Johannes Chrysostomus: Über das Priestertum

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De sacerdotio libri 1-6

(Über das Priestertum)

Kirchenlehrer: Johannes Chrysostomus

Quelle: In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus / aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 4; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 27) Kempten; München 1916. Unter der Mitarbeit von: Ottmar Strüber und Heinz Rothenpieler.

1. Buch

KAPITEL I

S. 97 Wohl hatte ich das Glück, viele echte und wahre Freunde zu besitzen, welche die Gesetze der Freundschaft genau kannten und sie auch getreu befolgten. Einer jedoch unter ihnen übertraf an Liebe zu mir alle übrigen, indem er es sich angelegen sein ließ, die anderen ebenso sehr zu überflügeln, als diese wieder jene, die gar nicht in näherer Beziehung zu mir standen. Man kann von ihm sagen, daß er eigentlich zu keiner Zeit von meiner Seite wich. Denn wir widmeten uns denselben Wissenschaften und genossen den Unterricht derselben Lehrer. Dabei zeigten wir auch den nämlichen Fleiß und Eifer für die Wissensgebiete, um die wir uns be- S. 98 mühten; unser ganzes Streben war eines und dasselbe, herausgewachsen aus den gleichen Verhältnissen. Denn nicht bloß solange wir zusammen die Schulen besuchten, auch als wir, von da ausgetreten, uns zu entschließen hatten, welchen Lebensweg wir nunmehr am besten einschlagen sollten, zeigte sich hinwiederum Übereinstimmung unserer Neigungen.

KAPITEL II

Es kamen noch andere Umstände hinzu, um unsere Einigkeit unzerreißbar und fest zu erhalten. Denn keiner von uns hatte Grund, sich ob der Größe seiner Vaterstadt über den anderen zu erheben, und während ich nicht übermäßigen Reichtum besaß, lebte jener nicht in äußerster Armut, so daß auch das Maß unseres Vermögens der Gleichheit unseres Strebens entsprach. Gleich angesehen war auch unsere beiderseitige Abstammung, und somit stimmte alles mit der Eintracht unserer Gesinnung zusammen.

KAPITEL III

Als es aber galt, sich dem glückseligen Leben der Mönche und der wahren Philosophie hinzugeben, da blieb unsere Wage nicht mehr im Gleichgewicht; seine Wagschale schnellte als die leichtere in die Höhe. Ich, der ich noch von den Begierden der Welt gefesselt war, drückte die meinige abwärts und ließ mich in den tieferen Niederungen des Lebens festhalten, indem ich meine Wagschale mit jugendlichen Einbildungen beschwerte. Wohl blieb auch dann noch unsere Freundschaft bestehen wie früher; mit unserem bisherigen trauten Beisammensein jedoch war es vorbei. Denn da wir nicht mehr demselben Ziele zustrebten, konnten wir uns un- S. 99 möglich ferner den gleichen gemeinschaftlichen Beschäftigungen hingeben. Als ich aber selbst ein wenig aus den Wogen des weltlichen Treibens emportauchte, da streckte er mir sofort beide Hände entgegen, um mich wieder an sich zu ziehen; so einfach jedoch vermochten wir die frühere Harmonie nicht wieder zu erlangen. Denn weil er mir nicht nur der Zeit nach voraus war, sondern dazu auch noch einen ungestümen Eifer entwickelt hatte, schwang er sich über mich hinaus zu einer beträchtlichen Höhe empor.

KAPITEL IV

Indessen, da er bei seiner außerordentlichen Herzensgüte meine Freundschaft hochschätzte, gab er den Umgang mit allen anderen Gefährten auf, um beständig nur mit mir zusammen sein zu können. Das hatte er zwar auch schon früher gewünscht, war jedoch, wie gesagt, durch meinen Leichtsinn daran gehindert worden. Denn unmöglich konnte derjenige, der an den Gerichtshöfen sich herumtrieb und mit Leidenschaft sich den Vergnügungen der Schaubühne hingab , des öfteren mit dem zusammenkommen, der, völlig in seine Bücher vergraben, nicht einmal auf dem Forum mehr erschien. Als wir nun nach zeitweiliger Trennung die alte Lebensgemeinschaft wieder aufgenommen hatten, da reifte auch sofort der Wunsch, den er schon längst mit sich herumgetragen. Er vermochte es nämlich nicht, auch nur einen Augenblick des Tages von mir ferne zu sein. Beständig drang er deshalb in mich, wir sollten jeder sein eigenes Haus verlassen und dann beide zusammen eine gemeinschaftliche Wohnung beziehen. Es gelang ihm auch wirklich, mich zu überreden, und der Plan war bereits der Ausführung nahe.

KAPITEL V

S. 100 Allein die fortwährenden Zusprüche meiner Mutter hinderten mich, ihm diesen Gefallen zu erweisen oder vielmehr aus seiner Hand dieses Geschenk anzunehmen. Denn als sie mein Vorhaben merkte, da ergriff sie mich bei der Rechten und führte mich in das ihr vorbehaltene Gemach. Nachdem sie Platz genommen neben dem Lager, auf dem sie mich mit Schmerzen geboren, vergoss sie Ströme von Tränen und fügte Worte hinzu, die noch innigeres Mitleid erregten als die Tränen.

Unter Weinen und Klagen sprach sie folgendes zu mir: Nicht lange, mein Kind, war es mir nach dem Willen Gottes vergönnt, mich deines trefflichen Vaters zu freuen. Auf die Geburtswehen, die ich um dich erduldet habe, folgte bald sein Tod, der frühe dich zur Waise, mich zur Witwe gemacht und mir damit zugleich die Leiden des Witwenstandes beschert hat, für die nur jene ein richtiges Verständnis haben können, welche selbst sie ertragen mußten. Keine Worte vermögen ja das Sturmesbrausen und die hochgehenden Wogen zu schildern, denen eine junge Frau ausgesetzt ist, die, eben erst aus dem väterlichen Hause getreten und unerfahren in den Geschäften der Welt, plötzlich von unsagbarem Schmerze betroffen wird und sich von Sorgen umringt sieht, die für ihr Alter und ihr Geschlecht viel zu schwer sind. Sie muß sich bekanntlich gegen Nachlässigkeiten von Seiten der Dienstboten wenden, ihren Bosheiten entgegentreten, hinterlistige Ränke von Verwandten vereiteln, die Bedrückungen und die Härte der Steuereinnehmer beim Bezahlen der Abgaben ruhigen Mutes auf sich nehmen. Hat aber der verstorbene Gatte bei seinem Hinscheiden gar ein Kind hinterlassen, so wird auch ein Mädchen der Mutter viele Sorgen bereiten, immerhin jedoch keinen Kostenaufwand und keine S. 101 bange Furcht verursachen. Ein Sohn hingegen erfüllt sie tagtäglich mit tausenderlei Ängsten und größerer Besorgnis, ohne zu gedenken der Ausgaben an Geld, die sie nicht scheuen darf, wenn anders sie ihn zu einem gebildeten Manne erziehen will. Aber trotzdem hat keine dieser Schwierigkeiten mich dazu verleitet, eine zweite Ehe einzugehen und einen neuen Gatten in das Haus deines Vaters einzuführen; ich harrte vielmehr aus in Sturm und Drang und floh nicht vor dem eisernen Schmelzofen der Witwenschaft. In erster Linie wurde mir Hilfe durch die Vorsehung von oben. Es war mir aber auch in meiner traurigen Lage ein nicht geringer Trost, daß ich beständig in dein Antlitz schauen konnte und mir in dir das lebendige und aufs getreueste wiedergegebene Abbild des verstorbenen Gatten heranzog. Du hast mir deshalb als kleines Kind, da du noch nicht sprechen gelernt hattest, in einem Alter, in welchem die Sprösslinge den Eltern am meisten Freude machen, vielen Trost gewährt. Auch den Vorwurf kannst du keineswegs gegen mich erheben, daß ich zwar die Witwenschaft heldenmütig ertragen, aber ob deren Not dir das väterliche Erbgut geschmälert hätte, was, wie ich weiß, vielen von denen, die von dem Unglück der Verwaisung getroffen worden, widerfuhr. Ich habe vielmehr dein ganzes Vermögen ungekürzt erhalten, und doch habe ich es in keiner Beziehung an dem fehlen lassen, was zu deiner gediegenen Erziehung aufzuwenden nötig war. Mit meinem eigenen Vermögen und mit dem, was ich aus dem Elternhause mitgebracht, habe ich alle diese Ausgaben bestritten. Glaube ja nicht, daß ich das vorbringe, um dir etwa Vorwürfe zu machen; o nein, für all dies bitte ich dich nur um einen einzigen Gefallen, S. 102 laß mich nicht zum zweiten Male zur Witwe werden, wecke den jetzt eingeschlafenen Schmerz nicht von neuem wieder auf, sondern warte auf mein Ende. Voraussichtlich werde ich ohnehin schon nach kurzer Zeit sterben. Für die Jugend winkt noch die Hoffnung, ein hohes Greisenalter zu erreichen; wir Bejahrte aber haben nichts anderes mehr zu erwarten als den Tod. Hast du mich dann der Erde übergeben und meine Gebeine mit denen deines Vaters vereint, so kannst du weite Reisen unternehmen und ganz nach Herzenslust das Meer befahren; niemand wird dich dann daran hindern. Solange ich jedoch atme, verschmähe es nicht, mit mir zusammenzuwohnen; versündige dich nicht leichtsinnig und ohne Grund gegen Gott, indem du mich, die ich an dir nichts verschuldet, einem solchen Unglücke preisgibst. Wenn du Ursache haben solltest, gegen mich den Vorwurf zu erheben, daß ich dich in weltliche Sorgen verstricke und dich nötige, die Verwaltung meines Vermögens zu übernehmen, dann achte nicht die Gesetze der Natur, nicht die dir zuteil gewordene Erziehung, nicht unser langjähriges Zusammensein, noch sonst irgendetwas anderes, sondern fliehe mich wie deinen hinterlistigen Feind. Setze ich aber alles daran, um dir soviel als möglich Muße zu verschaffen zu der von dir eingeschlagenen Lebensart, so möge, wenn nichts anderes , wenigstens dieses Band dich bei mir festhalten. Denn magst du auch sagen, daß Tausende dich gerne liebevoll aufnehmen würden, niemand wird dich im Genusse einer so großen Freiheit lassen wie ich. Kann es doch überhaupt niemand geben, dem dein Wohlbefinden ebenso sehr am Herzen liegen würde als mir.

KAPITEL VI

S. 103 Das und noch mehr dergleichen stellte meine Mutter mir vor. Als ich meinem edelsinnigen Freunde genau darüber berichtete, ließ er sich dadurch nicht nur nicht irre machen, er setzte mir sogar noch mehr zu, die alte Bitte immer von neuem wiederholend. Mitten in solch ungeklärter Lage, während nämlich er nicht aufhörte, immer wieder in mich zu dringen, ich aber mich beharrlich weigerte, da brachte uns beide ein plötzlich entstandenes Gerücht in Verwirrung, das Gerücht, daß man uns zur bischöflichen Würde erheben wolle. Als ich diese Kunde vernahm, wurde ich von Furcht und Zagen befallen: von der Furcht, ich möchte auch wider meinen Willen erhoben werden; von Zagen, so oft ich darüber nachgrübelte, wie es denn gekommen, daß die Wähler ihr Augenmerk gerade auf meine Person richteten. Denn wenn ich mich selber beobachtete, fand ich an mir gar nichts, das einer solchen Ehre mich würdig gemacht hätte.

Da kam mein Freund in seinem Edelmute aus eigenem Antriebe zu mir, um mir Mitteilung zu machen von dem Gerüchte, in der Meinung, daß ich noch nichts davon wüsste, und bat, wir möchten auch in dieser Sache wie bisher eines Sinnes und eines Handelns befunden werden. Denn er selbst würde mir bereitwilligst folgen, welchen Weg ich auch einschlagen wolle, gelte es nun zu fliehen oder anzunehmen. Da ich somit seine Bereitwilligkeit merkte und auch dafür hielt, es würde für das gesamte Gemeinwohl der Kirche einen unberechenbaren S. 104 Schaden bedeuten, wenn ich einen so trefflichen und für die Leitung der Seelen, so geeigneten jungen Mann aus Rücksicht auf meine eigene Schwäche der Herde Christi entzöge, so verhehlte ich ihm hierüber meine eigentliche Meinung, während ich es früher niemals über mich vermocht hätte, ihn über irgendeinen meiner Entschlüsse im unklaren zu lassen. Ich erklärte ihm vielmehr, wir könnten die Beratung darüber ganz gut auf einen anderen Zeitpunkt verschieben, zumal die Angelegenheit augenblicklich nicht eile. So beredete ich ihn, sich zunächst darüber keine weiteren Sorgen zu machen, und betreffs meiner Person brachte ich ihm die Zuversicht bei, daß ich einig und gemeinsam mit ihm handeln würde, wenn man wirklich etwas Derartiges mit uns vorhaben sollte.

Als kurze Zeit darauf jemand erschien, der uns weihen wollte, versteckte ich mich. Mein Freund aber, der nichts davon wußte, wurde unter einem anderen Vorwande weggeführt und nahm die Bürde auf sich in der Hoffnung, daß ich, wie ich ihm versprochen hatte, auf jeden Fall folgen werde oder vielmehr in der Meinung, ich sei ihm bereits vorangegangen. Denn als einige der dort Anwesenden sahen, wie sehr unwillig und betrübt er war, als man ihn mitnehmen wollte, da täuschten sie ihn, indem sie laut bemerkten, es sei doch ungereimt, daß derjenige, welcher bei allen als der dreistere gelte — wobei sie mich meinten —, ganz fügsam dem Urteil der Väter nachgegeben habe, während er selbst, der doch sonst viel verständiger und billiger zu urteilen wisse, sich nunmehr trotzig zeige und unter allerlei Ausreden und Protesten sich davonzumachen suche, um nichtiger Ehre nachzujagen. Auf diese Worte hin fügte er sich.

Nachdem er aber nun nachträglich vernahm, ich sei entflohen, kam er ganz niedergeschlagen zu mir und setzte sich bei mir nieder. Er hatte wohl die Absicht, etwas zu sagen, aber in seinem Unwillen war er nicht S. 104 imstande, die Gewalttat, die ihm widerfahren war, in Worte zu fassen. Er versuchte den Mund zu öffnen, sah sich jedoch am Sprechen gehindert aus Niedergeschlagenheit, die ihm das Wort abschnitt, bevor es über die Lippen kam. Da ich ihn nun so in Tränen gebadet und von der tiefsten Gemütserschütterung angegriffen sah, auch um die Ursache wußte, da fing ich vor lauter Freude zu lachen an, ergriff seine Rechte und fühlte mich gedrungen, sie zu küssen. Dabei pries ich Gott, daß meine List ein so gutes Ende genommen, genau so, wie ich es nur immer wünschen konnte. Da er mich so überaus beglückt und heiter gewahrte und dies, obwohl er die Empfindung hatte, kurz zuvor von mir getäuscht worden zu sein, da wurde er noch mehr betrübt und erbittert.

KAPITEL VII

Als er sich endlich ein wenig von dieser seelischen Erregung beruhigt hatte, sprach er zu mir: Wenn du auch die ganze Angelegenheit, soweit sie mich betrifft, geringschätzend behandelt hast und auf meine Person keine Rücksicht mehr nimmst — zwar weiß ich nicht, aus welchem Grunde —, so hättest du doch wenigstens auf deinen eigenen Ruf Bedacht nehmen sollen. Nun aber hast du aller Leute Mund geöffnet und alle sagen, daß du aus Verlangen nach weltlicher Ehre das heilige Amt ausgeschlagen hast. Niemand wird dich von dieser Anklage freisprechen. Für mich aber ist es kaum zum Aushalten, wenn ich mich nur öffentlich zeige. Gar viele treten da an mich heran und machen mir Tag für Tag Vorwürfe. Denn wenn ich nur irgendwo in der Stadt gesehen werde, so nehmen meine vertrautesten Freunde mich beiseite und schieben mir den größeren Teil der Schuld zu. Du wußtest ja, sagen sie, seine Auffassung; denn keine seiner Angelegenheiten war dir ein Geheimnis. Du hättest sie uns also nicht verhehlen sollen, es wäre vielmehr deine Pflicht gewesen, uns davon Mitteilung zu machen, und ganz gewiss hätte es uns dann nicht an einem Anschlag gefehlt, um ihn in unsere Hände zu bekommen. S. 106

Ich jedoch schäme mich und erröte, jenen zu gestehen, daß ich nichts von deinem schon längst gefaßten Entschluss wußte, damit sie nicht etwa unsere Freundschaft für bloßen Schein halten. Denn wenn sie das ist, und daß sie es tatsächlich ist, kannst du nach deinem letzten Benehmen gegen mich nicht leugnen, so ist es doch angezeigt, daß wir unsere unangenehme Angelegenheit vor denen, die ihr ferne stehen und die sicherlich eine löbliche Meinung von uns haben, verbergen. Ihnen die Wahrheit zu gestehen und sie über das Verhältnis zwischen uns beiden aufzuklären, trage ich Bedenken. Ich sehe mich vielmehr genötigt, auch fernerhin zu schweigen, den Blick auf den Boden zu richten, den mir Begegnenden auszuweichen und davonzueilen. Denn falls ich auch dem ersten Vorwurf entgehe, so werde ich doch ohne Zweifel in Zukunft der Lüge beschuldigt werden. Niemals nämlich werden sie es mir glauben wollen, daß du auch den Basilius unter diejenigen einreihtest, denen es nicht vergönnt ist, in deine persönlichen Angelegenheiten eingeweiht zu sein. Aber auch davon soll nicht weiter die Rede sein, da du es einmal so gewollt hast.

Wie jedoch sollen wir die Schmach der übrigen Anklagen ertragen? Denn die einen beschuldigen dich unsinniger Eitelkeit, die anderen weltlichen Ehrgeizes, wieder andere, die bei ihren Anklagen noch schonungsloser vorgehen, werfen uns beide Fehler zugleich vor und bürden uns außerdem noch hochmütiges Benehmen gegen die Männer auf, welche uns jene Ehre zugedacht haben. Denen, sagen sie, sei ganz recht geschehen, ja sie hätten verdient, von uns noch größere Mißachtung zu erfahren, da sie so viele bejahrte und tüchtige Männer übergingen und an deren Statt junge Leute, die gestern und vorgestern noch ganz in die Sorgen der Welt verstrickt waren, plötzlich zu einer so hohen Ehrenstellung erheben wollten, die zu erlangen diese nicht einmal im Traume zu erhoffen wagten. Damit sei nur das Eine er- S. 107 reicht worden, daß die Erwählten eine Zeitlang die Stirne runzeln, dunkle Kleider anlegen und niedergeschlagene Augen zur Schau tragen könnten. Dagegen gehören Männer, welche von frühester Jugend an bis ins hohe Greisenalter sich in der Askese geübt, zu deren Untergebenen. Ihre eigenen Söhne beherrschen sie, die nicht einmal die Gesetze kennen gelernt haben, nach denen ein solches Amt zu verwalten ist.

Mit diesen und noch anderen derartigen Vorwürfen setzen sie uns beständig zu. Ich aber weiß nicht, was ich zur Verteidigung darauf erwidern soll; ich bitte deshalb dich, mir zur Seite zu stehen. Denn ich vermag nicht zu glauben, daß du aufs Geratewohl und ohne Grund deine Flucht ausgeführt und dir dadurch so angesehene Männer zu erbitterten Feinden gemacht hast; vielmehr hast du diesen Schritt sicherlich erst nach reiflicher Erwägung und Überlegung unternommen, weshalb ich vermute, daß du auch eine Rede zu deiner Rechtfertigung in Bereitschaft hast. Sage also, ob wir irgendeinen stichhaltigen Entschuldigungsgrund unseren Anklägern gegenüber vorbringen können. Denn für das Unrecht, das ich selbst von dir erfahren habe, für die Täuschungen, die du gegen mich begangen, für den Verrat, den du an mir geübt, obwohl du die ganze Zeit bisher nur Gutes von mir empfangen hast, verlange ich keine Rechenschaft. Hatte ich doch meine Seele dir sozusagen entgegengebracht und geradezu in deine Hände gelegt. Du aber hast gegen mich solche Tücke angewandt, als hättest du dich vor Feinden zu hüten gehabt. In der Tat, wenn du den ganzen Plan als heilsam erkanntest, hättest du auch selbst dich demselben nicht entziehen sollen; dünkte es dir aber als schädlich, dann hättest du auch mich, den du, wie du beständig wiederholtest, immer allen anderen vorzogest, vor dem drohenden Unheil bewahren müssen. Du hast jedoch alles getan, um mich ins Verderben geraten zu lassen; S. 108 sogar an Arglist und Verstellung ließest du es nicht fehlen und dies demjenigen gegenüber, der gewohnt war, vor dir in allem arglos und offen zu reden und zu handeln.

Aber dennoch, wie gesagt, über all das mache ich dir jetzt keinen Vorwurf, ich lege dir auch nicht die Vereinsamung zur Last, in welche du mich dadurch versetzt hast, daß du unserem trauten Zusammensein ein Ende bereitetest, aus dem wir gar oft in ganz außerordentlichem Klasse sowohl Erholung wie Nutzen geschöpft haben. Dies alles lasse ich beiseite und trage es in Ruhe und ohne Bitterkeit, nicht als ob du bloß gelinde gegen mich gefehlt hättest, sondern weil ich von dem Tage an, da ich innige Freundschaft mit dir schloß, es mir zur Pflicht gemacht habe, dich niemals, selbst wenn du mir Schmerz zufügen solltest, zur Verantwortung zu ziehen. daß du uns übrigens keinen geringen Schaden zufügtest, das weißt du wohl selber, wenn anders du dich dessen erinnerst, was sowohl unsere Bekannten als auch wir selbst von uns immerfort behaupteten, daß es nämlich für uns ein großer Vorteil sei, eines Herzens und einer Seele zu sein und durch gegenseitige Freundschaft geschützt zu werden. Ja, allgemein wurde sogar betont, wie unsere Eintracht auch vielen anderen einen nicht unerheblichen Nutzen bringen werde. Ich allerdings habe mir niemals eingebildet, daß etwa der auf meine Person fallende Anteil unserer Freundschaft für andere eine Quelle des Segens sein könnte. Doch war ich der Anschauung, daß wir jedenfalls aus unserer Harmonie den nicht gering anzuschlagenden Gewinn ziehen dürften, von niemanden, wer auch immer uns feindselig gegenübertreten wollte, etwas befürchten zu müssen. Unaufhörlich habe ich dich daran erinnert: Die Zeiten sind schlimm, die Gegner zahlreich, echte Liebe ist geschwunden, an ihrer Stelle hat sich Verderben bringender Neid breit gemacht. Wir gehen umher “mitten unter Fallstricken und wandeln auf Zinnen von Städten”. Trifft uns ein Unglück, so sind gar viele geneigt, sich darüber zu freuen; manche liegen so- S. 109 gar von allen Seiten auf der Lauer und warten darauf. Niemand jedoch wird Mitleid mit uns haben oder höchstens nur sehr wenige. Sieh also zu, daß wir durch unsere Trennung nicht dem allgemeinen Gespötte anheimfallen und, was noch schlimmer ist als Spott, wirklichen Schaden davontragen. “Ein Bruder, vom Bruder gestützt, ist wie eine befestigte Stadt und wie ein wohlgeschütztes Königreich”. Löse deshalb doch ja nicht unsere Herzensgemeinschaft und zerstöre nicht den schützenden Riegel.

Dies und noch mehr dergleichen sprach ich beständig zu dir, ohne jemals ein derartiges Benehmen von dir zu vermuten. Vielmehr hielt ich dafür, daß deine Gesinnung gegen mich durchaus einwandfrei sei und war darauf bedacht, zu allem Überfluss einen Gesunden zu pflegen, ohne zu ahnen, daß ich, wie es jetzt den Anschein hat, einem Kranken Arzneimittel gereicht habe. Und doch habe ich Bedauernswerter keinen Nutzen davon gehabt und keinen weiteren Vorteil aus meiner allzu großen Fürsorge erzielt. Denn alle meine Worte hast du auf einmal in den Wind geschlagen, und ohne sie dir zu Herzen zu nehmen, hast du mich wie ein des Balastes entbehrendes Schiff hinausgestoßen auf das unermessliche Meer, ganz und gar unbekümmert um die wilden Wogen, denen ich nunmehr unvermeidlich ausgesetzt bin. Wenn mir nämlich einmal von irgendeiner Seite Verleumdung oder Hohn oder eine andere übermütige und schimpfliche Behandlung zugefügt werden sollte — und Derartiges wird mir notwendigerweise öfters begegnen —, zu wem soll ich mich dann flüchten? Wem soll ich meine Niedergeschlagenheit anvertrauen? Wer wird mir helfen wollen? Wer wird die, welche mich betrüben, zurückweisen und weitere Kränkungen verhindern? Wer wird anderseits mich trösten und mich in den Stand setzen, die Verunglimpfungen seitens anderer zu ertragen? Niemand steht mir hierfür zur Verfügung; S. 110 denn auch du hältst dich von diesem schlimmen Kampfe fern und bist nicht einmal in der Lage, meinen Klageschrei zu hören. Siehst du nun ein, welches Unheil du angerichtet hast? Erkennst du wenigstens jetzt, nachdem du den Schlag geführt, wie tödlich du mich getroffen? Doch das wollen wir beiseite lassen; denn was geschehen ist, kann man nicht mehr ungeschehen machen und für Unzugängliches keinen Zugang finden. Was werden wir aber zu denen sagen, die uns ferne stehen? Was werden wir auf ihre Anschuldigungen zu unserer Rechtfertigung erwidern?

KAPITEL VIII

Sei getrost, entgegnete ich. Denn nicht nur auf deine Fragen bin ich bereit, dir Rede und Antwort zu stehen, sondern auch darüber, worüber du mir die Verantwortung erlassen hast, will ich versuchen, soweit ich es vermag, dir Rechenschaft zu geben. Und wenn es dir genehm ist, will ich zunächst gerade hiermit meine Verteidigung beginnen. Denn ich würde ja widersinnig und nur allzu rücksichtslos handeln, wenn ich, besorgt um das gute Ansehen bei den mir ferne Stehenden, alles tun wollte, um diese Tadler zum Schweigen zu bringen, wenn ich hingegen meinen allerbesten Freund nicht zu überzeugen suchte, daß ich ihm kein Unrecht zufüge, zumal er sich so rücksichtsvoll gegen mich benommen, daß er mir nicht einmal wegen der vermeintlich erlittenen Kränkung Vorwürfe machen wollte, sondern unter Hintansetzung der eigenen Ehre nur mehr auf die meinige bedacht ist. Es wäre dann meine leichtsinnige Gleichgültigkeit ihm gegenüber viel größer als umgekehrt seine anhängliche Sorge, die er um meinetwillen an den Tag legte.

Inwiefern habe ich dir denn jemals Unrecht getan — denn von diesem Punkte aus bin ich entschlossen, die Fahrt in das Meer der Verantwortung anzutreten —, etwa weil ich dich überlistet und dir meine wahre Meinung verheimlicht habe? Es geschah dies jedoch dir, den ich getäuscht, zum Vorteil, und auch S. 111 zum Vorteil derer, denen ich dich durch List überantwortet habe. Ist nämlich heimliche List überhaupt etwas Böses, und ist es niemals, auch nicht im Notfalle, erlaubt, sich ihrer zu bedienen, so bin ich bereit, jedwede Strafe zu erleiden, welche du willst; oder vielmehr, da du selbst es doch nie über dich gewinnen wirst, Strafe über mich zu verhängen, so will ich in eigener Person mir jene Sühne auferlegen, welche die Richter gegen die Übeltäter erkennen, wenn die Ankläger sie der Schuld überführt haben. Ist aber ein listiger Kunstgriff nicht immer zu verwerfen, sondern wird er je nach der Absicht derer, die sich seiner bedienen, schlecht oder gut , so höre doch auf, mir vorzuwerfen, daß du hintergangen worden seiest, weise mir vielmehr nach, daß ich die fragliche List zu einem schlechten Zweck angewandt habe. Solange jedoch ein solches Motiv fehlt, sollten diejenigen, welche als verständig gelten wollen, keineswegs Tadel und Beschuldigungen vorbringen, sondern sie sollten billigerweise der verständnisvoll angewandten List Beifall zollen. Denn eine rechtzeitige und in der richtigen Absicht vorgebrachte Täuschung hat so großen Gewinn zur Folge, daß schon oftmals gar manche es büßen mußten, weil sie es an einem listigen Vorgehen fehlen ließen.

Prüfe nur einmal die seit alter Zeit berühmt gewordenen Feldherrn, und du wirst finden, daß die meisten ihrer Siege Erfolge angewandter List waren und daß gerade sie mehr gepriesen werden als jene, die im offenen Kampfe den Sieg davongetragen haben. Denn letztere führen die Kriege nur durch bedeutenderen Aufwand an Geld und Menschenleben zu einem glücklichen Ende. Darum erwächst ihnen kein eigentlicher Vorteil aus dem errungenen Siege; vielmehr ist die Lage der Sieger um nichts weniger misslich als S. 112 die der Unterlegenen, da beider Heere aufgerieben, beider Schatzkammern geleert sind. Dazu kommt, daß die so Besiegten den Siegern den Siegesruhm nicht einmal ungeschmälert lassen. Denn auch den Gefallenen gebührt es, einen nicht geringen Teil davon für sich zu beanspruchen, weil ihre Seelen den Sieg davontrugen und nur ihre Leiber unterlagen. Wenn es nämlich möglich wäre, tödlich getroffen nicht zu fallen, und wenn nicht der Tod sie zu Boden gestreckt und hinweggerafft hätte , dann würden sie niemals in ihrem entschlossenen Mute gebeugt worden sein. Wer aber durch List zu siegen versteht, der bringt die Feinde nicht bloß ins Unglück, sondern überantwortet sie auch dem Gespötte. Denn während dort beide Teile in gleicher Weise Ruhm davontragen je nach den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften, ist dies bei denen, welche sich der Klugheit bedienten, nicht geradeso der Fall. Hier gehört der Siegespreis den Siegern ausschließlich, und, was nicht geringer anzuschlagen ist, sie bewahren ihrem Vaterlande die Siegesfreude ungetrübt. Denn ein noch so großer Vorrat an Geldmitteln und die Maße der Krieger hat nicht den gleichen Wert wie die Klugheit des Geistes. Werden erstere im Kriege beständig in Anspruch genommen, so werden sie selbstverständlich allmählich aufgezehrt und gehen schließlich den Besitzern vollständig aus; diese aber nimmt ihrer Natur nach um so mehr zu, je mehr sie angeregt wird. Nicht nur im Kriege jedoch, auch in Friedenszeiten kann gar oft die Anwendung der List nicht umgangen werden, und dies wie bei den öffentlichen Angelegenheiten des Staates so im häuslichen Familienkreise. Der Mann bedient sich ihrer gegenüber der Frau, die Frau gegenüber dem Manne, der Vater gegenüber dem Sohne, der Freund gegenüber dem Freunde, ja sogar die Kinder gegenüber S. 113 ihrem Vater, Konnte doch zum Beispiel Sauls Tochter ihren Gatten nicht anders aus den Händen erretten als dadurch, daß sie ihren Vater überlistete , und ihr Bruder nahm, um den von der Gattin geretteten Freund aus einer neuen Gefahr zu befreien, die nämlichen Waffen der List zu Hilfe , deren diese sich bedient hatte. Aber, unterbrach mich Basilius, das alles passt ja nicht auf mich. Denn ich bin weder dein persönlicher noch dein politischer Gegner. Auch gehöre ich nicht zu denen, welche dir Unrecht zuzufügen suchen, sondern gerade im Gegenteil. Immer habe ich mich in allen meinen Entschlüssen nach deiner Meinung gerichtet und bin dir auf dem Wege gefolgt, den du mich gehen hießest.

KAPITEL IX

Mein wundersamer, treuester Freund (erwiderte ich), diesem Einwurf bin ich ja selbst bereits im voraus begegnet, indem ich erklärte, es sei gut, nicht nur im Kriege und gegenüber den persönlichen Feinden, sondern auch im Frieden und gegen die trautesten Freunde sich der List zu bedienen. Um dich belehren zu lassen, daß sie nicht bloß für die heilsam ist, welche sie in Anwendung bringen, sondern auch für die Überlisteten selbst, gehe zu einem der Ärzte hin und erkundige dich, auf welche Weise sie die Kranken von ihren Leiden befreien. Und du wirst von ihnen hören, daß sie sich nicht mit ihrer ärztlichen Kunst allein begnügen, sondern daß sie zuweilen auch zur List greifen und mit deren Hilfe dem Kranken tatsächlich wieder Genesung verschaffen. Wenn nämlich das störrische Wesen des Kranken und zugleich die Heftigkeit des Leidens selbst alle Anordnungen der Ärzte erfolglos macht, dann sind sie genötigt, S. 114 die Maske der Täuschung hervorzuholen, um, wie auf der Bühne, das, was wirklich geschieht, verbergen zu können. Wenn es dir genehm ist, so will ich dir von einem der vielen listigen Kunstgriffe erzählen, welche, wie ich gehört habe, die Ärzte in Anwendung bringen.

Es befiel einmal jemanden ein ungemein heftiges Fieber, die Hitze stieg immer mehr. Der Kranke wies alle Mittel zurück, welche das Feuer hätten löschen können; dagegen begehrte er dringend und anhaltend von allen bei ihm Eintretenden, ihm einen Becher ungemischten Weines zu reichen, damit er seine verderbliche Begierde befriedigen könnte. Wenn ihm jedoch jemand hierin willfährig gewesen wäre, dann hätte dies nicht bloß die Glut noch weiter anfachen, sondern den Unglücklichen sogar der Raserei nahe bringen müssen. Da nun in diesem Falle die Wissenschaft in Verlegenheit war, indem sie kein Mittel mehr zur Verfügung hatte, sich vielmehr vollständig ausgeschaltet sah, trat die List an ihre Stelle und erwies sich so wirksam, wie du sofort von mir hören wirst. Der Arzt nahm nämlich ein irdenes Gefäß, das erst kurz vorher aus dem Brennofen gekommen war, tauchte es in reichlich Wein, zog es dann wieder leer heraus, füllte es mit Wasser, befahl, das Gemach, in welchem der Kranke lag, mit vielen Vorhängen dunkel zu machen, damit nicht etwa das Licht die List verraten würde, und gab dem Kranken schließlich das Gefäß zum Austrinken, als wäre es gefüllt mit ungemischtem Wein. Dieser aber ließ sich, bevor er noch das ihm gereichte Getränk in die Hände nahm, von dem ausströmenden Duft ohne weiteres täuschen und dachte nicht einmal daran, es neugierig zu untersuchen, vielmehr durch den Geruch verführt, durch die Dunkelheit betört, von seiner Begierde hingerissen, schlürfte er den Trank hinunter mit heißem Verlangen. Kaum hatte er seine Gier gestillt, da schüttelte er alsbald das Fieber von sich und entging so der drohenden Gefahr. Siehst du nun den Nutzen ein, welchen die Täuschung im Gefolge hat? S. 115 Wollte jedoch jemand alle listigen Kunstgriffe der Ärzte aufzählen, seine Rede würde an Länge sich ins Unendliche verlieren.

Es ist aber leicht zu beobachten, wie nicht nur die Ärzte des Leibes, sondern auch die, welche sich um die geistigen Krankheiten zu sorgen haben, sich fortwährend dieses Heilmittels bedienen. Dadurch hat der selige Paulus viele Tausende unter den Juden gewonnen; in dieser Absicht hat er den Timotheus beschnitten, während er den Galatern schrieb, daß Christus denen gar nichts nütze, die sich beschneiden ließen. Deshalb unterwarf er sich dem Gesetze, obwohl er seit dem Glauben an Christus die aus dem Gesetze kommende Gerechtigkeit als einen Schaden erachtete. Die List ist also eine gewaltige Macht; nur darf sie nicht in boshafter Absicht zur Anwendung kommen; oder vielmehr, man sollte ein solches Verfahren gar nicht List nennen, sondern in gewissem Sinne Berechnung, Klugheit, Kunst , die geeignet ist, in mißlichen Lagen gar oft den richtigen Weg zu finden und Fehler der Seele zu bessern. So möchte ich nicht einmal den Phinees als Mörder bezeichnen, obwohl er mit einem Schlage zwei Menschen tötete, ebenso wenig den Elias wegen jener hundert Soldaten und ihrer Führer und wegen des anderen großen Blutvergießens, das er anrichtete, als er die Opferpriester der Dämonen hinschlachten ließ . S. 116 Wollten wir nämlich das Gegenteil zugeben und jede Tat für sich allein, losgelöst von der Absicht des Handelnden, beurteilen, dann könnte man auch den Abraham der Tötung seines Sohnes beschuldigen, sowie seinen Enkel und späteren Nachkommen verbrecherischer und arglistiger Handlungsweise zeihen. Auf solchem Wege bemächtigte sich der eine der Vorrechte der natürlichen Erstgeburt und brachte der andere den Reichtum der Ägypter in den Besitz des israelitischen Heeres . Aber so verhält es sich nicht, nein, keineswegs! Hinweg mit solch verwegenem Urteil! Nicht nur sprechen wir jene von Schuld frei, wir bewundern sie sogar wegen ihres Verhaltens. Hat doch auch Gott der Herr sie deshalb des Lobes für würdig erachtet. Denn nur derjenige verdient mit Recht ein Betrüger genannt zu werden, der die augenblickliche Lage in ungerechter Absicht ausnützt . Dagegen erweist es sich oftmals als notwendig, zu täuschen , um durch einen solchen Kunstgriff die größten Vorteile zu erlangen. Wer aber stets auf geradem Wege sein Ziel zu erreichen suchte, hat sicherlich schon denen großen Schaden zugefügt, die er zu überlisten unterließ.S. 117

2. Buch

KAPITEL I

Ich könnte mich allerdings noch eingehender darüber verbreiten, daß es erlaubt ist, sich der List als Mittel zu einem guten Zwecke zu bedienen, oder vielmehr, daß man eine solche Handlungsweise nicht einmal als Täuschung bezeichnen darf, sondern geradezu als bewundernswerte Berechnung. Doch das Gesagte dürfte jedenfalls zur Rechtfertigung genügen; auch müßte es ermüdend und lästig werden, die Ausführungen hierüber übermäßig in die Länge zu ziehen, Übrigens dürfte es nunmehr deine Aufgabe sein, nachzuweisen, daß ich nicht zu deinem Vorteil die fragliche List angewandt habe.

