlangen die vorzüglich Starken und jene, welche sich schon dem Himmel zugewandt haben, den Trost der Menge nicht, sondern es genügt ihnen als größter Trost das Lob, das sie von Gott erhalten. Die Schwächern aber und jene, die erst vor Kurzem zu ihr hingeführt worden, schöpfen eine nicht geringe Kraft aus dem Beifall der Menge, bis sie von allen Seiten ge- S. 187 rüstet allmälig dahin gelangen, daß sie dieser stützenden Führung nicht mehr bedürfen. Das geschieht aber nicht nur ihretwegen, sondern auch ob des Heiles der Spötter selbst, damit sie, weil sie für ihre frühere Kühnheit ungestraft bleiben, in der Bosheit nicht weiter gehen möchten. Während ich aber dieses erwähne, fällt mir ein, was zur Zeit des Elias geschah. Denn was die Knaben wegen Elisäus von den Bären, das haben zweimal fünfzig Männer vom Feuer gelitten, das vom Himmel fiel und sie verzehrte. Weil sie nämlich mit vieler Verstellung zu dem Gerechten kamen und ihm befahlen, zu ihnen herabzusteigen, so fiel an Seiner Statt Feuer vom Himmel und verzehrte sie alle, wie jene die wilden Thiere. Erwäget das nun, ihr sämmtlichen Gegner des jungfräulichen Standes, und verschließt und verriegelt doch einmal euren Mund, damit nicht auch ihr zur Zeit des Geistes beim Anblick derjenigen, die durch ihre Jungfräulichkeit glänzen, zu sprechen beginnet: „Diese sind es, die wir einst verlachten und mit schimpflichen Reden verhöhnten. Wir Thoren hielten ihr Leben für Unsinn und ihr Ende für schimpflich. Siehe, wie sie unter die Kinder Gottes gezählt sind, und ihr Loos unter den Heiligen ist. So haben wir uns also verirrt vom Wege der Wahrheit, und das Licht der Gerechtigkeit leuchtete uns nicht.“ Doch was frommen diese Worte, da zu jener Zeit die Reue ihren Werth verloren hat?

23. Warum diejenigen, welche Gleiches verschulden, nicht gleiche Strafe erdulden

Vielleicht aber sagt Jemand von euch: Hat denn Niemand in jenen Zeiten heilige Männer beschimpft? Viele, und an vielen Orten der Erde. Warum aber, sagt man, haben sie nicht dieselbe Strafe empfangen ? Allerdings haben sie solche empfangen, und ich kenne Viele von ihnen. Falls aber Einige derselben entrannen, so werden sie ihr doch nicht für immer entrinnen. Denn nach dem heiligen Paulus „sind S. 188 einiger Menschen Sünden bekannt und gehen voran zum Gerichte; bei Andern folgen sie aber auch nach;“ und wie die Gesetzgeber die Strafen für die Missethäter schriftlich hinterlassen haben, so straft auch unser Herr Jesus Christus den einen und andern Sünder, und verkündet, indem er deren Strafen gleichsam auf einer ehernen Tafel und schriftlich vor Augen stellt, durch das, was diesen widerfahren ist. Allen, daß sie, auch wenn sie für dieselben Sünden jetzt noch nicht die nämlichen Strafen erdulden, in der zukünftigen Welt eine härtere Strafe zu gewärtigen haben.

24. Momentane Straflosigkeit darf Sündern nicht zur Beruhigung dienen, sondern bietet vielmehr Grund zur Beunruhigung

Beruhigen wir uns also nicht, wenn wir bei zahllosen Sünden keine Strafe erleiden, wir sollen uns vielmehr deßwegen fürchten. Denn wenn wir auch hier von Gott nicht gestraft werden, so werden wir doch dort mit der Welt gezüchtiget werden. Und das ist wieder nicht meine Meinung, sondern des aus Paulus redenden Christus; denn zu denjenigen redend, welche das Heilige unwürdig genießen, spricht er: „Darum sind unter euch viele Schwache und Kranke, und entschlafen Viele. Denn wenn wir uns selbst richteten, so würden wir nicht gerichtet werden. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, damit wir nicht mit dieser Welt verdammt werden.“ Es gibt nämlich solche, welche nur hier gezüchtigt zu werden bedürfen, weil ihre Fehler gering sind, damit sie bestraft nicht wieder in ihren frühern Zustand verfallen, den Hund nachahmend, der zum Ausgespieenen wieder zurückkehrt. Es gibt sodann Andere, welche wegen des Uebermaßes ihrer Gottlosigkeit sowohl hier als dort gezüchtiget werden; Andere aber werden nur dort Strafen erdulden, weil sie S. 189 allergrößten Frevel verübt haben und nicht werth sind, mit Menschen gezüchtigt zu werden; denn es heißt: „Und sie werden nicht mit Menschen gezüchtiget werden,“ solche nämlich, welche aufbewahrt werden, um mit den Dämonen bestraft zu werden: denn: „Hinweg von mir“, heißt es, „in die äußerste Finsterniß, welche dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist.“ Viele haben das Priesterthum durch Geld an sich gerissen, und sie hatten Niemand, der sie tadelte, noch hörten sie, was einst Simon Magus von Petrus gehört hat; aber darum sind sie der Strafe nicht entflohen, sondern sie werden eine weit schwerere, als die ihnen hier gebührende, zu leiden haben, weil sie sich nicht einmal durch das Beispiel bessern ließen. Viele haben das Nämliche, was Kore, gewagt, jedoch nicht dasselbe, was Kore, gelitten; später aber werden sie eine größere Strafe erleiden. Viele haben die Gottlosigkeit des Pharao nachgeahmt und sind nicht, wie jener, in’s Meer versenkt worden, aber ihrer harret das höllische Meer. Auch sind solche, welche ihre Brüder Narren nennen, noch nicht gestraft worden, denn für sie ist die Strafe dort aufbewahrt. Glaubet daher nicht, daß die Aussprüche Gottes nur Worte seien; denn deßhalb hat er auch einige zur That werden lassen, wie an Saphira, Charmi, Aaron und vielen Andern, damit diejenigen, welche seinen Worten den Glauben versagen, durch das Zeugniß der Thatsachen beschämt, aufhören, sich selber zu bereden, als würden sie keine Strafe zu büßen haben, und lernen, daß die Güte Gottes so weit gehe, um den Freveln Zeit zu gönnen, nicht aber, daß er jene nicht strafen werde, welche in ihren Sünden verharren.

Ich hätte noch mehr Beweise anführen können, welch’ gewaltiges Feuer sich jene bereiten, welche die Schönheit S. 190 des jungfräulichen Standes verachten: doch den Vernünftigen genügt das Gesagte, die Widerspenstigen aber und Wahnsinnigen würde noch weit mehr als dieses nicht von ihrem Wahnsinn zu heilen vermögen. Richten wir darum von dieser Darstellung ablassend, unsere Rede nur an die Vernünftigen und kehren wir wieder zum heiligen Paulus zurück: „Was aber das betrifft“, sagt er, „worüber ihr mir geschrieben habt, so ist es dem Menschen gut, kein Weib zu berühren.“ Es mögen sich nun Beide schämen, sowohl jene, welche die Ehe verwerfen, als auch jene, welche sie mehr als billig erheben; den Beiden legt der heilige Paulus, sowohl mit diesen, als mit den folgenden Worten Stillschweigen auf.

25. Den Schwachen ist die Ehe nothwendig

Die Ehe ist gut, weil sie den Mann in den Schranken der Ehrbarkeit hält und ihn nicht in Hurerei versinken und darin untergehen läßt. Darum tadle sie nicht; denn sie gewährt einen wichtigen Vortheil, weil sie die Glieder Christi nicht zu Gliedern einer Buhlerin werden, und den heiligen Tempel nicht entweiht und verunreinigt werden läßt. Sie ist gut, sage ich, weil sie den Wankenden stützt und aufrecht erhält. Doch was geht das den an, der steht und ihre Hilfe nicht braucht? Denn hier ist sie weder nützlich und nöthig, sondern sogar ein Hemmniß der Tugend, nicht bloß darum, weil sie viele Schwierigkeiten darbietet, sondern auch, weil sie den größten Theil des Lobes entzieht.

26. Derjenige, welcher als Jungfrau leben könnte, aber heirathet, fügt sich den größten Schaden zu

Wer nämlich den, welcher nackt zu kämpfen und zu siegen vermag, mit Waffen versieht, unterstützt ihn nicht nur nicht, sondern thut ihm vielmehr den größten Schimpf an, da er ihn um die Bewunderung und die glänzenden S. 191 Kronen bringt; denn er gestattet ja nicht, daß sich dessen ganze Tapferkeit zeige, noch daß seine Siegestrophäe allgemein bekannt werde. Bei der Ehe ist aber ein noch größerer Verlust; denn sie benimmt nicht bloß das Lob der Menge, sondern auch die für die Jungfrau hinterlegte Belohnung. Darum ist es dem Menschen gut, kein Weib zu berühren. — „Warum gestattest du nun, es zu berühren?“ Wegen der Hurerei, heißt es. Ich trage Bedenken, dich bis zum Gipfel der Jungfrauschaft empor zu heben, damit du nicht in den Abgrund der Hurerei herabstürzest. Noch bist du nicht so leichtbeschwingt, daß ich dich bis zu diesem Gipfel erheben könnte. Und doch nahmen sie den Kampf auf und sprangen dem Schmucke der Jungfräulichkeit zu. Warum fürchtest und zitterst du also, o heiliger Paulus? Weil diese vielleicht aus Unkenntniß diesen Eifer entfalten; mich aber macht die Erfahrung und die Gefahr dieses Kampfes zu ängstlich, um ihn auch Andern zu rathen.

27. Die Jungfräulichkeit ist etwas Großes und die Quelle vieler Güter

Ich kenne das Schwierige der Sache; ich kenne die Heftigkeit solcher Kämpfe; ich kenne die Bedeutung des Krieges. Es bedarf eines kampfmuthigen und kräftigen Geistes, der die Wollust verabscheut: denn man muß über Kohlen schreiten, ohne zu verbrennen, und durch Schwerter einhergehen, ohne verwundet zu werden; denn die Macht der Wollust ist ebenso groß, wie die des Feuers und Eisens; ist also die Seele nicht so gewappnet, das sie selbst bei ihren Schmerzen unempfindlich bleibt, so wird sie bald zu Grunde gehen. Deßhalb brauchen wir einen diamantenen Sinn, ein schlafloses Auge, große Ausdauer, starke Mauern, Umzäunungen und Riegel, wachsame und kräftige S. 192 Wärter und vor Allem den Einfluß von oben. „Denn, wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, so wachen die Hüter umsonst.“ Wie sollen wir uns aber diese Gunst des Himmels erwerben? Dadurch, daß wir all das Unsrige beitragen, gesunde Betrachtung, höchste Anstrengung in Fasten und Nachtwachen, genaue Beobachtung des Gesetzes, Befolgung der Gebote, und was die Hauptsache ist, daß wir nicht auf uns selber vertrauen; denn falls wir auch Größeres vollbringen, so müssen wir doch immer bei uns sprechen: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, so arbeiten die Bauleute umsonst. Denn wir haben nicht bloß zu kämpfen wider Fleisch und Blut, sondern wider die Herrschaften und Mächte, wider die Beherrscher der Welt in dieser Finsterniß, wider die Geister der Bosheit in der Luft;“ und Tag und Nacht müssen unsere Gedanken bewaffnet dastehen uud den schamlosen Lüsten furchtbar erscheinen. Denn wenn sie im Geringsten nachlassen, so steht der Teufel da mit dem Feuer in den Händen, um es in den Tempel Gottes zu schleudern und ihn zu verbrennen. Daher müssen wir von allen Seiten uns rüsten; denn wir haben zu kämpfen mit dem Drang der Natur, nachzustreben dem Wandel der Engel, und mit den unkörperlichen Mächten in die Wette zu laufen. Erde und Asche sucht den Himmelsbewohnern gleichförmig zu werden; die Sterblichkeit beginnt einen Kampf mit der Unsterblichkeit. Sage mir nun, sollte wohl Jemand es wagen, Ehe und Vergnügen zu vergleichen mit einer so erhabenen Sache? Wie einfältig wäre das nicht! Da Paulus das Alles wußte, sprach er: „Ein Jeder habe sein Weib;“ deßhalb vermied er es, deßhalb wagte er nicht gleich Anfangs zu ihnen vom jungfräulichen Stande zu reden, sondern er verweilt bei der Besprechung der Ehe und mischt unter die längere Rede über die Ehe einige kurze Worte über die Enthaltsamkeit, ohne jedoch zu gestatten, daß die Ohren durch die strenge Ermahnung S. 193 verwundet werden. Denn wer seine Rede stets aus schwierigen Dingen zusammenfügt, ist theils dem Zuhörer lästig, theils zwingt er oftmals den Geist, der die Härte der Worte nicht erträgt, widerspenstig zu werden. Wer hingegen abwechselt und mehr Leichtes als Schweres hineinmischt, der benimmt unbemerkt das Gefühl der Schwierigkeit, überredet und gewinnt den Zuhörer leichter, weil er ihn zeitweilig ausruhen läßt. So machte es auch der heilige Paulus; denn nachdem er gesagt: „Es ist dem Menschen gut, kein Weib zu berühren,“ wendet er sich sogleich zur Ehe und sagt: „Daß Jeder sein Weib haben soll;“ er ist zufrieden, jenes bloß gelobt zu haben. „Denn“, sagt er, „es ist dem Menschen gut, kein Weib zu berühren;“ in Bezug auf die Ehe aber gibt er theils einen Rath, theils ein Gebot, und fügt auch den Grund bei: denn er sagt: „Wegen der Hurerei.“ Hiemit scheint er zwar die Gestattung der Ehe zu begründen, in Wahrheit aber vermehrt er nach Aufzählung der Gründe für das Heirathen versteckt das Lob der Enthaltsamkeit zwar nicht so, daß er es mit klaren Worten ausspricht, wohl aber indem er es dem Verständigen unter den Hörern anheimstellt. Denn wer da hört, daß er ermahnt wird zu heirathen, nicht weil die Ehe ein ganz vorzügliches Tugendwert sei, sondern weil ihn Paulus einer so großen Geilheit beschuldigt, daß er sich ohne die Ehe derselben nicht zu enthalten vermag, der wird erröthend und beschämt den jungfräulichen Stand zu ergreifen und diese gewaltige Schmach von sich abzuwehren bemüht sein.

28. Dasjenige, was in der heiligen Schrift von der Ehe gesagt wird, ist eine Ermunterung zur Jungfräulichkeit

Was sagt aber Paulus nach diesem? „Dem Weibe leiste der Mann die eheliche Pflicht, und ebenso auch das Weib dem Manne.“ Indem er dieses sodann weiter er- S. 194 klärt und deutlicher macht, fügt er hinzu: „Das Weib hat keine Macht über den eigenen Leib, sondern der Mann; ebenso hat der Mann keine Macht über den eigenen Leib, sondern das Weib.“ Und diese Worte scheinen zwar für die Ehe zu sprechen, in Wahrheit aber senkt er sie wie eine mit einem gewöhnlichen Köder versehene Angel in die Ohren seiner Schüler, indem er sie durch die Rede für die Ehe der Ehe entfremden will. Denn wer da hört, daß er nach der Heirath nicht mehr sein eigener Herr, sondern dem Gutdünken des Weibes unterworfen sein soll, der wird ungesäumt sich bemühen, der bittersten Knechtschaft ledig zu werden, oder vielmehr gleich Anfangs ihr Joch nicht auf sich zu nehmen, da, wer es einmal auf sich genommen, ihm solange dienen muß, als es dem Weibe gefällt. Daß ich aber hier über die Meinung des Paulus keine bloße Vermuthung aufstelle, kann man leicht an den Jüngern erkennen. Denn diese haben die Ehe nicht eher für schwer und lästig gehalten als bis sie sich vom Herrn in jene Schranken eingeengt sahen, in welche Paulus damals die Korinther einschloß. Denn jener Ausspruch: „Wer immer sein Weib entläßt, es sei denn um Hurerei willen, bricht die Ehe,“ und dieser: „Der Mann hat keine Macht über den eigenen Leib,“ haben, sind auch die Worte verschieden, doch den nämlichen Sinn. Ja, wenn Jemand die Worte des Paulus etwas genauer ansehen will, so vermehrt derselbe die Tyrannei und macht die Knechtschaft noch härter. Denn der Herr stellt es bloß dem Manne nicht frei, sein Weib aus dem Hause zu werfen; Paulus aber beraubt ihn sogar der Macht über den eigenen Leib, indem er die ganze Herrschaft über denselben an das Weib überträgt, und ihn mehr unterordnet, als es ein gekaufter Sklave ist. Denn diesem ist es doch hie und da möglich, die vollkommene Freiheit zu erlangen, wenn er einmal zu Geld gelangt und dem Herrn den Preis zu zahlen vermag; der Mann aber muß, selbst wenn er die allerlästigste Frau S. 195 hat, die Knechtschaft ertragen und vermag keine Befreiung und keinen Ausweg aus dieser Herrschaft zu finden.

29. Auch in den Worten Pauli: „Entziehet euch einander nicht“ liegt eine Einladung zur Jungfräulichkeit

Nachdem nun Paulus gesagt hatte: „Das Weib hat keine Macht über den eigenen Leib“, fügt er hinzu: „Entziehet euch einander nicht, außer mit gegenseitiger Einwilligung, eine Zeit lang, um euch dem Gebete und dem Fasten zu widmen; dann kommet wieder zusammen.“ Ich glaube, daß hier Viele derjenigen, welche den jungfräulichen Stand gewählt haben, durch die so große Nachsicht des Paulus erröthen und sich schämen; doch habt keine Angst und laßt euch keine Thorheit in den Sinn kommen. Denn es scheinen zwar diese Worte den Verheiratheten günstig zu sein; wenn sie aber Jemand genau untersucht, so wird er finden, daß sie mit den früheren den gleichen Sinn haben. Denn wenn man sie nur so oberflächlich betrachtet und den vorgebrachten Grund hinwegdenkt, so scheinen sie eher Worte einer Brautführerin als eines Apostels zu sein; faßt man aber den ganzen Endzweck in’s Auge, so werden wir auch hierin die apostolische Würde entdecken. Denn warum ist er in dieser Rede ausführlicher? Genügte es denn nicht, daß er, nachdem er durch das Frühere seine Meinung ziemlich bestimmt an den Tag gelegt hat, seine Ermahnung damit beendigte? Denn was wird mit den Worten: „Entziehet euch einander nicht, es sei denn mit gegenseitiger Einwilligung eine Zeit lang“ mehr gesagt als mit jenen: „Dem Weibe leiste der Mann die eheliche Pflicht“ und: „Der Mann hat keine Macht über den eigenen Leib?“ Nichts mehr! Aber was dort kurz und dunkel gesagt wurde, das erklärt er hier durch mehrere Worte. Und indem er das thut, ahmt er dem hei- S. 196 ligen Maune Gottes, Samuel, nach. Gleichwie nämlich dieser dem Volke die Gesetze des Königs mit aller Sorgfalt aufzählt, nicht damit es dieselben annehme, sondern nicht annehme, und es sich um eine Belehrung zu handeln scheint, während dem es in Wahrheit ein Abrathen ihrer unzeitigen Forderung ist: ebenso hebt auch Paulus die Tyrannei der Ehe öfter und mit mehr Nachdruck hervor, um mit diesen Worten die Leser davor zu warnen. Denn wenn er sagt: „Das Weib hat keine Macht über den eigenen Leib“, so fügt er hinzu: „Entziehet euch einander nicht, es sei denn mit gegenseitiger Einwilligung, eine Zeit lang, um euch dem Gebete und dem Fasten zu widmen.“ Siehst du, wie er unvermuthet und ohne Belästigung die Verheiratheten zur Enthaltsamkeit antreibt? Denn im Anfang lobt er die Sache einfach mit den Worten: „Es ist dem Menschen gut, kein Weib zu berühren:“ hier wendet er sogar eine Ermahnung an, indem er spricht: „Entziehet euch einander nicht, außer mit gegenseitiger Einwilligung.“ Warum stellt er nun das, was er gehalten wissen wollte, ermahnend und nicht befehlend vor? Denn er sagt nicht: „Entziehet euch gegenseitig, aber mit Einwilligung,“ sondern was sagt er? „Entziehet euch einander nicht, außer mit gegenseitiger Einwilligung,“ weil die Rede so milder wurde, indem sie die Meinung des Lehrers zeigt, welche das nicht mit Strenge verlangt, vorzüglich darum, weil die Befolgung mit der größten Bereitwilligkeit geschehen soll. Aber nicht damit allein tröstet er den Zuhörer, sondern auch damit, daß er das Harte mit kurzen Worten berührt und früher, als der Schmerz den Zuhörer ergreift, zum Angenehmen zurückkehrt und dabei länger verweilt.

30. Warum Paulus, wenn die Ehe ehrenvoll ist, die Fastenden ermahne, sich des Beischlafs zu enthalten

Auch das verdient eine nähere Erwägung, warum denn S. 197 Paulus, wenn die Ehe ehrbar, und das Ehebett unbefleckt ist, ihr zur Zeit des Gebetes und Fastens nicht Statt gönnt. Weil es ganz ungereimt wäre, wenn die Juden, für die alles Leibliche geregelt war, welche sogar zwei Weiber haben, die einen entlassen, die andern annehmen durften, auf diesen Gegenstand so große Sorgfalt verwendeten, daß sie, wenn sie das görtliche Wort hören wollten, sich sogar des gesetzlichen Beischlafs enthielten, und daß nicht bloß einen oder andern Tag, sondern mehrere; daß wir dagegen, die wir eine so große Gnade genießen, die wir den Geist (Gottes) empfingen, die wir gestorben und mit Christo begraben, die wir der Kindschaft Gottes gewürdigt, die wir zu einer solchen Würde erhoben sind nach so vielen und so großen Gütern nicht einmal zu demselben Eifer, wie jene Kinder, gelangten. Sollte aber Einer wiederum fragen: Warum hat denn selbst Moses diesen Verkehr den Juden verboten? so möchte ich ihm antworten: Wenn auch die Ehe ehrbar ist, so reicht sie dennoch nur so weit, daß sie den nicht befleckt, der sich ihrer bedient, aber heilige Männer hervorzubringen vermag nicht sie, sondern nur der jungfräuliche Stand. Damit du aber nicht glaubst, bloß Moses und Paulus hätten dieses befohlen, so höre, was Joel sagt: „Haltet heilig Fasten, beruft die Gemeinde, versammelt das Volk, wählet die Aeltesten.“ — Fragst du aber auch um das: „Wo hat er gerathen, sich vom Weibe zu enthalten?“ „Der Bräutigam,“ sagt er, „gehe heraus aus seiner Kammer, und die Braut aus ihrem Gemach.“ Das geht sogar noch weiter als des Moses Gebot: Denn wenn Bräutigam und Braut, die von Wollust entbrennen, die von Jugend strotzen und eine ungezügelte Begierde haben, zur Zeit des Fastens und des Gebetes einander nicht beiwohnen dürfen, wie viel mehr die Uebrigen, welche keinen solchen Drang zum Beiwohnen haben? Denn wer betet und fastet, S. 198 wie sich’s geziemt, muß jedes Verlangen nach menschlichen Dingen, jede Sorge und jede Beschäftigung aufgeben, und nachdem er sich von allen Seiten fleißig gesammelt, so vor Gott hintreten. Darum ist auch das Fasten etwas Gutes, weil es die Sorgen der Seele abschneidet und durch die Beseitigung der den Geist umgebenden Zerstreuung diesen ganz auf auf sich hinlenkt. In Hinweisung hierauf hält auch Paulus vom Beischlafe ab und bedient sich sehr passender Worte. Denn er sagt nicht: „Damit ihr euch nicht verunreiniget“, sondern „damit ihr für das Beten und Fasten frei seid“, gleichsam als ob uns der Beischlaf mit dem Weibe nicht zur Verunreinigung, sondern nur zur Beschäftigung zwinge.

31. Paulus macht denen, welche recht beten wollen, Enthaltung zur Bedingniß

Wenn uns nämlich jetzt nach so vielen Hilfsmitteln der Teufel zur Zeit des Gebetes zu hindern versucht, was wird er nicht thun, um die Augen des Geistes hier- und dorthin zu richten, wenn er eine zerflossene und von der Begierde nach dem Weibe verweichlichte Seele gefunden? Damit wir das nicht erfahren, noch Gott, vorzüglich dann, wenn wir uns bemühen, ihn zu versöhnen, durch ein so vergebliches Gebet beleidigen, so trägt er uns auf, dann des Beischlafs uns zu enthalten.

32. Diejenigen, die zerstreut beten, versöhnen Gott nicht nur nicht, sondern beleidigen ihn noch

Wenn diejenigen, welche vor Könige, doch was sage ich vor Könige? sogar vor die niedrigsten Behörden hintreten; wenn Sklaven ihre Herren anreden, sei es, daß sie dieß thun, nachdem sie eine Beleidigung von Andern erfahren, sei es, daß sie selber eine Wohlthat erflehen, sei es, daß sie den gegen sie aufgeregten Zorn besänftigen wollen: so richten sie Augen und Geist ungetheilt auf dieselben S. 199 und halten so ihre Ansprache. Sind sie aber auch nur ein wenig zaghaft, so werden sie nicht nur nicht erreichen, um was sie bitten, sondern abziehen, nachdem sie dazu noch Strafe empfangen. Wenn nun diejenigen, welche die Aufregung von Menschen besänftigen wollen, sich so sehr bemühen, wie wird es uns Armen ergehen, die wir so nachlässig zu Gott, dem Alles Beherrschenden hintreten, besonders, da wir seinen Zorn weit mehr auf uns geladen haben? Denn es beleidigt weder ein Sklave seinen Herrn, noch ein Unterthan seinen König so schwer, wie wir Gott jeden Tag. Und das deutete Christus an, als er die Sünden gegen Andere hundert Denare, die gegen Gott aber tausend Talente nannte. Wenn wir daher, um seinen so großen Zorn zu besänftigen und ihn, den wir täglich angreifen, zu versölmen, zu ihm beten, so hält uns Paulus mit Recht von jener Wollust zurück, als ob er zu uns spräche: „Es handelt sich, Geliebte, um unsere Seele; das Höchste steht in Gefahr; man muß zittern, beben und fürchten. Wir treten vor einen furchtbaren Herrn, der von uns oftmals beleidigt wurde, der Wichtiges und über wichtige Dinge gegen uns auszusetzen hat. Da ist keine Zeit für Umarmungen, nicht für Vergnügen, sondern für Thränen, bittere Seufzer, Niederfallen, ein sorgfältiges Bekenntniß, flehentliches Bitten und häufiges Beten. Denn es vermag nur der jenen Zorn zu besänftigen, der mit Liebe und solchem Eifer sich demüthig nähert: nicht als ob unser Herr hart und grausam wäre, denn er ist sehr milde und menschenfreundlich; aber die Größe unserer Frevel gestattet dem Milden, Gütigen und Barmherzigen nicht, uns leicht zu verzeihen. Deßhalb sagt Paulus: „Um euch dem Fasten und Gebete zu widmen.“ Was ist also bitterer, als diese Knechtschaft? Ich wünsche in der Tugend zu wachsen, gen Himmel zu fliegen und beständig dem Fasten und Gebete obliegend den Schmutz der Seele abzuwaschen; wenn daher sie mit dieser Ansicht nicht über- S. 200 einstimmt, so bin ich gezwungen, ihrer Geilheit zu dienen. Darum mahnte er Anfangs: „Es ist gut für den Menschen, kein Weib zu berühren; deßhalb sagten auch die Jünger zum Herrn: „Wenn sich die Sache des Mannes mit dem Weibe also verhält, so ist nicht gut heirathen;“ denn sie dachten, daß man nach einer der beiden Seiten ganz nothwendig geschädiget werde, und von dieser Folgerung in die Enge getrieben, stießen sie jenen Ausruf hervor.

