Con sempre (Wortlaut)

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Weihnachtsrundfunkbotschaft
Con sempre

von Papst
Pius XII.
grundlegende Normen für eine innere Ordnung der Staaten und Völker
24. Dezember 1942

(Offizieller italienischer Text: AAS XXXV [1943] 9-24)

(Quelle: Gerechtigkeit schafft Frieden, Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Pius XII., Herausgegeben von Wilhelm Jussen SJ, Hansa Verlag Josef Toth Hamburg 1946, Kirchliche Druckerlaubnis Osnabrück am 9. Juli 1946 der bischöfliche Generalvikar Dr. Seling. S. 201-216; auch in: Soziale Summe Pius' XII., Band I, S. 98-119; Nr. 219-271; auch in: Emil Marmy (Hrsg.), Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, Paulus Verlag Freiburg/Schweiz 1945, S. 659-680; Imprimatur Friburgi Helv., die 21. Augusti 1945 L. Clerc, censor).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


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Einleitung: Weihnacht

1 Zu stets neuer Freude und Erbauung dringt bei der jährlichen Wiederkehr des heiligen Weihnachtsfestes von der Krippe von Bethlehem her Jesu Botschaft ans Ohr der Christenheit und findet wonnigen Widerhall in ihrem Herzen. Eine Botschaft des Lichtes ist sie an die Finsternis, eine Kunde himmlischer Wahrheit an eine Welt voll tragischer Irrtümer. Eine Fülle von Freude und Zuversicht strömt von ihr aus auf eine Menschheit, die bittere Traurigkeit bis in die Tiefen erschüttert. Zur Freiheit ruft sie die in die Ketten der Sünde und Schuld verstrickten Adamskinder. Barmherzigkeit, Liebe, Friede verheißt sie den ungezählten Scharen der Leidgeprüften, denen ihr Glück entschwunden, ihre Tatkraft gebrochen ist im Wirbel des Kampfes und Hasses unserer stürmischen Tage.

2 Aber die Weihnachtsglocken, die solche Botschaft über alle Weltteile hin tragen, wollen nicht bloß erinnern an das Himmelsgeschenk, das bei Anbruch der christlichen Ära der Menschheit zuteil wurde, Ihr Klang kündet troststarke, ewig junge, lebenssprühende und lebensspendende Gegenwart, die Gegenwart jenes wahren Lichtes; das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt und das keinen Untergang kennt. Das ewige Wort, der Weg, die Wahrheit und das Leben, Das geboren im Dunkel der Grotte, mit Seiner für immer geadelten Armut Seine Heils- und Erlösungssendung an die Menschheit beginnt, bietet heute noch das Wort ewigen Lebens, die Antwort auf die drängenden, qualvollen, ungelösten, mit rein menschlichen Einsichten und Eintagsmitteln unlösbaren Fragen, die aus dem schmerzvollen Erleben und Fühlen der Menschheit aufsteigen und gebieterisch eine Antwort verlangen.

Einzelformen der inneren Ordnung im Einklang mit dem Gottesgesetz

3 Das Wort „Es erbarmt mich des Volkes" ist für uns ein heiliges, unverletzliches, für alle Zeiten und Lagen der Menschheit gültiges und drängendes Vermächtnis, weil es Jesu Leitwort war. Die Kirche würde sich selbst und ihren Mutterberuf verleugnen und verlieren, wollte sie taub bleiben gegenüber dem Notruf ihrer Kinder, der aus allen Schichten der Menschheit an ihr Ohr dringt. Sie beabsichtigt nicht, sich für oder gegen die jeweiligen konkreten Einzelformen einzusetzen, womit Völker und Staaten die Riesenprobleme ihrer inneren Ordnung und ihrer Zusammenarbeit mit anderen Völkern zu meistern versuchen, sofern solche Formen mit den Gottesgesetz in Einklang stehen. Doch Gottes Wille und Christi Sendung hat sie zur Säule und. Grundfeste der Wahrheit, zur Hüterin der natürlichen und übernatürlichen Ordnung bestellt. Als solche kann die Kirche nicht darauf verzichten, vor ihren Kindern und vor der gesamten Welt die unerschütterlichen Grundnormen zu verkünden und gegen Verdunklungen, Verdrehungen, Abschwächungen, Missdeutungen und Abirrungen zu verteidigen, umso weniger, als deren Beachtung - unbeschadet, noch so edlen und starkmütigen Wollens - entscheidend sein; wird für den endgültigen Bestand jedweder von allen Völkern so unwiderstehlich erhofften und geforderten Neuordnung der eigenen Lebensbedingungen und ihres Verhältnisses zu den andern Völkern. Wir kennen diese Völker, ihre Gaben an Charakter und Opfermut, aber auch ihre Not und ihre Leiden, und Wir fühlen Uns mit ihnen allen ohne jegliche Ausnahme in dieser Stunde unsagbarer Prüfungen und Gegensätze in tiefer, unparteilicher und unentwegter Liebe verbunden, im heißen Verlangen, ihnen jede mögliche Hilfe und Erleichterung zu verschaffen.

Bedingung einer ausgeglichenen Ordnung zwischen den Nationen

4 Unsere letztjährige Weihnachtsbotschaft erörterte im Lichte christlichen Denkens die Grundlagen für eine gottgewollte Ordnung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens unter den Völkern. Heute wollen Wir Uns – der Zustimmung und der Aufmerksamkeit aller Gutgesinnten gewiss - mit besonderem Bedacht und in gleicher unparteilicher Gesinnung mit den grundlegenden Normen für eine innere Ordnung der Staaten und Völker befassen. Zwischen beiden Bereichen bestehen wesentliche Zusammenhänge. Eine ausgeglichene Ordnung zwischen den Nationen ist bedingt von dem Grad ihrer inneren materiellen, sozialen und kulturellen Ausgeglichenheit und Reife. Eine gesicherte Friedensfront nach außen ist unvollziehbar ohne eine vertrauenswürdige Friedensfront nach innen. Nur das Streben nach einem totalen Frieden in beiden Bezirken kann die Völker von dem grauenhaften Alpdruck des Krieges erlösen, die materiellen und seelischen Ursachen neuer Störungen und Ausbrüche stufenweise mindern und überwinden.