Basilius antwortete: Ja, was für ein Gewinn ist mir denn aus deinem Kunstgriff oder deiner Klugheit, oder wie du sonst dein Verhalten zu nennen beliebst, erwachsen, daß ich überzeugt sein sollte, von dir nicht hintergangen worden zu sein?

Wie könnte es denn, erwiderte ich, einen größeren Vorteil geben, als darin tätig zu erscheinen, was Christus selbst als Beweis der Liebe gegen ihn bezeichnet hat? Denn zum Apostelfürsten spricht er die Worte: “Petrus, liebst du mich?” Und als dieser bejahte, fügt der Herr hinzu: “Wenn du mich lieb hast, so weide meine Schafe”. Es fragt hier der Lehrer den Schüler, ob er von ihm geliebt werde, nicht um selber erst darüber belehrt zu werden. Wie sollte das möglich sein bei dem, der aller Herzen durchschaut? Die Frage geschah deshalb, um uns zu zeigen, wie sehr ihm die Leitung jener S. 118 Herden am Herzen lag. Wenn dies nun offenkundig ist, so ist es ebenso klar, daß ein großer, ja unaussprechlicher Lohn für denjenigen bereit liegt, der sich um das bemüht, was von Christus so hoch eingeschätzt wird. Denn wenn wir sehen, daß manche um unsere Knechte oder um unsere Viehherden besorgt sind, dann betrachten wir den Eifer, den sie hierfür verwenden, als ein Zeichen ihrer Liebe gegen uns, obwohl alle diese Güter um Geld zu erkaufen sind. Mit um wie viel reichlicherem Lohne wird nun derjenige den Hirten seiner Herde vergelten, der dieselbe nicht um Geld oder um einen anderen irdischen Preis, sondern mit seinem eigenen Tode erkauft und als tatsächlichen Preis für seine Herde sein Blut dahingegeben hat! Als daher der Jünger erwiderte: “Du weißt, o Herr, daß ich Dich liebe” und ihn selbst, den Geliebten, zum Zeugen seiner Liebe anrief, da blieb auch der Heiland nicht dabei stehen, sondern fügte noch selber einen Beweis seiner eigenen Liebe hinzu. Denn er wollte damals nicht zeigen, wie sehr Petrus ihn liebte, was ja schon aus vielen Tatsachen offenbar geworden war, sondern er beabsichtigte, dem Petrus und uns allen vorzuführen, wie innig er selbst seine Kirche liebe, damit auch wir mit allem Eifer in ihren Dienst treten.

Wozu hat Gott seinen eingeborenen Sohn nicht geschont, sondern ihn, den einen, den er hatte, dahingegeben? Um seine Feinde mit sich zu versöhnen und sich ein Volk zu schaffen, das ihm angehöre. Und warum hat er sein Blut vergossen? Um die Schafe zu erwerben, die er dem Petrus und seinen Nachfolgern S. 119 anvertraut hat. Recht und billig hat also Christus gesagt: “Wer ist der treue und kluge Knecht, den sein Herr über sein eigenes Haus zu setzen gedenkt?” Wieder klingt diese Frage wie das Wort eines Mannes, der sich in Verlegenheit befindet. Aber der sie vorlegte, hat es nicht aus Verlegenheit getan. Wie er vielmehr bei seiner Frage an Petrus, ob er von ihm geliebt würde, nicht deshalb fragte, weil er es nötig gehabt hätte, erst über die Liebe des Jüngers belehrt zu werden, sondern um uns das Übermaß der eigenen Liebe zu zeigen, so hat er auch jetzt, als er sprach: “Wer ist der treue und kluge Knecht?” nicht darum so gefragt, als ob er den treuen und klugen Knecht nicht gekannt hätte, sondern er wollte dartun, wie selten solche Treue und Klugheit und wie wichtig dieses Amt ist. Sieh doch auch, wie hoch der Lohn gilt: Über alle seine Güter wird er ihn setzen.

KAPITEL II

Willst du also noch mit mir streiten, als ob ich nicht in guter Absicht dich getäuscht hätte? Denn du sollst über alle Güter Gottes gesetzt werden und das nämliche Amt ausüben wie Petrus, von dem der Herr erklärte, er würde hierin sogar die übrigen Apostel zu übertreffen vermögen, Zu Petrus hat er gesagt: “Liebst du mich S. 120 mehr als diese? Weide meine Schafe!” Er hätte ja zu ihm sprechen können: Wenn du mich lieb hast, so übe das Fasten, schlafe auf dem bloßen Boden, halte strenge Nachtwachen, nimm dich an der Bedrängten, werde den Waisen ein Vater und vertritt die Stelle des Mannes bei ihrer Mutter. Nun läßt er das alles beiseite und was sagt er? “Weide meine Schafe!”

Denn die Aufgaben, die ich soeben aufzählte, wären auch viele der Untergebenen zu leisten unschwer imstande, nicht bloß Männer, sondern auch Frauen. Gilt es jedoch, Vorsteher einer Kirche und mit der Sorge für so viele Seelen betraut zu werden, da muß zunächst vor der Größe einer solchen Aufgabe das ganze weibliche Geschlecht zurücktreten, aber auch die Mehrzahl der Männer. Es sollen nur diejenigen hierzu ausgesucht werden, welche über alle anderen in hohem Maße hervorragen, die sie ebenso sehr oder eigentlich noch weit mehr an Seelenadel übertreffen als Saul das ganze hebräische Volk an Körpergröße. Denn hier ist nicht etwa bloß auf die Schulterhöhe zu schauen, sondern so groß der Unterschied zwischen den vernünftigen Menschen und den unvernünftigen Geschöpfen ist, ebenso hoch überrage der Hirte die ihm anvertraute Herde, um nicht noch mehr zu sagen. Handelt es sich doch hier um viel größere Güter. Der, welcher Schafe verloren hat, sei es, daß Wölfe sie zerfleischten, Räuber sie entführten, oder daß eine Seuche oder ein anderer Unfall sie traf, kann doch wahrscheinlich vom Besitzer der Herde Verzeihung erlangen; sollte aber Ersatz von ihm gefordert werden, dann besteht die Strafe höchstens in einer Geldentschädigung. Wem jedoch Menschen anvertraut sind, die vernunftbegabte Herde Christi, den trifft, wenn S. 121 ihm seine Schäflein zugrunde gehen, nicht eine Geldbuße, sondern er verliert zur Strafe seine eigene Seele.

Sodann ist der Kampf, den er zu führen hat, viel schlimmer und schwieriger. Er hat wohl nicht gegen Wölfe zu kämpfen und sich nicht vor Räubern zu fürchten; auch braucht er nicht darum besorgt zu sein, die Seuche von seiner Herde fernzuhalten. Aber gegen wen hat er Krieg zu führen? Mit wem muß er kämpfen? Höre darüber die Worte des seligen Paulus : “Wir haben nicht zu streiten wider Fleisch und Blut, sondern wider die Mächte und Gewalten, wider die Beherrscher der Finsternis dieser Zeit , wider die Geister der Bosheit in den Himmelshöhen,” Siehst du da die gewaltige Menge der Feinde und deren furchtbare Schlachtreihen, die nicht mit Eisen gepanzert, sondern statt jeglicher Waffenrüstung schon mit ihrer eigenen Natur genügend gewappnet sind? Willst du noch ein anderes Heer sehen, roh und wild, das dieser Herde nachstellt? Von derselben Warte wirst du es schauen. Denn der nämliche Apostel, welcher über jene Feinde sich ausgelassen hat, kennzeichnet auch diese, indem er ungefähr folgendermaßen sich vernehmen läßt: “Offenkundig sind die Werke des Fleisches, als da sind Hurerei, Ehebruch, Uneinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zänkereien, Parteiungen, Verleumdung, Ohrenbläserei, Aufgeblasenheit, Auflehnung und was dergleichen mehr ist.” Er hat nicht alle aufgezählt, sondern es uns überlassen, von den angegebenen auf die übrigen zu schließen.

Wir können die Beobachtung machen, daß bei einem Hirten unvernünftiger Tiere diejenigen, welche die Herde verderben wollen, falls sie den Hüter fliehen sehen, die Verfolgung desselben aufgeben und sich mit S. 122 dem Raube der Tiere begnügen. Hier aber lassen sie; vom Menschenhirten nicht ab, selbst wenn sie der ganzen Herde sich bemächtigt haben, sondern dringen um so heftiger auf ihn ein, werden nur noch viel kecker und ruhen nicht eher, als bis sie entweder jenen völlig niedergeworfen haben oder selber besiegt worden sind. Dazu kommt, daß man die Krankheiten bei den Tieren gar leicht erkennt, sei es Hunger oder eine Seuche oder eine Verwundung oder irgendein anderer Umstand, der Schmerzen verursacht, was wesentlich die Beseitigung der Übel ermöglicht. Es gibt noch ein anderes wirksameres Mittel, um solche Krankheiten der Tiere rasch zu vertreiben. Und zwar was für eines? Die Hirten haben nämlich vollkommene Gewalt, ihre Schafe zur Annahme der Heilmittel zu zwingen, wenn sie sich nicht willig fügen. Ohne Mühe kann man sie binden, falls es notwendig ist, sie zu brennen und zu schneiden; ferner kann man sie, wenn etwa das zuträglich sein sollte, lange Zeit im Stalle einschließen, ihnen immer wieder anderes Futter vorlegen und sie vom Wassertrinken fernhalten. Und mit großer Leichtigkeit können die Hirten auch alle anderen Mittel zur Anwendung bringen, die nach ihrer Erfahrung zur Gesundheit der Schafe dienlich sind.

KAPITEL III

Was hingegen die Krankheiten der Menschen betrifft, so ist es zunächst für den Menschen nicht leicht, sie zu erkennen. Denn niemand “weiß, was im Menschen ist außer der Geist des Menschen, der in ihm ist” . Wie sollte nun jemand eine Arznei gegen eine Krankheit anwenden können, deren Art er nicht kennt, ja da er oft nicht einmal zu sehen vermag, ob überhaupt eine Krankheit vorhanden ist? Ist aber eine solche wirklich offensichtlich, dann entsteht eine noch größere Schwierigkeit. Man vermag nämlich keinen Menschen unter Anwen- S. 123 dung solcher Gewalt zu heilen, wie der Hirte seine Schafe. Auch bei den Menschen tut es zwar ebenso not, zu binden, Nahrung zu entziehen, zu brennen und zu schneiden. Aber das Vermögen, sich diese Heilung gefallen zu lassen, liegt nicht bei dem, der das Heilmittel zuführen will, sondern bei dem Leidenden. Das hat auch jener bewunderungswürdige Mann gewusst, als er an die Korinther schrieb: “Nicht als ob wir Gebieter wären eures Glaubens, sondern wir sind Mithelfer eurer Freude”.

Am allerwenigsten ist es den Christen erlaubt, mit Gewalt die Fehler der Sünder bessern zu wollen. Allerdings die weltlichen Richter zeigen ihre volle Gewalt den Übeltätern gegenüber, sobald dieselben den Gesetzen verfallen sind, und hindern sie, auch wider ihren Willen, ihren bisherigen Lebenswandel weiterzuführen. Bei uns aber gilt es, einen solchen Menschen nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugung zu bessern. Denn einerseits ist uns schon von den Gesetzen keine solche Macht gegeben, daß wir den Sündern wehren könnten; anderseits, besäßen wir diese Gewalt, dann hätten wir keine Gelegenheit, sie zur Anwendung zu bringen, da Gott nicht diejenigen krönt, welche aus Zwang, sondern nur die, welche freiwillig der Sünde sich enthalten. Es bedarf deshalb großer Geschicklichkeit, daß die Kranken sich aus Überzeugung dahin bringen lassen, sich freiwillig dem Heilverfahren seitens der Priester zu unterwerfen, und nicht allein das, sondern daß sie ihnen auch Dank wissen für ihre Heilung. Denn wenn jemand gebunden worden ist und dennoch aufspringt — die Freiheit dazu besitzt er ja —, so macht er sein Übel noch schlimmer; wenn er den wie Eisen einschneidenden Worten kein Gehör schenkt, so bringt er sich durch solche Verachtung eine neue Wunde bei, und was die Heilung bewirken sollte, wird der Anlaß für eine noch S. 124 schlimmere Krankheit. Es gibt ja niemanden, der einen Kranken durch Zwang und wider seinen Willen heilen könnte.

KAPITEL IV

Was soll man also tun? Wenn man gegen denjenigen, der eines weitgehenden Schnittes bedarf, zu glimpflich verfährt und nicht so tief schneidet, als ihm eigentlich nottut, dann hat man wohl einen Teil der Wunde beseitigt, den anderen aber zurückgelassen. Nimmt man dagegen den notwendigen Schnitt ohne Schonung vor, dann gerät der Kranke wegen der Schmerzen oft in Verzweiflung, wirft auf einmal alles hinweg, Salbe und Verband, und stürzt sich ins offene Verderben, nachdem er den Zwang gebrochen und die Fessel zerrissen. Ich könnte viele nennen, die sich zu den äußersten Schlechtigkeiten hinreißen ließen, weil man ihnen eine ihren Vergehen entsprechende Strafe auferlegte. Denn man darf nicht ohne weiteres nach dem Maße der Fehltritte die Strafe verhängen, sondern man muß auch die Gesinnung der Sünder in Betracht ziehen; sonst würde man den Riß, wenn man das Zerrissene zusammennähen will, nur noch schlimmer machen und den Gefallenen, indem man ihn aufzurichten sucht, in einen noch tieferen Fall verwickeln. Die schwachen und oberflächlichen Naturen, die, meistens verstrickt in die irdischen Genüsse, sich dazu noch viel auf ihre Abstammung und ihre einflußreiche Stellung einbilden können, dürften wohl ganz im stillen und allmählich von der Gewohnheit zu sündigen abgezogen und, wenn nicht vollständig, so doch zum Teil von den Lastern, die sie beherrschen, befreit werden. Wenn man aber in der Anwendung des Zuchtmittels schroff vorgehen wollte, würde man auch eine geringere Besserung unmöglich machen. Denn ein Mensch, der nur einmal gezwungen worden ist, nicht schamrot zu werden, wird S. 125 ganz unempfindlich, schenkt fremden Worten fernerhin kein Gehör mehr, läßt sich weder durch Drohungen beugen noch durch Wohltaten lenken, sondern wird viel schlimmer als jene Stadt, zu welcher der Prophet mit tadelnden Worten gesprochen: “Du hast das Aussehen einer Hure bekommen, vor aller Augen hast du schamlos gehandelt” . Darum bedarf der Hirte tiefer Einsicht und tausend Augen, um von allen Seiten den Zustand der Seele durchschauen zu können. Gleichwie nämlich viele ganz verblendet werden und an ihrem eigenen Heile verzweifeln, weil sie bittere Arznei nicht zu ertragen vermögen, so gibt es wieder andere, welche, falls sie nicht die ihren Sünden entsprechende Busse auf sich zu nehmen brauchen, im Leichtsinn versinken, viel schlimmer werden und schließlich in immer größere Sünden hineingeraten. Es darf also der Priester keine dieser Maßnahmen ungeprüft lassen, sondern erst, nachdem er alles genau erforscht, muß er in der entsprechendsten Weise vorgehen, damit seine eifrige Bemühung nicht vergeblich geschehe.

Aber nicht dies allein, auch die Wiedervereinigung der von der Kirche losgerissenen Glieder verursacht ihm viele Arbeit, wie leicht ersichtlich ist. Der Schafhirt hat eine Herde, die ihm überallhin folgt, wohin er sie führt. Und wenn auch eines oder das andere der Schäflein vom richtigen Wege sich entfernt, die gute Weide verläßt und auf magerem und abschüssigem Boden grast, so genügt ein etwas lauterer Ruf, um sie wieder zusammenzutreiben und die getrennten zur gemeinsamen Herde zurückzuführen. Wenn jedoch ein Mensch sich vom rechten Glauben verirrt hat, dann bedarf der Hirte der Aufwendung großer Mühe, Beharrlichkeit und Geduld, Denn es geht nicht an, ihn mit Gewalt herüberzuziehen, auch nicht, ihn durch Furcht zu zwingen; vielmehr ist er durch die Kraft der Überzeugung wieder zur Wahrheit zurückzuführen, die er vorher verlassen hatte. Es ist also für den Priester eine heldenmütige Seele S. 126 nötig, auf daß er nicht verzage und nicht an dem Seelenheile der Verirrten verzweifle, vielmehr beständig jenes Wort bei sich erwäge und immerfort es sich vorsage, “daß einmal Gott ihnen Erkenntnis der Wahrheit gebe und sie von der Schlinge des Teufels befreit werden” . Darum hat der Herr auch zu den Jüngern gesprochen: “Wer ist der treue und kluge Knecht?” Denn wessen Christentum nur in seiner Person aufgeht, der beschränkt auch den Nutzen seiner Tätigkeit ausschließlich auf sich selbst; die segensreiche Arbeit des Hirtenamtes jedoch soll sich auf das gesamte Volk erstrecken. Wohl nützt auch der einigermaßen seinem Nebenmenschen, der Geld unter die Bedürftigen verteilt oder auf irgendeine andere Art den Notleidenden beisteht, aber um soviel weniger denn der Priester, als der Leib vor der Seele zurücksteht. Mit Recht hat also der Herr erklärt, daß die Sorge um seine Herden ein Zeichen sei seiner Liebe zu ihm selbst.

Du jedoch, unterbrach mich Basilius, liebst du Christus nicht?

Gewiss liebe ich ihn und ich werde nicht aufhören, ihn zu lieben; ich fürchte aber, ich möchte ihn, den ich liebe, erzürnen.

Wie könnte es, erwiderte er, ein dunkleres Rätsel geben als dieses? Christus hat geboten, daß derjenige, der ihn lieb habe, seine Schafe weiden solle; du jedoch erklärst, sie deswegen nicht weiden zu wollen, weil du den liebst, der diesen Befehl gegeben hat?

Ein Rätsel, entgegnete ich, enthalten meine Worte nicht, sondern sie sind überaus klar und einfach. Wenn ich zwar geeignet wäre, dieses Amt so, wie Christus es verlangte, zu verwalten, und würde ich mich demselben dennoch durch die Flucht entziehen, dann müßte allerdings meine Rede Bedenken erregen. Da aber die Schwachheit meines Geistes mich für ein so schwieriges Amt untauglich macht, wo enthalten da meine Worte S. 127 etwas, das einer genaueren Untersuchung bedürfte? Ich fürchte nämlich, ich möchte, wenn ich die Herde Christi blühend und wohlgediehen übernähme, sie infolge meiner Unerfahrenheit zugrunde richten und dadurch Gott, welcher sie so sehr geliebt, daß er sich selbst um ihres Seelenheiles und ihres Wertes willen geopfert hat, gegen mich erzürnen.

Das sagst du doch wohl nur im Scherz, wendete Basilius ein. Denn wenn du im Ernste so sprichst, so weiß ich nicht, wie du auf andere Weise besser hättest zeigen können, wie berechtigt mein Schmerz ist, als gerade durch die Worte, mit denen du meine Mutlosigkeit zu bannen dich bemühtest. Wohl wußte ich schon früher, daß ich von dir getäuscht und verraten wurde, jetzt aber, nachdem du die gegen dich erhobenen Vorwürfe von dir abzuwälzen suchtest, sehe ich noch viel mehr ein und bin mir vollkommen klar, in welches Unglück du mich gebracht hast. Wenn du dich nämlich aus dem Grunde einem so hohen Kirchenamte entzogest, weil du dir bewußt warst, daß dein Geist der Schwere dieser Aufgabe nicht gewachsen sei, dann hättest du in allererster Linie mich davon zurückhalten müssen, selbst falls ich große Neigung dazu gehabt hätte, abgesehen davon, daß ich die letzte Entscheidung in der ganzen Frage dir überlassen hatte. Nun hast du aber bloß auf deinen Vorteil geachtet, den meinigen außer acht gelassen. O, wenn du ihn doch nur wirklich übersehen hättest! Ich wäre damit zufrieden gewesen. Du hast es jedoch hinterlistig angezettelt, auf daß ich umso leichter denen, die mir nachstellen, in die Hände fallen würde. Du kannst nicht die Ausflucht gebrauchen, daß dich die Meinung der Leute getäuscht und dir die Überzeugung beigebracht habe, großes und Wunderbares von mir erwarten zu dürfen. Denn ich gehöre nicht zu denen, wel- S. 128 che bewundert werden und in besonderem Ansehen stehen, und selbst wenn dies der Fall wäre, dann hättest du die Meinung der Menge nicht höher schätzen sollen als die Wahrheit. Freilich, wenn ich dir niemals Gelegenheit gegeben hätte, mit mir vertrauten Umgang zu pflegen, so wäre mit einem gewissen Schein von Berechtigung ein vernünftiger Grund für dich vorgelegen, dein Urteil nach der Stimme der Menge zu richten. Wenn aber niemand um meine Angelegenheiten so genau Bescheid weiß wie du, ja du mein Inneres besser kennst als selbst meine Eltern und Erzieher, wie kannst du da noch glaubwürdige Worte finden, um jene, die davon hören, zu überzeugen, daß du mich nicht mit Vorbedacht in diese Gefahr gestürzt hast. Doch, lassen wir das jetzt! Ich will dich nicht nötigen, dich darob zu verteidigen. Sage mir vielmehr: Was sollen wir denen antworten, die uns Vorwürfe machen?

Ich jedoch, erwiderte ich, werde nicht eher auf deine Frage eingehen, als bis ich deine eigenen Beschwerden erledigt habe, auch wenn du selbst mich tausendmal von diesen Anklagen freizusprechen bereit bist. Du behauptetest nämlich, Unkenntnis würde mir Verzeihung erwirken und mich von jeder Beschuldigung frei machen unter der Voraussetzung, daß ich, ohne irgendwelche Kenntnis von deinen Angelegenheiten zu haben, dich in die gegenwärtige Lage gebracht hätte. Da ich dich aber in der Tat verraten hätte, nicht aus Unkenntnis, sondern mit vollem Einblick in deine Verhältnisse, so sei mir jeder vernünftige Vorwand und jede ehrliche Rechtfertigung abgeschnitten. Ich jedoch behaupte gerade das Gegenteil, Und warum dies? Weil für eine solche Sache gründliche Untersuchung notwendig ist und weil, wenn man einen zum Priestertum geeigneten Mann dazu befördern will, man sich nicht mit der Meinung der Menge zufrieden geben darf, sondern daneben ganz besonders auch seine Persönlichkeit und vor allem seine Eigenschaften geprüft haben muß. Denn obwohl der selige Paulus erklärt hat: “Er muß auch ein gutes Zeug- S. 129 nis haben von denen, die draußen sind”, so soll damit eine genaue und sorgfältige Untersuchung nicht ausgeschlossen werden. Auch will Paulus ein solches Zeugnis keineswegs der strengen Prüfung der zu Wählenden vorangestellt wissen. Denn erst nachdem er zuvor viele andere Bedingungen vorausgeschickt hat, fügt er schließlich noch diese hinzu, um anzudeuten, daß man bei so wichtigen Wahlen sich nicht mit ihr allein begnügen dürfe, wohl aber daß in Verbindung mit den übrigen Erfordernissen auch noch das Zeugnis [der Menge] beigebracht werden solle. Es kommt nämlich oft vor, daß die Stimme der großen Menge sich täuscht. Aber wenn eine genaue Prüfung vorangegangen ist, so ist von deren Meinung weiters keine Gefahr zu befürchten, Darum stellte der Apostel das Zeugnis von denen, die draußen sind, hinter die übrigen Erfordernisse. Denn er sagte nicht einfach: “Er muß ein gutes Zeugnis haben”, sondern er schaltete das Wörtchen “auch” ein, um anzudeuten, daß man, bevor man die Meinung der Draußenstehenden berücksichtige, zunächst die Persönlichkeit [des zu Wählenden] einer gründlichen Prüfung unterziehen müsse. Da ich nun dich und deine Eigenschaften besser kannte als deine Eltern, wie du selber zugestanden hast, so dürfte ich wohl mit Recht von jeder Schuld freizusprechen sein.

Gerade damit, entgegnete jener, würdest du nicht durchkommen, wenn jemand eine förmliche Anklage wider dich erheben wollte. Oder erinnerst du dich nicht, oft von mir gehört zu haben und auch durch Tatsachen selbst belehrt worden zu sein, wie geringwertig meine geistigen Fähigkeiten sind? Hast du nicht deshalb beständig über meinen Kleinmut gespottet, weil ich mich durch die alltäglichen Sorgen so leicht zu Boden werfen ließ? S. 130

KAPITEL V

Ich erwiderte: Ich erinnere mich zwar, derartige Worte häufig von dir gehört zu haben; ich kann es nicht leugnen. Habe ich einmal über dich gespöttelt, so habe ich das im Scherze und nicht im Ernste getan. Doch darüber will ich jetzt nicht streiten. Ich bitte vielmehr, es mit der gleichen Billigkeit von mir aufzunehmen, wenn ich die eine oder andere deiner guten Eigenschaften zu rühmen im Begriffe stehe. Denn wenn du versuchen solltest, mich der Lüge zu beschuldigen, so werde ich dich nicht schonen, sondern nachweisen, daß du mehr aus Bescheidenheit als um der Wahrheit willen so redest und werde mich zur Erhärtung der Richtigkeit meiner Aussage keiner anderen Zeugen als deiner eigenen Worte und Handlungen bedienen. Zunächst will ich dir nun die Frage vorlegen: weißt du, wie groß die Macht der Liebe ist? Christus übergeht alle Wunder, welche von den Aposteln gewirkt werden sollten und erklärt: “Daran werden die Menschen erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet”. Und Paulus sagt, “die Liebe sei des Gesetzes Erfüllung”; wenn sie fehle, so seien alle Gnadengaben ohne Nutzen. Dieses auserlesene Gut, dieses Kennzeichen der Jünger Christi, das höher zu werten ist als die Gnadengaben, habe ich wie eine edle Pflanzung in deinem Herzen entstehen und reichliche Frucht bringen sehen.

Daß mir die Liebe außerordentlich am Herzen liegt und daß ich mir die größte Mühe gebe, diesem Gebote gerecht zu werden, gestehe ich selbst zu, bemerkte Basilius. Daß ich es aber nicht einmal zur Hälfte erfüllt habe, wirst du selber bezeugen müssen, wenn du aufhörst, mir zu Gefallen zu reden und der Wahrheit die Ehre geben willst.

Wohlan denn, so will ich die Beweise antreten, antwortete ich. Womit ich gedroht habe, das werde ich jetzt ausführen, indem ich zeige, daß du lieber beschei- S. 131 den sein als die Wahrheit reden willst. Ich will einen Vorfall erzählen, der sich erst kürzlich zugetragen hat, damit niemand argwöhnen könne, ich würde alte Geschichten auffrischen, um durch die Länge der Zeit die Wahrheit zu verdunkeln, und es würde die Vergeßlichkeit nicht gestatten, dem genauer nachzuforschen, was ich [vermeintlich] dir zu Gefallen rede.

KAPITEL VI

Als nämlich einer unserer Freunde, des Hochmutes und Unverstandes verleumderisch beschuldigt, in die äußerste Bedrängnis geraten war, da stürztest du dich mitten in die Gefahren hinein, ohne daß jemand dich selbst angeklagt, ohne daß jener bedrängte Freund dich darum gebeten hätte. Das war eine deiner trefflichen Taten. Um dich aber auch aus deinen Worten zu überführen, will ich noch an das von dir dabei Gesprochene erinnern. Denn als die einen diesen deinen Eifer mißbilligten, die anderen aber lobten und bewunderten, da erwidertest du den Tadlern: Was hatte ich tun sollen? Ich weiß nicht anders zu lieben, als daß ich auch mein Leben aufs Spiel setze, wenn es gilt, einen Freund aus einer Gefahr zu retten. Zwar mit anderen Worten, aber in demselben Sinne sprachst du das Nämliche aus, was Christus seinen Jüngern verkündete, als er das letzte Ziel der vollkommenen Liebe erläuterte: “Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde”. Ist demnach keine größere Liebe zu finden als diese, dann hast du dieselbe in ihrem höchsten Ideal verwirklicht und hast sowohl durch Taten wie durch Worte ihren Gipfelpunkt erreicht. Darum also habe ich dich verraten, darum habe ich jene List angezettelt. Bist du nun überzeugt, daß ich nicht aus Böswilligkeit, nicht in der Absicht, dich in Gefahr zu stürzen, sondern in S. 132 dem bewußtsein, du würdest großen Segen stiften, dich in diese Laufbahn hineingedrängt habe?

Glaubst du denn, frug er mich dann, es genüge zur Besserung unserer Mitmenschen die Kraft der Liebe?

Allerdings, erwiderte ich, vermag sie außerordentlich viel dazu beizutragen. Wünschest du aber, daß ich auch von deiner Klugheit noch Beweise beibringe, so werde ich auch dazu mich bereit finden und zeigen, daß du noch größere Einsicht besitzest als Liebe.

Über diese Worte wurde er ganz rot vor Scham und bemerkte: Was mich persönlich betrifft, so lasse das alles beiseite; habe ich doch hierüber von Anfang an keine Rechenschaft von dir verlangt. Wenn du jedoch etwas Rechtes vorzubringen hast denen gegenüber, die uns ferne stehen, das möchte ich gerne vernehmen. Laß also diese Spiegelfechterei und sage mir, was wir auf die von anderer Seite erhobenen Einwände zu unserer Verteidigung geltend machen sollen, und zwar sowohl gegen die, welche uns eine so hohe Ehre erwiesen haben, als auch denen gegenüber, welche diese bedauern, als seien sie von uns verächtlich behandelt worden.

KAPITEL VII

Auch mich drängt es übrigens selbst, antwortete ich, nunmehr zu diesem Gegenstande überzugehen. Denn da ich meine Ausführungen, soweit sie dich persönlich betreffen, beendet habe, so werde ich mich mit Vergnügen diesem zweiten Teile der Verteidigung zuwenden. Was für eine Anklage bringt man denn vor? Welches sind die Beschuldigungen? Man erklärt, von uns ver- S. 133 ächtlich behandelt worden zu sein, man habe großes Unrecht erfahren, da wir die Ehre, die uns zugedacht gewesen, nicht angenommen hätten. Demgegenüber stelle ich zunächst die Behauptung auf, daß wir keine Rücksicht zu nehmen brauchen auf andere, die sich durch unser Verhalten verletzt fühlen, falls die etwa ihnen erwiesene Ehrerbietung uns nötigt, Gott zu mißfallen. Auch ist für sie selbst, welche darüber erbittert sind, ihre Entrüstung nicht ohne Gefahr, sie bringt ihnen sogar großen Schaden. Denn ich bin der Meinung, daß denjenigen, welche Gott angehören wollen und nur auf ihn ihren Blick richten, eine so gottergebene Gesinnung eigen sein müsse, daß sie das Geschehene überhaupt nicht für eine Beleidigung halten können, auch wenn sie tausendmal sich dadurch gekränkt fühlen sollten. daß mir nicht einmal in Gedanken so etwas eingefallen ist, geht aus folgendem deutlich hervor.

Wenn ich mich nämlich aus Hochmut und Ehrgeiz, dessen mich, wie du wiederholt versichertest, manche beschuldigen, hätte zu diesem Schritte verleiten lassen, dann gehörte ich in der Tat, um hierin meinen Anklägern beizustimmen , zu den ärgsten Frevlern, indem ich bewundernswerte und hochangesehene Männer, dazu noch meine Wohltäter, geringschätzend behandelt hätte. Wenn es schon strafwürdig ist, denen Unrecht zuzufügen, die uns nichts Böses getan haben, welch große Strafe verdiente es dann nicht, wenn man jenen, die aus eigenem Antriebe uns zu ehren beschlossen hatten, mit einem gegenteiligen Verhalten vergelten wollte! Denn niemand dürfte zu behaupten wagen, daß sie größere oder geringere Wohltaten von mir empfingen und dafür sich hätten erkenntlich zeigen wollen. Wenn ich mir so S. 134 etwas nicht einmal in Gedanken einfallen ließ, ich vielmehr aus einem ganz anderen Grunde mich der schweren Last entzogen habe, warum unterlassen sie es dann, mir zu verzeihen? Und wenn sie mein Vorgehen zwar auch nicht billigen mögen, warum jedoch klagen sie mich an, daß ich meines eigenen Lebens geschont hätte? Ich bin so weit entfernt, jene Männer verächtlich behandelt zu haben, daß ich vielmehr behaupten möchte, ich habe sie durch meine Weigerung sogar geehrt. Wundere dich nicht, wenn meine Worte widerspruchsvoll erscheinen. Ich werde diesen Widerspruch sofort zu lösen suchen.

KAPITEL VIII

In jenem Falle hätten, wenn nicht alle, so doch diejenigen, denen boshafte Reden zu führen ein Vergnügen ist, reichlich Gelegenheit gehabt, sowohl über mich, den Erwählten, als auch über die Wähler argwöhnische Gedanken zu fassen und sie auch auszusprechen, wie z. B. daß sie auf Reichtum schauen, daß sie sich blenden lassen würden durch den Glanz der Abkunft, oder daß sie durch meine Schmeicheleien bewogen mich zu diesem Amte berufen hätten. Ja, es ist nicht ausgeschlossen, daß der eine oder andere auf den Verdacht gekommen wäre — ich mag es gar nicht aussprechen —, sie seien sogar durch Geld bestochen worden. Noch ein anderer Einwand hätte erhoben werden können: Christus hat Fischer , Zeltmacher und Zöllner zu dieser Würde berufen; jene aber verschmähen alle, die sich von gewöhnlicher Arbeit ernähren. Wenn jedoch einer sich mit heidnischer Wissenschaft beschäftigt und ohne zu arbeiten dahinlebt, den heben sie auf den Schild, denS. 135 bewundern sie. Warum haben sie doch Männer, die unzählige Mal ihren Schweiß für die Interessen der Kirche vergossen, übergangen, dagegen einen, der solchen Anstrengungen sich niemals unterzogen, vielmehr seine ganze Jugend in der unnützen Beschäftigung mit weltlichen Wissenschaften vergeudet hat, auf einmal zu dieser Würde erhoben?

Solche und noch mehr derartige Einwände könnte man vorbringen, wenn ich dieses hohe Amt angenommen hätte. Jetzt aber kann man das nicht. Denn jeglicher Vorwand zu übler Nachrede ist ihnen abgeschnitten. Weder können sie mir Schmeichelei noch jenen Bestechlichkeit zum Vorwurfe machen, es müßte denn gerade sein, daß einer im Wahnsinne reden wollte. Wie möchte denn jemand Schmeicheleien und Geld aufwenden, um eine Würde zu erlangen, sie aber gerade in dem Augenblicke, da er ihrer wirklich teilhaftig werden sollte, anderen überlassen? Ein solches Vorgehen wäre gerade so, als wollte einer, nachdem er unter vieler Mühe das Erdreich bestellt hat, damit ihm das Feld von reichlicher Frucht strotze und seine Kelter von Wein überfließe, nach den unzähligen Schweißtropfen und dem großen Aufwand an Geld, wenn es zur Getreideernte und zur Weinlese kommt, den ganzen Früchteertrag anderen abtreten. Siehst du also, daß diejenigen, welche gerne Verleumdungen vorbringen, wenn ihre Worte auch weit von der Wahrheit entfernt wären, in meinem Falle doch einen Vorwand hätten zu der Beschuldigung, es sei die Wahl nicht nach richtiger Beurteilung aller zu berücksichtigenden Umstände getroffen worden? Ich aber habe ihnen jetzt nicht gestattet, den Mund aufzusperren, ja nicht einmal ein wenig ihn zu öffnen.

Diese Beschuldigungen und noch andere mehr hätten sie schon von allem Anfang an verbreitet. Hätte ich aber dann wirklich das Amt übernommen, so hätte ich mich gar nicht genug Tag für Tag meinen Anklägern gegenüber verteidigen können, selbst wenn ich auch S. 136 allen Verpflichtungen tadellos nachgekommen wäre; nicht zu reden davon, daß infolge meiner Unerfahrenheit und meines jugendlichen Alters viele Fehler unausbleiblich gewesen wären. Nun aber habe ich ihnen jeden Grund zu solcher Beschuldigung entzogen; andernfalls hätte ich ihnen tausendfachen Anlaß gegeben zu Schmähungen. Denn was hätte man nicht alles vorgebracht? — Unvernünftigen Knaben haben sie so außerordentliche und wichtige Geschäfte anvertraut! Die Herde Gottes haben sie geschädigt! Die christliche Sache ist zum Spielzeug und Gelächter geworden! “Jetzt jedoch wird alle Bosheit ihren Mund verstopfen”. Sollten sie auch wider dich solche Vorwürfe erheben, dann wirst du sie rasch durch deine Taten belehren, daß man die Einsicht nicht nach dem Alter beurteilen darf, daß man also einerseits einen Alten nicht schon wegen seiner grauen Haare als erprobt ansehen, anderseits nicht unbedingt jeden jungen Mann von einem solchen Amte ausschließen soll, sondern nur den Neubekehrten. Zwischen beiderlei Arten ist aber ein großer Unterschied.

