Athanasius Schneider: Vorrangige Option für die Familie
100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode
Aldo di Cillo Pagotto SSS
Erzbischof von Paraiba (Brasilien)
Robert F. Vasa
Bischof von Santa Rosa, Kalifornien (USA)
Athanasius Schneider
Vorwort von Jorge A. Kardinal Medina, Übersetzung aus dem italienischen Original, Edizioni Supplica Filiale, Roma 2015, wwww. supplicafiliale.org, Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) www.tfp-deutschland.org; Zur Veröffentlichung in Kathpedia genehmigt durch Athanasius Schneider am 2. Mai 2024.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Vorwort
- 2 Einleitung
- 3 I. Die Bischofssynode und ihre Befugnisse
- 4 II. Die Vorbereitung der Synode über die Familie 2014
- 5 III. Die Kirche und die Familie
- 6 IV. Die sexuelle Revolution
- 7 V. Die vorrangige Aufgabenstellung der Synode 2014: das Verhältnis Kirche-Welt
- 8 VI. Sittenlehre und pastorale Praxis
- 9 VII. Eigenes Gewissen und Lehramt
- 10 VIII. Ehe und Familie
- 11 IX. Die Kommunion für Getrennte, Geschiedene und wiederverheiratete Geschiedene
- 12 X. Homosexualität und homosexuelle Verbindungen
- 13 XI. Einige "Schlüssel-Wörter" der synodalen Debatte
- 14 XII. Die Rolle der Barmherzigkeit in Familienfragen
- 15 XIII. Die Rolle der übernatürlichen Gnade im Hinblick auf die Keuschheit in der Familie
- 16 Letzte Umschlagsseite
Vorwort
Es ist für alle offensichtlich, dass die Institution der Familie in vielen Teilen der Welt eine echte und tiefe Krise durchläuft. Es wäre nicht klug, diese Krise zu ignorieren oder zu leugnen: sie muss analysiert werden, ihr Ausmaß muss ermittelt werden und es müssen Mittel gefunden werden, sie zu überwinden. Das Heft mit dem Titel "Vorrangige Option für die Familie", das ich hier vorstelle, soll einen Beitrag dazu leisten.
Die Krise der Familie ist nicht die einzige, die die Welt heute belastet. Es gibt auch andere Krisen und nicht selten zeigen sich wechselseitige Einflüsse und Zusammenhänge zwischen ihnen. Der Gebrauch der Lüge und Verstellung in all ihren Formen als legitimes Mittel zur Bewältigung von schwierigen Situationen, die Vermehrung egoistischer Vorgehensweisen, die skandalösen Unterschiede zwischen denen, die einen übertriebenen und sogar luxuriösen Wohlstand genießen und der Masse derer, denen selbst das Notwendigste fehlt, die monströse Ausbreitung des Drogenhandels und der Drogenabhängigkeit, und viele andere Situationen, die die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens bedrohen, sind Beispiele dafür.
Manche glauben, dass die Lösung dieser Probleme in erster Linie in der Erlassung immer neuer Gesetze und Kontrollen zu finden ist. Ohne die Wirksamkeit dieser Mittel gering zu achten, sollten Christen sich jedoch der Worte Jesu erinnern: "Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl falsches Zeugnis und Lästerung. Das ist es, was den Menschen verunreinigt" (Mt 15,19-20 und Mk 7,21-23). Das wichtigste ist demnach die Bekehrung des Herzens, ohne die alle äußeren Mittel nur eine vorübergehende und begrenzte Wirkung haben können.
Doch die Bekehrung des Herzens setzt eine radikale Läuterung der Gedanken voraus, wie der hl. Paulus mahnt: "Macht euch nicht die Art dieser Welt zu eigen, sondern wandelt euch um durch Erneuerung eures Denkens, um zu prüfen, was der Wille Gottes ist, was gut, wohlgefällig und vollkommen" (Röm 12,2). Viele Erscheinungen dieser Welt tragen den Stempel des Bösen (vgl. 1 loh 5,19), dessen, den Jesus "Lügner und Vater der Lüge" nennt (Joh 8,44), der seine Spuren mit Vorliebe in Irrtümern unter dem Schein von Wahrheiten verbirgt und den Menschen den Blick auf das wahrhaft Gute und Richtige verstellt.
Natürlich fordert die Bekehrung des Herzens im Bereich der Familie eine Erkenntnis des Wesens der Familie, als ein Abbild der ehelichen Liebe zwischen Gott und seinem Volk und zwischen Christus und seiner Kirche. Die christliche Familie entsteht aus einem sakramentalen Bund, einer Ausgießung von Gnaden, und stellt als solche eine Berufung zur Heiligkeit für diejenigen dar, deren Aufgabe es ist, ihren Glauben im Ehestand und in den elterlichen Verantwortungen zu leben. Diese beschränken sich nicht auf das weltliche Wohlergehen, sondern müssen im Laufe unserer irdischen Pilgerschaft mit Hilfe der Gnade verwirklicht werden, um mit Freude zum Ziel der Herrlichkeit und Seligkeit zu gelangen, zu dem wir durch unsere Taufe berufen sind.
Die christliche Familie ist von ihrem Wesen her eine religiöse Einrichtung, und sie ist es in ihrer wesentlichsten Substanz; diese Eigenschaft ist nicht eine von vielen, die vorhanden sein kann oder nicht, sondern sie macht das Wesen der Familie als solche aus. Für christliche Eheleute gilt, wie für jeden Jünger Christi, die programmatische Aussage des hl. Paulus: " ... denn leben wir, so leben wir dem Herrn" (Röm 14,8). Das gilt unter allen Umständen; nichts darf von der köstlichen Folge der Weihe in der Taufe verloren gehen, und die Eheleute sind berufen, sie in der "Hauskirche" zu leben. Daher die Verantwortung der Eltern, den Kindern den Glauben zu vermitteln und die Wichtigkeit der täglichen Gebete in der Familie vor dem Hausaltar.
Die Mitglieder der Familie können, wie alle Christen, Schwächen haben oder gar sündigen. In diesem Fall steht ihnen die Möglichkeit offen, sich in die unendliche und väterliche Barmherzigkeit Gottes zu flüchten, der sie zur Bekehrung durch ernsthafte Reue aufruft. Nach dem Konzil von Trient ist" die Reue der Schmerz und der Abscheu der Seele über die begangene Sünde mit dem Vorsatz, künftighin nicht mehr zu sündigen" (Katechismus des Konzils von Trient, 2. Teil, Kapitel V, Nr. 23).
Einleitung
Was ist dieses Heft?
Es ist ein Handbuch, ausgearbeitet auf der Basis eines Frage- und Antwortschemas, das in klarer und einfacher Weise einige besonders aktuelle Themen über die Lehre der Kirche zu Ehe und Familie behandelt.
Es sollen darin heikle, aber fundamentale Themen über die Familie in der modernen Welt aufgegriffen werden - nicht nur die, die Im vergangenen Jahr von der Außerordentlichen Bischofssynode behandelt wurden, sondern auch andere Themen, die regelmäßig in der Debatte zwischen - gläubigen und nicht-gläubigen -Intellektuellen, Journalisten und Kritikern auftauchen, die sich wünschen, ihre Sicht der Dinge von der katholischen Kirche übernommen zu sehen.
Viele dieser Themen werden wahrscheinlich im Rahmen der nächsten Synode behandelt werden. Wir können sicher sein, dass die Diskussion in den Massenmedien, Internet-Foren und sozialen Netzwerken, die heute wahrscheinlich den größten Einfluss auf die öffentliche Meinung haben, noch lange weitergeführt werden wird.
Welche Reichweite wird dieses Studienheft haben?
Das Thema Familie ist sehr umfassend und eine wirklich erschöpfende Behandlung würde den Rahmen dieser Arbeit spr~ngen. Wir wollen uns dennoch bemühen, den vielfältigen Fragen, die sich daraus für die Pastoral der Kirche ergeben, Rechnung zu tragen, indem wir insbesondere auf die folgenden Hauptthemen eingehen: die Ehe als sozialer Stand; die Familie als kleinste Einhe!t der Kirche; die Berufung zur Heiligkeit in der Ehe; das Gebet In de: Familie; die Aufgabe der Eltern als erste Verkünder des Evangeliums an ihre Kinder. Über jeden einzelnen dieser Punkte könnte man eIn eigenes Werk verfassen, was für die Evangelisierung der Familie von großem Nutzen wäre. Wir hoffen sehr, dass diese Themen auf der Synode 2015 behandelt werden.
Die Pastoral unserer Zeit verlangt aber auch Klarheit und eindeutige Aussagen zu den entscheidenden Themen, die während der Synode zur Sprache kamen und die teilweise infolge der Auslegung durch verschiedene theologische Schulen und vor allem infolge der massiven Propaganda in den Massenmedien fehlinterpretiert wurden. Es ist daher wichtig, hier einige Grundwahrheiten der katholischen Lehre sowie auch unverzichtbare pastorale Anforderungen im Hinblick auf die Familie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, denn die tatsächliche Situation der Familie ist in Wirklichkeit ganz anders, als man uns gerne glauben machen möchte.
An wen richtet sich dieses Heft?
Wir wenden uns vor allem an Bischöfe, Priester und Ordensleute, Katecheten und Laien, die in der Kirche verantwortungsvolle Positionen bekleiden. Wir wollen aber auch allen Laien, die die wachsenden Probleme der Familie in der heutigen Zeit mit Besorgnis verfolgen, Argumente zur Verfügung stellen, mit denen sie der antifamiliären Offensive der mächtigen Massenmedien entgegentreten können. Für sie soll dieses Heft eine Art Handbuch darstellen, das ihnen zur Orientierung dienen kann.
"Die Menschen weigern sich, zu tun, was vom Worte Gottes vorgeschrieben ist. In Wahrheit betrachten sie das göttliche Wort selbst als Feind, aus dem einfachen Grund, dass es einen Befehl beinhaltet. Da ich dieses Wort wiedergebe, befürchte ich, dass auch ich von einigen als Feind betrachtet werde. Doch was liegt mir schon daran? Gott, der mich stark macht, treibt mich dazu, zu reden und die Einwände der Menschen nicht zu fürchten. Sollen sie es mögen oder auch nicht, ich werde reden!" - Hl. Augustinus von Hippo, 9. Predigt [über die Ehe], Nr. 3
I. Die Bischofssynode und ihre Befugnisse
1. Frage: Was ist eine Bischofssynode?
Antwort: Die Bischofssynode ist eine Dauereinrichtung der Katholischen Kirche. Sie wurde von Papst Paul VI. durch das Motu proprio Apostolica sollicitudo (15. September 1965) errichtet, mit dem Zweck, den Papst bei der Leitung der Weltkirche zu beraten, um so den vom 2. Vatikanischen Konzil verlangten „kollegialen Geist“ umzusetzen. Die Synode wird vom Papst einberufen und kann entweder als Generalversammlung, als außerordentliche Versammlung oder als Spezialversammlung zusammentreten.
2. Frage: Haben die Beschlüsse der Bischofssynode lehramtlichen Charakter und sind sie daher für die Gläubigen verbindlich?
Antwort: Die Synode hat ausschließlich beratende Funktion und keine lehramtliche Befugnis. Entscheidungsbefugnis hat sie nur dann – so wie jede andere Versammlung auch, wenn sie ihr vom Papst im Einzelfall übertragen wird. Im Allgemeinen holt sich der Papst von der Synode Anregungen, die er dann in einer postsynodalen Exhortatio Apostolica (Verlautbarung) veröffentlicht, wodurch die von der Synode durchgeführte Bewertung eines Themas der gesamten Kirche zugänglich gemacht wird.
3. Frage: Kann die Bischofssynode die Lehre der Kirche in entscheidenden Punkten der Glaubens- und Morallehre verändern?
Antwort: Weder die Bischofssynode noch irgendeine andere kirchliche Instanz hat die Macht, die Lehre der Kirche zu verändern. „Die Kirche ist ja nicht Urheberin dieser beiden Gesetze [des natürlichen und des evangelischen Sittengesetzes]; sie kann deshalb darüber nicht nach eigenem Ermessen entscheiden, sondern nur Wächterin und Auslegerin sein; niemals darf sie etwas für erlaubt erklären, was in Wirklichkeit unerlaubt ist, weil das seiner Natur nach dem wahren Wohl des Menschen widerspricht.“ (sel. Paul VI., Humanae Vitae, 25. Juli 1968, Nr. 18) „Eine Lehre, die über Jahrhunderte besteht und von der Kirche immer wieder bestätigt wurde, kann nicht geändert werden, ohne die Glaubwürdigkeit der Kirche in Frage zu stellen“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8. Januar 2015, S. 24)
4. Frage: Wenn schon die Synode die Lehre der Kirche in grundlegenden Punkten der Moraltheologie, wie zum Beispiel der sakramentalen Eheschließung, nicht ändern kann, kann es dann wenigstens der Papst?
Antwort: Viele grundlegende Punkte der Moraltheologie, wie zum Beispiel die Lehre von der sakramentalen Eheschließung, stelle unmittelbar göttliches Recht dar und können daher von keiner kirchlichen Autorität geändert werden, auch nicht vom Papst. „Es ist daher eindeutig, dass die Nichtausdehnung der Entscheidungsbefugnis des Papstes auf die bestätigten und vollzogenen sakramentalen Eheschließungen durch das kirchliche Lehramt als eine endgültig zu betrachtende Lehre gelehrt wird“ (hl. Johannes Paul II., Rede vor dem Gericht der Rota Romana, 21. Januar 2000).
5. Frage: Wenn nicht die Lehre, kann dann zumindest die kirchliche Disziplin in Sachen Ehe und Familie von der Synode geändert werden?
Antwort: Die Synode ist nicht ermächtigt, die kirchliche Disziplin in Sachen Ehe und Familie zu ändern. Dies kann nur der römische Papst, jedoch immer nur im Einklang mit der offenbarten Wahrheit und für das Heil der Seelen. „Die kirchliche Disziplin kann nicht als eine nur menschliche und verwandelbare Realität angesehen werden, sie hat eine viel breitere Bedeutung. Die Disziplin schließt auch göttliches Recht, wie die Zehn Gebote, ein, die keinen Veränderungen unterworfen sind, selbst wenn sie nicht doktrinärer Natur sind. Das Gleiche kann von allen Regeln des göttlichen Rechts gesagt werden. Die Disziplin beinhaltet sehr oft alles, was der Christ als Lebensauftrag betrachten soll, um ein treuer Diener Jesu Christi zu sein“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8. Januar 2015, S. 29).
6. Frage: Gleichwohl hört man immer wieder, dass der Papst doch wohl kaum zwei Synoden zum Thema Familie einberufen wird, nur um das schon Vorhandene zu bestätigen. Stehen wir also vor einer „pastoralen Wende“?
Antwort: Wenn es stimmt, dass man keine Synode einberuft, nur um eine Lehre zu bestätigen, wird man sie umso weniger einberufen, um eine Lehre zu leugnen. Gerade deshalb muss verhindert werden, dass gewisse theologische Strömungen der Synode pastorale Vorschläge unterbreiten, die der katholischen Lehre widersprechen oder zweideutige Sprachwendungen unterstützen, die die echten Probleme und die richtigen Lösungen verschleiern.