Zwei Kernelemente des Friedens

5 Alles Gemeinschaftsleben, das dieses Namens würdig ist, entspringt aus dem Willen zum Frieden und zielt auf den Frieden hin, auf jenes „ruhevolle Zusammenleben in Ordnung", das der heilige Thomas als Inbegriff des Friedens bestimmt. Zwei Kernelemente also bedingen das Gemeinschaftsleben: ein Zusammenleben in Ordnung und ein Zusammenleben in Ruhe.

a) Die Ordnung

6 Ordnung, die Grundlage des Gemeinschaftslebens der Menschen, also von geistig-sittlichen Wesen mit der ihrer Natur entsprechenden Ausrichtung, ist nicht bloß äußerliches Gefüge zahlenmäßig unterschiedener Teile. Sie ist Vielmehr und muss sein Anstreben und immer vollkommenere Verwirklichung einer inneren Einheit, unter Wahrung jeder wahrhaft begründeten, durch Schöpferwillen oder übernatürliche Normen verbürgten Verschiedenheit.

7 Klare Einsicht in die echten Grundlagen jedes menschlichen Gemeinschaftslebens ist heute mehr als je von ernster Bedeutung, da die Menschheit vom Gift sozialer Irrlehren und Irrtümer durchsetzt, von den Fiebern widerstreitender Wünsche, Lehren und Bestrebungen gepeinigt, - in selbstgeschaffenes Chaos verkrampft ist, der unheilvollen Wirkung falscher, gottvergessener oder gottfeindlicher Ideen: Chaos kann nur durch wahre Ordnung, nicht durch erzwungene Scheinordnung überwunden werden. Finsternis kann nur durch Licht, nicht durch Irrlichter von ihrem furchtbaren Unsegen erlöst werden. So kann die Rettung, Erneuerung und fortschreitende Vervollkommnung dem Gemeinschaftswesen nur kommen von einer Rückkehr weiter und einflussreicher Kreise zum richtigen Begriff der sozialen Ordnung; einer Rückkehr, die eine außerordentliche Gnadenhilfe Gottes und den vorbehaltlosen Opferwillen und Opfereinsatz der Guten und Weitblickenden zur Voraussetzung hat. Haben erst diese geistig regsameren und einflussreicheren Schichten die Anziehungskraft gerechter Sozialnormen erfasst und begriffen, so wird sich von hier aus auch in den Massen die Überzeugung von dem wahren, göttlichen und geistigen Ursprung des Gemeinschaftslebens wieder Eingang verschaffen. Dann wird der Weg frei sein für das Erwachen, Wachsen und Erstarken jener sittlichen Begriffe, ohne die auch die stolzesten Schöpfungen ein Babel darstellen, dessen Bewohner gemeinsame Mauern besitzen, aber verschiedene, sich zu innerst fremde Sprachen sprechen. .

8 Erste Ursache und tiefste Grundlage menschlichen Einzel- und Gemeinschaftslebens ist Gott; der Schöpfer der ehelichen Urgemeinschaft, der Quellgrund, der Familie und der Gemeinschaft des Volkes und der Völker. Als noch so unvollkommenes Abbild des dreieinigen Gottes, Der durch das Geheimnis der Menschwerdung die Menschennatur erlöst und erhöht hat, besitzt das Gemeinschaftsleben im Licht der Vernunft und der Offenbarung, sowohl in seinem Ideal wie in seinem Zielgrund, eine sittliche Autorität und Unbedingtheit, die das Auf und Ab der Zeiten überdauert; eine Werbekraft, die trotz aller Enttäuschungen, Fehlgriffe und Misserfolge gerade in den Herzen der Besten und Treuesten im Heerbann des Herrn immer und immer wieder den Willen und den Mut gebiert, das, was zu anderen Zeiten und in anderen Lagen vergebens versucht wurde, mit unseren Kräften, neuen Einsichten, neuen Erkenntnissen, Mitteln und Methoden in Angriff nehmen.

9 Ausgangspunkt und Wesensziel des Gemeinschaftslebens bildet die Wahrung, Entfaltung und Vervollkommnung der menschlichen Persönlichkeit. Es soll dem Einzelmenschen helfen, die, religiösen und kulturellen Normen und Werte pflichtgemäß zu verwirklichen, die der Schöpfer dem Einzelmenschen und der Menschheit als Ganzem, sowie ihren natürlichen Gliederungen gestellt hat.

10 Eine Gemeinschaftslehre oder Gemeinschaftsgestaltung - die diese innere, wesenhafte Verankerung alles Menschlichen in Gott verneint oder beiseite lässt, ist auf dem Irrweg. Während sie mit der einen Hand baut, sammelt sie mit der anderen die Sprengstoffe, die ihr Werk früher oder später gefährden und zertrümmern. Wenn sie in Verkennung der notwendigen Ehrfurcht vor der Persönlichkeit und ihrem Eigenleben, ihr keinen Platz einräumt im Gesellschaftsaufbau, in der Gesetzgebung und Gesetzanwendung, so heißt das nicht der Gemeinschaft dienen, sondern sie schädigen. Anstatt den Gemeinschaftsgedanken zu fördern und zu beleben, seine Erwartungen und Hoffnungen zu erfüllen, entleert man ihn seines Inhaltes und entwürdigt ihn zu einer Zweckphrase, die in immer wachsenden Kreisen auf entschiedene und offene Ablehnung stößt. .

11 Menschliches Gemeinschaftsleben besagt innere Einheit, schließt jedoch Verschiedenheiten nicht aus, die von Natur und Wirklichkeit gefordert werden. Wo man an Gott als der obersten Norm alles Menschlichen festhält, findet die Gleichheit wie die Verschiedenheit der Menschen den gebührenden Platz in der unbedingt gültigen Ordnung des Seins und der Werte, und damit auch der Sittenordnung. Wo aber diese Grundfeste erschüttert wird eröffnet sich zwischen den einzelnen. Kulturgebieten eine gefährliche Zusammenhanglosigkeit, zeigt sich, ein unsicheres Schwanken der Grenzlinien und Wertmaßstäbe, sodass rein äußere Gesichtspunkte und oft blinde Triebe darüber zu befinden beginnen, welcher Richtung die herrschende Zeitströmung den Vorrang zuerkennt.