3. Buch

KAPITEL I

Was demnach das hochmütige Verhalten jenen gegenüber betrifft, die mir diese Würde zugedacht hatten, daß ich ferner nicht in der Absicht, ihnen Schimpf anzutun, mich durch die Flucht ihr entzogen habe, darüber habe ich das zu sagen, was ich soeben vorbrachte. daß ich dabei überhaupt nicht von Hochmut aufgeblasen vorgegangen bin, auch das will ich jetzt, so gut ich es vermag, klarzulegen suchen. Hätte ich nämlich die Wahl, Feldherr oder König zu werden und würde ich dann die gleiche Gesinnung an den Tag legen , so könnte man mit Recht so etwas annehmen, oder vielmehr niemand würde mich des Hochmutes, sondern jedermann des Wahnsinns beschuldigen. Nun aber, da mir das Priestertum angeboten worden, welches ebenso sehr über die Königswürde erhaben ist als der Geist über das Fleisch, will man sich erdreisten, mich des Hochmutes zu zeihen? Wie sollte es nicht ungereimt sein, Männer, welche geringe Würden ablehnen, als verrückt hinzustellen, diejenigen dagegen, welche bei weit höher stehenden Ämtern das nämliche tun, mit der Anklage des Wahnsinns zu verschonen, jedoch mit Beschuldigungen des Hochmutes zu überhäufen! Das wäre geradeso, als ob man einen Menschen, der eine Rinderherde verachtet und es ablehnt, Rinderhirte zu werden, durchaus nicht für hochmütig, sondern für verrückt halten, und jenen, der sich weigert, die Herrschaft über die ganze Welt und den Oberbefehl über sämtliche Heere des Erdkreises anzunehmen, nicht für wahnsinnig, sondern für aufgeblasen erklären wollte. Aber so verhält es sich keineswegs, und diejenigen, welche derartige Behauptungen aufstellen, setzen weniger mich als sich selber ins Unrecht. Denn S. 138 schon der Gedanke allein, es sei überhaupt der Menschennatur möglich, jene Würde zu verachten, zeugt wider die Betreffenden selbst, die ihn ausgesprochen, als Beweis, welche Meinung sie eigentlich von der Sache haben. Würden sie das Priestertum nicht zu den gewöhnlichen Dingen rechnen, von denen nicht viel Aufsehen zu machen sei, dann wäre ihnen nie ein solcher Argwohn in den Sinn gekommen. Warum hat noch niemand betreffs der Engelswürde gewagt, Derartiges zu argwöhnen und zu behaupten, daß der menschliche Geist aus Stolz es nicht erstrebe , zur Würde der Engelsnatur zu gelangen? Machen wir uns doch gar hohe Vorstellungen von jenen Mächten und eben das hindert uns, zu glauben, es könnte ein Sterblicher etwas Größeres sich ausdenken als diese Würde. Deshalb könnte man mit weit stärkerem Rechte diejenigen des Stolzes beschuldigen, welche mir den genannten Vorwurf gemacht haben. Denn sie würden nimmermehr von anderen so etwas annehmen, wenn sie nicht selbst zuvor die ganze Sache als eine wertlose geringschätzig beurteilt hätten.

Falls sie aber behaupten, ich habe aus Ruhmsucht so gehandelt, dann geraten sie mit sich selbst in offenen Widerspruch und widerlegen sich selber. Denn ich weiß wirklich nicht, welch andere Gründe anstatt der vorgebrachten sie hätten ausfindig machen können, wenn sie mich gegen den Vorwurf der Ehrsucht hätten verteidigen wollen.

KAPITEL II

Hätte mich nämlich je einmal diese Sucht gepackt, dann hätte ich die mir zugedachte Würde viel eher annehmen als fliehen müssen. Warum? Es hätte mir ja reichlich Ehre eingebracht. Denn der Umstand, daß ich in so jugendlichem Alter und erst vor kurzem dem weltlichen Treiben entronnen, plötzlich in den Augen aller S. 139 so bewundernswert erschien, daß man mich Männern vorgezogen hat, die bereits ihre ganze Lebenszeit solch mühevollen Arbeiten gewidmet hatten, und daß ich mehr Stimmen erhalten habe als jene alle, würde jedermann eine außerordentlich hohe Meinung von mir beigebracht und mir selbst die Stellung eines bedeutenden und angesehenen Mannes verschafft haben. Jetzt aber kennt, abgesehen von wenigen, die Mehrzahl der Mitglieder der Kirche, mich nicht einmal dem Namen nach. Es ist also nicht allen bekannt, daß ich abgelehnt habe, sondern nur einigen wenigen, und auch diese wissen nicht sämtlich, wie ich glaube, um den Sachverhalt genauen Bescheid. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß unter ihnen viele der Meinung sind, ich sei entweder überhaupt nicht gewählt oder gleich nach der Wahl, weil man mich für ungeeignet hielt, wieder, fallen gelassen worden, nicht aber, daß ich freiwillig durch die Flucht mich entzogen habe.

KAPITEL III

Aber die, welche den wahren Sachverhalt kennen, werden sich wundern, wendete Basilius ein.

Doch gerade von diesen behauptetest du, daß sie mich der Ehrsucht und des Hochmutes bezichtigen würden. Von welcher Seite her kann ich nun auf Lob hoffen? Von der großen Menge? Aber die weiß ja gar nicht, wie die Sache sich eigentlich verhält. Von der Minderheit? Aber auch auf dieser Seite ist die Sache für mich ins Gegenteil verkehrt worden. Du bist ja aus keinem anderen Grunde jetzt hierher gekommen, als um zu erfahren, wie wir uns diesen letzteren gegenüber verteidigen sollen. Doch wozu soll ich um derentwillen die Sache so ausführlich besprechen? Auch wenn alle die Wahrheit wüßten, dann dürften sie mich keineswegs des Hochmutes oder der Ruhmsucht beschuldigen. Habe nur ein wenig Geduld, und du wirst es klar einsehen, S. 140 sowie außerdem noch das, daß nicht bloß denen, die zu solcher Verwegenheit den Mut haben — wenn anders es derartige Menschen gibt, ich kann es nämlich nicht recht glauben —, sondern auch jenen, die überhaupt betreffs anderer Argwohn hegen, keine geringe Gefahr droht.

KAPITEL IV

Was nämlich das Priestertum betrifft, so wird es zwar auf Erden verwaltet, nimmt jedoch den Rang himmlischer Einrichtungen ein. Und das ganz mit Recht. Denn kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel, keine andere geschaffene Macht, sondern der Paraklet selbst hat dieses Amt gestiftet und hat Menschen, die noch im Fleische leben, bevollmächtigt, den Dienst von Engeln zu verrichten. Darum muß der zum Priester Geweihte so rein sein, als ob er in den Himmeln selbst mitten unter jenen Engelsmächten stünde. Wohl flößten schon die Einrichtungen, die vor der Zeit der Gnade vorhanden waren, Furcht und Schauern ein, so die Schellen, die Granatäpfel, die Steine auf der Brust und an den Schultern, der Kopfputz, die Kopfbedeckung, das wallende Gewand, das goldene Stirnblatt, das Allerheiligste mit seiner auffallenden Stille. Prüft man aber das, was die Gnade gebracht hat, so wird man finden, daß alles, was ehemals furcht- und schauererregend war, nur gering einzuschätzen ist und daß das Wort über das Gesetz sich auch hier bewahrheitet: “Was in diesem Bereiche herrlich war, ist nicht mehr herrlich wegen des überstrahlenden Glanzes”. Denn wenn du siehst, wie der Herr geopfert daliegt und wie der Priester vor dem S. 141 Opfer steht und betet und wie alle mit jenem kostbaren Blute gerötet werden: glaubst du da noch, unter Menschen zu sein und auf Erden zu weilen? Fühlst du dich da nicht vielmehr gleich in den Himmel entrückt? Wirfst du nicht jeden fleischlichen Gedanken der Seele von dir und schaust die himmlischen Dinge mit lauterem Herzen und reinem Gemüt? O über den wunderbaren Anblick! O über die Menschenliebe Gottes! Der mit dem Vater in der Höhe thront, wird in jener Stunde von den Händen aller gefaßt . Und er gibt sich selbst denen dar, die ihn umfassen und umfangen wollen; das tun dann aber alle mit den Augen . Scheint dir nun das der Verachtung wert oder derartig zu sein, daß jemand sich stolz darüber erhaben fühlen könnte? Willst du noch aus einem anderen Wunder die überschwängliche Heiligkeit dieses ganzen Vorgangs ersehen? Stelle dir den Elias vor Augen! Eine zahlreiche Volksmenge umringt ihn, das Opfer liegt auf den Steinen, alle übrigen verharren in Ruhe und tiefem Schweigen, nur der Prophet allein betet. Da fällt plötzlich die Flamme vom Himmel auf das heilige Opfer hernieder. Das war wunderbar und erregte allgemeines Erstaunen. Wende dich nun von dort zu dem, was jetzt bei uns S. 142 vollzogen wird. Und du wirst nicht bloß Wunderbares erblicken, sondern etwas, das über alles Erstaunen weit hinausgeht. Denn hier steht der Priester da und zieht nicht Feuer, sondern den Heiligen Geist herab. Er verrichtet das lange Bittgebet , nicht daß eine Flamme vom Himmel sich entzünde und die daliegenden Gaben verzehre, sondern auf daß die Gnade auf das Opfer herabfalle, durch dasselbe die Seelen aller entflamme und sie in hellerem Glänze erstrahlen lasse als im Feuer geläutertes Silber. Wer sollte nun dieses schaudervolle Geheimnis hochmütig verachten können, er müßte denn ganz und gar verrückt und von Sinnen sein? Oder weißt du nicht, daß keine menschliche Seele diese Opferflamme jemals ertragen hätte, sondern daß alle vollständig vernichtet würden, wenn ihnen nicht Gott zu Hilfe käme mit seiner mächtigen Gnade?

KAPITEL V

Denn wenn jemand die außerordentliche Gunst beherzigt, daß ein Mensch, der noch aus Fleisch und Blut zusammengesetzt ist, jenem seligen und reinen Wesen so innig nahe kommen darf, dann wird er erst recht einsehen, welch hohen Ehrenamtes die Gnade des Geistes die Priester gewürdigt hat. Durch sie wird der Opferdienst vollbracht und noch andere Verrichtungen, die diesem in Nichts nachstehen, sowohl im Hinblick auf ihre eigene Würde wie auf unser Heil. Denn Männern, die auf Erden wohnen und hienieden ihrer Beschäftigung nach- S. 143 gehen, wurde die Verwaltung der himmlischen Schätze anvertraut und ihnen damit eine Machtfülle übertragen, welche Gott weder Engeln noch Erzengeln gegeben hat. Denn nicht zu letzteren ist gesagt worden: “Was ihr auf Erden bindet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr löset, soll gelöset sein”. Wohl haben auch die irdischen Gewalthaber die Macht, zu binden, aber nur über die Leiber. Das Band der Priester jedoch umschlingt selbst die Seele und reicht bis zu den Himmeln. Was die Priester hienieden auf Erden wirken, das macht wahr Gott oben im Himmel, und es bestätigt der Herr das Urteil seiner Knechte. Was anders hat er ihnen damit gegeben als alle Gewalt über den Himmel? “Denn welchen ihr”, so verkündet er doch, “die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen sie ihr behaltet, denen sind sie behalten”. Welche Vollmacht könnte größer sein als diese? Das ganze Gericht hat der Vater dem Sohne übergeben; dasselbe ist nun, wie ich sehe, vollständig vom Sohne den Priestern übertragen worden. Als wären sie schon in den Himmel versetzt, als hätten sie die menschliche Natur abgelegt, als wären sie unserer Leidenschaften ledig, so hoch, zu solcher Würde wurden sie erhoben. Würde ein König einem seiner Untertanen ein derartiges Vorrecht verleihen, daß er ins Gefängnis werfen und auch wieder daraus frei lassen könnte, welche er wollte, ein solcher Mann würde von jedermann beneidet und angestaunt werden. Wer aber von Gott eine Vollmacht erhalten hat, die um so höher zu schätzen ist als der Himmel wertvoller denn die Erde, und die Seele denn der Leib, dem sollte nach der Meinung gewisser Leute eine so unbedeutende Ehrenstellung zuteil geworden sein, daß sie auch nur besorgen könnten, es vermöchte einer der damit Betrauten dieses Geschenk gering zu schätzen? Hinweg mit solchem Wahnsinn! Das ist doch augenscheinlich Wahnsinn, ein so hoch stehendes Amt zu verachten, ohne welches wir weder des Heiles noch der verheißenen Güter teilhaftig S. 144 werden können . Denn wenn niemand ins Himmelreich eingehen kann, er sei denn wiedergeboren aus dem Wasser und dem Geiste , und wenn derjenige ausgeschlossen ist vom ewigen Leben, der das Fleisch des Herrn nicht ißt und sein Blut nicht trinkt, und wenn dies alles durch niemand anders vollbracht wird als durch jene heiligen Hände — ich meine die Hände des Priesters —, wie wird dann ohne dieselben jemand dem Feuer der Hölle entrinnen oder die hinterlegten Kronen erlangen können?

KAPITEL VI

Sind es doch die Priester, denen die geistigen Wehen anvertraut sind und denen es anheimgegeben worden, vermittelst der Taufe uns zu einem neuen Leben zu zeugen; durch sie ziehen wir Christus an , werden mit dem Sohne Gottes verbunden und werden Glieder jenes seligen Hauptes. Deshalb ist es billig, daß wir die Priester mehr fürchten als weltliche Herrscher und Könige und daß sie uns ehrwürdiger erscheinen als unsere Väter. Denn diese haben uns aus Blut und nach dem Willen des Fleisches erzeugt , jene sind die Ursache unserer Geburt aus Gott, der seligen Wiedergeburt, der wahrhaftigen Freiheit und der Gnadenkindschaft.

Die jüdischen Priester hatten die Vollmacht, vom leiblichen Aussatz zu reinigen, oder vielmehr, keineswegs zu reinigen, sondern die Gereinigten nur für rein S. 145 zu erklären . Und du weißt, wie sehr begehrt damals das Amt der Priester war. Unsere Priester hingegen erhielten die Macht, nicht einen aussätzigen Leib, sondern eine unreine Seele, nicht für rein zu erklären, sondern vollständig zu reinigen . Darum sind diejenigen, welche die Priester verachten, viel schuldbeladener als Dathan und seine Rotte und verdienen eine härtere Strafe. Denn letztere erhoben Anspruch auf ein Amt, das ihnen nicht zukam. Aber sie hatten doch eine außerordentlich hohe Meinung von demselben, was sie durch den großen Eifer bewiesen, mit dem sie darnach strebten. Jetzt hingegen, nachdem unser Priestertum eine so weitgehende Bereicherung und eine solch gewaltige Vervollkommnung erfahren hat, hat man sich erdreistet, im Gegensatze zu jenen noch viel Schlimmeres zu tun. Es bedeutet nämlich nicht den gleichen Grad von Verachtung, ob man eine Ehrenstelle anstrebt, die einem nicht zukommt, oder ob man sie gering schätzt . Vielmehr ist letzteres Verhalten um ebenso viel schlimmer denn jenes, als zwischen Verachten und Bewundern ein Unterschied zu machen ist. Welche Seele könnte nur so erbärmlich sein, daß sie auf so erhabene Güter geringschätzend herabsieht? Ich möchte behaupten, keine; es müßte denn sein, daß sie den Stachel des Teufels in sich fühlt.

Ich will jedoch wieder zurückkehren, von wo ich ausgegangen bin. Nicht nur in bezug auf das Strafen, auch in bezug auf das Wohltun hat Gott den Priestern größere Macht gegeben als den leiblichen Eltern. Zwischen beiden ist ein so großer Unterschied wie zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben. Die einen zeugen nämlich für dieses, die anderen für jenes Dasein. Und während jene von ihren Kindern nicht einmal den leiblichen Tod abzuwehren noch eine Krankheit, die sie befallen hat, zu bannen vermögen, haben diese S. 146 schon oft Not leidende und dem Untergange nahe Seelen gerettet, indem sie die einen gelinde straften, die anderen von vornherein vor dem Falle bewahrten, und dies nicht bloß durch Belehrung und Ermahnung, sondern auch mit Hilfe des Gebetes. Denn nicht nur, wenn sie unsere Wiedergeburt bewirken , sondern auch noch nach derselben haben sie die Vollmacht, unsere Sünden zu vergeben, “Ist jemand krank unter euch”, heißt es, “so rufe er die Presbyter der Kirche, und sie sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen, und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm nachgelassen werden” . Sodann sind die leiblichen Eltern nicht imstande, ihren Kindern zu helfen, wenn dieselben sich gegen irgendeinen Hochgestellten oder Machthaber vergangen haben. Die Priester aber haben gar oft nicht Herrscher und nicht Könige, sondern selbst den erzürnten Gott versöhnt.

Sollte darnach noch jemand wagen, mich des Hochmuts zu zeihen? Ich glaube nämlich, infolge meiner Ausführungen müssen die Gemüter aller, welche sie vernommen, von so großer Scheu erfasst werden, daß sie nicht mehr diejenigen, welche sich diesem Ehrenamte durch die Flucht entziehen, sondern vielmehr jene, die aus eigenem Antriebe sich an dasselbe heranmachen und sich in seinen Besitz zu setzen trachten, des Hochmuts und der Verwegenheit beschuldigen. Denn wenn schon Männer, denen die Verwaltung der Staaten anvertraut worden, falls sie sich nicht verständig und überaus energisch erwiesen, die betreffenden Staaten zugrunde richteten und sich selbst ins Verderben stürzten, welcher Kraft, sowohl eigener wie göttlicher, dünkt dir dann derjenige zu bedürfen, der die Aufgabe übernommen, die Braut Christi zu behüten, ohne Fehler dabei zu begehen? S. 147

KAPITEL VII

Niemand hat Christus inniger geliebt als Paulus; niemand hat größeren Eifer bewiesen als er; niemand ist reicherer Gnade gewürdigt worden. Aber trotz solch erhabener Vorzüge zagt und zittert er noch in Anbetracht dieses Amtes und der ihm untergebenen Personen. “Denn ich fürchte”, sagt er, “daß, wie die Schlange Eva verführt hat , so auch eure Gemüter verderbt und der Einfalt, die in Christus ist, entfremdet werden”. Und hinwiederum: “In Furcht und mit vielem Zittern bin ich bei euch gewesen”. So spricht ein Mann, der bis in den dritten Himmel entrückt und in unaussprechliche göttliche Geheimnisse eingeweiht war, der so viele Todesnöten erduldete, als er, gläubig geworden, Tage erlebte, ein Mann, der nicht einmal von der ihm von Christus verliehenen Vollmacht Gebrauch machen wollte, damit keiner der Gläubigen Ärgernis nehme.

Wenn nun derjenige, der mehr tat, als wozu die Gebote Gottes verpflichteten, der nirgends seinen eigenen Vorteil, sondern den seiner Untergebenen suchte, im Hinblick auf die Erhabenheit seines Amtes immer so sehr von Furcht erfüllt war, wie wird es da uns ergehen, die wir gar oft nur auf unseren Vorteil bedacht sind, die wir uns nicht nur nicht über die Gebote Gottes hinaussetzen, sondern dieselben zum großen Teil sogar übertreten? “Wer ist schwach”, sagt er, “und ich bin nicht schwach? Wer wird geärgert, und ich brenne nicht?” So muß der Priester beschaffen sein, oder vielmehr nicht nur so; denn das ist wenig, ja gar nichts im Vergleich zu dem,S. 148 was ich im Begriffe bin, hervorzuheben. Was ist nun das? “Ich wünschte”, erklärte er, “im Banne zu sein von Christus weg um meiner Brüder willen, die meine Verwandten sind dem Fleische nach”. Wenn jemand imstande ist, eine solche Sprache zu führen, wenn jemand eine Seele besitzt, die sich zu einem derartigen Wunsche aufzuschwingen vermag, der verdiente mit Recht einen Vorwurf, wenn er sich durch die Flucht entziehen wollte. Steht aber einer vor dieser Seelengröße soweit zurück wie ich, dann ist es berechtigt, ihn zu verabscheuen, nicht wenn er das Amt flieht, sondern wenn er es annimmt. Dergleichen auch, wenn es sich darum handelte, für den Kriegsdienst eine würdige Wahl zu treffen, und es würden die zur Übertragung dieses Ehrenamtes Berechtigten einen Schmied oder Schuster oder irgendeinen anderen derartigen Handwerker auf den Schild erheben, um ihn an die Spitze des Heeres zu stellen, dann würde ich einen solch Bedauernswerten wahrhaftig nicht loben, wenn er nicht die Flucht ergriffe und nicht alles täte, um sich nicht ins offene Unglück zu stürzen.

Ja, wenn es genügen würde, einfach Hirte zu heißen und das Amt, so wie es sich gerade trifft, zu verwalten, ohne dabei Gefahr zu laufen, so könnte jeder, der wollte, mich der Ehrsucht beschuldigen. Wenn aber derjenige, der diese sorgenvolle Aufgabe auf sich nimmt, eine hohe Einsicht, eine noch reichlichere Gnade von Gott, einen aufrechten Charakter, einen reinen Lebenswandel, eine mehr als menschliche Tüchtigkeit besitzen muß, dann wirst du mir wohl die Verzeihung nicht vorenthalten, da ich mich doch nicht ohne weiteres und leichtfertig ins Verderben stürzen will. Denn erteilte mir jemand den Auftrag, ich sollte ein riesiges Lastschiff, bemannt mit zahlreichen Ruderknechten und voll belastet mit kostbarer Fracht, am Steuer sitzend, über das Ägäische oder Tyrrhenische Meer lenken, dann würde ich mich schon beim ersten Worte davonmachen, und wenn mich jemand fragte: warum? so würde ich antworten: Um nicht den Untergang des Schiffes zu verschulden. Da nun, wo es S. 149 sich nur um den Verlust zeitlicher Güter handelt und höchstens die Gefahr des leiblichen Todes droht, macht niemand denen einen Vorwurf, die große Vorsicht gebrauchen; wo aber den Schiffbrüchigen in Aussicht steht, nicht in das irdische Meer, sondern in den feurigen Abgrund zu sinken, und wo sie nicht der Tod erwartet, welcher die Seele von dem Leibe trennt, sondern der die Seele mit dem Leibe ewiger Strafe überliefert, da wollt ihr mir zürnen und mich verabscheuen, weil ich mich nicht unbedachtsam in solches Unheil gestürzt habe?

KAPITEL VIII

Nein, keineswegs, ich bitte und flehe inständigst. Ich kenne meine Seele, ich weiß, wie schwach und kleinmütig sie ist. Ich kenne die Erhabenheit jenes Amtes und die ungeheuere Schwierigkeit, es zu verwalten. Denn mehr noch als der Winde, die das Meer aufwühlen, sind die Wogen, welche die Seele des Priesters beunruhigen.

KAPITEL IX

In erster Linie ist zu nennen als die gefährlichste von allen die Klippe der Ehrsucht, verderbenbringender als die Klippen, von denen die Sagendichter zu fabulieren wissen. Viele haben allerdings die Kraft besessen, an dieser Klippe glücklich vorbeizuschiffen und unversehrt zu entrinnen; für mich aber ist die Ehrsucht etwas so Gefährliches, daß nicht einmal jetzt, wo doch nicht die geringste Notwendigkeit mich jenem Abgrunde zutreibt, ich mich von dieser unseligen Leidenschaft rein zu halten vermag. Wenn man nun mir gar dieses hohe Amt anvertrauen würde, so bedeutete das ungefähr ebensoviel, als man bände mir beide Hände auf den Rücken und lieferte mich den auf jener Klippe hausenden wilden Tieren aus, um mich täglich von ihnen zerfleischen zu lassen. Was sind das jedoch für Tiere? S. 150

Zorn, Mutlosigkeit, Neid, Zank, Verleumdungen und andere Beschuldigungen, Lüge, Heuchelei, hinterlistige Nachstellungen, Verwünschungen gegen Menschen, die uns gar kein Unrecht zugefügt haben, Schadenfreude über das ungebührliche Benehmen der Mitpriester, Trauer über glückliche Tage des Nebenmenschen, Ruhmbegierde, Ehrsucht — und diese ist es, die vor allem die menschliche Seele sich direkt ins Verderben stürzen läßt —, Unterweisungen, die bloß gerichtet sind auf irdisches Vergnügen, sklavische Schmeicheleien, unwürdige Lobhudeleien, Verachtung der Armen, Wohldienerei gegen die Reichen, unvernünftige Ehrenbezeigungen und schädliche Gunsterweisungen, die in gleicher Weise Gefahr bringen sowohl ihren Urhebern wie ihren Empfängern, knechtische Furcht, wie sie nur den gemeinsten Sklaven eignet, Unterdrückung der Freimütigkeit, auffallend außerer Schein von Demut, die in Wirklichkeit nirgends vorhanden ist. Gänzlich unterläßt man es einzuschreiten und zurechtzuweisen, oder vielmehr man wendet dergleichen nur gegen die niedrigen Volksklassen an, und zwar über das gerechte Maß hinaus, während man denen gegenüber, die mit Macht bekleidet sind, nicht einmal die Lippen zu öffnen wagt. Alle diese Tiere, ja noch mehr der Art nährt jene Klippe, und wer einmal in ihre Klauen geraten ist, der wird unfehlbar in solche Knechtschaft hinabgezogen, daß er sogar den Frauen zu gefallen oftmals vieles tut, was sich nicht einmal schickt, genannt zu werden. Zwar hat das göttliche Gesetz die Frauen von dem Kirchendienst ausgeschlossen , aber sie suchen sich gewaltsam einzudrängen, und da sie von sich selbst aus nichts auszurichten vermögen, so setzen sie alles durch andere ins Werk. Ja sie besitzen eine solche Macht, daß sie nach eigenem Gutdünken Priester aufnehmen und absetzen, so daß das Obere nach unten gekehrt wird und deutlich sich hier das Sprichwort bewahrheitet: Die Untergebenen führen ihre Gebieter. Und wenn doch es noch Männer wären! Aber Weiber sind S. 151 es, denen es nicht einmal gestattet ist, zu lehren . Was sage ich, zu lehren? Nicht einmal zu reden in der Versammlung, hat ihnen der selige Paulus erlaubt. Ich habe jedoch jemanden erzählen hören, man habe den Frauen eine solche Redefreiheit gewährt, daß sie den Kirchenvorstehern gar mit Vorwürfen begegnen und sie heftiger anlassen als die Herren ihre eigenen Sklaven.

KAPITEL X

Es möge aber niemand glauben, daß ich alle Priester mit den genannten Beschuldigungen belasten will. Denn es gibt deren, ja es gibt deren viele, die diesen Netzen glücklich entronnen sind; es sind ihrer sogar mehr als solche, die sich haben verstricken lassen. Noch weniger möchte ich dem Priestertume selbst die Schuld für diese Übel beimessen. Niemals werde ich so wahnsinnig sein. Denn alle verständigen Menschen betrachten diejenigen, welche die von Gott verliehenen Gaben nicht zu dem richtigen Zwecke gebrauchen, als die Schuldigen und bestrafen sie, niemand jedoch macht das Eisen verantwortlich für die vorkommenden Mordtaten oder den Wein für die Trunkenheit, niemand die Stärke für die Gewalttat oder die Tapferkeit für die unvernünftige Tollkühnheit. Vielmehr kann umgekehrt das Priestertum mit Recht gegen uns Klage erheben, wenn wir es nicht richtig verwalten. Denn nicht das Priestertum selbst ist schuld an den von mir genannten Übeln, sondern wir beschmutzen es, soweit es auf uns ankommt, mit solchen Flecken, indem wir es den ersten besten Personen anvertrauen. Diese nehmen gar bereitwillig das angebotene Amt an, ohne vorher ihre eigene Seele kennen gelernt und die schwere Last des Amtes beachtet zu haben. Wenn sie aber zu einer praktischen Tätigkeit kommen sollen, tappen sie in der Finsternis ihrer Unerfahrenheit herum und richten unter den ihnen anvertrauten Gläubigen unsagbares Unheil an. S. 152

Eben das Nämliche wäre beinahe auch bei mir zugetroffen, wenn nicht Gott, um seine Kirche und um meine Seele zu schonen, mich schnell aus jenen Gefahren errettet hätte. Oder woher, sage mir, entstehen denn nach deiner Meinung so große Unordnungen in den Kirchengemeinden? Ich wenigstens bin der Überzeugung, aus keiner anderen Ursache als aus der Art und Weise, wie man die Wahl der Vorsteher vornimmt und daß man die Auswahl aufs Geratewohl vor sich gehen läßt und wie es sich zufällig trifft. Denn das Haupt muß vor allem kräftig sein, damit es die aus dem übrigen Körper von unten her aufsteigenden schädlichen Dünste richtig zu verteilen und sie in das gehörige Geleise zu leiten vermag. Ist aber das Haupt selbst voll Schwäche und nicht imstande, jene ungesunden Dünste abzustoßen, dann wird es selber noch weit schwächer, als es an und für sich schon ist und zieht auch den übrigen Körper mit sich ins Verderben. Damit das nicht auch bei mir zutreffe, hat Gott mich in der Rolle eines Fußes festgehalten, wie ich sie bisher inne gehabt habe.

Denn, mein lieber Basilius, außer den genannten Eigenschaften sind dem Kirchenvorsteher noch viele andere nötig, die ich aber nicht besitze. So vor allem folgende: Vollständig muß er seine Seele von der Begierde nach dem Kirchenamte frei halten. Wenn er von allzu großem Verlangen nach dieser Würde sich fesseln läßt, so schürt er, sobald er in ihren Besitz gelangt ist, die Flamme nur noch stärker, und mit aller Macht hingerissen nimmt er, um sich in seiner Stellung zu befestigen, unzählige Gefährlichkeiten auf sich, sei es, daß er gezwungen ist, zu schmeicheln oder eine ehrlose und unwürdige Handlung zuzulassen oder viele Geldmittel aufzuwenden. Denn daß manche, um sich diese Würde zu erringen, sogar Kirchen mit Mord erfüllten und Städte verwüsteten, will ich jetzt übergehen, um nicht bei dem einen oder dem anderen den Anschein zu erwecken, als rede ich unglaubliche Dinge. Man sollte nach meinem Dafürhalten eine solche Scheu vor dieser S. 153 hohen Stellung haben, daß man zunächst vor der schweren Bürde die Flucht ergreift. Wenn man sie jedoch übernommen hat, soll man nicht auf das Urteil anderer warten, falls es dazu kommen sollte, daß ein Vergehen Absetzung erheischte, sondern zuvorkommend von selbst das Amt aufgeben. Denn dann könnte man voraussichtlich wenigstens von Gott Verzeihung erlangen. Hält man aber in ungebührlicher Weise an der Würde fest, so heißt das, sich jeder Nachsicht berauben und den Zorn Gottes umso heftiger anfachen, indem man ein zweites, noch schlimmeres Vergehen hinzufügt.

KAPITEL XI

Aber das wird wohl niemand sich beikommen lassen. Ist es doch gefährlich, in Wahrheit gefährlich, nach dieser Würde zu streben. Nicht im Widerspruch mit dem seligen Paulus behaupte ich das, sondern vollständig in Übereinstimmung mit seinen Worten. Wie spricht er sich darüber aus? “Wenn jemand das Bischofsamt zu erlangen trachtet, der begehrt ein gutes Werk” . Ich aber sagte nicht, es sei gefährlich, das Werk an sich zu erstreben, sondern Ansehen und Macht zu begehren. Und dieses Verlangen, meine ich, muß man mit allem Eifer aus der Seele bannen und überhaupt von Anfang an gar nicht dulden, daß es von uns Besitz ergreife, damit wir alles mit Freiheit zu tun vermögen. Denn wer nicht darnach begehrt, im Besitze dieser Macht öffentlich sich zu zeigen, fürchtet auch die Absetzung nicht. Und wenn er diese nicht fürchtet, vermag er überall mit der den Christen geziemenden Freiheit zu handeln. Allerdings diejenigen, die zagen und zittern bei dem Gedanken, sie möchten ihres Amtes entsetzt werden, sind einer bitteren Knechtschaft verfallen, die zahlreiche Übel im Gefolge hat und werden oft genötigt, bei Gott und den Menschen anzustoßen. So darf aber unsere Seele nicht gesinnt sein, sondern wie wir im Kriege bei den Tapferen unter den Soldaten wahrnehmen können, daß sie sowohl mutig S. 154 zu kämpfen als auch mannhaft zu sterben wissen, so sollen auch die, welche zu diesem Amte gelangt sind, es zu verwalten und auch wieder niederzulegen bereit sein, wie es sich für christliche Männer geziemt, indem sie überzeugt sein dürfen, daß eine solche Abdankung eine nicht geringere Krone einträgt als die Ausübung des Amtes selbst. Denn falls jemand dafür, daß er nichts Unziemliches und nichts der Würde des Amtes Unwürdiges duldet , abgesetzt wird, so bringt dieses Vorgehen denen, die ihn ungerechter Weise entfernt haben, Strafe, ihm selbst aber umso größeren Lohn . heißt es doch: “Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Böse fälschlich wider euch reden um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel” . So muß sich derjenige verhalten, der von seinen Amtsbrüdern, sei es aus Neid oder um den übrigen zu gefallen, sei es aus Haß oder aus einem anderen ungerechten Beweggrunde aus dem Amte gedrängt wird. Sollte ihm aber diese Unbill von seinen Feinden widerfahren, so bedarf es meines Erachtens keines einzigen Wortes, um erst den großen Gewinn zu zeigen, den jene ihm durch ihre eigene Bosheit verschaffen.

Es ist also nötig, allseitig Umschau zu halten und genau zu erforschen, ob nicht etwa irgendwo ein Funke jener Begierde in uns verborgen glimme, Denn es ist zu wünschen , daß auch diejenigen, welche sich von Anfang an von jener Leidenschaft frei zu halten wußten, ihr auch zu entgehen vermögen, wenn ihnen die hohe Würde übertragen worden ist. Sollte aber jemand schon, S. 155 bevor er diese Ehrenstelle erlangte, das genannte gefährliche und wilde Tier in sich nähren, dann ist gar nicht zu sagen, in welchen Glutofen er sich hineinstürzen wird, sobald er sein Ziel erreicht hat. Ich nun (doch glaube ja nicht, daß ich etwa aus Bescheidenheit dich anzulügen beabsichtige) besitze die genannte Leidenschaft in hohem Maße. Neben anderen Gründen hat auch dieser Umstand nicht minder mich in Furcht versetzt und mich zu meiner Flucht veranlaßt. Denn wie diejenigen, welche körperliche Schönheit lieben, solange es ihnen möglich ist, den geliebten Personen nahe zu sein, eine um so heftigere Qual ob ihrer Leidenschaft auszustehen haben, aber von der Narrheit sich losmachen, wenn sie von dem Gegenstande der Sehnsucht sich möglichst weit entfernen, so verhält es sich auch bei denen, welche nach einer kirchlichen Würde streben. Solange sie sich deren Erlangung nahe glauben, wird ihr Begehren zu einem unerträglichen Übel. Sobald sie jedoch alle Hoffnung aufgegeben haben, ersticken sie zugleich mit der Erwartung auch die Begierde darnach.

KAPITEL XII

Das ist nun e i n Grund und kein geringer. Aber selbst wenn er auch der einzige wäre, es genügte, mich von dieser Würde auszuschließen. Nun kommt noch ein zweiter hinzu, der nicht minder wichtig ist. Was ist das für einer? Der Priester muß besonnen und scharfsinnig sein. Er soll nach allen Seiten tausend Augen besitzen, da er nicht bloß für sich allein, sondern für eine so große Volksmenge zu leben hat. Daß ich hingegen gleichgültig und nachlässig bin und kaum der Sorge für mein eigenes Heil zu genügen vermag, das mußt auch du selbst zugestehen, obwohl du wegen deiner Freundschaft zu mir am meisten unter allen meine Schwächen zu verbergen dich bemühst. Sprich mir hier nicht vom Fasten, vom Wachen, vom Schlafen auf bloßem Boden und den übrigen körperlichen Abhärtun-S. 156 gen. Denn du weißt ja, wie sehr ich mich von all diesem ferngehalten habe. Und selbst wenn ich es hierin bis zur Vollkommenheit gebracht hätte, so vermöchte mir das wegen meiner sonstigen geistigen Trägheit zur Führung des Vorsteheramtes nichts zu nützen. Einem Manne freilich, der sich in sein Kämmerlein verschließt und nur um seine eigenen Angelegenheiten sich kümmert, können jene körperlichen Übungen reichen Nutzen bringen; wer aber für eine so große Menge sich zerteilen muß und für jeden seiner Untergebenen besondere Sorgen auf sich genommen hat, wie könnte der zu deren Gedeihen ansehnliche Erfolge erzielen, wenn nicht seine eigene Seele mit voller Spannkraft und außerordentlicher Stärke ausgestattet ist?

KAPITEL XIII

Wundere dich nicht, wenn ich außer einer so weitgehenden Stärke noch eine andere Probe einer mannhaften Seele verlange. Denn köstliche Speisen und Getränke und ein weiches Lager zu verachten, ist für viele, wie wir sehen, gar keine Beschwerde, zumal für Leute von mehr bäuerlicher Lebensweise, die von frühester Jugend an dazu erzogen worden sind, sowie für manche andere, deren Körperbeschaffenheit und Gewöhnung ihnen die Härte bei jenen Kasteiungen leicht macht. Aber übermütige und boshafte Behandlung, unverschämte Reden, Verhöhnungen seitens niedriger Stehenden, mögen sie im alltäglichen Leben oder vor Gericht geschehen, Vorwürfe, teils unüberlegte, teils grundlose, die von Vorgesetzten und Untergebenen erhoben werden, sie zu ertragen, vermögen nicht viele, sondern höchstens der eine und der andere. Ja, man kann die Beobachtung machen, daß manche, die bei jenen körperlichen Abtötungen Stärke bewiesen, auf die letzteren Vorfälle hin in eine solche Aufregung gerieten, daß sie sich heftiger gebärdeten als die wildesten Tiere.

Solche Männer sollen wir ganz besonders von der Schwelle des Priestertums fernhalten. Denn wenn der Bischof in bezug auf Enthaltsamkeit von Speisen sich S. 157 nicht wehe tut und nicht barfuß einhergeht, so wird das dem Gesamtwohl der Kirchengemeinde keinen Schaden bringen. Ein heftiges Gemüt jedoch stürzt sowohl den damit Behafteten wie seine ganze Umgebung in das größte Unglück, Desgleichen ist wider die, welche jene körperlichen Übungen unterlassen, keine Drohung von Gott ausgesprochen; dagegen ist schon denen, die nur leichthin in Zorn geraten, mit der Hölle und dem höllischen Feuer gedroht . Wie also derjenige, der nach eitlem Ruhme geizt, dann, wann er über viele die Herrschaft erlangt hat, seinem Feuer um so reichlicheren Brennstoff zuführt, so wird auch der, welcher nicht einmal für sich allein oder im Umgange mit wenigen Menschen seinen Zorn zu meistern vermag, sondern leicht sich aufregen läßt, dann, wann ihm die Vorsteherschaft über eine ganze Gemeinde übertragen worden, wie ein von allen Seiten und von Tausenden gereiztes Tier, einerseits für sich selbst niemals Ruhe finden, anderseits über die ihm Anvertrauten unendliches Unheil bringen.