II. Die Vorbereitung der Synode über die Familie 2014
7. Frage: Wie enstand das Projekt der Synode zum Thema Familie?
Antwort: Am 11. Mai 2013 veröffentlichte der Päpstliche Rat für die Familie das „Vorbereitungsdokument“ zur 3. außerordentlichen Generalversammlunug der Bischofssynode über das Thema Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung, die im Vatikan vom 5. bis 19. Oktober 2014 stattgefunden hat. Die Außerordentliche Versammlung sollte nach dem Wunsch des Papstes die Ordentliche Versammlung vorbereiten, die vom 4. bis 25. Oktober 2015 im Vatikan stattfinden soll. Es handelt sich also um eine Synode zum Thema Familie, aufgeteilt in zwei Phasen, die im Abstand von einem Jahr abgehalten werden sollen.
8. Frage: Welche Gedanke lag der Synode urspürnglich zugrunde?
Antwort: Die Organisatoren der Synode wollten ein konkretes Bild der Situation der Familie in der modernen Gesellschaft erhalten, um neue theologische und pastorale Ansatzpunkte zu identifizieren. Die Ralatio Synodi, das Schlussdokument der Synode 2014, hebt die Wichtigkeit des „Zuhörens“ hervor, „um die Realität der Familie in der heutigen Zeit, in ihrer Vielschichtigkeit, mit allem Licht und Schatten, erkennen zu können“ (Relation Synodi, Einleitung, Absatz 4).
9. Frage: Worin bestand dieses „Zuhören“?
Antwort: Um die konkrete Situation der Familie in der modernen Gesellschaft kennenzulernen und ihre Bedürfnisse zu verstehen, wurde vor der Synode 2014 ein Fragebogen erstellt, als Anlage zum Vorbereitungsdokument, der allen Bischöfen und etlichen katholischen Organisationen weltweit zugeschickt wurde, um auf diese Weise Vorschläge zu sammeln, die das „Volk Gottes“ selbst formuliert hatte.
10. Frage: Wurde dieser Fragebogen so formuliert, dass dadurch eine wahrheitsgetreue und vollständige Sicht der aktuellen Situation der Familie möglich war?
Antwort: Wie wir weiter unten sehen werden, haben renommierte Experten auf den Fragebogen mit einer gewissen Verwirrung reagiert und darauf hingewiesen, dass viele wichtige Tatsachen und Probleme ausgeklammert wurden, während andere nur teilweise oder verzerrt dargestellt wurden. Man konnte jedoch in den Lineamenta und im neuen Fragebogen für die Synode 2015 feststellen, dass die heikelsten Themen auf eine Weise dargestellt wurden, die darauf abzielt, ihre Wichtigkeit zu reduzieren. Es kann aber natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass sie überraschend wieder auftauchen, wie dies ja schon bei der Synode 2014 der Fall war.
11. Frage: Soll das bedeuten, dass die Fragen des Fragebogens zur Synode 2014 nicht auf die echten und entscheidenden Probleme der Familie eingegangen sind?
Antwort: Einige Fragen des Fragebogens zur Synode 2014 wurden offensichtlich in der Absicht formuliert, ganz bestimmte Antworten zu bekommen, die nur eine Teilansicht der Realität wiedergeben. Medieninformationen zufolge konzentrierten sich tatsächlich viele der Antworten, die – vor allem aus bestimmten europäischen Ländern – der Synode zugeschickt wurden, auf die Randfragen, während den zentralen Fragen eher weniger bis keine Bedeutung beigemessen wurde; Fragen des Gefühls wurden über lehramtliche Fragen gestellt, pathologische Situationen über normale Zustände. Kurz gesagt, das Bild der Familie, das sich aus den Antworten ergab, scheint nicht der Realität zu entsprechen, sondern viel eher den Vorstellungen gewisser säkularisierter Kreise, die durch die Propaganda der Massenmedien verbreitet werden. Andererseits, „Familien, die in der häuslichen Gemeinsamkeit ihre menschliche und christliche Lebensberufung verwirklichen […] gibt es zahlreiche in jeder Nation, Diözese und Pfarrei! […] So darf man vernünftigerweise annehmen, dass sie ‚die Regel‘ darstellen“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam sane, 2. Februar 1994, Nr. 5).
12. Frage: Gibt es ein Beispiel dafür?
Antwort: Ein Beispiel für diese Einseitigkeit ist der dritte Teil der Relatio Synodi, mit der Überschrift Die Auseinandersetzung: pastorale Perspektiven. Hier werden verschiedene Arten von Paaren beschrieben, für die jeweils eine eigene Pastoral ausgearbeitet werden soll. Die Aufmerksamkeit, ausgedrückt in Prozent, die jeder der folgenden Kategorien gewidmet wurde, stellt sich wie folgt dar:
Verlobte: 7%
Verheiratete: 7%
Zivilehe oder Zusammenleben ohne Trauschein: 17%
Geschiedene/Wiederverheiratete: 61%
Homosexuelle: 7%
„Die breite Problematik des Themas [der Familie] wird in der Tat auf eine einzige Frage reduziert, die, so wichtig sie auch sein mag, eigentlich nur von marginaler Bedeutung und auf jeden Fall zweitrangig ist – der Empfang der Eucharistie durch geschiedene Wiederverheiratete –, obwohl es doch wesentlich wichtiger wäre, die vorgelagerten Probleme zu diskutieren: wieso diese Personen sich überhaupt in einer Situation befinden, in der ihnen die Teilnahme an der Eucharistie verweigert werden muss – mit anderen Worten: der Sinn der christlichen Eheschließung und die besonderen Eigenschaften einer solchen Verbindung“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S. 7).
Wie Kardinal De Paolis in seiner erwähnten Ansprache anführt, hat Kardinal Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon, vor der Presse gesagt, dass die Bischöfe zur Synode berufen worden seien, um über die Ehe zu sprechen, sich aber auf einmal gezwungen gesehen hätten, über die wiederverheirateten Geschiedenen zu diskutieren.
13. Frage: Welche Familien sind dann heute in Not und brauchen Hilfe und Schutz?
Antwort: Viele Arten von Familien stehen heute vor echten und ernsthaften Problemen. Denken wir nur an die Familien, die den Angriffen gegen ihre moralische Integrität oder gegen die christliche Erziehung ihrer Kinder standhalten müssen (wie zum Beispiel der Indoktrinierung der Kinder in den Schulen im Rahmen des sogenannten „Gender Mainstreaming“); an die kinderreichen Familien, die keine angemessene Hilfe und Unterstützung von den öffentlichen Stellen erhalten (und manchmal auch von ihren Hirten nicht unterstützt werden). Denken wir an Familien, die sich in finanzieller oder psychologischer Not befinden, wie etwa Alleinerziehende, wo ein alleingebliebener Vater oder eine alleingebliebene Mutter nicht ohne Hilfe überleben kann oder von den Kindern getrennt wurde; denken wir an Familien, die durch Konflikte oder Skandale zerrissen wurden, an Menschen, die aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurden, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, ungerecht diskriminiert werden oder aus politischen Gründen im Asyl leben müssen (vgl. hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 77). Das sind die Familien, die in echter Not leben und denen von der Synode vorrangig Beachtung geschenkt werden sollte. Außerdem, „muss aber auch der Wert des Zeugnisses jener Eheleute Anerkennung finden, die, obwohl sie vom Partner verlassen wurden, in der Kraft des Glaubens und der christlichen Hoffnung keine neue Verbindung eingegangen sind. (…) Aus diesem Grund schulden ihnen die Hirten und Gläubigen der Kirche Ermutigung und Hilfe“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consotio, Nr. 20).
14. Frage: Welche sind die am häufigsten gebrauchten Wörter im Fragebogen und in den synodalen Texten?
Antwort: Nach dem Wort Familie, das natürlich das meistgebrauchte ist, kommen vor allem Leben, Liebe, Pastoral, Barmherzigkeit, Zuneigung, Frau besonders häufig vor. Das Wort Doktrin (Lehre) erscheint nur drei Mal in nebensächlichen Kontexten; die Wörter Moral (Sitten), Tugend, Treue und Keuschheit werden nur einmal erwähnt. Wichtige Ausdrücke zum Thema Familie wie Verlobung, Ehebruch, Verhütung, Abtreibung kommen überhaupt nicht vor (vgl. Enrico Cattaneo, Non solo famiglia. Ecco le parole chiave del sinodo [Nicht nur Familie. Die Schlüsselwörter der Synode], in: La Nuova Bussola Quotidiana, 3.2.2015).
III. Die Kirche und die Familie
15. Frage: Schon mehrere Synoden haben sich in der Vergangenheit besonders mit dem Thema Familie beschäftigt. Warum muss das heute noch einmal geschehen?
Antwort: Weil die Familie die persönliche, gesellschaftliche und historische Realität jedes Menschen ganz besonders tief prägt. Außerdem ist die Familie nicht nur die Keimzelle der Gesellschaft und das „Heiligtum des Lebens“ sondern auch und vor allem die „Hauskirche“ (Lumen Gentium, Nr. 11). Die Familie ist heute einem Prozess ausgesetzt, der nicht nur ihre Lebensbedingungen zu verändern droht, sondern auch ihr genetisches Erbe, wie schon mehrere Soziologen gewarnt haben (s. z.B. Pierpaolo Donati, Famiglia: il genoma che fa vivere la società [Familie: das Genom, das der Gesellschaft das Leben ermöglicht], Rubbettino, Soveria Marinelli 2013, Kap. VI). Um diese Gefahr abzuwenden, bemüht sich die Kirche zu lehren und Studienzentren einzurichten. Doch enttäuschte Beobachter sind der Meinung, dass „wir nun schon seit Jahrzehnten von der ‚neuen Evangelisierung‘ reden; die Ergebnisse sind allerdings eher armselig. (…) Die dringende Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was fehlt in unseren Bemühungen, wenn wir versuchen, zu evangelisieren und Jesus Christus zu verkünden? Welchen Weg sollen wir einschlagen?“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente dr Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S. 5 und 29). „Das Wohl der Person sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zuinnerst mit einem Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden“ (Gaudium et Spes, Nr. 47). „Die Evangelisierung wird in Zukunft zu einem großen Teil von der „Hauskirche“ abhängen . (…) Dort, wo eine antireligiöse Gesetzgebung jede andere Form der Glaubenserziehung zu verhindern sucht oder wo verbreiteter Unglaube oder eine uferlose Verweltlichung ein wirksames Wachstum im Glauben praktisch unmöglich machen, bleibt die sogenannte Hauskirche der einzige Ort, an dem Kinder und Jugendliche eine echte Glaubensunterweisung erhalten können“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 52).
16. Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Krise der Familie und den Gesetzen, die heute auf der ganzen Welt in Kraft sind?
Antwort: Wie ein bekanntes juristisches Sprichwort sagt, „das Gesetz von heute ist der Brauch von morgen“, das heißt, was der Staat heute als legitim festlegt, wird die öffentliche Meinung mit der Zeit als zulässig ansehen. Zum Beispiel schaffen die Gesetze, die die Ehescheidung erlauben, unter den Gläubigen eine Tendenz, die Beständigkeit und Unauflösbarkeit der Ehe zu relativieren. Um ein Verschwinden der natürlichen und sakramentalen Eheschließung zu verhindern, ist es daher notwendig, dass die Katholiken sich der Scheidungsmentalität widersetzen, die durch die bürgerliche Gesetzgebung geschaffen und aufrechterhalten wird. Prophetisch sind die Worte Papst Leos XIII. anlässlich der gesetzlichen Einführung der Ehescheidung in Frankreich: „Wie viele Übel sich aus den Ehescheidungen ergeben, braucht man kaum zu erwähnen. Durch sie werden die Ehebündnisse wandelbar; die gegenseitige Liebe wird abgeschwächt; der verderblichen Verlockung werden die Schleusen geöffnet; Erziehung und Unterricht der Kinder erleiden Schaden; die häusliche Gemeinschaft beginnt sich zu lockern; in den Familien wird Zwietracht gesät; die Würde der Frau wird geschmälert und erniedrigt, da ihr die Gefahr droht, verlassen zu werden, nachdem sie der Lust des Mannes gedient hat. (…) Die Zukunft wird es bestätigen, dass dieses Übel zunehmen wird, denn kein Zügel ist stark genug, die einmal gewährte Freiheit der Ehescheidung in bestimmten oder im Voraus festgesetzten Schranken zu halten. Die Macht des schlechten Beispiels ist wahrhaftig groß genug, aber noch größer ist die Macht der Begierden; unter ihrem Einfluss dringt das Verlangen nach Ehescheidungen unbemerkt mit jedem Tage in weitere Kreise und ergreift die große Menge wie eine ansteckende Krankheit oder wie ein seine Dämme durchbrechender Strom“ (Leo XIII., Arcanum divinae Sapientiae, 10.2.1880, Nr. 29, 30). Tatsächlich konnte 135 Jahre später Prof. Dr. Stephan Kampowski, Dozent am Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie in Rom, nur bestätigen: „Die bloße Existenz des Rechtinstituts Scheidung hat viel zur Förderung dieser Haltung beigetragen. Recht hat erzieherische Wirkung. Die einfache Tatsache, dass es das Scheidungsrecht in einer säkularen Gesellschaft gibt, ist ein Zeugnis dafür, dass die staatliche Autorität (…) nicht annimmt, dass die Ehe andauern soll, ‚bis dass der Tod uns scheidet‘, sondern dass es sich um eine zeitlich begrenzte Übereinkunft handelt“ (vgl. J.J. Pérez-Soba/S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 108). „Eine zerstörte Familie kann ihrerseits eine spezifische Form von ‚Anti-Zivilisation‘ stärken, indem sie die Liebe in den verschiedenen Ausdrucksformen zerstört, mit unvermeidlichen Auswirkungen auf das gesamte soziale Leben“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam sane, Brief an die Familien, 2.2.1994, Nr. 13).
17. Frage: Gibt es außer der Gesetzgebung noch weitere Ursachen für die Krise der Familie?
Antwort: Die Krise der Familie ist die Folge eines kulturellen und moralischen Zersetzungsprozesses, der nicht selten dadurch verstärkt wird, dass es in den Familien kein Gebetsleben mehr gibt. Egoismus, Zügellosigkeit, Ehebruch, Scheidung, Abtreibung, Verhütung, künstliche Befruchtung, Sexualerziehung, elterliche Autoritätskrise, Verzicht auf Erziehung, ganz zu schweigen von Pornographie und Drogen – alle diese Faktoren tragen zu einer zunehmenden Zersetzung der Familie bei. Diese Situation ist aber nicht die Folge einer unvermeidlichen und unaufhaltsamen historischen Evolution, sondern das Ergebnis einer tiefgehenden und gezielten moralischen und kulturellen Unterwanderung, verstärkt und gestützt durch die so genannte sexuelle Revolution im Mai 1968, die die Einstellung „ich mache, was ich will“ und „verbieten ist verboten“ propagierte, also eine „Freiheit“ ohne Regeln und Grenzen.
18. Frage: Wirken diese Zersetzungsfaktoren unabhängig voneinander, jeder aus einer eigenen Ursache? Oder sind sie Teil eines Prozesses von Ursache und Wirkung?