12 Der heillosen Wirtschaftslehre der vergangenen Jahrzehnte, die das gesamte Kulturleben dem Erwerbsbetrieb unterordnete, folgt jetzt eine nicht minder heillose Weltanschauung, die alles und jedes vom politischen Gesichtspunkt aus sieht und jeden sittlichen und religiösen Gedanken ausschließt; ein neuer Irrgang und Irrweg von noch nicht übersehbaren Folgen für das menschliche Gemeinschaftsleben, das dem Verlust seiner edelsten Werte niemals so nahe ist, als dann, wenn es wähnt, den ewigen Quellpunkt seiner Würde, Gott, verneinen oder vergessen zu können. Die vom Glauben erleuchtete Vernunft weist der Einzelpersönlichkeit und den Einzelgliederungen der Gemeinschaft innerhalb der Gesamtheit einen festen und würdigen Platz an. Sie weiß, um nur das Wichtigste namhaft zu machen, dass alles staatliche Geschehen, das politische wie das wirtschaftliche, der dauernden Verwirklichung des Gemeinwohls dient, d. h. jener äußeren Bedingungen, die der Gesamtheit der Staatsbürger notwendig sind zur Entfaltung ihrer Anlagen und Aufgaben, ihres materiellen, kulturellen und religiösen Lebens, soweit hierfür die erstberufenen Kräfte und Betätigung der Familie und anderer Gliederungen nicht ausreichen, und soweit nicht der Heilswille Gottes in der Kirche eine andere umfassende Gemeinschaft zum Dienst in der menschlichen Persönlichkeit und an der Verwirklichung ihrer religiösen Ziele bestimmt hat.

13 In einer Gemeinschaftsauffassung, die vom religiösen Denken durchdrungen und verantwortet wird, gewinnt die Arbeit der Wirtschaft und aller übrigen Kulturbereiche den Charakter eines wahren Kosmos der Leistungen, vielgestaltig in seinem Reichtum, sinnvoll in seinem Aufbau, innerhalb dessen die vernünftige Gleichheit wie die funktionelle Verschiedenheit der Menschen zu ihrem Recht und zu ihrem angemessenen Ausdruck kommt, andernfalls entwertet man die Arbeit und entadelt den Arbeiter.

14 Vom Gemeinschaftsleben und seinen gottgewollten Zielen untrennbar ist eine Rechtsordnung, die ihm als äußerer Halt, als Schirm und Schutz dient, Aufgabe solcher Rechtsordnung ist nicht Herrschen, sondern Dienen, die innere Lebenskraft der Gemeinschaft in der reichen Vielfalt ihrer Zwecke zu entwickeln und zu steigern, alle Eigenkräfte der Vervollkommnung in friedlichem Wettstreit wachsen zu lassen und mit geeigneten und lauteren Mitteln all dem zu wehren, was ihrer vollen Entfaltung abträglich ist. Dieser Rechtsordnung ist zur Sicherung des Bestandes, des Gleichgewichts und der inneren Einheit der Gemeinschaft auch - die Gewalt in die Hand gegeben gegen diejenigen, die nur auf diesem Wege in der hehren Zucht des Gemeinschaftslebens gehalten werden können. Aber gerade in der gerechten Ausübung dieser Vollmacht wird sich eine dieses Namens würdige Autorität ihrer schweren Verantwortung immerdar bewusst bleiben gegenüber dem ewigen Richter, vor Dessen Richterstuhl jedes Fehlurteil, erst recht jedes Verkehren der gottgewollten Normen seine unentrinnbare Sühne und Verwerfung erhält.

15 In ihren letzten, tiefsten und lapidaren Grundformen ist die Rechtsordnung des Gemeinschaftslebens menschlichem Zugriff entzogen. Man kann sie leugnen, übersehen, missachten, verletzen, aber niemals rechtswirksam abschaffen. Gewiss, die Lebensbedingungen wechseln im Zeitenlauf, aber nie kann es ein völliges Vakuum, einen gänzlichen Bruch geben zwischen gestrigem und heutigem Recht, zwischen dem Abtreten der früheren Gewalten und Verfassungen und der Geburtstunde neuer Ordnungen. In jeder geschichtlichen Wendung und Wandlung bleibt das Ziel alles gesellschaftlichen Lebens stets in unveränderter, heiliger Verbindlichkeit: Entfaltung der Persönlichkeitswerte des Menschen als des Ebenbildes Gottes. Es bleibt jedem Mitglied der Menschheitsfamilie, gleich welchem Gesetzgeber und Befehlshaber es gehorchen mag, die Pflicht der Verwirklichung seiner unabänderlichen Menschheitsziele. Immerfort besteht darum auch unabdingbar gegenüber jeder Gewalt sein ihm von Freund und Feind geschuldeter Rechtsanspruch auf eine Rechtsordnung und eine Rechtsübung, die den Dienst am Gemeinwohl als ihre wesentliche Verpflichtung voll begreift.

16 Die Rechtsordnung hat weiterhin die hohe und schwere Aufgabe, den Ausgleich zu sichern zwischen den Einzelnen sowie zwischen den Gemeinschaftsgliederungen und in diesen selbst. Erreicht wird dies Ziel dann, wenn die Gesetzgeber sich fernhalten von jenen bedenklichen, gemeinschaftsschädlichen und aufspaltenden Rechtslehren und Rechtsübungen, die ihr Entstehen und ihre Verbreitung einer Reihe irriger Voraussetzungen verdanken. Zu ihnen zählt der Rechtspositivismus, der rein menschlicher Rechtsgebarung eine trügerische Majestät verleiht und einer verhängnisvollen Scheidung zwischen Recht und Sittlichkeit die Wege bahnt. Hierher gehört weiter die Auffassung, die ausschließlich einer bestimmten Nation oder Menschenart oder -klasse das Rechtsempfinden zuerkennt und dies als letzte Rechtsquelle und Rechtsnorm bezeichnet, gegen die es keine Berufung gibt. Hierher gehören schließlich die in sich verschiedenen, oft von entgegengesetzten Gedanken ausgehenden Theorien, die darin übereinkommen, dass sie im Staat oder in einer ihn vertretenden Bewegung ein höchstes jeder Überprüfung und Beschwerde entzogenes Absolutes erblicken, auch dann, wenn seine theoretischen und praktischen Forderungen in offenbarer Verletzung und Verneinung wesentlicher Pflichten des menschlichen und christlichen Gewissens enden: Wer den lebensvollen Zusammenhang zwischen wahrer Gemeinschaftsordnung und echte Rechtsordnung mit klarem Auge überblickt, wer sich vergegenwärtigt, dass innere Einheit bei äußerer Vielfältigkeit nicht erreichbar ist ohne die Vorherrschaft geistiger Kräfte, ohne Hochachtung vor der Menschenwürde in sich und andern, ohne Liebe zur Gemeinschaft und zu ihren gottgegebenen Zielen, der wundert sich nicht über die traurigen Folgen von Rechtsauffassungen, die sich vom Königsweg der Wahrheit entfernen, um dann auf die abschüssige Bahn materialistischer Voraussetzungen abzuirren. Umso mehr wird er die gebieterische Notwendigkeit einer Umkehr erkennen; einer Rückkehr zu den durchgeistigten und sittlich verankerten sozialen Begriffen voll Ernst und Tiefe, durchglüht von der Wärme lauterer Menschlichkeit, erleuchtet von der Strahlenkraft christlichen Glaubens. Solche Gemeinschaftssicht erblickt in der Rechtsordnung als dem Spiegelbild der gottgewollten Gemeinschaftsordnung eine Edelfrucht des dem Gottesgeiste nachgebildeten Menschengeistes.