KAPITEL XIV

Nichts trübt die Reinheit des Geistes und die Klarheit der Seele so sehr als ungezügelter Zorn, der mit großer Heftigkeit losbricht. Denn “dieser”, heißt es, “stürzt auch die Klugen ins Verderben”. Gleichwie in einem Nachtkampfe wird es dadurch auch vor dem Auge der Seele finster. Sie vermag dann nicht Freunde von Feinden, Niedrige von Hochstehenden zu unterscheiden, sondern behandelt alle der Reihe nach auf die nämliche Weise, und muß sie auch selbst Übles erdulden, so erträgt sie doch alles gerne, nur um ihre eigene Wollust vollauf zu befriedigen. Denn eine Art Wollust ist die Hitze des von Zorn aufgeregten Gemütes; ja letztere beherrscht die Seele noch nachteiliger als die Wollust, da der Zorn die gesunde Verfassung der Seele vollständig in Verwirrung bringt. Führt er doch leicht zu Unvernunft, unberechtigten Streitigkeiten, sinn-S. 158 losem Hass und findet beständig irgendeinen Anstoß, um ohne weiteres und grundlos andere zu beleidigen. Auch zwingt er den Betreffenden, noch viele weitere derartige Ungebührlichkeiten zu reden und zu verüben, wobei die Seele unter dem gewaltigen Toben der Leidenschaft hin und hergezerrt wird und keine Stelle findet, an die sie mit ihrer Kraft sich fest stützen könnte, um gegenüber solch heftigem Drängen Widerstand zu leisten.

Aber nun kann ich deine Ausflüchte nicht länger mehr anhören, wandte er [Basilius] ein; denn wer weiß es denn nicht, wie weit du von dieser Krankheit entfernt bist?

Warum, o glücklicher Freund, erwiderte ich, willst du mich so nahe an den Feuerherd heranschleppen und das gezähmte Tier in mir wieder reizen? Oder ist dir nicht bekannt, daß ich dies nicht durch eigene Tüchtigkeit fertig gebracht habe, sondern infolge meiner Vorliebe zu einem zurückgezogenen Leben? Für denjenigen, der derart veranlagt ist, ist es jedenfalls erwünscht, daß er für sich allein bleibe und es an dem Verkehre mit einem oder zwei Freunden genug sein lasse, um dem von dort drohenden Brande entfliehen zu können, was ausgeschlossen wäre, wenn er sich in den Abgrund so vieler Sorgen hineinstürzen würde. Denn dann zieht er nicht nur sich selbst, sondern auch viele andere mit sich an den Rand des Verderbens und macht sie lässiger in eifriger Übung der Sanftmut. Bringt es doch, wie in vielen anderen Fällen, so auch hier die natürliche Veranlagung der großen Masse der Untergebenen mit sich, daß sie auf das Verhalten ihrer Vorgesetzten wie auf ein Urbild schauen und diesen ähnlich zu werden bemüht sind. Wie sollte also jemand deren leidenschaftliche Erregung zu besänftigen vermögen, der sich selbst davon angeschwollen zeigt? Wer aus dem großen Haufen möchte da schnell Lust bekommen, Maß zu halten, wenn er den Jähzorn an seinem Vorgesetzten sieht? S. 159 Denn es ist nicht möglich, ja es ist ganz unmöglich, daß die Fehler der Priester verborgen bleiben, vielmehr werden selbst die geringsten rasch offenbar. Ein Wettkämpfer könnte allenfalls, solange er zu Hause bleibt und mit niemanden sich einläßt, seine Schwäche verdecken, so groß sie auch sein mag; hat er sich aber einmal zum Kampfe entkleidet, ist er leicht entlarvt. So besitzen auch die Menschen, die ein zurückgezogenes und von öffentlichen Geschäften freies Leben führen, in ihrer Einsamkeit einen Deckmantel für ihre eigenen Vergehen; werden sie aber in die Öffentlichkeit hineingezogen, so sind sie gezwungen, ihre Zurückhaltung wie ein Gewand abzulegen und durch ihr äußeres Benehmen ihre Seele jedermann zu enthüllen. Wie nun ihre guten Handlungen vielen Leuten Nutzen bringen, indem sie dieselben zu dem gleichen Eifer anspornen, so machen ihre Vergehen andere leichtsinnig in der Ausübung der Tugend und nachlässig in der Beschäftigung mit ernsten Dingen.

Darum muß die Seele des Priesters nach jeder Seite hin in Schönheit strahlen, um die Herzen aller, die auf ihn schauen, zugleich zu erbauen und zu erleuchten. Denn die Sünden der gewöhnlichen Leute, gleichsam im Dunkeln verübt, richten bloß die Täter zugrunde; aber die Fehler eines hochgestellten und weit bekannten Mannes verursachen einen für die Allgemeinheit verderbenbringenden Schaden. Sie machen diejenigen, welche bereits gefallen sind, für den Kampf um das Gute noch unfähiger und verleiten jene, die über sich wachen wollen, dazu, sich selbst aufzugeben. Zudem bedeuten die Fehltritte der geringen Leute, auch wenn sie in die Öffentlichkeit gelangen, kein nennenswertes Unheil. Die jedoch den Gipfel dieses Ehrenamtes einnehmen, sind zunächst für alle sichtbar; sodann erscheinen ihre kleinen Fehler, wenn sie sich auch nur im Geringsten vergangen haben, in den Augen der Menge als große Verbrechen, da allgemein das Vergehen nicht nach dem Maßstabe der Tat gemessen S. 160 wird, sondern nach der Würde dessen, der gesündigt hat. Der Priester muß also wie mit Waffen aus Diamant gewappnet sein mit anhaltendem Eifer, mit unermüdlicher Wachsamkeit über sein Leben und muß nach allen Seiten umherspähen, ob nicht jemand an ihm eine Blöße, eine Nachlässigkeit finden und ihm dann eine tödliche Wunde versetzen könne. Denn alle stehen umher, bereit, ihn zu verwunden und niederzuwerfen, und zwar nicht bloß Widersacher und Feinde, sondern auch viele, die sich für Freunde ausgeben.

Es müssen demnach solche Seelen ausgewählt werden, die ähnlich sind den Leibern jener Heiligen, wie sie ehemals die Gnade Gottes im Feuerofen zu Babylon schauen ließ. Nicht Reisig, Pech und Werg ist hier die Nahrung des Feuers, sie ist weit gefährlicher als das. Handelt es sich hier doch überhaupt nicht um sinnlich wahrnehmbares Feuer, sondern die alles verzehrende Flamme des Neides bedroht den Priester ringsum; von allen Seiten schlägt sie in die Höhe, rückt an ihn heran und durchleuchtet sein Leben genauer als damals das Feuer die Leiber jener Jünglinge. Wenn sie wie von einem Hälmchen nur die geringste Spur findet, gleich schlängelt sie sich heran und verschlingt den schadhaften Teil, hüllt aber auch den ganzen übrigen Lebensbau, mag er auch heller leuchten als die Sonnenstrahlen, in ihren Rauch ein und macht ihn vollständig schwarz. Denn nur solange das Leben des Priesters nach allen Seiten hin vortrefflich geregelt ist, ist er allen Nachstellungen gegenüber unangreifbar; sobald er aber nur ein kleines Versehen sich zuschulden kommen läßt, wie es bei einem Menschen, der das Meer dieses Lebens mit seinen vielen irreführenden Wegen befährt, nur natürlich ist, nützt ihm sein bisheriges gutes Verhalten gar nichts, um den bösen Zungen seiner Ankläger zu entgehen, sondern jenes geringe Versehen stellt alles andere in Schatten, Und jedermann will über den Priester zu Gericht sitzen, gleich als ob er nicht auch die Hülle des Fleisches zu tragen, überhaupt keine Men- S. 161 schennatur empfangen hätte, sondern als ob er ein Engel und frei von jeglicher Schwachheit wäre.

Es trifft bei dem Priester das Nämliche zu wie bei einem Tyrannen. Solange ein Tyrann die Macht in Händen hat, fürchten sich alle vor ihm und umschmeicheln ihn, weil niemand ihn zu stürzen vermag. Wenn sie aber sehen, daß seine Sache ins Gegenteil umschlägt, stehen sie von der Rolle, ihn mit Ehrenbezeigungen zu überhäufen, ab; die, welche soeben noch seine Freunde waren, werden plötzlich seine Gegner und Feinde, und nachdem sie seine schwachen Seiten erspäht, fallen sie über ihn her und entsetzen ihn der Herrschaft. Ebenso geben sich dem Priester gegenüber diejenigen, welche noch vor kurzem, als er zu seinem Amte gelangte, ihm Ehrenbezeigungen und andere Aufmerksamkeiten erwiesen, sobald sie nur eine winzige Blöße entdecken, alle erdenkliche Mühe, um ihn, nicht nur als einen Tyrannen, sondern als einen viel schlimmeren Bösewicht, von seiner Stellung zu entfernen. Und wie der Tyrann dann vor seiner Leibwache in Angst ist, so hat auch der Priester am allermeisten seine nächste Umgebung und seine Amtsgenossen zu fürchten. Denn niemand trachtet so sehr nach seiner Stellung und niemand kennt seine Verhältnisse so genau als gerade sie. Da sie sich nämlich in seiner Nähe befinden, so merken sie etwaige Versehen vor allen anderen und können, wenn sie Verleumdungen ausstreuen und kleine Vergehen zu großen Verbrechen aufbauschen, leicht Glauben finden und so den Sturz des feige Verleumdeten erwirken. Es ist dann jenes apostolische Wort in sein Gegenteil verkehrt: “Wenn e i n Glied leidet, so freuen sich alle übrigen Glieder, und wenn e i n Glied verherrlicht wird, so leiden alle übrigen Glieder”, es müßte denn sein, daß einer infolge seiner außerordentlichen Tüchtigkeit allen Angriffen gegenüber standzuhalten vermöchte.

In einen solchen Kampf willst du mich also stür- S. 162 zen? Und du meinst wirklich, meine Seele sei so verwickelten und vielgestaltigen Streitereien gewachsen? Woher und von wem weißt du denn das? Wenn Gott es dir geoffenbart hat, so zeige den göttlichen Ausspruch vor und ich gehorche. Kannst du das aber nicht, sondern gibst du dein Urteil ab auf Grund menschlicher Meinung, so laß dich doch von diesem Irrtum befreien. Denn es ist billig, daß du in bezug auf meine eigenen Angelegenheiten mir mehr Glauben schenkest als anderen, da “niemand das Innere des Menschen kennt denn der Geist des Menschen, der in ihm ist”. Daß ich durch die Annahme dieses Amtes sowohl mich selbst wie auch meine Wähler lächerlich gemacht hätte, und daß ich nur mit großem Schaden zu der Lebensweise, die mir jetzt ermöglicht ist, hätte zurückkehren können, davon glaube ich dich, wenn nicht schon früher, so doch durch die soeben vorgebrachten Worte überzeugt zu haben. Denn nicht nur der Neid, sondern, was viel schlimmer ist als der Neid, die Begierde, selbst diese Würde zu erlangen, pflegt viele zu bewaffnen wider den, der sie bekleidet. Und wie geldgierigen Kindern das hohe Alter ihrer Väter zur Last wird, so ergeht es auch manchen unter diesen. Wenn sie nämlich sehen, daß einer die priesterliche Würde schon lange Zeit innehat, so bemühen sie sich, da es doch nicht ohne Blutschuld anginge, ihn aus dem Wege zu räumen, ihn wenigstens aus seinem Amte zu verdrängen. Alle streben darnach, an seine Stelle zu treten und jeder hofft, das Vorsteheramt für sich selbst erhaschen zu können. S. 163

KAPITEL XV

Wünschest du, daß ich dir diesen Kampf noch in einer anderen Gestalt zeigen soll, die ebenfalls tausend Gefahren in sich schließt? Gehe einmal hin und schaue dir die allgemeinen Festversammlungen an, an denen dem Herkommen gemäß meistens die Wahlen zu den kirchlichen Vorsteherämtern vorgenommen werden und du wirst sehen: So groß die Zahl der Untergebenen ist, ebenso viele Anklagen werden wider den Priester geschleudert. Alle, welche das Ehrenamt zu übertragen berechtigt sind, spalten sich nämlich dann in viele Parteien, und man kann beobachten, wie die versammelten Presbyter weder unter sich noch mit demjenigen, dem die Bischofswürde zugefallen ist, einig sind; jeder beharrt auf seinem besonderen Standpunkte, indem der eine diesen, der andere jenen wählt. Schuld daran ist, daß sie nicht alle auf das eine sehen, worauf allein sie achten sollten, nämlich auf die Tüchtigkeit der Seele, sondern daß auch noch andere Umstände es sind, welche diese Ehrenstelle zu verschaffen vermögen. So z. B. sagt der eine, der soll gewählt werden, weil er aus einem vornehmen Geschlechte stammt, nach einem anderen jener, weil er großen Reichtum besitzt und seinen Unterhalt nicht von den Einkünften der Kirche zu bestreiten brauchte, nach einem dritten der, weil er von der Seite der Gegner übergetreten ist; der eine sucht einen vertrauten Freund, der andere einen Blutsverwandten, wieder ein anderer lieber einen Schmeichler zu bevorzugen. Auf den eigentlich Tauglichen will jedoch niemand achten, indem man es unterläßt, die seelische Beschaffenheit zu berücksichtigen.

Ich aber bin soweit davon entfernt, zu glauben, daß solche Gründe stichhaltig genug sind bei der Auswahl zum Priestertum, daß ich es nicht einmal wage, selbst dann, wenn jemand große Gewissenhaftigkeit an den Tag legen sollte, die doch keine geringe Beigabe für jenes Amt ist, den Betreffenden ohne weiteres zu wählen, wenn er nicht neben seiner Gewissenhaftigkeit auch hohe Weisheit besitzt. Denn ich kenne viele Männer, S. 164 die sich während ihres ganzen Lebens von der Mitwelt abgeschlossen und durch Fasten aufgerieben haben. Solange sie für sich allein sein konnten und nur für ihre eigenen Angelegenheiten zu sorgen brauchten, waren sie vor Gott angenehm und machten Tag für Tag beträchtliche Fortschritte in der Pflege jener Lebensweisheit. Sobald sie aber in die Öffentlichkeit traten und sich in die Notwendigkeit versetzt sahen, an der Besserung der unwissenden Menge mitzuwirken, da zeigten die einen gleich zu Anfang sich einer solchen Tätigkeit nicht gewachsen, andere, die zum Aushalten genötigt wurden, ließen in ihrer früheren Sorgfalt nach und schadeten sich selbst am allermeisten, ohne ihren Schutzbefohlenen irgendwelchen Nutzen zu bringen. Aber auch wenn jemand seine ganze Lebenszeit auf der untersten Stufe des Kirchendienstes zugebracht und dabei ein sehr. hohes Alter erreicht hat, so möchte ich einen solchen nicht ohne weiteres aus bloßer Ehrfurcht vor seinem Alter auf die höhere Amtsstufe erhoben wissen, Denn wie, wenn er auch trotz seines Alters untauglich wäre und es bliebe? Ich sage das nun nicht deshalb, als ob ich damit die grauen Haare mißachten wollte, auch nicht, um es als gesetzliche Verordnung aufzustellen, daß solche, die aus den Reihen der Einsiedler kommen, von jedem Vorsteheramt gänzlich ausgeschlossen werden sollen [denn es ist ja manchmal geschehen, daß Männer, die diesem Stande entnommen wurden, sich im hohen Amte glänzend bewährt haben], sondern um zu zeigen, daß, wenn weder Gewissenhaftigkeit allein noch reifes Alter genügende Beweise für die Würdigkeit zum Priestertume abgeben können, die zuerst genannten Vorwände erst recht nicht den erforderlichen Beweis zu liefern hinreichen dürften.

Manche bringen wieder andere noch ungereimtere Gründe vor. Die einen werden nämlich in die Reihe des Klerus aufgenommen, damit sie sich nicht auf die Seite der Gegner schlagen, andere wegen ihrer Bosheit, damit sie nicht, wenn sie übergangen werden, großes Unheil anrichten. Kann es wohl etwas Gesetzwidrigeres geben als ein solches Vorgehen? Nichtswürdige Menschen, die von jeglicher Schlechtigkeit angesteckt sind, S. 165 werden um dessentwillen belohnt, wofür sie gezüchtigt werden sollten, und aus Ursachen, um derentwillen sie eigentlich nicht einmal die Schwelle der Kirche überschreiten dürften, steigen sie sogar zur priesterlichen Würde empor! Sage mir, sollen wir da noch fragen nach dem Grunde des göttlichen Zornes, wenn wir so heilige, Ehrfurcht und Schauer einflößende Dinge verworfenen, nichtswürdigen Leuten überlassen, um sie zugrunde zu richten? Denn wenn den einen die Oberaufsicht über Angelegenheiten anvertraut wird, die ihnen gar nicht gebühren, den anderen über solche, die über ihre eigenen Kräfte weit hinausgehen, so bringt man es zuwege, daß die Kirche sich nicht von einer stürmischen Meerenge unterscheidet, Früher habe ich manchmal die weltlichen Machthaber verspottet, weil sie die Verteilung der Ehrenstellen nicht nach seelischer Tüchtigkeit vornähmen, sondern nach äußerem Besitz, nach der Zahl der Jahre und nach menschlicher Fürsprache. Seitdem ich aber vernommen habe, daß dieses verkehrte Vorgehen auch bei uns Eingang gefunden, erschien mir die Sache nicht mehr so sehr erstaunlich. Ist es denn zu verwundern, daß Weltmenschen, die nach der Gunst der großen Menge streben und alles um des Geldes willen tun, in solcher Weise sich vergehen, wo doch Männer, die sich den Anschein geben, als wären sie von all dem frei, um gar nichts besser gesinnt sind als jene? Wo es vielmehr gilt, sich für das Himmlische einzusetzen, da verhalten sie sich so, als ob es sich um eine Hufe Landes oder etwas anderes dergleichen handeln würde, greifen ohne weitere Umstände Leute aus dem großen Haufen heraus und stellen sie an die Spitze von solch erhabenen Dingen, für welche der eingeborene Sohn Gottes kein Bedenken getragen hat, sich seiner S. 166 Herrlichkeit zu entäußern, Mensch zu werden, Knechtsgestalt anzunehmen, angespieen und geschlagen zu werden und schließlich des schimpflichsten Todes zu sterben.

Sie bleiben jedoch auch hierbei nicht stehen, sondern fügen noch Ungereimteres hinzu, indem sie nicht nur unwürdige Männer wählen, sondern die tüchtigen geradezu ausschließen. Wie wenn es nötig wäre, die sichere Ruhe der Kirche von zwei Seiten zu schädigen oder als ob der erste Grund nicht hinreichte, um Gottes Zorn zu entflammen, so reihen sie noch einen zweiten an, der nicht minder verderbenbringend ist. Denn ich halte dafür, es sei ebenso unheilvoll, die brauchbaren Männer auszuschließen, wie die untauglichen vorzuschieben. Und das geschieht nun, auf daß die Herde Christi von keiner Seite Trost zu finden und aufzuatmen vermöge. Verdient ein solches Vorgehen nicht unzählige Blitze? Verdient es nicht eine schärfere Höllenstrafe als die, die uns angedroht ist? Und doch, derjenige, welcher nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe, er erträgt und duldet so große Frevel. Wie muß man sich da über seine Menschenfreundlichkeit wundern! Wie über seine Barmherzigkeit verblüfft sein! Die Anhänger Christi verwüsten den Leib Christi ärger als seine Feinde und Widersacher. Und doch zeigt sich der Gütige immer noch voll Milde und ruft sie zur Busse. Preis sei Dir, o Herr, Preis Dir! Wie unergründlich tief ist Deine Menschenfreundlichkeit, wie groß die Fülle Deiner Langmut! Leute, welche kraft Deines Namens aus ihrer Niedrigkeit und Armseligkeit zu Ehren und Ansehen gelangt sind, mißbrauchen ihre Ehrenstellung gegen den, der sie dazu erhoben hat, wagen, wozu sich sonst niemand erkühnt, zu freveln wider das Heiligtum, indem sie die rechtschaffenen Männer hinwegdrängen und ausschließen, S. 167 damit nichtswürdige in aller Ruhe und in vollständiger Sicherheit alles auf den Kopf stellen können, sowie es ihnen passt.

Wenn du die Ursachen dieses verderblichen Übelstandes kennen lernen willst, so wirst du finden, daß sie den früher genannten ähnlich sind. Sie haben die nämliche Wurzel und, wie man zu sagen beliebt, eine und dieselbe Mutter, die Mißgunst, mögen sie selber auch nicht in der gleichen Gestalt auftreten, sondern unter sich verschieden sein. Denn der eine, heißt es, muß ausgeschlossen werden, weil er zu jung ist; der andere, da er nicht zu schmeicheln versteht; der, weil er bei irgend jemanden angestoßen hat; jener, damit es ein anderer nicht übel nehme, wenn er sieht, daß der von ihm Vorgeschlagene abgelehnt und ein dritter gewählt worden; der, weil er zu gütig und nachsichtig ist; wieder einer, weil er den Sündern Schrecken einflößt; ein anderer um einer anderen ähnlichen Ursache willen. Um beliebige Vorwände ist man ja nicht in Verlegenheit. Sogar die große Anzahl derer, die bereits ein Kirchenamt bekleiden, gilt als Vorwand, wenn man sonst nichts anderes vorzubringen weiß. Auch wird behauptet, es dürfe niemand plötzlich zu dieser Würde erhoben werden, sondern langsam und allmählich. Noch andere Gründe werden ausfindig gemacht, so viel man eben will.

Ich möchte dir nun gerne hier die Frage vorlegen: Was soll der Bischof im Kampfe mit solch ungestümem Wirrwarr tun? Wie wird er standhalten können inmitten so heftiger Brandung? Wie soll er allen diesen Angriffen begegnen? Geht er nämlich bei der ganzen Verhandlung mit gerechter Einsicht vor, dann treten alle gegen ihn und gegen die Erwählten als Feinde und Widersacher auf und veranlassen in ihrer Wühlerei gegen ihn alles Mögliche: täglich erregen sie eine und die andere Auflehnung wider ihn und verfolgen die Gewählten mit un- S. 168 zähligen Spöttereien, bis sie entweder dieselben entfernt oder ihre eigenen Parteigänger eingedrängt haben. Es geschieht hier etwas Ähnliches, wie wenn ein Steuermann in seinem auf der Fahrt begriffenen Schiffe Seeräuber an Bord hat, welche fortwährend und stündlich ihm selbst, der Schiffsmannschaft und den Mitreisenden nach dem Leben trachten. Stellt er — der Bischof — aber die Rücksichtnahme auf jene höher als sein eigenes Seelenheil und nimmt er Männer auf [in die kirchlichen Ämter], die er nicht aufnehmen sollte, so wird er anstatt ihrer Gott zum Feinde haben. Was kann es wohl Schlimmeres geben als das? Und sein Verhältnis zu jenen wird sich noch mißlicher gestalten als vorher, da alle miteinander zusammenwirken und dadurch an Stärke gewinnen. Wie nämlich beim Ausbruch wilder, gegeneinander stürmender Winde das bis dahin ruhige Meer plötzlich tobt und hoch sich auftürmt und die Schiffer ins Verderben stürzt, so wird auch die Kirche, wenn sie gefährliche Menschen aufnimmt, nach bisheriger ruhiger Sicherheit von heftigen Stürmen und zahlreichen Schiffbrüchen heimgesucht.

KAPITEL XVI

Bedenke nunmehr, wie derjenige beschaffen sein muß, der es übernimmt, einem derartigen Sturme zu trotzen und solche dem Gemeinwohl entgegenstehenden Hindernisse geschickt aus dem Wege zu räumen! Es ist notwendig, daß er zugleich würdevoll und doch nicht aufgeblasen sei, furchteinflößend und doch freundlich, zum Herrschen befähigt und doch herablassend, unbestechlich und doch dienstfertig, demütig und doch nicht unterwürfig, strenge und doch milde, damit er alle die genannten Schwierigkeiten mit Leichtigkeit zu überwinden vermag. Den Tüchtigen muß er mit seiner ganzen Macht ins Amt zu bringen suchen, wenn auch alle sich dagegen auflehnen, den Untauglichen muß er mit der- S. 169 selben Energie zurückweisen, sollten auch alle für ihn eintreten. Nur ein Ziel soll er im Auge behalten, nämlich die Erbauung seiner Gemeinde, nichts darf er aus Feindschaft tun, nichts aus Liebedienerei.

Will es dir nun dünken, daß ich mit Recht den Dienst in diesem Amte ausgeschlagen habe? Und doch habe ich dir noch nicht alles auseinandergesetzt, ich habe noch manches andere vorzubringen. Werde du jedoch nicht müde, einen wahren Freund anzuhören, der dich von der Unrichtigkeit deiner Vorwürfe überzeugen will. Denn es sind dir meine Darlegungen nicht nur nützlich, um mich verteidigen zu können, sie werden dir auch zur Verwaltung des [bischöflichen] Amtes selbst nicht geringen Gewinn bringen. Ist es doch notwendig, daß derjenige, der diesen Lebensweg einzuschlagen berufen ist, erst nach gründlicher Prüfung aller Verhältnisse das Amt antrete. Warum denn? Weil dem, der alle Verhältnisse genau kennt, wenn kein anderer, so wenigstens der Vorteil erwächst, daß er nicht überrascht wird, falls ihm solche Schwierigkeiten begegnen sollten. Wünschest du nun, daß ich zuerst auf die Leitung der Witwen zu sprechen komme oder auf die Sorge für die Jungfrauen oder auf die Schwierigkeiten des Schiedsrichteramtes? Denn jedes dieser Gebiete erfordert eine ausgezeichnete Sorgfalt, die nur noch von der Größe der Furcht übertroffen wird.

Um nun zunächst damit zu beginnen, was gewöhnlich als das Leichteste gilt, so scheint es, daß die Aufsicht über die Witwen denen, die sich um sie zu kümmern haben, außer den Geldaufwendungen keine Sorgen bereitet. Dem ist jedoch nicht so; vielmehr bedarf es schon einer genauen Untersuchung, wenn die Witwen eingetragen werden sollen. Sie aufs Geratewohl und wie es sich eben traf, in das Verzeichnis einzuschreiben, hat bereits unzählige Übel mit sich gebracht. Haben doch Witwen schon Familien zugrunde gerichtet, Ehen zerrissen und sind oft bei Diebstählen, in Kneipen und S. 170 bei der Verübung anderen derartigen Unfugs ertappt worden. Solche Geschöpfe aus dem Kirchenvermögen zu unterhalten, das zieht Gottes Strafe und die höchste Mißbilligung der Menschen nach sich und macht die, welche bereit sind, wohlzutun, bedenklich. Wer möchte denn wohl die Verantwortung übernehmen, das Geld, das ihm anvertraut worden, um es Christus zu schenken, für Leute aufzuwenden, die den Namen Christi beschimpfen? Deshalb muß eine genaue und sorgfältige Untersuchung angestellt werden, damit weder die so gearteten Witwen noch andere, die sich aus eigenen Mitteln erhalten können, den Tisch der Armen schädigen. Diesen Nachforschungen schließt sich eine weitere, nicht geringe Sorge an, daß nämlich den Witwen die Mittel zu ihrem Unterhalte reichlich wie aus Quellen zufließen und niemals versiegen. Denn die unfreiwillige Armut ist schlechterdings ein beständiges Übel, voll von Unzufriedenheit und Undankbarkeit. Es bedarf eines hohen Maßes von Klugheit und Eifer, solchen Witwen den Mund zu verstopfen, indem man jeden Anlaß zur Klage beseitigt.

Nun gibt es gar viele Leute, die jedermann sofort für tauglich erklären, dieses Amt zu verwalten, wenn sie nur sehen, daß er erhaben ist über das Geld . Ich glaube aber nimmer, daß diese Hochherzigkeit allein ihm hierfür ausreicht. Wenn sie zwar vor allen anderen Tugenden erforderlich ist, da er ohne sie eher ein Verwüster als ein Vorsteher, eher ein Wolf anstatt eines Hirten wäre, so muß man doch nachforschen, ob er neben ihr noch eine andere Tugend besitze. Ich meine die Langmut, die Quelle alles Guten für die Menschen, eine Tugend, welche sozusagen die S. 171 Seele in einen ruhigen Hafen geleitet und dort vor Anker legt. Denn die Witwen bedienen sich im allgemeinen teils ob ihrer Armut, teils ob ihres Alters und auch schon von Natur aus einer zügellosen Redefreiheit oder, um mich deutlicher auszudrücken, sie schreien zur Unzeit, beschuldigen ohne Grund, jammern, wofür sie Dank wissen sollten und erheben Beschwerden, worüber es billig wäre, Zufriedenheit zu äußern. Das alles muß der Vorsteher großmütig ertragen und darf sich weder durch die unangebrachten Belästigungen noch durch die grundlosen Vorwürfe zum Zorne reizen lassen. Verdient doch diese Art Menschen wegen der unglücklichen Lage, in der sie sich befinden, Mitleid, keine Mißhandlung. Es wäre demnach die höchste Grausamkeit, wollte man sie zu ihrem Mißgeschick auch noch mit Füssen treten und die Qual, welche die Armut ihnen verursacht, noch um den Schmerz über abstoßende Behandlung vermehren. Darum ermahnte auch ein hochweiser Mann, der die zur Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit neigende Anlage der menschlichen Natur durchschaute und die mit der Armut verbundenen Gefahren wohl kannte, daß sie nämlich auch die edelste Seele niederbeugt und häufig bei Wiederholung derselben Bitten, zu unverschämtem Verhalten hinreißt, mit den Worten: “Neige dein Ohr dem Armen, ohne dich belästigt zu fühlen und gib ihm mit Sanftmut Worte des Friedens”. Er gibt diese Mahnung, damit niemand, wenn er von den Armen angebettelt wird, in Zorn gerate, auch nicht, durch ihre beständigen Zudringlichkeiten gereizt, ihnen feindselig gesinnt werde. Vielmehr habe jedermann die Pflicht, zu helfen und sich dem Bedürftigen gegenüber freundlich und leicht zugänglich zu zeigen. Und er [der Weise] wendet sich nicht an den Armen, der etwa andere zum Zorne reizt — was sollte man auch einem vorzuwerfen haben, der im Unglück darniederliegt —, sondern er spricht zu dem, der die Schwäche des Armen ertragen soll und ermahnt ihn, noch ehe er eine Gabe verabreicht, den Armen durch sanften Blick und freund- S. 172 liche Worte aufzurichten. Wenn also jemand zwar das für die Witwen bestimmte Geld nicht sich selber aneignet, sie dagegen mit tausend Vorwürfen überhäuft, sie schlecht behandelt und sich gegen sie aufbringen läßt, so hilft er ihnen durch seine Gabe in ihrer Niedergeschlagenheit über ihre Armut nicht nur nicht auf, sondern er macht das Übel durch seine Schmähungen noch schlimmer. Denn wenn auch die Not ihres Magens sie manchmal verleitet, allzu unverschämt sich zu gebärden, so grämen sie sich doch über solch schroffe Behandlung. Wenn sie sich also, um ihren Hunger zu stillen, genötigt sehen, zu betteln und beim Betteln aufdringlich zu werden, und infolge ihrer Aufdringlichkeit sodann schlechte Behandlung zu ertragen, da stellt sich in ihrer Seele mit aller Macht die Mutlosigkeit in mannigfacher Gestalt, von tiefer Finsternis begleitet, ein.

Wer demnach für die Witwen zu sorgen hat, muß in solchem Grade langmütig sein, daß er ihre Mutlosigkeit nicht nur nicht durch Äußerungen des Unwillens vermehre, sondern sie zum größten Teil durch sein Zureden beruhige. Denn wie jemand, der zugleich mit einer reichlichen Unterstützung eine schimpfliche Behandlung erfahren hat, sich gar nicht des Vorteils bewußt wird, der ihm aus dem Gelde erwächst, infolge der Wunde, die ihm die Beschimpfung geschlagen, so wird umgekehrt derjenige um so mehr erfreut und aufgeheitert, der ein freundliches Wort zu hören bekam und die Gabe unter tröstendem Zuspruch empfing, so daß sich für ihn das Geschenk durch die Art und Weise der Darbietung verdoppelte. Das sage ich nicht aus mir selber, sondern nach jenem Weisen, der auch obige Ermahnung an uns gerichtet hat, “Mein Sohn”, heißt es, “wenn du Gutes tust, so mache dabei keine Vorwürfe, und mit deiner Gabe betrübe nicht durch Worte. Löscht nicht die Gluthitze der Tau? So ist auch ein gutes Wort besser als eine Gabe. Denn sieh, ein Wort gilt oft mehr als ein großes Geschenk, und bei einem begnadeten Manne findet sich beides”.

Indes, nicht nur nachsichtig und langmütig muß der S. 173 Vorsteher der Witwen sein, sondern nicht minder wirtschaftliche Befähigung besitzen. Geht ihm diese Eigenschaft ab, so sind die Armengelder wieder dem gleichen Nachteil ausgesetzt. Einmal hatte jemand, dem deren Verwaltung anvertraut worden, viel Geld zusammengebracht. Er verbrauchte es zwar nicht für sich selbst, verwandte es aber auch nicht, mit wenigen Ausnahmen, für die Bedürftigen, sondern vergrub den größten Teil und hütete ihn, bis ein unglücklicher Zufall eintrat und alles den Händen der Feinde überlieferte. Es gehört also große Umsicht dazu, daß das Kirchenvermögen weder übermäßig angehäuft werde noch Mangel eintrete. Vielmehr soll alles, was aufgebracht wird, sofort unter die Bedürftigen verteilt werden; von der Bereitwilligkeit der Kirchenmitglieder sind jedoch neue Armengelder zu sammeln.

Wie viele Geldmittel, meinst du wohl, erheischt die gastliche Aufnahme der Fremden und die Pflege der Kranken, dazu noch welche Sorgfalt und Klugheit seitens der Kirchenvorsteher? Der hierfür erforderliche Aufwand ist keineswegs geringer als der erwähnte [für die Witwen], oft sogar notwendigerweise größer. Und der, welcher die Aufsicht darüber zu führen hat, muß das Nötige mit Vorsicht und Klugheit herbeizuschaffen verstehen, indem er die Besitzenden zu bestimmen weiß, bereitwillig und ohne Murren von dem Ihren zu geben, damit er nicht bei der Fürsorge für die Erquickung der Notleidenden die Herzen der Spender verletze. Aber noch viel größer muß die Langmut und der Eifer sein, der den Kranken gegenüber zu betätigen ist. Denn letztere sind schlechterdings ein mißvergnügtes und leichtsinnig dahinlebendes Volk . Und wenn ihnen nicht in jeder Beziehung peinliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt erwiesen wird, so genügt schon das geringste Versehen, um ihren Zustand bedeutend zu verschlimmern. S. 174

KAPITEL XVII

Was die Aufsicht über die Jungfrauen betrifft, so muß die Besorgnis um sie umso größer sein, je kostbarer das Gut und je königlicher diese Schar vor allen anderen zu werten ist. Schon haben sich allerdings auch in den Chor dieser Heiligen Tausende, mit tausend Lastern behaftet, eingeschlichen. Umso stärker macht sich hierüber die Betrübnis geltend. Und wie es nicht einerlei ist, ob ein freigeborenes Mädchen oder deren Dienerin sich versündigt, so auch nicht, ob eine Jungfrau oder Witwe. Für die Witwen hat es nicht viel zu bedeuten, ob sie ungereimte Dinge schwatzen, einander schmähen, schmeicheln, sich frech benehmen, überall sich sehen lassen, auf dem Markte herumschlendern; allein die Jungfrau hat sich für höhere Dinge verpflichtet: sie hat sich der erhabensten Lebensweisheit hingegeben und versprochen, auf Erden das Leben der Engel zu führen. Es kommt ihr die Aufgabe zu, in diesem Fleische den Wandel jener körperlosen Mächte vollkommen nachzuahmen. Sie darf keine unnützen, überhaupt nicht viele Ausgänge machen; auch ist es ihr nicht erlaubt, unüberlegte und zwecklose Worte zu reden, Schmähungen und Schmeicheleien darf sie nicht einmal dem Namen nach kennen. Deshalb hat sie möglichst sicheren Schutz und stärkeren Beistand im Kampfe nötig. Denn der Feind unserer Heiligung setzt immerfort gerade den Jungfrauen zu, und dies mit besonderer Beharrlichkeit, bereit, sie zu verschlingen, falls nur irgendwo eine ausgleitet und zu Falle kommt. Auch viele Menschen stellen ihnen nach und nebst all dem die Leidenschaft der eigenen Natur. So haben sich die Jungfrauen für einen doppelten Kampf in Bereitschaft zu halten, gegen einen, der sie von außen her bedroht, und gegen einen zweiten, der sie von innen bedrängt.

Wem demnach die Aufsicht über sie anvertraut ist, der hat sicherlich viel zu fürchten. Größer jedoch ist die Gefahr und die Betrübnis, wenn wirklich einmal — was Gott verhüten möge —ein solch unerwünschter Fall vorkommen sollte. Denn wenn schon “eine im Hause S. 175 geborgene Tochter dem Vater durchwachte Nächte verursacht und die Sorge um sie ihm den Schlaf raubt”, da er in großer Angst lebt, sie möchte unfruchtbar bleiben oder verblühen oder [von ihrem Gatten] verschmäht werden, was wird da erst der auszustehen haben, der zwar um nichts von all dem, wohl aber um andere, viel wichtigere Dinge besorgt ist? Ist es doch hier kein gewöhnlicher Mann, dem Schmach droht, sondern Christus selber, und die Unfruchtbarkeit zieht nicht bloß Schande nach sich, sondern das Unheil endet hier mit dem Verderben der Seele, “Jeder Baum”, spricht der Herr, “der keine Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen”. Und wenn die Braut hier vom Bräutigam verschmäht wird, so genügt es nicht, daß sie sich einen Scheidebrief geben läßt und davongeht, sondern sie muß dessen Abweisung büßen durch ewige Strafe. Dem leiblichen Vater stehen viele Mittel zur Verfügung, welche ihm die Überwachung seiner Tochter leicht machen; denn die Mutter, die Amme, eine große Anzahl von Dienerinnen, sowie der Schutz des Hauses helfen dem Vater mit bei der Behütung der Jungfrau. Auch wird ihr nicht gestattet, sich beständig auf den Markt zu begeben, noch ist sie genötigt, wenn sie einmal dahin geht, sich einem begegnenden Manne zu zeigen, da das Dunkel des Abends ebenso gut wie die Wände des Hauses diejenige verbirgt, die sich nicht sehen lassen will. Sonst hat sie keine Veranlassung, auszugehen, so daß sie wohl niemals sich gezwungen sieht, Männern vor die Augen zu treten. Denn weder die Sorge für die Bedürfnisse des Lebens noch die Intrigen boshafter Menschen noch ein anderer derartiger Grund versetzt sie in die Notwendigkeit eines solchen Zusammentreffens, da bei all dem der Vater ihr zur Seite steht. Sie selbst hat nur die eine Sorge, daß sie nichts tue, nichts rede, was der ihr geziemenden Züchtigkeit unwürdig, wäre.