Antwort: Die neuere Geschichte zeigt, dass die weniger schwerwiegenden Faktoren den gefährlicheren den Weg bereiten. Sie können also nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern sind Phasen eines einzigen Prozesses der Zersetzung, wie die Stufen einer hinabführenden Leiter, die letztendlich zur Zerstörung der Familie führt. Daher stellt jedes Nachgeben gegenüber einem Zersetzungelement nicht eine Barriere, durch die etwas Schlimmeres verhindert werden kann, sondern eine Brücke dar, über die man noch tiefer hineinrutscht. Zum Beispiel hat das Akzeptieren der Ehescheidung die Akzeptanz der zivilen Eheschließungen nicht verhindert, sondern ihnen eher noch den Weg bereitet.
19. Frage: Wäre es dann nicht angebracht, wie in der Synode erwähnt, „die Notwendigkeit einer Evangelisierung hervorzuheben, die offen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten anprangert“, die die Familie zerstören (Relatio post disceptationem, Nr. 38)?
Antwort: Ohne die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme unterschätzen zu wollen, ist es wichtig, sich darüber klarzuwerden, dass die Wurzeln der Krise der Familie hauptsächlich im religiösen und moralischen Bereich liegen. Sowohl bei der Analyse der Situation als auch bei der Wahl von Lösungen ist vor allem darauf zu achten, dass die Kriterien der Lehre und Moral nicht durch empirische Kriterien – zum Beispiel soziologische – ersetzt werden. Dadurch könnte nämlich das pastorale Programm verfälscht werden und der falsche Eindruck entstehen, dass man die Krise der Familie durch eine sozioökonomische Reform lösen kann.
20. Frage: In der Relatio post disceptationem der Synode kann man lesen: „Schließlich sind die Lebensgemeinschaften ohne Trauschein sehr zahlreich, nicht wegen einer Ablehnung der Werte der Familie und Ehe, sondern vor allem, weil die Eheschließung einen Luxus darstellt, so dass die materielle Not die Menschen zu solchen Lebensgemeinschaften drängt“ (Nr. 42). Bestätigt das nicht die Verantwortung der wirtschaftlichen Verhältnisse für die heutige Krise der Familie?
Antwort: In Wirklichkeit hatte das Phänomen des unverheirateten Zusammenlebens seinen Anfang in den wohlhabenden und gebildeten Schichten, die ideologisch eher fortschrittlich eingestellt waren und daher die Eheschließung als einen „kleinbürgerlichen Brauch“ ablehnten. Das Aufkommen der „Lebenspartnerschaften“ war daher nicht von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt, sondern eher von einer Ideologie, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Familie als Sinnbild der Tradition zu bekämpfen. Diese von den Massenmedien propagierte Ablehnung hat mit der Zeit einen Prozess ausgelöst, der alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen hat. „Die Zeit, in der wir leben, macht die Tendenz zu einer Beschränkung des Familienkerns auf den Umfang von zwei Generationen offenkundig. Dies hat seinen Grund oft in dem nur beschränkt vorhandenen Wohnraum, insbesondere in den großen Städten. Nicht selten liegt es aber auch in der Überzeugung begründet, mehrere Generationen zusammen störten die Vertraulichkeit und erschwerten zu sehr das Leben“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam sane, Brief an die Familien, vom 2. Februar 1994, Nr. 10).
21. Frage: Heißt das, dass die Krise der Familie weniger durch soziologische als durch psychologische Faktoren verursacht wurde, also durch „ein narzisstisches, instabiles und veränderliches Gefühlsleben, das dem Einzelnen nicht immer hilft, zu reifen“ (Relatio Synodi, Nr. 10)?
Antwort: Diese abnormen psychologischen Faktoren sind weniger der Ursprung der Familienkrise als deren Symptome. Ihre Heilung verlangt eine korrekte Sicht des Menschen, seines geistlichen Lebens, seiner übernatürlichen Bestimmung. Ohne auf die Anwendung natürlicher Hilfsmittel zu verzichten, muss die pastorale Lösung der gegenwärtigen Krise sich zuallererst auf die Glaubenswahrheiten und auf die Übung der übernatürlichen Tugenden begründen. Wir werden noch auf diesen Punkt zurückkommen.
IV. Die sexuelle Revolution
22. Frage: Nach Aussagen einiger Synodenteilnehmer haben historische Entwicklungen eine anthropologisch-kulturelle Veränderung begünstigt, die heute alle Aspekte des Lebens beeinflusst und sie eine tiefgreifende Änderung der Kirchenpastoral und sogar einiger vermeintlich obsolet gewordener Punkte der überlieferten Lehre über den Menschen und die Familie notwendig macht. Wäre das nicht ein Zeichen der Zeit?
Antwort: „… Es obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten“ (Gaudium et Spes, Nr. 4). Es ist wichtig, dies hervorzugeben: Die Zeichen der Zeit müssen im Licht der göttlichen Offenbarung gedeutet werden. Für die Kirche ist der einzige erwünschte „neue Mensch“, die einzige radikale Veränderung, die in einem Menschen stattfinden kann, diejenige, die durch die heiligmachende Gnade herbeigeführt wird, die den Menschen auf die „übernatürliche“ Ebene erhebt und ihn „Gott ähnlich“ macht. Die mächtigsten historisch-kulturellen Faktoren können die Natur des Menschen nicht verändern; sie können sie erheben oder erniedrigen, aber sie können sie nicht in ihrer Substanz verändern. Die Veränderungen der letzten Jahre sind das Ergebnis einer künstlich entfachten und gesteuerten sexuellen Revolution, die zunächst im sozialen und dann auch im individuellen Bereich Tendenzen, Gewohnheiten und Mentalitäten verändert hat. Diese Veränderungen können wir nicht einfach annhemen, als seien sie eine unabwendbare und unabwägbare Realität. Sie müssen auf der Basis eines moralischen Urteils im Lichte des göttlichen und natürlichen Rechts analysiert und bewertet werden, wie es von der Kirche gelehrt wird.
23. Frage: Ist der Hinweis auf eine „sexuelle Revolution“ nicht bloß ein Vorwand, um gegen die unvermeidbare Evolution der Sitten vorzugehen?
Antwort: Die sexuelle Revolution ist eine Tatsache, die sich durch historisch-soziale Studien sehr leicht feststellen und an ihren schwerwiegenden Folgen in den letzten 60 Jahren bemessen lässt. Die Botschaft dieser Revolution ist, dass die Menschen nur glücklich werden können, wenn sie ihren Trieben – vor allem den sexuellen – freien Lauf lassen und wenn alle Regeln – nicht nur die gesetzlichen, sondern auch die religiösen und sittlichen –, die das Ausleben dieser Triebe eingrenzen könnten, abgeschafft werden. Das seizt nicht nur die Abschaffung der „bürgerlichen Gesellschaft“ voraus, sondern auch und vor allem die Zerstörung der Familie; das geschieht entweder dadurch, dass ihr Entstehen überhaupt verhindert wird oder dadurch, dass man ihre Bedeutung relativiert, indem man sie mit jeder Art von Verbindung, selbst der homosexuellen, als gleichwertig darstellt. Der Ausdruck „sexuelle Revolution“ stammt aus einem im Jahr 1936 veröffentlichten Buch mit dem Titel Die Sexualität im Kulturkampf. Zur sozialistischen Umstrukturierung des Menschen. Der Autor dieses Werks, der Österreicher Wilhelm Reich, war ein hochrangiger Vertreter der Schule, die die psychoanalytischen Theorien von Siegmund Freud mit den sozialen Theorien von Karl Marx kombinierte. Die darin präsentierten Ideen wurden von Herbert Marcuse und von den Theoretikern der 68er Revolution verbreitet. Der Philosoph Jean-Marie Meyer erläutert diese Ideologie aus einer noch breiteren Sicht, nämlich der neo-evolutionistischen des Materialismus Darwin’scher Prägung, nach der Mensch, Familie, Sexualität, Person usw. überholte Konzepte seien, die durch eine neue Realität ersetzt werden sollen, frei von allen Vorurteilen (vgl. J.-M. Meyer, Familie, Natur und Person, in: Lexicon, Termini ambigui e discussi su famiglia, vita e questioni etiche, hrsg. vom Päpstlichen Rat für die Familie, Centro Editoriale EDB, 2006, S. 469-473).
24. Frage: Ist die sexuelle Revolution nicht eine spontane Erscheinung, die die Impulse und Forderungen der modernen Gesellschaft zum Ausdruck bringt?
Antwort: Die sexuelle Revolution war und bleibt eine der Gesellschaft aufgedrängte Erscheinung, die von gut organisierten und finanziell starken ideologischen Gruppen und Lobbies hervorgebracht und gesteuert wurde und wird. Sie bedient sich gewisser untergeordneter Tendenzen der menschlichen Natur, die instrumentalisiert werden, um einen auf dem Reißbrett entworfenen revolutionären Plan umzusetzen. Diese Lobbies bestehen aus tausenden kleinen militanten Gruppen, die von einem internationalen politischen und Finanzsystem gefördert und von der Propaganda-Maschinerie der Medien unterstützt werden.
25. Frage: War die sexuelle Revolution nicht eine positive kulturelle Etwicklung, die den Menschen mehr persönliche Freiheit gebracht hat?
Antwort: Eine solche Auffassung von persönlicher Freiheit ist falsch und schädlich; die Freiheit wird dadurch als Willkür definiert und nicht mehr als die Fähigkeit des Menschen, sich aus freiem Willen für das Gute zu entscheiden. In Wirklichkeit hat die sexuelle Revolution den Menschen nicht größere Freiheit, sondern vielmehr eine größere Versklavung gebracht, eine Abhängigkeit von ihren niedersten Instinkten, die sie wieder in die „Tiefen des Heidentums“ zurückführen; sie hat unter den Menschen eine Art Krieg aller gegen alle auf der Suche nach höchstmöglicher sexueller Befriedigung hervorgerufen (siehe F. López-Illana, Ehe, Trennung, Scheidung und Gewissen, in: Päpstlicher Rat für die Familie, Lexicon, Termini ambigui e discussi su famiglia, vita e questioni etiche, EDB 2006, S. 683-700). Vom religiösen Standpunkt aus hat die sexuelle Revolution viele Menschen der von Gott geschaffenen natürlichen Ordnung, der durch Jesus Christus erwirkten Erlösung und der vom Heiligen Geist durch die Kirche geförderten Heiligung entfremdet. In Wirklichkeit bedeutet die sexuelle Revolution einen historisch gegenläufigen Prozess der Rückkehr zu alten heidnischen Sitten, durch den das sexuelle Vergnügen einen höheren Stellenwert bekommen hat als Pflichtbewusstsein und der Sinn für Verantwortung. Der sexuelle Akt wurde dadurch von der wahren Liebe getrennt und sein ursprünglicher und tatsächlicher Zweck der Zeugung von Kindern wurde zu einer lästigen Nebenerscheinung degradiert, vor der wir uns „schützen“ müssen (vgl. J.J. Pérez-Soba/S. Kampowski, ebd., Kap. 1).
26. Frage: Welcher Aspekt der sexuellen Revolution bedroht heute am schwersten die Familie?
Antwort: Ohne Zweifel ist es die Gender-Ideologie. Sie theoretisiert, dass der Mensch von Geburt an von einem anarchischen, „polimorph perversen“ Instinkt beherrscht wird, der zu jeglichem erotischen Objekt tendieren kann und für sich jede beliebige sexuelle Identität oder Rolle frei wählen kann (daher Gender = Genus = Geschlecht). Jeder hat also das Recht, frei ein Geschlecht unter vielen möglichen zu wählen, um es später eventuell durch ein anderes einzutauschen, entsprechend einer neuen „sexuellen Orientierung“. Nach dieser Ideologie hat die sexuelle Verschiedenheit zwischen Mann und Frau, und daher ebenso zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Vater und Mutter ihren Ursprung nicht in der Natur, sondern wird dem Menschen von einer willkürlichen „Kultur“ durch ein diskriminierendes und unterdrückerisches System aufgezwungen. Institutionen wie Familie, Schule und Kirche, die die Bildung und Erziehung der Kinder beeinflussen, gelten als Säulen dieses Systems und als Hindernisse für die Kinder auf ihrem Weg zu einer freien Entscheidung über ihre „sexuelle Orientierung“ und „reproduktive Rolle“. Die Gender-Ideologie zielt darauf ab, die Kinder und die Erwachsenen „von diesem Unterdrückungssystem zu befreien“, um durch die „Dekonstruktion“ der sexuellen und reproduktive Rollenverteilung und der gesellschaftlichen Institutionen, besonders der familiären, schulischen und religiösen, eine „sexuell klassenlose Gesellschaft“ zu schaffen. Vertreter dieser Ideologie fordern daher, dass Schulprogramme und Programme der familiären „Umerziehung“ und der religiösen „Erneuerung“ das Weitergeben von Sitten und Glauben verbieten und durch die Lehren der Gender-Ideologie ersetzen sollen (vgl. O. Alzamora, Ideologia di genere: pericoli e portata (Gender-Ideologie: Gefahren und Tragweite), in: Päpstlicher Rat für die Familie, Lexicon cit. S. 545-560). Wie man sieht, zielt diese Revolution – ausgerufen 1995 in Peking auf der 4. Weltkonferenz der UNO über die Frau – auf eine gefährliche, antichristliche, sexuelle, kulturelle und soziale Unterwanderung ab, die sich leider auch in vielen katholischen Kreisen eingeschlichen hat und im Moment mehr Reaktionen unter Eltern hervorruft als unter den Vertretern der Kirche.
V. Die vorrangige Aufgabenstellung der Synode 2014: das Verhältnis Kirche-Welt
27. Frage: Nach der Methodologie der Synode soll der „Anhörung“ der Gläubigen vorrangige Wichtigkeit zukommen. Was ist von dieser neuen Priorität zu halten?