17 Über dieser einzig lebensfähigen organischen Gemeinschaftsschau, in der edelste Menschlichkeit und echtes Christentum zu gemeinsamer Blüte sich einen, steht das vom großen Aquinaten durchdachte Schriftwort: Opus justltiae pax, das Werk der Gerechtigkeit ist der Friede. Dies Leitwort ist der Innen- wie der Außenseite des Gemeinschaftslebens in gleicher Welse zugewandt. Es kennt nicht die schneidende Alternative: ,Liebe oder Recht', sondern nur die schöpferische Verbindung ,Liebe und Recht'.

18 Beide sind Ausstrahlungen desselben Gottesgeistes, Programm und Siegel der Würde des Menschengeistes. Beide ergänzen sich gegenseitig, wirken zusammen, beleben und stützen sich, reichen sich die Hand auf dem Weg zu Eintracht und Frieden. Bereitet das Recht der Liebe den Weg, so vollendet und überhöht die Liebe des Recht. Beide zusammen erheben das Menschenleben in jene Atmosphäre der Gemeinschaft, wo inmitten der Unvollkommenheiten, Hemmnisse und Härten dieser Erde ein brüderliches Zusammenleben ermöglicht wird. Da aber, wo der Ungeist materialistischer Auffassungen das Feld beherrscht, wo Macht- und Geltungsstreben die Zügel des Geschehens in rauen Händen hält, beginnen die Spaltwirkungen täglich offenbarer zu werden, schwinden Liebe und Recht zugleich und künden traurig den drohenden Untergang einer von Gott abgefallenen Gesellschaft.

b) Die Ruhe

19 Das zweite Kernelement des Friedens, dem jedes menschliche Gemeinschaftsleben wie von selbst zustrebt, ist die Ruhe. Glückselige Ruhe, du hast nichts gemein mit hartnäckigem, unerleuchtetem rechthaberischem, kindisch eigensinnigem Sichversteifen; nichts gemein mit dem oft aus Bequemlichkeit und Selbstsucht stammenden Widerwillen, sich mit Fragen und Aufgaben zu befassen; die der Wandel der Zeiten im Wechsel der Generationen mit ihren stets neuen Bedürfnissen zu unaufschiebbaren Gegenwartsforderungen heranreifen lässt. Ihnen gegenüber kennt der Christ, im Bewusstsein seiner Mitverantwortung auch für den geringsten seiner Brüder nie die Ruhe der Bequemlichkeit und des Ausweichens, sondern nur Tat, nur Einsatz statt aller untätigen Fahnenflucht in dem großen Geisteskampf um den Aufbau, ja die Seele des. Gemeinschaftslebens der Zukunft.

20 Im Sinne des Aquinaten sind Ruhe und lebendige Tat keine Gegensätze, verbinden sich vielmehr zu einem Ganzen in dem, der die Notwendigkeit und strahlende Schönheit der geistigen Grundlagen des Gemeinschaftslebens als hehres Ideal erfasst hat. Besonders euch, ihr Jungen, die ihr so gern dem Gestern den Rücken kehrt und dem Morgen das Auge eurer Sehnsüchte und Hoffnungen zuwendet, sagen Wir in herzlicher Liebe und väterlicher Sorge: ruhelose Lebendigkeit ist kein Selbstzweck. Sie muss in den Dienst des Guten; Sie muss unter ein makelloses Banner treten. Eitel ist alle Lebendigkeit, Bereitschaft und Bewegung, wenn sie nicht in Gott und Seinen ewigen Gesetzen ruht; wenn sie nicht die Gewissenssicherheit besitzt, mit ihren Sympathien und Sehnsüchten, mit ihren Kräften, und ihrem Opfereinsatz für die Wahrheit, für Gottes ewige Gebote, für die Persönlichkeitswürde des Menschen, für die Erreichung seiner ewigen Ziele zu kämpfen. Wo Alt und Jung, stets verankert im Meer der ewig lebendigen Ruhe Gottes, ihre Temperaments- und Vitalitätsunterschiede in echt christlichem Geiste auszugleichen wissen, wo Antrieb und Zügel sich einen, da wird die naturgegebene Spannung zwischen den Generationen niemals verhängnisvoll, sondern immer nur fruchtbar werden, zur Verwirklichung der ewigen Gottesgesetze im Wandel und Wechsel der Zeiten und Lebensbedingungen.

21 Auf einem besonderen Felde des gesellschaftlichen Lebens, wo ein Jahrhundert hindurch unaufhörliche Bewegtheit und schwere Konflikte herrschten, ist heute wenigstens äußerlich Ruhe. Wir meinen die weite, immer größer sich dehnende Welt der abhängigen Arbeit, das unübersehbare Heer der Arbeiter und Angestellten. Betrachtet man die heutige Lage mit ihren Kriegsnotwendigkeiten als Gegebenheit, so wird man diese Ruhe als wohlbegründete Forderung ansprechen können. Sieht man indes den heutigen Zustand unter dem Gesichtspunkte der Gerechtigkeit, einer wohlgeleiteten und berechtigten Arbeiterbewegung, dann kann es sich nur um eine Scheinruhe handeln, solange ihr Ziel nicht erreicht ist.