Hier hingegen gibt es gar vieles, was dem [geistlichen] Vater die Obhut schwer, vielmehr sogar unmöglich macht, Er kann sie [die geistliche Tochter] nicht bei sich in seinem Hause behalten. Ein solches Zusammenwohnen würde weder schicklich noch ungefährlich sein. Denn wenn beide auch nicht selber Schaden erleiden, sondern ihre Heiligkeit beständig unbefleckt bewahren, so werden sie doch für die Seelen, denen sie Ärgernis gegeben, nicht minder Rechenschaft ablegen müssen, als wenn sie gegenseitig sich versündigt hätten. Da also das Zusammenwohnen unmöglich ist, so bereitet es ihm große Schwierigkeiten, die Regungen ihrer Seele kennen zu lernen, den ungeordneten Einhalt zu tun, dagegen den geordneten und zulässigen zur geregelteren Übung und damit zur größeren Vervollkommnung zu verhelfen. Auch ist es nicht leicht, sich sorgfältig um ihre Ausgänge zu kümmern. Denn der Umstand, daß sie arm und ohne Aufsicht ist, macht es dem Bischof unmöglich, genau sich zu erkundigen, ob sie immerfort die ihr geziemende Sittsamkeit bewahre. Da sie sich nämlich genötigt sieht, sich alles selbst zu besorgen, so kann sie, wenn sie sich nicht züchtig betragen will, viele Vorwände für ihre Ausgänge vorbringen. Und der, welcher ihr befehlen wollte, durchaus zu Hause zu bleiben, müßte ihr auch jede Veranlassung zum Ausgehen abschneiden, indem er ihr den Bedarf zum notwendigen Lebensunterhalt und auch eine Person zur entsprechenden Bedienung bereit stellt. Ja, er müßte sie sogar von Leichenbegängnissen und von der gottesdienstlichen Feier zur Nachtzeit fernhalten. Denn jene listige Schlange versteht es, versteht es wirklich, ihr Gift selbst bei der Ausübung löblicher Werke zu verspritzen. So muß also die Jungfrau von allen Seiten wie von einer Mauer umgeben werden und darf im Laufe des ganzen Jahres nur selten das Haus verlassen, wenn nämlich unvermeidliche und zwingende Gründe hierzu drängen.

Wollte aber jemand behaupten, es sei ja gar nicht nötig, daß der Bischof sich mit diesen Dingen befasse, der möge wohl wissen, daß bei all dem die Sorge und die Verantwortung gerade dem Bischof zugeschoben wird. Es ist deshalb viel vorteilhafter für ihn, daß er S. 177 alles selbst besorge und sich so von Vorwürfen frei halte, die er andernfalls um der Versehen anderer willen auf sich nehmen müßte, als daß er seine Amtspflicht vernachlässige und vor der Rechenschaft für die Handlungen fremder Leute zittere. Zudem wird derjenige, der diese Angelegenheiten in eigener Person besorgt, mit allem sehr leicht fertig. Wer aber, um dasselbe Ziel zu erreichen, erst die Ansichten anderer zu beeinflussen sich genötigt sieht, findet dadurch, daß er sich selbst von der Arbeit losmacht, nicht so sehr Erleichterung als vielmehr Verlegenheiten und Aufregungen seitens derer, die ihm entgegen handeln und seine eigene Meinung bekämpfen. Ich kann jedoch hier nicht alle Sorgen, welche die Beaufsichtigung der Jungfrauen mit sich bringt, auseinandersetzen. Bereiten sie doch schon, wenn sie in das Verzeichnis eingeschrieben werden sollen, demjenigen, der mit diesem Geschäfte betraut ist, keine geringen Schwierigkeiten.

Was schließlich das Schiedsrichteramt anbelangt, so bringt dasselbe zahllose Beschwerden mit sich, erfordert viele Arbeit und hat so große Schwierigkeiten im Gefolge, wie sie nicht einmal die weltlichen Richter zu überwinden haben. Denn einerseits ist es ein mühsames Werk, ausfindig zu machen, was recht ist, anderseits ist es schwer, wenn man es gefunden, es nicht zu verletzen. Aber nicht bloß Arbeit und Schwierigkeiten, auch nicht geringe Gefahren sind damit verbunden. Haben doch schon manche der schwächer Veranlagten, die in Händel verwickelt waren, weil sie keinen Rechtsschutz bekommen konnten, am Glauben Schiffbruch gelitten. Und viele, die Unrecht erlitten haben, hassen die, welche ihnen keinen Schutz verschaffen, ebenso sehr wie jene, die ihnen das Unrecht zufügten. Sie wollen dabei keineswegs Rücksicht nehmen, weder auf den äußerst verwickelten Charakter des Streitfalles, noch auf die Schwierigkeit der Zeitverhältnisse, noch auf den beschränkten Umfang der priesterlichen Machtbefugnisse, noch auf einen anderen derartigen Umstand. Sie sind vielmehr unerbittliche Richter und kennen nur e i n e Verteidigung, nämlich Befreiung von der Bedrängnis, die sie bedrückt, Und wer ihnen diese Befreiung nicht S. 178 zu verschaffen vermag, wird ihrem verdammenden Urteil niemals entrinnen, wenn er auch tausend Gründe zu seiner Rechtfertigung vorbringt.

Nachdem ich nun des Rechtsschutzes Erwähnung getan, so laß mich dir noch einen anderen Vorwand zu Klagen aufdecken. Wenn nämlich der Bischof nicht täglich, mehr noch als die gewöhnlichen Müßiggänger, von Haus zu Haus die Runde macht, so entstehen infolgedessen unsagbar viele Mißhelligkeiten. Denn nicht bloß Kranke, sondern auch Gesunde wollen besucht werden, wobei sie jedoch zu diesem Wunsche nicht die Ehrfurcht bewegt, vielmehr erheben die meisten den Anspruch deshalb, um sich selbst geehrt und ausgezeichnet zu sehen. Sollte es aber einmal vorkommen, daß er, um irgendein Bedürfnis durchzusetzen, einen der Reicheren und Angeseheneren zum allgemeinen Besten der Kirche häufiger besucht, so zieht er sich dadurch sofort den Verdacht der Schmeichelei und Kriecherei zu.

Doch was rede ich von Rechtsschutz und Besuchen? Haben doch die Bischöfe allein schon infolge ihrer Ansprachen eine solche Last von Vorwürfen zu ertragen, daß sie sich oft niedergedrückt fühlen und in Mutlosigkeit versinken. Ja sogar für ihre Blicke sollen sie Rechenschaft ablegen. Schon ihr gewöhnliches Auftreten prüft die große Menge ganz genau; man beobachtet den Ton ihrer Stimme, den Ausdruck ihres Blickes, die Stärke ihres Lachens. Den oder jenen, heißt es da, hat er auffallend angelächelt und mit heiterem Antlitz und mit lauter Stimme angeredet, mich aber weniger freundlich und nur so obenhin. Läßt er inmitten einer großen Versammlung beim Sprechen seine Augen nicht ringsherum nach allen Seiten umherschweifen, so nennen die übrigen sein Verhalten Hochmut. Wer vermöchte, wenn er sich nicht äußerst stark fühlt, so vielen Anklägern gewachsen zu sein, so daß er entweder gar nicht von ihnen angeschwärzt wird oder aus der Anklage gerechtfertigt hervorgeht? Eigentlich sollte der Bischof überhaupt keine Ankläger haben; wenn dies jedoch nicht S. 179 möglich ist, muß er von deren Vorwürfen sich frei machen . Ist aber auch das nicht leicht ausführbar, da gewisse Leute ihre Freude daran haben, unüberlegte und unbegründete Beschuldigungen auszusprechen, so darf er auf solche Anwürfe hin nicht verzagen, sondern muß mit Starkmut auftreten. Allerdings wer mit Recht beschuldigt wird, der erträgt seinen Ankläger leicht; denn es gibt keinen bittereren Ankläger als das Gewissen. Darum ertragen wir, wenn wir zuvor von diesem lästigsten Ankläger angepackt sind, jene äußeren und milderen Ankläger ohne besondere Aufregung. Derjenige aber, welcher sich keines Unrechts bewußt ist, läßt sich bei einer unbegründeten Beschuldigung schnell zum Zorne hinreißen und verfällt leicht in Mutlosigkeit, wenn er sich nicht schon vorher darin geübt hat, die von der großen Menge ausgehenden Belästigungen ruhig auf sich zu nehmen. Denn es kann gar nicht ausbleiben, es ist rein unmöglich, daß, wenn jemand ohne Grund verleumdet und unschuldig verurteilt wird, er nicht außer Fassung gebracht werde und er nicht unter solch ungerechter Bosheit sich niedergedrückt fühle.

Wie könnte man die Betrübnis schildern, welche die Bischöfe erfaßt, wenn es notwendig wird, jemanden aus der Kirchengemeinschaft auszuschließen? O daß doch dieses Unglück beim Kummer allein sein Bewenden hätte! Nun droht aber noch ein anderes, kein geringes Unheil. Es ist nämlich zu befürchten, daß, wenn jener vielleicht mehr als erforderlich bestraft worden, ihm schließlich das widerfahre, was der selige Paulus mit den Worten ankündigt, “er möchte in übermäßige Traurigkeit versinken” . Es bedarf also auch hier der äußersten Vorsicht, damit nicht, was zu seinem Besten hätte sein sollen, der Anlaß zu noch größerem Schaden für ihn werde. Denn es trifft auch den Arzt, welcher die Wunde nicht richtig geschnitten hat, der [göttliche] Zorn über S. 180 eine jede Sünde, die jener nach einem solch strengen Heilverfahren begeht. Welch schwerer Strafe muß er also gewärtig sein, wenn er nicht nur für seine eigenen Verfehlungen Rechenschaft abzulegen hat, sondern auch um der Vergehen anderer willen in die höchste Gefahr gerät? Wenn wir schon zittern, für unsere eigenen Sünden zur Verantwortung gezogen zu werden aus Furcht, jenem Feuer nicht entrinnen zu können, was hat dann erst der zu erwarten, der für so viele Rede stehen soll? Daß das die Wahrheit ist, darüber vernehme den seligen Paulus, oder vielmehr nicht ihn, sondern Christus, der in ihm spricht: “Gehorchet euren Vorstehern und seid ihnen untertan; denn sie wachen als solche, die Rechenschaft geben sollen über eure Seelen” . Nun, ist die Angst ob dieser Drohung gering? Unsagbar groß. Aber fürwahr, all das muß genügen, um auch die hartnäckigsten und verstocktesten Leute zu überzeugen, daß ich weder aus Hochmut noch aus Ehrgeiz, sondern nur aus Furcht für mich selbst und im Hinblick auf die Schwere des Vorsteheramtes mich demselben durch die Flucht entzogen habe. S. 181

4. Buch

KAPITEL I

Nachdem Basilius diese meine Worte vernommen hatte, hielt er ein wenig inne und sagte dann: Ja freilich, wenn du selbst dich bemüht hättest, dieses hohe Amt zu erlangen, dann wäre deine Furcht berechtigt. Denn wer durch sein eigenes Streben nach demselben zugesteht, daß er sich zu dessen Verwaltung für tauglich halte, kann nach der Übernahme unmöglich bei Dingen, in denen er sich vergreift, mit Unerfahrenheit sich entschuldigen. Hat er doch dadurch, daß er dem Kirchenamte nachjagte und es an sich riß, sich selbst eine dahinzielende Verteidigung vorwegabgeschnitten, und er, der mit Bedacht und freiwillig in dieses Amt sich eingedrängt, kann nicht mehr die Entschuldigung vorbringen: Ich habe ohne meinen Willen diesen oder jenen Fehler begangen, ich habe ohne meinen Willen diesen oder jenen zugrunde gerichtet. Denn der Richter, der einst seine Sache zu entscheiden haben wird, wird ihm entgegnen: Warum hast du denn, obwohl dir deine so große Unerfahrenheit bekannt war und du die zur fehlerlosen Ausübung dieser Kunst nötige Einsicht nicht besaßest, dich so emsig darum bemüht und hast es gewagt, ein Amt anzunehmen, das deine eigene Kraft überstieg? Wer hat dich dazu gezwungen? Wer hat dich, als du ablehnen und fliehen wolltest, mit Gewalt hingeschleppt? Du allerdings wirst niemals solche Worte zu hören bekommen. Denn du hast dir nichts Derartiges vorzuwerfen. Auch ist jedermann bekannt, daß du weder viel noch wenig dich um diese Würde bemüht hast, sondern daß es das gelungene Werk anderer gewesen ist. Und was bei jenen zuerst Genannten ein Hindernis bildet, um wegen ihrer Vergehen Verzeihung S. 182 zu erlangen, das bietet dir eine ausgezeichnete Unterlage zu deiner Verteidigung.

Bei diesen Worten [des Basilius] schüttelte ich den Kopf, lächelte ein wenig, und indem ich über seine Einfalt mich wundern mußte, sprach ich zu ihm : Ich wünschte selbst, daß dem so wäre, wie du behauptetest, mein allerbester Freund, allerdings nicht, um das Amt, dem ich mich soeben durch die Flucht entzog, annehmen zu können. Denn wenn mir auch gar keine Strafe bevorstände, falls ich in meiner Unbesonnenheit und Unerfahrenheit die Fürsorge für die Herde Christi übernehmen würde, so wäre für mich schon der Umstand, daß ich, mit einem so wichtigen Amte betraut, gegen den unrecht zu handeln schiene, der es mir anvertraut hätte, schwerer zu ertragen als jede Strafe. Warum jedoch wünschte ich nun, daß deine Meinung berechtigt wäre? Damit jenen erbärmlichen und unglückseligen Menschen — denn so muß man diejenigen nennen, die es gar nicht fertig bringen können, dieses Amt richtig zu verwalten, magst du auch tausendmal sagen, sie seien zur Übernahme desselben gezwungen worden und sie sündigten aus Unkenntnis — es ermöglicht werde, jenem unauslöschlichen Feuer, jener äußersten Finsternis und jenem nimmer sterbenden Wurme, der Vernichtung und der Verdammung mit den Heuchlern, zu entgehen.

Was soll ich nun mit deiner Meinung anfangen? Es verhält sich keineswegs so, wie du sagst. Und wenn du gestattest, so werde ich dir zuerst den Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung aus der Königswürde erbringen, welche vor Gott doch nicht soviel gilt als das Priestertum. Jener Saul , der Sohn des Kis, ist König geworden, ohne daß er selbst sich darum bemühte, vielmehr er war ausgegangen, um die Eselinnen zu suchen, und um nach ihnen zu fragen, kam er zum Propheten. Dieser aber redete mit ihm über die Königswürde. Und obwohl Saul durch den Mund eines Propheten berufen wurde, drängte er sich keineswegs hinzu, sondern versuchte sogar, sich zu ent- >s183> ziehen und abzulehnen. “Wer bin ich”, sprach er, "und was ist das Haus meines Vaters? Wie nun? Vermochten diese Worte ihn dem Zorne dessen, der ihn zum Könige gemacht hatte, zu entreißen, als er die von Gott ihm übertragene Ehre mißbrauchte? Und doch hätte er dem Samuel, als dieser ihm seine Schuld vorhielt, erwidern können: Habe ich mich denn aus freien Stücken zu der Königswürde hinzugedrängt? Bin ich denn eiligst herbeigelaufen, um zu dieser Herrschaft zu gelangen? Ich wollte als gewöhnlicher Privatmann, frei von öffentlicher Tätigkeit, ein ruhiges Leben führen, du aber hast mich in meine jetzige Würde hineingedrängt. Wäre ich in jener niedrigen Stellung geblieben, so hätte ich leicht diese Verfehlungen vermieden. Denn freilich, wäre ich einer aus der großen Menge und unbekannten Namens, dann wäre ich sicherlich nicht zu solchem Werke ausgesandt worden, dann hätte Gott den Krieg gegen die Amalekiter nicht in meine Hände gelegt, und wäre der mir nicht anvertraut worden, dann hätte ich auch nie diese Sünde begangen.

Aber alle derartigen Entschuldigungen sind zur Rechtfertigung zu schwach und nicht bloß zu schwach, sondern auch gefährlich und fachen den Zorn Gottes noch mehr an. Denn der, welcher über sein Verdienst zu einer Ehrenstellung gelangt ist, darf, um sich wegen seiner Vergehen zu verteidigen, nicht die Größe seiner Würde vorschützen, sondern er soll das außerordentliche Wohlwollen Gottes gegen ihn benutzen als stärkeren Antrieb zu seiner sittlichen Besserung. Wer dagegen der Meinung ist, es sei ihm erlaubt, deshalb zu sündigen, weil er zu einer höheren Würde erhoben wurde, der tut nichts anderes, als daß er geflissentlich die Güte Gottes als die eigentliche Ursache seiner eigenen Verfehlungen hinstellt. Das pflegen allerdings die gottlosen und leichtfertigen Leute immer so vorzubringen. Wir aber dürfen einer solchen Gesinnung uns nicht S. 184 hingeben und darum auch nicht in den Wahnwitz jener verfallen, sondern wir müssen in jeder Weise bemüht sein, nach Maßgabe unserer Kraft das Unserige beizutragen und Herz und Zunge glücklich rein zu erhalten.

Und auch Heli — um jetzt von der Königswürde zum Priestertume, um das es sich uns hier handelt, überzugehen — hat nicht nach dem Besitze seines Amtes getrachtet. Was hat ihm das aber geholfen, als er sündigte? Doch was sage ich: Er hat nicht nach dem Besitze getrachtet? Selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm unmöglich gewesen, dem Amte zu entrinnen, da das Gesetz ihn dazu zwang. Denn er war aus dem Stamme Levi und mußte darum das Priesteramt annehmen, indem es von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzte. Dennoch wurde auch er wegen des liederlichen Benehmens seiner Söhne strenge bestraft. Wie erging es ferner sogar dem ersten Priester der Juden, über welchen Gott soviel mit Moses redete? Wäre er nicht beinahe umgekommen, als er gegen die Raserei einer so gewaltigen Volksmenge allein nicht standzuhalten vermochte, wenn nicht sein Bruder für ihn eingetreten wäre und Gottes Zorn beschwichtigt hätte? Da ich nunmehr des Moses Erwähnung getan habe, so dürfte es angebracht sein, auch aus dem, was ihm zugestoßen ist, die Richtigkeit meiner Worte zu erweisen. Der selige Moses selbst war nämlich so weit entfernt, die Führerschaft der Juden an sich zu reißen, daß er, als sie ihm übertragen worden, sie ausschlug, und trotz des göttlichen Befehles sich sträubte, und zwar in solchem Grade, daß er den, der ihm den Auftrag gegeben, zum Zorne reizte . Und nicht nur damals, sondern auch nachträglich, als er die Führerschaft übernommen, wollte er gerne sterben , um davon frei zu werden. “Töte S. 185 mich”, sprach er, “wenn du so mit mir tun willst” . Wie nun, vermochten diese beständigen Weigerungen ihn zu entschuldigen und Gott zu bewegen, ihm Verzeihung zu gewähren, als er beim Wasserquell sich versündigte? Aus welchem Grunde sonst ist ihm das verheißene Land vorenthalten worden? Aus keinem anderen, wie wir alle wissen, als um dieser Sünde willen. Ihretwegen konnte jener bewunderungswürdige Mann nicht das Nämliche erlangen, was seinen Untergebenen beschert war. Er sollte vielmehr nach so vielen Mühsalen und Strapazen, nach solch unbeschreiblichem Umherirren, nach jenen Kämpfen und Siegen außerhalb des Landes sterben, für welches er das alles erduldet hatte. Nachdem er die Leiden des offenen Meeres ertragen, konnte er doch nicht die Segnungen des Hafens genießen.

Siehst du nun, wie weder denen, die dieses Amt an sich reißen, noch jenen, welche durch die Bemühung anderer dazu gelangen, irgendeine Entschuldigung für ihre Vergehen übrig bleibt? Denn wenn selbst Männer, obwohl Gott sie erwählte, und obwohl sie sich oftmals dagegen sträubten, so schwer bestraft wurden und wenn nichts vermochte, sie aus solcher Gefahr zu erretten, Männer wie Aaron, Heli und jener gottbegnadete Mann, der Heilige, der bewundernswerte Prophet, der sanftmütigste Mensch , der je auf Erden gelebt hat, der wie ein Freund mit Gott redete , so wird schwerlich uns, die wir hinter dessen Vortrefflichkeit so weit zurückstehen, das Bewußtsein, daß wir uns um dieses Amt gar nicht beworben haben, zur Verteidigung genügen können, zumal viele unserer Wahlen nicht auf die göttliche Gnade, sondern auf die Geschäftigkeit der Menschen zurückzuführen sind.

Den Judas hatte Gott auserwählt, ihn in jene heilige Schar aufgenommen und ihm mit den übrigen die Apostelswürde verliehen; er hatte ihm sogar noch etwas S. 186 mehr anvertraut als den anderen, nämlich die Verwaltung der Gelder . Wie nun? Als er beide Ämter in entgegengesetztem Sinne mißbrauchte, als er den, welchen zu verkündigen er berufen war, verriet, und als er das Geld, mit dessen redlicher Verwaltung er betraut worden, unrecht verwandte, entging er da der Strafe? Eben deswegen hat er sich vielmehr eine schwerere Strafe zugezogen, und zwar ganz mit Recht. Denn man soll die von Gott übertragenen Ehrenstellen nicht dazu gebrauchen, um ihn zu beleidigen, sondern um ihm umso mehr zu gefallen. Wer aber deshalb, weil er einer höheren Würde teilhaftig geworden, der Meinung ist, er werde straflos ausgehen, wo er Strafe verdient, der handelt ähnlich, wie wenn einer der ungläubigen Juden die Worte Christi vernähme: “Wenn ich nicht gekommen wäre und nicht zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde” , und: “Wenn ich nicht die Zeichen unter ihnen tun würde, die sonst niemand getan hat, so hätten sie keine Sünde” , und dann gegen unseren Heiland und Wohltäter den Vorwurf erheben wollte: Warum bist du denn gekommen und hast geredet? Warum hast du Zeichen getan, um uns desto härter zu strafen? Aber solche Worte könnten nur aus Torheit und äußerster Verrücktheit hervorgehen. Denn er, der Arzt, ist nicht gekommen, um dich zu verdammen, sondern um dich zu heilen, um dich vollständig von deiner Krankheit zu befreien . Du jedoch hast dich freiwillig seinen Händen entzogen; nimm darum die umso schwerere Strafe auf dich. Gleichwie du nämlich, wenn du der ärztlichen Behandlung dich überlassen hättest, von deinen alten Übeln geheilt worden wärest, so wirst du, falls du beim Erscheinen des Arztes geflohen bist, diese nicht mehr beseitigen können und infolgedessen nicht nur sie S. 187 weiter zu erdulden haben, sondern auch dafür büßen müssen, daß du, so viel an dir lag, die Bemühung des Arztes vereitelt hast. Darum ist die Strafe, die uns droht, bevor wir von Gott ausgezeichnet wurden, nicht die gleiche wie die nach empfangener Ehrenstellung, sondern die spätere wird viel strenger sein. Denn wer nicht einmal durch Wohltaten sich bessern läßt, verdient mit Recht eine härtere Strafe. Da also diese Art der Verteidigung sich als ungenügend erwiesen hat, indem sie diejenigen, welche zu ihr ihre Zuflucht nehmen, nicht nur nicht rettet, sondern sie sogar noch mehr [dem Verderben] preisgibt, so müssen wir uns nach einem anderen sicheren Wege umsehen.

Was ist denn das für einer? [frug Basilius.] Du hast mich durch deine Worte so sehr in Angst und Zittern versetzt, daß ich jetzt meiner selbst nicht mehr mächtig bin.

Ich bitte dich flehentlich, erwiderte ich, laß dich doch nicht dermaßen entmutigen! Denn es gibt, es gibt wirklich einen sicheren Ausweg. Er besteht für uns Schwache darin, daß wir niemals in dieses Amt eintreten, und für euch Starke, daß ihr die Hoffnung auf euer Heil von nichts anderem abhängig macht, als daß ihr mit Hilfe der Gnade Gottes nichts tut, was dieser Gabe und des göttlichen Spenders unwürdig wäre. Denn die härteste Strafe verdienen jene, welche durch persönliches Bemühen diese Würde erlangten und dann entweder aus Leichtsinn oder aus Bosheit oder selbst aus Unerfahrenheit das Amt schlecht versehen. Aber freilich, deswegen bleibt keineswegs für die, die nicht darnach getrachtet haben, etwa Aussicht auf Verzeihung übrig, vielmehr gehen auch diese jeder Entschuldigung verlustig. Ich bin nämlich der Ansicht, man solle, wenn auch Unzählige aufmuntern und nötigen, nicht auf diese achten, sondern man müsse zuerst seine eigene Seele prüfen und alles gründlich erforschen, bevor man den Drängenden nachgibt. Nun wird doch niemand wagen, zu versprechen, ein Haus zu bauen, der nicht Baumeister ist, noch wird jemand sich mit einem erkrankten Leibe befassen wollen, der von der Arzneikunst nichts versteht. Wenn auch viele ihn mit Gewalt dazu zu drängen S. 188 suchen, er wird sie zurückweisen und wird sich seiner Unkenntnis nicht schämen. Und der, welcher mit der Fürsorge für so viele Seelen betraut werden soll, sollte nicht zuerst sich prüfen, sondern, mag er auch der allerunerfahrenste sein, das Amt einfach annehmen, weil der oder jener es befiehlt, weil der oder jener ihn nötigt, weil er den oder jenen nicht kränken möchte? Aber wie, stürzt er da nicht sich selbst zugleich mit jenen ins offene Unglück? Obwohl es ihm nämlich möglich wäre, seine eigene Person zu retten, zieht er auch noch andere mit sich ins Verderben. Woher will er da auf Rettung hoffen? Woher Verzeihung erlangen? Wer wird alsdann für uns Fürbitte einlegen? Vielleicht unsere jetzigen Dränger, die uns mit Gewalt heranziehen? Allein wer wird sie selbst in jenem Zeitpunkte erretten? Bedürfen doch auch sie der Hilfe anderer, um dem Feuer zu entgehen. Daß ich aber das jetzt nicht deshalb vorbringe, um dich in Schrecken zu versetzen, sondern weil es sich in Wahrheit so verhält, so vernimm, was der selige Paulus zu seinem Schüler Timotheus, seinem wahren und geliebten Sohne , spricht: “Lege niemanden voreilig die Hände auf und mache dich nicht fremder Sünden teilhaftig” . Siehst du nun, vor welchem Tadel nicht nur, sondern auch vor welcher Strafe ich für meinen Teil diejenigen bewahrt habe, die mich in dieses Amt hineinbringen wollten?

KAPITEL II

Denn ebensowenig es für die Gewählten zu ihrer Verteidigung genügt, zu erklären: Ich habe mich nicht unaufgefordert hinzugedrängt, ich habe mich allerdings auch nicht durch die Flucht entzogen, weil ich im voraus nichts davon wissen konnte, kann es auch den Wählern etwas nützen, wenn sie sagen, sie hätten den Gewählten nicht gekannt. Es wird vielmehr dadurch ihre Schuld nur noch größer, weil sie jemanden vorschlugen, S. 189 den sie nicht kannten, und ihre scheinbare Entschuldigung wird das Anklagematerial noch vermehren. Wie widersinnig ist es nicht! Wenn man einen Sklaven kaufen will, führt man ihn vorher den Ärzten vor, fordert für den Kauf Bürgen, erkundigt sich bei Nachbarn und ist nach all dem noch nicht beruhigt, sondern man verlangt auch noch eine lange Frist zur Erprobung. Wenn man dagegen beabsichtigt, jemanden in ein solch hohes Kirchenamt einzusetzen, nimmt man die Aufnahme oberflächlich und aufs Geratewohl vor, ohne eine andere Prüfung der Persönlichkeiten, als daß es diesem oder jenem beliebt, aus Gunst oder Mißgunst ein Zeugnis für sie abzulegen. Wer wird alsdann Fürsprache für uns einlegen , wenn jene, die uns zur Seite stehen sollten, selbst der Hilfe bedürfen?

Wer also jemanden die Hände auflegen will, muß vorher eine genaue Untersuchung anstellen, eine viel sorgfältigere jedoch der, dem die Hände aufgelegt werden sollen. Denn wenn er auch bei seinen Vergehen seine Wähler zu Genossen seiner Strafe hat, er selbst ist damit doch keineswegs von der Strafe befreit, sondern wird sogar eine noch härtere erdulden müssen, es müßte denn sein, daß die Wähler aus irgendeiner menschlichen Ursache gegen das, was ihnen wohlbegründet erschien, gehandelt hätten. Falls sie nämlich hierbei ertappt würden, daß sie wissentlich aus irgendeinem Vorwand gerade den Unwürdigen einsetzten, so werden beide der gleichen Züchtigung anheim fallen, vielleicht einer größeren die, welche den Untauglichen aufgestellt haben. Denn wer einem Menschen, der die Absicht hat, die Kirche zugrunde zu richten, die Macht dazu verschafft, ist selbst schuldig an dem, was jener in seiner Verwegenheit begeht. Wenn er aber für nichts hiervon verantwortlich wäre, sondern behaupten könnte, er sei durch die Meinung der großen Menge getäuscht worden, so bleibt er auch in diesem Falle nicht ungestraft, nur daß ihn eine etwas geringere Strafe trifft als den Gewählten. Warum S. 190 denn? Weil, wie es scheint, die Wähler, von einer falschen Meinung betrogen, sich zu diesem Schritte verleiten ließen, der Gewählte jedoch nicht die Ausrede vorbringen kann: Ich habe mich selber geradeso wenig gekannt wie die anderen. Wie er also eine schwerere Strafe zu gewärtigen hat als seine Gönner, so muß er auch eine sorgfältigere Prüfung als sie über sich selbst anstellen. Und wenn jene, ohne ihn zu kennen, ihn hervorziehen wollen, so muß er zu ihnen hingehen und muß ihnen genau die Gründe auseinandersetzen, um derentwillen er sie von ihrem Irrtume abbringen möchte. Indem er ihnen nachweist, daß er schon der eingehenden Prüfung unwürdig sei, wird er der Last eines so schwierigen Amtes entgehen. Wenn über Kriegsdienst, Seehandel, Ackerbau und andere weltliche Geschäfte eine Beratung stattfindet, warum übernimmt da nicht der Landmann die Schiffahrt, der Soldat den Ackerbau, der Steuermann den Kriegsdienst, selbst wenn man ihm tausendmal mit dem Tode drohen würde? Doch wohl offenbar deshalb, weil jeder die aus seiner Unerfahrenheit erwachsende Gefahr voraussieht. Wo demnach der Schaden nur geringfügige Dinge betrifft, da gebrauchen wir so große Vorsicht und geben dem Zwange derer, die uns nötigen wollen, nicht nach; wo aber ewige Strafe denen in Aussicht steht, die trotz ihrer Unwissenheit das Priestertum auszuüben wagen, da wollen wir ohne weiteres und unbesonnen eine solche Gefahr auf uns nehmen, indem wir die Anwendung von Gewalt von seiten anderer vorschützen? Unser dereinstiger Richter jedoch wird das nicht gelten lassen. Wir hätten nämlich viel größere Sicherheitsmaßregeln betreffs der geistlichen Güter treffen sollen als für die irdischen; nun aber stellt es sich heraus, daß wir nicht einmal die gleiche Sorgfalt für beide an den Tag legen. Sage mir doch, wenn wir jemanden, in dem wir einen Baukundigen vermuteten, ohne daß er es ist, zur Herstellung eines Baues beriefen, dieser auch Folge leistete, dann aber, wenn er sich an dem für das Bauwerk zurecht gelegten Material zu schaffen macht, Holz und Steine verderben und das Haus derart aufführen würde, daß es alsbald in sich zusammenstürzen müßte, würde es da zu seiner Entschul- S. 191 digung genügen, daß er von anderen genötigt worden und nicht aus freien Stücken gekommen wäre? Nimmermehr. Und ganz mit vollem Recht. Denn er hätte, auch wenn andere ihn beriefen, sich weigern sollen. Wenn es demnach für den, welcher Holz und Steine zugrunde richtet, kein Entrinnen aus der ihm gebührenden Strafe gibt, sollte da derjenige, welcher Seelen ins Verderben stürzt, indem er deren geistlichen Aufbau vernachlässigt, glauben, es genüge für ihn die Nötigung seitens anderer, um der Strafe entgehen zu können? Wäre das nicht ganz und gar ungereimt!

Ich will jetzt noch nicht beifügen, daß niemand einen anderen wider seinen Willen zu zwingen vermag. Es sei jedoch zugegeben, daß er außerordentliche Gewalt und mannigfaltige Ränke über sich ergehen lassen mußte, so daß er schließlich in ihre Hände fiel . Wird ihn dieser Umstand nun von der Strafe erretten? Nein, ich bitte, wollen wir uns hierin nicht selbst täuschen; wollen wir uns nicht stellen, als wüßten wir Dinge nicht, die doch schon kleinen Kindern bekannt sind. Denn wenn wir einmal Rechenschaft ablegen müssen, wird es uns doch wohl nichts nützen können, daß wir uns unwissend stellen. Im Bewußtsein deiner Schwäche hast du nicht selbst darnach getrachtet, dieses hohe Amt zu erlangen! Das war recht und lobenswert von dir. Dann hättest du mit derselben Entschiedenheit dich weigern sollen, auch wenn andere dich dazu aufforderten. Oder warst du nur so lange schwach und untauglich, als niemand dich berief, und bist dann plötzlich stark geworden, als sich Leute fanden, die dir diese Würde übertragen wollten? Das wäre lächerlich und possenhaft und verdiente die schwerste Strafe. Darum ermahnt auch der Herr , wenn man einen Turm bauen wolle, nicht eher den Grund zu legen, als bis man sein eigenes Vermögen überrechnet habe, damit man den Vorübergehenden nicht unaufhörlich Anlaß zum Gespötte gebe. In diesem Falle endet die Strafe allerdings nur mit Gelächter. Hier aber bedeutet die Züchtigung ein un- S. 192 auslöschliches Feuer, ein nimmersterbender Wurm, ein Zähneknirschen, die äußerste Finsternis, die Vernichtung und Einreihung unter die Heuchler.

Die, welche mich anklagen, wollen nichts von all dem wissen; sonst würden sie wohl sicherlich aufhören, den zu tadeln, der nicht leichtsinnig zugrunde gehen will. Die Untersuchung, um welche es sich hier handelt, dreht sich nicht darum, ob jemand mit Weizen oder Gerste, mit Rindern oder Schafen oder mit anderen derartigen Dingen zu wirtschaften versteht, sondern sie betrifft den Leib Christi selber. Denn die Kirche Christi ist nach den Worten des seligen Paulus der Leib Christi. Und der, dem dieser Leib anvertraut ist, muß ihn dermaßen pflegen, daß er zu einem vollen Wohlbefinden und zu unendlicher Schönheit sich entwickelt und muß allseitig sich umsehen, ob nicht irgendwo ein Flecken , eine Runzel oder sonst ein Makel jene Herrlichkeit und Anmut verunstalte. Ja, was anders ist schließlich sein letztes Ziel, als, soweit es in seinen menschlichen Kräften steht, den Leib Christi so zu gestalten, daß er des mit ihm verbundenen, reinen und heiligen Hauptes würdig sei? Denn wenn schon die, welche auf die Erzielung einer athletischen Leibeskonstitution hinarbeiten, Ärzte und Turnlehrer, eine genau geregelte Lebensweise, beständige Übung nebst unzähligen anderen Beobachtungen nötig haben, zumal das geringste zufällige Versehen alles umwerfen und zerstören kann, wie können da diejenigen, denen die Sorge für einen Leib zugefallen ist, der nicht gegen irdische Leiber, sondern wider unsichtbare Mächte den Kampf zu bestehen hat , diesen rein und gesund erhalten, wenn sie nicht über die gewöhnliche menschliche Tüchtigkeit bei weitem hervorragen und sich nicht vollständig auf eine für die Seelen ersprießliche Behandlung verstehen ? S. 193

KAPITEL III

Oder weißt du nicht, daß dieser Leib mehr Krankheiten und Gefahren ausgesetzt ist als unser sterbliches Fleisch, schneller als dieses dem Verderben anheim fällt und langsamer gesundet? Auch sind von den Ärzten des natürlichen Leibes mannigfaltige Heilmittel erfunden, verschiedene Werkzeuge verfertigt und Speisen bereitet worden, die den Kranken zuträglich sind. Oft genügt schon die Beschaffenheit der Luft allein, um dem Leidenden die Gesundheit wiederzugeben. Manchmal enthebt auch ein rechtzeitig sich einstellender Schlaf den Arzt jeder weiteren Mühe. Hier jedoch läßt sich nichts dergleichen verwenden, sondern hier steht außer dem Beispiel der guten Tat nur ein Mittel und Weg zur Heilung zur Verfügung, nämlich die Belehrung durch das Wort.

Das ist das richtige Werkzeug, das die eigentliche Nahrung, das die beste Temperatur der Luft; das vertritt Arznei, vertritt Feuer, vertritt Eisen. Das muß man gebrauchen, wenn es notwendig wird, zu brennen und zu schneiden. Und wenn das Wort nichts vermag, so hat alles andere keinen Wert. Durch das Wort richten wir die Seele auf, wenn sie daniederliegt, und beruhigen sie, wenn sie erregt ist. Durch das Wort beseitigen wir etwaige Auswüchse an der Seele und ergänzen das Fehlende und veranlassen damit alles andere, was zu ihrer Gesundheit uns förderlich zu sein scheint. Handelt es sich um die vollkommenste Einrichtung des Lebenswandels, so kann das Vorbild eines anderen zum gleichen Eifer antreiben; wenn aber die Seele kränkelt an falschen Glaubenslehren, da ist reichliche Anwendung des Wortes notwendig, nicht nur zur Sicherung der eigenen Glaubensgenossen, sondern auch zur Abwehr feindlicher Angriffe von außen. Denn wenn jemand mit dem Schwerte des Geistes und mit dem Schilde des Glaubens dermaßen ausgerüstet wäre, daß er Wunder zu wirken und durch seine Wunder den Unverschämten den Mund zu stopfen vermöchte, dann bedürfte er der S. 194 Hilfe, welche das Wort gewährt, wohl nicht; oder vielmehr auch dann wäre die in dem Wort liegende Macht keineswegs unnütz, sondern sogar höchst notwendig. Hat doch auch der selige Paulus sich desselben bedient, wenngleich er überall wegen seiner Wunderzeichen Staunen erregte. Und ein anderer aus jenem Kreise ermahnt uns, daß wir diese Macht [der Rede] uns mit Eifer aneignen sollen, wenn er sagt: “Seid bereit zur Verantwortung gegen jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die ihr in euch habt” . Aus keinem anderen Grunde haben damals alle Apostel einmütig den Stephanus und seine Genossen mit der Sorge für die Witwen betraut, als um selber für den Dienst des Wortes Zeit zu gewinnen. Allerdings brauchten wir nicht so sehr um das Wort uns zu bemühen, wenn wir noch die Kraft, mit Hilfe der Wunder zu wirken, besäßen. Wenn nun aber von jener Macht nicht einmal eine Spur übrig geblieben ist, dagegen von allen Seiten und beständig zahlreiche Feinde wider uns auftreten, so sind wir genötigt, fortan mit dem Worte uns zu wappnen, einerseits um nicht von den Geschossen der Feinde getroffen zu werden, anderseits um sie selbst zu treffen.