Antwort: Die Kirche ist in ihrem Handeln immer von den auf dem Wort Gottes und auf der Überlieferung beruhenden Glaubenswahrheiten ausgegangen, um darauf eine Pastoral aufzubauen, die im praktischen Leben umgesetzt werden kann, und auf diesem Weg die Menschen zum ewigen Heil zu führen. Ein altes Sprichwort sagt, „werde, was du bist“, das heißt, erfülle deine Berufung. Nicht zufällig überschrieb der hl. Papst Johannes Paul II. den 3. Teil seiner Enzyklika Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie mit den Worten: „Familie, werde, was du bist!“ Während der Synode zeigt sich eine Tendenz, die in eine ganz andere Richtung führen würde: es wurde gefordert, die Kirche solle, von der konkreten gegenwärtigen Situation ausgehend, eine an diese Situation angepasste neue Pastoral und Disziplin entwerfen. Hier läuft man Gefahr, so der große Kirchenrechtler Velasio de Paolis, in die „Moral der Situation“ hineinzuschlittern, was so viel bedeutet, wie das genannte Sprichwort umzukehren: „sei das, was du geworden bist“ – mit anderen Worten, passe dich den gegenwärtigen Tendenzen an. Diese Methode setzt eine „historizistische“ Auffassung voraus, die nicht von der offenbarten Wahrheit, sondern von der aktuellen historischen Situation ausgeht, der sich die Kirche anpassen soll, um sie christlich zu „beleben“, wie einige meinen, oder, nach Meinung von anderen, um überhaupt leben zu können. „Tatsächlich hat sich der Dialog mit der Welt in Anpassung an die Welt verwandelt und vielleicht sogar zu einer gewissen Verweltlichung und Säkularisierung der Kirche beigetragen, die damit dann nicht mehr den ausreichenden Einfluss auf die Kultur der Zeit und auch keine Durchschlagskraft für ihre Botschaft mehr hatte. Das hat zu einer Krise in der Kirche selbst gefährt. (…) Im lobenswerten Versuch, mit der modernen Kultur Dialog zu führen, läuft die Kirche Gefahr, selbst die göttliche Wahrheit, die ihre eigentliche Natur ausmacht, beiseite zu schieben, um sich der Welt anzupassen: sie leugnet zwar natürlich nicht die eigene Wahrheit, aber sie stellt sie nicht in den Mittelpunkt des Dialogs und zögert nur allzu oft, Lebensidealte als erstrebenswert hinzustellen, die nur im Lichte des Glaubens sinnvoll und nur mit Hilfe der Gnade praktizierbar sind. Die Kirche läuft Gefahr, ihre wahrste und tiefste Botschaft aufzuweichen, aus Angst, von der modernen Kultur abgelehnt zu werden oder um sich dieser anzubiedern (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S. 7 und 30)
28. Frage: Wurde diese Haltung wirklich von einigen der Synodenväter bestätigt?
Antwort: Ein renommierter Synodenteilnehmer soll erklärt haben: „Es gibt auch eine theologische Entwicklung, alle Theologen bestätigen das. Nicht alles ist statisch, wir schreiten voran in der Geschichte, und die christliche Religion ist Geschichte und nicht Ideologie. Der gegenwärtige Kontext der Familie ist anders als vor 30 Jahren, in der Zeit der Familiaris consortio [des hl. Johannes Paul II.]. Ohne Geschichte weiß ich nicht, wohin wir gehen werden; wenn wir das verneinen, bleiben wir dort stehen, wo wir vor zweitausend Jahren waren“ (Corriere dell Sera, 4.10.2014).
29. Frage: Können wir dann behaupten, dass die christliche Religion sich im Laufe der Geschichte entwickelt und verändert?
Antwort: Die christliche Religion ist keine historische Evolution, die veränderlich und widersprüchlich ist, sondern geoffenbarte Wahrheit, Lebensquell und Weg zum Heil; sie identifiziert sich mit Jesus Christus, der gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Der Erlöser gab seiner Kirche den Auftrag, die Menschheit zu evangelisieren, und nicht, sich von dieser „evangelisieren“ zu lassen; die Menschen zu führen und nicht, von ihnen geführt zu werden; den Lauf der Geschichte zu heiligen und nicht, von ihm „geheiligt“ zu werden. Die Katholische Kirche hat den Auftrag, die Frohe Botschaft zu verkünden, die Menschheit zu heiligen und die Seelen zum ewigen Leben zu führen. Die Kirche ist die Mater, Magistra et Domina gentium und nicht die Menschheitsgeschichte oder die Welt.
Es ist durchaus richtig, dass neue Fragen und Probleme nach angemessenen Antworten verlangen. Diese müssen aber fest in dem unberührbaren despositum fidei, dem gesamten Glaubensgut, verankert sein und mit diesem übereinstimmen.
30. Frage: Ist es wahr, dass die Sittenlehre der Kirche heutzutage den Kontakt mit dem echten Leben verloren hat, weil sie eine nicht mehr existierende Realität voraussetzt und daher einer breiten Anpassung an die aktuelle Situation bedarf?
Antwort: Die Lehren der Kirche, auch auf sittlicher Ebene, sind „per definitionem“ katholisch, das heißt, beziehen sich auf das Ganze – und nicht nur auf einen Teil des Ganzen – und sind deshalb dauerhaft und universal. Die griechischen Väter nannten sie den „ewigen Schatz“ (thèma eis aèi), da sie sich auf zwei unveränderliche Wirklichkeiten stützen: die von Gott geschaffene menschliche Natur und die von Jesus Christus geoffenbarten ewigen Wahrheiten. Die „moderne Welt“ hat jedoch in vielen wichtigen Fragen den Kontakt mit der Wahrheit verloren und sich von der Kirche getrennt. Dadurch ist sie, wie man heute allgemein beobachten kann, vom Weg abgekommen und in vieler Hinsicht gescheitert. Die historische Veränderung der Gesellschaft ist die Folge von sittlichen und kulturellen Irrtümern und Fehlern, die daraus entstanden sind, dass die Menschen ermutigt wurden, ihren ungeordneten Leidenschaften nachzugeben. Die Kirche darf sich diesen Irrtümern und ihren Folgen nicht anpassen, sondern muss sie identifizieren, beim Namen nennen und beseitigen. Nur so kann es zu einer echten Aktualisierung ihrer Pastoral kommen.
31. Frage: Sind die jüngsten Veränderungen im familiären und sexuellen Leben nicht Teil der modernen Kultur und Folge einer unaufhaltsamen historischen Evolution, die nicht verurteilt werden darf, sondern nur kurz Kenntnis genommen werden sollte?
Antwort: Die von der sexuellen Revolution verursachten soziokulturellen Veränderungen werden allzu leicht als unvermeidlich und irreversibel akzeptiert. In Wahrheit sind sie aber häufig nur kurzlebige pathologische Erscheinungen einer heilbaren geistigen Krankheit. Auf jeden Fall gibt es keine menschlichen Umstände oder Verhaltensweisen, die nicht einem moralischen Urteil unterworfen werden können; sie können und müssen mit dem Maß der Wahrheit und der Gerechtigkeit gemessen werden. Der hl. Paulus hat dies sehr oft getan und hat auch die einem Christen nicht geziemenden Verhaltensweisen aufgelistet (Röm 1,26-32; 1 Kor 6,9-10; 1 Tim 1,9).
Vor kurzem hat ein renommierter Moraltheologe, Kardinal Carlo Caffarra, Erzbischof von Bologna, über gewisse Denkmuster gesprochen, die in der Kirche vermieden werden sollten. Als Beispiel nannte er „das Gutmenschentum, das die Meinung vertritt, die Kultur, von der ich gesprochen habe [die der sexuellen Revolution], sei ein unaufhaltsamer historischer Prozess. Als Lösung wird ein Kompromiss (mit dieser Revolution) vorgeschlagen, der alles vermeintlich Gute bewahren soll, was man in ihr zu erkennen glaubt“ (Kardinal Carlo Caffarra, Tre strade per costruire la verità del matrimonio [Drei Wege, um die Wahrheit der Ehe aufzubauen], Avvenire v. 12.3.2015).
32. Frage: Welche Fragen sollte man sich dann über die aktuelle Trennung zwischen Kirche und Welt stellen?
Antwort: Man sollte sich die folgenden Fragen stellen: Wie ist es gekommen, dass die „moderne Welt“ die Lehre der Kirche über so viele grundlegende Fragen der menschlichen Existenz zurückgewiesen hat? Welcher historische Prozess hat zur aktuellen Trennung zwischen Kirche und Welt geführt? Wie kann die Kirche die „Wunden heilen“, die in der heutigen Gesellschaft aufgebrochen sind, und die verlorene Gesundheit wiederherstellen, ohne sich von der Krankheit anstecken zu lassen? Die Beantwortung dieser Fragen wird zeigen, auf welche realen Situationen die Pastoral der Kirche reagieren muss und wie sie dies tun kann, ohne die überlieferte Lehre zu verleugnen.
Der Versuch, nur die schwerwiegendsten und am meisten ins Auge fallenden Folgen der Situation aufhalten zu wollen, wird nicht viel bringen. Eine Krankheit kann nur unter Anwendung der richtigen Arznei und durch Beseitigung ihrer Ursachen geheilt werden. Doch dazu müssen die Hirten emotionale Reaktionen vermeiden, eine ehrliche und richtige Diagnose stellen und dann die wirksamste Arznei verschreiben (vgl. Kardinal Velasio de Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie udn der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S. 6-9).
VI. Sittenlehre und pastorale Praxis
33. Frage: Man hört immer wieder, die Synode wolle gar nicht die Sittenlehre über die Familie ändern, sondern nur die diesbezügliche Pastoral der Kirche „aktualisieren“. Ist das wahr?
Antwort: Einige Bischöfe behaupten, man hätte nicht nur eine „Aktualisierung“ der Pastoral im Blick, sondern wolle auch über Änderungen der Lehre entscheiden.
Diese Sichtweise geht davon aus, dass der überlieferten Lehre heute nicht nur durch die Praxis vieler Gläubiger widersprochen wird – was Tatsache ist –, sondern auch durch die Forderungen der kirchlichen Pastoral, was eine Rechtsfrage aufwirft. Um diesen Widerspruch zu beseitigen, wird vorgeschlagen, das Recht den Tatsachen anzupassen, das heißt, die Sittenlehre zu „vertiefen“, indem man sie den Notwendigkeiten der „neuen Pastoral“ anpasst, die auf die Ergebnisse der „Anhörung“ des Gottesvolkes gestützt werden soll.
Was die Kirche allerdings wirklich braucht, ist eine echte Reform, die das Verhalten der Christen wieder zu der Sittenreinheit und doktrinären Integrität zurückführt, von der man sich abgewendet hat.
Andere Prälaten brachten sogar eine These zum Ausdruck, die man wie folgt zusammenfassen könnte: „Ein sexuelles Verhältnis, das objektiv sündhaft ist, verliert in großem Maß seinen negativen moralischen Charakter, wenn beide Partner dieses Verhältnis auf regulärer Basis beibehalten und gegenseitige Treue zeigen“. Wenn man diesen Fehlschluss auf andere Bereiche ausdehnen wollte, könnte man zum Beispiel sagen: „Wenn zwei Komplizen regelmäßig einen Laden berauben und sich treu ihren gegenseitigen Abmachungen verhalten, vermindert das spürbar den negativen Charakter des Verbrechens“.
34. Frage: Auch wenn hier jetzt keine Änderung der Lehre vorgeschlagen wird, sondern nur ein neuer „pastoraler Ansatz“ – ist es überhaupt möglich, die Pastoral zu verändern, ohne dass damit gleichzeitig auch die Lehre beeinflusst wird?
Antwort: Ebenso wie der Körper nicht von der Seele, die ihn belebt, getrennt werden kann, kann auch die Pastoral keinesfalls von der Sittenlehre getrennt werden, in der sie ihre Rechtfertigung findet. Daher kann eine Änderung der Pastoral sehr leicht dazu führen, dass dadurch die ihr zu Grunde liegende Lehre – zumindest indirekt – verändert wird.
Außerdem gibt es keine neutralen Praktiken; jede Praxis setzt eine Theorie, eine bestimmte Auffassung der Natur des Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte voraus. Der Begriff der Praxis als solcher setzt schon ein Ziel voraus, auf das sie gerichtet sein soll, das heißt, ein Ideal, das es zu verwirklichen gilt. In unserem Fall hat das Konzept einer „pastoralen Praxis“ nur dann Sinn und Wert, wenn es von der wahren Bedeutung von Kirche, Menschlichkeit und Familie ausgeht.
„Die Pastoral ist eine Kunst, die sich auf Dogmatik, Moral, Spiritualität und Recht gründet, um im konkreten Fall klug vorgehen zu können. Es kann keine Pastoral geben, die nicht mit den Glaubenswahrheiten und der Morallehre der Kirche übereinstimmt, die ihren Gesetzen widerspricht oder die nicht auf das Erreichen des christlichen Ideals ausgerichtet ist. Eine Pastoral, die im Gegensatz zur geglaubten und gelebten Wahrheit der Kirche steht […], wird leicht zu Willkür, die dem christlichen Leben schadet“ (Kardinal Velasio de Paolis, In der Wahrheit Christi bleiben, a.a.O., S. 157-158).
Der Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Disziplin der Sakramente, Kardinal Robert Sarah, erklärte vor kurzem: „Die Idee, das Lehramt in einen schönen Schrein zu legen und es von der pastoralen Praxis zu trennen, die sich nach Gegebenheiten, Moden oder Leidenschaften entwickeln könnte, ist eine Form der Häresie, eine gefährliche pathologische Schizophrenie“ (La Stampa, 24.2.2014).
35. Frage: Wenn es schon nicht möglich ist, die Lehre als solche zu ändern, ist es dann wenigstens erlaubt, durch eine neue Pastoral die kirchliche Disziplin über die Familie zu modifizieren?
Antwort: Es hängt davon ab, was man unter „Disziplin“ versteht. Häufig bezeichnet dieser Begriff nur ein System von praktischen Regeln, die den Menschen in ihrem Denken und Tun behilflich sein sollen. In diesem Sinn kann sie geändert werden. Es stimmt, dass es in der Katholischen Kirche auf Vereinbarung beruhende und daher abänderbare disziplinarische Konventionen gibt; es gibt aber auch disziplinarische Regeln göttlichen Rechts, wie zum Beispiel die Zehn Gebote, die von der kirchlichen Obrigkeit nicht geändert werden können.
Was die Ehe und Familie betrifft, sind einige der geltenden disziplinarischen Normen göttlichen Ursprungs, bestätigt und vervollständigt durch Jesus Christus selbst und deshalb für die Kirche verbindlich; sie können von niemandem geändert werden, auch nicht vom Papst.
„Es ist jedoch unbedingt zu vermeiden, dass die pastorale Sorge als Gegenposition zum Recht missdeutet wird. Man sollte vielmehr von der Voraussetzung ausgehen, dass der grundlegende Berührungspunkt zwischen Recht und Pastoral die Liebe zur Wahrheit ist“ (Benedikt XVI., Sacramentum Caritatis, Nachsynodales Apostolisches Schreiben vom 22. Februar 2007, Nr. 29).
36. Frage: Sollte sich die Kirche in vielen moralischen Fragen nicht der Mentalität und der Praxis der Mehrheit der Gläubigen anpassen, die heute eine größere Flexibilität fordern?
Antwort: Die Kirche hat die mütterliche Aufgabe, die Gläubigen zum Heil zu führen, indem sie sie auch in ihrem Familienleben heiligt. Es sind also die Gläubigen, die sich den moralischen Lehren der Kirche anpassen und dadurch in ihrem Leben die von Jesus Christus gepredigten Wahrheiten verwirklichen müssen. Wie der emeritierte Erzbischof von Bologna, Kardinal Giacomo Biffi, richtig zu sagen pflegt, müssen die Hirten, deren Aufgabe es ist, ihre Herde zu weiden und die verlorenen Schafe zurück zur Herde zu bringen, darauf achten, dass sie sich nicht selbst verirren, wenn sie unklugen oder widerspenstigen Schafen nachlaufen.
Die Mehrheitsmeinung der Gläubigen stellt kein Kriterium der theologischen Wahrheitsfindung und schon gar keine „Quelle der Offenbarung“ dar. Hinzu kommt noch, dass die gegenwärtige öffentliche Meinung, auch die kirchliche, seit langem von Lobbies aus der Kulturszene und den Medien manipuliert wird, die eine radikale antichristliche Revolution betreiben. Der damalige Kardinal Ratzinger hat sich sehr ausführlich über die Ungültigkeit des Kriteriums der Mehrheit in moralischen Fragen geäußert.