Grundformen des Gemeinschaftslebens

22 Die Kirche hat stets aus religiösen Beweggründen die verschiedenen Systeme des marxistischen Sozialismus verurteilt. Sie tut es auch heute, weil es ihre unabänderliche Rechtspflicht ist, die Menschen vor Strömungen und Einflüssen zu bewahren, die ihr ewiges Heil gefährden. Aber die Kirche kann auch nicht übersehen oder verkennen, dass der Arbeiter beim Streben nach Besserung seiner Lage gegen ein Triebwerk angeht, das weit davon entfernt, der Natur zu entsprechen, vielmehr der Ordnung Gottes und dem von Ihm in die Erdengüter hineingelegten Sinn widerstreitet. So falsch, so verurteilenswert und verhängnisvoll die Wege waren und sind, die man beschritt, wer, welcher Christ, und vor allem weicher Priester könnte den Schrei aus der Tiefe überhören, der in der Welt eines gerechten Gottes nach Gerechtigkeit und Brudersinn ruft? Es wäre ein schuldhaftes Schweigen, nicht zu verantworten vor Gott, und im Widerspruch mit dem erleuchteten Sinn des Apostels, der zwar Unerbittlichkeit gegenüber dem Irrtum fordert, dabei aber sich bewusst ist, dass er dem Irrenden Schonung, Rücksicht und Verständnis für seine Wünsche, Hoffnungen und Beweggründe schuldet.

23 Als Gott unsere Stammeltern segnete, sprach er zu ihnen: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und macht sie euch untertan". Und zum ersten Familienvater sagte er später: „Im Schweiße deiner Stirne sollst du dein Brot essen." Die Persönlichkeitswürde des Menschen erheischt also das persönliche Nutzungsrecht an den Gütern der Erde als normale und naturgemäße Lebensgrundlage. Dem entspricht die grundsätzliche Forderung des Privateigentums, soweit möglich für alle. Die positiv-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung des Privateigentums mögen wechseln und eine mehr oder weniger gebundene Nutzung gestatten. Wollen sie jedoch ihre Friedensaufgabe im Dienst der Gemeinschaft erfüllen, so haben, sie zu verhindern, dass der arbeitende Mensch, der gegenwärtige oder zukünftige Familienvater, einer wirtschaftlichen Abhängigkeit und Unfreiheit verfällt, die mit seinen Persönlichkeitsrechten unvereinbar ist.

24 Ob diese Unfreiheit von der Übermacht des Privatkapitals oder von der Staatsmacht ausgeht, ist für die Wirkung selbst ohne Belang. Im Gegenteil, unter dem Druck eines Staates, der alles beherrscht; und das Gesamtgebiet des öffentlichen Lebens regeln will bis hinein selbst in den Gesinnungs-, Überzeugungs- und Gewissensbereich, könnte diese Unfreiheit noch viel schwerlegendere Folgen zeitigen, wie die Erfahrung lehrt und bezeugt.

25 Wer die von Uns nur in knappen Strichen angedeuteten Grundlagen und Ziele des Gemeinschaftslebens im Lichte der Vernunft und des Glaubens überschaut und sie in ihrer sittlichen Höhe und Lauterkeit, in ihren segensvollen Wirkungen auf allen Gebieten überdenkt, der kann sich der Überzeugung nicht verschließen, welch wirkungsmächtige Ordnungs- und Befriedungskeime in ihnen schlummern. Es bedarf allerdings starker, zu Größtem entschlossener, allen Widerständen trotzender Kräfte, um sie der innerlich richtungslos gewordenen Menschheit zu schenken, oder besser gesagt, neu zu erschließen, und die geistigen und rechtlichen Hindernisse niederzulegen, mit denen Voreingenommenheit, Irrtum oder Gleichgültigkeit in einem langen Säkularisierungsprozess des christlichen Denkens, Fühlens und Gestaltens die irdische Stadt Gottes von den Licht- und Kraftströmen der himmlischen abzudrosseln verstanden.

26 Wenn je, denn schlägt heute die Stunde der Wiedergutmachung. Wenn je, dann gilt es heute, das Weltgewissen aus dem bleiernen Schlaf aufzuschrecken, in dessen Bande es die Rauschgifte weitverbreiteter Trugideen geschlagen. Beginnt doch in dieser Stunde wirtschaftlichen und sittlichen Bankrotts die Erkenntnis von der Brüchigkeit und Haltlosigkeit aller rein menschlich begründeten Ordnungen auch solchen die Augen zu öffnen, die in äußerlich glücklicheren Tagen den mangelnden Kontakt mit dem Ewigen in sich selbst und in der Gemeinschaft gar nicht oder jedenfalls nicht als wesentlichen Konstruktionsfehler empfanden.

27 Was dem tiefgläubigen Christen, der unter dem Unverständnis anderer bitterlich litt, immer gegenwärtig war, das dröhnt aus der furchtbaren Weltkatastrophe, die schon die schreckhafte Feierlichkeit eines Weltgerichts annimmt, in die Ohren selbst der Lauen, der Gleichgültigen und der Oberflächlichen. Es ist die alte, in immer neuen Formen tragisch sich offenbarende, durch die Jahrhunderte und durch alle Völker hallende Prophetenmahnung: „Alle die Dich verlassen, werden zu Schanden. Die von Dir sich wenden, werden in den Sand geschrieben. Denn sie haben Gott verlassen, den Born der Wasser des Lebens".

Die besten Glieder der Christenheit sollen das geistige Heilige Land zurückzuerobern

28 Nicht klagen, sondern handeln ist das Gebot der Stunde. Nicht trauern um das was ist und war, sondern neu gestalten, was erstehen wird und soll zum Wohl der Gesellschaft. Mit Kreuzfahrergesinnung sollen die besten und edelsten Glieder der Christenheit im Geiste der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe unter dem Ruf „Gott will es !" sich zusammenschließen, dienst- und opferbereit wie jene Helden der Vorzeit. Ging es damals um die Befreiung des Landes, das des ewigen Wortes Erdenwandel geweiht, so gilt es heute - wenn Wir so sagen dürfen – in neuer Übermeerfahrt die Fluten der Tages- und Zeitirrtümer zu überwinden, um jenes geistige Heilige Land zurückzuerobern, das mit seinen unabänderlichen Normen bestimmt ist zum Fels- und Baugrund einer menschlichen Gemeinschaftsgestaltung von innerem Bestand. Um dieser hehren Aufgabe willen wenden Wir Uns von der Krippe des Friedensfürsten aus, Seiner Gnadenmacht über alle Herzen vertrauend, an euch, die ihr in Christus euren Heiland erkennt, aber auch an alle, die mit Uns wenigstens im Glauben an Gott durch ein geistiges Band verknüpft sind; an alle die endlich, welche nach Befreiung aus Zweifeln und Irrungen, nach Licht und Führung sich sehnen. Mit väterlicher, beschwörender Eindringlichkeit rufen wir euch auf, den erschütternden Ernst, aber auch die gnadenreiche Zukunftsbedeutung dieser Stunde zu erfassen und euch zu vereinen in der Zusammenarbeit für die Erneuerung des menschlichen Gemeinschaftslebens in Geist und Wahrheit. Wesentliches Ziel dieses notwendigen, heiligen Kreuzzuges ist, dass der Stern des Friedens, der Stern von Bethlehem wieder in seinem vollen Glanz, in seinem versöhnenden Trost als Verheißung einer besseren, fruchtbareren und glücklicheren Zukunft über der gesamten Menschheit aufgehe.