33. Die Nachahmer Christi wiederholen immer und immer dasselbe

Darum wiederholt auch Paulus beständig, um die Korinther auf diesen Gedanken zu bringen: „Ein Jeder habe sein Weib; der Mann leiste dem Weibe die eheliche Pflicht; das Weib ist nicht Herr über den eigenen Leib; entziehet euch einander nicht; kommet wieder zusammen.“ Denn auch jene Glücklichen empfanden das nicht gleich bei der ersten Rede, sondern nachdem sie es zum zweiten Male gehört, dann erst erkannten sie die Nothwendigkeit der Vorschrift. Denn auch Christus leitete, als er auf dem Berge lehrend zu wiederholten Malen Vieles darüber gesprochen, seine Jünger so zum Verlangen nach der Enthaltsamkeit an. Wenn nämlich Etwas immer wieder gesagt wird, hat es mehr Wirkung. In ähnlicher Weise redet auch hier der Schüler, dem Herrn nachahmend, beständig über denselben Gegenstand, und nirgends ertheilt er die Erlaubniß kurzweg, sondern mit einer Begründung, indem er sagt: „Um der Hurerei, der satanischen Versuchungen und der Unenthaltsamkeit willen,“ und verwebt so gegen Erwarten in seine Rede über die Ehe das Lob des jungfräulichen Standes.

34. Der jungfräuliche Stand ist bewunderungswürdig und verdient viele Kronen

Wenn er nämlich diejenigen, welche im Ehestande leben, S. 201 längere Zeit von einander zu trennen sich fürchtet, damit der Teufel keinen Zûgang erspähe; welche Kronen mögen wohl jene verdienen, die schon von Anbeginn dieses Mittel nicht brauchten und bis zum Ende unbesiegt ausharrten? Dazu kommt noch, daß sich die Nachstellungen des Teufels Beiden nicht gleichmäßig nahen; denn er ist, dünkt mich, jenen nicht lästig, weil er weiß, daß sie einen nahen Zufluchtsort haben und alsbald, wenn sie einen heftigern Angriff erfahren, sich in den Hafen zurückflüchten dürfen. Denn der heilige Paulus erlaubt ihnen nicht länger zu schiffen, sondern trägt ihnen auf, wenn sie etwa ermüdet sind, zurückzukehren, indem er ihnen gestattet, wieder zusammen zu kommen. Die Jungfrau dagegen ist genöthigt, immer zu schiffen, und ohne Hafen das Meer zu durchmessen. Und ob sich auch der heftigste Sturm erhebt, auch dann ist es ihr nicht erlaubt, das Schiff in den Hafen zu führen und der Ruhe zu pflegen. Gleichwie nämlich die Frevler auf dem Meere die Schiffenden nicht da, wo eine Stadt, ein Ankerplatz oder Hafen sich findet, angreifen — denn, das hieße ja sich vergeblich gefährden —; dagegen wenn sie das Schiff auf hoher See überraschen, wo sie die Noth der Hilfebedürftigen zur Kühnheit antreibt. Alles in Bewegung setzen und wagen und nicht eher ruhen, als bis sie dieselben in den Grund bohren, oder dieses selber erleiden: so erregt auch dieser schreckliche Seeräuber der Jungfrau starke Fluthen, heftigen Sturm und unerträgliche Wogen, er mischt Alles drunter und drüber, um durch Gewalt und Heftigkeit das Schiff zu zerstören. Denn er hörte ja, daß es der Jungfrau nicht gegönnt sei „wieder zusammen zu kommen,“ sondern daß sie beständig gegen die Geister der Bosheit streiten und kämpfen müsse, bis sie endlich in den windstillen Hafen einlaufe. Denn Paulus, der die Jungfrau wie einen muthigen Krieger außerhalb der Mauern ausgeschlossen hat, gestattet nicht, daß ihr die Thore geöffnet werden, wenn auch der Feind noch so S. 202 sehr gegen sie tobt, ja wenn er auch dadurch noch grausamer würde, weil ein Waffenstillstand für den Gegner eine Unmöglichkeit ist. Allein nicht nur der Teufel, sondern auch selbst der Stachel der Wollust setzt den Unverheirateten mit Heftigkeit zu; und das ist Jedem bekannt. Denn nicht leicht erfaßt uns die Begierde nach dem, was wir schon genießen, weil die Sicherheit dem Geiste gestattet, sorglos zu sein. Dasselbe bestätigt uns auch ein voltsthümliches, aber sehr wahres Sprichwort: „Was man“, heißt es, „in seiner Gewalt hat, ist nicht geeignet die Begierde zu reizen.“ Werden wir aber am Gebrauch dessen, was wir früher besaßen, verhindert, so ereignet sich das Gegentheil, daß auch dasjenige, was, so lang es in unserm Besitz war, von uns verachtet wurde, unsere Begierde heftig entzündet, sobald uns die Macht darüber entwischt. Darum haben die Ehegatten erstens eine größere Ruhe; zweitens aber, wenn die Flamme zuweilen höher emporschlägt, unterdrückt sie alsbald wieder der hinzukommende Beischlaf. Die Jungfrau hingegen, die nichts hat, um das Feuer zu löschen, ist, wenn sie dasselbe entstehen und hoch auflodern sieht, weil sie es nicht zu löschen vermag, nur auf das Eine bedacht, daß sie im Kampf mit dem Feuer nicht selber verbrenne. Gibt es aber etwas Unbegreiflicheres als das, nämlich einen ganzen Herd im Innern zu tragen und doch nicht zu verbrennen, die Flamme im geheimen Gemache der Seele zu häufen und doch die Gesinnung unversehrt zu bewahren? Denn Niemand erlaubt ihr, diese Kohlen hinauszuschaffen; sie muß im Gegentheil das in ihrer Seele behalten, was der Verfasser der Sprichwörter in Bezug auf die Natur der Körper als unmöglich erklärt. Was sagt aber dieser? „Kann Jemand auf glühenden Kohlen wandeln, ohne seine Fußsohlen zu verbrennen?“ Sieh’ aber, diese wandelt einher und erduldet die Pein. „Oder kann Jemand Feuer in seinem Busen verbergen, ohne daß seine Kleider verbrennen?“ S. 203 Diese aber, welche ein wildes und prasselndes Feuer nicht in den Kleidern, sondern im Innern hat, erträgt und verbirgt die Flamme. Sage mir, wird es noch Jemand geben, der es wagt, die Ehe mit der Jungfrauschaft zu vergleichen, ja ihr überhaupt gegenüber zu stellen? Der heilige Paulus, welcher einen gewaltigen Unterschied zwischen beiden aufstellt, gestattet es nicht. „Denn diese“, sagt er, „sorgt für das, was des Herrn, jene für das, was der Welt ist.“ Nachdem er also die Verheiratheten zusammengestellt und sich zu Gunsten der Jungfrau erklärt hat, höre, was er jenen zum Vorwurfe macht: „Kommet“, sagt er, wieder zusammen, damit euch der Satan nicht versuche.“ Und als wollte er zeigen, daß man nicht das Ganze seiner Versuchung zuschreiben dürfe, sondern das Meiste unserer Trägheit, fügt er als Hauptgrund hinzu: „Wegen eurer Unenthaltsamkeit.“ Wer erröthet nun nicht, wenn er dieses hört? Wer möchte nicht trachten, dem Vorwurfe der Unenthaltsamkeit zu entrinnen? Denn diese Ermahnung geht nicht Alle an, sondern nur die Nachlässigsten. Wenn du, sagt er, ein solcher Sklave der Gelüste, wenn du so verweichlicht bist, daß du stets nach dem Beischlafe verlangest und rennest, so komm’ mit dem Weibe zusammen. Es ist also nicht die Erlaubniß eines Billigenden und Empfehlenden, sondern eines Spottenden und Scheltenden. Denn hätte er das Herz der Vergnügungssüchtigen nicht kräftig treffen wollen, so würde er das Wort „Unenthaltsamkeit“, welches theils stark ist, theils einen großen Tadel enthält, wohl nicht gebraucht haben. Denn warum sagt er nicht: „Wegen eurer Schwäche?“ Weil dieses Wort mehr der Ausdruck eines Nachsichtigen wäre. Unenthaltsamkeit aber ein Uebermaß von Leichtfertigkeit anzeigt. Es ist also ein Zeichen der Unenthaltsamkeit, sich der Hurerei nicht enthalten zu können, ohne daß man dem Weibe anhängt und den Beischlaf genießt. Was werden nun hier diejenigen sagen, welche den jungfräulichen Stand S. 204 für überflüssig erklären? Denn je mehr sich dieser anstrengt, desto größeres Lob verdient er; die Ehe geht aber dann, wenn man sich ihrer mehr als zur Genüge bedient, am meisten alles Lobes verlustig. „Dieses aber“, heißt es, „sage ich aus Nachsicht, nicht als Befehl;“ denn wo Nachsicht ist, hat das Lob keinen Platz. Wenn er aber von den Jungfrauen redet, sagt er: „Ich habe kein Gebot vom Herrn, Hält er also die Sache für gleich? Mit nichten! Denn in Bezug auf die Jungfrau gibt er einen Rath, hier aber eine Erlaubniß; aber keines von Beiden befiehlt er, nicht aus gleichen Gründen, sondern hier, damit der, welcher sich von der Unenthaltsamkeit frei machen will, nicht verhindert würde, wie durch eine zwingende Vorschrift verpflichtet; dort, damit der, welcher sich zur Jungfrauschaft nicht emporzuschwingen vermag, nicht verurtheilt würde, als ein durch ein Gesetz Gebundener. Ich befehle nicht, sagt er, Jungfrau zu bleiben; denn ich fürchte die Schwierigkeit der Sache. Ich befehle nicht, häufig mit dem Weibe zusammenzukommen; denn ich will kein Gesetzgeber der Unenthaltsamkeit sein. Ich sagte: „Kommet zusammen“, um zu verhindern, daß Jemand in den Abgrund gerissen werde, nicht um ein höheres Streben zu verwehren. Denn das ist nicht sein hauptsächlicher Wunsch, daß wir beständig des Weibes genießen; sondern er hat es nur wegen der Unenthaltsamkeit der Trägen gebilliget. Da du den Willen des Paulus kennen zu lernen verlangst, so höre, wie er lautet: „Ich wünsche“, sagt er, „daß alle Menschen seien, wie ich, enthaltsam.“ „Indem du nur wünschest, daß alle Menschen enthaltsam seien, so willst du, daß sich Niemand verheirathe.“ Nein, denn ich verhindere ja darum diejenigen nicht, welche dieß wollen, und klage sie nicht an; sondern während ich bete und wünsche, daß Alle wie ich seien, erlaube ich auch jenes, der Hurerei willen; deßhalb sagte ich auch Anfangs: „Es ist gut für den Menschen, kein Weib zu berühren,“ weil ich das mehr wünsche. S. 205

35. Paulus hat nothwendig sich selbst als Muster der Enthaltsamkeit aufgestellt

Warum gedenkt aber Paulus hier seiner selbst, indem er sagt: „Ich wünsche, daß alle Menschen so seien, wie ich?“ Hätte er das nicht beigesetzt, so wäre er der Ruhmredigkeit ausgewichen. Warum setzte er aber hinzu: „Wie ich bin.“ Nicht um sich zu erheben. Denn er ist ja derselbe, welcher, obgleich er die Apostel an Anstrengungen im Predigtamt übertraf, sich doch sogar des Namens eines Apostels für unwürdig hält. Denn nachdem er gesagt: „Ich bin der Geringste der Apostel,“ verbessert er sich, als hätte er etwas Größeres, als er verdiente, gesprochen, sogleich mit den Worten: „Der ich nicht werth bin, ein Apostel zu heissen.“ Warum macht er hier zur Ermahnung den Zusatz? Nicht ohne Grund und aus Zufall; sondern weil er wußte, daß die Schüler zum Eifer für’s Gute dadurch am meisten angespornt werden, wenn sie die Beispiele der Lehrer vor sich haben. Gleichwie also jener, der ohne Werke mit bloßen Worten philosophirt, dem Zuhörer nicht sonderlich nützt, so treibt der, welcher einen Rath als von sich zuerst vollzogen aufzeigen kann, den Zuhörer dadurch am meisten an. Ueberdieß zeigt er sich selbst rein sowohl von Neid, als von Prahlerei; denn er wünscht ja, daß er dieses vortreffliche Gut mit den Schülern gemeinschaftlich habe, und will in Nichts mehr sein, als sie, sondern in Allem dieselben sich gleich machen. Ich habe auch noch einen dritten Grund anzuführen. Was denn für einen ? Die Sache schien schwer und nicht nach dem Wohlgefallen der Menge zu sein. Indem er sie nun als leicht darstellen wollte, stellt er den, welcher dieses Werk vollbracht, in die Mitte, damit sie nicht glauben, es sei sehr schwer, sondern daß sie, auf den Führer sehend und dadurch ermuthigt, den nämlichen Weg beträten. S. 206 Dasselbe thut er auch anderwärts. Denn als er die Galater anredete und sich bemühte, ihnen die Furcht vor dem Gesetz zu benehmen, wodurch sie zur alten Gewohnheit hingerissen wurden, indem sie vieles dahin Gehörige beobachteten, was sagt er? „Seid wie ich; denn auch ich bin wie ihr.“ Was er aber sagt, ist dieses: Ihr könnet nicht sagen: Als Einer, der Ehen von den Heiden kommt und der aus der Gesetzesübertretung fließenden Furcht unkundig ist, philosophierst du uns gegenüber über dieß Alles ohne Gefahr. Denn auch ich, spricht er, habe das nämliche Joch, wie ihr, einst getragen; war den Befehlen des Gesetzes unterworfen, habe die ceremoniellen Vorschriften beobachtet; nachdem aber die Gnade erschienen, habe ich mich ganz von jenem zu dieser gewendet. Dieses ist aber keine Uebertretung mehr, da wir einem andern Manne Unterthan sind. Daher hat Niemand Grund zu behaupten, daß ich Anderes thue und zu Anderem mahne, oder ich euch, nachdem ich für mich Sicherheit gefunden, in Gefahr gestürzt habe. Denn handelte es sich um eine Gefahr, so hätte ich mich selber nicht überliefert, noch mein eigenes Heil vernachlässigt. Wie also Paulus dort, indem er sich selbst als Beispiel aufstellt, die Furcht zerstreut, so befreit er auch hier dadurch, daß er sich in die Mitte stellt, von der Besorgnis.

36. Der Apostel nennt die Jungfrauschaft eine Gnadengabe

„Aber ein Jeder“, sagt er, „hat seine eigene Gabe, der Eine so, der Andere aber so.“ Erblicke darin den nirgends verleugneten, sondern überall klar hervortretenden Charakter der apostolischen Demuth! Eine Gabe Gottes nennt er seine Tugend und schreibt das, worauf er so viele Mühe verwendet, ganz dem Herrn zu. Und was Wunder, wenn er das bei der Enthaltsamkeit thut, da er auch dort, wo er von der Predigt redet, für welche er zahllose Arbeiten, be- S. 207 ständige Trübsale, unsägliche Qualen und täglichen Tod übernommen, sich derselben Redeweise bedient? Was sagt er also darüber? „Ich habe mehr, als Alle gearbeitet; doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“ Er schreibt also nicht einen Theil sich, den andern Gott, sondern das Ganze Gott zu. Das ist ein Zeichen eines dankbaren Knechtes, nichts für sein Eigenthum, sondern Alles für ein Eigenthum des Herrn zu halten, nichts sich, sondern Alles dem Herrn gehörig zu betrachten. Dasselbe thut er auch anderwärts. Denn nachdem er gesagt: „Wir haben gemäß der Gnade, die uns gegeben worden ist, verschiedene Gaben,“ zählt er im Verlauf der Rede als solche die Vorsteherschaft, die Freigebigkeit und das Almosen auf; und doch ist Jedem bekannt, daß dieß Tugenden sind und keine Gaben. Dieses sagte ich aber darum, damit du, wenn du ihn sagen hörest: „Ein Jeder hat seine eigene Gabe,“ nicht kleinmüthig wirst und zu dir selber sprichst: „Die Sache bedarf meinerseits keiner Anstrengung, da Paulus sie eine Gabe nennt.“ Denn er spricht aus Bescheidenheit so, nicht weil er die Enthaltsamkeit in die Reihe der Gaben zu setzen gedachte. Dadurch geräth er weder mit sich selbst, noch mit Christus in Widerspruch; nicht mit Christus, welcher sagt: „Es gibt Verschnittene, welche sich selbst um des Himmelreichs willen verschnitten haben“ und hinzu setzt: „Wer es fassen kann, der fasse es;“ nicht mit sich selbst, da er diejenigen, welche den Wittwenstand wählten, aber in diesem Vorhaben nicht ausharren wollen, verdammt. Denn ist’s eine Gabe, warum drohst du jenen mit den Worten: „Sie ziehen sich die Verdammniß zu, weil sie das erste Versprechen gebrochen haben?“ Denn nirgends bestrafte Christus diejenigen, welche keine Gabe empfingen, sondern überall nur jene, welche kein gutes Leben führen. Was er hauptsächlich verlangt, ist ein sehr gutes Leben und untadelige Werke. Die Vertheilung der Gaben liegt aber nicht in der Wahl des S. 208 Empfängers, sondern in der Willkür des Gebers. Deßhalb lobt auch Christus keineswegs jene, welche Wunder verrichten, sondern er hält sogar seine Schüler, die sich derselben rühmten, von dieser Freude zurück, indem er sagt: „Freuet euch nicht, daß euch die Teufel unterworfen sind;“ denn die selig gepriesen werden, sind überall die Barmherzigen, die Demüthigen, die Sanftmüthigen, die reinen Herzens sind, die Friedfertigen und Alle, die das und Aehnliches thun. Ja Paulus selbst gedenket auch da, wo er seine Großthaten aufzählt, unter ihnen auch der Enthaltsamkeit; denn nachdem er gesagt: „Durch große Geduld in Trübsalen, in Nöthen, in Aengsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufständen, in Mühen, in Nachtwachen und Fasten,“ fügt er hinzu: „Durch Keuschheit,“ was er nicht gethan haben würde, wenn sie eine Gabe wäre. Warum aber tadelt er auch jene, welche sie nicht besitzen, indem er sie Unenthaltsame nennt? Warum thut denn der besser, welcher seine Jungfrau nicht verheirathet? Warum ist die Wittwe seliger, wenn sie so bleibt? Weil es, wie ich schon gesagt habe, Seligkeiten sind, die nicht von Wundern, sondern von Handlungen herrühren, wie auch die Strafen. Wie beharret er bei der Ermahnung zu diesen Dingen, wenn sie nicht bei uns stehen und nach der göttlichen Gnade nicht auch unsere Mitwirkung fordern? Denn dem Ausspruch: „Ich wünsche, daß alle Menschen so seien, wie ich, enthaltsam,“ fügt er wieder hinzu: „Ich sage aber den Unverheiratheten und den Wittwen, es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich,“ wobei er sich wieder aus dem nämlichen Grund als Beispiel hinstellt. Denn wenn sie ein so nahes und häusliches Vorbild hätten, würden sie auch letchter die Mühen des jungfräuliches Standes auf sich nehmen. Wenn er also theils oben mit den Worten: „Ich wünsche, daß Alle so seien, wie ich bin,“ theils hier, wo er sagt: „Es ist gut, wenn sie so bleiben, wie ich,“ S. 209 nirgends einen Grund beifügt, so wundere dich darüber nicht; denn er thut das nicht aus Anmaßung, sondern weil er glaubte, daß seine Ansicht, von der geleitet er das Werk vollbracht hatte, ein genügender Grund sei.

37. Die zweite Ehe hat viele Beschwerden im Gefolge

Sollte aber Jemand auch Gründe zu hören verlangen, so möge er zuerst nach dem Urtheile aller Menschen, dann auch nach dem, was dabei gewöhnlich geschieht, sich erkundigen. Denn wenn auch die Gesetzgeber solche Ehen nicht bestrafen, sondern erlauben und zugeben, so werden doch sowohl zu Hause, als auf dem Markte von Vielen mancherlei spöttische, tadelnde und Abscheu verrathende Reden gegen jene, die sie eingehen, geführt. Denn Alle verabscheuen sie, so zu sagen, nicht weniger als Meineidige und nehmen Anstand, sie zu Freunden zu wählen, Verträge mit ihnen zu schließen, oder ihnen sonst etwas anzuvertrauen. Da sie nämlich sehen, daß dieselben das Andenken an ein so langes Zusammensein, eine so innige Freundschaft, Vertrautheit und Gemeinschaft so leicht aus ihrem Herzen verbannen, so verbreiten diese Wahrnehmungen eine gewisse Betäubung über sie, so daß sie mit ihnen als leichtfertigen und wetterwendischen Menschen keinen vertrauten Umgang mehr haben mögen. Nicht aber bloß deßhalb verabscheuen sie dieselben, sondern auch wegen der Eckelhaftigkeit der Dinge, die da gescheben. Denn, sage mir, was ist wohl unangenehmer als tiefe Trauer, nach Klagen und Thränen, nach schmutzigem Haare und schwarzem Gewande, mit einem Male Händeklatschen und Brautgemach und ein dem frühern entgegengesetzter Lärm wie von Schauspielern, die auf dem Theater spielen und bald diese, bald jene Rolle darstellen? Denn auch dort kann man den Nämlichen bald als König, bald als den Aermsten von Allen erblicken. Und hier erscheint der, welcher sich unlängst auf dem Grabhügel wälzte, plötzlich als Bräutigam; der, welcher sich die Haare ausraufte, trägt auf dem nämlichen Haupte wieder eine Krone S. 210 der, welcher niedergebeugt und traurig oft unter Thränen bei jenen, die ihn zu trösten gedachten, sich in viele Lobeserhebungen über die Gestorbene erging und sein Leben als unerträglich erklärte und denjenigen, die ihn von den Klagen abhalten wollten, zürnte, schmücket und putzt sich wieder vor den nämlichen Leuten und sieht sie mit den jüngst noch weinenden Augen wieder lachend an und mit dem nämlichen Munde, mit dem er kurz vorher dieß Alles verwünschte, bewillkommt und grüßet er Alle. Das Traurigste von Allem ist aber der Krieg, der den Söhnen, die Löwin, die den Töchtern in’s Haus gebracht wird: denn das ist ja die Stiefmutter allüberall. Daher der tägliche Zank und Streit: daher jene befremdende und ungewöhnliche Eifersucht gegen die, welche nicht belästiget. Denn die Lebenden beneiden und werden beneidet; mit den Todten hingegen versöhnen sich sogar die Feinde. Hier aber nicht, sondern eifersüchtig wird Staub und Asche verfolgt, Haß trifft die begrabene Sprachlose, Schimpf, Spott und Tadel diejenige, welche bereits in Erde aufgelöst ist, unversöhnliche Feindschaft jene, welche keine Beleidigung zugefügt hat. Was könnte wohl schlechter sein, als diese Thorheit, diese Rohheit? Sie ist von der Verstorbenen nicht beleidiget worden. Was sag’ ich: beleidiget worden? Sie, die da die Frucht von deren Anstrengungen erntet und deren Güter verzehrt, hört nicht auf, mit ihr, wie mit einem Schatten zu kämpfen, und gegen die, von welcher sie nie betrübt worden, die sie oft gar nie gesehen hat, stößt sie täglich taufend Schimpfworte aus und rächt sie an der, die nicht mehr ist, in ihren Kindern und bringt ihren Mann gegen sie auf, wo sie selbst nichts ausrichten kann.

Das schien jedoch den Menschen noch leicht und erträglich zu sein, um nur nicht die Tyrannei der Wollust ertragen zu müssen. Die Jungfrau dagegen zitterte nicht vor diesem Kampfe, noch floh sie denselben, welcher den Meisten so unerträglich erscheint, sondern hielt tapfer Stand und nahm den Angriff der Natur auf. Wie konnte nun Jemand sie nach Verdienst bewundern, wenn die Uebrigen sogar einer S. 211 zweiten Ehe bedürfen, um nicht zu brennen, sie aber, ohne auch nur eine einzige geschlossen zu haben, stets heilig und unversehrt ist? Deßhalb und besonders wegen der für die Wittwenschaft im Himmel hinterlegten Schätze sagte der, durch welchen Christus redete: „Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich.“ Hattest du nicht die Kraft, zum höchsten Gipfel hinaufzusteigen? Dann falle wenigst nicht von jenem herab, der ihm zunächst steht. Die Jungfrau hat nur das vor dir voraus, daß die Wollust sie nicht ein einziges Mal überwunden, dich aber, nachdem sie dich früher besiegte, nicht stets niederzuwerfen vermocht hat; du hast zwar nach der Niederlage gesiegt, sie aber erfreut sich eines Sieges ohne alle Niederlage und mit dir im Ausgang verbunden übertrifft sie dich bloß durch den Beginn.