KAPITEL IV

Deshalb müssen wir uns eifrig bemühen, daß das Wort Christi reichlich in uns wohne . Denn wir haben nicht bloß für e i n e Kampfesart gerüstet zu sein, sondern der uns aufgedrungene Krieg ist ein mannigfaltiger, ins Werk gesetzt von verschiedenartigen Feinden. Auch führen weder alle dieselben Waffen, noch suchen sie uns auf einerlei Weise anzugreifen. Wer also den Kampf gegen alle aufnehmen will, muß die Kunstgriffe aller kennen: Er muß zugleich Bogenschütze und Schleuderer, Ober- und Unterführer, Soldat und Feldherr sein, er muß zugleich zu Fuß und zu Pferd, zu Schiff und auf S. 195 der Mauer zu streiten verstehen. Bei den gewöhnlichen kriegerischen Kämpfen erhält jeder der Teilnehmenden seine bestimmte Aufgabe, innerhalb deren er die anrückenden Feinde abwehrt. Hier aber geht das nicht so. Wenn man hier den Sieg davontragen will, aber nicht alle Arten der Kriegskunst kennt, so versteht es der Teufel, gerade die einzige Stelle, die vernachlässigt worden, aufs Korn zu nehmen und an ihr seine Verführer eindringen und die Schafe rauben zu lassen, Das gelingt aber nicht, wenn er merkt, daß der Hirte in allem genaue Kenntnis besitzt und seine Anschläge vollkommen durchschaut. Daher tut es not, sich von allen Seiten wohl zu wappnen. Denn solange eine Stadt ringsum verschanzt ist, verlacht sie ihre Belagerer, da sie sich in voller Sicherheit weiß; wenn aber einer die Mauer durchbrochen hat, sei es auch nur im Ausmaß einer kleinen Pforte, so hat die Umwallung weiter gar keinen Nutzen mehr, mag die ganze übrige Befestigung noch so sicher ausschauen. So verhält es sich auch mit der Stadt Gottes. Solange die Geistesgegenwart und Umsicht des Hirten sie von allen Seiten anstatt einer Mauer schützt, enden alle Anschläge mit Schande und Gelächter für die Feinde, und die Einwohner bleiben darin unbeschädigt. Hat aber jemand vermocht, von einer Seite einzudringen, so wird doch, ohne daß er selbst die Stadt vollständig bezwingt, durch den Teil, wie man zu sagen pflegt, das Ganze zugrunde gerichtet.

Was soll er denn anfangen, wenn er zwar trefflich gegen die Griechen zu streiten versteht, aber die Juden seine Stadt ausplündern? Oder wenn er über diese beiden Herr wird, aber den Manichäern der Raub gelingt? Oder wenn, nachdem auch letztere überwunden, die, welche die Lehre vom Fatum einschmuggeln wollen , die in der Stadt befindlichen Schäflein zu Falle bringen? Doch, wozu soll ich sämtliche Irrlehren des Teufels aufzählen? Falls der Hirte nicht alle glücklich zurückzuweisen versteht, so kann der Wolf schon durch eine einzige der meisten Schafe sich bemächtigen. Bei den gewöhnlichen S. 196 Kriegsmännern muß man immer gewärtig sein, daß Sieg und Niederlage in den Händen derer liegt, die im Felde stehen und kämpfen. Hier jedoch findet gerade das Gegenteil statt. Denn oftmals fechten wohl die einen den Kampf aus, der Sieg ist aber denen zugefallen, die anfangs sich gar nicht daran beteiligten oder überhaupt sich nicht darum kümmerten, sondern sich ruhig verhielten und stille dasaßen. Wer also hierin nicht viele Erfahrung besitzt, wird von seinem eigenen Schwerte durchbohrt und Freunden und Feinden zum Gespötte. So z. B. — ich will dir nämlich meine Behauptung an der Hand eines Beispiels deutlich zu machen suchen — schließen die Anhänger der unsinnigen Lehre Valentins und Marcions, und so viele sonst noch an demselben Aberwitz kränkeln, das von Gott dem Moses gegebene Gesetz aus dem Verzeichnis der göttlichen Schriften aus. Hingegen halten die Juden dasselbe so hoch in Ehren, daß sie, obwohl die gegenwärtige Zeit es verbietet, hartnäckig wider den Willen Gottes darauf bedacht sind, alle Satzungen des Gesetzes zu beobachten. Die Kirche Gottes jedoch hat die Übertreibungen beider vermieden und den Mittelweg eingeschlagen: sie läßt sich weder bestimmen, sich unter das Joch des Gesetzes zu beugen, noch duldet sie, daß man es verlästere, man preist es vielmehr, obwohl es aufgehoben ist, weil es einmal zu seiner Zeit großen Nutzen gebracht hatte. Dieses richtige Maß muß nun jeder einhalten, der mit beiden Richtungen sich in einen Streit einlassen will. Wenn er nämlich die Juden belehren wollte, es sei nicht mehr an der Zeit, an der alten Gesetzgebung festzuhalten, und sich daran machen würde, sie schonungslos zu tadeln, so würde er denjenigen unter den Häretikern, welche das Gesetz zu lästern beabsichtigen, eine nicht geringe Handhabe bieten. Würde er aber im Eifer, um letzteren den Mund zu stopfen, das Gesetz übermäßig preisen und bewundern, als sei es auch in der Gegenwart noch nötig, dann würde er dazu beitragen, daß die Juden ihren Mund erst recht aufreißen. Desgleichen sind die verblendeten Anhänger der wahnwitzigen Lehre des Sabellius und die tollen Partei- S. 197 gänger des Arius aus Übertreibung vom gesunden Glauben abgefallen. Der Name “Christen” wird zwar beiden beigelegt; wenn man aber ihre Lehren prüft, so wird man finden, daß die einen um nichts besser sind als die Juden, nur daß sie sich von diesen durch den Namen unterscheiden und daß die anderen mit der Häresie des Paulus von Samosata viele Ähnlichkeit haben, beide jedoch außerhalb der Wahrheit stehen. Von hier ist also große Gefahr zu gewärtigen; der Weg ist eng und schmal, auf zwei Seiten von steilen Abhängen bedroht, und es besteht nicht geringe Besorgnis, man könnte, während man den einen Gegner zu treffen gedenkt, von dem anderen verwundet werden. Denn wenn man sagt, es gibt nur e i n e Gottheit, so bezieht Sabellius diesen Ausdruck sofort auf seine eigene unsinnige Lehre. Macht man hinwiederum einen Unterschied, indem man den Satz aufstellt, ein anderer ist der Vater, ein anderer der Sohn, ein anderer der Heilige Geist, so steht Arius auf und bezieht den Unterschied in den Personen auf eine Verschiedenheit des Wesens. Es gilt also, sowohl die gottlose Vermischung des einen wie die unsinnige Trennung des anderen zu verabscheuen und zu fliehen, indem man die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes als e i n e bekennt, aber die Unterscheidung der drei Personen hinzufügt . Denn so werden wir die Angriffe beider zurückzuschlagen imstande sein. Noch viele andere verwickelte Streitigkeiten könnte ich dir anführen, bei deren Bekämpfung man leicht, wenn man nicht verständig und vorsichtig vorgeht, reichlich Wunden davontragen kann. S. 198

KAPITEL V

Was soll man erst sagen zu den unsinnigen Fragen der eigenen Anhänger? Diese sind von nicht geringerer Bedeutung als die Angriffe von außen, verursachen vielmehr dem geistlichen Lehrer noch weit größere Sorgen. So wollen die einen aus bloßem Vorwitz, ohne Grund und Überlegung, überflüssigerweise sich mit Dingen beschäftigen, deren Kenntnis auch nicht den geringsten Nutzen mit sich bringt oder in welche eine Einsicht zu erlangen überhaupt unmöglich ist. Andere hinwiederum verlangen von ihm Aufschluss über die Gerichte Gottes und dringen in ihn, die Tiefe des Abgrunds zu messen. Heißt es doch: “Deine Gerichte sind ein tiefer Abgrund” . Und während man nur wenige findet, die sich um ihren Glauben und einen rechten Lebenswandel besorgt zeigen, sind deren viel mehr, die vorwitzig sich mit unnötigen Fragen beschäftigen und manches zu erforschen suchen, was gar nicht ergründet werden kann und worüber zu grübeln den Zorn Gottes erregt. Denn wenn wir die Erkenntnis von Dingen, deren "Wissen er selbst uns vorenthalten hat, erzwingen wollen, so werden wir mit nichten dazu gelangen. Wie wäre das auch möglich, wenn Gott es nicht will? Übrigens erwächst für uns aus solchem Streben nichts anderes als Gefahr. Aber trotzdem, obwohl sich die Sache so verhält, sobald man Leute, die derartige unzugängliche Dinge zu ergrübeln trachten, auf Grund der eigenen Machtbefugnis zum Schweigen zu bringen sucht, zieht man sich den Ruf zu, anmaßend und unwissend zu sein. Darum muß der Vorsteher auch hier außerordentliche Einsicht an den Tag legen, um einerseits seine Untergebenen von solchen ungereimten Fragen fernzuhalten und anderseits den genannten Beschuldigungen zu entgehen. Für alle diese Schwierigkeiten ist uns aber keine andere Hilfe gegeben als allein die Macht des Wortes. Und wenn dem Vorsteher diese Macht mangelt, so werden die Seelen der ihm Untergebenen — ich meine die allzu Schwachen und S. 199 Vorwitzigen — um nichts besser daran sein als Schiffe, die beständig unter Stürmen zu leiden haben. Deshalb muß der Priester alles daran setzen, um die Gewalt der Rede zu erlangen.

Warum hat dann Paulus, unterbrach [mich Basilius], sich keine Mühe gegeben, sich hierin tüchtig auszubilden? Auch verbirgt er seine Redearmut durchaus nicht, sondern gesteht ausdrücklich , er sei im Reden unbewandert. Er schreibt das sogar an die Korinther, die wegen ihrer Redefertigkeit Bewunderung erregten und sich viel darauf einbildeten.

KAPITEL VI

Das ist es gerade, erwiderte ich, was so viele zugrunde richtete und sie gegenüber der wahren Lehre lässiger machte. Da sie nämlich die Tiefe der Gedanken des Apostels nicht vollkommen zu erfassen noch in den Sinn seiner Worte einzudringen vermochten, so haben sie all ihre Zeit mit Kopfnicken und Mundaufsperren zugebracht und eine derartige Unwissenheit verteidigt, allerdings nicht die, deren Paulus sich rühmt, sondern eine solche, von welcher er so weit entfernt war, wie kein anderer der Menschen unter unserem Himmel. Aber diese Frage bleibe uns für einen anderen Zeitpunkt aufgespart. Bis dahin sage ich nur soviel: Setzen wir den Fall, Paulus sei hierin, so wie jene Leute wollen, wirklich unbewandert gewesen; was hat das jedoch für eine Bedeutung für unsere jetzigen Zeitgenossen? Denn er besaß eine Macht, die viel wertvoller war als die des Wortes und die mehr auszurichten vermochte. Er brauchte sich nur öffentlich zu zeigen, ohne etwas zu reden, und er flößte den Dämonen schon Schrecken ein. Alle jetzt Lebenden dagegen sind, selbst wenn sie unter unzähligen Gebeten und Tränen sich vereinigen, nicht im- S. 200 stande, so viel zu erreichen, als einstmals die Gürtel Pauli vermochten . Paulus erweckte durch seine Gebete Tote und wirkte noch andere derartige Wunder, daß er bei den Heiden sogar für einen Gott gehalten wurde . Ja er ward schon, bevor er aus diesem Leben schied, gewürdigt, bis in den dritten Himmel entrückt zu werden und Worte zu vernehmen, die zu hören sonst der Menschennatur nicht gewährt ist . Aber betreffs der jetzt Lebenden — ich will indes kein unangenehmes oder bitteres Wort verlauten lassen; denn auch das, was ich jetzt vorbringe, sage ich nicht, um ihnen zu nahe zu treten — kann ich nur meine Verwunderung aussprechen, daß sie nicht davor zurückschrecken, sich mit einem so hoch stehenden Manne zu vergleichen.

Denn wenn wir auch die Wunder beiseite lassen, sondern bloß das Leben des seligen Paulus berücksichtigen und seinen engelgleichen Wandel ins Auge fassen, so wirst du sehen, daß dieser Streiter Christi noch mehr Siege durch sein Leben errungen hat als durch seine Wunderzeichen. Wie könnte man seinen Eifer, seine Nachsicht, seine beständigen Gefahren , seine fortwährenden Sorgen, seine unaufhörliche Angst um die einzelnen Kirchengemeinden , sein Mitleid mit den Schwachen , seine vielen Drangsale, seine immer von neuem einsetzenden Verfolgungen, sein tägliches Sterben überhaupt beschreiben? Welcher Ort auf der ganzen Welt, welches Land, welches Meer kennt nicht die mühevollen Kämpfe dieses Gerechten? Selbst die unbewohnte Wüste hat seine Bekanntschaft gemacht und ihm, wenn er in Gefahr schwebte, wiederholt Aufnahme gewährt. Hat er doch Nachstellungen jeder Art erduldet und nach allen Seiten hin Siege davongetragen. Niemals hat es ihm weder an Kämpfen noch an Kränzen gefehlt. Aber ich weiß nicht, wie ich mich dazu verleiten S. 201 ließ, diesen Mann zu verkleinern Denn seine wohlgelungenen Taten ragen über jeden Versuch hinaus, sie durch Worte zu schildern, über die meinigen zumal so sehr, wie die Redegewandten mich übertreffen. Gleichwohl kann ich mich — denn der Selige wird mich nicht nach dem Erfolge, sondern nach dem guten Willen beurteilen — nicht enthalten, das noch zu sagen, was über das bis jetzt Vorgebrachte in solchem Grade erhaben ist, wie Paulus über alle Menschen. Was ist das denn? Nachdem er so gewaltige Erfolge errungen, nachdem er mit unzähligen Siegeskränzen ausgezeichnet worden, wünschte er, in die Hölle zu fahren und der ewigen Strafe überliefert zu werden , damit die Juden, welche ihn zu wiederholten Malen gesteinigt und, soviel wenigstens an ihnen lag, getötet hatten, gerettet würden und zu Christus gelangten. Wer hat jemals Christus so innig geliebt, wenn man überhaupt das noch Liebe nennen kann und nicht vielmehr etwas anderes, das mehr ist als Liebe? Werden wir nun uns jetzt noch mit ihm vergleichen nach solcher Gnade, die er von oben empfangen, nach solcher Tugend, die er für seine Person an den Tag gelegt hat? Was könnte wohl vermessener sein als dieses Unterfangen?

Daß jedoch Paulus auch nicht in dem Sinne unwissend war, wie die früher erwähnten Leute meinen, auch das will ich im folgenden nachzuweisen suchen. Sie nennen nicht bloß denjenigen unwissend, der nicht in dem Blendwerk heidnischer Wissenschaft bewandert ist, sondern auch den, welcher nicht für die Lehren der Wahrheit zu kämpfen weiß. Und sie haben Recht. Paulus aber hat sich nicht nach beiden Seiten hin als unwissend bezeichnet, sondern nur nach der einen. Und indem er diese Versicherung abgegeben, hat er genau die Unterscheidung gemacht, daß er wohl im Reden unbewandert sei, aber nicht in der Erkenntnis . Würde ich [vom Priester] die Glätte eines Isokrates, die Wucht eines De- S. 202 mosthenes, die Würde eines Thukydides und den Tiefsinn eines Plato verlangen, so wäre dieses Zeugnis Pauli dagegen vorzubringen. Nun aber lasse ich all das, sowie den überflüssigen Schmuck der heidnischen Schriftsteller beiseite, kümmere mich überhaupt nicht um den Stil und Ausdruck. Es darf vielmehr die Redeweise arm sein, die Zusammenstellung der Wörter einfach und kunstlos, nur in bezug auf die Erkenntnis und das genaue Verständnis der Glaubenswahrheiten soll keiner unwissend sich zeigen und jenem Heiligen sein größtes Gut und seinen höchsten Ruhm zu entreissen suchen, um dadurch die eigene Unfähigkeit zu verdecken.

KAPITEL VII

Wodurch, sage mir, widerlegte er die Juden, welche in Damaskus wohnten , zu einer Zeit, da er noch nicht begonnen hatte, Wunder zu wirken? Womit überwand er die Hellenisten? Weshalb wurde er nach Tarsus geschickt? Nicht darum, weil er durch seine Rede mit aller Macht sie besiegte und sie so sehr in die Enge trieb, daß sie erbittert sich bis zum Mordanschlag hinreißen ließen, weil sie ihre Niederlage nicht zu ertragen vermochten? Denn damals hatte er noch nicht begonnen, Wunder zu wirken. Auch kann man überhaupt nicht sagen, daß die große Menge ihm wegen seines Wunderruhmes Verehrung zollte und daß seine Gegner schon durch das hohe Ansehen des Mannes zuschanden wurden. Bis dahin zeigte sich seine Macht nur in seiner Rede. Womit hat er gegen die, welche in Antiochien zu judaisieren suchten, gekämpft und gestritten? Und jener Areopagite aus jener abergläubischen Stadt, schloss er sich ihm nicht an, bewogen einzig durch des Apostels Rede vor dem Volke, S. 203 samt dem Weibe? Wie kam es, daß Eutychos von der Fensterbrüstung herabfiel? Nicht darum, weil er bis tief in die Nacht hinein den Worten der Unterweisung des Apostels lauschte? Was tat dieser dann in Thessalonike, in Korinth, in Ephesus und selbst in Rom? Verwandte er nicht ganze Tage und Nächte ununterbrochen zur Schrifterklärung? Was soll man noch sagen zu seinen Disputationen mit den Epikureern und Stoikern? Wollte ich alles aufzählen, so würde meine Rede sich zu sehr in die Länge ziehen. Wenn nun also feststeht, daß Paulus sowohl bevor, als auch während er Wunder wirkte, sich in hervorragendem Maße des Wortes bediente, wie kann man da wagen, ihn hierin einen Unwissenden zu nennen, da er doch gerade wegen seiner Gewandtheit zu disputieren und zu reden vor dem Volke allenthalben ganz besondere Bewunderung erregte? Denn warum hielten ihn die Lykaonier für Hermes? Daß sie [Paulus und Barnabas] als Götter angesehen wurden, kam von den Wundern her; daß man jedoch in Paulus den Hermes zu erkennen meinte, war nicht die Folge seiner Wundertätigkeit, sondern seiner Beredsamkeit.

Wodurch hat sich weiter dieser Heilige auch vor den übrigen Aposteln hervorgetan? Woher kommt es, daß sein Name auf der ganzen Welt so laut in aller Mund ist? Woher kommt es, daß er nicht nur bei uns, sondern auch bei den Juden und Griechen unter allen Aposteln am meisten bewundert wird? Nicht wegen seiner herrlichen Briefe? Durch sie hat er nicht bloß den Gläubigen zu seiner Zeit, sondern auch denen, die seitdem bis heute es geworden sind, Segen gebracht und wird noch weiter Segen bringen jenen, die bis zur Wiederkunft Christi es sein werden, und wird mit dieser seiner Wirksamkeit nicht aufhören, solange das Menschengeschlecht bestehen wird. Denn wie eine aus Stahl S. 204 erbaute Festung umschirmen seine Briefe alle Kirchen des Erdkreises, und wie der siegreichste unter den tapferen Kämpfern steht er auch jetzt noch in unserer Mitte, “indem er jeden Gedanken zum Gehorsam gegen Christus gefangen nimmt und zuschanden macht alle Pläne wie jegliche Überhebung, die sich auflehnt wider die Erkenntnis Gottes” . Das hat er alles durch die bewunderungswürdigen Briefe bewirkt, die er uns hinterließ und die voll sind von göttlicher Weisheit. Nicht bloß zur Widerlegung falscher und zur Sicherung der richtigen Glaubenssätze sind uns seine Schriften dienlich, sie tragen auch nicht wenig bei zur Förderung des rechten Lebenswandels. Diese Briefe benutzen auch heute noch die Kirchenvorsteher, um die reine Jungfrau — die Kirche —, die [durch Paulus] mit Christus “verlobt” worden, aufzuziehen, auszugestalten und zur geistigen Schönheit zu führen. Mit Hilfe dieser Briefe wehren sie auch von der Jungfrau die ihr drohenden Krankheiten ab und bewahren ihr dauernde Gesundheit. Solche Heilmittel hat uns also “der Unwissende” hinterlassen, Heilmittel, die eine ausgezeichnete Kraft besitzen, deren vortreffliche Wirkung diejenigen wohl kennen, die sich ihrer beständig bedienen. daß er selbst in dieser Beziehung großen Eifer entwickelt hat, ist aus all dem ersichtlich.

KAPITEL VIII

Vernimm aber auch, was er seinem Schüler brieflich aufträgt: “Obliege dem Vorlesen, dem Ermahnen, dem Lehren”. Er fügt noch hinzu, welche Frucht ihm daraus erwachsen werde, mit den Worten: “Denn wenn du das tust, wirst du sowohl dich selber wie die, die dich hören, selig machen”. Und wiederum: “Ein Diener des Herrn soll nicht streiten, sondern soll milde sein S. 205 gegen jedermann, belehrend, langmütig”. Und fortfahrend sagt er weiter: “Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut worden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast und weil du von Kindheit an die hl. Schriften kennst, welche dich zur Weisheit zu führen vermögen”. . Und wiederum: “Jede Schrift, die von Gott eingegeben, ist auch nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mann Gottes vollkommen werde”. Vernimm ferner, was er dem Titus auferlegt, indem er mit ihm über die Einsetzung der Bischöfe spricht: “Der Bischof muß an dem glaubwürdigen Worte festhalten, das der Lehre gemäß ist, damit er imstande sei, auch die Widersacher zurechtzuweisen”. Wie kann nun ein “Unwissender”, wie die erwähnten Leute ihn nennen, die Widersprechenden zurechtweisen und zum Schweigen bringen? Wozu ist es nötig, sich mit Vorlesen und der Schrift zu beschäftigen, wenn man diese Unwissenheit gutheißen soll? Das Vorgebrachte enthält also bloß Vorwände und Ausflüchte; einen Deckmantel für Leichtfertigkeit und Trägheit.

“Aber”, wandte [Basilius] ein, “das wird den Priestern aufgetragen.”

Allerdings, von den Priestern war soeben die Rede. Daß er aber auch die Untergebenen im Auge hatte, darüber höre, wie er in einem anderen Briefe andere ermahnt: “Das Wort Christi wohne in euch reichlich in aller Weisheit”. Und wiederum: “Eure Rede sei allezeit voll Anmut, mit Salz gewürzt, auf daß ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt”. Desgleichen gilt allen das Wort “zur Verantwortung bereit zu sein”. Und an die Thessaloniker schreibt er: “Erbauet einander, einer den anderen, so wie ihr es bereits tut”. Wenn er S. 206 jedoch von den Priestern spricht, so drückt er sich also aus: “Die da als Presbyter ihr Vorsteheramt gut versehen, sollen doppelter Ehre gewürdigt werden, besonders die sich in Wort und Lehre abmühen” . Das ist ja das vollkommenste Ziel der Unterweisung, daß die Lehrenden sowohl durch das, was sie tun, als auch durch das, was sie reden, zu dem glückseligen Leben hinführen, welches Christus gefordert hat. Denn das Tun genügt nicht zu einem richtigen Unterricht. Es ist dies nicht ein Ausspruch von mir, sondern vom Erlöser selbst, “Wer [die Gebote] tut und lehrt”, sagt er, “der wird groß genannt werden”. Wenn jedoch das Tun auch schon Lehren in sich schließen würde, so wäre der zweite Ausdruck überflüssig; denn es hätte genügt, bloß zu sagen: “Wer tut.” Nun aber zeigt er dadurch, daß er beide Begriffe auseinander hält, daß sich der eine auf die Werke, der andere auf das Wort bezieht und daß zur vollkommenen Erbauung beide einander bedürfen. Oder hörst du nicht, was das auserlesene Gefäß Christi zu den Presbytern von Ephesus sagt? “Darum wachet und vergesset nicht, daß ich drei Jahre lang Tag und Nacht unaufhörlich unter Tränen einen jeden von euch ermahnt habe”. Wozu bedurfte es denn noch der Tränen oder der Ermahnung durch Worte, da doch schon das Leben des Apostels so hell leuchtete? Wohl mag das [vorbildliche] Leben zur Befolgung der Gebote ein gut Teil beitragen, aber ich möchte dennoch nicht behaupten, daß es allein hierzu alles leisten könnte. S. 207

KAPITEL IX

Wenn z. B. über Glaubenssätze eine Meinungsverschiedenheit entsteht und alle auf Grund der nämlichen Schrift streiten, welchen entscheidenden Einfluss vermag da der Lebenswandel auszuüben? Was hat es für einen Nutzen, daß jemand noch so viele praktische Arbeit leistet, wenn er nach allen diesen Mühsalen wegen großer Unwissenheit in eine Irrlehre verfällt und so vom Leibe der Kirche ausscheidet? Und das ist, wie ich genau weiß, schon vielen begegnet. Was hilft ihm dann alle seine Selbstüberwindung? Nichts, so wenig wie bei schlechtem Lebenswandel der richtige Glaube etwas nützt. Darum muß derjenige, dem die Aufgabe zugefallen ist, andere zu lehren, in solchen Kämpfen ganz besondere Erfahrung besitzen. Denn mag er auch für seine Person ohne Wanken dastehen, ohne daß er selbst von Seiten der Widersacher Schaden erleidet, so gilt dies nicht von der großen Menge der Einfältigen, die ihm unterstellt ist. Wenn sie nämlich sehen, daß ihr Führer unterliegt und den Widersachern nichts entgegenzuhalten vermag, so schreiben sie die Schuld für dessen Niederlage nicht seinem persönlichen Unvermögen zu, sondern der Unhaltbarkeit des betreffenden Glaubenssatzes. Und so wird infolge der Unwissenheit des e i n e n Mannes eine große Masse ins tiefste Verderben gestürzt. Wenn sie auch nicht vollständig auf die Seite der Gegner übertreten, so fühlen sie sich doch verleitet, Dinge zu bezweifeln, an denen sie mit Zuversicht festhalten sollten, und vermögen nicht mehr Wahrheiten, denen sie mit unerschütterlichem Glauben zugestimmt hatten, mit der gleichen Festigkeit ergeben zu sein. Vielmehr wird infolge der Niederlage ihres Lehrers ihre Seele von einem solchen Sturme erfaßt, daß das Übel schließlich mit einem Schiffbruch enden muß. Wie ungeheuer aber das Verderben, wie gewaltig das Feuer ist, das sich über dem unglücklichen Haupte des Urhebers für jeden einzelnen dieser Verlorenen anhäuft, das brauchst du nicht von mir zu erfahren, das alles weißt du selbst ganz genau. S. 208

Das sollte also ein Zeichen von Hochmut, ein Zeichen von Ehrsucht sein, daß ich nicht die Schuld für das Verderben so vieler Leute auf mich nehmen und mir selbst keine größere Strafe zuziehen wollte, als die mir jetzt ohnedies dort bevorsteht? Wer wollte so etwas behaupten? Niemand; außer wer ohne Grund zu tadeln und bei fremdem Unglück seine [vermeintliche] Weisheit zu zeigen geneigt wäre. S. 209

5. Buch

KAPITEL I

Wie reicher Erfahrung der Lehrer für die Kämpfe im Interesse der Wahrheit bedarf, das habe ich hinreichend dargelegt. Ich habe aber im Anschluss daran noch von einer anderen Sache zu sprechen, die ebenfalls an zahllosen Gefahren schuld ist. Oder vielmehr, nicht ihr selbst darf ich die Schuld beimessen, sondern denen, welche damit nicht recht umzugehen wissen. Denn die Sache selber bringt reichlichen Segen und viel Gutes mit sich, wenn sich ihrer eifrige und tüchtige Männer bedienen. Doch, um was handelt es sich denn?

Um die große Arbeit, die aufzuwenden ist für die Predigten, die öffentlich vor dem Volke gehalten werden. Fürs erste wollen die meisten Untergebenen die Prediger nicht als Lehrer ansehen, sondern setzen sich über das Verhältnis von Schülern hinweg und benehmen sich wie die Zuschauer bei den weltlichen Wettkämpfen. Gleich wie dort die Menge sich spaltet und die einen diesem, die anderen jenem beitreten, der nämliche Vorgang ist auch hier zu beobachten. Die einen halten es mit diesem, die anderen mit jenem und hören die Predigten teils aus Zuneigung, teils aus Abneigung an. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit; es kommt noch eine andere, nicht geringere hinzu. Wenn es nämlich einmal zutrifft, daß einer der Redner ein Stück aus einer fremden Bearbeitung seinen Worten einflicht, so setzt er sich größeren Schmähungen aus als die Gelddiebe. Oftmals aber hatte er von niemanden etwas entlehnt, sondern er stand nur in solchem Verdacht und hatte trotzdem dasselbe zu leiden wie die wirklich Ertappten. Doch, was rede ich von fremden Bearbeitungen? Nicht einmal seine eigenen Erzeugnisse kann er immer mit Nutzen vorbringen. Denn die meisten pflegen nicht, um daraus Segen zu S. 210 schöpfen, sondern um der Kurzweil willen ihn anzuhören, als ob sie über Tragödiendichter oder Zitherspieler zu Gericht zu sitzen hätten. So ist hier die Art der Beredsamkeit, die ich im vorausgehenden verworfen habe, in solchem Maße erwünscht, wie dies nicht einmal bei den Sophisten der Fall ist, wenn sie untereinander streiten.

KAPITEL II

Es gehört demnach eine außerordentliche Beherztheit dazu, wie sie über meine Unbedeutendheit weit hinausgeht, um die unordentliche und schädliche Lust der Menge zu zügeln und sie dazu zu bringen, mehr zu ihrem eigenen Nutzen [die Predigt] anzuhören, so daß infolgedessen das Volk dem Prediger nachgebe und sich nach ihm richte, nicht aber er sich durch die Wünsche der großen Menge beeinflussen lasse. Das kann er jedoch nur durch folgende zwei Eigenschaften erreichen: durch Verachtung aller Lobsprüche und durch die Macht seiner eigenen Beredsamkeit.

Wenn das eine dieser beiden Erfordernisse fehlt, wird das übrig bleibende infolge des Mangels des anderen völlig nutzlos. Mag einer auch Geringschätzung gegenüber Lobeserhebungen zeigen, bietet er aber nicht einen Vortrag, der mit Anmut und Salz gewürzt ist, so wird er selbst leicht von der Menge gering geachtet, ohne von seiner hochherzigen Gesinnung Gewinn zu haben. Versteht er es anderseits, in letzterer Beziehung alles recht zu machen, ist er jedoch für die Bezeigung des Beifalls empfänglich, so bedroht hinwiederum sowohl ihn wie die Menge der nämliche S. 211 Nachteil, weil er in seinem Haschen nach Lobsprüchen bestrebt ist, seinen Zuhörern mehr zu gefallen als zu ihrem Nutzen zu reden. Und gleichwie derjenige, der auf lauten Beifall kein Gewicht legt, aber auch nicht zu reden versteht, dadurch, daß er den Wünschen der Menge nicht nachgibt, keinen nennenswerten Erfolg zu erzielen vermag, eben weil ihm die Gabe der Rede mangelt, so bringt der, welcher von der Sehnsucht nach Lobhudelei sich fortreißen läßt, wenn er auch das Mittel besitzt, die Menge zu bessern, anstatt dessen [in der Predigt] vielmehr Dinge vor, die dem Zeitvertreib dienen sollen, um dadurch rauschenden Beifall sich zu erkaufen.

KAPITEL III

Ein trefflicher Vorsteher muß also nach beiden Richtungen hin sich tüchtig erweisen, damit nicht die eine Eigenschaft durch das Fehlen der anderen wirkungslos werde. Wenn er nämlich öffentlich auftritt, um etwas vorzubringen, was an sich die leichtfertig Dahinlebenden zu erschüttern vermag, dabei aber in seiner Rede stockt und anstößt und über diese Schwäche erröten muß, so ist augenblicklich auch der Erfolg dahin aus dem, was er gerade vorgetragen hat. Denn die Getadelten, die sich über seine Worte ärgern und sich ihm gegenüber nicht anders zu wehren wissen, spotten nun über ihn wegen seiner Ungeschicklichkeit und glauben, dadurch ihre eigene Schande zu verdecken. Darum muß er wie ein gewandter Wagenlenker in beiden Leistungen es bis zur Vollkommenheit bringen, damit er je nach Bedürfnis nach beiden Seiten hin sich zu betätigen vermag. Denn erst wenn er selbst niemanden Anlaß zum Tadel gibt, wird er auch, sowie es ihm beliebt, sich das Recht dazu nehmen können, allen seinen Untergebenen Strafe aufzuerlegen oder zu erlassen. Vorher ist das nicht leicht durchzuführen. Sein verständiger Sinn darf sich deshalb nicht mit der Verachtung der Lobeserhebungen be- S. 212 gnügen, sondern er muß sich selbst — in der Beredsamkeit — noch weiter vervollkommnen, damit nicht immer wieder sein Erfolg ein unvollkommener sei.

KAPITEL IV

Was soll er denn sonst noch verachten? Das Bekritteln und Verkleinern [seitens der Menge]. Bei unberechtigten Vorwürfen hingegen — es kann ja nicht ausbleiben, daß der Vorsteher grundlosem Tadel ausgesetzt ist — ist es zweckmäßig, sich weder maßlos zu fürchten und zu ängstigen, noch sie einfach unbeachtet zu lassen. Er soll sie vielmehr, selbst wenn sie unwahr sind und von ganz gewöhnlichen Menschen erhoben werden, rasch zu unterdrücken suchen. Denn nichts vergrößert sowohl seinen schlimmen wie guten Ruf so sehr wie die zügellose Menge. Ist doch diese gewohnt, ohne Prüfung anzuhören und das Gehörte weiterzuerzählen; überhaupt schwätzt sie alles aus, was ihr gerade unterkommt, ohne sich um die Wahrheit im geringsten zu kümmern. Deshalb darf er aber die große Menge nicht verachten, sondern soll durch Überzeugung der Ankläger, wenn sie auch die allerunvernünftigsten wären, den schlimmen Verdacht gleich bei seinem Entstehen ausrotten und überhaupt nichts unterlassen, was die ungünstige Meinung zu zerstören vermag. Wenn S. 213 aber trotz aller unserer Bemühungen die Tadler sich nicht überzeugen lassen wollen, dann allerdings ist es Zeit, sie zu verachten. Würde jemand durch solche Vorkommnisse gleich sich niederdrücken lassen, dann wäre er auch nicht mehr imstande, etwas Tüchtiges und Hervorragendes zu leisten. Denn Niedergeschlagenheit und fortwährende Sorgen vermögen die Kraft der Seele zu brechen und diese in den Zustand äußerster Schwachheit zu versetzen.

Der Priester muß also gegen seine Untergebenen so gesinnt sein, wie ein Vater gegen ganz unmündige Kinder. Gleichwie wir uns nicht darum kümmern, ob letztere mutwillig sind, um sich schlagen und jammern, aber auch uns nichts darauf einbilden, wenn sie uns anlächeln und sonst ihrer Freude Ausdruck geben, so dürfen wir uns auch nicht ob der Lobsprüche der großen Menge aufblähen noch uns durch ihren unberechtigten Tadel niederdrücken lassen. Das ist allerdings schwer, geliebter Freund, ja ich möchte meinen, wohl gar unmöglich. Denn sich nicht freuen, wenn man gelobt wird, ich weiß nicht, ob einem Menschen das jemals gelungen ist. Freut man sich aber darüber, so ist es selbstverständlich, daß man auch darnach strebt, des Lobes teilhaftig zu werden. Und strebt man darnach, so ist es auf jeden Fall ganz natürlich, daß man beim Ausbleiben der Lobeserhebungen mißmutig und betrübt wird. Wie diejenigen, welche ihr ganzes Glück am Reichsein finden, sich gedrückt fühlen, wenn sie in Armut geraten, und wie die, welche ein üppiges Leben gewohnt sind, eine einfache Lebensweise nicht wohl ertragen können, so ergeht es auch denen, die auf Lobsprüche erpicht sind. Sie gehen seelisch zugrunde, gleich als ob sie geistigen Hunger litten, und zwar nicht nur, wenn sie ohne Grund getadelt, sondern auch, wenn sie nicht beständig gelobt werden, insbesondere dann, wenn sie gar in Lobsprüchen aufgezogen worden oder wenn sie hören, wie man andere lobt. Nun denn, wie viele Beschwerden und S. 214 wie großen Kummer meinst du, wird wohl der auf sich nehmen müssen, der mit dieser Begierde als Lehrer sich auf den Kampfplatz wagt? So wenig das Meer jemals ohne Wellen zu sehen ist, so wenig wird seine Seele ohne Sorgen und Betrübnis sein.