29 Der Weg aus dem Dunkel von heute bis zu einem lichteren Morgen wird lang sein. Doch entscheidend sind die ersten Schritte auf diesem Wege. Auf den ersten fünf Meilensteinen, die ihn umsäumen, stehen mit ehernem Griffel eingemeißelt, folgende Grundforderungen:

Grundforderungen der friedlichen Gemeinschaftsgestaltung

30 1. Wer will, dass der Stern des Friedens über dem menschlichen Zusammenleben aufgehe und leuchte, der helfe zu seinem Teil mit an der Wiedereinsetzung der menschlichen Persönlichkeit in die ihr durch Gottes Schöpferwillen von Anbeginn verliehene Würde; der wehre dem maßlosen Zusammentreiben der Menschheit zu einer seelenlosen Masse; wehre ihrer wirtschaftlichen, sozialen, politischen, geistigen und sittlichen Haltlosigkeit, ihrem Untermaß an festen Grundsätzen und starken Überzeugungen, ihrem Übermaß an trieb- und sinnenharter Erregbarkeit und Unbeständigkeit; der fördere mit allen erlaubten Mitteln auf allen Lebensgebieten solche Gemeinschaftsformen, in denen allseitige Eigenverantwortung der Persönlichkeit in ihren Diesseits- wie Jenseitsaufgaben ermöglicht und gewährleistet ist; der trete ein für die Heilighaltung und praktische Verwirklichung folgender grundlegender Persönlichkeitsrechte: das Recht auf Erhaltung und Entwicklung des körperlichen, geistigen und sittlichen Lebens, ganz besonders auf religiöse Erziehung und Bildung; das Recht zur privaten und öffentlichen Gottesverehrung, einschließlich der religiösen Liebestätigkeit; das grundsätzliche Recht auf Eheschließung und auf Erreichung des Ehezweckes; das Recht auf eheliches und häusliches Gemeinschaftsleben; das Recht zu arbeiten als notwendiges Mittel zur Aufrechterhaltung des Familienlebens; das Recht der freien Wahl des Lebensstandes, also auch des Priester- und Ordensstandes; das Recht zu einer Nutzung an den materiellen Gütern, die sich ihrer sozialen Pflichten und Gebundenheiten bewusst bleibt.

31 2. Wer will, dass der Stern des Friedens über dem menschlichen Gemeinschaftsleben aufgehe und leuchte, der lehne jede Form des Materialismus ab, welcher im Volk nichts mehr sieht als eine Masse voll Einzelmenschen, die zerspalten und ohne inneren Halt der bloße Gegenstand der Beherrschung und Willkür sind; der suche die Volksgemeinschaft zu begreifen als eine im Walten der Vorsehung herangewachsene und gereifte innere Einheit, die in dem ihr zugewiesenen Raum und der ihr eigenen Art im Zusammenwirken der verschiedenen Lebenskreise die ewigen und doch immer neu zu verwirklichenden Menschheitszwecke der Kultur und Religion erfüllt; der verteidige die Unauflöslichkeit der Ehe und gebe der Familie als unersetzlicher Zelle des Volkskörpers Raum, Licht und Atem für die Entfaltung Ihrer Sendung zur Weitergabe des Lebens und zur Erziehung der Kinder in einem Geiste, der ihren berechtigten religiösen Überzeugungen entspricht; der erhalte, stärke oder stelle nach Kräften wieder her ihre wirtschaftliche, geistig-sittliche und rechtliche Einheit; der trage Sorge dafür, dass die immateriellen und geistigen Vorteile der Familie auch den Hausangestellten zugute kommen; der sei bedacht, jeder Familie ein wahres Heim zu schaffen, in dem ein körperlich und sittlich gesundes Familienleben seine Werte wirklich entfalten kann; der sorge dafür, dass die Arbeitsplätze und die Wohnstätten nicht so voneinander getrennt sind, dass sie den Familienvater und Erzieher seiner Kinder zum Fremdling in seinem eigenen Heim werden lassen; der sorge vor allem dafür, dass zwischen öffentlicher Schule und Familie jenes Verhältnis gegenseitigen Vertrauens und Helfens erstehe, das in andern Zeiten so segensreiche Früchte trug, und das heute einem weitgehendem Misstrauen gewichen ist, da, wo eine vom Geiste des Materialismus beeinflusste oder gar beherrschte Schule vergiftet und vernichtet, was Vater und Mutter in den Seelen ihrer Kinder aufgebaut haben.

32 3. Wer will, dass der Stern des Friedens über dem menschlichen Gemeinschaftsleben aufgehe und leuchte, der gebe der Arbeit den ihr von Anfang an durch Gott bestimmten Platz. Als notwendiges Mittel zu jener von Gott zu seiner Ehre gewollten Beherrschung der Welt, besitzt jede Arbeit ihre unantastbare Ehre und ist zugleich, zu innerst verknüpft mit der Entfaltung der Persönlichkeit. Diese hohe Einschätzung von der Würde der Arbeit wird nicht im geringsten gemindert durch ihre Mühe und Last, die als Folge der Erbschuld im Gehorsam gegen Gottes Willen zu tragen ist.