38. Warum Paulus den Ehegatten große Erleichterungen, den Jungfrauen aber keine gestattet

Den Verheiratheten gewährt Paulus eine große Erleichterung, indem er sie weder, selbst wenn der eine Theil wollte, des gegenseitigen Umgangs beraubt, noch die mit gegenseitiger Einwilligung geschehene Beraubung auf lange Zeit ausdehnt; ja er gestattet sogar, wenn sie wollen, eine zweite Verheirathung. Den Jungfrauen hingegen gewährt er keinen ähnlichen Trost, sondern während er jenen, nachdem sie sich eine Zeit lang enthalten, das Zusammenkommen wieder gestattet, läßt er diese nicht im Geringsten zu Athem kommen, sondern beständig im Kampfe stehen, von den Begierden angefallen werden und in keiner Weise einen Waffenstillstand genießen. Denn warum spricht er nicht auch zu ihr: „Wenn sie nicht enthaltsam ist, so heirathe sie ?“ Weil auch Niemand dem Wettkämpfer, sobald er einmal das Gewand abgelegt, sich gesalbt und in die Rennbahn eingetreten, sich mit Staub S. 212 bespritzt hat, sagt: Gehe fort, flieh’ vor dem Gegner; sondern weil jetzt Eines von Beiden nothwendig ist, entweder daß er gekrönt, oder niedergeworfen und beschimpft abziehe. Auf dem Turnplatze der Knaben und in der Ringschule zwar, wo man mit Freunden eine Uebung anstellt und mit ihnen wie mit Gegnern handgemein wird, steht es frei, die Arbeit zu übernehmen, oder nicht. Hat sich aber Einer einmal einschreiben lassen, ist das Volk versammelt, der Kampfrichter gegenwärtig, sitzen die Zuschauer da, ist der Gegner schon herbeigeführt und steht ihm gegenüber; so beraubt ihn das Kampfgesetz der Freiheit. Auf gleiche Weise ist auch für die Jungfrau, so lange sie noch überlegt, ob sie heirathen soll oder nicht, die Ehe ohne Gefahr; hat sie aber gewählt und sich einschreiben lassen, so hat sie sich selbst auf die Rennbahn begeben. Wer wird es nun wagen, nachdem einmal das Schauspiel eröffnet, Christus der Kampfrichter ist, die Engel von oben zuschauen; nachdem der Teufel wüthet und knirscht, in den Kampf verwickelt und in der Mitte erfaßt ist, hervorzutreten und zu sagen: „Fliehe den Gegner, laß ab von den Mühen, unterlaß den Angriff, wirf und strecke den Feind nicht zu Boden, sondern überlaß ihm den Sieg.“ Doch warum nenne ich die Jungfrauen, da es nicht einmal erlaubt ist, zu Wittwen eine solche Sprache zu führen? Statt dessen geziemt es sich eher, es mit folgenden furchtbaren Worten zu thun: „Wenn sie an Christus abgeschwärmt haben, wollen sie heirathen und ziehen sich die Verdammniß zu, weil sie das erste Gelöbniß gebrochen haben.“

39. Welcher Wittwe und welcher Jungfrau Paulus zu heirathen erlaubt

Wenn aber Paulus sagt: „Den Unverheirateten und den Wittwen sage ich: Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie ich. Wenn sie aber nicht enthaltsam sind, so sollen sie heirathen;“ und wiederum: „Entschläft ihr Mann, so ist sie S. 213 frei; sie Heirathe, wenn sie will; nur im Herrn,“ warum tadelt er jene wieder, die er für frei erklärt, und verdammt dieselbe Ehe als ungesetzlich, von der er sagt, daß sie im Herrn sei? Habe keine Sorge; er tadelt nicht dieselbe, sondern eine andere. Denn wie er in den Worten: „Wenn die Jungfrau heirathet, so sündigt sie nicht“ nicht von derjenigen redet, welche der Ehe entsagt hat, — denn es ist Allen klar, daß eine solche eine Sünde und zwar eine unerträgliche begangen hätte, — sondern von jener, die noch unverheirathet ist und noch keine Wahl weder für das Eine noch für das Andere getroffen hat, sondern von jener, die noch unverbeirathet ist und noch keine Wahl weder für das Eine noch für das Andere getroffen hat, sondern gleichsam in Mitte dieser Erwägungen steht: Ebenso hat er auch hier eine Wittwe im Auge, die einfach keinen Mann, noch auch sich schon durch ihre Wahl verpflichtet hat, sondern noch die Freiheit genießt, das Eine oder Andere zu wählen; dort aber eine solche, der es nicht mehr erlaubt ist, mit einem andern Bräutigam einen Bund zu schließen, sondern die in den Kampfplatz der Enthaltsamkeit eingetreten ist. Denn sie kann Wittwe sein, ohne an der Wittwenwürde Antheil zu haben, weil sie diese noch nicht übernommen. Daher sagt auch Paulus: „Als Wittwe werde eingeschrieben, die nicht unter sechzig Jahren ist, nur Eines Mannes Weib;“ denn derjenigen, die einfach Wittwe ist, gestattet er, wenn sie es will, zu heirathen; jene dagegen, die Gott gelobt hat, immer Wittwe zu bleiben, dann aber heirathet, verurtheilt er streng, weil sie den mit Gott geschlossenen Vertrag mit Füßen tritt. Nicht also zu diesen, sondern zu jenen sagt er: „Wenn sie nicht enthaltsam sind, so sollen sie heirathen; denn heirathen ist besser, als Brunst leiden.“ Siehst du, daß die Ehe nirgends um ihrer selbst willen geachtet werde, sondern wegen der Hurerei, der Versuchungen und der Unenthaltsamkeit? Denn oben erwähnt er dieses Alles; hier dagegen bespricht er, nachdem er die Betreffenden heftig getadelt, die nämliche Sache S. 214 wieder in mildern Ausdrücken, indem er sie Brand und Hitze benennt, wenngleich er auch hier nicht unterläßt, den Zuhörer zu verwunden. Denn er sagt nicht: „Wenn ihnen die Wollust heftig zusetzt, wenn sie umhergeworfen werden, wenn sie nicht können,“ nichts von dem, was auf Leidende und solche deutet, die Nachsicht verdienen. Sondern was? „Wenn sie nicht enthaltsam sind,“ was von denjenigen gilt, die sich aus Schlaffheit nicht anstrengen wollen. Denn erzeigt, daß sie, da sie es könnten, die Sache darum nicht zu Stande bringen, weil sie die Anstrengung scheuen. Aber auch nicht einmal so bestraft er sie, noch erklärt er sie für strafwürdig, sondern er beraubt sie bloß des Lobes und läßt nur in Worten die Stärke des Tadels hindurchblicken, indem er nirgends die Kindererzeugung, diese schöne und ehrwürdige Ursache der Ehe, erwähnt, sondern die Brunst, die Unenthaltsamkeit, die Hurerei und die satanische Versuchung, zu deren Verhütung er sie gestattet. Und warum dieß? sagt man; denn so lange er dieß Vergehen von der Strafe freispricht, werden wir jeden Tadel und alle Vorwürfe leichtlich ertragen, wenn es nur erlaubt ist, uns zu vergnügen und fortwährend der Wollust zu fröhnen? Wie aber, mein Bester, wenn es nicht erlaubt ist, uns zu vergnügen, werden wir bloß Tadel ernten? „Wie aber,“ heißt es, „ist es nicht erlaubt, uns zu vergnügen, da Paulus spricht: „Wenn sie nicht enthaltsam sind, so sollen sie heirathen.“ Vernimm aber auch, was darauf folgt. Du hast gehört, daß es besser sei zu heirathen, als Brunst zu leiden. Das Angenehme nennst du willkommen, die Erlaubniß lobst du und bewunderst den Apostel ob seiner Nachsicht; bleibe aber nicht dabei stehen, sondern beachte auch das Folgende; denn beide Vorschriften kommen von Ehen demselben. Was fügt er nun Obigem bei? „Denen, welche durch die Ehe verbunden sind, gebiete nicht ich, sondern der Herr, daß das Weib sich nicht vom Manne scheide; wenn sie aber geschieden ist, so bleibe sie ehelos oder versöhne sich mit dem Manne. Auch der Mann entlasse sein Weib nicht.“ S. 215

40. Aus der Ehe entsteht eine große und unvermeidliche Knechtschaft

Wie aber nun, wenn der Mann freundlich, das Weib hingegen boshaft, schmähsüchtig, geschwätzig und was eine gemeinschaftliche Krankheit aller ist, verschwenderisch und noch mit mehreren anderen Fehlern behaftet ist? Wie wird der Arme diese tägliche Qual, die Hoffart und Frechheit ertragen? Was ferner, wenn das Gegentheil der Fall ist, wenn sie bescheiden und ruhig, er aber wild, stolz, zornmüthig, wenn er theils wegen des Leichtsinns, theils wegen gewaltiger Macht aufgeblasen ist und sie, die Freie, wie eine Sklavin behandelt und gegen sie nicht billiger ist, als gegen die Mägde? Wie wird sie diese Noth und Gewaltthätigkeit ertragen? Was endlich, wenn er sich unaufhörlich von ihr abwendet und fortwährend in dieser Behandlungsweise verharret? Erdulde, heißt es, diese ganze Knechtschaft; wann er gestorben ist, dann erst wirst du frei sein; so lange er aber lebt, muß Eines von beiden geschehen: entweder mußt du ihn mit allem Eifer zu besänftigen und zu bessern versuchen, oder ist das unmöglich, den unversöhnlichen Krieg und den verbitterten Kampf standhaft ertragen. Oben sagte er: „Entziehet euch einander nicht, es sei denn mit gegenseitiger Einwilligung;“ hier befiehlt er der Geschiedenen auch gegen ihren Willen in Zukunft enthaltsam zu sein: „Sie bleibe ehelos, heißt es, „oder versöhne sich mit ihrem Manne.“ Siehst du, wie sie sich zwischen zwei Feuern befindet? Denn entweder muß sie die Gewalt der Begierlichkeit dulden oder will sie das nicht, dem Uebermüthigen schmeicheln oder sich ihm zu Allem überliefern, wozu er Lust hat, sei es, daß er sie mit Schlägen behandeln, sei es, daß er sie mit Vorwürfen überhäufen, sei es, daß er sie dem Gespötte des Gesindes oder Anderm dergleichen preisgeben will. Denn es sind von den S. 216 Männern viele Wege ersonnen worden, wenn sie ihre Weiber plagen wollen. Will sie aber das nicht ertragen, so muß sie eine unfruchtbare Enthaltsamkeit üben; ich sage: unfruchtbar weil es ihr an der gebührenden Verheißung gebricht. Denn sie ist ja nicht aus Verlangen nach Heiligung, sondern wegen des Zerwürfnisses mit dem Manne übernommen worden: „denn sie bleibe unverheirathet,“ heißt es, „oder versöhne sich wieder mit ihrem Manne.“ — Wie nun, wenn sie sich nicht versöhnen will? Du hast eine andere Zuflucht und einen audern Ausweg. Was denn für einen? Erwarte seinen Tod. Denn wie es der Jungfrau nie zu heirathen erlaubt ist, weil ihr Bräutigam immer lebt und unsterblich ist, so der Verheiratheten erst, wenn der Mann todt ist. Denn wär’ es gestattet, auch bei Lebzeiten von ihm zu einem andern und von diesem wieder zu einem andern und von diesem wieder zu einem andern überzugehen, wozu wäre die Ehe nothwendig, da die Mäuner ohne Unterschied Einer des Andern Weib gebrauchte und sich Alle mit Allen vermischten? Wie müßte aber da auch die Sorge für die Angehörigen zu Grunde gehen, wenn heute dieser, morgen jener und dann wieder ein Anderer mit ihr als ihrem Weibe Umgang pflegten? Mit Recht nannte der Herr dieses Ehebruch.

41. Warum der Herr den Juden erlaubte, einen Scheidebrief zu geben

Warum hat aber der Herr dieses den Juden erlaubt? Damit sie nicht mit einander haderten und ihre Häuser nicht mit Verwandtcnblut anfüllten. Denn, sage mir, was war besser, die Verhaßte aus dem Hause zu jagen oder sie darin zu erwürgen? Denn das würden sie gethan haben, wäre es ihnen nicht gestattet gewesen, sie zu verstoßen. Deßwegen heißt es: „Wenn du sie hassest, entlasse sie.“ Wenn er aber die Sanftmüthigen und jene anredet, denen er nicht gestattet zu zürnen, sagt er: „Wenn sie aber sich getrennt S. 217 hat, so bleibe sie unverheiratet.“ Siehst du den Zwang, die unausweichliche Knechtschaft und die Beide umschlingende Fessel? Denn die Ehe ist wirklich eine Fessel, nicht bloß wegen der Anhäufung der Sorgen und wegen der täglichen Kümmernisse, sondern auch deßwegen, weil sie die Ehegatten nöthigt, sich in höherem Grade noch, als jeder Sklave, einander zu unterwerfen. „Der Mann“, heißt es, „soll herrschen über das Weib.“ Und welches ist der Gewinn dieser Herrschaft? Denn sie macht ihn hinwieder zum Sklaven derjenigen, welche beherrscht wird, indem sie einen neuen und unerhörten Ersatz der Knechtschaft ausgedacht hat und gleichwie die Füße der Flüchtlinge, die theils für sich gefesselt, theils wiederum durch eine kleine Kette, die mit jedem Ende an die Fußschelle befestiget ist, mit einander verbunden sind, nicht frei einherschreiten können, weil der eine gezwungen wird, dem andern zu folgen: Ebenso haben auch die Gemüther der Verheiratheten theils ihre eigenthümlichen Sorgen, theils werden sie auch von einer andern Noth wegen des gegenseitigen Zusammengebundenseins in Anspruch genommen, das sie fester bindet, als jegliche Kette und beiden die Freiheit benimmt, weil nicht einem einzigen die Herrschaft übertragen, sondern diese auf Beide vertheilt ist. Wo sind nun diejenigen, welche um der Erleichterung willen, welche die sinnliche Lust gewährt, die ganze Verurtheilung zu tragen bereit wären? Denn nicht wenig Vergnügen geht verloren, da oft eine lange Zeit in gegenseitigen Anfeindungen und Zwistigkeiten zugebracht wird. Ja auch diese Knechtschaft, daß der Eine die Schlechtigkeit des Andern gegen seinen Willen zu ertragen genöthiget ist, reicht hin, die ganze Luft zu verkümmern. Deßhalb drängte jener Selige die ungestüme Wollust zuerst mit beschämenden Worten zurück, indem er sagt: „Wegen der Hurerei, der Unenthaltsamkeit, der Brunst.“ Als er aber bemerkte, daß diese Sprache der Verurtheilung von Vielen gering geachtet werde, so setzt S. 218 er hinzu, was zum Abschrecken kräftiger ist. Deßwegen wurden auch die Jünger gezwungen zu sagen: „Es ist nicht gut heirathen,“ daß heißt aber, daß keiner der Verheiratheten sein eigener Herr sei. Und das sagt er etwa nicht bloß ermahnend und rathend, sondern befehlend und gebietend. Denn das Heirathen oder Nichtheirathen steht bei uns, nicht aber, was der Ehe folgt: wir müssen die Knechtschaft ertragen, ob wir wollen oder nicht. Warum denn? Weil wir sie Anfangs nicht unwissend gewählt, sondern ihre Rechte und Gesetze wohl kennend uns freiwillig unter ihr Joch begeben haben. Nachdem er aber hierauf von jenen geredet, welche ungläubige Weiber haben und alle Ehegesetze genau durchgegangen; nachdem er die Sprache auf die Sklaven gelenkt und dieselben passend mit der Bemerkung getröstet hatte; daß ihr geistiger Adel durch die Sklaverei nicht vermindert werde, so geht er zur Rede über die Jungfräulichkeit über, womit er schon längst schwanger gegangen und sie von sich zu geben versucht hatte, aber erst jetzt von sich gab, obgleich er sie auch dort, wo er von der Ehe geredet, nicht mit Stillschweigen zu übergehen vermochte. Denn wenn auch nur kurz und obenhin, verflocht er sie doch auch in diese Ermahnung; und nachdem er auf diese so vortreffliche Weise unsere Ohren gleichsam vorbereitet und unsern Geist kirre gemacht, so verschafft er seiner Rede einen leichten Eingang. Denn nach seiner Ermahnung an die Sklaven („Denn ihr seid“, sagt er, „theuer erkauft; werdet nicht Knechte der Menschen“ ruft er uns die Wohlthat des Herrn in’s Gedächtniß, richtet dadurch Aller Herzen auf und erbebt sie zum Himmel und lenkt so die Rede auf den jungfräulichen Stand mit folgenden Worten: „Was aber die Jungfrauen betrifft, so habe ich kein Gebot vom Herrn; einen Rath aber gebe ich, als der ich vom Herrn Barmherzigkeit erlangt habe, gläubig zu sein.“ Und obwohl er auch keinen Befehl hatte bezüglich der Gläubigen, die mit Ungläubigen verheirathet sind, so verordnet er doch mit großer Vollmacht, indem er also S. 219 schreibt: „Den Uebrigen aber sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder ein ungläubiges Weib hat und es ihr gefällt, mit ihm zu wohnen, so entlasse er sie nicht.“ Warum erklärst du dich nicht ebenso deutlich in Bezug auf die Jungfrauen? Weil hierüber Christus eine deutliche Regel gegeben, indem er verbot, diesen Gegenstand in die Form eines zwingenden Gesetzes zu bringen. Denn jenes: „Wer es fassen kann, der fasse es,“ ist die Sprache dessen, der dem Zuhörer die freie Wahl anheim gibt. Als er daher von der Enthaltsamkeit sprach, sagte er: „Ich wünsche, daß alle Menschen wären, wie ich;“ und wiederum: „Den Unverheirateten aber und den Wittwen sage ich: Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich.“ In seinen Reden über die Jungfräulichkeit aber stellt er sich nirgends als Beispiel hin: deßhalb spricht er auch sehr bescheiden und vorsichtig; denn er selbst hatte die Sache nicht zu ordnen: „Ich habe kein Gesetz,“ sagt er. Nachdem er also zuerst dadurch, daß er die Wahl frei läßt, den Zuhörer geneigt gemacht hat, fügt er dann seinen Rath bei. Weil nämlich der Ausdruck „Jungfrauschaft“, sobald er ausgesprochen ist, sogleich eine große Mühe andeutet, deßhalb läßt er sich nicht unmittelbar auf die Ermahnung ein, sondern stellet sie erst vor Augen, nachdem er zuvor den Schüler für die Wahl gewonnen und dessen Seele willig und fügsam gemacht hat und zwar auf folgende Weise: „Du hast den Namen Jungfrauschaft nennen hören; ein Name vieler Anstrengungen und vielen Schweißes. Fürchte dich nicht; es handelt sich nicht um einen Befehl, um den Zwang eines Gesetzes; wohl aber belohnet sie jene, welche sie willig und gerne ergreifen, mit ihren Gütern, indem sie ihnen eine strahlende Blumenkrone auf’s Haupt setzt; jene aber, welche ihr ausweichen und sich ihr nicht unterziehen wollen, straft sie weder, noch zwingt sie dieselben, gegen ihren Willen dieses zu thun.“ Nicht aber bloß deßhalb machte Paulus seine Rede so wenig belästigend und so lieblich, S. 220 sondern damit die Wohlthat der Sache nicht als sein, sondern als das Werk Christi erscheine. Denn er sagt nicht: „Was die Jungfrauen betrifft, so gebiete ich nicht,“ sondern: „Ich habe kein Gebot,“ als wollte er sagen: Wenn ich durch menschliche Rücksichten bewogen dazu rathen würde, so müßte man mißtrauisch sein; weil es aber Gott so geordnet, so ist es ein sicheres Unterpfand der Freiheit. Mir ist zwar die Macht dieß zu befehlen benommen; wenn ihr aber mich wie einen Mitknecht hören wollet, „so gebe ich euch,“ sagt er, „einen Rath, als der ich vom Herrn Barmherzigkeit erlangt habe, gläubig zu sein.“ Hier muß man aber die große Gewandtheit und Klugheit des heiligen Paulus bewundern, wie er, zwischen zwei nothwendige und doch entgegengesetzte Dinge gestellt, theils sich selbst zu empfehlen, um dem Rathe eine gute Aufnahme zu sichern, theils nichts Großes von sich zu sagen, weil er dieser Tugend entbehrte, mit wenigen Worten Beides erreicht hat. Denn mit dem Ausdruck: „Als der ich Barmherzigkeit erlangt habe“ empfiehlt er sich in gewisser Weise; damit aber, daß er es mit keiner glänzenderen Seite thut, erniedrigt und verdemüthigt er sich wieder.

= 42. Von der Demuth des Paulus

Er sagt nämlich nicht: Ich gebe einen Rath, ich, dem das Evangelium anvertraut worden, ich, der auserwählte Herold der Heiden, ich, dem das Lehramt bei euch übertragen worden, euer Lehrer und Führer; sondern was? „Als der ich Barmherzigkeit erlangt habe;“ und er sagt so das Geringste von sich; denn bloß gläubig sein, ist weniger, als Lehrer der Gläubigen sein. Und er sinnt auf eine neue Demüthigung. Und was ist das für eine? Er sagt nicht: Als Einer, der gläubig geworden, sondern: „Der ich Barmherzigkeit erlangt habe, gläubig zu sein.“ Denn haltet nicht bloß das Apostolat, die Predigt und das Lehramt für ein Geschenk Gottes; denn auch das Glauben selbst ist mir aus Barmherzigkeit verliehen worden. Nicht als ob ich dessen würdig gewesen, sagt er, bin ich des Glaubens gewürdiget worden, S. 221 sondern nur weil ich Barmherzigkeit erlangte. Die Barmherzigkeit ist aber Sache der Gnade, nicht des Verdienstes. Wäre daher Gott nicht sehr barmherzig, so hätte ich nicht bloß kein Apostel, sondern nicht einmal gläubig werden können. Du siehst das dankbare und zerknirschte Gemüth des Knechtes, wie er sich nichts mehr, als den Uebrigen zuschreibt, ja sogar behauptet, daß das, was er mit seinen Schülern gemeinschaftlich hat, der Glaube, nicht sein Werk, sondern das Werk der Erbarmung und der Gnade Gottes sei, welche Worte den nämlichen Sinn, wie wenn er sagte: „Verschmähet es nicht, von mir einen Rath zu empfangen: denn auch Gott hat mich seiner Erbarmung nicht für uns werth gehalten. Zudem handelt es sich um einen Rath, nicht um ein Gebot; denn ich rathe, ich befehle nicht. Ferner verbietet kein Gesetz, daß Jedermann, was ihm nützlich erscheint, bekannt mache und vortrage, besonders, wenn dieß auf Bitten der Zuhörer geschieht, wie das auch bei euch der Fall ist.“ „Ich glaube,“ sagt er daher, „daß dieses gut sei.“ Da siehst du wieder die bescheidene und von jeder Autorität freie Rede. Und doch durfte er also sprechen: „Weil der Herr die Jungfrauschaft nicht befohlen, so thue auch ich es nicht; ich rathe euch aber und ermahne euch, euch darum zu bemühen; denn ich bin ja euer Apostel,“ gleichwie er auch weiter unten zu ihnen sagte: „Bin ich auch Andern kein Apostel, so bin ich es doch euch.“ Allein hier spricht er keineswegs so; sondern anstatt: Ich rathe, gebraucht er mit großer Bescheidenheit die Worte: „Ich gebe meine Meinung;“ anstatt: Als euer Lehrer „Als der ich Barmherzigkeit vom Herrn erlangt habe, gläubig zu sein.“ Und als genügte auch dieses nicht, um seine Rede zu verdemüthigen, so vermindert er, der mit dem Rathe begonnen, wieder sein Ansehen, indem er nicht einfach seine Meinnng ausspricht, sondern auch noch den Grund hinzufügt: „Ich halte dafür,“ sagt er, „dieses sei gut, um der bevorstehenden Noth willen.“ S. 222 Wo er aber von der Enthaltsamkeit redet, setzte er weder „Ich halte dafür,“ noch fügte er irgend einen Grund bei, sondern sagte einfach: „Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie auch ich;“ hier dagegen: „Ich halte dafür, es sei gut.“ Das thut er aber nicht, als ob er daran zweifelte; keineswegs, sondern weil er das Ganze dem Urtheile der Zuhörer überlassen wollte; denn nicht der ist ein Rathgeber, welcher in Betreff dessen, was er vorbringt, entscheidet, sondern welcher das Ganze dem Gutdünken der Zuhörer anheimstellt.

43. Was Paulus unter der bevorstehenden Noth versteht

Was ist aber das für eine Noth, von welcher Paulus hier redet? Jene, welche von der Natur ausgeht? Keineswegs. Denn erstens würde er, wenn er von dieser spräche, durch ihre Erwähnung das Gegentheil von dem bewirken, was er beabsichtigte; denn diejenigen, welche heirathen wollen, führen ja diese fortwährend im Munde. Zweitens würde er sie nicht „bevorstehend“ nennen; denn sie ist nicht erst jetzt, sondern schon längst dem Menschengeschlechte eingepflanzt und war früher heftiger und ungezähmt, aber durch Christi Ankunft und die vermehrte Kraft ist sie leicht überwindlich geworden. Er redet daher nicht von dieser Noth, sondern spielt auf eine andere vielgestaltige und vielfach wechselnde an. Was ist das für eine? Die Zerstreuung durch die weltlichen Geschäfte. Denn so groß ist die Verwirrung, so stark die Tyrannei der Sorgen, so zahlreich die Menge der Gefahren, daß der Verheirathete oft gegen seinen Willen in vielen Dingen zu irren und zu sündigen genöthiget wird.