Kardinal Müller schreibt: „Ein ernstes pastorales Problem besteht darin, dass manche heute die christliche Ehe ausschließlich anhand weltlicher und pragmatischer Kriterien beurteilen. Wer nach dem ‚Geist der Welt‘ (1 Kor 2,12) denkt, kann die sakramentale Natur der Ehe nicht begreifen. Auf dieses wachsende Unverständnis gegenüber der Heiligkeit der Ehe kann die Kirche nicht durch pragmatische Anpassung an das vermeintlich Unausweichliche reagieren; sie muss auf ‚den Geist, der aus Gott stammt‘ vertrauen (1 Kor 2,12)“ (Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, Über die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in: In der Wahrheit Christi bleiben. Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg 2014, S. 125).
37. Frage: Sollte die Kirche nicht – in Anlehnung an das mosaische Gesetz – für die „bedauerlichen Fälle“ derer, die in einer „unregelmäßigen Situation“ leben, mehr Toleranz zeigen?
Antwort: Eine solche Toleranz würde das Gesetz des Evangeliums durch das Gesetz des Moses ersetzen, mit der Gefahr, dass die Gläubigen in die „Hartherzigkeit“ verfallen könnten, durch die Moses gezwungen wurde, dem hebräischen Volk die Ehescheidung zu erlauben.
„Jesus betonte die ursprüngliche Absicht des Schöpfers, dass die Ehe unauflöslich sei (vgl. Mt 5,31-32). Er hob die Duldungen auf, die sich in das alte Gesetz eingeschlichen hatten (vgl. Mt 197-9)“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2382).
„Die Kirche wird niemals müde, diese Wahrheit zu lehren und zu bezeugen. Auch wenn sie mütterliches Verständnis für die zahlreichen und komplizierten Krisensituationen, in die die Familien verwickelt sind, sowie auch für die moralische Schwachheit jedes Menschen bekundet, ist die Kirche der Überzeugung, dass sie der Wahrheit über die menschliche Liebe absolut treu bleiben müsse: andernfalls würde sie sich selber verraten“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam sana, Brief an die Familien, vom 2. Februar 1994, Nr. 11).
38. Frage: Stimmt es, dass die Toleranz für unregelmäßige Situationen der Ehe in anderen Kirchen oder Religionen positive Ergebnisse gebracht habe?
Antwort: Ganz im Gegenteil. In protestantischen Ländern hat diese Methode der Toleranz katastrophale Folgen gezeigt. „Hat diese Toleranz etwa zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche von England geführt? Blühen und gedeihen die deutschen Lutheraner? Gibt es einen neuen Frühling für die liberalen Presbyterianer Amerikas? Soziologische Fakten scheinen das Gegenteil zu sagen“, wie die Professoren vom Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie, Rom festgestellt haben (vgl. J.J. Perez-Soba/S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 38).
39. Frage: Es wird behauptet, die Zahl der praktizierenden Gläubigen nehme ab, wenn eine strenge Befolgung gewisser moralischer Vorschriften gefordert wird, wie zum Beispiel eheliche Treue. Wäre es da nicht angebracht die Strenge dieser unpopulären Vorschriften zu lockern?
Antwort: Menschen, die in ungeordneten Situationen leben, sind auch selten praktizierende Katholiken. Außerdem fällt die Zahl der Praktizierenden nicht, wenn zur Befolgung gewisser moralischer Vorschriften ermutigt wird; im Gegenteil, sie steigt an, ebenso wie auch die geistlichen Berufungen zunehmen, wenn von den Novizen ein strengeres Engagement verlangt wird. „Auf der anderen Seite sind die wachsenden Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gerade diejenigen, die sehr anspruchsvolle und der Gegenwartskultur gegenläufige sittliche Anforderungen stellen“ sagt Prof. Kampowski mit Bezug auf das Buch How teh West really lost God [Wie der Westen Gott wirklich verloren hat] der amerikanischen Soziologin Mary Eberstadt (J.J. Pérez-Soba und S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 39).
40. Frage: Wäre es in Anbetracht der Tatsache, dass heute viele Katholiken die Moralvorschriften der Kirche nicht mehr befolgen, nicht angebracht, gewisse irreguläre Situationen zu tolerieren, um mehr Menschen zur Kirche zu bringen?
Antwort: Die Möglichkeit einer – in der Praxis höchst unwahrscheinlichen – Zunahme der religiösen Praxis bei einigen Personen, die in irregulären – das heißt unrechtmäßigen und unmoralischen – Situationen leben, darf keinesfalls um den Preis erkauft werden, dass dafür die Moral des Evangeliums und das Lehramt der Kirche verleugnet werden und dadurch der Glaube der treuen und ordentlich lebenden Katholiken geschwächt wird. Eine Änderung der zweitausendjährigen Lehre und Praxis der Kirche über die Ehe würde die Glaubwürdigkeit all dessen, was die Kirche morgen lehren könnte, von vornherein zerstören.
VII. Eigenes Gewissen und Lehramt
41. Frage: Hat die Kirche überhaupt das Recht, sich in das Privatleben der Menschen einzumischen?
Antwort: Die Kirche ist keine Kulturlobby, die eine Ideologie verkündet, sondern eine Gesellschaft göttlichen Ursprungs, die von Jesus Christus den Auftrag bekommen hat, die Seelen zur Wahrheit, zur Heiligkeit und zum ewigen Heil zu führen. Da dieses Heil vor allem von der moralischen Rechtschaffenheit des privaten Lebens eines jeden Einzelnen abhängt, hat die Kirche die Pflicht und daher auch das Recht, die Menschen zu leiten und zu belehren, um sie zum Heil und nicht zur Verdammnis zu führen.
42. Frage: Die Sittenlehre der Kirche enthält nur allgemeine Regeln, die auch nicht absolut sind; wäre da nicht Raum für zahlreiche Ausnahmen im Einzelfall?
Antwort: Eventuelle Ausnahmen können die Regel nicht außer Kraft setzen, sondern bestätigen sie eher, wie es sprichwörtlich heißt. Im Einzelfall berücksichtigt die Kasuistik natürlich belastende, mildernde oder verhindernde Umstände, doch diese ändern den absoluten Charakter der Prinzipien und die Richtigkeit des Urteils nicht. „Nun bezeugt die Vernunft, dass es Objekte menschlicher Handlungen gibt, die sich »nicht auf Gott hinordnen« lassen, weil sie in radikalem Widerspruch zum Gut der nach seinem Bild geschaffenen Person stehen. Es sind dies die Handlungen, die in der moralischen Überlieferung der Kirche ‚in sich schlecht‘ (intrinsece malum), genannt wurden: Sie sind immer und an und für sich schon schlecht, d.h. allein schon aufgrund ihres Objekts, unabhängig von den weiteren Absichten des Handelnden und den Umständen.“ (hl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis Splendor, Nr. 80).
43. Frage: Bedeutet die „Freiheit der Kinder Gottes“ nicht, dass wir, wie es ein Bischof sagte, „die Entscheidungen, die die Menschen nach ihrem eigenen Gewissen treffen, repsektieren sollen“?
Antwort: Persönliche Entscheidungen sind legitim, wenn sie der Wahrheit und der Gerechtigkeit entsprechen. Dazu reicht es nicht aus, dass sie mit „Aufrichtigkeit“ getroffen wurden. Das persönliche Gewissen ist nicht unfehlbarund ebenso wenig ist der Wille frei von Sünde, wie es eine liberale und freiheitliche Ideologie vorgeben will. „In ihrem ganzen Verhalten seien sich die christlichen Gatten bewusst, dass sie nicht nach eigener Willkür vorgehen können; sie müssen sich vielmehr leiten lassen von einem Gewissen, das sich auszurichten hat am göttlichen Gesetz“ (Gaudium et spes, Nr. 50)
44. Frage: Viele denken, dass wir das Primat des Gewissens betonen sollten. Wäre es nicht allgemein besser, die Lösung der moralischen Probleme dem Gewissen der Menschen zu überlassen?
Antwort: Ehe- und Familienanliegen haben in ganz wesentlichem Ausmaß sozialen und öffentlichen Charakter, und die Ehe ist in ganz besonderer Weise heilig und daher für die Kirche von Bedeutung. Vor allem aber kann das Gewissen dann ein gerechtes Urteil treffen, wenn es gut gebildet und informiert ist. Das Gewissen allein ist in vielen Fällen nicht ausreichend, um gerechte Lösungen für moralische Probleme zu finden – aus vielen Gründen, die von Unvermögen bis zur völligen Verwirrung reichen können. Vor allem ist niemand ein unfehlbarer und unparteiischer Richter seiner selbst. Warum sonst würden wir die Gerichtshöfe, wie zum Beispiel den Kirchlichen Gerichtshof, überhaupt benötigen? „Nur wenn der Mensch sich an die von Gott in seine Natur eingeschriebenen und darum weise und liebevoll zu achtenden Gesetze hält, kann er zum wahren, sehnlichst erstrebten Glück gelangen“ (sel. Paul VI., Humanae Vitae, Nr. 31).
45. Frage: Läuft man da nicht Gefahr, das persönliche Gewissen zu unterdrücken, gerade in Fragen der Moral?
Antwort: Das Gewissen an die Verpflichtungen zu binden, die es gegenüber der Wahrheit und der Gerechtigkeit hat, bedeutet nicht, es zu unterdrücken; im Gegenteil, eine solche Bindung bedeutet eher eine Befreiung, weil ihm dadurch die Gelegenheit gegeben wird, seine eigene Finalität und seine Pflicht zu erkennen und zu erfüllen. Die Ehrbarkeit des Gewissens liegt gerade in der freien Abwägung und dem freien Gehorsam gegenüber dem natürlichen und göttlichen Gesetz. „Das Gewissen ist nicht von sich her Richter über den sittlichen Wert der Taten, die es anregt. Das Gewissen ist Vermittler einer inneren und höheren Norm, die es nicht selbst geschaffen hat. (…) Es ist nicht die Quelle des Guten und des Bösen. Es ist der Hinweis, die Wahrnehmung einer Stimme, die gerade deshalb die Stimme des Gewissens genannt wird. Es ist der Hinweis der Übereinstimmung der Handlungen mit dem inneren Bedürfnis des Menschen zur Wahrheit und zur Vollkommenheit zu streben. Es ist, mit anderen Worten, die subjektive und sofortige Aufforderung eines Gesetzes, das wir natürlich nennen müssen, wenn auch heute viele Menschen nichts mehr von natürlichem Gesetz hören wollen“ (sel. Paul VI., Ansprache vom 12. Februar 1969).
46. Frage: Wenn selbst praktizierende Katholiken gewisse sexuelle Praktiken schon nicht mehr als gegen die kirchliche Lehre verstoßend empfinden, wie kann man von ihnen verlangen, dass sie einer Lehre folgen, die sie nicht mehr verstehen und auch nicht mehr annehmen wollen?
Antwort: Es gibt viele Bereiche, in denen der Mensch verpflichtet ist, anzunehmen, was er nicht versteht oder verstehen will, und trotzdem bleibt die Pflicht bestehen. Die Tatsache, dass man eine Anforderung nicht versteht, entbindet einen nicht von der Pflicht, sie zu erfüllen. Der Mangel an Verständnis für ein Verbot kann höchstens die subjektive Verantwortung des Gläubigen mindern; das Verbot selbst hebt er aber nicht auf. Wenn eine Sittenlehre von den Gläubigen nicht mehr verstanden wird, so liegt das jedenfalls nicht an der Lehre; die Schuld tragen diejenigen, deren Aufgabe es gewesen wäre, diese Lehre klar und überzeugend zu verkünden.
VIII. Ehe und Familie
Ehe: Natur, Finalität und Eigenschaften
47. Frage: Sind die Gebote des Naturrechts moralisch verbindlich, auch wenn sie als Belastung empfunden werden?
Antwort: Die Gebote des Naturrechts sind moralisch verbindlich, weil sie von Gott, dem Schöpfer der Natur, geschaffen und in den Zehn Geboten verbindlich zum Ausdruck gebracht wurden. „Es ist wahr, ein Bund kann des Öfteren eine Bürde bedeuten, eine Knechtschaft, wie die Ketten eines Gefangenen. Er kann aber auch eine mächtige Hilfe und ein sicherer Halt sein, wie die Seile, die den Bergsteiger an seine Mitsteiger binden oder wie die Sehnen, die die einzelnen Teile des Körpers verbinden und ihm Halt und Beweglichkeit sichern“ (s. Pius XII., Ansprache vom 22. April 1942) .
48. Frage: Wenn die Ehe eine Institution des Naturrechts ist, ist das Sakrament dann nicht überflüssig? Sollte sich die Kirche nicht mit der zivilen Eheschließung begnügen?
Antwort: In der Christenheit hat die Ehe nicht nur den Zweck, neue Menschen für die Gesellschaft zu erzeugen, sondern auch neue Auserwählte für den Himmel; ebenso soll sie die geistige und menschliche Gemeinschaft zwischen den Eheleuten fördern. Dafür hat Jesus Christus sie in den Stand eines Sakramentes erhoben, sie ausgestattet mit geistlichen, übernatürlichen Inhalten und Mitteln und sie so in den Plan der Erlösung miteinbezogen. Für einen Getauften kann man den zivilen Vertrag der Ehe nicht von ihrer sakramentalen Natur trennen. „Der ehelichen Gemeinschaft ist erstens eine viel höhere und edlere Aufgabe gestellt, als dies früher der Fall war; hat sie doch nach Gottes Gebot nicht bloß den Zweck der Fortpflanzung des Menschengeschlechts, sondern auch den, der Kirche Nachkommenschaft zu zeugen, ‚Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes‘ (Eph 2,19), damit nämlich ‚ein Volk für die Religion und zur Verehrung des wahren Gottes und unseres Heilandes Christi geboren und erzogen werde‘. (…) In der christlichen Ehe ist der Vertrag unlösbar mit dem Sakrament verbunden und deswegen ein wirklicher und rechtmäßiger Vertrag nicht stattfinden kann, ohne zugleich Sakrament zu sein. Denn Christus der Herr hat die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben; die Ehe aber ist nichts anderes als eben der Vertrag, sofern er nur rechtmäßig abgeschlossen ist. Hierzu kommt, dass die Ehe deswegen ein Sakrament ist, weil sie ein heiliges und Gnade wirkendes Zeichen ist, versinnbildend Christi mystische Ehe mit seiner Kirche“ [Leo XIII., Arcanum Divinae Sapientiae, Nr. 10, 23 und 24]
49. Frage: Ist es wahr, dass es, wie man heute sagt, verschiedene Formen der Ehe und Familie gibt?
Antwort: Nach dem Naturgesetz und dem göttlichen Gesetz gibt es nur eine Form der Ehe: die monogame und unauflösliche Ehe zwischen Mann und Frau. Es gibt auch nur eine Form der Familie, bestehend aus Vater, Mutter und ihren Kindern. Alle andern Formen des Zusammenlebens sind in ihrem Wesen verschieden und können der wahren Familie weder gleichgestellt noch in diese aufgenommen werden. Katholiken, die zusammenleben, ohne verheiratet zu sein, oder die nur zivil geheiratet haben, oder geschiedene Wiederverheiratete, leben in ungeordneten und ungesetzlichen Verhältnissen und können nicht als echte Familien angesehen werden, auch wenn solche Beziehungen moralische und legale Verpflichtungen enthalten. Wie der bekannte Moraltheologe Kardinal Carlo Caffarra, Erzbischof von Bologna, sagt, würde die Kirche durch Akzeptanz einer „Pluralität“ von Ehe- oder Familienformen – wie etwa des Zusammenlebens mit einem anderen als dem gesetzlich angetrauten heterosexuellen Ehepartner und damit einer „katholischen Art“ von Scheidung – den eigentlichen Begriff von Ehe auflösen und die „Dekonstruktion“ der Familie einleiten, wie dies von ihren Feinden schon lange betrieben wird (vgl. Kardinal Carlo Caffarra, Sakramentale Ontologie und die Unauflöslichkeit der Ehe, in In der Wahrheit Christi verbleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg, 2014, Kap. 7). „Konkubinat, Ablehnung der Ehe als solche und Unfähigkeit, sich durch langfristige Verpflichtungen zu binden, alle diese Situationen verletzen die Würde der Ehe; sie zerstören den Grundgedanken der Familie; sie schwächen den Sinn für Treue. Sie verstoßen gegen das moralische Gesetz“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2390).