33 Wer die großen Enzykliken Unserer Vorgänger und Unsere eigenen bisherigen Botschaften kennt, weiß, dass die Kirche nicht zögert, aus dem sittlichen Adel der Arbeit die Folgerungen zu ziehen und mit dem ganzen Gewicht ihrer Autorität zu unterstützen. Diese Forderungen umfassen neben der Sicherung eines gerechten, den eigenen Bedarf des Arbeiters und seiner Familie deckenden Lohnes, die Erhaltung und Vervollkommnung einer Sozialordnung, welche allen Schichten des Volkes die Bildung eines dauerhaften, sei es auch nur bescheidenen Privateigentums ermöglicht; welche den geistig und sittlich besonders begabten Kindern des Arbeiters eine höhere Ausbildung gestattet; welche die Pflege und praktische Betätigung des Gemeinschaftsgeistes in Nachbarschaft, Gemeinde, Landschaft, Volk und Nation fördert, um durch all dies die Interessen- und Klassengegensätze zu mildern und den Arbeiter das Gefühl der Absonderung verlieren zu lassen in der beglückenden Erfahrung echt menschlicher und christlicher Brüderlichkeit.

34 Fortschritt und Maß der dringend notwendigen Sozialreformen ist abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Nationen. Nur bei weitblickendem und weitherzigem Kräfteaustausch zwischen den Starken und Schwachen wird die allgemeine soziale Befriedung so durchgeführt werden können, dass nirgendwo Brand- und Ansteckungsherde übrig bleiben, von denen morgen neues Unheil seinen Ausgang nehmen könnte.

35 Deutliche Anzeichen sprechen dafür, dass inmitten aller Vor- und Hassurteile, diesen unvermeidlichen, aber bedauerlichen Äußerungen der seelischen Kriegsüberreizung in den Völkern das. Bewusstsein ihrer innersten Verkettung im Guten und Bösen nicht erloschen ist, sondern im Gegenteil an Lebendigkeit und Auswirkung zunimmt. Erkennen doch tiefer Blickende immer klarer, dass nur der Verzicht auf nationale Selbstsucht und Absonderung zur allgemeinen Gesundung führt; ja sie sind bereit, ihren eigenen Völkern einen empfindlichen Anteil an den Opfern zuzumuten, die zur sozialen Befriedung anderer Völker unerlässlich sind, Möge diese Unsere Weihnachtsbotschaft an alle, die guten Willens und hilfsbereiten Herzens sind, die geistige Gefolgschaft am sozialen Kreuzzug in allen Völkern ermutigen und vermehren. Und möge Gott ihrem friedlichen Banner den Sieg schenken, dessen ihre edle Sache würdig ist.

36 4. Wer will, dass der Stern des Friedens über dem menschlichen Gemeinschaftsleben aufgehe und leuchte, der helfe mit zu einer tiefgehenden Wiederherstellung der Rechtsordnung. Das gegenwärtige Rechtsbewusstsein ist vielfach heillos zerrüttet durch die Verkündigung und Betätigung eines hemmungslosen Positivismus und Utilitarismus des Rechts im Dienst bestimmter Gruppen und Bewegungen, deren Aufstellungen der Rechtsfindung und Rechtssprechung die Wege weisen und vorschreibe Die Heilung dieses Zustandes ist dadurch zu erreichen, dass das Bewusstsein einer auf Gottes höchster Herrschaft beruhenden, jedweder menschlichen. Willkür entzogenen Rechtsordnung die der erweckt wird; einer Rechtsordnung, die ihre schützende und rächende Hand auch über die unverlierbaren Menschenrechte breitet und sie dem Zugriff jeder menschlichen Macht entzieht. Aus der gottgesetzten Rechtsordnung ergibt sich der unabdingbare Anspruch des Menschen auf Rechtssicherheit und damit auf eine konkrete Rechtssphäre, die gegen jeden Angriff der Willkür geschützt ist. Das Verhältnis von Mensch zu Mensch, das Verhältnis des Einzelmenschen zur Gemeinschaft, zur Autorität, zu seinen staatlichen Pflichten, das Verhältnis der Gemeinschaft und der Autorität zum Einzelmenschen müssen auf eine klare Rechtsgrundlage gestellt und im Einzelfall von der Autorität des Richters geschützt sein.

37 Das setzt voraus:

a) Gerichte und Richter, die ihre Weisungen von einem klar umschriebenen und gefassten Recht beziehen,

b) eindeutige Rechtssatzungen, die nicht durch missbräuchliche Berufungen auf ein angebliches Volksempfinden und durch bloße Nützlichkeitserwägungen um ihren Sinn gebracht werden können,

c) Anerkennung des Grundsatzes, dass auch der Staat und die von ihm abhängigen Behörden und Gliederungen verpflichtet sind zur Wiedergutmachung und zum Wiederruf von Maßnahmen, durch welche die Freiheit, das Eigentum, die Ehre, die Aufstiegsmöglichkeit und die Gesundheit der Einzelmenschen geschädigt werden.

38 5. Wer will, dass der Stern des Friedens dem menschlichen Gemeinschaftsleben aufgehe und leuchte, der, lege Hand mit an zum Erstehen einer Staatsauffassung und Staatswirklichkeit, die aufgebaut sind auf zuchtvoller Vernunft, edler Menschlichkeit und verantwortungsbewusstem christlichem Geiste; der helfe mit an der Zurückführung des Staates und seiner Gewalt zum Dienst an der Gemeinschaft, zur vollen Achtung der Persönlichkeit und ihres Strebens nach Erreichung ihrer ewigen Ziele; der bemühe sich nachdrücklich um die Bekämpfung der Irrtümer, die darauf ausgehen, den Staat und die Staatsmacht vom Wege der sittlichen Gebote, abzubringen, die aus der heilig verpflichtenden Bindung gegenüber dem Einzel- und Gemeinschaftsleben herauszulösen und zur Verneinung oder tatsächlich Außerachtlassung ihrer wesenhaften Abhängigkeit vom Schöpferwillen zu führen; der trage bei zur Wiederanerkennung und Verbreitung der Wahrheit, dass auch im irdischen Bereich der tiefste Sinn und die letzte sittliche und gemeinschaftsgültige Berechtigung des „Herrschens" das „Dienen“ ist.