44. Die Jungfrau kann das Himmelreich leichter gewinnen, als der Verheirathete

Ehemals war uns nämlich nicht ein solches Maß der Tugend vorgeschrieben, sondern es war erlaubt, sowohl das Unrecht zu rächen, als auch Schimpfworte zu erwidern und S. 223 Geld zu erwerben und rechtmäßig zu schwören und Auge für Auge auszureissen; und es war nicht verboten, sich der Sinnenlust hinzugeben oder zu zürnen oder die Frau zu verstoßen und eine andere zu nehmen. Ja nicht das allein; das Gesetz erlaubte sogar, zwei Weiber gleichzeitig zu haben, und es herrschte theils hierin, theils in allen andern Dingen eine bedeutende Nachsicht. Nachdem aber Christus erschienen, wurde der Weg weit schmäler, nicht bloß weil jene unvergleichbare und große Willkür in Betreff alles Erwähnten unserer Macht entzogen ist, sondern auch, weil wir das Weib, wenn es uns auch wider Willen oft zu vielen Sünden veranlaßt und nöthigt, stets im Hause behalten, oder, will man dasselbe verstoßen, der Schuld des Ehebruches sich gefangen gibt. Aber nicht bloß darum ist die Tugend für uns schwer, sondern weil, mag auch das Weib einen erträglichen Charakter besitzen, doch der Haufe von Sorgen, welcher ihret- und ihrer Kinder willen auf uns lastet, uns durchaus nicht zum Himmel aufblicken läßt, indem er unsere Seele gleichsam wie ein Strudel nach allen Seiten hin dreht und versenkt. Denn siehe, der Mann will ein ruhiges und geschäftloses Privatleben führen; wenn er aber die umstehenden Kinder und die Ehegattin, die einen großen Aufwand verlangt, ansieht, so stürzt er sich wider Willen in den Strudel der weltlichen Geschäfte. Ist er aber in diesen gerathen, so kann man nicht sagen, zu wie vielen Sünden er genöthiget wird: zum Zorne, zum Schwören, zum Schimpfen, zur Rache, zur Verstellung, indem er Vieles aus Schmeichelei, Vieles aus Haß thut. Denn wie ist es möglich, daß derjenige, welcher in einem solchen Sturm herumgepeischt wird und in demselben nach Ruhm jagt, sich nicht mit vielem Sündenschmutze beflecke. Und sollte Jemand auch nur die Hausangelegenheiten besorgen, so wird er wegen des Weibes auf dieselben und noch größere Schwierigkeiten stoßen; denn er muß sich um viele Dinge bekümmern, deren ein für sich lebender Mann nicht bedarf; und dieses schon, wenn die Frau brav uud nachgiebig ist. Ist sie aber boshaft, bitter und schwierig, so wird man S. 224 dieß nicht mehr bloß Zwang, sondern Strafe und Pein nennen müssen. Wie wird also der den Weg zum Himmel zurücklegen können, welcher freier und leichter Füße, einer wohlgegürteten und rüstigen Seele bedarf, wenn er mit einer solchen Wucht von Geschäften beladen, mit so vielen Fesseln gebunden, von dieser Kette, ich meine die Bosheit des Weibes stets nach unten gezogen wird?

45. Diejenigen, welche sich überflüssigen Beschwerlichkeiten unterziehen, haben dafür keinen Lohn zu gewärtigen

Welches ist aber die kluge Antwort der Menge, wenn wir ihr das Alles erzählen? „Demnach wird,“ heißt es, „der einer größern Belohnung werth sein, welcher ungeachtet einer solchen Noth das Rechte thut?“ Wie so, mein Theuerster, und warum? „Weil er sich,“ sagt man, „wegen der Ehe einer großen Arbeit unterzieht.“ Und wer hat ihn gezwungen, eine so große Arbeit zu übernehmen? Denn wenn er durch Heirathen ein Gebot erfüllte und durch die Unterlassung desselben gegen ein Gesetz verstieße, so wäre diese Rede vernünftig. Falls er aber, da es ihm doch frei stand, dem Joche der Ehe sich nicht zu unterziehen, freiwillig, ohne allen Zwang sich in solche Schwierigkeiten stürzen wollte, durch die ihm der Kampf der Tugend viel beschwerlicher wurde, so kümmert das den Kampfrichter nicht; denn er hat nur Eines zu erzielen geboten, den Krieg gegen den Teufel zu führen und den Sieg über das Laster zu gewinnen. Ob aber Jemand verheirathet ist und der sinnlichen Lust fröhnt und um viele Dinge sich kümmert, oder ob er abgetödtet und geplagt und um nichts Anderes besorgt ist, das ist ihm gleichgiltig. Als die Siegesweise und den Weg, der zum Siege führt, erklärt er zwar den, der von allen weltlichen Dingen frei ist. Weil aber du mit Weib und Kindern und den diese begleitenden Geschäften Krieg führen und kämpfen willst, um Gleiches, wie jene, zu leisten, die von all diesen Dingen frei sind, und um deßhalb noch größere Bewunderung zu S. 225 genießen, so wirst du uns vielleicht eines großen Stolzes anklagen, wenn wir behaupten, daß du nicht denselben Gipfel, wie jene, zu ersteigen vermagst. Indessen wird dich schon die Zeit der Belohnungen genugsam belehren, daß die Sicherheit weit ersprießlicher sei als eitle Prahlerei, und rathsamer, Christo zu glauben als der Thorheit seiner eigenen Gedanken. Denn Christus stellt es in Abrede, daß es zur Tugend genüge. Allem, was uns gehört, zu entsagen, soferne wir uns nicht auch selber hassen: du aber, der du mit all diesen Dingen vermischt bist, glaubst siegen zu können. Allein du wirst, wie ich sagte, dann deutlich einsehen, welch’ ein großes Hinderniß für die Tugend ein Weib und die Sorgen für ein Weib seien.

46. Warum die Frau eine Gehilfin genannt worden, da sie doch ein Hinderniß sei für ein vollkommenes Leben

„Wie nun,“ entgegnete man, „nennt Gott die eine Gehilfin, welche ein Hinderniß ist?“ Denn er sagt: „Lasset uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm gleich sei.“ Aber auch ich will dich fragen: „Wie ist die eine Gehilfin, welche den Mann seiner Sicherheit beraubt und ihn, nachdem sie ihn aus jenem bewundernswerthen Aufenthalte im Paradiese vertrieben, in das Wirrsal des gegenwärtigen Lebens gestürzt hat? Denn diese Dinge verrathen nicht nur keinen Helfer, sondern einen Ränkeschmied. Denn „vom Weibe,“ heißt es, „ist der Anfang der Sünde und um seinetwillen sterben wir Alle.“ Und der heilige Paulus sagt: „Adam ward nicht verführt; das Weib aber ward verführt und fiel in Uebertretung.“ Wie ist also die eine Gehilfin, welche den Mann dem Tode unterwarf? Wie eine Gehilfin, durch welche die Kinder Gottes und alle damaligen Bewohner der Erde mit den wilden Thieren, den Vögeln und allen übrigen lebenden Wesen in der Sündfluth vertilgt worden sind? Hätte dieselbe nicht den gerechten Job zu Grunde gerichtet, wenn S. 226 er sich nicht so sehr als Mann gezeigt hätte? Hat nicht sie den Samson in’s Verderben gestürzt? Hat nicht sie bewirkt, daß das ganze Volk der Hebräer dem Beelphegor geweiht und durch die Hände der Verwandten erwürgt worden ist? Und wer hat namentlich Achab dem Teufel überliefert? Und vor ihm den Salomon, nach einer so großen Weisheit und Ehre? Und verleiten nicht sie auch heut zu Tage noch ihre Männer, sich vielfach gegen Gott zu vergehen? Sagt nicht darum jener weise Mann: „Alle Bosheit ist gering gegen die Bosheit des Weibes?“

„Warum sprach nun aber,“ sagt man, „Gott zu ihm: Laßt uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm gleich sei! Gott lügt ja doch nicht.“ Das sage auch ich nicht; das sei ferne! Aber jene, welche zu dem und deßhalb geschaffen worden war, wollte nicht in ihrer Würde verharren, wie auch ihr Mann nicht. Denn auch ihn hat Gott nach seinem Bilde und Gleichnisse geschaffen; denn er sagt: „Lasset uns den Menschen nach unserem Bilde und Gleichnisse machen,“ gleichwie er auch sprach: „Lasset uns eine Gehilfin machen;“ kaum aber geschaffen, verlor er Beides sogleich; denn er bewahrte das Gleichniß nicht, weil er sich auf thörichte Weise der Begierlichkeit hingab, von der List sich fangen ließ und die sinnliche Lust nicht beherrschte; das Ebenbild aber wurde ihm dann gegen seinen Willen entrissen. Denn Gott nahm ihm einen nicht geringen Theil seiner Macht ab und machte den, welcher Allen wie ein Herrscher furchtbar sein sollte, gleichsam wie einen undankbaren Knecht, der seinen Herrn beleidigt, den Mitknechten verächtlich. Denn im Anfange war er sogar allen Thieren zum Schrecken; Gott führte nämlich alle zu ihm und keines wagte es, ilm zu verletzen und anzugreifen; ein jedes schaute in ihm das strahlende königliche Ebenbild. Nachdem er aber diese Auszeichnung durch die Sünde ver- S. 227 dunkelt hatte, entzog er ihm auch diese Herrschergewalt. Gleichwie nun der Umstand, daß der Mensch nicht mehr alle auf der Erde lebenden Thiere beherrscht, sondern vor einigen zittert und sie fürchtet, den Ausspruch Gottes: „Und sie sollen über die Thiere herrschen,“ nicht zur Lüge macht (denn diese Macht ist nicht durch die Schuld dessen, der sie verliehen, sondern dessen, der sie empfangen, geschmälert worden): Ebenso wenig erschüttern auch die Nachstellungen, welche den Männern von den Weibern bereitet werden, jenes Wort: „Lasset uns ihm eine Gehilfin machen, die ihm gleich sei.“ Denn dazu war sie zwar geschaffen; aber sie verharrte nicht darin. Allein man könnte zu dem noch anführen, daß sie für die Beschaffenheit des gegenwärtigen Lebens, die Kindererzeugnng und die der Natur eingesenkte Begierlichkeit Hilfe leiste. Da aber die Zeit des gegenwärtigen Lebens keine Zeit weder für Kindererzeugung, noch für Befriedigung der sinnlichen Lust ist, warum erwähnest du mir umsonst der Gehilfin nach dieser Seite hin? Denn diejenige, welche nur zu den geringsten Dingen von Nutzen ist, wird, wenn er sie zu größern verwenden will, ihm nicht nur nichts nützen, sondern ihn auch noch in Sorgen verwickeln.

47. Das Weib soll den Mann in geistlichen Dingen unterstützen

„Was sollen wir nun,“ heißt es, „zu Paulus sagen, welcher spricht: Wie weißt du, Weib, ob du nicht den Mann retten wirst, welcher also die Hilfe der Frau auch in geistlichen Dingen für nothwendig hält?“ Auch ich gebe das zu; denn ich schließe sie nicht von jeder geistlichen Hilfe aus; das sei ferne! Aber ich behaupte, daß sie nur dann dieses leiste, wenn sie das nicht thut, was zur Ehe gehört, sondern wenn sie, der Natur nach Weib bleibend, zur Tugend heiliger Männer voranschreitet. Denn sie wird ihren Mann nicht zu retten vermögen, wenn sie S. 228 eitel und schwelgerisch ist, von ihm die Einkünfte verlangt, vornehm lebt und großen Aufwand macht; wohl aber, wenn sie, über alle diese Dinge erhaben, ein apostolisches Leben in sich ausprägt, die größte Rechtschaffenheit und Bescheidenheit, Geldverachtung und Geduld beweist. Sie wird ihn dann gewinnen, wenn sie sagt: „wenn wir Nahrung und Kleidung haben, lasset uns zufrieden sein;“ wenn sie durch die Werke also philosophirt und, den leiblichen Tod verachtend, das gegenwärtige Leben für nichts erachtet; wenn sie alle Herrlichkeit dieses Lebens nach dem Propheten für eine Blume des Grases erklärt. Nicht also dadurch, daß sie wie ein Weib mit ihrem Manne zusammenlebt, wird sie diesen zu retten vermögen, sondern dadurch, daß sie ein evangelisches Leben zeigt, denn das haben viele Frauen auch außer der Ehe gethan. Denn Priscilla, heißt es, hat den Apollo zu sich gerufen und ihn ganz auf den Weg der Wahrheit geführt. Wenn aber dieses jetzt nicht mehr erlaubt ist, so können sie wenigst gegen die Weiber einen Eifer entfalten und den nämlichen Vortheil erringen; denn jene zieht den Mann nicht, wie ich schon bemerkte, weil sie seine Frau ist. Sonst würde ja nichts im Wege stehen, daß keiner derjenigen, die ein gläubiges Weib haben, ungläubig bliebe, wenn schon der Umgang und das Zusammenleben die Sache bewirkte. Aber das ist es nicht, nein; sondern daß sie viele Weisheit und Geduld an den Tag lege, die Mühseligkeiten des Ehestandes verachte und das als ihre fortwährende Beschäftigung ansehe, das bewirkt, daß die Seele dessen gerettet werde, mit dem sie zusammen lebt. Wenn sie aber darauf besteht, weibliche Dinge von ihm zu verlangen, so schadet sie ihm mehr, als sie nützt. Daß aber die Sache auch so noch gar schwer sei, darüber vernimm, was Paulus sagt: „Wie weißt du, Weib, ob du nicht den Mann retten werdest?“ Diese Frageweise pflegen wir dann zu gebrauchen, wenn sich etwas gegen Erwartung ereignet. Was sagt er aber darauf? „Bist du an S. 229 ein Weib gebunden, so suche nicht los zu werden; bist du aber frei von einem Weibe, so suche kein Weib.“ Siehst du, wie er fortwährend Uebergänge macht und häufig in kurzen Zwischenräumen beide Ermahnungen mit einander vermengt. Denn wie er in die Reden über die Ehe auch etwas über die Enthaltsamkeit einflicht, um den Zuhörer unter der Hand zu ermuntern, so redet er auch hier wieder über die Ehe, um ihn zu erquicken. Er hatte von der Jungfrauschaft begonnen; ehe er aber etwas davon gesagt, eilt er gleich wieder zur Ehe zurück. Denn das Wort: „Ich habe kein Gebot,“ ist das Wort eines solchen, welcher die Ehe gestattet und einleitet. Als er aber zur Jungfrauschaft gekommen und gesagt hatte: „Ich meine, es sei gut,“ so wiederholt er diesen Ausdruck nicht, weil er sah, daß der Name derselben, falls er anhaltend gebraucht werde, zarten Ohren großen Schmerz verursachen würde. Ja er wagte es selbst dann nicht, die Jungfrauschaft nochmals zu nennen, als er einen passenden Grund, ihre Mühen zu versüßen, nämlich die bevorstehende Noth, angeführt hatte; sondern was sagt er? „Es ist dem Menschen gut, so zu sein.“ Aber auch diesen Ausdruck verfolgt er nicht, sondern unterbricht und schneidet ihn ab, bevor er in seiner Härte erschien, und kommt in der Rede wieder auf die Ehe zurück: „Bist du an ein Weib gebunden,“ sagt er, „so suche nicht los zu werden.“ Denn wenn dieses nicht wäre und er diesen Trost nicht bereiten wollte, so wäre es thöricht, wenn er, der die Jungfrauschaft anräth, über die Ehe philosophirt. Dann geht er abermals auf die Jungfräulichkeit über; aber auch jetzt nennt er sie nicht mit ihrem eigenen Namen; sondern wie? „Bist du frei von einem Weibe, so suche kein Weib.“ Sei jedoch ohne Sorge; er erklärte sich nicht und erließ auch kein Gebot; denn es steht die Rede von der Ehe wieder bevor, wodurch er diesen Schrecken löst mit den Worten: „Wenn du aber S. 230 heirathest, so sündigst du nicht.“ Aber auch jetzt verliere den Muth nicht; denn wiederum zieht er dich zur Jungfrauschaft hin und zwar zielt seine Rede dahin, zu zeigen, daß die, welche eine Ehe eingehen, viele Trübsal im Fleische erdulden. Denn wie die besten und sanftmüthigen unter den Aerzten, die ein bitteres Heilmittel, oder Schneiden, oder Brennen, oder etwas Aehnliches anwenden wollen, nicht sogleich das Ganze ausführen, sondern in der Zwischenzeit den Kranken wieder zu Athem kommen lassen und so immer das Weitere beifügen: auf die nämliche Weise flocht auch der heilige Paulus den Rath der Jungfrauschaft nicht ohne Unterlaß, nicht auf einmal, nicht Schritt für Schritt ein, sondern, indem er ihn fortwährend mit Aussprüchen über die Ehe unterbrach und ihm so die zu große Härte benahm, machte er die Rede freundlich und angenehm. Dadurch entstand auch eine bunte Mischung in seinen Aussprüchen. Doch es lohnt sich der Mühe, die Worte selber etwas näher zu prüfen: „Bist du an ein Weib gebunden,“ sagt er, „so suche nicht los zu werden.“ Damit will er nicht so fast einen Rath ertheilen, als vielmehr die Unauflöslichkeit und die beständige Dauer des Bandes anzeigen. Warum aber sagte er nicht: „Hast du ein Weib, so verlaß es nicht; lebst du mit ihr verbunden, so gehe nicht weg?“ sondern warum nannte er die Ehe ein Band? Um hier das Lästige der Sache zu zeigen. Weil nämlich Alle zur Ehe als zu etwas ganz Leichtem hinrennen, so zeigt er, daß sich die Ehegatten von den Gefesselten nicht unterscheiden; denn auch hier muß, wohin der Eine zieht, der Andere folgen oder, wenn er zu zanken beginnt, mit demselben zu Grunde gehen. — „Wie nun,“ sagt man, „wenn der Mann wollüstig ist, ich aber enthaltsam sein will?“ Du mußt ihm folgen; denn die süße Kette des Ehestandes, die du dir umgelegt hast, zwingt dich, auch gegen den Willen, dieses zu thun und zieht dich zu dem hin, welcher vom Anfang an dich gefesselt war. Wenn du widerstrebst und dich trennst, so wirst du dich der Bande nicht nur nicht entledigen, sondern dich auch in die äußerste Strafe stürzen. S. 231

48. Die Frau, welche gegen den Willen des Mannes enthaltsam ist, wird schwerere Strafen erleiden als der Mann, welcher einen Ehebruch begeht

Die Frau, welche gegen den Willen des Mannes enthaltsam ist, entbehrt nämlich nicht bloß des Lohnes für die Enthaltsamkeit, sondern wird auch für den Ehebruch desselben eine viel schwerere Strafe erleiden, als dieser. Warum denn? Weil sie ihn des erlaubten Beischlafs beraubt und dadurch in den Abgrund der Unzucht gestürzt hat. Denn wenn das gegen seinen Willen auch nur auf kurze Zeit zu thun nicht erlaubt ist, wie darf sie Nachsicht erwarten, wenn sie ihn dieses Trostes für immer beraubt? „Und was kann sich,“ sagt man, „Härteres als diese Noth und dieses Unglück ereignen?“ Auch ich sage dasselbe. Warum unterwirfst du dich dieser Noth? Denn diese Erwägung hättest du nicht nach, sondern vor der Ehe anstellen sollen. Deßhalb redet auch Paulus erst von der Lösung des Bandes, nachdem er auf die aus diesem erfolgende Noth hingewiesen. Denn nachdem er gesagt: „Bist du an ein Weib gebündelt, so suche nicht los zu werden,“ fügt er bei: „Bist du frei von einem Weibe, so suche kein Weib.“ Dieß aber thut er, damit du vom Zwange der Ehe eine genaue Einsicht uud Ueberzeugung gewinnest und um so leichter die Rede von der Ehelosigkeit anhören mögest. „Wenn du heirathest, so sündigst du nicht;“ sagt er; „und wenn eine Jungfrau heirathet, so sündigt sie nicht.“ Siehe, wie die große Einrichtung der Ehe doch endigt: damit, daß du nicht angeklagt werdest, nicht aber damit, daß man dich bewundere. Letzteres kommt allein der Jungfräulichkeit zu; der Verheirathete hingegen muß sich begnügen zu hören, daß er nicht gesündiget habe. „Warum also,“ sagt man, „ermahnest du, kein Weib zu suchen?“ Weil es dem einmal Gebundenen nicht möglich ist, wieder los zu werden; weil hierin ein großes Unglück liegt. „Ist das nun, sage mir, der einzige Gewinn, den wir aus der Jungfräulichkeit S. 232 ziehen, daß wir diesem Unglück entrinnen? Wer wird die Jungfrauschaft um eines so geringen Lohnes willen auf sich nehmen? Wer wird in einen so großen Kampf herabsteigen wollen, wenn er für so vielen Schweiß nur einen solchen Lohn zu gewärtigen hat?

49. Warum der Apostel nur durch irdische Belohnung zur Jungfräulichkeit antreibe

Was sagst du? Obgleich du mich zum Kampf gegen die Dämonen rufst, („denn wir haben nicht zu kämpfen wider Fleisch und Blut;“) obgleich du der Heftigkeit der Natur zu widerstehen befiehlst; wenngleich du uns, die wir mit Fleisch und Blut umgeben sind, ermahnest, Gleiches wie die unkörperlichen Mächte zu leisten: so erwähnst du doch nur der irdischen Güter und sagst, daß wir die Trübsale der Ehe nicht zu tragen hätten. Denn warum sprach er nicht also: „Wenn die Jungfrau heirathet, so sündigt sie nicht, sie beraubt sich aber der Kronen der Jungfrauschaft, jener großen und unaussprechlichen Güter? Warum gedachte er nicht der Belohnungen, die sie nach dem Kampfe erwarten; wie sie dem Bräutigam entgegen ziehen, wie sie leuchtende Lampen halten, wie sie mit größter Glorie und Zuversicht den König in den Hochzeitsaal begleiten, wie sie unter Allen am nächsten an seinem Throne und dem königlichen Brautgemache erglänzen werden? Von diesen Dingen aber geschieht nicht einmal eine leise Erwähnung; statt dessen kommt er immer wieder auf die Befreiung von zeitlicher Trübsal zurück. „Ich meine,“ sagt er, „daß es gut sei“ und indem er zu sagen unterläßt: „wegen der zukünftigen Güter,“ sagt er: „Wegen der bevorstehenden Noth.“ Nachdem er dann wieder mit dem Ausspruch: „Wenn die Jungfrau heirathet, so sündigt sie nicht“ die himmlischen Belohnungen, deren sie sich beraubt, mit Schweigen übergangen, sagt er: „Solche werden S. 233 Drangsal des Fleisches haben.“ Und das thut er nicht bloß jetzt, sondern bis zum Schlusse, läßt die von den ewigen Gütern hergeholte Empfehlung bei Seite und nimmt wieder zum nämlichen Grund seine Zuflucht, indem er sagt: „Die Zeit ist kurz;“ und anstatt zu sagen: „Ich wünsche, daß ihr im Himmel glänzet und für weit herrlicher gehalten werdet als die Verehelichten,“ hängt er sich wieder daran, indem er spricht: „Ich wünsche aber, daß ihr ohne Sorge seid.“ Das thut er aber nicht bloß an dieser Stelle, sondern auch dort, wo er von der Ertragung der Unbilden handelt, schreitet er auf demselben Wege des Rathes einher. Denn nachdem er gesagt: „Hat dein Feind Hunger, so speise ihn; hat er Durst, so tränke ihn,“ so schweigt er doch, obgleich er eine so wichtige Sache fordert und gegen den Drang der Natur sich aufzulehnen und mit einem so unerträglichen Heerde zu streiten befiehlt, da, wo er über den Lohn spricht, vom Himmel und den himmlischen Dingen und stellt nur in der Beschämung des Beleidigers die Belohnung auf: „Denn thust du dieses,“ sagt er, „so sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt.“ Warum hat er sich also dieser Trostesweise bedient? Nicht aus Unkenntniß und als ob er nicht wüßte, wie er den Zuhörer an sich ziehen und überzeugen müsse, sondern weil er am meisten von allen Sterblichen diese Gabe, nämlich zu überzeugen, besaß. Woraus erhellt das? Aus seinen Worten. Wie und auf welche Weise? Er sprach zu den Korinthern (zuerst wollen wir nämlich in’s Auge fassen, was er über die Jungfräulichkeit sagt), bei welchen er erklärte nichts zu wissen, als Jesum Christum und diesen als den Gekreuzigten, zu denen er nicht als zu Geistigen reden konnte und die er, weil sie noch fleischlich waren, mit Milch nährte, was er ihnen auch in seinem Briefe vorwarf mit den Worten „Aber auch jetzt vermögt ihr es noch nicht, denn ihr seid noch fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise.“ Darum S. 234 lenkt er sie sowohl von den irdischen, sichtbaren, sinnlichen Dingen zur Jungfräulichkeit hin, als auch von der Ehe ab; denn er wußte das wohl, daß man sie, weil noch kleinmüthig und auf der Erde liegend und irdisch gesinnt, mit den irdischen Dingen leichter an sich zu ziehen und zu gewinnen vermöge. Dann sage mir, warum schwören denn viele bäurische und thörichte Menschen sowohl in kleinen wie in großen Dingen furchtlos bei Gott theils recht theils falsch, während sie beim Haupte der Kinder nie schwören wollen? Und ob auch sowohl jener Meineid, als auch die Strafe dafür weit schwerer ist, als für diesen, so werden sie doch durch diesen Eid mehr, als durch jenen gebunden. Ebenso werden sie zur Unterstützung der Armen nicht so fast durch die Reden vom Himmelreich, so oft sie auch ertönen mögen, ermuntert, als vielmehr durch die Hoffnung etwas Gutes, sei es für sich, sei es für ihre Kinder, zu erlangen. Darum werden sie besonders dann in diesen Hilfeleistungen eifrig, wenn sie von einer langwierigen Krankheit genesen, einer Gefahr entronnen sind, irgend ein Amt oder eine Herrschaft erlangt haben. Daraus magst du entnehmen, daß in der That die meisten Menschen mehr durch das, was vor den Füßen liegt, sich leiten lassen. Denn dieses reizt mehr im Glück und schreckt heftiger im Unglück, weil ihnen die Empfindung davon näher liegt. Deßhalb redete Paulus auch mit den Korinthern so und lenkte die Römer von den gegenwärtigen Dingen zur Ertragung des Unrechtes hin. Denn die schwache und gereizte Seele läßt nicht so leicht das Gift des Zornes fahren, wenn sie vom Himmelreich hört und auf eine entfernte Hoffnung verwiesen wird, als wenn sie erwartet, an dem Beleidiger Rache nehmen zu dürfen. Indem er also die Erinnerung an die Unbilden mit der Wurzel ausreißen und den Zorn beseitigen wollte, so brachte er das vor, was am wirksamsten war, den Beleidigten zu besänftigen, nicht etwa um ihn der in der Zukunft hinterlegten Belohnungen zu berauben, sondern ihn auf jede Weise auf den Weg der Weisheit zu führen und zur Wiederversöhnung die Thüre zu öffnen. Denn bei jeder S. 235 guten Handlung ist der Anfang das Schwerste; nach dem Beginne derselben ist die Arbeit nicht mehr so schwierig. Allein unser Herr Jesus Christus thut dieses nicht, weder da, wo er von der Jungfräulichkeit, noch von der Ertragung einer Beleidigung redet; denn dort stellt er das Himmelreich vor Augen: „Denn es gibt,“ sagt er „Verschnittene, die sich selber um des Himmelreichs willen verschnitten haben.“ Als er aber für die Feinde zu beten befahl, so gedenkt er weder des Nachtheils der Beleidiger, noch der feurigen Kohlen, sondern ladet sie, während er dieß Alles zu den Kleinmüthigen und Elenden sagen läßt, zu größeren Belohnungen ein. Zu welchen denn? „Damit ihr,“ sagt er, „eurem Vater ähnlich seid, der im Himmel ist.“ Siehe, welch’ große Belohnung! Denn die Zuhörer waren Petrus, Jakobus, Johannes und die übrige Schaar der Apostel; deßhalb lockt er sie mit geistigen Belohnungen an. Das Nämliche würde auch Paulus gethan haben, hätte er an solche Männer seine Rede gerichtet; weil er es aber mit den Korinthern zu thun hatte, die noch ziemlich unvollkommen waren, so stellte er ihnen schon jetzt Früchte in Aussicht, damit sie bereitwilliger die Tugend in’s Werk setzen möchten. Aus dem gleichen Grunde hat es auch Gott unterlassen, den Juden das Himmelreich zu versprechen und hat ihnen nur irdische Güter geschenkt und für ihre Frevelthaten nicht mit der Hölle gedroht, sondern mit zeitlichen Uebeln: mit Pest, Hunger, Krankheiten, Krieg und Verbannung und ähnlichen Leiden; den durch solche Dinge werden die mehr fleischlich gesinnten Menschen in Schranken gehalten und diese fürchten sie mehr, während sie von denen, die nicht gesehen werden und nicht gegenwärtig sind, weniger geängstiget werden. Deßhalb verweilt auch Paulus länger bei ihnen, weil sie am meisten geeignet waren, ihre Stumpfsinnigkeit zu verwunden. Ueberdieß wollte er ihnen auch noch das zeigen, daß einige der Tugenden uns hienieden zwar viele Beschwerden verursachen, alle Frucht aber auf die Zukunft verschoben werde; die Jungfrauschaft S. 236 hingegen schon in dem Augenblicke, wo sie geübt wird, uns keine geringe Entschädigung biete, weil sie uns von so vielen Mühsalen und Sorgen befreie. Aber er erreichte damit ein Drittes. Was denn? Daß man die Sache nicht für etwas Unmögliches halte, sondern für etwas, was gar leicht ausführbar sei. Er bewirkt aber dieses dadurch, daß er mit großer Leichtigkeit nachweist, daß mit der Ehe mehr Schwierigkeiten verbunden seien; es ist, als wollte er zu Jemanden sagen: „Scheint dir die Sache mühevoll und beschwerlich zu sein? Ich aber behaupte, daß man sich gerade deßhalb um sie bemühen müsse, weil sie so leicht ist, daß sie weit weniger Mühe, als die Ehe verursacht. Denn weil ich euch schone, sagt er, und nicht will, daß ihr Drangsal erleidet, darum wünsche ich, daß ihr nicht heirathet.“ Und welche Drangsal? fragt vielleicht Jemand. Im Gegentheil werden wir finden, daß die Ehe große Erholung und vielen Genuß darbiete. Und vor Allem trägt schon der Umstand, daß man mit der größten Freiheit die Lust befriedigen kann und nicht gezwungen ist, den Anfall der Natur auszuhalten, nicht wenig zur Erleichterung bei. Ferner ist auch das ganze übrige Leben frei von Kummer und Noth und voll von Heiterkeit, Lachen und Freude. Denn diejenigen, welche mit üppiger Tafel, weichlichen Kleidern, weichem Lager, beständigen Bädern und Salben und Wein, der hinter den Salben nicht zurücksteht, und vielem andern und mannigfaltigem Aufwande dem Fleische dienen, bereiten demselben damit einen süßen Genuß.