50. Frage: Ist die Ehe nicht nur eine Form der Gemeinschaft zwischen Personen, ein einfacher sozialer Vertrag, um das Zusammenleben zu regeln?
Antwort: Die Ehe beschränkt sich nicht auf einen privaten Vertrag zwischen zwei Personen. Sie ist ein echter und realer öffentlicher Akt, auf dem eine Gesellschaft – genauer gesagt: die Keimzelle der Gesellschaft, das heißt, die Familie – aufgebaut ist. Die Ehe ist eine im Naturrecht begründete Institution, und wird, wenn sie zwischen Gläubigen geschlossen wird, zu einem heiligen Schwur, der dem göttlichen Recht unterliegt, denn Jesus Christus hat ihn zur Würde eines Sakraments erhoben und ihn zum Symbol der Vereinigung des Schöpfers mit seiner Schöpfung und des Erlösers mit seiner Kirche gemacht. „Die Eheschließung ist ja nicht ein Ereignis, das nur die Brautleute betrifft. Sie ist von ihrem Wesen her auch ein gesellschaftliches Geschehen, das die Brautleute eben vor der Gesellschaft in Pflicht nimmt“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 68). „Keiner von uns gehört nämlich ausschließlich sich selbst; jeder ist deshalb aufgerufen, in seinem Innersten die eigene öffentliche Verantwortung zu übernehmen. Die Ehe als Institution ist also keine widerrechtliche Einmischung der Gesellschaft oder der Obrigkeit, die Auferlegung einer Lebensform von außen im privatesten Bereich des Lebens; sie ist vielmehr der wesenseigene Anspruch des Vertrags der ehelichen Liebe und der Tiefe der menschlichen Person“ (Benedikt XVI., Schreiben bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie, 6. Juni 2005) .
51. Frage: Von Natur aus ist der Mensch frei und die Ehe ist ein freiwilliger Bund. Wie kann dann eine Person aus dem Naturgesetz her verpflichtet werden, Bande und Verpflichtungen zu achten, die nicht mehr erwünscht sind, wie es die Unauflöslichkeit der Ehe verlangt?
Antwort: Die wahre Freiheit der Person besteht in der Verwirklichung des eigenen Wesens; dazu müssen bestimmte moralische Bande und Verpflichtungen geachtet und eingehalten werden, wie die, die im Naturrecht vorgesehen sind. „Charakteristisch für die Ehegemeinschaft ist nicht nur ihre Einheit, sondern auch ihre Unauflöslichkeit. (…) Es ist eine Grundpflicht der Kirche, mit Nachdruck – wie es die Väter der Synode getan haben – die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe erneut zu betonen. (…) Den unschätzbaren Wert der Unauflöslichkeit und der ehelichen Treue zu bezeugen, ist eine der wichtigsten und dringendsten Pflichten der christlichen Ehepaare in unserer Zeit“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 20). „Darüber hinaus ist an den anthropologischen Wert der unauflöslichen Ehe zu erinnern: Sie entzieht die Partner der Willkür und der Tyrannei der Gefühle und Stimmungen. Sie hilft ihnen, persönliche Schwierigkeiten durchzustehen und leidvolle Erfahrungen zu überwinden. Sie schützt vor allem die Kinder, die am Zerbrechen der Ehen am meisten zu leiden haben“ (Kardinal Gerhard Müller, Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in Aa. Vv., In der Wahrheit Christi verbleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg, 2014, S. 124).
52. Frage: Die Eheschließung eine Form der freiwilligen Gemeinschaft zwischen freien Menschen. Warum sollten die Ehepartner sie dann nicht nach freiem Willen schließen und wieder auflösen können?
Antwort: Der wichtigste Aspekt der Ehe ist nicht der Vertrag, sondern die Tatsache, dass sie eine göttliche Einrichtung ist, deren Eigenschaften und Gesetze von Gott selbst festgelegt wurden. Eine dieser Eigenschaften ist die Unauflöslichkeit. Der Katholik ist nur frei, zu heiraten und sich auszusuchen, wen er heiraten möchte, nicht aber, die Ehe aufzulösen. „Wenn nun aber auch die Ehe ihrem Wesen nach von Gott stammt, so hat doch auch der Wille des Menschen, und zwar in hervorragender Weise, seinen Anteil an ihr. Denn die einzelne Ehe entspringt, sofern sie die eheliche Verbindung zwischen diesem Mann und dieser Frau ist, dem freien Jawort der beiden Brautleute. Diese freie Willensentscheidung, durch die jeder Teil das der Ehe eigentümliche Recht gibt und nimmt (vgl. CIC, c. 1081 § 2), ist zu einer wahren Eheschließung derart notwendig, daß sie durch keine menschliche Macht ersetzt werden kann (vgl. CIC, c. 1081 § 1). Diese Freiheit hat jedoch nur das eine zum Gegenstand, ob die Eheschließenden wirklich eine Ehe eingehen und ob sie dieselbe mit dieser Person eingehen wollen. Dagegen ist das Wesen der Ehe der menschlichen Freiheit vollständig entzogen, so daß jeder, nachdem er einmal die Ehe eingegangen hat, unter ihren von Gott stammenden Gesetzen und wesentlichen Eigenschaften steht. (…) So wird also die heilige Gemeinschaft der wahren Ehe gleichzeitig durch Gottes und des Menschen Willen begründet: Aus Gott ist die Einsetzung der Ehe, aus ihm sind ihre Zwecke, ihre Gesetze, ihre Segensgüter. Von den Menschen aber stammt mit Gottes Hilfe und Gnade durch edelmütige Hingabe des eigenen Ich an den andern für die ganze Lebensdauer die einzelne Ehe mit den von Gott gesetzten Pflichten und dem von ihm verheißenen Segen“ (Pius XI., Casti Connubii, Nr. 6 und 10).
53. Frage: Warum muss die Ehe unbedingt monogam sein, das heißt, nur mit einer Person vollzogen werden? Könnte man nicht auch die Polygamie akzeptieren – einen Mann mit mehreren Frauen (Polygenie) oder eine Frau mit mehreren Männern (Polyandrie)?
Antwort: Gott selbst hat die Ehe als einen Bund zwischen einem Mann und einer Frau festgesetzt, damit sie „ein Fleisch seien“ (Gen 2,24). Die Monogamie in der Ehe bringt darüber hinaus ein großes Geschenk mit sich, nämlich die Stärkung der ehelichen Liebe durch die gegenseitige Treue. „Allerdings hat Gott später als oberster Gesetzgeber das Grundgesetz zeitweilig in etwa gemildert. Indes besteht kein Zweifel, dass das Gesetz Christi die ursprüngliche vollkommene Einehe in ihrer Unversehrtheit wiederhergestellt und jegliche Dispens aufgehoben hat, wie dies die Lehre Christi und die ständige Lehre und Praxis der Kirche mit voller Deutlichkeit zeigen. […] Aber Christus der Herr wollte nicht nur jede Form der sogenannten Polygenie und Polyandrie, der aufeinanderfolgenden wie der gleichzeitigen, verworfen wissen und ebenso jedes andere unehrbare Tun, sondern er hat sogar, um das umhegte Heiligtum der Ehe vor jeder Schändung zu schützen, auch alle dahingehenden freiwilligen Gedanken und Begierden verboten: ‚Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau mit begehrlichen Blicken ansieht, hat schon in seinem Herzen die Ehe mit ihr gebrochen‘ (Mt 5,28) […] In seiner Erhabenheit die Treue der Keuschheit, wie sie vom hl. Augustinus so treffend genannt wird, leichter, lieblicher und anziehender macht und ihr einen neuen Adel verleiht: die Gattenliebe, die alle Pflichten des Ehelebens durchdringt und in der christlichen Ehe sozusagen eine besondere Würde und Vorrangstellung einnimmt“ (Pius XI., Casti Connubii, Nr. 20,21 und 23). „Dem monotheistischen Gottesbild entspricht die monogame Ehe. Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnissen Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe“ (Papst Benedikt XVI., Deus caritas est, Nr. 11)..
54. Frage: Im Rahmen der präsynodalen Debatten wurde vorgeschlagen, die Ehe solle über Etappen zustande kommen, die Brautleute sollten allmählich in den Stand der Ehegatten eingeführt werden, indem sie Versuchsphasen des gemeinsamen Lebens durchlaufen, um ihre Reife für das sakramentale Versprechen zu prüfen (vgl. Fulvio de Giorgio, La personalizzazione dello sguardo. Per un rinnovamento della pastorale familiare, [Die Personalisierung des Blicks. Für eine Erneuerung der Familienpastoral], in Il Regno, Jahresheft 2009, Bologna, 2010 SS. 57-67) – könnte man diese Vorgehensweise nicht einführen, um zu verhindern, dass übereilig oder falsch geschlossene Ehen in die Unauflöslichkeit fallen?
Antwort: Die Lehre und die Pastoral der Kirche haben diese graduelle Vorgehensweise zur Ehe oder Ehe auf Zeit, auch „Probe-Ehe“ genannt nie zugelassen. Die von den Brautleuten gegebene Einwilligung zur Ehe im sakramentalen Akt macht sie sofort zu Eheleuten. Außerdem ist es eine bekannte Tatsache, dass gerade diejenigen, die erst nach einer langen „Probephase“ heiraten, der Gefahr der Trennung und der Scheidung am ehesten ausgesetzt sind.
55. Frage: Was ist der Zweck der Ehe? Besteht er, wie man heute sagt, in einem auf Gefühlen aufgebauten Zusammensein von zwei Menschen, insbesondere in der Befriedigung der gegenseitigen sexuellen Attraktion in der leiblichen Vereinigung der Eheleute?
Antwort: In der Ehe, vor allem wenn sie christlich geprägt ist, sind die gegenseitige Unterstützung und die biologische Ergänzung der Ehegatten ein guter und legitimer Zweck, der von sich aus auf die Erhaltung des Menschengeschlechts und die Erziehung der Kinder hingeordnet ist. Die Liebe und der Geschlechtsakt sind von Natur aus zur Zeugung von Kindern bestimmt. Sie sind eine Gabe Gottes und ermöglichen uns, das biblische Gebot „wachset und mehret euch“ zu erfüllen. „Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet. (…) Das menschliche Leben und die Aufgabe, es weiterzuvermitteln, haben nicht nur eine Bedeutung für diese Zeit und können deshalb auch nicht von daher allein bemessen und verstanden werden, sondern haben immer eine Beziehung zu der ewigen Bestimmung des Menschen“ (Gaudium et Spes, Nr. 50-51) .
Ehebruch
56. Frage: Könnte ein „pastoraler Ansatz“ nicht darin bestehen, den Ehebruch zu tolerieren, so dass das, was wir gestern als Sünde betrachtet haben, in Zukunft keine Sünde mehr wäre?
Antwort: Der Ehebruch – ein sexuelles Verhältnis einer verheirateten Person mit einer anderen, die nicht der legitime Ehegatte ist – wurde von Jesus Christus selbst als schwere Sünde verurteilt: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, der bricht an ihr die Ehe. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, bricht sie die Ehe“ (Mk 10,11-12; 1 Kor 6,9ff; 1 Tim 1,8-10). Die Heilige Schrift betrachtet den Ehebruch als ein Symbol des Götzendienstes und der Untreue im Hinblick auf den Ehebund zwischen Gott und seinem Volk. (vgl. Hos 2,7; Jer 5,7; Jer 13,27). Kein „pastoraler Ansatz“ kann etwas rechtfertigen, das vor den Augen Gottes eine Sünde ist. Die Berücksichtigung von Personen und Umständen eines Ehebruchs ändert nichts am Unrechtsgehalt der Tat selbst. „Das Zusammenleben mit einem Partner, der nicht der eigene Ehemann oder die eigene Ehefrau ist, ist eine böse Tat an sich, für die es niemals eine Rechtfertigung geben kann. Es ist die katholische Sittenlehre, vor kurzem erst von Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Veritatis Splendor bestätigt, (…) dass es sich um göttliches Recht handelt, das von seiner Natur her für alle Fälle gilt und keine Ausnahmen duldet“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S.23).
57. Frage: Könnte man sich nicht im pastoralen Umgang mit Ehebruchsfällen darauf einigen, ihn zu tolerieren, oder ihn wenigstens mit Wohlwollen zu betrachten, indem man den Schweregrad der moralischen Verfehlung abschwächt und ihn als lässliche Sünde einstuft, die ohne Reue oder Buße ganz leicht vergeben werden kann?
Antwort: Der Ehebruch ist objektiv eine schwere Sünde und kann als solche nur vergeben werden, wenn der Sünder nicht nur eine aufrichtige Reue bekundet, sondern auch den Vorsatz zeigt, sich zu ändern, das heißt, sein ehebrecherisches Verhalten aufzugeben. „Die Reue ist der Schmerz und der Abscheu der Seele über die begangene Sünde mit dem Vorsatz, künftighin nicht mehr zu sündigen“ (Katechismus des Konzils von Trient, 3. Teil, Kapitel V, Nr. 23). „Es ist also klar, dass jede eheähnliche Verbindung außerhalb des [sakramentalen] Ehebundes Untreue einschließt und deshalb ein Ehebruch ist. (…) Die Vergebung kann nur dem gewährt werden, der in wirklicher Reue die sündige Situation ändert. Natürlich kann der Ehebruch vergeben werden; ebenso logisch ist aber, dass dieser nicht die einzige Sünde sein kann, die ohne Reue vergeben wird“ (Pérez-Soba, Die Wahrheit des Ehesakraments, in J.J. Pérez-Soba und S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 73-74).
Scheidung, Trennung, Nichtigkeitserklärung
58. Frage: Fast alle christlichen Kirchen dulden die Ehescheidung. Warum besteht allein die katholische Kirche auf ihrer Ablehnung?