KAPITEL V

Wenn er auch eine große Redegewalt besitzt — die man freilich nur bei wenigen antreffen dürfte —, so ist er doch nicht fortwährender, mühevoller Arbeit enthoben. Denn da die Beredsamkeit nicht Naturanlage, sondern Sache fleißigen Erlernens ist, läßt sie selbst den, der hierin den Höhepunkt erreicht hat, im Stich, wenn er nicht durch anhaltenden Fleiß und beharrliche Übung seine Begabung weiter bildet. Deshalb müssen die begabteren Redner viel mehr Arbeit aufwenden als die minderbegabten. Es ist nämlich der Nachteil, wenn beide Kategorien nachlässig sind, nicht der gleiche, sondern er ist bei ersteren um soviel Größer, als beide an Fähigkeiten sich voneinander unterscheiden. Den letzteren dürfte niemand Vorwürfe machen, wenn sie nichts Nennenswertes bieten. Wenn hingegen erstere [die Begabteren] nicht noch Bedeutenderes leisten, als jedermann von ihnen erwartet, so haben sie von allen Seiten vielfache Vorwürfe zu gewärtigen. Dazu kommt, daß die weniger begabten Redner auch bei unbedeutenden Leistungen mit großem Lob bedacht werden, während die Predigten der Begabteren, wenn sie nicht ganz besondere Bewunderung und Verblüffung erregen, nicht nur jeglichen Lobes entbehren müssen, sondern auch viele Tadler finden. Denn nicht um über den Inhalt der Rede, sondern um über das Ansehen der Prediger zu richten, sitzen die Zuhörer da. Wer darum über alle anderen in der Beredsamkeit hervorragt, der muß auch am meisten unter allen angestrengten Fleiß aufwenden. Nicht einmal den Umstand, der doch gemeinhin der menschlichen Natur eigentümlich ist, daß ihr nicht alles gelingen kann, darf er sich zunutzen machen. Steht vielmehr seine Rede nicht vollständig im Einklang mit der Größe seines S. 215 Rufes, so ist sein Abtreten von vielfachem Spott und Tadel seitens der Menge begleitet. Und niemand erwägt bei sich, daß Verzagtheit und Angst, die ihn etwa befallen, desgleichen Sorgen, häufig auch eine starke Erregung die Klarheit des Denkens zu trüben vermögen und die Gedanken nicht zur vollen Entwicklung gelangen lassen, daß überhaupt ein Mensch unmöglich allerwegs derselbe zu sein und in allem das Richtige zu treffen vermag, daß es vielmehr ganz natürlich ist, wenn er sich einmal verhaut und Geringeres leistet, als seine eigentliche Begabung erwarten ließ. Auf nichts dergleichen will man, wie ich bereits erwähnte, Bedacht nehmen, sondern als ob man über einen Engel zu Gericht säße, bringt man die Beschuldigungen herbei. Übrigens ist auch der Mensch von Natur aus geneigt, die löblichen Taten seines Nächsten, mögen sie auch zahlreich und hervorragend sein, zu übersehen; zeigt sich aber irgendein kleiner Mangel, mag er auch als noch so geringfügig sich herausstellen und nur ganz selten vorkommen, so bemerkt man ihn sofort, fällt ohne weiteres darüber her und vergißt ihn nimmer. Und so hat schon häufig die unbedeutendste und geringfügigste Sache das Ansehen vieler und hervorragender Männer geschmälert.

KAPITEL VI

Siehst du, bester Freund, daß gerade der tüchtigste Redner größeren Fleiß aufwenden muß! Außer dem Fleiße muß er auch eine solche Langmut besitzen, wie sie alle die nicht brauchen, die ich dir vorhin aufgezählt habe. Denn viele Leute treten fortwährend ungerechterweise und unüberlegt gegen ihn auf; und obwohl sie ihm nichts anderes vorzuwerfen haben, als daß er bei jedermann in hohem Ansehen stehe, verfolgen sie ihn mit ihrem Hasse. Mit edlem Gleichmut muß er deren bittere Mißgunst ertragen. Da sie ihren verdammenswerten Hass, den sie ohne Grund in sich ansammeln, nicht zu verbergen vermögen, so schimpfen, tadeln und verleumden sie heimtückischerweise und begehen S. 216 auch öffentlich Gemeinheiten. Eine Seele aber, die gleich in jedem einzelnen solcher Fälle sich grämen und aufgebracht werden wollte, würde bald vor Kummer zugrunde gehen. Ja, sie rächen sich an ihm nicht nur in eigener Person, sondern suchen dies auch durch andere zu tun. Nicht selten greifen sie nämlich irgendeinen unfähigen Redner heraus, überhäufen ihn mit Lobsprüchen und bewundern ihn über die Maßen. Die einen handeln so aus Unwissenheit, andere aus Unwissenheit mit Neid gepaart, demnach nicht etwa um den unfähigen Redner als bewundernswert hinzustellen, sondern um den Ruhm des fähigen zunichte zu machen.

Ein tüchtiger Redner hat jedoch nicht nur wider solch einzelne Gegner Kämpfe zu bestehen, sondern auch oft wider den Unverstand eines ganzen Volkes. Ist es doch unmöglich, daß die gottesdienstliche Versammlung aus lauter gebildeten Leuten besteht; vielmehr verhält es sich so, daß der größte Teil der Gemeindeglieder sich aus Ungebildeten zusammensetzt, daß zwar manche urteilsfähiger sind als die große Menge, aber doch ihrerseits wieder hinter denen, die eine Predigt wirklich zu beurteilen vermögen, weit mehr zurückstehen, als hinter ihnen die übrigen alle. Da demnach zur Notbloß einer oder der andere dasitzt, dem die fragliche Urteilsfähigkeit zu eigen ist, so kann es nicht ausbleiben, daß der beste Redner oft den wenigsten Beifall davonträgt, ja bisweilen gar ohne jegliches Lob davongehen muß. Gegen solch unordentliches Benehmen muß er seinerseits mit Hochherzigkeit ausgestattet sein und denen, die aus Unverstand so vorgehen, verzeihen, diejenigen aber, welche aus Neid so etwas in Szene setzen, S. 217 als unglückselige und bedauernswerte Leute bemitleiden. Auch darf er nicht annehmen, daß sein Rednertalent durch das eine oder andere Verhalten beeinträchtigt worden sei. So darf auch ein Meister in der Malerei, welcher über alle anderen in seiner Kunst hervorragt, wenn er sieht, daß Leute, die von Kunst nichts verstehen, sich über ein von ihm mit größter Sorgfalt gemaltes Bild lustig machen, nicht kleinmütig werden und um des Urteils der Unwissenden willen sein Gemälde für schlecht halten. Umgekehrt darf ihm freilich ebenso wenig ein Bild, das wirklich unbedeutend ist, als ausgezeichnet und seiner besonderen Liebe wert erscheinen, weil es bei Nichtfachleuten außerordentliche Bewunderung erregte.

KAPITEL VII

Ein begabter Künstler soll auch selbst an seinen eigenen Kunstwerken Kritik üben. Er halte sie für gut oder schlecht, je nachdem der Verstand, der sie geschaffen, sein Urteil abgibt. Hingegen soll er der irregeführten und kunstwidrigen Meinung von Nichtsachverständigen keineswegs irgendwelche Beachtung schenken. Demgemäß soll auch der, welcher als Lehrer in die Öffentlichkeit tritt, sich um die Lobsprüche anderer nicht kümmern, noch weniger sich durch solche Leute mutlos machen lassen; vielmehr verfertige er seine Predigten so, daß er Gott gefalle. Denn Gott allein muß ihm Richtschnur und Ziel bei der möglichst besten Ausarbeitung seiner Predigten sein, nicht Beifallklatschen und Lobsprüche. Wenn ihm zwar auch von den Menschen Beifall gezollt wird, so weise er das Lob nicht zurück; wird ihm aber solches seitens der Zuhörer nicht gespendet, so suche er es nicht und gräme sich darüber nicht. Denn einen hinreichenden, ja überreichlichen Trost für seine Mühen gewährt ihm dann das eigene Be- S. 218 wußtsein, bloß um Gott zu gefallen, seine Predigten ausgearbeitet und gestaltet zu haben.

KAPITEL VIII

Wenn er sich nämlich von der Sucht nach unvernünftigen Lobhudeleien gefangen nehmen läßt, so hat er von seinen vielen Anstrengungen und seiner Redegewalt gar keinen Nutzen. Wer den unverständigen Tadel der Menge nicht zu ertragen vermag, der erschlafft und läßt im Fleiße, den er auf seine Predigten verwandte, nach. Darum muß [ein tüchtiger Prediger] vor allem anderen die Kunst gelernt haben, das Lob zu verachten. Denn die Redefertigkeit an sich genügt nicht, um seine Tüchtigkeit hierin zu bewahren, wenn nicht auch das andere [die Verachtung des Lobes] hinzukommt. Bei genauer Prüfung wird man des weiteren erkennen, daß auch dem, welcher der Gewandtheit im Reden entbehrt, nicht minder die Verachtung des Lobes vonnöten ist als dem Redebegabten. Kann es doch nicht ausbleiben, daß er viele Fehler begeht, wenn er für die Meinung der großen Menge sich eingenommen zeigt. Denn da er nicht in der Lage ist, den durch Redetüchtigkeit sich auszeichnenden Predigern gleichzukommen, so wird er dann keine Bedenken tragen, ihnen hinterlistig durch Neid und grundlosen Tadel nachzustellen und noch andere derartige Unanständigkeiten gegen sie zu begehen. Ja, er wird alles daran setzen und sollte es auch sein Leben kosten, um deren Ruhm auf die eigene erbärmliche Unbedeutendheit herabzudrücken. außerdem wird er [bei seinen Predigten] jeder anstrengenden Arbeit sich entziehen, nachdem eine Art von Lähmung sich über seine Seele ausgebreitet hat. Denn für denjenigen, der nicht imstande ist, Lobsprüche zu verachten, genügt schon der Umstand, daß er trotz vieler Mühen nur wenig Beifall erntet, um ihn mutlos zu machen und in tiefen Schlaf zu versetzen. So steht auch der Landmann, wenn er sich auf magerem Boden abmühen muß und genötigt ist, steiniges Land zu bebauen, alsbald von der Arbeit ab, falls ihn nicht große Lust zu der Sache er- S. 219 faßt hat oder die drohende Besorgnis vor Hunger ihn dazu treibt. Denn wenn schon die, welche mit gewaltiger Macht zu predigen verstehen, außerordentliche Übung benötigen, um ihre Redefähigkeit zu bewahren, welch große Widerwärtigkeiten, welch tiefe innere Unruhe, welch starke Verwirrung wird dann der andere auszustehen haben, um mit ungeheurer Mühe nur ein klein wenig Stoff zusammenzubringen, falls er im voraus überhaupt nichts sich zurecht gelegt hat, sondern es erst für nötig erachtet, nachzusinnen, wenn er bereits auf dem Kampfplätze steht?

Wenn aber einer von denen, die ihm untergeordnet sind und einen geringeren Rang einnehmen, in dieser Beziehung mehr zu glänzen vermag als er, da ist geradezu eine göttliche Seele vonnöten, um nicht von Neid ganz fortgerissen zu werden und um nicht in völlige Mutlosigkeit zu verfallen. Denn daß einer, der eine höhere Würde bekleidet, von niedriger Stehenden übertroffen werde und daß er das hochherzig ertrage, dazu gehört nicht eine gewöhnliche Seele, auch nicht eine solche, wie sie mir eigen ist, sondern geradezu eine diamantene. Allerdings, wenn der andere, der ihn an Ruhm allzu sehr überstrahlt, sich verständig und bescheiden zeigt, dann ist das Mißgeschick immerhin einigermaßen erträglich. Wenn dieser jedoch hochmütig, prahlerisch und ehrgeizig auftritt, so mag jenem der Tod täglich erwünscht sein. So sehr wird nämlich der andere ihm das Leben verbittern, indem er ihn offen beschimpft, im geheimen verhöhnt, einen großen Teil seiner Amtsgewalt an sich reißt und selbst alles sein will. Zu all dem kann er die vollkommenste Sicherheit zur Schau tragen, besitzt er doch Ungeniertheit im Reden, die Anhänglichkeit der großen Menge und die allgemeine Liebe der Untergebenen.

Oder weißt du nicht, wie sehr heutzutage sich eine Redeliebhaberei der Herzen der Christen bemächtigt hat und daß die, welche der Redekunst sich befleißigen, am allermeisten in Ehren stehen? Es gilt dies nicht nur von den Heiden, sondern auch von unseren eigenen Glau- S. 220 bensgenossen. Wie sollte nun einer eine solche Schande ertragen können, wenn alle, solange er selbst redet, sich in Schweigen hüllen, sich belästigt fühlen und auf das Ende der Rede wie auf eine Erholung nach anstrengender Arbeit warten, wenn sie hingegen dem anderen, mag er auch lange reden, eifrigst zuhören, sogar unwillig werden, sobald er dem Schlüsse zueilt, und in Zorn geraten, wenn er überhaupt sich still verhalten will! Wohl magst du jetzt in deiner Unerfahrenheit solche Vorkommnisse als Kleinigkeiten ansehen, die man leicht verachten könne; sie genügen jedoch, um den Eifer zu ersticken und die Kraft der Seele zu lähmen, wenn man sich nicht von allen menschlichen Leidenschaften losgerissen hat und sich nicht einer Seelenstimmung befleißigt, wie sie den körperlosen Mächten eigen ist, die weder von Neid, noch von Ruhmessucht, noch von einer anderen derartigen Leidenschaft befallen werden. Wenn es nun einen solchen Menschen gibt, der es über sich bringt, dieses wilde Untier, das so schwer zu erjagen und kaum zu bezwingen ist, nämlich die Meinung der großen Menge, mit Füßen zu treten und seine vielen Köpfe abzuhauen, oder vielmehr sie von vornherein gar nicht heranwachsen zu lassen, der wird auch mit Leichtigkeit diese zahlreichen Angriffe abwehren und sich des sicheren Hafens erfreuen können. Hat er sich aber davon nicht unabhängig gemacht, so läßt er einen vielgestaltigen Kampf, beständige Unruhe, Verdrossenheit und das Heer der übrigen Unannehmlichkeiten in seine Seele einziehen. Wozu soll ich die anderen Verdrießlichkeiten aufzählen, die niemand weder zu beschreiben noch zu verstehen vermag, der nicht selbst mit der Verwaltung eines solchen Amtes zu tun gehabt hat? S. 221

6. Buch

KAPITEL I

So steht es hier auf Erden, wie du nun vernommen hast. Wie aber werden wir das, was dort [im Jenseits] kommen wird, ertragen, wenn wir für jeden, der uns anvertraut ist, Rechenschaft abzulegen haben? Denn dort besteht unser Mißgeschick nicht in bloßer Schande, sondern es erwartet uns auch ewige Strafe. Jenen Ausspruch: “Gehorchet euren Vorstehern und seid ihnen Untertan; denn sie wachen als solche, die Rechenschaft geben sollen, über eure Seelen”, habe ich zwar im vorausgehenden schon angeführt, kann ihn aber auch jetzt nicht verschweigen. Erschüttert doch die Furcht vor dieser Drohung meine Seele beständig. Denn wenn es für den, der nur einem einzigen, und sei es auch der Geringste, Ärgernis gibt, das Beste wäre, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde, und wenn alle, die das Gewissen der Brüder verletzen, gegen Christus selbst sündigen, was werden dann erst die erleiden müssen, welche Strafe wird dann denen bevorstehen, die nicht bloß eine, zwei oder drei Personen, sondern viele Scharen zugrunde richten? Dann nämlich kann man sich nicht mit Unerfahrenheit entschuldigen, auch nicht zu Unwissenheit seine Zuflucht nehmen, noch Zwang und Gewalt vorschützen. Eher noch könnte ein Untergebener, wenn es überhaupt anginge, bei seinen eigenen Vergehen sich solcher Ausflüchte bedienen als die Vorsteher bei den Verfehlungen anderer. Warum das? Weil derjenige, der dazu aufgestellt ist, anderen in ihrer S. 222 Unwissenheit aufzuhelfen und den Beginn der Angriffe des Teufels im voraus zu verkünden, nicht selbst Unwissenheit vorschützen und sagen kann: Ich habe die Trompete nicht gehört; ich habe den Kampf nicht vorhergesehen. Dazu ist er ja da, wie Ezechiel mahnt, daß er mit der Trompete den anderen das Zeichen gebe und das herannahende Unheil im voraus verkünde. Und darum ist seine Bestrafung unvermeidlich, wenn auch nur einer verloren geht. “Denn wenn”, sagt ferner Ezechiel, “der Wächter beim Nahen des Schwertes dem Volke nicht trompetet und kein Zeichen gibt, und dann das Schwert kommt und eine Seele hinwegrafft, so wird diese zwar wegen ihrer eigenen Bosheit getroffen, aber ihr Blut werde ich fordern von der Hand des Wächters.”

Höre deshalb auf, mich in ein so unentrinnbares Strafgericht hineinzustoßen! Handelt es sich doch hier nicht um das Amt eines Feldherrn, auch nicht um die Regierung eines Königreichs, sondern um eine Tätigkeit, welche die Vollkommenheit eines Engels erfordert.

KAPITEL II

Darum muß die Seele des Priesters reiner sein als selbst die Sonnenstrahlen, auf daß ihn nicht der Hl. Geist hilflos im Stiche lasse, damit er vielmehr sprechen könne; “Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir”. Wenn die Bewohner der Einöden, die der Stadt und dem Markte und dem dortigen Trubel entronnen sind und immerfort den Hafen und die Windstille genießen, sich nicht mit der Sicherheit, die diese Lebensweise an sich schon bietet, zufrieden geben wollen, sondern noch zahllose andere Vorsichtsmaßregeln treffen, indem sie sich von allen Seiten abschließen und all ihr Reden und Tun sorgfältigst überlegen, um mit Zuversicht und lauterer Reinheit, soweit es menschlicher Kraft möglich ist, Gott nahen zu können: wie viele Anstreng- S. 223 ung und Gewalt wird da wohl erst der Priester aufwenden müssen, damit er seine Seele vor jeder Befleckung zu bewahren und die Schönheit seines Geistes unversehrt zu erhalten vermöge? Ist ihm doch eine viel größere Reinheit vonnöten als jenen [den Einsiedlern]; und wer einer größeren Reinheit bedarf, ist auch mehr Gelegenheiten ausgesetzt, die ihn zu besudeln drohen, wenn er nicht durch beständige Besonnenheit und außerordentliche Aufmerksamkeit seine Seele für solche Gefahren unzugänglich macht. Denn ein schönes Gesicht, weichliche Bewegungen, ein gezierter Gang, eine zärtliche Stimme, untermalte Augen, geschminkte Wangen, künstliche Haarfrisuren, gefärbte Haare, prächtige Gewänder, schimmernder Goldschmuck, funkelnde Edelsteine, wohlriechende Salben und all das andere Blendwerk, dem das weibliche Geschlecht geflissentlich zugetan ist, ist wohl geeignet, eine Seele zu beunruhigen, die nicht durch strenge Übung der Selbstbeherrschung sich dagegen gewappnet hat. Allerdings, daß durch diese Dinge Verwirrung angerichtet wird, ist keineswegs zu verwundern; daß aber der Teufel auch durch das gerade Gegenteil die Menschenseelen zu treffen und niederzustrecken vermag, das muß unser höchstes Staunen erregen und versetzt uns in die größte Ratlosigkeit. Denn schon manche, welche den genannten Netzen entgangen waren, ließen sich durch ganz entgegengesetzte Fallstricke gefangen nehmen. Ein verwahrlostes Antlitz, verwildertes Haar, schmutzige Kleidung, ungekünstelte Körperhaltung, gewöhnliches Benehmen, schmucklose Sprache, ungezierter Gang, rauhe Stimme, ein Leben in Dürftigkeit und Mißachtung, schutzlos und in Vereinsamung, all das hat nämlich manchen, der es sah, zunächst mit Mitleid erfüllt, dann aber ins äußerste Verderben gestürzt.

KAPITEL III

In der Tat sind viele, die den zuerst genannten Netzen entgangen waren, wie solche Gold, Salben, Kleider und die übrigen erwähnten Lockmittel in sich ber- S. 224 gen, in leichtsinniger Weise in die ganz entgegengesetzten Schlingen geraten und zugrunde gegangen. Wenn nun also sowohl durch Armut wie durch Reichtum, durch sorgfältige Verfeinerung so gut wie durch Vernachlässigung des Äußeren, sowohl durch geziertes wie durch gewöhnliches Benehmen, kurz durch alles, was ich aufgezählt habe, in der Seele des Zuschauers die Kriegsflamme angefacht wird und wenn ihn gefährliche Anschläge von allen Seiten umgarnen, wie soll er da, ringsumher von so vielen Schlingen bedroht, zu Atem kommen können? Wo soll er eine Zuflucht finden, ich will nicht sagen, um sich nicht mit Gewalt tatsächlich fangen zu lassen — denn das zu vermeiden ist nicht gar schwer —, sondern um seine Seele auch von befleckenden Gedanken rein zu bewahren? Ich übergehe die Ehrenbezeigungen, die Ursache zahlloser Übel. Die einen, die von Frauen ausgehen, sind der Bewahrung der Selbstbeherrschung zum Unheil und richten manchen zugrunde, der es nicht versteht, gegen solche hinterlistige Anschläge wachsam zu sein. Und was die von Männern herrührenden Ehrenbezeigungen anbelangt, so wird man, wenn man sie nicht mit außerordentlicher Seelengröße hinzunehmen weiß, von zwei einander entgegengesetzten Leidenschaften gefesselt, nämlich von knechtischer Schmeichelei und törichter Großtuerei, indem man einerseits sich genötigt fühlt, sich vor seinen Schmeichlern zu beugen, anderseits wegen der von diesen empfangenen Ehrenerweisungen sich über die hierin Zurückstehenden aufbläht und sich in den Abgrund des Hochmutes stürzt.

Soviel nur sei von mir gesagt; die ganze Größe des Schadens kann nur der richtig ermessen, der selbst Erfahrung hierin hat. Denn nicht bloß die genannten, sondern noch viel mehr und schwerere Gefahren sind für diejenigen nicht zu umgehen, die sich mitten in der Welt bewegen. Wer hingegen die Einsamkeit liebt, kann sich vor all dem sicher fühlen. Sollte ihm auch einmal ein unziemlicher Gedanke etwas Derartiges vorspiegeln, so ist doch das vorgestellte Bild nur schwach und kann rasch wieder verscheucht werden, weil der Flamme von außen durch etwaiges Anschauen keine Nahrung zuge- S. 225 führt wird. Ferner braucht der Einsiedler bloß für sich selber zu fürchten. Ist er jedoch verpflichtet, auch für andere zu sorgen, so sind diese gewiss leicht zu zählen. Oder sollten es wirklich mehrere sein, so sind es doch jedenfalls weniger als die Glieder einer Kirchengemeinde, und der Vorsteher vermag für sie viel leichter zu sorgen, nicht nur wegen ihrer geringen Anzahl, sondern weil jeder von ihnen den weltlichen Geschäften entrückt ist und sich weder um Kinder, noch um ein Weib, noch um etwas anderes dergleichen zu kümmern braucht. Dieser Umstand bewirkt, daß sie ungemein folgsam sind gegenüber ihren geistlichen Führern, und fördert ihr gemeinschaftliches Zusammenleben in der Weise, daß es möglich ist, ihre Fehltritte genau zu beobachten und auch dagegen Abhilfe zu bringen. Denn die fortwährende Beaufsichtigung seitens eines Lehrmeisters trägt nicht wenig bei zum Fortschritt in der Tugend.

KAPITEL IV

Hingegen sind die meisten der dem Priester unterstellten Personen von weltlichen Sorgen beunruhigt, und gerade das macht sie so träge zur Beschäftigung mit geistlichen Dingen. Darum muß der Lehrer sozusagen tagtäglich den Samen ausstreuen, damit das Wort seiner Lehre wenigstens infolge solch unaufhörlicher Bemühung bei den Zuhörern sich durchzusetzen vermöge. Denn allzu großer Reichtum, einflußreiche Machtstellung, Leichtsinn infolge eines verweichlichten Lebens und dazu noch vieles andere dergleichen erstickt die ausgestreute Saat, ja oft lassen die dicht aneinander stehenden Dornensträucher die Samenkörner nicht einmal den Erdboden erreichen. Was nun erst übermäßige Trübsal, drückende Armut, beständige verletzende Behandlung anbelangt, so ziehen sie und andere derartige, den früher genannten entgegengesetzten Zustände von dem Eifer für göttliche Dinge ab. Von ihren Vergehen kann S. 226 nicht einmal der geringste Teil den Priestern zur Kenntnis gelangen. Wie könnte das auch anders sein, da ihnen die meisten Leute nicht einmal von Angesicht bekannt sind?

Solche Schwierigkeiten bringt also sein [des Priesters] Verhältnis zum Volke mit sich.

Stellt man aber eine Untersuchung an über sein Verhältnis zu Gott, so wird man finden, daß dagegen das Gesagte gar nichts bedeutet. Sein Eifer muß hier noch weit größer und gewissenhafter sein. Denn der, welcher für eine ganze Stadt, ja was sage ich, für eine Stadt, der vielmehr für den gesamten Erdkreis als Vermittler auftritt und Gott bittet, daß er den Sünden aller gnädig sein möge, nicht bloß der Lebenden, sondern auch der Verstorbenen, was für eine Persönlichkeit muß das sein? Ich wenigstens bin der Ansicht, daß selbst die Freimütigkeit eines Moses und eines Elias zu einem solchen Flehen noch nicht genügen könne. Denn als wäre ihm die ganze Welt anvertraut und als wäre er der Vater aller, so tritt er vor Gott hin mit der Bitte, es möge überall die Kriegsfackel ausgelöscht und den Unruhen ein Ende gemacht werden, ferner, es möge Frieden und Wohlfahrt und baldigste Befreiung von allen Übeln, die jeden einzelnen sowohl im privaten wie im öffentlichen Leben bedrängen, beschert werden. Es erscheint nun aber notwendig, daß er selber über alle, für welche er bittet, in jeglicher Beziehung so sehr hervorrage, wie dies bei einem Vorgesetzten im Verhältnis zu seinen Untergebenen selbstverständlich ist.

Wenn er gar den Hl. Geist herabruft, das schauererregendste Opfer vollbringt, und den Herrn, das Gemeingut aller, beständig berührt, auf welche Rangstufe, sage mir, setzen wir ihn da erst? Welch peinliche Reinheit und welch ausnehmende Gewissenhaftigkeit müssen S. 227 wir da von ihm fordern? Bedenke doch, wie beschaffen die Hände sein müssen, die solchen Dienst verrichten, wie beschaffen die Zunge, die solche Worte ausspricht, wie die Seele, die solchen Geist in sich aufnimmt, reiner und heiliger sein muß als die jedes anderen! Zu dieser Zeit umringen selbst Engel den Priester; das ganze Heiligtum und der Raum um den Altar ist angefüllt mit himmlischen Heerscharen, dem zu Ehren, der auf dem Altare liegt. Es ist das an und für sich schon genügend glaubwürdig bei Berücksichtigung alles dessen, was in dem genannten Zeitpunkte auf dem Altare vor sich geht. Zudem habe ich einmal jemanden erzählen hören, es habe ihm ein Greis, ein angesehener Mann, der Erscheinungen zu sehen gewohnt war, berichtet, er sei eines derartigen Gesichtes gewürdigt worden; er habe nämlich in jenem Augenblicke plötzlich, soweit es ihm überhaupt möglich war, eine Menge Engel erblickt, eingehüllt in glänzende Gewänder, rings um den Altar, sich zu Boden neigend, wie man Soldaten dastehen sehen kann in Gegenwart des Königs. Ich wenigstens glaube das auch. Ein zweiter, der es dazu nicht von einem anderen erfahren hatte, sondern der selber es zu sehen und zu hören gewürdigt worden, hat mir erzählt, daß Leute, die im Begriffe sind, von hinnen zu scheiden, falls sie mit reinem Gewissen dieses Geheimnis genossen haben, im Augenblicke, da sie gerade ihre Seele aushauchen, um der empfangenen Gabe willen von Engeln wie von einer Leibwache hinübergeleitet werden.S. 228 Und du schauderst noch nicht davor zurück, eine Seele [wie die meinige] in einen solch heiligen Dienst hineindrängen und einen mit so schmutzigen Gewändern bekleideten Menschen, den auch Christus aus der Schar der übrigen Gäste ausgestoßen hat, zu der Priesterwürde erheben zu wollen? Gleich dem Lichte, das den Erdball erleuchtet , muß die Seele des Priesters hell erstrahlen. Meine Seele jedoch hält infolge ihres schlechten Gewissens eine so dichte Finsternis umfangen, daß sie sich beständig verkriechen muß und niemals mit Vertrauen zu ihrem Herrn aufzublicken wagt. Die Priester sind das Salz der Erde. Meinen Unverstand hingegen und meine Unerfahrenheit in allen Dingen, wer wird sie ohne weiteres ertragen außer dir, der du es schon gewohnt bist, mich überschwänglich zu lieben? Denn wer eines solch hohen Amtes für würdig befunden werden soll, muß nicht bloß rein sein, sondern auch höchst verständig, und vielerlei Erfahrung besitzen; er muß einerseits in sämtlichen weltlichen Verhältnissen sich ebenso gut auskennen wie die, welche mitten in der Welt sich bewegen, anderseits von all dem mehr losgeschält sein als die Einsiedler, welche sich in die Einöden zurückgezogen haben. Ist er doch genötigt, mit Männern zu verkehren, die verheiratet sind, Kinder zu erziehen haben, Dienstboten besitzen, sich großen Reichtums erfreuen, in öffentlichen Ämtern stehen und eine einflußreiche Stellung einnehmen. Darum muß er vielseitig sein ; vielseitig sage ich, nicht verschlagen, kein Schmeichler oder Heuchler, sondern ausgestattet mit Freimut und Offenheit, der es auch versteht, falls die Lage der Verhältnisse es erfordert, sich in heilsamer Weise herablassend zu zeigen, milde und streng zu- S. 229 gleich. Denn es geht ebenso wenig an, alle Untergebenen auf eine und dieselbe Weise zu behandeln, als es für die Ärzte zweckmäßig ist, allen Kranken gegenüber das nämliche Verfahren einzuschlagen, oder für einen Steuermann, bloß einen Ausweg beim Kampfe mit den Winden zu kennen. Umbrausen doch auch dieses Schiff beständige Stürme, die nicht nur von außen sich heranwälzen, sondern auch aus dem Innern hervorbrechen. Und da ist sowohl herablassende Nachgiebigkeit wie große Strenge vonnöten. Alle die genannten Erfordernisse gehen nur auf ein einziges Ziel hinaus: die Ehre Gottes und das Heil der Kirche.

KAPITEL V

Groß ist der Kampf, den die Einsiedler zu führen, reichlich sind die Mühen, die sie auf sich zu nehmen haben. Vergleicht man jedoch die Arbeit, die es sie kostet, mit der gewissenhaften Verwaltung des Priestertums, so wird man einen so großen Unterschied finden, als der Abstand zwischen einem gewöhnlichen Privatmann und dem Könige beträgt. Wenn auch beim Einsiedlerleben der Kampf viele Anstrengung erfordert, so haben doch Seele und Leib gemeinsamen Anteil daran; oder vielmehr das meiste wird geleistet durch die Ausrüstung des Leibes. Ist dieser nicht stark genug, so bleibt es beim guten Willen allein, der dann nicht in äußere Taten sich umzusetzen vermag. Denn angestrengtes Fasten, Liegen auf bloßem Boden, Nachtwachen, Entbehrung des Bades, der viele Schweiß und alles übrige, was die Mönche zur Kasteiung ihres Körpers vornehmen, all das fällt weg, wenn der Leib, der in Zucht gehalten werden soll, nicht stark genug ist. Hier [beim Priestertum] aber handelt es sich ausschließlich um die Tätigkeit der Seele. Auch bedarf diese, um ihre Tüchtigkeit zu beweisen, keineswegs einer vollkommenen Leibeskonstitution. Denn was trägt die Stärke des Leibes dazu bei, daß wir nicht selbstgefällig, nicht zor- S. 230 nig, nicht unbesonnen uns benehmen, sondern nüchtern, verständig, sittsam und alle die anderen Eigenschaften besitzen, durch welche der selige Paulus das Musterbild des vollkommenen Priesters gezeichnet hat?

Aber das kann man von der Vollkommenheit des Einsiedlers nicht behaupten. Wie vielmehr die Taschenkünstler vielerlei Werkzeuge brauchen, Räder, Stricke, Messer, der Weltweise hingegen seine ganze Kunst innen in seiner Seele trägt, ohne etwas von äußeren Hilfsmitteln zu benötigen, geradeso verhält es sich auch auf dem hier besprochenen Gebiete. Der Einsiedler bedarf ganz besonders des körperlichen Wohlbefindens und Wohnorte, die für seine Lebensweise geeignet sind, damit er einerseits vom menschlichen Verkehr nicht allzu weit entfernt sich niederlasse, anderseits doch der Stille der Einsamkeit sich erfreue und dabei auch nicht eines entsprechenden Klimas entbehre. Nichts ist nämlich für den, der durch Fasten sich aufreibt, so unerträglich als ungleichartiges Klima. Und welche Schwierigkeiten die Einsiedler wegen der Beschaffung von Kleidern und Lebensmitteln auf sich nehmen müssen, da sie selbst alle hierzu erforderlichen Arbeiten zu verrichten als ihre Lebensaufgabe betrachten, davon brauche ich jetzt nicht zu reden.

KAPITEL VI

Der Priester hingegen braucht in nichts von all dem für seine Bedürfnisse zu sorgen, sondern lebt ohne äußere Vielgeschäftigkeit dahin in Gemeinschaft mit den anderen Menschen, in Benützung aller Dinge, die nicht schädlich sind, und trägt sein ganzes Können im Innern seiner Seele verborgen. Wenn aber jemand den S. 231 Einsiedlern dafür seine Bewunderung ausspricht, daß sie einzig für sich selbst leben und sich von dem Verkehr mit der großen Menge absondern, so gestehe auch ich zu, daß hierin zwar ein Beweis von Selbstüberwindung liegt, indessen keineswegs ein hinreichendes Zeugnis für vollkommene Seelentüchtigkeit. Denn wer im Innern des Hafens am Steuerruder sitzt, gibt noch keine richtige Probe seiner Geschicklichkeit; wer jedoch auf hoher See und mitten im Sturme das Schiff zu retten vermag, den wird alle Welt für einen tüchtigen Steuermann erklären.

KAPITEL VII

Darum möchte ich den Einsiedler nicht allzu sehr oder gar über die Maßen bewundern, wenn er in seiner Abgeschlossenheit sich nicht aus dem seelischen Gleichgewicht bringen läßt und von vielen und schweren Vergehen sich von vornherein frei hält. Fehlt es ihm doch, an Gelegenheiten, welche die Seele reizen und aufregen. Wer hingegen sich ganzen Volksmassen widmet und die Sünden vieler zu ertragen sich genötigt sieht, aber dennoch dabei fest und standhaft bleibt und seine Seele im Sturme so zu leiten versteht, als wäre Windstille, dem zollt mit Recht jedermann Beifall und Bewunderung; denn er hat hinreichende Beweise seiner persönlichen Tüchtigkeit abgelegt. Wundere demnach auch du dich nicht darüber, daß nicht viele Ankläger gegen mich auftreten, da ich doch den Markt und den Umgang der großen Menge fliehe, Man braucht sich darüber ebenso wenig zu wundern als darüber, daß ich im Schlafe nicht sündigte, daß ich nicht unterlag, wenn ich zum Ringkampf nicht antrat, daß ich nicht verwundet wurde, wenn ich nicht kämpfte. Sage nur selbst, wer kann denn meine Armseligkeit verraten und enthüllen? Vielleicht dieses Dach oder dieses Häuschen? Aber die können ja keinen Laut von sich geben. Jedoch die Mutter, die bei weitem am besten meine Verhältnisse kennt! Indes, ich pflege auch mit ihr keinen besonderen Verkehr und nie- S. 232 mals sind wir miteinander in Streit geraten. Und selbst, wenn das vorgekommen wäre, keine Mutter ist so lieblos und feindselig gegen ihr Kind, daß sie den, um den sie die Wehen erduldet, den sie geboren und auferzogen hat, ohne dringenden Grund und äußeren Zwang bei jedermann schlecht machen und herabwürdigen sollte.

Wollte übrigens jemand meine Seele sorgfältig prüfen, so würde er viel Schadhaftes an ihr finden; das weißt auch du sehr wohl, der du am allermeisten mich vor der ganzen Welt mit Lobsprüchen zu überschütten pflegst. Das sage ich jetzt nicht aus falscher Bescheidenheit; erinnere dich nur, wie oft ich bei unseren häufigen, dieses Thema berührenden Gesprächen dir erklärt habe, daß ich, wenn man mir die Wahl freistellte, wo ich lieber mich hervortun wollte, im Amte eines Kirchenvorstehers oder im Leben eines Einsiedlers, mich tausendmal lieber für das erstere entscheiden und es annehmen würde. Habe ich doch niemals unterlassen, dir gegenüber jene glücklich zu preisen, welche diesem Amte trefflich vorzustehen imstande sind. daß ich jedoch einem Amte, das ich so hochgewertet habe, mich nicht durch die Flucht entzogen hätte, wenn ich geeignet wäre, es gut zu verwalten, dem wird niemand widersprechen können. Doch, was soll ich nun tun? Nichts ist für ein kirchliches Vorsteheramt so verderblich, als meine Trägheit und Untätigkeit. Mögen zwar andere darin eine Art von Selbstbeherrschung erblicken, ich jedoch sehe hierin gleichsam einen Deckmantel für meine Untauglichkeit, um dadurch die meisten meiner Fehler zu verhüllen und sie nicht offenbar werden zu lassen. Denn wer einmal gewohnt ist, solcher Untätigkeit sich hinzugeben und sein Leben in voller Muße hinzubringen, der wird, selbst wenn er auch eine starke Natur besitzt, [im Amte] außer Fassung und in Aufregung gebracht, weil es ihm an Übung fehlt; tut doch seine Unerfahrenheit zum großen Teil seiner angeborenen Fähigkeit Abbruch. Ist aber einer außer seiner Unerfahrenheit in derartigen Kämpfen auch noch von schwerfälligem S. 233 Verstande, wie dies ja entschieden bei mir zutrifft, so wird er bei der Übernahme dieses Amtes sich in nichts von steinernen Bildsäulen unterscheiden.