50. Solche Genüsse werden sowohl im alten, als im neuen Testamente verboten

Aber gerade das ist nicht gestattet; denn die Ehe pflegt uns nur die Befugniß zum Beischlaf, nicht aber auch zur Schwelgerei zu gewähren. Zeuge hiefür ist der heilige Paulus, welcher also spricht: „Welche aber in Wollüsten lebt, die ist lebendig todt. Wenn er das von den Wittwen S. 237 aussagt, höre auch, was er von den Verheiratheten spricht: „Die Weiber sollen sich in anständiger Kleidung mit Schamhaftigkeit und Sittsamkeit schmücken, nicht mit geflochtenen Haaren, oder Gold oder Perlen, oder kostbarem Gewande, sondern was sich für Weiber geziemt, welche Gottesfurcht geloben durch gute Werke.“ Aber nicht allein hier, sondern auch anderswo kann man die nämliche Ermahnung vernehmen, daß wir uns um diese Dinge keine Sorge machen sollen. Und warum führe ich Paulus an, der solches sprach, als die Zeit der größten Weisheit und die Fülle der Gnade des heiligen Geistes eingetreten war? Höre, wie Amos, welcher die thörichten Juden anredet und dieß zu einer Zeit, wo die Schwelgerei, die Verschwendung und so zu sagen alles Unnütze erlaubt war, den der Schwelgerei Ergebenen heftige Vorwürfe macht: „Weh, die ihr kommet zum schlimmen Tag, die ihr falsche Sabbate haltet und feiert; die ihr schlafet in Betten aus Elfenbein und ausgelassen seid auf eueren Lagern; die ihr verzehret Lämmer von der Heerde und Kälber vom Rindvieh; die ihr singet zum Klange des Saitenspiels; die ihr das Flüchtige für bleibend betrachtet; die ihr geklärten Wein trinket und mit dem besten Oele euch salbet.“

51. Falls diese Genüsse auch gestattet wären, so hätte die Ehe noch andere Leiden genug, um sie zu verbittern

Es ist also, wie ich bemerkte, durchaus nicht erlaubt, ein schwelgerisches Leben zu führen. Wenn aber davon auch nichts verboten, sondern Alles erlaubt wäre, so gibt es doch in Bezug auf Trauer und Schmerz Anderes, was diesem das S. 238 Gleichgewicht hält, ja soviel mehr und Größeres, daß wir davon nicht den geringsten Genuß haben, sondern daß jegliche Lust daran schwindet.

52. Welch’ großes Uebel die Eifersucht sei

Wenn Jemand von Natur aus zur Eifersucht hinneigt und aus irgend einem, auch unwahren Grunde von diesem Uebel ergriffen wird, was ist wohl bedauerungswürdiger, als eine solche Seele? Wenn wir Krieg und Sturm mit einem solchen Hause vergleichen, so werden wir ein genaues Bild dieses Zustandes zu erlangen vermögen: Alles ist voll Trauer, Alles voll Verdacht und Streit und Verwirrung. Denn wer von diesem Wahnsinn befallen ist, dem ergeht es nicht besser, als den Besessenen und Irrsinnigen. So springt er fortwährend auf, wirft sich nieder, ist gegen Alle aufgebracht und läßt seinen Zorn ohne Ausnahme, selbst an den Schuldlosen aus, sei es Knecht oder Sohn oder irgend ein Anderer. Der Friede wird gänzlich verscheucht, dagegen Alles erfüllt von Kummer und Trauer und Unannehmlichkeit. Ob er zu Hause bleibt, ob er auf den Markt geht oder eine Reise unternimmt, überall ergreift das Uebel seine Seele, indem sie ihn heftiger stachelt und reizt, als jeglicher Stachel, und nie zur Ruhe kommen läßt; denn diese Krankheit pflegt nicht bloß Trauer, sondern auch eine unerträgliche Wuth zu erzeugen. Aber jede dieser Folgen dürfte schon allein hinreichen, den von dieser Krankheit Ergriffenen zu Grunde zu richten; wenn sie nun aber, mit einander verbunden, ihn überfallen, ohne Unterlaß quälen, ihm keinen Augenblick Ruhe gestatten, wäre das nicht ärger, als sterben ? Denn nenne man mir die äußerste Armuth, eine unheilbare Krankheit, Feuer oder Schwert, so kommt das diesem Uebel nicht gleich: und das weiß nur jener genau, der es erfahren hat; denn keine Zunge vermag die Größe des Uebels zu schildern. Denn wenn der Mann jene, welche ihm unter Allen die Theuerste ist und für die er sogar sein Leben gerne hingeben würde, stets im Verdachte zu haben genöthigt wird: was sollte ihn dann noch überhaupt S. 239 zu trösten vermögen? Denn sei es, daß er sich zur Ruhe begeben, sei es, daß er Nahrung und Trank zu sich nehmen soll: er wird eher meinen, daß der Tisch mit tödtlichem Gifte, als mit Speisen besetzt sei. Auf seinem Lager wird er auch nicht einen Augenblick rasten, sondern Unruhe empfinden und sich hin und her werfen, als läge er auf glühenden Kohlen; und weder der Umgang mit Freunden, noch die Besorgung von Geschäften, noch die Furcht vor Gefahren, noch große Lustbarkeiten, noch etwas Anderes kann ihn von diesem Sturme befreien; vielmehr beherrscht dieser Sturm seine Seele tyranischer, als jegliche Trübsal und Trauer. Nachdem Salomon dieses erkannt, rief er aus: „Hart wie die Hölle ist die Eifersucht;“ und wiederum: „Der eifernde Grimm des Mannes schonet nicht am Tag des Gerichtes, noch wird er sich von Jemand erbitten lassen, auch nicht noch so viele Gaben zum Lösegeld annehmen.“ Denn so groß ist die Wuth dieser Krankheit, daß der Schmerz selbst nach der Bestrafung des Schuldigen nicht nachläßt. Viele haben daher, selbst nachdem sie den Ehebrecher aus dem Wege geräumt, den Zorn und Kummer oft nicht zu stillen vermocht. Andere wurden, nachdem sie ihre Weiber geschlagen, fortwährend auf gleiche Weise, ja noch heftiger von diesem Feuer verzehrt; und der Mann seufzt unter diesen Uebeln, auch wenn nichts wahr ist. Die Unglückliche und Geplagte aber hat noch weit Härteres als der Mann zu ertragen. Denn wohin soll sie sich wenden, da sie den, welcher der Trost in allen Trübsalen sein und von dem sie Hilfe erwarten soll, wild und auf das Furchtbarste ergrimmt gegen sich erblickt? Zu wem soll sie ihre Zuflucht nehmen? Wo Hilfe im Unglücke suchen, da ihr dieser Hafen verschlossen und mit unzähligen Hindernissen angefüllt ist? Sodann benehmen sich selbst Knechte und Mägde übermüthiger, als der Mann, gegen sie; denn diese Menschenklasse ist zwar ohnehin schon argwöhnisch und undankbar; wenn sie aber mehr Freiheit bekommt und die Herr- S. 240 schaft unter einander entzweit sieht, so nimmt sie aus der Zwietracht jener nicht geringen Anlaß für ihre eigene Schlechtigkeit. Denn jetzt ist es ihnen gestattet, was sie nur immer wollen, ohne alle Gefahr auszuführen und sich zu verstellen und den Verdacht durch ihre Verläumdungen noch zu verstärken. Denn eine Seele, welche einmal von dieser pestartigen Krankheit angesteckt ist, glaubt Alles leicht und kann, weil sie das Ohr Allen gleichmäßig öffnet, die Verleumder nicht von denen unterscheiden, die es nicht sind; ja es scheinen ihr mehr jene die Wahrheit zu sagen, welche den Verdacht vergrößern als die, welche ihn zu beseitigen suchen. Sie muß sich daher von nun an vor jenen entlaufenen Sklaven und ihren Weibern mehr fürchten und mehr zittern als vor ihrem Gatten und, nachdem sie die ihr gebührende Stellung ihnen abgetreten, dafür deren Stelle einnehmen. Und wann wird sie nun ohne Thränen leben können? In welcher Nacht? An welchem Tage? An welchem Feste? Wann ohne Seufzer, ohne Wehklagen, ohne Jammer? Fortwährend Drohungen, Beschimpfungen, Lästerworte: jetzt von dem grundlos verletzten Manne, dann von dem schlechten Gesinde; Eine, zwei Wachen; Alles voll Furcht und Zittern! Denn nicht bloß ihr Aus- und Eingehen, sondern sogar ihre Worte, ihre Mienen, ihre Seufzer werden genau und neugierig ausgeforscht und sie muß unempfindlicher als die Steine sein. Alles mit Stillschweigen ertragen; sie muß, schlimmer wie ein Gefangener, beständig das Gemach hüten oder, wenn sie reden, seufzen, ausgehen will, über Alles Rechenschaft geben und Rede stehen und zwar bei nichtswürdigen Richtern, ich meine die Mägde und die Schar der Bedienten. Vergleiche nun, wenn du willst, mit diesen Uebeln, die größten Schätze, herrliche Tafel, einen Haufen Dienerschaft, Glanz der Familie, große Macht, die höchsten Ehren, berühmte Ahnen; übergehe nichts von dem, was dieses Leben beneidenswerth macht, sondern sammle Alles sorgfältig und stelle es diesem Schmerz gegenüber, und du wirst das aus ihnen fließende Vergnügen nicht einmal wahrnehmen; es wird vielmehr so verschwinden, wie ein kleiner Funke, der in den weiten Ocean S. 241 fällt, natürlich erlischt. Und das geschieht, wo der Mann von der Eifersucht ergriffen ist. — Wenn nun aber diese Krankheit das Weib befällt (denn das pflegt nicht selten zu geschehen), so wird sich jener zwar in einer bessern Lage befinden, als das Weib; der größere Theil des Schmerzes wird aber auf dieses wieder zurückfallen; denn es wird nicht im Stande sein, gegen den Verdächtigen die nämlichen Waffen zu brauchen. Denn welcher Mann würde es ertragen, stets zu Hause zu bleiben, weil das Weib es befiehlt? Welcher Sklave dürfte es wagen, seinen Herrn zu belauschen, ohne sogleich in den Abgrund geschleudert zu werden? Sie wird sich daher weder mit diesen Kunstgriffen trösten, noch auch ihrem Zorn durch Worte Luft machen können, sondern der Mann wird es vielleicht ein- oder zweimal dulden, daß sie ihren Unwillen an ihm ausläßt; sollte sie ihm aber beständig Vorwürfe machen, so wird er sie schnell belehren, es sei besser für sie, solche Dinge mit Stillschweigen zu ertragen und sich zu verzehren. Und solches geschieht, wenn bloßer Verdacht obwaltet. Wenn aber das Uebel wahr ist, dann wird Niemand das Weib aus den Händen des Verletzten entreißen, sondern er wird die ihm günstigen Gesetze benutzen und die ihm unter Allen Theuerste vor Gericht schleppen und tödten. Der Mann wird der Strafe der Gesetze entrinnen, aber dem erhabenen und göttlichen Urtheilsspruche aufbewahrt werden. Das ist aber nicht geeignet, die Unglückliche zu trösten, sondern sie muß sich einem langen und erbarmungswürdigen Tod unterziehen durch die Zaubermittel und Gifttränke, welche ihr die ehebrecherischen Weiber bereiten. Viele hatten jedoch der Nachstellungen gegen die Gekränkten nicht nöthig, weil diese durch die Heftigkeit des Schmerzes schon vorher hinweggerafft wurden, so daß, wenn auch alle Männer der Ehe zueilen, die Frauen nicht nöthig haben ein Gleiches zu thun. Denn sie können nicht behaupten, daß die Tyrannei der Begierlichkeit bei ihnen so groß sei, und haben außerdem den größten Theil der Mübsale, die mit der Ehe verbunden sind, zu ertragen, wie unsere bisherige Darstellung gezeigt hat.

S. 242 „Wie nun,“ sagt man, „ist dieß bei allen Ehen der Fall?“ Es fehlt auch nicht bei allen; wohl aber ist jede Jungfrauschaft davon gänzlich befreit. Mag auch die Verheirathete nicht in dieses Unglück gerathen, so wird sie doch der Furcht vor demselben verfallen. Denn die, welche mit einem Manne umzugehen im Begriffe steht, kann nicht umhin, alle Uebel, welche mit dem Umgang verbunden sind, zu erwägen und zu fürchten. Die Jungfrau ist aber nicht bloß von den niedrigen Dingen, sondern auch von dem Verdachte frei. — „Das findet sich aber doch nicht in jeder Ehe.“ Das behaupte auch ich nicht; wenn es sich aber auch nicht findet, so stellt sich doch vieles Andere ein; und gesetzt, du entrinnst auch dem Einen, so wirst du doch sicherlich nicht Allem zu entrinnen vermögen. Gleichwie nämlich derjenige, welcher durch ein Dorngestrüpp geht, wenn er sich umdreht, um von den in seinen Kleidern steckenden Dornen den Einen herauszuziehen, von mehreren anderen erfaßt wird, so wird auch, wer in der Ehe dem Einen entkommen, von dem Andern verletzt; wer aber diesem entkommen, wird über etwas Anderes straucheln; kurz, es ist nicht möglich, eine Ehe zu finden, die von jedem Unglück frei wäre.

53. Man soll keine reiche Frau suchen, da eine solche Ehe lästiger ist, als die mit einer armen

Laßt uns nun, wenn du willst, von dem Unglücke absehen, dagegen das, was das höchste Glück zu sein scheint und was Viele oder vielmehr Alle zu erlangen wünschen, zur Sprache bringen und untersuchen. Was ist aber das? Daß der Arme, Niedrige und Verachtete eine Frau aus einem großen, mächtigen und reichen Hause heirathe. Denn wir werden sehen, daß dieses ersehnte Glück nicht geringern Uebelständen ausgesetzt sei, als das, was verabscheuet wird. Denn das Menschengeschlecht ist schon ohnehin sehr übermüthig, und um so mehr das der Frauen, je schwächer es ist, weßhalb sie auch um so leichter von dieser Krankheit befallen S. 241 werden. Wenn sie aber noch dazu manchen Grund zum Uebermuth haben, so vermag sie nichts in Schranken zu halten, sondern gleichwie eine Flamme, die Brennstoff erhalten, werden sie zu einer unermeßlichen Höhe fortgerissen, verkehren die Ordnung und werfen, was unten ist, nach oben. Denn das Weib läßt den Mann nicht die Stelle des Hauptes einnehmen, sondern nachdem sie ihn mit der ihr eigenthümlichen Hartnäckigkeit und Keckheit von seiner Stelle verstoßen und auf die ihr gebührende, nämlich zur Unterwerfung gedrängt hat, wird sie selbst Haupt und Führerin. Und was könnte schlimmer sein, als diese Anomalie? Ich schweige von den Vorwürfen, dem Uebermuthe, von der Unfreundlichkeit, die von Allem das Härteste sind.

54. Auch eine unterwürfige reiche Frau ist eine gewaltige Last

Wenn aber Jemand sagen sollte (und ich habe Viele es sagen hören, wenn davon die Rede war): „Wenn sie nur reich und wohlbabend ist; es wird keine Mühe kosten, sie zu unterwerfen, und ihren Stolz zu demüthigen;“ wenn Jemand dieß behauptet, so weiß er erstens nicht, daß dieß gar schwer sei; zweitens, daß, wenn es geschieht, es auch nicht wenig nachtheilig sei. Denn wenn sie durch Gewalt, sei es durch Furcht, sei es mit Zwang, sich dem Mann unterwirft, so ist das schlimmer und unangenehmer, als wenn derselbe über sie mit dem höchsten Ansehen herrscht. Warum das? Weil eine solche Gewalt alle Freundschaft, und alles Vergnügen verbannt. Wo aber keine Freundschaft und Liebe, sondern statt ihrer Furcht und Zwang herrscht, welchen Werth wird eine solche Ehe noch haben?

55. Ein unerträgliches Uebel ist es, einen reichen Mann zu heirathen

So verhält es sich, wenn die Frau wohlhabend ist. S. 242 Sollte es aber geschehen, daß sie nichts besitzt, der Mann aber reich ist, so wird sie eine Magd, keine Ehegattin sein, und die Freie wird eine Sklavin werden, und nachdem sie die ihr gebührende Freiheit eingebüßt hat, wird sie sich in keiner bessern Lage befinden, als die für Geld Gekauften. Sie wird, wie sehr auch der Mann schwelge und lüderlich sei, und welche Menge von Huren er in ihr Ehebett bringe, Alles ertragen und zufrieden sein, oder das Haus verlassen müssen. Das ist indessen nicht der einzige Nachtheil, sondern sie wird auch, wenn sich der Mann in dieser Lage befindet, weder den Knechten noch den Mägden freimüthig befehlen können, und ist, weil sie gleichsam in fremdem Eigenthum lebt, und das ihr nicht gehörende Vermögen genießt, und mehr mit einem Herrn, als mit ihrem Manne zusammen lebt, genöthiget, Alles zu thun und zu leiden. Wenn aber Jemand eine Frau von gleichem Stande heirathet, so zerstört diese Gleichheit wiederum das Gesetz der Unterwerfung, da das Maaß des Vermögens erfordert, daß sie dem Manne gleichstehe. Was soll man nun thun bei so vielen und überall entgegentretenden Schwierigkeiten? Denn führe mir nicht, wenn etwa sehr wenige Ehen denselben entrannen, diese als Gegenbeweis an; die Dinge müssen nämlich nach dem, was stets geschieht, nicht nach dem, was selten vorkommt, dargestellt werden. Es ist aber schwer, daß diese Dinge im jungfräulichen Stande vorkommen, ja sie können es gar nicht; in der Ehe aber ist es schwer, daß sie sich nicht ereignen.

56. Eine Verheirathete hat schwere Leiden zu ertragen

Wenn nun schon das, was vortheilhaft zu sein scheint, eine Quelle so vieler Leiden und Trübsale ist: was sollen wir erst von jenen Dingen sagen, die zweifellos traurig sind? Denn ob sie auch allein sterben wird, so fürchtet sie nicht blos Einen Tod, und ob sie auch nur Eine Seele hat, S. 543 so ist sie doch nicht nur um Eine bekümmert, sondern sie fürchtet auch für ihren Mann und ihre Kinder, für deren Frauen und Nachkommenschaft; und in je mehr Aeste die Wurzel sich ausdehnt, ein desto größerer Zuwachs von Sorgen ist es für sie. Ueber jedes Einzelne, sei es ein Vermögensverlust, sei es, daß eine körperliche Krankheit oder etwas Anderes nicht nach Wunsch sich ereignet, muß sie nicht weniger trauern und klagen, als jene, welche diese Leiden erdulden. Wenn sie Alle vor ihr sterben, dann wird ihre Trauer eine unerträgliche sein; wenn aber die Einen bleiben und die Andern durch einen frühzeitigen Tod hinweggerafft werden, so wird man auch nicht einmal so einen reinen Trost finden. Denn die Furcht, welche wegen der Lebenden die Seele beständig erschüttert, ist nicht geringer als die Trauer um die Gestorbenen, ja, wenn es erlaubt ist, einen auffallenden Ausspruch zu thun, noch größer. Denn die Trauer um die Verstorbenen lindert die Zeit, die Sorgen wegen der Lebenden aber müssen fortwährend bleiben und hören nur mit dem Tod auf. Wenn wir nun nicht einmal für die eigenen Leiden hinreichende Kraft besitzen, was für ein Leben werden wir führen, wenn wir genöthiget sind, auch noch die Leiden Anderer zu betrauern? Oft wurden auch viele Frauen, die von vornehmen Eltern geboren, gar üppig erzogen und an einen sehr mächtigen Mann verheirathet waren, plötzlich, noch ehe sie dieser Güter froh werden konnten, von einer Gefahr, gleichsam wie von einem hereinbrechenden Sturme oder Wirbelwinde erfaßt und gingen theils selbst unter, theils nahmen sie an den Uebeln des Schiffbruches Theil, theils fielen sie nach ihrer Verheirathung in das äußerste Elend, während sie vor der Ehe zahllose Güter genossen. — „Diese Dinge aber“, sagt man, „pflegen doch nicht Allen, oder immer zu widerfahren.“ Sie bleiben aber auch nicht von Allen ferne (denn auch ich wiederhole das); sondern die Einen haben sie durch die Erfahrung kennen gelernt. Alle aber, welche dieser Erfahrung entrannen, hat die Furcht vor derselben in Unruhe versetzt.

57. Von den Beschwerden, die mit jeder Ehe verbunden sind

Doch wir wollen, wenn’s beliebt, jetzt dieß Thema verlassen, und dafür jene Dinge in’s Auge fassen, die von Natur der Ehe zugetheilt sind, und denen Niemand, ob er will oder nicht will, ausweichen kaun. Was sind das aber für Dinge? Die Geburtswehen, das Gebären und die Kinder. Doch greifen wir noch weiter zurück und erforschen, soweit es möglich ist, das, was der Ehe vorausgeht; denn genau wissen das nur jene, die es selbst erfahren haben. Es steht die Zeit der Brautbewerbung bevor, und sogleich gibts mancherlei und vielgestaltige Sorgen: was für einen Mann sie erhalten werde, ob nicht einen von niedriger Herkunft, nicht einen verachteten, nicht einen eigensinnigen, nicht einen Betrüger, nicht einen anmaßenden, nicht einen kecken, nicht einen eifersüchtigen, nicht einen Kleinigkeitskrämer, nicht einen einfältigen, nicht einen schlimmen, nicht einen hartherzigen, nicht einen Schwächling. Dieß Alles muß zwar nicht allen Mädchen, welche sich verheirathen, begegnen; sie müssen aber doch Alles bedenken und fürchten; denn da es noch ungewiß ist, wen sie zum Manne erhalten werden, da sich die Hoffnung noch in der Schwebe befindet, so fürchtet das Herz Alles und zittert, und es gibt nichts in dieser Beziehung, woran es nicht dächte. — Wollte aber Jemand behaupten, daß es in Erwartnng des Gegentheils sich auch freuen könne, so wisse er, daß uns die Erwartung von etwas Gutem nicht so erfreue, wie die Furcht vor etwas Schlimmem uns betrübt. Denn das Gute erzeugt erst dann ein Vergnügen, wenn es sicher gehofft wird; das Schlimme hingegen quält und verwirrt auf der Stelle die Seele, wenn auch nur ein Verdacht obwaltet. Wie nämlich Sklaven, welche wegen ihrer künftigen Herren in Ungewißheit sind, ihr Herz nicht beruhigen können, so ist auch das Herz der Jungfrauen während der ganzen Zeit der Brautwerbung einem im Sturm befindlichen Fahrzeuge gleich, in- S. 245 dem die Eltern die Einen an sich ziehen, die Andern fortschicken. Denn jenen Freier, der gestern den Sieg davon trug, verdunkelt heute ein anderer, und diesen schlägt wieder ein dritter aus dem Felde. Es kommt wohl auch vor, daß sogar an der Schwelle der Ehe derjenige, welcher als Bräutigam galt, wieder mit leeren Händen abzieht, weil die Eltern das Mädchen einem Unerwarteten geben.