Antwort: Die Katholische Kirche lehnt die Ehescheidung ab, weil eine Ehe der Regel nach unauflöslich ist; das ist keine Konvention, sondern im Naturrecht und im göttlichen Recht so festgelegt. Die sakramentale Ehe ist, wie schon erwähnt, ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und der Menschheit und ganz besonders der Allianz zwischen dem Erlöser und seiner Braut, der Kirche. Deshalb muss die Ehe ausschließlich und unauflöslich sein, so wie jener Bund und jene Allianz es sind. Es ist also kein Zufall, dass die Katholische Kirche die einzige ist, die eine echte und eigene Theologie der Ehe hervorgebracht hat. „Aus einer gültigen Ehe entsteht zwischen den Ehegatten ein Band, das seiner Natur nach lebenslang und ausschließlich ist. (…) Das Band der Ehe wird somit von Gott selbst geknüpft, sodass die zwischen Getauften geschlossene und vollzogene Ehe nie aufgelöst werden kann. Dieses Band (…) ist fortan unwiderrufliche Wirklichkeit und stellt einen durch die Treue Gottes gewährleisteten Bund her. Es liegt nicht in der Macht der Kirche, sich gegen diese Verfügung der göttlichen Weisheit auszusprechen“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1638 und 1640).
59. Frage: Kommt eine Ablehnung der Ehescheidung nicht einer Verletzung der Freiheit und Würde der Person gleich?
Antwort: Die Würde der Person verlangt auch die Übernahme und Einhaltung von unauflöslichen Verpflichtungen wie in der Ehe. In Wirklichkeit richtet sich vielmehr die Scheidung gegen die Würde der Eheleute, vor allem der schwächsten, weil sie die Sicherheit des Bundes zerstört und sie der Möglichkeit aussetzt, verlassen dazustehen und die schlimmen Folgen übernehmen zu müssen, für die sie gar keine Schuld tragen; ganz zu schweigen von den psychologischen und moralischen Folgen für die Kinder, die bereits in unzähligen Studien dokumentiert wurden.
60. Frage: Akzeptiert die Kirche nicht die Trennung der Eheleute als eine Art Scheidung?
Antwort: Scheidung und Trennung sind aus moralischer und rechtlicher Sicht sehr unterschiedlich. Getrennt lebende Eheleute sind nicht geschieden; vor Gott und der Kirche sind sie weiterhin verheiratet. Die Trennung ist ein Übel, das von der Kirche mit Schmerz geduldet wird, wenn es aus schwerwiegenden Gründen unvermeidlich scheint, das heißt, nur wenn alle Alternativen sich als nicht durchführbar erweisen, und um Schlimmeres zu verhindern. Manchmal ist es besser, eine Trennung zu erlauben, um schlimmere Schäden zu vermeiden, die durch das Zusammenleben entstehen könnten. „In gewissen Fällen gestattet die Kirche, dass sich die Gatten dem Leib nach trennen und nicht länger zusammenwohnen. Die Ehe der getrennten Gatten bleibt aber vor Gott weiterhin aufrecht; sie sind nicht frei, eine neue Ehe zu schließen“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1649). „In solchen Härtefällen hat die Kirche immer gestattet, dass sich die Gatten trennen und nicht länger zusammenwohnen. Dabei ist aber zu bedenken, dass das Eheband einer gültig geschlossenen Ehe vor Gott weiterhin bestehen bleibt und die einzelnen Partner nicht frei sind, eine neue Ehe einzugehen, solange der Ehepartner am Leben ist“ (Kardinal Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in: In der Wahrheit Christi bleiben. Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg 2014, S. 125).
61. Frage: Akzeptiert die Kirche nicht die Annullierung der Ehe als eine Art Scheidung?
Antwort: Wenn die Kirche nach einem dokumentierten kanonischen Prozess eine Ehe als ungültig und wirkungslos erklärt, löst sie das Eheband nicht auf, sondern erklärt, dass diese Eheschließung aufgrund ursprünglich vorhandener und nicht zu behebender Fehler nie stattgefunden hat. Es handelt sich also nicht um eine „Annullierung“, sondern um eine Festellung der Ungültigkeit, die nichts mit der Scheidung gemein hat.
62. Frage: Ist nicht zu erwarten, dass eines Tages die kirchliche Autorität die Scheidung in Einzelfällen zulassen wird, um wenigstens einige „besondere Fälle“ pastoral zu lösen?
Antwort: „Wenn aber der Wille der Eheleute das eheliche Band nicht mehr lösen kann, darf es dann vielleicht die von Christus für das religiöse Leben der Menschen eingesetzte Obrigkeit tun, die über den Eheleuten steht? Der Bund der christlichen Ehe ist so stark, dass wenn er durch den Gebrauch der ehelichen Rechte seine volle Festigkeit erlangt hat, keine Macht der Welt, nicht einmal die Unsere, die des Stellvertreters Christi, stark genug ist, ihn zu lösen“ (Papst Pius XII., aus der Ansprache an Neuvermählte, 22. April 1942).
63. Frage: Wie soll man über geschiedene Eheleute denken, die zivil wieder geheiratet haben?
Antwort: Eheleute, die nach der Scheidung jemand anderen geheiratet haben, befinden sich im objektiven Stand der Todsünde, die, falls dies öffentlich bekannt wird, noch durch den Skandal erschwert wird. Ihr Bund kann von der Kirche nicht anerkannt und auch nicht durch eine trauungsähnliche kirchliche Zeremonie bestätigt werden. Um Vergebung zu erlangen und wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen zu werden, müssen sie ihre Sünden bereuen und ihre Situation bereinigen.
„Das Eingehen einer, wenn auch vom Zivilrecht anerkannten, neuen Verbindung verstärkt den Bruch noch zusätzlich. Der Ehepartner, der sich wieder verheiratet hat, befindet sich dann in einem dauernden, öffentlichen Ehebruch“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2384).
„Die erforderliche Achtung vor dem Sakrament der Ehe, vor den Eheleuten selbst und deren Angehörigen wie auch gegenüber der Gemeinschaft der Gläubigen verbietet es jedem Geistlichen, aus welchem Grund oder Vorwand auch immer, sei er auch pastoraler Natur, für Geschiedene, die sich wiederverheiraten, irgendwelche liturgischen Handlungen vorzunehmen. Sie würden ja den Eindruck einer neuen sakramental gültigen Eheschließung erwecken und daher zu Irrtümern hinsichtlich der Unauflöslichkeit der gültig geschlossenen Ehe führen (Heiliger Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 84).
64. Frage: Wie sollen sich zwei geschiedene und wiederverheiratete Personen verhalten, die aus schwerwiegenden Gründen ihr Zusammenleben nicht unterbrechen können?
Antwort: Wo schließlich (…) objektive Bedingungen gegeben sind, die das Zusammenleben tatsächlich irreversibel machen, ermutigt die Kirche jene Gläubigen, ihre Beziehung entsprechend den Anforderungen des Gesetzes Gottes als Freunde, wie Bruder und Schwester, zu leben. (…) Damit ein solcher Weg möglich ist und fruchtbar wird, muss er durch die Hilfe der Seelsorger und durch geeignete kirchliche Initiativen unterstützt werden, wobei in jedem Fall zu vermeiden ist, diese Verbindungen zu segnen, damit unter den Gläubigen keine Verwirrungen in Bezug auf den Wert der Ehe aufkommen (Benedikt XVI., Sacramentum Caritatis, Nr. 29).
Selbst in diesen Fällen sind die Personen selbstverständlich allgemein dazu verpflichtet, Ärgernis zu vermeiden. Diese Verpflichtung ist hier schwerwiegender, da in diesem Fall die Gefahr des Ärgernisses viel größer ist, „da nicht offensichtlich ist, dass sie nicht more uxorio leben, während sie sich nach außen hin in der Situation wiederverheirateter Geschiedener befinden“ (Kardinal Velasio de Paolis, In der Wahrheit Christi verbleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg 2014, S. 145).
65. Frage: Könnte eine geschiedene Person mit Kindern nicht wieder heiraten, um wirtschaftliche und emotionale Stabilität für sich und vor allem für die der Kinder zu sichern?
Antwort: So etwas ist natürlich eine schmerzliche Situation, die aber nicht durch eine Sünde gelöst werden kann. Ein zweites Übel kann das erste weder auslöschen noch ausgleichen; es kommt nur zu dem ersten dazu und verschlimmert es.
IX. Die Kommunion für Getrennte, Geschiedene und wiederverheiratete Geschiedene
66. Frage: Kann eine in Trennung lebende verheiratete Person die Kommunion empfangen?
Antwort: Eine vom Ehegatten getrennt lebende Person kann die Kommunion empfangen, solange sie nicht eine neue beständige Verbindung mit einer anderen Person eingegangen ist, und natürlich soweit sei sich im Stand der Gnade befindet.
67. Frage: Darf jemand die heilige Kommunion empfangen, der ohne Selbstschuld geschieden wurde, aber nicht wieder geheiratet hat?
Antwort: Eine Person, die geschieden wurde, und nicht wieder geheiratet hat, darf die Kommunion empfangen, soweit sie sich im Stande der Gnade befindet.
68. Frage: Darf eine geschiedene wiederverheiratete Person die Kommunion empfangen?
Antwort: Ungeachtet ihrer subjektiven Intentionen befindet sich eine offenkundig geschiedene und zivil wiederverheiratete Person im Zustand einer „offenkundigen und schweren Sünde“ und kann somit zur heiligen Kommunion nicht zugelassen werden (Codex des Kanonischen Rechts, Canon 915). Empfängt sie trotzdem die Kommunion, verbindet sie das Sakrileg mit dem Ärgernis.
„Falls Geschiedene zivil wiederverheiratet sind, befinden sie sich in einer Situation, die dem Gesetze Gottes objektiv widerspricht. Darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, nicht die Kommunion empfangen. Aus dem gleichen Grund können sie gewisse kirchliche Aufgaben nicht ausüben. Die Aussöhnung durch das Bußsakrament kann nur solchen gewährt werden, die es bereuen, das Zeichen des Bundes und der Treue zu Christus verletzt zu haben, und sich verpflichten, in vollständiger Enthaltsamkeit zu leben“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1650).
„Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 84).
69. Frage: Könnte ein wiederverheirateter Geschiedener die Kommunion empfangen, wenn er in seinem Gewissen überzeugt ist, dies rechtmäßig tun zu können?
Antwort: „Gläubige, die wie in der Ehe mit einer Person zusammenleben, die nicht ihre rechtmäßige Ehegattin oder ihr rechtmäßiger Ehegatte ist, dürfen nicht zur heiligen Kommunion hinzutreten. Im Falle, dass sie dies für möglich hielten, haben die Hirten und Beichtväter wegen der Schwere der Materie und der Forderungen des geistlichen Wohls der betreffenden Personen und des Allgemeinwohls der Kirche die ernste Pflicht, sie zu ermahnen, dass ein solches Gewissensurteil in offenem Gegensatz zur Lehre der Kirche steht“ (Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen, 14. September 1994, Nr. 6).
70. Frage: Dieses Verbot ist aber nur eine Anordnung des Codex des Kanonischen Rechts (Can. 915). Könnte sie eventuell in Zukunft durch eine neue Disiplin ersetzt werden?
Antwort: „Das Verbot, das im zitierten Kanon ausgesprochen wird, leitet sich, seiner Natur entsprechend, aus dem göttlichen Gesetz ab und überschreitet den Bereich der positiven kirchlichen Gesetze: Letztere können keine gesetzlichen Änderungen herbeiführen, die der Lehre der Kirche widersprechen würden“ (Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Erklärung über die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, 24. Juni 2000, Nr. 1).
71. Frage: Darf ein wiederverheirateter Geschiedener wenigstens die geistliche Kommunion empfangen?
Antwort: Um an den Früchten der Kommunion, der sakramentalen wie der geistlichen, teilzuhaben, ist es notwendig, sich im Stand der Gande zu befinden (Katechismus des Konzils von Trient, 2. Teil, Kapitel IV, Vom Sakrament der Eucharistie). In diesem Sinn erlangen diejenigen, die sich im Stand der schweren Sünde befinden, wie zum Beispiel die Ehebrecher, diese Wohltaten nicht. Diese Personen können und müssen sich jedoch danach sehnen, sich mit Christus zu vereinigen, indem sie um die notwendigen Gnaden bitten, damit sie die Sünde verlassen und ein tugendhaftes Leben führen können.
72. Frage: Könnte der Empfang der Kommunion nicht auch bei den wiederverheirateten Geschiedenen eine Arznei für die Seele sein, die ihre vollständige Bekehrung fördern würde?
Antwort: Wer die Kommunion empfängt, nimmt nicht nur einfach ein Arzneimittel für die Seele ein, sondern bekommt wahrhaftig den Leib und das Blut Christi. Die Bedingung dafür ist, im Stand der Gnade zu sein. Die wiederverheirateten Geschiedenen sind offensichtlich im Stand der Todsünde und setzen sich aus, ein Sakrileg zu begehen, wenn sie die Kommunion empfangen. Diese wird dann nicht für sie ein Arzneimittel sein, sondern geistliches Gift. Wenn ein Priester solch einen gotteslästerlichen Kommunionempfang duldet, dann glaubt er entweder nicht an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie, oder er glaubt nicht daran, dass wiederverheiratete Geschiedene sich im Stand der Todsünde befinden.
„Ich möchte deshalb bekräftigen, dass in der Kirche die Norm gilt und immer gelten wird, mit der das Konzil von Trient die ernste Mahnung des Apostels Paulus (vgl. 1 Kor 11,28) konkretisiert hat, indem es bestimmte, dass dem würdigen Empfang der Eucharistie die Beichte vorausgehen muss, wenn einer sich einer Todsünde bewusst ist“ (hl. Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, 17. April 2003, Nr. 36).
73. Frage: Ist eine geschiedene und wiederverheiratete Person „exkommuniziert“ und folglich aus der Kirche ausgeschlossen?
Antwort: Eine geschiedene und wiederverheiratete Person verliert nicht ihre Eigenschaft als Getaufte(r) und ist weiterhin Mitglied der Kirche, deren Gebote – wie etwa an Sonn- und Feiertagen die heilige Messe zu besuchen – sie unverändert zu befolgen hat. Die Kirche lässt solche Personen nicht im Stich, sondern ermutigt sie, am Leben der Kirche teilzunehmen und die Mittel des Heils, die sie bekommen kann, zu suchen, um sich von ihrer Sünde zu reinigen und zur Freundschaft mit Gott zurückzukehren.
Dennoch sollte die wiederverheiratete geschiedene Person in ihrem kirchlichen Leben jedes Ärgernis vermeiden und vor allem nicht den falschen Eindruck erwecken, ihre Situation in der Kirche sei gesetzmäßig.
„Die wiederverheirateten Geschiedenen gehören jedoch trotz ihrer Situation weiter zur Kirche, die ihnen mit spezieller Aufmerksamkeit nachgeht, in dem Wunsch, dass sie so weit als möglich einen christlichen Lebensstil pflegen durch die Teilnahme an der heiligen Messe, wenn auch ohne Kommunionempfang, das Hören des Wortes Gottes, die eucharistische Anbetung, das Gebet, (…) hingebungsvoll geübte Nächstenliebe, Werke der Buße und den Einsatz in der Erziehung ihrer Kinder“ (Papst Benedikt XVI., Sacramentum caritatis, Apostolisches Schreiben, 22. Februar 2007, Nr. 29).