Daher kommt es dann, daß unter denen, die von jener Ringschule [der Einsamkeit] her auf diesen Kampfplatz treten, nur wenige sich auszeichnen; die meisten geraten vielmehr in Schanden, kommen zu Fall und verwickeln sich in unangenehme und schwierige Händel. Es ist dies auch ganz natürlich. Denn schon die Kampfesübungen müssen ebenso sehr wie die Kämpfe selbst das gleiche Ziel im Auge haben, sonst ist der Kämpfende um nichts besser daran als der Ungeübte. Insbesondere muß der, welcher diese Laufbahn betritt, den Ruhm verachten, über jede Zorneswallung erhaben und voll tiefer Einsicht sein. Hierin fehlt es jedoch dem, welcher dem Einsiedlerleben sich ergibt, an jeglicher Voraussetzung zur Übung. Denn er hat keine Gelegenheit, daß viele ihn zum Zorne reizen, um sich dann zu bemühen, die Macht seiner Leidenschaft zu zügeln, noch, daß man ihm Bewunderung und Beifall spendet, um dann sich daran zu gewöhnen, die Lobsprüche der Menge zu verachten; und was schließlich die Einsicht anbelangt, die bei der Verwaltung der einzelnen Kirchen gefordert wird, so kann davon bei den Einsiedlern nicht viel die Rede sein. Wenn sie nun in Kämpfe hineingeraten, in denen Erfahrung zu sammeln sie sich niemals bemüht haben, so verfallen sie wie in einem Wirbelwind in gänzliche Verlegenheit und Hilflosigkeit; ja schon häufig haben viele, anstatt in der Tugend Fortschritte zu machen, das, was sie davon mitbrachten, sogar noch ganz eingebüßt. S. 234

KAPITEL VIII

Wie nun? [frug Basilius.] Sollen wir denn an die Spitze der Kirchenverwaltung Leute stellen, die mitten in der Welt sich bewegen, deren Sorge auf irdische Dinge gerichtet ist, die an Zänkereien und Schimpfereien gewöhnt sind, die sich durch tausendfache Schlauheit hervortun und ein üppiges Leben zu führen verstehen?

Gott bewahre, mein lieber Freund, erwiderte ich. An solche Leute darf man nicht einmal denken, wenn es sich um die Auswahl von Priestern handelt, sondern nur darauf soll man achten, ob einer im Verkehr und Umgang mit allerlei Menschen seine Reinheit, Seelenruhe, Heiligkeit, Selbstbeherrschung, Nüchternheit und die übrigen Tugenden, die den Einsiedlern eignen, unversehrt und unerschüttert zu bewahren vermag oder vielmehr hierin die Einsiedler selbst noch übertrifft, Wer mit vielen Fehlern behaftet ist, dieselben aber durch ein einsames Leben zu verbergen und dadurch, daß er mit niemanden Umgang pflegt, sie unwirksam zu machen versteht, der wird, wenn er in die Welt zurückkehrt, keinen anderen Gewinn davon haben, als daß er der Lächerlichkeit anheim fällt, ja er wird noch schlimmeren Gefahren sich aussetzen. Es hat nicht viel gefehlt, so wäre das auch mir begegnet, wenn nicht der Schutz Gottes den Feuerbrand eiligst von meinem Haupte abgewendet hätte. Denn wer sich in solcher Lage befindet, kann nicht unbemerkt bleiben, wenn er in die Öffentlichkeit tritt, sondern alles an ihm wird dann der genauesten Prüfung unterworfen. Wie der Stoff der Metalle im Feuer erprobt wird, so ist das geistliche Amt der eigentliche Prüfstein zur Beurteilung der einzelnen Menschenseelen: ist einer zornig, engherzig, ehrgeizig, prahlerisch oder was sonst immer, alle Gebrechen enthüllt diese Prüfung und deckt sie rasch offen auf; ja S. 235 sie entblößt sie nicht bloß, sondern sie verschlimmert und vergrößert sie noch. Wie die leiblichen Wunden schwerer heilen, wenn man sie des öfteren betastet, so werden auch die Leidenschaften der Seele viel heftiger, wenn man sie anstachelt und reizt. Es werden dadurch die damit Behafteten zu noch häufigeren Vergehungen gedrängt. Es wird der Unachtsame zur Ehrsucht, zur Prahlerei, zur Geldgier verleitet, in ein weichliches, untätiges und leichtfertiges Leben hineingestürzt und allmählich in noch schlimmere, daraus entspringende Übel.

Gibt es doch in der Welt gar viele Gelegenheiten, welche die Gewissenhaftigkeit der Seele zur Erschlaffung zu bringen und ihren geraden Lauf zu hemmen vermögen. Dahin gehört zu allererst der Umgang mit den Frauen.

Der Vorsteher, welcher um die ganze Herde sich zu kümmern hat, darf nicht über der Fürsorge für das männliche Geschlecht das weibliche vernachlässigen, welch letzteres gerade wegen seiner leichten Geneigtheit zur Sünde einer viel größeren Sorgfalt bedarf. Deshalb muß der, dem das Bischofsamt zur Verwaltung anvertraut ist, wenn auch nicht in höherem, so doch in gleichem Maße der Wohlfahrt der Frauen seine Hirtensorge zuwenden. Denn es ist seine Pflicht, sie zu besuchen, wenn sie krank, sie aufzumuntern, wenn sie traurig sind, sie zu tadeln, wenn sie leichtfertig dahinleben, und ihnen beizustehen, wenn sie Not leiden. Bei diesen Gelegenheiten kann der böse Feind viele Wege finden, um sich heimlich einzuschleichen, wenn man sich nicht mit sorgfältiger Wachsamkeit schützt. Denn das Auge des Weibes berührt und beunruhigt unsere Seele, und zwar nicht bloß das Auge des zügellosen, sondern auch des züchtigen Weibes; Schmeicheleien erweichen, Ehrenbezeigungen machen zum Sklaven. Und so wird die hochaufwallende Liebe, die doch die Quelle aller Güter ist, für jene, welche sie nicht richtig anzuwenden verstehen, die Ursache unzähliger Übel.

Schon unablässige Sorgen schwächen die Schärfe unseres Verstandes und machen unseren Geistesflug S. 236 schwerfälliger als Blei. Kommt gar noch leidenschaftliche Erregung hinzu, so ist die ganze Seele wie mit Rauch angefüllt. Wie wäre es möglich, alle die Kränkungen zu schildern, die zu seiner [des Bischofs] Betrübnis nicht ausbleiben, die übermütige und boshafte Behandlung, die Tadelsucht, wie sie von Hochstehenden und Niedrigen, von Verständigen und Unverständigen, ausgehen?

KAPITEL IX

Denn gerade eben solche Leute, die eines richtigen Urteils unfähig sind, zeigen sich am meisten tadelsüchtig und sind nicht leicht geneigt, einer Rechtfertigung Gehör zu schenken. Ein tüchtiger Vorsteher jedoch darf auch diese nicht mit Verachtung behandeln, sondern soll gegenüber jedermann über die Vorwürfe, die man wider ihn erhebt, mit Nachsicht und Sanftmut sich auseinandersetzen und den unvernünftigen Tadel lieber verzeihen, als darüber unwillig und zornig werden. Denn wenn der hl. Paulus befürchtete, er möchte bei seinen Schülern in den Verdacht des Diebstahls geraten, und wenn er darum noch andere Männer zur Verwaltung der Gelder hinzuzog, “damit”, wie er sagt, “uns niemand verdächtigen könne bei dieser reichlichen Liebesgabe, die von uns überbracht wird”, wie müssen wir da nicht alles tun, um boshafte Verdächtigungen aus der Welt zu schaffen, mögen sie auch noch so verlogen und unvernünftig sein und noch so sehr mit unserem guten Rufe in Widerspruch stehen. Sind wir doch von keiner Sünde so weit entfernt, als Paulus vom Diebstahl. Aber so sehr er auch einer solch schlechten Handlungsweise vollständig ferne stand, trotzdem ließ er den etwaigen Verdacht der Menge nicht außer acht, so unvernünftig und unsinnig derselbe auch erscheinen mußte. Denn es wäre doch Wahnsinn gewesen, gegenüber jener heiligen und S. 237 bewunderungswürdigen Seele einen derartigen Argwohn zu hegen; und doch hat er nichtsdestoweniger schon von weitem jeglicher Veranlassung zu diesem höchst unvernünftigen Verdachte, den nur ein Verrückter hätte fassen können, den Boden entzogen. Er setzte sich auch nicht verächtlich über den Unverstand der Menge hinweg, indem er etwa erklärte: Wem sollte wohl jemals ein solcher Verdacht gegen meine Person in den Sinn kommen, da mich doch wegen meiner Wunderzeichen und meines untadelhaften Lebenswandels jedermann verehrt und bewundert? Nein, ganz im Gegenteil: Er hat diesen schlimmen Verdacht vorausgesehen und erwartet und hat ihn dann mit der Wurzel ausgerissen, oder vielmehr, er hat ihn von Anfang an gar nicht erst aufkommen lassen. Warum denn? “Wir befleißigen uns des Guten nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen”, sagt er. Eine ebenso große oder vielmehr eine noch größere Sorgfalt müssen wir aufwenden, um schlimme Gerüchte nicht nur bei ihrem Entstehen niederzuhalten und zu verhindern, sondern auch schon von weitem vorauszusehen, woher sie möglicherweise ihren Ursprung nehmen könnten, sodann die Anlässe, aus denen sie etwa hervorgehen, vorher zu beseitigen und nicht abzuwarten, bis sie feste Form angenommen haben und durch das Gerede der großen Menge verbreitet werden. Denn alsdann ist es nicht mehr leicht, sie fürderhin aus der Welt zu schaffen, sondern sehr schwer, vielleicht wohl gar unmöglich. Anderseits verdient es auch Strafe, wenn das alles erst dann geschieht, nachdem viele schon Schaden erlitten haben.

Doch, wie lange soll ich mich bemühen, Unerreichbarem nachzujagen? Denn sämtliche daraus entstehen- S. 238 den Widerwärtigkeiten aufzählen zu wollen, das hieße nichts anderes, als sich mit dem Gedanken tragen, das Meer auszumessen. Wenn nämlich jemand sich auch selbst von jeglicher Leidenschaft rein erhalten hätte, was allerdings zu den Unmöglichkeiten gehört, er müßte doch Tausende von Unannehmlichkeiten auf sich nehmen, um die Fehltritte der anderen zu bessern. Kommen aber noch die eigenen Gebrechen hinzu, so schau dir das Übermaß von Mühsalen und Sorgen an und was alles derjenige durchzukämpfen hat, der über die eigenen und fremden Übel Herr werden will.

KAPITEL X

Brauchst du denn jetzt, da du einsam für dich allein lebst, frug [Basilius], keinerlei Mühsalen auf dich zu nehmen und hast du gar keine Sorgen?

Allerdings, erwiderte ich, habe ich solche auch jetzt. Wie wäre es auch möglich, daß ein Mensch, solange er in diesem mühevollen Leben weilt, von Sorgen und Kämpfen verschont bliebe? Es ist jedoch nicht einerlei, auf das unermeßliche Meer verschlagen zu werden oder über einen Fluß zu fahren. So groß ist nämlich der Unterschied zwischen beiderlei Sorgen. Zwar wünschte ich auch jetzt, und dies tatsächlich mit innigem Verlangen, wenn äußerst möglich, anderen nützlich sein zu können; falls ich aber keinem Nebenmenschen zu helfen vermag, so werde ich mich damit begnügen, wenigstens mich selbst, soweit es mir gelingt, zu retten und aus den Sturmeswogen herauszureißen.

Hältst du das demnach für etwas Großes, unterbrach er mich, und glaubst du überhaupt, selig zu werden, ohne dem Nebenmenschen von Nutzen gewesen zu sein?

Das hast du gut und treffend bemerkt, antwortete ich. Denn auch ich selber kann nicht glauben, daß der selig zu werden vermag, der sich gar nicht um das Heil seines Nächsten bemüht. Hat es doch auch jenem Be- S. 239 dauernswerten nichts geholfen, daß er sein Talent nicht verminderte, sondern weil er es nicht vermehrte und es nicht verdoppelt einbrachte, hat er es vollständig eingebüßt. Gleichwohl halte ich dafür, daß mich eine gelindere Strafe treffen wird, wenn mir nur der Vorwurf gemacht werden kann, daß ich nicht andere gerettet habe, als wenn ich mich selbst und andere zugleich ins Verderben gestürzt hätte und so trotz der empfangenen hohen Ehrenstellung noch viel schlimmer daran wäre. Denn jetzt glaube ich, daß die Größe meiner Strafe nur der Größe meiner eigenen Sünden entsprechen wird; hätte ich aber das Vorsteheramt angenommen, so würde ich nicht bloß eine zwei- und dreifache, sondern eine gar vielfache Strafe zu gewärtigen haben, weil ich sowohl vielen Ärgernis gegeben, als auch nach Empfang einer solchen Würde den Gott, der mich so sehr ausgezeichnet, beleidigt hätte.

KAPITEL XI

Darum erhebt Gott gegen die Israeliten auch umso heftigere Anklagen und zeigt dadurch, daß sie härtere Strafe verdienen, weil sie trotz der von ihm empfangenen Auszeichnungen gesündigt hatten. So sagt er einmal: “Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde anerkannt; deshalb will ich eure Gottlosigkeiten an euch rächen”. Und ein anderes Mal: “Ich habe aus euren Söhnen zu Propheten und aus euren Jünglingen zum heiligen Dienst genommen”. Ja, schon vor der Zeit der Propheten wollte Gott kundtun, daß die Sünden eine viel größere Strafe nach sich ziehen, wenn sie von den Priestern, als wenn sie von Laien geschehen. S. 240 Deshalb gebietet er, es solle für die Priester ein gleich großes Opfer dargebracht werden, wie für das ganze Volk. Damit will er nichts anderes zu verstehen geben, als daß die Wunden des Priesters einer größeren Hilfe bedürfen, ja einer so großen, als die Wunden des ganzen Volkes zusammen. Eine größere Hilfe wäre nicht nötig, wenn die Wunden nicht schlimmer wären. Schlimmer sind sie jedoch nicht ihrer Natur nach, sondern weil sie infolge der Würde des Priesters, der sich zu solchen Freveln erdreistete, schwerer werden. Aber, was rede ich von den Männern, die den heiligen Dienst verrichten? Müssen doch sogar die Töchter der Priester, welche an sich mit dem Priestertume gar nichts zu tun haben, wegen der Würde ihrer Väter für die nämlichen Sünden eine viel bitterere Strafe auf sich nehmen [als andere]. Das Vergehen ist bei ihnen und bei den Töchtern der Laien das gleiche, beide Mal Hurerei; die Strafe ist jedoch für erstere bedeutend härter.

KAPITEL XII

Du siehst also, wie Gott es dir mehr als deutlich dartut, daß er über den Vorgesetzten eine viel schwerere Züchtigung verhängen werde als über die Untergebenen. Denn wenn er sogar die Tochter eines Priesters härter straft als die anderen um eben dieses Priesters willen, so wird er doch wohl von dem Vater, der für jene die Ursache der vermehrten Pein ist, nicht die gleiche, sondern eine weit strengere Genugtuung fordern als von allen übrigen. Und das ganz mit Recht. Betrifft doch der [aus des Priesters Sünde entstehende] Schaden nicht ihn allein, sondern bringt auch die Seelen der Schwächeren und aller derer, die auf ihn schauen, zu Fall. Eben das will auch Ezechiel andeuten, wenn er beim Gerichte die Böcke und die Schafe voneinander sondert.S. 241. Bist du nun davon überzeugt, daß meine Furcht eine wohlbegründete war? Wenn ich, abgesehen von dem bisher Gesagten, in meinem jetzigen Stande mir zwar auch viele Mühe geben muß, um nicht vollständig von den Leidenschaften meiner Seele überwältigt zu werden, so bin ich doch diesen Anstrengungen gewachsen und fliehe den Kampf nicht. Allerdings werde ich auch jetzt von eitler Ehrsucht niedergehalten; allein oft richte ich mich wieder auf und sehe dann ein, daß ich ein Gefangener war; bisweilen kommt es auch vor, daß ich meine niedergedrückte Seele mit Vorwürfen überhäufe. Unziemliche Begierden fallen mich auch jetzt an; aber die Flamme, die sie entfacht, ist unwirksamer, da meine leiblichen Augen keinen Stoff finden, um Feuer zu fangen. Irgend jemanden zu beschimpfen oder Beschimpfungen anzuhören, davor bin ich vollkommen sichergestellt, weil niemand bei mir ist, mit dem ich mich in Gespräche einlassen könnte; denn diese Wände vermögen doch keinen Laut von sich zu geben. Freilich ist es mir nicht in gleicher Weise möglich, dem Zorne zu entgehen, obwohl niemand da ist, der mich dazu reizt. Oft nämlich kommt mir die Erinnerung an verabscheuungswürdige Leute und ihre Taten und bringt mein Herz in Aufwallung. Indes lasse ich es nicht bis zum äußersten kommen; schnell dämpfe ich seine leidenschaftliche Erregung und suche es zu beruhigen, indem ich mir sage, daß es höchst unheilvoll und äußerst erbärmlich sei, seine eigenen Sünden außer acht zu lassen und um die der Nebenmenschen geschäftig sich zu kümmern.

Wenn ich mich jedoch mitten in das Getriebe der Menge begebe und von tausendfachen Aufregungen festgehalten werde, so wird es mir nicht möglich sein, derartige Ermahnungen zu meinem Vorteil an mich selbst zu richten und Erwägungen Raum zu geben, die mich, zu solchen hinleiten. Wie vielmehr diejenigen, welche von einer Strömung oder von einem anderen auf sie einstürmenden Verhängnis in die Tiefe hinabgezogen werden, den Untergang, in dem sie ihr Ende finden, voraussehen, S. 242 aber keine Rettung mehr zu ersinnen vermögen, so werde auch ich, wenn ich in den gewaltigen Strudel der Leidenschaften hineingerate, zwar sicher beobachten können, wie die mir drohende Gefahr sich tagtäglich vergrößert, hingegen mich auf mich selbst zurückzuziehen, wie ich das jetzt vermag und die alsdann von allen Seiten auf mich einstürmenden Seelenkämpfe zu bannen, das wird mir nicht so leicht gelingen, als es vorher der Fall gewesen. Denn meine Seele ist schwach und wenig widerstandsfähig. Sie läßt sich leicht überwältigen nicht nur durch die genannten Leidenschaften, sondern auch durch die widerlichste unter allen, durch die Mißgunst. Sie weiß weder übermütige noch ehrenvolle Behandlung in richtigem Maße zu ertragen; während sie durch die eine sich überschwänglich gehoben fühlt, wird sie durch die andere niedergedrückt. Wie wilde Tiere, wenn sie stark gebaut sind und strotzend von Kraft, die gegen sie Kämpfenden leicht niederwerfen, zumal wenn es sich um Schwächlinge und Unerfahrene handelt, wie man aber nicht besonders beherzt zu sein braucht, um dann einen Ringkampf mit ihnen aufzunehmen, wenn man vorher sie vor Hunger sich verzehren läßt und infolgedessen ihren Grimm bändigt und ihre Kraft zum größten Teil bricht, so verhält es sich auch mit den Leidenschaften der Seele. Wer sie entkräftet, macht sie den rechten Vernunftgründen untertänig, wer sie aber geflissentlich nährt, hat einen noch schlimmeren Kampf mit ihnen zu bestehen und regt sie gegen sich so furchtbar auf, daß er sein ganzes Leben in Knechtschaft und elender Ohnmacht zubringen muß.

Was ist nun die Nahrung für diese wilden Tiere? Für Ruhmsucht Ehrenbezeigungen und Lobsprüche, für Hochmut großer Reichtum und einflußreiche Machtstellung, für Neid der hoch geachtete Name der Nebenmenschen, für Geldgier der Ehrgeiz der Geber, für Zügellosigkeit ein weichliches Leben und der beständige Umgang mit Frauen, kurz für das eine [Tier] diese, für das andere jene Nahrung. Alle die genannten wilden S. 243 Tiere werden mich, wenn ich in die Öffentlichkeit trete, mit Ungestüm angreifen und mir die Seele zerfleischen; sie werden mir Furcht einflößen und dadurch den Kampf gegen sie nur noch gefährlicher machen. Bleibe ich hingegen hier sitzen, so werde ich sie freilich auch dann nur mit großer Anstrengung bezwingen; aber bezwingen werde ich sie doch mit Hilfe der göttlichen Gnade und es wird ihnen nichts weiter übrig bleiben, als mich anzubellen. Deshalb hüte ich dieses Häuschen, ohne auszugehen, ohne Umgang und Verkehr zu pflegen, und tausend andere derartige Vorwürfe höre ich an und nehme sie ruhig hin. Gerne allerdings würde ich sie von mir fernhalten; es betrübt und schmerzt mich, daß ich dazu nicht imstande bin. Denn es wäre nicht leicht durchführbar für mich, zugleich den Verkehr mit anderen aufzunehmen und in der jetzigen Sicherheit zu verharren. Darum bitte ich auch dich, du mögest in der so peinlichen Verlegenheit, in der ich mich befinde, mich mehr bemitleiden als anklagen.

Jedoch, ich überzeuge dich immer noch nicht? So ist es denn nunmehr Zeit, daß ich dir auch noch das einzige Geheimnis preisgebe, welches ich noch auf dem Herzen hatte. Vielleicht wird es manchen unglaublich erscheinen; ich will mich aber trotzdem nicht schämen, es offen zu bekennen. Wenn meine Aussage auch ein Beweis eines bösen Gewissens und von zahllosen Sünden sein mag, was wird es mir nützen können, falls die Menschen darüber in Unkenntnis bleiben, da doch Gott, der alles genau weiß, mich einstens richten wird? Nun, was ist denn das für ein Geheimnis? Seit jenem Tage, an dem du mir diesen Verdacht beigebracht hast, war mein Leib wiederholt in Gefahr, in völlige Auflösung zu verfallen; eine so große Furcht, eine so große Verzagtheit hielt meine Seele gefangen. Indem ich nämlich die Herrlichkeit der Braut Christi bedachte, ihre Heiligkeit, ihre geistige Schönheit, ihre Weisheit, die in ihr herrschende Ordnung, und daneben vergleichsweise meine eigene Erbärmlichkeit stellte, da konnte ich nicht auf-S. 244 hören, sie und mich selbst zu betrauern. Fortwährend seufzend und von Verzweiflung erfaßt, sagte ich zu mir selber: Wer hat denn dazu geraten? Wie, sollte die Kirche Gottes sich so sehr versündigt haben? Sollte sie ihren Herrn so sehr aufgebracht haben, daß sie mir, dem Allerunwürdigsten, ausgeliefert werden und solche Schmach erleiden soll? Während ich des öfteren derartige Erwägungen bei mir anstellte und mich außerstande fühlte, auch nur den Gedanken an eine solche allzu starke Ungereimtheit zu ertragen, da lag ich da wie ein Wahnsinniger mit offenem Munde und vermochte weder etwas zu sehen noch zu hören. Wenn mich aber diese völlige Hilflosigkeit verließ — denn bisweilen verschwand sie auch wieder —, wurde sie gleich von Tränen und Niedergeschlagenheit abgelöst. Hatte ich mich dann sattgeweint, kam die Furcht wieder über mich und beunruhigte, verwirrte und erschütterte mein ganzes Gemüt. In solchem Sturmgewitter habe ich die jüngst verflossene Zeit zugebracht; du aber wußtest das nicht, sondern meintest, daß ich in stiller Ruhe dahinlebe.

Nun will ich versuchen, den Sturm, der über meine Seele gekommen, dir näher zu schildern. Vielleicht wirst du alsdann deine Vorwürfe aufgeben und mir Verzeihung angedeihen lassen. Wie soll ich dir jedoch, ja wie soll ich dir diesen Leidenssturm beschreiben? Wolltest du einen genauen Einblick gewinnen, so wäre das nicht anders möglich, als indem ich dir mein Herz bloßlege. Da dies aber undurchführbar ist, so will ich versuchen, soweit ich dazu imstande bin, dir vermittelst eines wenn auch nur schwachen Gleichnisses wenigstens den Rauch meiner bisherigen Niedergeschlagenheit anzudeuten. Du jedoch sollst aus dem Gleichnisse lediglich meine Verzagtheit verstehen lernen. Nehmen wir an, die Tochter eines Königs, der über die ganze Erde, soweit sie die Sonne bescheint, herrscht, sei mit jemandem verlobt; diese Jungfrau besitze eine unaussprechliche Schönheit, dergleichen selbst die menschliche Na- S. 245 tur überrage, durch welche sie über das gesamte weibliche Geschlecht in gewaltigem Abstande den Preis davontrage; die Vollkommenheit ihrer Seele sei derart, daß sie hierin auch das Geschlecht der Männer, der früheren sowohl wie der zukünftigen, in weitem Maße hinter sich zurücklasse; an trefflicher Charakterbildung habe sie sogar noch jegliches Ideal der Philosophie übertroffen; durch die Anmut ihrer eigenen Erscheinung stelle sie jede leibliche Schönheit in den Schatten. Nehmen wir ferner an, ihr Bräutigam sei nicht nur wegen dieser Vorzüge für die Jungfrau entbrannt, sondern auch abgesehen davon von leidenschaftlicher Liebe für sie erfüllt und verdunkele durch seine Leidenschaft die der rasendsten Liebhaber, welche jemals gelebt haben. Da erfahre er nun mitten in der Glut seines Liebeszaubers irgendwoher, daß ein gemeiner und verworfener Mensch, ein nichtswürdiges, körperlich verstümmeltes und allererbärmlichstes Geschöpf, seine bewunderungswürdige, zärtlich geliebte Braut zur Ehe nehmen wolle. Habe ich dir nicht hiermit einen kleinen Teil meines Schmerzes vor Augen gestellt? Oder genügt es nicht, das Gleichnis bloß bis hierher durchzuführen? Allerdings glaube ich, daß das hinreichen dürfte, soweit es sich dabei um die Kennzeichnung meiner Niedergeschlagenheit handelt. Denn um dessentwillen allein habe ich ja das Gleichnis vorgebracht.

Um dir aber deutlicher zu zeigen, welches Maß von Furcht und Bestürzung mich erfasst hat, will ich noch zu einem anderen Gemälde übergehen. Stelle dir ein Kriegsheer vor, das aus Fußvolk, Reiterei und Seesoldaten zusammengesetzt ist. Die Zahl der Kriegsschiffe verberge das Wasser des Meeres; die weiten Gefilde und die Bergeshöhen seien mit den Schlachtreihen der Fußsoldaten und Reiter bedeckt. Das Erz der Waffen funkele wider im Glänze der Sonne, und in den von ihr herabgesandten Strahlen leuchte auf der helle Schein der Helme und Schilde. Das Krachen der Speere und das Wiehern der Pferde schalle bis zum Himmel empor. Weder das Meer noch die Erde sei zu sehen, sondern überall nur Erz und Stahl, Diesem Heere treten nun Feinde gegenüber, rohe und wilde Gesellen; der Augen- S. 246 blick des Zusammenstoßes stehe nahe bevor. Da bemächtige man sich jählings eines jungen Mannes, der, auf dem Lande aufgewachsen, nichts anderes als die Hirtenflöte und den Hirtenstab kennt, wappne ihn mit einer ehernen Rüstung, führe ihn durch das ganze Kriegslager und zeige ihm die einzelnen Abteilungen und ihre Anführer, die Bogenschützen, die Schleuderer, die Hauptleute, die Oberbefehlshaber, die Schwerbewaffneten, die Reiter, die Lanzenwerfer, sodann die Kriegsschiffe, die Flottenführer, die Mannschaft, die sich auf den Schiffen verschanzt hat, und die große Menge der dort befindlichen Kriegsmaschinen; man lasse ihn ferner die ganze Schlachtlinie der Feinde sehen, darunter manche abscheuliche Gestalten, ihre seltsame Waffenrüstung, ihre ungeheure Anzahl, die tiefen Gräben und Abhänge und das schwierige bergige Terrain; man zeige ihm schließlich, wie auf Seiten der Gegner infolge einer Zauberkraft Pferde dahinfliegen, schwerbewaffnete Krieger durch die Luft schweben und welche Macht und Mittel jeder Art von Zauberei diesen zur Verfügung stehen. Man schildere ihm auch all das Unheil, das der Krieg mit sich bringt: die Wolke der Speere, die dichte Maße der Geschosse, die daraus entstehende starke Finsternis, die alles undurchdringlich macht, die völlig dunkle Nacht, hervorgerufen durch die Menge der Pfeile, die infolge ihrer Dichtigkeit nicht mehr die Sonnenstrahlen durchdringen lassen, die Staubwolken, die nicht weniger als die Finsternis die Augen des Lichtes berauben, die Ströme von Blut, das Wehklagen der Fallenden, das Kriegsgeschrei der Kämpfenden, die Haufen, der Gefallenen, die mit Blut bespritzten Wagenräder, die Rosse, wie sie mitsamt den Reitern über die Menge der daliegenden Toten kopfüber dahinstürzen, den Erdboden, den ein völliges Durcheinander bedeckt. Es sind da zu sehen Blutlachen, Bogen und Geschosse, Hufe von Pferden und Köpfe von Menschen unmittelbar nebeneinander, desgleichen Menschenarme und Wagenräder, da- S. 247 neben eine Beinschiene und ein durchstochener Oberkörper, Gehirnteile, noch am Schwerte klebend, und eine abgebrochene Lanzenspitze mit einem aufgespießten Auge. Man schildere ihm ferner die Gräuel der Seeschlacht, wie die Kriegsschiffe teils mitten im Meere verbrennen, teils mitsamt der Mannschaft untergehen, wie die Wasser brausen, die Seeleute lärmen, die Soldaten schreien, wie die Schaumblasen, ein Gemisch von Wellen und Blut, sich in alle Fahrzeuge hineinstürzen, wie die Toten auf dem Verdeck liegen, aber dann teils in die Tiefe des Meeres versinken, teils oben auf dem Wasser schwimmen und entweder an den Strand getrieben oder mitten in den Wogen hin- und hergeschleudert werden, um schließlich den Schiffen den Weg zu versperren. Nachdem man so [jenem jungen Manne] das Trauerspiel des Krieges genau vor Augen geführt hat, füge man noch die Leiden der Kriegsgefangenschaft hinzu und die Sklaverei, die schlimmer ist als jeglicher Tod, Ist man sodann mit der Schilderung zu Ende, so gebe man ihm die Weisung, sofort das Pferd zu besteigen und den Oberbefehl über das gesamte Heer zu übernehmen. Glaubst du wohl, jener Jüngling werde auch nur die bloße Beschreibung auszuhalten vermögen und nicht vielmehr gleich beim ersten Anblick seine Seele aushauchen?

KAPITEL XIII

Halte ja nicht dafür, daß ich in meiner Darstellung die Sachlage übertreibe. Desgleichen gib auch nicht der Meinung Raum, die geschilderten Schwierigkeiten seien darum so übermäßig, weil wir in diesem Leibe wie in einem Gefängnis eingeschlossen nichts von den unsichtbaren Dingen sehen können. Denn du würdest einen viel schwereren und furchtbareren Kampf als den vor- S. 248 geführten schauen, wenn du einmal in der Lage wärest, mit eigenen Augen einen Blick zu tun in die äußerst finstere Schlachtordnung des Teufels und seinen wütenden Angriff, Denn bei ihm gibt es kein Erz und kein Eisen, weder Rosse noch Streitwagen und Räder, kein Feuer, keine Geschosse, was alles sichtbare Dinge sind, sondern andere, weit gefährlichere Kriegswerkzeuge. Diese Gegner bedürfen weder Panzer noch Schild, weder Schwerter noch Lanzen, sondern der bloße Anblick jener verfluchten Schar genügt, um die Seele niederzuwerfen, falls sie nicht ganz besondere Tüchtigkeit zeigt und wenn sie nicht noch mehr Nutzen aus der Fürsorge Gottes zieht als aus ihrer eigenen hervorragenden Standhaftigkeit. Und wenn es möglich wäre, unseren Leib abzulegen oder auch im Leibe ohne irgendwelche Hindernisse und ohne jegliche Furcht die ganze Schlachtordnung des Teufels und seinen Kampf gegen uns mit offenen Augen zu schauen, so würdest du nicht Ströme von Blut, nicht tote Leiber sehen, sondern so viele gefallene und schwerverwundete Seelen, daß du jenes gesamte Kriegsgemälde, das ich dir soeben vorgeführt habe, für Kinderspiel, ja eher für Scherz als für einen wirklichen Kampf halten müßtest; so groß ist die Zahl derer, die tagtäglich [vom Teufel] besiegt werden. Die Wunden verursachen aber hier nicht den gleichen Tod, sondern so sehr Seele und Leib voneinander verschieden sind, so groß ist auch der Unterschied zwischen den beiderseitigen Todesarten. Denn wenn die Seele einen tödlichen Schlag erhält und dahinsinkt, so liegt sie nicht unempfindlich da wie der Leib, sondern sie verfällt der Peinigung; hienieden schon verzehrt sie sich in Schmerzen infolge ihres bösen Gewissens, und nachdem sie von hinnen geschieden, wird sie beim Gerichte ewiger Strafe überantwortet. Sollte jedoch jemand gegenüber den Schlägen, die ihm der Teufel versetzt, tatsächlich unempfindlich bleiben, so wird für ihn infolge seiner Unempfindlichkeit die Gefahr noch größer. Denn wer sich nicht beim ersten Schlag getroffen fühlt, wird leicht einen zweiten und nach diesem noch einen dritten erhalten. Der Verruchte hört nämlich nicht auf, bis zum letzten Atemzuge zuzusetzen, wenn er eine sorglose S. 249 Seele antrifft, welche die ersten Schläge unbeachtet läßt.

Wenn du auch noch der Art und Weise seines Angriffs auf den Grund gehen willst, so wirst du finden, daß derselbe viel ungestümer und mannigfaltiger ist. Kennt doch niemand so vielgestaltige Ränke und Kniffe wie jener Verruchte. Gerade dadurch besitzt er demnach umso größere Macht, Auch ist niemand imstande, einen so unversöhnlichen Haß gegen seine ärgsten Feinde zu hegen als jener Boshafte wider das Menschengeschlecht. Und wenn man dazu noch den Eifer ins Auge faßt, mit dem er den Kampf führt, so wäre es wirklich lächerlich, hierzu Menschen zum Vergleiche heranziehen zu wollen. Ja, wollte man die feindseligsten und wildesten Tiere aussuchen und sie seiner Wut gegenüberstellen, so würde man sie im Vergleiche zu ihm ganz sanft und zahm finden. Von so großem Ingrimm erfüllt schnaubt er, wenn er auf unsere Seelen losstürmt.

Desgleichen ist hienieden die Zeit des [irdischen] Kampfes nur kurz bemessen, und selbst bei dieser Kürze gibt es noch häufig Waffenruhe. Denn die hereinbrechende Nacht, die vom Hinschlachten sich einstellende Ermüdung, die Essenszeit und vieles andere bringt es mit sich, daß der Soldat sich auszuruhen vermag. Er kann dann seine schwere Waffenrüstung ablegen, ein wenig sich erholen, mit Speise und Trank sich erfrischen und durch viele andere Mittel die frühere Kraft wiedergewinnen. Aber im Kampfe mit jenem Bösen geht es nicht an, jemals die Waffen niederzulegen, geht es nicht an, dem Schlafe sich hinzugeben, wenn man völlig unverwundet bleiben will. Denn eines von beiden wird mit zwingender Notwendigkeit eintreten: entweder, der Waffen entblößt, zu fallen und zugrunde zu gehen oder immerfort ganz gerüstet dazustehen und wachsam zu sein. Hält doch jener sich mit seiner Schlachtreihe jederzeit in unserer Nähe auf, gibt genau Obacht, ob wir einmal leichtsinnig sind, und verwendet einen weitS. 250 größeren Eifer auf unser Verderben, als wir selbst auf unsere Rettung. schließlich beweist auch noch der Umstand, daß er von uns nicht gesehen wird und daß er plötzlich angreift, woraus insbesondere denen, die nicht beständig wachsam sind, unzählige Übel erstehen, daß dieser Kampf viel schwieriger ist als der zuerst geschilderte.

Auf diesem Schlachtfelde sollte ich also nach deinem Wunsche den Oberbefehl über die Streiter Christi übernehmen? Aber das hieße ja, zugunsten des Teufels Führerdienste leisten! Denn wenn der, welcher die anderen aufstellen und in Ordnung bringen soll, unter allen der unerfahrenste und schwächste ist, so verrät er infolge seiner Unerfahrenheit die, welche ihm anvertraut sind, und spielt seine Führerrolle mehr für den Teufel als für Christus.

Aber warum seufzest du? Warum weinst du? Über meine derzeitige Lage sollte man doch nicht klagen, sondern Befriedigung und Freude äußern.

Über meine Lage jedoch nicht, fiel mir [Basilius in das Wort; sie verdient vielmehr, unendlich bejammert zu werden. Denn bis jetzt habe ich es kaum zu erfassen vermocht, welches Unheil du über mich gebracht hast. Ich kam nämlich zu dir in der Absicht, Belehrung von dir zu erbitten, was ich gelegentlich deinen Anklägern gegenüber zu deiner Verteidigung vorbringen soll. Du aber läßt mich von dir gehen, indem du mir anstatt dieser Sorge eine andere aufgeladen hast. Denn es liegt mir nun nicht mehr am Herzen, wie ich dich jenen anderen gegenüber, sondern wie ich mich selbst und meine eigenen Fehler vor Gott rechtfertigen soll. Indes bitte ich dich flehentlichst, falls dir meine Lage noch irgendwie nahe geht, falls dir irgendwelcher Trost in Christus, irgendwelche liebevolle Worte der Ermutigung, irgendwie Erbarmen und Mitleid zur Verfügung stehen — du weißt ja, daß du selbst vor allen anderen mich in diese Gefahren gebracht hast —, so reiche mir deine Hand, S. 251 rede und tue doch alles, was mich aufzurichten vermag und bringe es nicht über dich, mich auch nur einen kleinen Augenblick zu verlassen, sondern laß uns unsere frühere innige Gemeinschaft noch fester knüpfen. Hierauf erwiderte ich lächelnd: Wie kann ich dir bei deiner so ungeheuren Last von Geschäften förderlich, wie von Nutzen sein? Doch da es dir so angenehm ist, so sei getrost, lieber Freund: denn jeden Augenblick, an dem es dir vergönnt ist, von jenen Sorgen aufzuatmen, will ich dir zur Seite stehen, will dich ermuntern und es, soweit es in meinen Kräften liegt, an nichts fehlen lassen, Bei diesen Worten fing er [Basilius] noch heftiger an, zu weinen und stand auf. Ich umarmte ihn, küsste ihn auf die Stirne; sodann gab ich ihm das Geleite und ermunterte ihn, sein Geschick tapferen Mutes zu ertragen. Denn ich, fügte ich bei, habe zu Christus, der dich berufen und seinen eigenen Schafen vorgesetzt hat, das Vertrauen, du werdest aus diesem hohen Amte eine so starke Zuversicht schöpfen, daß du auch mich, wenn ich an jenem Tage in Gefahr schweben sollte, in deine ewige Wohnung wirst aufnehmen können.

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