Aber nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer haben drückende Sorgen. Denn über diese Erkundigungen einzuziehen ist leicht; wie aber soll man die Sitten und die Gestalt jener erforschen, welche beständig im Innern des Hauses verweilt? Und dieß ist schon zur Zeit der Brautwerbung der Fall. Wenn aber die Zeit der Ehe heranrückt, so wächst die Sorge, und die Furcht ist größer, als das Vergnügen, sie möchte schon vom nämlichen Abende an widerlich und weit mangelhafter sein, als man erwartet. Denn es ist noch erträglich, daß die, welche im Anfang gelobt wurde, später verachtet werde. Wenn sie nun aber, so zu sagen, schon von den Schranken der Rennbahn an Eckel verursacht, wann wird sie bewundert werden können? Entgegne mir nicht: „Wie aber, wenn sie schön, wäre?“ Denn auch so wird er von dieser Sorge nicht frei sein. Denn viele Frauen, welche von sehr ausgezeichneter Körperschönheit gewesen, haben ihre Männer nicht zu fesseln vermocht, sondern diese haben die Frauen entlassen und sich andern, die ihnen weit nachstanden, ergeben. Ist aber auch diese Sorge beseitigt, dann tritt eine andere nicht minder lästige bei der Entrichtung der Mitgift an ihre Stelle, indem sie der Schwiegervater nicht gerne bezahlt, wie wenn er sie umsonst gäbe, und der Bräutigam, welcher das Ganze schnell haben möchte, genöthiget ist, die Einforderung schüchtern zu machen, und die junge Frau endlich, wird die Entrichtung verschoben, vor dem Manne sich schämt und erröthet, und zwar mehr, als vor jedem noch so unbilligen Gläubiger. Das übergehe ich jetzt.

Ist auch diese Sorge beseitigt, so kommt alsbald die Furcht vor der Unfruchtbarkeit, und überdieß auf der andern S. 246 Seite die Besorgniß wegen allzu vieler Kinder; und ob noch keines von diesen Dingen gewiß ist, so werden sie doch von den Sorgen nach beiden Seiten hin gleich vom Anfang an in Unruhe versetzt. Und wenn sie auch sogleich schwanger geworden, dann ist die Freude abermals mit Furcht verbunden (denn in der Ehe gibt es einmal nichts Angenehmes ohne Furcht), mit der Furcht nämlich, es möchte eine Fehlgeburt eintreten und das Empfangene zu Grunde gehen, die Schwangere aber in die äusserste Gefahr gerathen. Wenn aber schon viele Zeit dazwischen liegt, dann wagt die Frau nicht mehr den Mund aufzuthun, als wenn sie über die Geburt zu entscheiden vermöchte. Steht aber der Augenblick der Geburt bevor, dann zerreißen und zerschneiden den schon so lange Zeit hindurch ermüdeten Leib die Geburtswehen, die allein schon genügen, alles Vergnügen der Ehe zu verdunkeln. Nach diesen quälen sie aber auch noch andere Sorgen. Denn die unglückliche und bedauernswürdige Frau fürchtet, wird sie auch von diesen Qualen noch so gefoltert, nicht weniger als das Gesagte, es möchte statt eines vollkommenen und gesunden Kindes ein fehlerhaftes und verstümmeltes zum Vorschein kommen, statt eines männlichen ein weiblicher Sprößling. Diese Sorge nämlich beunruhigt die Frauen nicht minder als die Geburtswehen, da sie ihre Männer nicht nur in den Dingen, bei denen sie schuldig sind, sondern auch in denen, wo sie keine Schuld tragen, und in diesen nicht weniger als in jenen fürchten und, während sie in einem so großen Sturm die Sorge für das eigene Wohl außer Acht lassen, darüber sich grämen, es möchte dem Manne etwas Unangenehmes geschehen. Ist aber das Kind geboren, und hat es den ersten Laut von sich gegeben, so folgen wieder neue Sorgen, nämlich um die Erhaltung und Erziehung. Hat es gute Anlagen und neigt sich zur Tugend, so sind die Eltern wieder in Furcht, es möchte unglücklich werden, vor der Zeit sterben, in irgend ein Laster versinken; denn es werden nicht blos aus Schlechten Gute, sondern auch aus Guten Verworfene und Schlechte. Und wenn sich etwas Schlimmes ereignet, so ist das ein S. 247 unerträglicheres Uebel, als wenn es von Anfang an geschehen wäre. Wenn aber auch die guten Eigenschaften von Dauer sind, so ist doch stets die Furcht vor Veränderung da, welche die Gemüther der Eltern in Unruhe versetzt, und einen großen Theil des Vergnügens abschneidet.

„Aber es haben doch nicht alle Ehegatten Kinder.“ Damit führst du mir einen andern Grund der Unruhe an. Wenn nun die Ehegatten, sei es, daß Kinder da sind oder nicht, sei es, daß sie gut oder lasterhaft sind, von mannigfaltigen Bedürfnissen und Sorgen beherrscht werden: aus welchem Grunde werden wir nun das Leben in der Ehe ein sehr angenehmes nennen? Wiederum, wenn die Ehegatten ein einträchtiges Leben führen, so müssen sie fürchten, daß der Tod die Freude zerstöre; noch mehr, sie werden dieß Uebel nicht blos zu fürchten haben, sondern es wird auch einmal zur Wirklichkeit werden müssen: denn Niemand hat noch zu zeigen vermocht, daß beide an Einem Tage sterben werden. Da dieß nun nicht der Fall ist, so wird der überlebende Theil ein Leben ertragen müssen, das härter ist, als der Tod: mag er nun lange oder nur kurze Zeit mit dem verstorbenen zusammengelebt haben. Denn jener empfindet einen um so größern Schmerz, je länger er den Umgang genossen hat, weil der lange Umgang die Trennung unerträglich macht; dieser dagegen, welcher, noch ehe er die Liebe verkostet und sich daran gesättiget hatte, während das Verlangen darnach noch glühte, derselben beraubt worden, trauert Ehen darum heftiger: Beide haben daher, wenn auch aus verschiedenen Ursachen, dieselben Leiden zu tragen. Was soll ich aber reden von den zeitweise eintretenden Trennungen, langen Reisen, den damit verbundenen Beängstigungen, Krankheiten? — „Was hat das mit der Ehe zu schaffen? sagt man. Sicherlich sind viele Frauen schon aus diesem Grunde erkrankt. Denn sie haben sich bald aus Gram über erlittene Beleidigungen und aus Zorn, bald aus Kummer ein heftiges Fieber zugezogen. Und ob sie auch, wenn der Mann anwesend ist, nichts der Art leiden, sondern sich wohl befinden, so gerathen sie doch durch die Reisen in diese Uebel. S. 248 Doch lassen wir das Alles bei Seite, und beschuldigen wir die Ehe nicht; von folgender Anklage aber werden wir sie nicht freisprechen können. Und von welcher denn? Daß sie den Gesunden um nichts besser, als den Kranken sich befinden läßt, sondern ihn in die nämliche Unruhe stürzt, wie den Darniederliegenden.

58. Die Ehe, auch wenn sie allen Uebeln entrinnt, ist doch nichts Großes

Willst du, daß wir auch dieses Alles bei Seite lassen und das Unmögliche unterstellen und zugeben, daß die Ehe alle Güter zugleich in sich schließe, nämlich eine zahlreiche Nachkommenschaft, gute Kinder, Reichthum, eine bescheidene, schöne und verständige Frau, Eintracht und hohes Alter; es komme dazu sowohl ein berühmtes Geschlecht als auch eine große Macht: Ebenso beunruhige sie nicht das gemeinschaftliche Uebel der Natur, die Furcht vor dem Wechsel der Dinge, vielmehr sei jede Ursache des Kummers, der Furcht und der Sorgen verbannt, noch löse irgend eine Gewalt oder ein frühzeitiger Tod die Ehe, sondern mögen sie sogar an einem und demselben Tag sterben, oder mögen, was noch ein weit größeres Glück zu sein scheint, Kinder als Erben sie überleben, und beide Eltern in hohem Alter zusammen voraussenden, was für ein Ende werden sie schließlich haben? Welchen Vortheil werden sie ziehen aus diesem vielen Vergnügen, und wohin werden sie damit gelangen? Denn was wird ihnen vor jenem Richterstuhl in den wahren und ewigen Angelegenheiten der Umstand zu nutzen vermögen, daß sie viele Kinder hinterlassen, eine schöne Frau mit Wollust und allem Uebrigen, was ich schon erwähnte, besessen und das höchste Alter erreicht haben? Nichts. Diese Dinge sind daher ein Schatten und ein Traum, weil wir in der Ewigkeit, die uns dann aufnehmen wird, von ihnen keinen Nutzen, keinen Trost hoffen dürfen, indem jene, welche dieselben besessen, ebenso angesehen werden müssen, als hätten sie dieselben nicht besessen. Denn wir S. 249 werden nicht sagen, daß der, welcher in tausend Jahren Eine Nacht einen süßen Traum gehabt, etwas mehr habe als jener, der dieses Gesicht nicht genossen. Ja ich habe noch nicht Alles gesagt, was ich wollte. Denn nicht blos so weit stehen die gegenwärtigen Dinge von den jenseitigen ab, wie ein Traum von der Wirklichkeit, sondern noch weit mehr; auch ist nicht, was in tausend Jahren Eine Nacht ist, die Gegenwart im Vergleiche zur Zukunft, sondern auch hier besteht wieder ein viel größerer Unterschied. Mit der Jungfrauschaft aber verhält es sich nicht auf die nämliche Weise; sondern sie scheidet mit einem großen Gewinne von dannen. Doch wir wollen die Sache von Anfang an untersuchen.

59. Der jungfräuliche Stand ist leicht

Die Jungfrau ist nicht gezwungen, sich um einen Bräutigam umzusehen, noch fürchtet sie einen Betrug. Denn Gott ist kein Mensch, der Herr kein Mitknecht. Und das ist der Unterschied von den Brautleuten. Erwäge aber auch, über welche Gegenstände man ein Uebereinkommen trifft: denn nicht Sklaven, nicht Aecker, nicht so und so viele Talente Geldes, sondern der Himmel und die himmlischen Güter sind die Mitgift dieser Braut. Zudem fürchtet die Verheirathete den Tod, theils aus audern Gründen, theils weil er sie von dem Mitgatten trennt. Die Jungfrau dagegen sehnt theils den Tod herbei, theils fühlt sie sich vom Leben beschwert, indem sie den Bräutigam von Augesicht zu Angesicht sehen und jene Herrlichkeit genießen möchte.

60. Die Jungfrauschaft erheischt Nichts, was nicht in ihren Kräften läge

Ihr bringt weder die Armuth einen Nachtheil, wie in der Ehe, vielmehr macht dieselbe sie dem Bräutigam noch theurer, wenn sie solche gerne erträgt; noch die niedrige Herkunft, noch der Mangel an Körperschönheit, noch irgend etwas der Art. Doch warum erwähne ich diese Dinge? S. 250 Denn mag sie sogar nicht einmal frei sein, so thut das ihrer Verlobung keinen Eintrag, sondern es genügt, daß sie eine schöne Seele vorzeige, um die erste Stelle einzunehmen. Hier ist weder Eifersucht zu befürchten, noch Neid über eine andere Frau zu beklagen, weil sie mit einem berühmtern Manne verbunden ist. Denn ihm ist ja Keiner ähnlich noch gleich, ja es kommt ihm Keiner auch nur von der Ferne nahe. Aber in der Ehe mag eine Frau einen noch so reichen und mächtigen Gatten bekommen, so wird sie doch eine andere finden, die an einen viel größern verheirathet ist. Nun aber vermindert der Vorrang Größere nicht wenig das Vergnügen Geringerer über ihren Vorzug. Aber der große Luxus an Gold und Kleidern, bei der Tafel und andern derartigen Dingen ist doch geeignet, die Seele zu ködern und anzulocken. Wie viele Frauen haben aber dieselben? Denn die meisten Menschen leben in Armuth uud Trübsal und Anstrengungen. Falls aber Einige ihrer theilhaftig werden, so sind ihrer doch sehr wenige, und sie sind leicht zu zählen, und diese thun es gegen Gottes Willen. Denn es ist Niemanden erlaubt, an diesen Dingen sich zu ergötzen, wie wir oben nachgewiesen haben.

61. Der Besitz des Goldes gewährt mehr Furcht als Vergnügen

Nehmen wir an, um abermals darüber zu reden, diese Ergötzungen seien erlaubt, und weder der Prophet noch Paulus eifern gegen die schwelgerischen unter den Frauen. Wozu aber vieles Geld? Es bringt ihnen nicht nur keinen Gewinn, sondern Neid, Sorgen und eine ungewöhnliche Furcht. Denn sie werden nicht nur von Sorqen gequält, wenn sie es in die Schatulle gelegt haben, und die Nacht hereinbricht, sondern sie erleiden diese Angst auch, wenn sie es an sich tragen, und wenn es Tag ist; ja dann noch weit mehr. Denn sowohl in den Bädern als auch in den Tempeln sind Frauen anwesend, die dasselbe entwenden; und ausserhalb derselben fühlen die Goldträgerinnen nicht, wenn S. 251 sie von der Menge gedrängt und gestoßen werden, daß ihnen etwas vom Golde abhanden gekommen. Auf diese Weise haben viele Frauen nicht blos dieses, sondern noch weit kostbarere und mit werthvollen Edelsteinen gezierte Halsbänder, welche ihnen abgerissen wurden oder herabfielen, verloren.

62. Goldschmuck schadet der Schönheit und vermehrt die Häßlichkeit

Doch gesetzt, diese Furcht sei nicht vorhanden, und auch dieser Sorge sei man überhoben. Wozu nützt es? „Es sah sie Jemand, entgegnet man, und bewunderte sie.“ Aber er bewunderte nicht die damit Geschmückte, sondern den Schmuck, während er sie oft sogar tadelte, weil sie über ihren Stand geschmückt war. Denn ist sie schön, so richtet sie die Schönheit der Natur dadurch zu Grunde; denn jener viele Schmuck läßt sie nicht in ihrer Reinheit erscheinen, indem er einen großen Theil derselben verdeckt. Ist sie aber häßlich und ungestaltet, so macht sie sich damit noch häßlicher; denn wo immer die Mißgestaltung, wie groß sie auch sein mag, allein erscheint, tritt nur sie hervor; wird ihr aber der Glanz der Edelsteine oder die Schönheit irgend eines andern Stoffes beigefügt, so steigert sich die Häßlichkeit viel mehr. Denn theils läßt der Starke und wie in der Dnnkelheit leuchtende Glanz des Geschmeides die Schwärze des Körpers noch schwärzer erscheinen; theils zeigen die Blumen der Gewänder die Häßlichkeit des Gesichtes noch häßlicher, weil sie den Zuschauern nicht gestatten, die Gestalt des Gesichtes für sich, sondern nur im Vergleich mit jener gemachten und unbeschreiblichen Schönheit zu beurtheilen, woher es kommt, daß die Niederlage um so größer wird. Denn das auf den Kleidern vertheilte Gold und die bunte Farbe ihres Stoffes, sowie der ganze übrige Schmuck drängt ebenso, wie ein edler Wettkämpfer, kräftig und stark, der einen krätzigen, schmutzigen und hungernden Gegner auf die Seite gestossen, die Schönheit des Angesichtes derjenigen, die ihn trägt, in S. 252 den Hintergrund, lenkt die Augen der Schauer nur auf sich und bewirkt damit, daß jene noch mehr verlacht, er selbst aber übermäßig bewundert werde.

63. Worin der Schmuck und die Schönheit der Jungfrauschaft bestehe

Der Schmuck der Jungfrauschaft aber ist nicht von dieser Art. Denn er schadet nicht der damit Bekleideten, weil er kein Schmuck des Leibes, sondern nur der Seele ist. Wenn also diese häßlich ist, so ändert sie alsbald die Häßlichkeit, indem sie ihr einen unvergleichlichen Schmuck anlegt; ist sie aber schön und glänzend, so bewirkt sie eine noch größere Schönheit derselben. Denn weder Edelsteine und Gold, noch Kleiderpracht, noch kostbare Blumen verschiedenartiger Farben, noch etwas anderes Hinfälliges der Art zieret die Seelen, sondern an ihrer Statt Fasten, heilige Nachtwachen, Sanftmuth, Bescheidenheit, Armuth, Starkmuth, Demuth, Standhaftigkeit, überhaupt die Verachtung aller Dinge des gegenwärtigen Lebens. Denn sie hat ein so schönes und wohlanständiges Auge, daß sie statt Menschen unkörperliche Mächte und deren Gebieter zum Liebhaber hat; ein so reines und hellblickendes, daß sie statt der körperlichen die unkörperliche Schönheit zu sehen vermag: ein so sanftes und heiteres, daß sie nicht einmal gegen jene, die sie beleidigen und fortwährend betrüben, zornig wird und sich erhebt, sondern sie sogar liebvoll und freundlich anblickt. Sie besitzt eine so große Bescheidenheit, daß sich sogar die Frechen schämen und erröthen und in ihrer Wuth nachlassen, wenn sie dieselbe scharf ansehen. Und wie eine Magd, welche eine ehrbare Herrin bedient, auch so sein muß, mag sie wollen oder nicht, ebenso muß auch der Leib einer so philosophischen Seele alle seine Bewegungen nach dem Winke derselben einrichten. Denn sowohl das Auge als auch die Sprache, die Haltung und der Gang, kurz Alles trägt den Stempel der innern Vortrefflichkeit; und gleichwie eine kostbare Salbe, auch wenn sie S. 253 in einem Gefäße verschlossen ist, die Luft mit ihrem Wohlgeruch schwängert und nicht blos die Bewohner des Hauses und die Nachbarn, sondern auch alle draußen Befindlichen mit Lust erfüllt, ebenso zeigt auch der Wohlgeruch der jungfräulichen Seele, der die Sinne umfließt, die im Innern wohnende Tugend und lenkt, nachdem sie Allen die goldenen Zügel der Bescheidenheit angelegt hat, jedes einzelne Pferd mit der größten Harmonie, und weder läßt sie die Zunge etwas Unanständiges und Ungeordnetes sprechen, noch das Auge frech und hochmüthig umherschauen, noch das Ohr ein ungeziemendes Lied vernehmen. Ja ihre Sorge erstreckt sich sogar auf die Füße, damit ihr Gang nicht ungeordnet und weichlich, sondern einfach und ungekünstelt sei; und nachdem sie alle Kleiderpracht abgelegt hat, erinnert sie auch das Gesicht unaufhörlich daran, daß es sich nicht unmäßigem Lachen überlasse, ja sogar nicht einmal sanft lächle, sondern stets ein ernstes und strenges Auge sehen lasse, das stets zu Thränen, niemals aber zum Lachen bereit ist.

64. Das, was wir um Christi willen leiden, gewährt, selbst wenn es bitter ist, doch Freude

Wenn du aber hier von Thränen hörst, so vermuthe nichts Trauriges. Denn jene Thränen gewähren mehr Freude, als das Lachen dieser Welt. Wenn du das nicht glaubst, so höre Lukas, welcher erzählt, daß die mit Ruthen gestrichenen Apostel freudig aus der Versammlung weggegangen seien. Und doch ist das nicht die Natur der Schläge, wohl aber ist der christliche Glaube der Art, daß er sogar die Natur der Dinge beherrscht. Wenn nämlich die Schläge um Christi willen Vergnügen verursachen, was Wunder, wenn auch Thränen um seinetwillen dasselbe be- S. 254 wirken? Darum nennt auch Christus den Weg, den er als eng und mühvoll bezeichnete, wieder sowohl ein süßes Joch als eine leichte Bürde. Der Natur nämlich ist er jenes, der Liebe hingegen derjenigen, welche ihn wandeln, und der ausgezeichneten Hoffnung wird er sehr leicht. Eben deßhalb aber sieht man auch jene, welche den schmalen und mühsamen Pfad gewählt haben, freudiger, als die, welche den breiten und weiten Weg wandeln, nicht als ob sie keine Trübsale hätten, sondern weil sie über dieselben erhaben sind und nichts der Art leiden, was die Andern zu leiden pflegen. Denn es hat auch dieses Leben seine Trübsale; wenn man sie aber mit jenen der Ehe vergleicht, so verdienen sie nicht einmal den Namen Trübsale.

65. Die Mühseligkeiten des jungfräulichen Standes sind geringer als die Schmerzen der Geburt, welche die Ehe begleiten

Denn was, ich bitte, leidet die Jungfrau ihr ganzes Leben lang Aehnliches, wie die Verheiratete fast Jahr für Jahr, indem sie durch die Schmerzen der Geburt und die Wehklagen gequält wird? Denn die Heftigkeit dieser Qual ist so groß, daß die heilige Schrift, wenn sie Verbannung, Hunger, Pest und unerträgliche Uebel bezeichnen will, alle dieselben Geburtsschmerzen nennt. Auch Gott hat als Strafe und Fluch dem Weibe dieß zugetheilt; ich meine nicht das Gebären, sondern das Gebären auf diese Art, nämlich mit Trübsal und Schmerzen. Denn „du wirst“, heißt es, „mit Schmerzen Kinder gebären.“ Die Jungfrau aber ist über diese Strafe und diesen Schmerz erhaben; denn derjenige, welcher den Fluch des Gesetzes getilgt, hat zugleich auch jenen getilgt. S. 255

66. Es ist angenehmer, zu Fuß einher zu gehen, als auf Mauleseln zu reiten

„Aber es ist doch angenehm, auf dem Forum sich auf Mauleseln herumzutreiben.“ Das ist nur eitler Prunk und entbehrt alles Vergnügens. Denn gleichwie die Finsterniß nicht besser ist, als das Licht, eingeschlossen sein nicht besser, als frei sein, vieler Dinge entbehren nicht besser, als keines einzigen, so wird auch jene sich nicht besser befinden, welche der eigenen Füße sich nicht bedient. Ich übergehe die Beschwerden, welche sie in Folge dessen aushalten muß. Denn es ist ihr nicht gestattet, nach Lust aus dem Hause zu gehen, sondern sie wird oft, selbst wenn irgend ein großer Vortheil einen Ausgang erfordert, gezwungen zu Hause zu bleiben, wie Bettler, denen die Füße abgenommen sind, und die kein Fuhrwerk besitzen. Wenn daher der Mann die Maulesel zu einem andern Zweck bestimmt hat, so ist Kleinmuth, Streit und hartnäckiges Stillschweigen da; wenn aber sie, die Zukunft nicht achtend, dasselbe gethan, so wendet sie, weil sie den Mann unberücksichtigt gelassen, seinen Zorn auf sich und verzehrt sich beständig vor Unmuth. Und um wie viel wäre es besser, daß sie sich der Füße bediente (denn dazu hat sie Gott uns gegeben) und nichts von diesen Leiden zu dulden hätte, als aus Liebe zur Weichlichkeit gezwungen zu sein, so viel Elend uud Kummer zu leiden? Doch dieses sind nicht die einzigen Gründe, die sie zu Hause hinhalten; sondern sei es, daß beide Maulesel, sei es, daß nur einer an den Füßen leide, so ereignet sich ein Gleiches. Und wenn sie auf die Weide geschickt werden (was jährlich auf viele Tage geschieht), so muß sie abermals einer Gefesselten gleich zu Hause bleiben und kann, selbst wenn sie ein dringend Geschäft ruft, nicht aus dem Hause gehen. Wenn Jemand erwidern sollte, daß dieselbe auch von der Menge der Begegnenden befreit und nicht genöthiget sei, sich den Augen der Bekannten auszusetzen und zu erröthen, so scheint mir ein solcher gar nicht zu wissen, was der weiblichen S. 256 Natur die Scham benimmt und verursacht; denn das bewirkt nicht das Gesehenwerden oder das Verborgenbleiben, sondern jenes bewirkt die die Seele beherrschende Keckheit, dieses dagegen die Bescheidenheit und Sittsamkeit. Darum zogen viele Frauen, welche dieser Haft sich entledigten und mitten durch die Menge auf dem Forum einhergingen, nicht nur keine Ankläger sich zu, sondern hatten sogar viele Bewunderer ihrer Bescheidenheit, weil sie sowohl durch ihre ganze Haltung, als durch ihren Gang und durch die Prunklosigkeit ihrer Kleidung gleichsam einen glänzenden Strahl ihrer innern Rechtschaffenheit hervortreten ließen. Nicht wenige aber von den im Hause Bleibenden haben sich einen bösen Ruf zugezogen; denn die Verschlossene kann mehr als jene, welche ausgehen, sich denen, welche es wollen, gar frech und unverschämt zeigen.

67. Es ist lästig, viele Mägde zu haben

Vielleicht aber ist eine Schaar von Mägden angenehm. Nichts ist schlimmer, als dieses Vergnügen: so viele Sorgen bringt es mit sich. Denn man ist gezwungen, ob einer jeden, mag sie krank sein oder sterben, sich Kummer und Sorge zu machen. Doch dieß ist vielleicht noch erträglich, nicht minder, was schlimmer ist als das, täglich in Anspruch genommen zu werden, die Trägheit zu schelten, die Schlechtigkeit auszurotten, Streitigkeiten zu schlichten und jeden andern Fehler derselben zu verbessern; das Schlimmste ist aber von Allem — und doch kommt es bei der Menge, derartigen Gesindes meistentheils vor — wenn unter dieser Zahl sich eine schöne befindet; denn das trifft bei der Menge wohl nothwendig ein, indem die Reichen nicht nur viele, sondern auch schöne zu bekommen suchen. Wenn nun unter denselben sich eine durch Schönheit hervorthun, wenn sie die Liebe des Herrn gewinnen oder auch nichts weiter bewirken sollte, als dessen Bewunderung auf sich zu ziehen, so wird die Gemahlin ebenfalls trauern, weil sie von derselben verdunkelt wird, wenn auch nicht durch Liebe, so doch durch S. 257 die Körperschönheit und deren Bewunderung. Wenn also das, was bei ihnen für herrlich und wünschenswerth gilt, mit so vielen Unannehmlichkeiten verbunden ist, was soll man erst von den traurigen Dingen sagen?