Schluss: Aufruf zur sozialen Mitverantwortung

39 Gebe Gott, die während Unsere Stimme an euer Ohr dringt, euer Herz innerlich erfasst und bewegt werde von dem tiefen Ernst, der brennenden Sorge, der beschwörenden Eindringlichkeit, mit der Wir diese Gedanken euch nahe legen als einen Weckruf an das Weltgewissen, als einen Sammelruf an alle, die bereit sind, an der Weite des allgemeinen Unglücks die Größe ihrer Aufgabe und Mitverantwortung zu messen. Ein großer Teil der Menschheit, und Wir stehen nicht an zu sagen, auch nicht wenige von denen, die sich Christen nennen, trägt ihren Teil der Gesamtverantwortung für die Fehlentwicklung, für die Schäden und für den Mangel an sittlichem Hochstand der heutigen Gesellschaft. Dieser Weltkrieg und alles, was mit ihm zusammenhängt, seine entferntere und nähere Vorbereitung, wie seine materiellen, rechtlichen und sittlichen Methoden und Auswirkungen, was stellen sie anders dar als einen Zusammenbruch? Vielleicht kam den Oberflächlichen überraschend, für den Tieferblickenden war er das klar geschaute, unvermeidliche Verhängnis einer Gesellschaftsordnung, die hinter dem trügerischen Gesicht, hinter der Maske hergebrachter Formeln ihre Todeskrankheit, den zügellosen Erwerbsund Machttrieb verbarg. Was in Friedenszeiten unter der Oberfläche blieb, das drängt nach Kriegsausbruch an den Tag mit einer traurigen Reihe von Taten, die menschlichem und christlichem Geist Hohn sprechen. Die internationalen Abmachungen zur Minderung der Unmenschlichkeiten des Krieges, zu seiner Beschränkung auf die Kämpfenden, zur Regelung des Besetzungs- und Kriegsgefangenenrechts sind mancherorts toter Buchstabe geblieben, und wer sieht ans Ende dieses um sich greifenden Zerfalls? Wollen die Völker dieser verhängnisvollen Entwicklung tatenlos zusehen? Müssen nicht vielmehr gerade über den Trümmern einer Gemeinschaftsordnung, die Ihre Unfähigkeit zur Schaffung des Volkswohls so erschütternd bewiesen hat, alle Hochherzigen und Gutgesinnten sich zusammenfinden in dem Gelöbnis, nicht zu rasten, bis in allen Völkern und Ländern die Zahl derer Legion geworden ist, die entschlossen sind, das Gemeinschaftslehen zu dem unverrückbaren Mittelpunkt seines Kreislaufs, zum göttlichen Gesetz zurückzuführen; die bereit sind, der Persönlichkeit und der in Gott geadelten Gemeinschaft zu dienen? Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den zahllosen Toten, die im Boden der Schlachtfelder ruhen: das Opfer ihres Lebens bei Erfüllung ihrer Pflicht ist dargebracht für eine bessere Gemeinschaftsordnung. Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit der unabsehbaren Trauerschar von Müttern, Witwen und Waisen, denen, das Licht, der Trost und die Stütze ihres Lebens geraubt wurde. Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den unzähligen, Verjagten, die der Sturmwind des Krieges aus ihrem Heimatbodenentwurzelt und in fremde Länder verweht hat, wo sie mit dem Propheten klagen können: „Unser angestammtes Erbe ist den Fremden zuteil geworden, unsere Häuser den Unbekannten". Unser Gelöbnis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die, persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Nationalität oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind. Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den vielen Tausenden von Nichtkämpfern, Frauen, Kindern, Kranken und Greisen, denen der Luftkrieg – Wir haben vor seinen Schrecken von Anfang an wiederholt Unsere warnende Stimme erhoben - mit seiner unterschiedslosen oder nicht hinreichend überprüften Anwendung Leben, Besitz, Gesundheit, die Stätten der Caritas und des Gebetes geraubt hat. Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den Strömen von Tränen und Bitternis, von Leid und Qual, die aus den Ruinen des Riesenkampfes hervorbrechen und mit ihrem Tosen den Himmel beschwören, das Herabkommen des Geistes erflehend, dass er die Welt vom Überhandnehmen der Gewalt und des Schreckens erlöse.

40 Wo könntet ihr dieses euer Gelöbnis für die Erneuerung der Gesellschaft mit größerer Zuversicht, mit innigerem Vertrauen und wirkungsvollerem Glauben niederlegen, als zu Füßen Dessen, „Den alle Völker ersehnten"? Der vor uns in der Krippe liegt in der ganzen Anmut Seiner Menschlichkeit als Kind, doch auch mit der ergreifenden Anziehungskraft Seines beginnenden Erlöserberufs? An welchem Ort könnte der hehre, heilige Kreuzzug für die Läuterung und Erneuerung der Gesellschaft sinnvollere Weihe empfangen als in Bethlehem, wo im anbetungswürdigen Geheimnis der Menschwerdung der neue Adam erschien, aus Dessen Wahrheits- und Gnadenquellen die Menschheit immer wieder Wasser des Heiles schöpfen muss, will sie nicht ermatten in der Wüste dieses Lebens? „Aus Seiner Fülle haben wir alle empfangen". Seine Wahrheits- und Gnadenfülle ergießt sich wie vor zwanzig Jahrhunderten noch heute in unverminderter Kraft über den Erdkreis. Sein Licht übermächtigt die Finsternis; Sein, Liebesstrahl überwältigt die eiskalte Selbstsucht, die so viele Menschen hindert am Wachsen und Erblühen ihres besseren Wesens. Freiwillige Kreuzritter eines neuen und veredelten Gemeinschaftsgedankens, erhebt das neue Christusbanner einer sittlichen und christlichen Wiedergeburt! Sagt Fehde an der Finsternis der Gottferne, der Kälte des Bruderzwistes! Fehde im Namen einer schwer kranken Menschheit, sie zu heilen im Namen eines christlich geadelten Gewissens! - Unser väterlicher Segen, Glückwunsch und Ansporn, sei mit eurem hochherzigen Beginnen. Er bleibe über an denen, die zur Bekämpfung, der Übel des Gemeinschaftslebens auch vor jenen Waffen nicht zurückschrecken, die wirksamer sind als das Eisen, vor harten Opfern. Über eurem Kreuzzug für ein soziales, menschliches, christliches Ideal strahle der Trost und Mut verheißende Stern, der über der Grotte von Bethlehem leuchtet, der ewig junge Glückstern der christlichen Zeit. Bei seinem Anblick ermannt sich heute wie vordem und fürder jedes gläubige Herz. „Stehen auch Heerlager wider mich auf, Ihm vertraue ich“. Denn wo dieser Stern leuchtet, ist Christus. „Wenn Er führt, gehen wir nicht irre; durch Ihn, zu Ihm lasst uns schreiten, dass wir mit Ihm auf ewig uns freuen. Der heute als Kind geboren ward.“ (St. August. Anspr. 189, 4.).

Papst Pius XII.