68. Von der Ruhe, welche dem jungfräulichen Stand inne wohnt

Aber nichts von dem hat die Jungfrau zu leiden; ihr Häuschen ist vielmehr frei von Unruhe, und jedes Geräusch ist daraus verbannt. Wie in einem ruhigen Hafen beherrscht darin das Stillschweigen Alles und, was noch mehr ist als das Stillschweigen, die Heiterkeit der Seele, weil sie sich nicht mit menschlichen Dingen beschäftigt, sondern beständig mit Gott redet und fest auf ihn hinschaut. Und wer vermöchte wohl dieses Vergnügen zu messen? Welche Rede wäre im Stande, die Freude einer in diesem Zustande befindlichen Seele zu schildern? Gewiß keine, sondern blos jene, welche in Gott ihre Seligkeit haben, kennen die Größe derselben und erkennen es, um wie viel sie jeden Vergleich hinter sich läßt. — „Aber die große und von allen Seiten sichtbare Menge Geldes gewährt doch den Augen ein großes Vergnügen.“ Um wiel besser ist es, gen Himmel zu schauen und von dorther eine weit größere Wonne zu schöpfen? Denn um wie viel Gold herrlicher und kostbarer ist als Zinn und Blei, um so viel herrlicher und kostbarer ist der Himmel als Gold und Silber und jeder andere Stoff; und dieser Anblick geschieht ohne Sorge, während der andere mit vielem Kummer verbunden ist, was allenthalben am meisten den Begierden zusetzt. Aber du willst nicht nach dem Himmel schauen? So magst du denn das auf dem Forum liegende Geld betrachten. „Zu eurer Beschämung sage ich es“, um mit dem heiligen Panlus zu reden, weil ihr so leidenschaftlich in das Geld verliebt seid. Hier jedoch weiß S. 258 ich nicht, was ich sagen soll. Denn es hat mich ein starker Zweifel befallen und ich kann nicht begreifen, warum so zu sagen nicht das ganze Menschengeschlecht, da es sich doch so leicht und so angenehm ergötzen kann, dieses Vergnügen genießt, dagegen in Kummer, Zerstreuung und Sorgen zumeist seine Freude findet. Denn warum ergötzt die Leute nicht ebenso das auf dem Forum liegende Geld, wie das im Hause? Und doch ist jenes glänzender und läßt die Seele frei von jeder Sorge. „Weil“, sagt man, „jenes nicht mein, dieses aber mein ist.“ Die Habsucht ist es also, welche das Vergnügen bewirkt, nicht die Natur des Geldes; denn wenn das der Fall wäre, so müßte man sich auch an jenem ergötzen. Wenn du aber sagen solltest: „des Nutzens wegen“, so wäre das Glas weit besser; und das bestätigen die Reichen selbst, weil sie meistens aus diesem Stoffe die Trinkgeschirre verfertigen lassen. Wenn sie aber auch aus Eitelkeit diese aus Silber zu machen veranlaßt werden, so überziehen sie, nachdem sie von innen Glas angebracht, die Außenseite mit Silber und zeigen damit, daß jenes behufs des Trinkens angenehmer und geeigneter sei, dieses aber nur zur Eitelkeit und leerer Prahlerei diene.

Was bedeutet denn aber zumal: „Mein und nicht mein?“ Denn wenn ich diese Worte genauer erwäge, so scheinen sie mir nur einfach Worte zu sein. Denn Viele vermochten dieses flüchtige Eigenthum selbst bei Lebzeiten nicht festzuhalten; jene aber, denen es bis zum Ende geblieben, sind, sie mochten wollen oder nicht, zur Zeit des Todes aus seinem Besitze vertrieben worden. — Aber nicht blos in Bezug auf Silber und Gold, sondern auch auf Bäder, Gärten und Gebäude darf man „mein und nicht mein“ nur als bloße Worte ansehen. Denn der Gebrauch ist Allen gemeinschaftlich, indem jene, welche ihre Eigenthümer zu sein scheinen, nur mehr Sorge um sie tragen, als die, welche es nicht sind. Die letzteren genießen sie nämlich nur; jene dagegen haben denselben Nutzen von ihnen mit vielen Sorgen, welchen die Andern ohne Sorge genießen. S. 259

69. Prächtige Mahlzeiten haben viele Unannehmlichkeiten im Gefolge

Wenn Jemand die höchste Schwelgerei bewundern sollte, z. B. die Menge des zerlegten Fleisches, den unnützen Aufwand an Wein, die sorgfältig bereiteten Leckerbissen, die Künste der Tafeldecker und Speisebereiter, die Menge der Schmarotzer und Gäste, so wisse er, daß die Reichen in diesen Dingen um nichts besser daran sind, als die Köche. Denn wie sie ihre Herren, so fürchten diese ihre Gäste, sie möchten etwas von dem, was mit Mühe und Aufwand für dieselben zubereitet worden, tadeln. Und in diesem Punkte gleichen sie den Köchen; in einem andern übertreffen sie dieselben noch. Denn sie fürchten nicht blos Ankläger, sondern auch Neider; denn Viele sind durch solche Gastmähler oft der Gegenstand des Neides geworden, und derselbe hat nicht eher geruht, als bis er sie in die äußersten Gefahren gestürzt hatte.

„Aber große Schmausereien sind doch oft angenehm.“ Mit nichten, da Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Hemmung des Athems, Schwindel, Verwirrung, Traurigkeit und andere noch schlimmere Uebel aus diesem Luxus entstehen. Wenn aber das Uebelbefinden und der Nachtheil auch nur bei den Schmerzen Eines Tages stehen bliebe! Nun aber nehmen meistens schwer zu heilende Krankheiten von diesen Gelagen ihren Anfang; denn Gicht, Auszehrung, fallende Sucht Lähmung und viele andere noch schwerere Leiden S. 260 ergreifen den Körper und verfolgen ihn bis zum letzten Athemzuge. Wer möchte nun zu behaupten wagen, daß das Vergnügen für diese Uebel einen Ersatz biete? Wer sollte wohl anstehen, noch so große Entbehrungen zu übernehmen, um denselben zu entrinnen?

70. Die Nüchternheit ist sowohl nützlicher als auch angenehmer, denn die Schwelgerei

Von dieser Art ist aber nicht die Nüchternheit: sie ist vielmehr ferne von all diesen Leiden und bewirkt Gesundheit und Wohlbefinden. Wenn aber Jemand auch Vergnügen sucht, so wird er mehr in ihr finden als in der Schwelgerei; zuerst deßhalb, weil der Mensch gesund bleibt und von keinem jener Uebel belästiget wird, deren jedes einzelne für sich schon hinreicht, das Vergnügen zu vernichten und gleichsam von Grund aus zu zerstören; zweitens aber auch wegen der Speisen selbst. Wie so? Weil der Appetit das Vergnügen bewirkt; den Appetit aber erzeugt nicht der Ueberfluß und die Sättigung, sondern die Dürftigkeit und die Armuth. Diese findet sich aber nicht bei jenen Gastmählern der Reichen, sondern immerfort bei denen der Armen, wo sie mehr als jeder Tafelbereiter und Koch den vorgesetzten Speisen vielen Honig beimischt. Denn wenn die Reichen, auch ohne hungerig zu sein, Speise zu sich nehmen und trinken, ohne durstig zu sein, und sich zur Ruhe begeben, bevor sie eine heftige Schläfrigkeit befällt; so genießen diese sie erst, nachdem sie vorher ein Bedürfniß darnach fühlen; und gerade das ist es, was das Vergnügen vermehrt. Denn warum, sprich, bestätigt auch Salomo den süßen Schlaf des Arbeiters mit folgenden Worten: „Süß ist der Schlaf für den Arbeiter, ob er viel S. 261 oder wenig gegessen hat“? Vielleicht wegen des weichen Lagers? Aber die Meisten schlafen auf der Erde oder auf einem Strohsack. Oder wegen der Freiheit? Aber sie haben keinen freien Augenblick. Oder wegen der Muße? Aber sie werden beständig durch Arbeiten und Mühseligkeiten in Anspruch genommen. Was ist es also, was den Schlaf so angenehm macht, wenn nicht der Umstand, daß sie ihn erst genießen, nachdem sich das Bedürfniß darnach eingestellt hat? Die Reichen dagegen sind, wenn sie die Nacht nicht in betrunkenem Zustande antrifft, gezwungen, die Nächte zu durchwachen und, ob auch auf weichlichen Betten liegend, sich herum zu wälzen und Langeweile zu haben.

71. Durch die Schwelgerei wird auch die Seele geschädiget

Man kann auch noch von einer andern Seite die Eckelhaftigkeit, die Nachtheile und die Häßlichkeit der Schwelgerei nachweisen, indem man die Krankheiten durchgeht, in welche sie die Seele stürzt, und die viel zahlreicher und ärger sind, als die des Leibes. Denn sie macht die Menschen weichlich, weibisch, keck, prahlerisch, ausgelassen, übermüthig, unkeusch, zornig, grausam, unfreigebig, geizig, sklavisch gesinnt und zu allem Nützlichen und Nothwendigen untauglich. Das Gegentheil von all dem bewirkt die Nüchternheit. Aber jetzt drängt mich die Rede zu etwas Anderm. Nachdem wir daher nur noch Eines beigefügt haben, laßt uns wieder die apostolischen Worte in’s Auge fassen.

Wenn nun das, was so wünschenswerth zu sein scheint, mit so vielen Uebeln angefüllt ist und sowohl der Seele als dem Leibe ein so großes Gestöber von Krankheiten zuzieht, wohin sollen wir folgende Uebel setzen, z. B. die S. 262 Furcht vor den Obrigkeiten, die Angriffe der Volksmassen, die Nachstellungen der Angeber und Neider, welche zumeist die Reichen umgarnen? Fürwahr noch heftiger müssen die Frauen von diesen Leiden geängstiget werden, weil sie diese Veränderungen weniger muthvoll ertragen.

72. Die Schwelgerei führt nebst andern Uebeln einen Wechsel der Dinge herbei

Doch warum nenne ich die Frauen, da selbst die Männer diesen Dingen jämmerlich unterliegen? Denn wer nüchtern lebt, fürchtet keinen Wechsel; wer dagegen an jenem schwelgerischen und reichlichen Leben ein Behagen findet, der wird, wenn er durch einen Zufall oder eine Nothwendigkeit in Armuth versetzt werden sollte, eher sterben als diesen Wechsel ertragen, weil er unvorbereitet und ungeübt ist. Darum sagt der heilige Paulus: „Solche werden Drangsale des Fleisches haben; ich aber schone eurer“, und fügt dann hinzu: „Die Zeit ist kurz.“

73. Diese Zeit ist keine Zeit zur Ehe

Und was hat das mit der Ehe zu schaffen? möchte vielleicht Jemand fragen. Wahrlich sehr viel; denn wenn sie mit diesem Leben aufhört, und wenn man in dem künftigen weder heirathet noch geheirathet wird, und diese Zeit zu Ende geht, und die Auferstehung gleichsam vor der Thüre steht, dann ist keine Zeit der Ehe und des Geldes, sondern der Armuth und jeder andern Lebensweisheit, welche uns dort nützen wird. Denn so wie eine Jungfrau, so lange sie zu Hause bei der Mutter bleibt, sich große Sorge um alle kindischen Dinge macht, eine Kiste in ihrer Kammer aufstellt und für das, was darin verborgen ist, S. 263 sowohl selbst den Schlüssel hat als alle Macht darüber besitzt und eine gleiche Sorge für die Bewachung jener kleinen und werthlosen Sachen übernimmt, wie jene, welche ein großes Hauswesen verwalten; wenn sie aber sich verloben soll, und die Zeit der Heirath sie nöthigt, das väterliche Haus zu verlassen und sie dann, dieser Kleinigkeiten und Spielereien entledigt, die Verwaltung des Hauses, das Vermögen und eine zahlreiche Dienerschaft, die Pflege des Mannes und andere noch größere Dinge besorgen muß: ebenso müssen auch wir, wenn wir erwachsen und in das Mannesalter getreten sind, alles Irdische und alle kindischen Spielereien bei Seite setzen und dafür an den Himmel und die ganze Herrlichkeit und Glorie des dortigen Aufenthalts denken; denn auch wir sind einem Bräutigam verlobt, der eine solche Liebe von uns fordert; daß wir nicht blos den irdischen, kleinlichen und werthlosen Dingen, sondern nöthigenfalls dem Leben um seinetwillen entsagen. Da wir nun dorthin gehen müssen, so laßt uus diese nichtige Sorge verbannen. Denn da wir aus einem armen Hause in ein Königreich versetzt werden sollen, so dürfen wir uns nicht um thönerne Geschirre, Holz, Hausgeräthe und andere armselige im Hause erforderliche Dinge bekümmern. Sorgen wir daher nicht mehr für Irdisches; denn die Zeit ruft uns schon zum Himmel, wie auch der heilige Paulus an die Römer schreibt: „Denn jetzt ist unser Heil näher, als da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt; der Tag aber hat sich genaht“, und wiederum: „Die Zeit ist kurz“, so daß jene, welche Weiber haben, ebenso sein sollen, als hätten sie keine. Was soll aber die Ehe denen, welche sich ihrer nicht bedienen, sondern so sein sollen, als hätten sie dieselbe nicht? Wozu Vermögen? Wozu Landgüter? Wozu Lebensmittel, deren Gebrauch überdieß hinfällig und unzeitig ist? Denn wenn bei uns diejenigen, welche vor Gericht erscheinen, sich wegen ihrer S. 264 Vergehen vertheidigen sollen, sobald der entscheidende Tag nahe ist, nicht blos die Sorge für die Frau, sondern auch für Speise und Trank sowie jede andere aufgeben und nur an ihre Vertheidigung denken: so müssen auch wir, die wir nicht vor einem irdischen Forum, sondern vor dem himmlischen Richterstuhl erscheinen und über unsere Worte Handlungen und Gedanken Rechenschaft ablegen müssen, noch weit mehr von Allem sowohl von der Freude als auch von der Trauer über die gegenwärtigen Dinge uns enthalten und nur um jenen schrecklichen Tag uns bekümmern. Denn „wenn Jemand“, heißt es, „zu mir kommt und hasset nicht seinen Vater und Mutter und Weib und Kinder und Brüder und Schwestern, ja auch sogar seine eigene Seele, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer sein Kreuz nicht trägt und mir nachfolgt, der kann mein Jünger nicht sein.“ Du aber pflegest der Ruhe und gibst dich der Begierlichkeit nach dem Weibe, dem Lachen, der Weichlichkeit, der Schwelgerei hin? „Der Herr ist nahe, verwickelt euch nicht in Sorgen.“ Du machst dir Sorge und Kummer um Schätze? „Das Himmelreich ist nahe.“ Du hast Gebäude, Luxus und sonstiges Vergnügen im Auge? „Es vergeht die Gestalt dieser Welt.“ Was quälest du dich mit den vergänglichen und hinfälligen Dingen, während du dich um die bleibenden und beständigen nicht kümmerst? Es werden keine Ehe, keine Geburtsschmerzen, keine Wollust, kein Beischlaf, keine Anhäufung von Schätzen, keine Sorge für Landgüter, keine Speise, keine Kleidung, kein Ackerbau und keine Schifffahrt, keine Künste, keine Bauten, keine Städte, keine Wohnungen, es wird vielmehr ein anderer Zustand und ein anderes Leben folgen: alles dieses wird bald nachher zu Grunde gehen; denn das bedeuten die Worte: „Die Gestalt dieser Welt vergeht.“ Warum geben wir uns also, als wenn wir durch die ganze Ewigkeit hier bleiben sollten, alle Mühe um S. 265 solche Dinge, von denen wir oft schon, ehe der Abend eintritt, scheiden müssen? Warum wählen wir ein mühevolles Leben, während uns Christus zu einem ruhigen ruft? Denn es heißt: „Ich wünsche, daß ihr ohne Sorge seid. Wer ohne Weib ist, sorgt nur für das, was des Herrn ist.“

74. Warum der Apostel besorgt zu sein verlangt, da wir doch ohne Sorgen sein sollen

„Wie willst du nun, daß wir ohne Sorgen seien, während du uns wieder in eine andere Sorge stürzest?“ Weil das nicht sorgen heißt, gleichwie auch sich um Christi willen betrüben sich nicht betrüben heißt: denn es verändert sich hier nicht die Natur der Dinge, sondern der Wille derjenigen, die dieses mit Freude ertragen und damit die Natur der Dinge besiegen. Denn wer für das sorgt, was er nicht lange Zeit genießt, von dem dürfte man mit Recht sagen, daß er sorge; wer aber aus seinen Sorgen eine grössere Frucht ernten will, der kann mit allem Rechte unter diejenigen gezählt werden, die ohne Sorgen sind. Ueberdieß ist zwischen beiden Sorgen ein so großer Unterschied, daß diese, mit jener verglichen, nicht einmal für eine Sorge gehalten werden kann, da sie viel geringer und leichter ist, als jene. Das alles haben wir eben auseinander gesetzt.

„Wer kein Weib hat, sorgt für das, was des Herrn ist; wer aber ein Weib hat, sorgt für das, was der Welt ist.“ Diese aber vergeht, jener dagegen bleibt. Sollte dieser Umstand nicht allein schon hinreichen, um die Würde des jungfräulichen Standes nachzuweisen? Denn um wie viel besser Gott als die Welt ist, um so viel vorzüglicher ist diese als jene Sorge.

„Warum gestattet er denn die Ehe, wenn sie uns theils den Sorgen überliefert, theils von den geistlichen Dingen S. 266 abzieht?“ Gerade deßwegen, sagte ich, heißt es: Damit die, welche Weiber haben, seien, als hätten sie keine: damit die, welche schon gebunden sind oder später gebunden werden sollen, auf irgend eine Weise das Band lockern mögen. Denn weil es nicht erlaubt ist, das einmal geschlungene zu zerreißen, so mache es erträglicher. Denn es ist gestattet, wenn wir wollen, alles Ueberflüssige abzuschneiden und durch unsere Trägheit denjenigen Sorgen, welche die Sache und ihre Natur erzeugt, nicht noch größere hinzuzufügen.

75. Was es heißt: Wer eine Frau hat, soll sein, als hätte er keine

Wenn nun Jemand deutlicher zu verstehen wünschen sollte, was es heiße: „Wer ein Weib hat, soll sein, als hätte er keines,“ der möge bedenken, wie jene leben, welche keines besitzen und sich gekreuziget haben. Wie leben nun diese? Sie haben nicht nöthig, eine Schaar von Mägden, goldenen Halsschmuck, prächtige und große Gebäude, so und so viele Äcker Landes zu kaufen, sondern sie haben nur, nachdem sie sich von all diesem entledigt, für Ein Gewand und für ihre Nahrung zu sorgen. Aber auch derjenige, welcher ein Weib hat, vermag sich zu dieser Lebensweisheit zu erheben. Denn was der Apostel oben sagt: „Entziehet euch einander nicht“, gilt blos von dem Beischlafe. Denn hierin befiehlt er ihnen, daß sie einander willfährig seien, und gestattet, daß Einer des Andern Herr sei. In der anderweitigen Uebung der Lebensweisheit, in der Kleidung, Nahrung und in allem Andern ist Eines vom Andern nicht abhängig, sondern es ist den Männern erlaubt, auch wenn das Weib nicht will, alle Schwelgerei und die Menge der überflüssigen Sorgen fahren zu lassen, und das Weib hinwieder braucht seinerseits nicht, wenn es nicht will, sich zu putzen, der Eitelkeit zu pflegen und sich um überflüssige Dinge zu kümmern. Und S. 267 mit Recht; denn jenes Verlangen ist natürlich und deßhalb sehr verzeihlich, und es kann Keines dem Andern sich gegen dessen Willen entziehen; das nach Schwelgerei, überflüssiger Bedienung und unnützer Sorge aber geht nicht von der Natur aus, sondern hat seinen Grund in der Trägheit und in gewaltigem Hochmuth. Darum nöthigt es die Verheiratheten in diesen Dingen nicht, wie in jenen, sich einander zu unterwerfen. Der Ausspruch: „Wer ein Weib hat, soll sein, als hätte er keines“ will also sagen, daß wir die durch den Schmuck und den Luxus der Frauen entstehenden überflüssigen Sorgen nicht zulassen, sondern gerade nur so viele Sorgen mehr übernehmen, als Eine Seele verlangt, die uns zugetheilt wird und sich entschlossen hat, ein weises sparsames Leben zu führen. Denn daß Paulus dieß wolle, zeigt er durch den Zusatz: „Und die, welche weinen, sollen sein, als weinten sie nicht“, und die, welche sich über Landgüter freuen, als freuten sie sich nicht. Denn es werden weder diejenigen, welche sich nicht freuen, um ihre Besitzthümer Kummer haben, noch jene, welche nicht weinen, die Armuth fürchten und die Sparsamkeit verabscheuen. Das heißt es, ein Weib haben und doch keines haben; das heißt es, die Welt gebrauchen und sie nicht mißbrauchen. „Wer ein Weib hat, sorgt für das, was der Welt ist“.

Da also sowohl hier als dort gesorgt wird, und zwar umsonst und vergeblich, ja sogar mit Betrübniß und Drangsal (denn „solche“, heißt es, „werden Drangsale des Fleisches haben“ ), dort aber für unanssprechliche Güter; warum wählen wir also nicht die Sorge, welche nicht blos so viele und so große Belohnungen zu erwarten hat, sondern auch ihrer Natur nach leichter ist als jene? Denn um was macht sich die Unverehelichte Sorge? Etwa um Schätze, um Diener und Hausverwalter, um Aecker oder dergleichen? Hat sie die Aufsicht über Köche, Weber oder über das andere Gesinde zu führen? Keineswegs! Sie S. 268 denkt an keines dieser Dinge, sondern kümmert sich nur um Eines, daß sie ihre Seele aufbaue und diesen heiligen Tempel nicht mit Flechtwerk oder Gold oder Perlen, nicht mit Schminke und Malereien, nicht mit andern Lasten und Kümmernissen, sondern vielmehr mit Heiligkeit des Leibes und der Seele ausschmücke. „Die Verheirathete aber,“ sagt er, „sorgt, wie sie dem Manne gefalle.“ Sehr weise geht er nicht auf die Untersuchung der Dinge selbst ein, noch erwähnt er, was die Frauen sowohl am Körper als an der Seele leiden, damit sie dem Manne gefallen, indem sie jenen foltern, schminken und mit andern Uebeln strafen, diese hingegen mit Kargheit, Schmeichelei, Heuchelei, Kleinmuth, mit thörichten und unnützen Sorgen anfüllen. Indem er aber dieß Alles mit Einem Worte andeutet, überläßt er die Erwägung dem Gewissen der Zuhörer; und nachdem er auf diese Weise die Vortrefflichkeit des jungfräulichen Standes gezeigt und sie bis zum Himmel selbst erhoben, lenkt er die Sprache wieder auf die Erlaubtheit der Ehe, überall besorgt, es möchte ihn Jemand als Gebot betrachten. Nicht zufrieden daher mit den obigen Ermahnungen, wo er gesagt: „Ich habe kein Gebot vom Herrn“, und: „Wenn die Jungfrau heirathet, so sündigt sie nicht,“ spricht er hier wieder: „Nicht daß ich euch einen Strick anlege.“

76. Nicht die Jungfrauschaft, sondern unsere Trägheit ist ein Strick

Hiebei dürfte jedoch Jemand mit Recht einwenden, wie der, welcher oben die Sache eine Befreiung von Banden nennt und sie zu unserm Nutzen anzurathen vorgibt, damit wir ohne Sorgen sein möchten, und weil er uns schont und durch all dieses sie für leicht und erträglich erklärt, hier sagen könne: „Nicht daß ich euch einen Strick anlege.“ Was heißt dieses nun? Er hat nicht die Jungfrauschaft einen S. 269 Strick genannt; das sei ferne! sondern vielmehr das Ergreifen derselben in Folge von Zwang und Gewalt. Denn die Sache verhält sich also: Alles, was Jemand gezwungen und wider seinen Willen übernimmt, das wird, wie leicht es auch sein mag, gar beschwerlich und schnürt die Seele mehr zusammen als ein Strick. Deßhalb sagt er: „Nicht daß ich euch einen Strick anlege,“ d. h. ich habe alle Vorzüge der Jungfrauschaft erwähnt und gezeigt; dennoch lasse ich euch nach all dem die Wahl und zwinge euch nicht gegen euern Willen zur Tugend. Denn ich habe euch diesen Rath nicht gegeben, um euch zu betrüben, sondern damit die Wohlanständigkeit nicht durch weltliche Dinge vernichtet werde. Erkenne aber auch hier die Klugheit des Paulus, wie er den Entschuldigungen wieder die Ermahnung beifügt und, indem er eine Erlaubniß gibt, einen Rath ertheilt. Denn der, welcher sagt: „Ich zwinge nicht, sondern ich ermahne“ und dann hinzusetzt: „Wegen der Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit“, zeigt die Bewunderungswürdigkeit und die Frucht der Jungfrauschaft, welche aus ihr für das ewige Leben hervorgeht. Denn eine Frau, welche in irdische Sorgen verwickelt ist und hierhin und dorthin gezogen wird, kann nicht geschickt sein (Gott zu dienen), weil ihr ganzes Bestreben und ihre ganze Muße auf viele Dinge vertheilt ist, auf ihren Mann, auf die Sorge für das Haus, und auf alles Andere, was die Ehe nach sich zieht.

77. Diejenige, welche um irdische Dinge beschäftiget ist, ist keine Jungfrau

„Wie aber,“ sagt man, „wenn auch die Jungfrau um viele Dinge sich kümmert und irdische Sorgen hat?“ Das sei ferne! Damit ziehst du sie aus dem Chore der Jungfrauen. Denn der Umstand, daß eine nicht verheirathet sei, reicht noch nicht, sie zu einer Jungfrau zu machen; es ist S. 270 vielmehr auch die Keuschheit der Seele nothwendig. Unter der Keuschheit verstehe ich aber, nicht blos von schmutziger und schändlicher Wollust, von Schmuck und Neugierde frei, sondern auch von den Sorgen des Lebens entbunden und frei sein. Wenn das nicht der Fall ist, wozu die Keuschheit des Leibes? Denn wie nichts schimpflicher ist als ein Soldat, der, nachdem er die Waffen weggeworfen, sich in den Weinschenken herumtreibt, so ist auch nichts unehrbarer als Jungfrauen, die in irdische Sorgen verwickelt sind. Denn jene fünf hatten auch ihre Lampen und waren Jungfrauen, aber es nützte ihnen nichts, sondern sie blieben, nachdem die Thüren verschlossen worden, draußen und gingen zu Grunde. Denn die Jungfräulichkeit ist deßhalb etwas Herrliches, weil sie alle Veranlassung zu überflüssiger Sorge abschneidet und ihre ganze Zeit auf die göttlichen Dinge verwendet. Wenn sie das nicht thut, ist sie weit geringer als die Ehe, weil sie Dornen in der Seele herumträgt und den reinen und himmlischen Samen erstickt.

78. Warum Paulus den nicht scharf tadelt, der da meint, daß seine Jungfrau ihm zur Unehre gereiche

Er sagt: „Wenn aber Jemand meint, daß es ihm zur Unehre wäre, wenn seine Jungfrau über die Jahre käme, und es so geschehen muß, so thue er, was er will; er sündigt nicht, wem, sie Heirathet.“ Was sagst du? „Er thue, was er will.“ Und du berichtigest nicht die falsche Meinung, sondern gestattest zu heirathen? Warum sagtest du denn nicht: Wenn Jemand von seiner Jungfrau Schande zu haben meint, der ist bedauernswerth und unglücklich, weil er eine so bewunderungswürdige Sache für schimpflich hält? Warum hast du nicht gerathen, daß er diese Meinung aufgebe und seine Tochter von der Ehe abhalte? Weil — so S. 271 würde er antworten — jene Seelen noch sehr schwach und gleichsam am Boden kriechend waren, so geartete Seelen aber sogleich zur Rede über die Jungfrauschaft zu führen nicht möglich erschien. Denn wer so leidenschaftlich an den Gütern der Welt hängt und das gegenwärtige Leben bewundert, daß er auch nach einer solchen Ermahnung das für schimpflich hält, was des Himmels würdig und mit dem englischen Leben verwandt ist: wie würde der einen Rath ertragen haben, der ihn hiezu antrieb? Und was Wunder, wenn Paulus dieß bei einer erlaubten Sache that, da er das Nämliche bei einer verbotenen und ungesetzlichen thut? Z. B. eine Auswahl der Speisen vorzunehmen, die einen zu billigen, die andern zu verwerfen, war ein Zeichen jüdischer Schwäche. Doch auch bei den Römern litten Einige an dieser Schwachheit; aber er fährt sie deßhalb nicht nur nicht heftig an, sondern er geht noch viel weiter. Denn indem er die Fehlenden bei Seite läßt, weist er jene, welche sie daran hindern wollten, mit folgenden Worten zurecht: „Du aber, warum richtest du deinen Bruder?“ Im Briefe an die Kolosser jedoch thut er nicht dasselbe, sondern er tadelt sie recht nachdrücklich und belehrt sie, indem er sagt: „Darum soll euch Niemand richten wegen Speise und Trank.“ Und wieder: „Wenn ihr also mit Christo den Kindheitslehren dieser Welt abgestorben seid, warum urtheilet ihr noch, als lebtet ihr in der Welt? Rühre nicht an, koste nicht, taste nicht an, welches Alles zum Verderben gereicht, wenn man es gebraucht“ (nach den Vorschriften und Lehren der Menschen). Warum thut er denn das? Weil diese stark waren; die Römer dagegen bedurften noch großer Nachsicht, und er wartete, bis der Glaube in ihren Gemüthern erst befestiget wäre, aus Furcht, er möchte, wenn er vor der Zeit und früher, als recht wäre, käme, um das Unkraut auszurotten, mit demselben zugleich die Pflanzung der gesunden Lehre ausreißen. Deßhalb S. 272 fährt er sie nicht hart an, noch, entläßt er sie auch ohne Tadel, sondern er tadelt sie insgeheim und unerwartet durch die Zurechtweisung Anderer. Denn durch den Ausspruch: „Seinem Herrn steht oder fällt er“, scheint er zwar dem Tadler Stillschweigen aufzulegen, aber in Wahrheit verwundet er die Seele des Getadelten, indem er zeigt, daß das Auswählen solcher Dinge nicht Sache der Beharrlichen und Feststehenden, sondern jener sei, die noch hin- und herschwanken und sich in Gefahr befinden zu fallen, wenn sie nicht fest stehen.

Dieselbe Regel befolgt er auch hier wegen der großen Schwachheit derjenigen, welche sich der Sache schämen. Denn er geht nicht offen gegen ihn vor, sondern versetzt ihm dadurch einen empfindlichen Schlag, daß er den lobt, welcher seine Jungfrau bewahrt. Denn was sagt er? „Wer aber festen Entschluß gefaßt in seinem Herzen“, was als Gegensatz zu dem gesagt wird, welcher schnell und leicht umhergetrieben wird, noch nicht fest einherschreitet und nicht mit voller Manneskraft dasteht. Weil er sodann wußte, daß diese Rede genüge, um die Seele desselben zu verwunden, siehe, wie er sie dann wieder verhüllt, indem er eine Ursache anführt, die gewiß keinen Tadel verdient. Denn nachdem er gesagt: „Wer aber festen Entschluß gefaßt in seinem Herzen,“ fügt er bei: „Und nicht genöthiget ist, sondern Freiheit hat.“ Und doch war es folgerichtig zu sagen: „Wer aber feststeht, der glaubt auch nicht, daß die Sache schimpflich sei.“ Das war aber zu hart. Deßhalb setzte er etwas Anderes an die Stelle, indem er ihn tröstet und ihn lieber zu diesem Grunde kommen läßt. Denn es ist nicht so schlimm, eine Sache aus Zwang, wie aus Scham zu unterlassen. Denn das Eine ist das Zeichen einer schwachen und beklagenswerthen Seele, das Andere dagegen das Zeichen einer Seele, die auch verdorben ist und die Natur der Dinge nicht richtig S. 273 zu beurtheilen versteht. Doch das zu sagen, war noch nicht die rechte Zeit gekommen; denn daß es im Falle der Noth nicht erlaubt sei, diejenige, welche den jungfräulichen Stand erwählt hat, davon abzuhalten, sondern daß man sich gegen Alles, was diesen herrlichen Entschluß hintertreiben soll, tapfer stemmen müsse, darüber höre, was Christus sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, ist meiner nicht werth.“ Denn wenn wir etwas Gott Wohlgefälliges unternehmen, so ist Jeder, der uns daran hindern will, sei es auch Vater oder Mutter oder wer immer, als Gegner oder Feind zu betrachten. Paulus dagegen, der die Schwäche seiner Zuhörer noch ertrug, schrieb Folgendes, indem er sagte: „Wer aber festen Entschluß gefaßt hat in seinem Herzen und nicht genöthiget ist.“ Aber auch hiebei bleibt er nicht stehen, obgleich die Worte: „Wer nicht genöthiget ist“ und: „Wer Freiheit hat“ dasselbe bedeuten, sondern er tröstet durch die Ausführlichkeit der Rede und fortgesetzte Erlaubniß die gebrochene und kleinmüthige Seele, indem er nachher noch eine andere Ursache hinzufügt: „Wer es in seinem Herzen beschlossen hat.“ Denn es genügt nicht, frei zu sein; und nicht bloß darum wird er verantwortlich, sondern er handelt erst dann recht, wenn er wählt und beschließt. Damit man aber nicht glauben möge, es sei wegen der großen Nachsicht ganz gleichgiltig, gibt er, wenn auch furchtsam, doch wieder einen Unterschied an, indem er sagt: „Also, wer seine Jungfrau verheirathet, thut wohl; wer sie aber nicht verheirathet, thut besser.“ Um wie viel dieses aber besser sei, erklärt er aus derselben Ursache nicht. Wenn du es erfahren willst, so höre Christus: „Sie werden weder heirathen, noch geheirathet werden, sondern sie werden wie die Engel Gottes im Himmel sein.“ S. 274

79. Elias und ihm ähnliche Seelen standen durch den Vorzug der Jungfräulichkeit den Engeln in Nichts nach

Denn sage mir, wodurch unterscheiden sich Elias, Elisäus, Johannes, diese ächten Liebbaber der Jungfräulichkeit, von den Engeln? Durch nichts, außer daß sie mit der sterblichen Natur angethan waren; denn wenn Jemand das Uebrige genau untersucht, so wird er finden, daß sie in Nichts schlechter beschaffen waren; und gerade das, worin sie ihnen nachzustehen schienen, erhöhet ihr Lob. Denn erwäge nur, welch’ große Tapferkeit, welche Lebensweisheit erforderlich war, daß sie, auf Erden lebend und der Nothwendigkeit der sterblichen Natur unterworfen, zu solcher Tugend gelangen konnten. Hieraus wird aber klar, daß der jungfräuliche Stand das aus ihnen gemacht hat. Denn hätten sie Weib und Kinder gehabt, so würden sie nicht so leicht die Einöde bewohnt, nicht so leicht Häuser und den übrigen Lebensbedarf vernachlässigt haben. Nun aber lebten sie, frei von all diesen Banden, auf Erden wie im Himmel, ohne Wände, Dach, Bett, Tisch oder etwas Anderes der Art zu bedürfen: vielmehr diente ihnen der Himmel als Dach, die Erde als Lager, die Einöde als Tisch; und was Andern als Ursache des Hungers erscheint, die Unfruchtbarkeit der Wüste, das gewährte jenen Heiligen Ueberfluß; denn sie hatten weder Weinberge, noch Wiesen, noch Früchte, noch Ernte nöthig, vielmehr reichten ihnen Quellen, Flüsse und Seen einen überflüssigen und süßen Trank dar. Einem von ihnen bereitete ein Engel einen wunderbaren, außerordentlichen und jede menschliche Erwartung übertreffenden Tisch. Denn „Einem,“ heißt es, „reichte ein einziges Brod zur Sättigung auf vierzig Tage aus“. Den Andern nährte die Gnade des Geistes oft wunderbar, und nicht bloß ihn, sondern auch Andere um seinetwillen. Und Johannes, der mehr als ein Prophet war, und von dem gesagt wurde, daß kein Grös- S. 275 serer unter den von Weibern Gebornen aufgestanden sei, bedürfte nicht einmal menschlicher Speise; denn nicht Brod und Wein und Oel, sondern Heuschrecken und Waldhonig erhielten das Leben seines Leibes. Siehst du die Engel auf Erden? Siehst du die Macht des jungfräulichen Standes? Er bewirkte, daß Menschen, die aus Fleisch und Blut bestanden, auf Erden wandelten und, der Nothwendigkeit der menschlichen Natur unterworfen, gleichsam wie unkörperliche Wesen, wie Wesen, die schon den Himmel erlangt und die Unsterblichkeit angezogen, Alles vermochten.

80. Was die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit sei

Es war ihnen nämlich Alles überflüssig, nicht bloß das, was wirklich überflüssig ist, wie Schwelgerei, Reichthum, Macht, Ruhm und die ganze übrige Reihe solcher Träume, sondern auch das, was nothwendig zu sein scheint, als Häuser, Städte, Handwerke. Das ist die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit, das die Tugend des jungfräulichen Standes. Denn es ist zwar bewunderungswürdig und vieler Kronen würdig, wenn man den Wahnsinn seiner Gelüste bricht und die wüthende Natur bezähmt; aber das ist erst wahrhaft bewunderungswerth, wenn ein solches Leben dazu kommt; für sich allein und an sich ist es etwas Geringfügiges und vermag Diejenigen, welche damit begabt sind, nicht zu retten. Zeugen dafür mögen uns alle Jene sein, welche auch jetzt die Jungfrauschaft üben. Die sind so weit von Elias, Elisäus und Johannes entfernt, wie die Erde vom Himmel. Wie man nämlich, wenn man die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit wegnimmt, die Nerven des jungfräulichen Standes abschneidet, so bewahrt man, wenn man sie mit einem möglichst guten Leben verbindet, die Wurzel und die Quelle der Güter. Denn gleichwie ein fetter und fruchtbarer Boden die Wurzel, so vermag auch ein möglichst gutes Leben die Früchte der Jungfrauschaft zu nähren; ja sowohl die Wurzel als auch die Frucht der Jungfrauschaft ist ein S. 276 gekreuzigtes Leben. Sie hat jene Helden zu dem wunderbaren Laufe gesalbt, indem sie dieselben, nach Lösung aller Bande, mit freien und leichten Füßen, gleichsam geflügelt zum Himmel empor fliegen ließ. Denn wo man weder Weib noch Kinder zu versorgen hat, da ist die Uebung der Armuth etwas Leichtes. Die Armuth aber bringt uns dem Himmel nahe, indem sie uns nicht bloß von den Schrecken, Sorgen und Gefahren, sondern auch von allen übrigen Beschwerden befreit.

81. Welch’ großes Gut die Armuth sei

Wer nämlich Nichts besitzt, verachtet Alles, als ob er Alles besäße, und bedient sich einer großen Freimüthigkeit gegen die Obrigkeiten, die Herrscher und selbst gegen den mit dem Diadem Geschmückten. Wer die Reichthümer verachtet, wird, allmählig fortschreitend, leicht auch den Tod verachten. Und nachdem er über diese Dinge Meister geworden, wird er unerschrocken Jedermann anreden, Keinen fürchtend, vor Keinem zitternd. Wer sich aber mit Reichthümern abgibt, ist nicht bloß ein Sklave des Reichthums, sondern auch des Ruhmes und der Ehre und des gegenwärtigen Lebens und, um es kurz zu sagen, alles dessen, was zum Leben gehört. Darum nannte Paulus die Habsucht die Wurzel aller Uebel. Die Jungfrauschaft ist aber im Stande, auch diese Wurzel verdorren zu machen und uns eine andere, und zwar die beste einzupflanzen, der alles Gute entsprießt: die Freiheit, der Freimuth, die Tapferkeit, der glühende Eifer, die feurige Liebe zu den himmlischen und die Verachtung aller irdischen Dinge. Auf diese Weise wird die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit erworben.

82. Widerlegung derjenigen, welche behaupten, die Jungfrauen wünschten in Abrahams Schooß zu kommen

Doch wie lautet die kluge Rede der Menge? „Der Pa- S. 277 triarch Abrabam“, heißt es, „hatte sowohl Weib, als Kinder, sowohl Schätze, als Herden und Zugvieh, und trotz all dem wünschen Johannes, sowohl der Täufer als der Evangelist, beide jungfräulich lebend, und Paulus und Petrus, die durch ihre Enthaltsamkeit berühmt waren, in seinen Schooß zu kommen.“ Wer hat dir dieß aber gesagt, mein Theuerster? Was für ein Prophet? Welcher Evangelist? Christus selbst, sagst du. Denn als er den Hauptmann, der großen Glauben hatte, sah, sprach er: „Viele werden vom Aufgang und vom Niedergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen.“ Ja, auch Lazarus wird, mit ihm sich ergötzend, vom Reichen gesehen. Was geht das Paulus, was Petrus, was Johannes an? Denn nicht Lazarus, nicht Paulus, nicht Johannes, auch nicht der Chor der Apostel waren die vom Aufgang und vom Niedergang Kommenden. Darum ist also diese eure Rede nichtig und vergeblich. Willst du die Belohnungen der Apostel deutlich hören, so vernimm den Ausspruch dessen, der sie austheilen wird: „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“ Nirgends ist hier von Abraham, oder von seinem Sohne, oder Enkel, oder seinem Schooße, der sie aufgenommen hat, die Rede, sondern von einer weit höhern Würde, als diese. Denn diese sind es, welche da sitzen und die Nachkommen jener richten werden. Hierin besteht jedoch offenbar nicht der einzige Unterschied, sondern auch darin, daß Viele erlangen werden, was Abraham erlangt hat. Denn es heißt: „Viele werden vom Aufgang und vom Niedergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen;“ jene Throne aber wird Niemand einnehmen, als der Chor dieser Heiligen. Erwähnet ihr, sprich, nun noch der Herden, der Rinder, der Ehen, der Kinder?

„Wie nun,“ heißt es, „wenn Viele der jungfräulich Lebenden nach schweren Mühsalen dahin zu kommen wünschen?“ S. 278 Ich gehe aber noch weiter und sage, daß viele derselben weder diesen Schooß, noch etwas Geringeres erlangen, sondern in die Hölle gehen werden. Dieß beweisen die aus dem Hochzeitssaale ausgeschlossenen Jungfrauen.

„Demnach ist also die Ehe dem jungfräulichen Stande gleich, ja dieser ist schlechter. Denn dein Beispiel macht ihn schlechter. Wenn nämlich der verheirathet gewesene Abraham in Ruhe und Wonne, die Jungfrauen aber sich in der Hölle befinden, so bleibt nichts übrig, als dieß aus eurer Rede zu schließen.“ Die Sache verhält sich aber nicht so, durchaus nicht; denn die Jungfrauschaft ist nicht nur nicht schlechter, sondern weit vorzüglicher, als die Ehe. Wie so? Weil weder die Ehe den Abraham zu dem, was er war, gemacht, noch die Jungfrauschaft jene Unglücklichen zu Grunde gerichtet hat; vielmehr hat sowohl den Patriarchen die anderweitige Tugendhaftigkeit seiner Seele ausgezeichnet, als diese die anderweitige Schlechtigkeit ihres Lebens dem Feuer überliefert. Denn jener bemühte sich, obgleich in der Ehe lebend, die Vorzüge der Jungfrauschaft sich anzueignen, nämlich die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit; diese dagegen fielen, obgleich sie den jungfräulichen Stand gewählt hatten, wieder in die Wogen des Lebens und die Geschäfte der Ehe zurück.

„Was hindert nun,“ sagt man, „auch jetzt den Verheiratheten, mit Kindern, Reichthümern und allem Andern Versehenen, die Wohlanständigkeit und Beharrlichkeit zu üben?“ Erstens der Umstand, daß jetzt Niemand dem Abraham gleich, ja nicht einmal nahe kommt. Denn er, der sowohl Reichthümer als auch ein Weib besaß, verachtete selbst mehr als die, welche in Armuth leben, das Geld und beherrschte die Wollust mehr, als die jungfräulich Lebenden. Denn diese brennen täglich vor Begierden; jener aber hatte diese Flamme so sehr ausgelöscht und wurde so wenig von einer Begierde aefesselt, daß er sich nicht nur des Kebsweibes enthielt, sondern dasselbe sogar aus dem Hause trieb, um alle Ursache zu Zank und Streit zu beseitigen; was man aber heutigen Tags schwerlich zu finden vermöchte. S. 279

83. Uns und den Alten ist nicht ein gleiches Tugendmaß vorgeschrieben

Ueberdieß aber wird, was ich schon Anfangs gesagt und jetzt wiederhole, von uns und von jenen nicht das gleiche Maß von Tugend gefordert. Denn heutzutage kann Niemand vollkommen sei, es sei denn, daß er Alles verkauft, Allem entsagt habe, nicht bloß den Reichthümern und Gebäuden, sondern selbst seiner Seele; damals aber ging die Forderung nicht so weit. „Worin nun,“ sagt man, „leben wir jetzt vollkommener als der Patriarch?“ Wir sollten es wohl, und es wird uns auch befohlen; wir thun es aber nicht und stehen darum dem Gerechten weit nach. Denn Jedermann ist es klar, daß uns größere Kämpfe auferlegt sind. Wenn daher die Schrift den Noe belobt, so thut sie das nicht einfach, sondern mit einem Zusatz; denn sie sagt: „Noe war ein gerechter und vollkommener Mann in seinem Geschlechte; er war Gott wohlgefällig:“ nicht bloß „vollkommen,“ sondern „in der damaligen Zeit.“ Denn es gibt viele Arten von Vollkommenheit, die je nach der Verschiedenheit der Zeiten begrenzt sind; und „was ehemals vollkommen war, wird im Fortschritt der Zeit unvollkommen.“ So war z. B. ehemals vollkommen, wer nach dem Gesetze lebte; denn „wer dieses thut,“ heißt es, „wird darin leben.“ Als aber Christus gekommen war, erklärte er dieß für etwas Unvollkommenes. „Denn,“ er sagt, „wenn eure Gerechtigkeit nicht größer sein wird, als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ Damals schien der Mord allein furchtbar zu sein; jetzt kann sogar der bloße Zorn und die Schmähung in die Hölle stürzen; damals wurde nur der Ehebruch bestraft; jetzt ist selbst das bloße Anschauen eines Weibes mit lüsternen Augen straffällig. Damals war bloß der Meineid vom Bösen, jetzt sogar das Schwören; denn es heißt: „Was S. 280 darüber hinausgeht, ist vom Bösen.“ Von jenen wurde nicht mehr gefordert, als die zu lieben, die sie liebten; jetzt aber ist dieses Große und Bewunderungswürdige so unvollkommen, daß wir, wenn wir nur dieses thun, keinen Vorzug vor den Zöllnern haben.

84. Mit Recht ist uns für die gleichen guten Werke ein geringerer Lohn in Aussicht gestellt als den Alten

„Warum ist nun für die gleichen guten Werke uns und den Alten nicht der gleiche Lohn in Aussicht gestellt, sondern warum sollen wir eine größere Tugend beweisen, wenn wir das Nämliche, wie jene, erlangen wollen?“ Weil jetzt die mächtige Gnade des heiligen Geistes ausgegossen ist und das große Geschenk der Ankunft Christi. Denn dieses hat aus Kindern kräftige Männer gemacht. Gleichwie wir daher von unsern Kindern, wenn sie mannbar geworden, eine weit größere Tugend verlangen, und was wir an ihnen früher in dem ersten Alter lobten, nicht auf gleiche Weise bewundern, wenn sie, Männer geworden, dasselbe thun, sondern ihnen befehlen, Anderes und zwar viel Schwereres als jenes zu leisten: ebenso forderte auch Gott in den ersten Zeiten von der menschlichen Natur nicht große Tugenden, weil sie noch zu viel jugendlichen Sinn hatte; nachdem sie aber die Propheten und Apostel vernommen und die Gnade des heiligen Geistes erlangt hatte, so dehnte er für sie auch die Größe der Tugend aus. Und mit Recht; denn jetzt verhieß er auch einen größern Lohn und weit herrlichere Belohnungen: nicht mehr die Erde und Irdisches, sondern der Himmel und jene Güter, welche alle Begriffe übersteigen, erwarten die Tugendhaften. Wie sollte es also nicht thöricht sein, daß die Erwachsenen noch in derselben Kindheit verharren? Denn die menschliche Natur war damals in sich S. 281 gespalten, und es herrschte ein unversöhnlicher Krieg. Indem Paulus denselben beschreibt, sagt er: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, welches dem Gesetze meines Geistes widerstreitet und mich gefangen hält unter dem Gesetze der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“ Jetzt aber ist dieß nicht mehr der Fall. „Denn was dem Gesetze unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt ward, das hat Gott bewirkt, indem er seinen Sohn in Gestalt des sündigen Fleisches und wegen der Sünde sandte und die Sünde im Fleische verdammte.“ Und hiefür Gott Dank sagend sprach Paulus: „Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich von dem Leibe dieses Todes befreien? Ich sage Gott Dank durch Jesum Christum.“ Wir werden daher mit Recht bestraft, wenn wir, die wir frei geworden, nicht ebenso laufen wollen, wie die Gefesselten; ja, wenn wir nur Gleiches vermöchten, so würden wir der Strafe auch nicht entgehen. Denn für jene, die sich eines tiefen Friedens erfreuen, ziemt es sich, weit größere und herrlichere Siegeszeichen zu errichten, als jene, die von einem sehr heftigen Kriege heimgesucht sind. Wenn wir uns daher beständig um Reichthümer, Wollust, Weiber und Geschäfte bekümmern, wann werden wir Männer werden, wann im Geiste leben, wann die Angelegenheiten des Herrn besorgen? Vielleicht wann wir von hier abscheiden werden? Das ist aber nicht mehr die Zeit der Arbeiten und Kämpfe, sondern der Belohnungen und Strafen. Dort wird weder eine Jungfrau, wenn sie kein Oel in der Lampe hat, solches von andern empfangen können, sondern sie wird draußen bleiben, noch derjenige, welcher mit schmutzigen Kleidern angethan dasteht, hinausgehen und das Kleid wechseln können, sondern vielmehr in das höllische Feuer gestoßen werden, noch wird er, und wenn er Abraham selbst anflehete, davon einen Nutzen haben. Denn nachdem der Tag des Herrn gekom- S. 282 men, der Richterstuhl aufgestellt ist, der Richter dasitzt, und der Feuerstrom dahinstürzt, und die Prüfung unserer Handlungen stattfindet, so ist es nicht mehr möglich für Frevelthaten Buße zu thun, sondern wir werden ohne Weiteres zu der ihnen gebührenden Strafe, ob wir wollen oder nicht, fortgerissen, indem uns dann Niemand mehr zu befreien vermag. Besäße aber auch Einer ein gleiches Vertrauen, wie die großen und bewunderungswürdigen Männer, wenn selbst ein Noe, ein Job, ein Daniel sogar für seine Söhne und Töchter flehete, so wird er nichts ausrichten, sondern die Sünder müssen die ewigen Strafen büßen, sowie die Gerechten werden verherrlichet werden. Denn Christus erklärte, daß es weder für diese, noch für jene ein Ende geben werde, da er sagt, daß wie das Leben, so auch die Strafe ewig sein werde. Denn als er die zur Rechten gelobt und die zur Linken verurtheilt hatte, fügte er bei: „Diese werden in die ewige Pein gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ Darum muß man sich hier alle Mühe geben, und der, welcher ein Weib hat, muß so handeln, als hätte er keines; wer aber wirklich keines hat, muß mit der Jungfrauschaft auch alle übrigen Tugenden üben, damit wir nicht nach dem Weggange von hier vergeblich weinen.

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