„Den Christen, die in dieser Situation leben und den Glauben bewahren und ihre Kinder christlich erziehen möchten, sollen die Priester und die ganze Gemeinde aufmerksame Zuwendung schenken, damit sie sich nicht als von der Kirche getrennt betrachten, an deren Leben sie sich als Getaufte beteiligen können und sollen. ‚Sie sollen ermahnt werden, das Wort Gottes zu hören, am heiligen Messopfer teilzunehmen, regelmäßig zu beten, die Gemeinde in ihren Werken der Nächstenliebe und Unternehmungen zur Förderung der Gerechtigkeit zu unterstützen, die Kinder im christlichen Gluaben zu erziehen und den Geist und die Werke der Buße zu pflegen, um so von Tag zu Tag die Gnade Gottes auf sich herabzurufen‘“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1651).
74. Frage: Kann ein öffentlicher Sünder nicht wieder zur Eucharistie zugelassen werden, wenn er echte Reue empfindet?
Antwort: Um zur Eucharistie zugelassen zu werden, müssen die wiederverheirateten Geschiedenen auch den festen Vorsatz haben, nicht mehr zu sündigen, das heißt, ihr Leben zu ändern. Dazu gehört auch, zum Beispiel, aus der Ärgernis gebenden Situation heraus zu gehen, indem sie die unerlaubte Verbindung mit einem anderen aufgeben.
Wenn aber wiederverheiratete Geschiedene das Haus, in dem sie im Ehebruch leben, nicht verlassen können, weil sie zum Beispiel für die Erziehung der Kinder sorgen müssen, müssen sie sich vornehmen, keusch zu leben, das heißt, „unter gleichem Dach, aber nicht im gleichen Gemach“.
75. Frage: Stimmt es, wie Kardinal Walter Kasper behauptet, dass in der Urkirche die Teilnahme wiederverheirateter Geschiedener an der Kommunion allgemein toleriert und akzeptiert wurde?
Antwort: Kein Konzil der Frühkirche und kein Kirchenvater hat die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene als Norm zugelassen. Einige moderne Studien, wie die des bekannten Patrologen Henri Courzel SJ, widerlegen die Behauptung von Kardinal Kasper (vgl. John M. Rist, Scheidung und Wiederverheiratung in der Frühkirche – historische und kulturelle Betrachtungen, in: In der Wahrheit Christi bleiben. Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg 2014, S. 53-75).
Die von Kardinal Kasper angeführten Zitate sind nicht korrekt und auch im Kontext anderer Zitate aus den gleichen Quellen falsch zitiert. P. Pérez-Soba schreibt: „Dabei verschweigt er [Kasper] aber die offensichtliche Tatsache, dass die Schriften der Väter, die diese Möglichkeit absolut verneinen, wesentlich zahlreicher sind und noch dazu viel deutlicher sprechen als die von ihm zitierten“ (Pérez-Soba und Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 88).
Die Entscheidungen der Generalräte und der lokalen Synoden sind nur dann als gültig anzusehen, wenn sie der echten und immerwährenden Tradition der Kirche entsprechen, ganz nach der goldenen Regel des hl. Vinzenz von Lérins: „quod semper, quod ubique, quod ab omnibus“ [was immer, was überall, was von allen (gelehrt wurde)] (vgl. Kardinal Walter Brandmüller, Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe, in: In der Wahrheit Christi bleiben, a.a.O., Kap. V).
76. Frage: In den orthodoxen Kirchen gibt es zur Segnung einer zweiten Ehe ein besonderes Ritual, das nicht als Sakrament gesehen wird, sondern als Lösung zur Vermeidung einer größeren Sünde; nach diesem Segen werden die Zusammenlebenden zu den Sakramenten zugelassen. Könnte die Katholische Kirche diesem Beispiel folgen?
Antwort: Die Theologie der orthodoxen Kirchen über die Ehe unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der katholischen Lehre. Außerdem stellen die erwähnten Praktiken in den orthodoxen Kirchen eine historische Entgleisung infolge der Unterwerfung dieser Kirchen unter die weltliche Macht dar und sind daher für die Katholische Kirche weder gerechtfertigt noch anwendbar. Msgr. Cyril Vasil SJ, Sekretär der Kongregation für die Ostkirchen, behandelt dieses Thema sehr ausführlich in seinem Essay Trennung, Scheidung, Auflösung des Ehebandes und Wiederheirat – Theologische und praktische Ansätze der orthodoxen Kirchen (in: In der Wahrheit Christi bleiben, a.a.O., Kap. IV).
77. Frage: Warum haben einige Teilnehmer an der Synode darauf bestanden, die Aufnahme von wiederverheirateten Geschiedenen in die Kirche vorzuschlagen?
Antwort: Selbst in der Kirche fühlen sich viele von der subjektiven Idee verführt, dass alle Menschen gleiche Rechte zu allem haben, und dass es eine inakzeptable Diskriminierung darstellt, jemandem etwas zu verweigern, was anderen gewährt wird. Da aber der Empfang der Kommunion kein „menschliches Recht“ ist, kann die Kirche sie denen verweigern, die nicht fähig oder nicht würdig sind, sie zu empfangen und daher auch nicht das Recht dazu haben. Wenn auch für eine wahre und vollständige Teilnahme an der heiligen Messe der Empfang der Kommunion empfohlen wird (vgl. Katechismus des Konzils von Trient, 2. Teil, Kapitel IV; vgl. auch II. Vatikanisches Konzil, Sacrosanctum Concilium, 55), kann man nicht sagen, dass jene, die es nicht tun, ihre Sonntagspflicht nicht erfüllt haben.
X. Homosexualität und homosexuelle Verbindungen
78. Frage: Homosexuelle Neigungen scheinen eine natürliche Veranlagung zu sein; ist ihre Befriedigung daher nicht etwas Legitimes?
Antwort: „Die spezifische Neigung der homosexuellen Person ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. Aus diesem Grunde muss die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden (Kongregation für die Glaubenslehre, „Einige Anmerkungen bezüglich der Gesetzesvorschläge zur Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen“, Nr.2. 1992). Personen mit dieser Veranlagung sollte man mit Achtung, Mitgefühl und Takt begegnen; sie sind zur Keuschheit gerufen (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2358 u 2359).
Ausgelebte homosexuelle Sexualität hingegen pervertiert die natürliche Finalität des Geschlechtsakts; wenn sie willentlich ausgeübt wird, stellt sie eine Sünde dar und ist somit moralisch verwerflich.
„Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet (vgl. Gen 19,1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10) hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, ‚dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind‘ (CDF, Erkl. Persona humana 8, AAS 68 1976, 95). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2357).
79. Frage: Könnte man nicht sagen, dass die Liebe zwischen zwei homosexuellen Partnern, wenn nicht identisch, so doch wenigstens ähnlich ist wie die zwischen Mann und Frau in der Ehe?
Antwort: „Das Wort ‚Liebe‘ ist heute zu einem der meist gebrauchten und auch missbrauchten Wörter geworden, mit dem wir völlig verschiedene Bedeutungen verbinden“ erklärte Papst Benedikt XVI. aus gutem Grund (Enzyklika Deus caritas est, Nr. 2).
Im Fall der vorliegenden Frage umfasst der Begriff „Liebe“ zwei verschiedene Wirklichkeiten: einmal die erotische Anziehung oder „lüsterne Liebe“, und eine höhere Art der Liebe, die der „Zuneigung“, die ohne jeglichen sexuellen Hintergrund zwischen zwei Personen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts existieren kann (z.B. die väterliche, mütterliche, brüderliche, freundschaftliche Liebe). Jenseits der rein erotischen Anziehung ist es die Liebe der Zuneigung, die dazu führt, dass Mann und Frau sich finden und sich gegenseitig als Ehepartner erwählen, um Nachkommenschaft zu erzeugen und eheliche Liebe zu praktizieren. „Die eheliche Liebe erreicht dadurch jene Fülle, auf die sie von innen her ausgerichtet ist, die übernatürliche Gattenliebe, in welcher die Vermählten auf die ihnen eigene und spezifische Art an der sich am Kreuz schenkenden Liebe Christi teilnehmen und sie zu leben berufen sind.“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 13). Da die homosexuellen Verbindungen den Erzeugungszweck der Natur nicht erfüllen können, und deshalb schwer sündhaft sind, können sie objektiv nicht das Fundament der höheren Form der Liebe – der ehelichen Liebe – bilden.
80. Frage: Könnten zwei Personen gleichen Geschlechts, die zusammen leben, ihre Verbindung nicht formell durch eine Eheschließung bestätigen?
Antwort: Da von Natur aus ein Bund zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts den Zweck der Erzeugung von Kindern hat, kann eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden.
Zwei gleichgeschlechtliche Personen können keine gültige Ehe eingehen und ihr Zusammenleben kann keine Familie im wahren Sinn des Wortes bilden. Eine solche Vereinigung ist widernatürlich; sie ist nicht offen für das Leben und somit moralisch verwerflich.
81. Frage: Ein Bischof meinte, die Anerkennung von homosexuellen Paaren sei „eine Frage der Zivilisation“. Ein anderer wagte sogar vorzuschlagen, die homosexuelle Verbindung solle der Ehe zwar vielleicht nicht gleichgestellt, aber doch zumindest angenähert werden, zum Beispiel durch Erteilung eines priesterlichen Segens. Ist eine solche Annäherung möglich?
Antwort: Die homosexuelle Union ist ein stark erotisch motiviertes Zusammenleben von Partnern, die eine widernatürliche Form der Sexualität einschließt. Sie ist daher schwer sündhaft, kann unmöglich einer kirchlichen Eheschließung zwischen Mann und Frau gleichgestellt und daher auch nicht gesegnet werden. Es ist wichtig, sich den jüngsten Versuchen zu widersetzen, die sie unter allen Umständen legalisieren wollen.
„Wenn die Ehe zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts in rechtlicher Hinsicht nur als eine mögliche Form der Ehe betrachtet würde, brächte dies eine radikale Veränderung des Begriffs der Ehe zum schweren Schaden für das Gemeinwohl mit sich“ (Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen, 28. März 2003, Nr. 8 – von Papst Johannes Paul II. approbierter Text).
82. Frage: Wie könnte eine fromme und verständnisvolle Person die Homosexuellen verurteilen, mit dem Argument, sie müssten immer ihre Instinkte unterdrücken?
Antwort: Wie alle Menschen, sind auch die Homosexuellen verpflichtet, nach dem Naturgesetz ihre ungeordneten Leidenschaften zu kontrollieren und gemäß ihrem Stand keusch zu leben.
„Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft -‚ durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2359).
XI. Einige "Schlüssel-Wörter" der synodalen Debatte
Die" Zauberworte"
83. Frage: Ein Dokument der Synode wies darauf hin, dass es in der kirchlichen Pastoral auch eine „Umkehr der Sprache“ (Relatio post disceptationem, Nr. 33) geben müsse. Während und nach der Synodekonnte man in der Debatte über die Lage der Familie eine Betonung bestimmter Schlüsselwörter bemerken, die dem behandelten Thema eine gewisse ideologische Note gaben. Zum Beispiel warf die Synode schon in ihrem Vorbereitungsdokument Nr. 1 ein Licht auf „die breite Aufnahme, die heutzutage die Lehre über die göttliche Barmherzigkeit und die Zärtlichkeit gegenüber den verletzten Menschen an den existentiellen und geographischen Peripherien erfährt“. Was ist von diesen Schlüsselwörtern zu halten?
Antwort: „Verletzte Menschen“, „Barmherzigkeit“, „Aufnahme“, „Zärtlichkeit“, „Vertiefung“ sind Beispiele von Wörtern, die einseitig und vereinfacht gebraucht werden und die so eine Art Talisman-Wirkung haben können. (Wir nennen sie hier „Zauberworte“).
84. Frage: Was sind diese „Zauberworte“?
Antwort: Ein „Zauberwort“ ist ein an sich legitimer Begriff mit stark emotionalem Inhalt, der wegen seiner Flexibilität ausgewählt wird und der unterschiedliche Bedeutungen aufnehmen kann, entsprechend den Kontexten, in denen er angewendet wird. Die „Elastizität“ der Bedeutung dieser Begriffe ermöglicht einen propagandistischen Gebrauch, und macht sie anfällig für eventuellen Missbrauch für ideologische Zwecke.
Ein „Zauberwort“ ist zum Beispiel ein nützliches Instrument, um eine „unbemerkte ideologische Umwandlung“ durchzuführen, das heißt, einen Prozess, der die Mentalität des „Patienten“ verändert, ohne dass dieser bemerkt, dass er von einer legitimen Position zu einer illegitimen übergeführt wird. Manipuliert durch die Propaganda erhält das „Zauberwort“ Bedeutungen, die sich immer mehr den ideologischen Positionen nähert, zu denen es den „Patienten“ hinführen will. (vgl. Plinio Corrêa de Oliveira, Unbemerkte ideologische Umwandlung und Dialog, deutsch bei Editora Vera Cruz Ltda., São Paulo, Brasilien, 1967, 3. Kapitel; siehe auch Warwick Neville, Manipolazione del linguaggio [Manipulation der Sprache], in Lexicon, S. 630-639).
Dieses Verfahren ist leicht anzuwenden, auch im klerikalen Umfeld. Der Gebrauch gewisser Begriffe kann die Gläubigen so beeinflussen, dass sie ein moralisches Urteil durch ein sentimentales Urteil ersetzen, oder ein substantielles Urteil durch ein formelles, sodass am Ende dann Dinge, die zuvor als verwerflich betrachtet wurden, dann als gut oder annehmbar akzeptiert werden.
Die" Vertiefung"
85. Frage: Gibt es Beispiele von „Zauberwörtern“, die auf der Synode gebraucht wurden?
Antwort: Wir haben den Fall des Wortes „Vertiefung“. Im gängigen Sprachgebrauch bedeutet es ein besseres Verständnis eines Begriffs oder einer Realität, um deren Grundlagen zu verstehen. In der Propaganda der Massenmedien jedoch wird es gebraucht, um Änderungen in der Beurteilung eines Begriffs oder einer Realität – im permissiven Sinn – zu bezeichnen, bis sogar die jeweiligen Fundamente geleugnet werden.
„Die sogenannten ‚Vertiefungen‘ sind also, nach den Absichten derer, die sie erreichen wollen, wesentliche Änderungen in der bisher vom kirchlichen Lehramt weitergegebenen Lehre, die man besser als Bruch mit der Tradition bezeichnen sollte. Es handelt sich um kleine Schritte in Richtung neuer Regeln, die die Struktur der kirchlichen Disziplin als solche revolutionieren und damit einen wahren Bruch mit der Lehre des Lehramts herbeiführen würden. (…) Ich finde den Gebrauch der Bezeichnung ‚Vertiefung‘ ziemlich heuchlerisch, weil es in Wirklichkeit um eine Reform der Kirche geht, die am Ende die dogmatischen Fundamente ihres Glaubens und ihrer Disziplin außer Kraft setzen würde“ (Msgr. Antonio Livi, ehem. Rektor der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Lateran Universität, Approfondimento della dottrina? No, è tradimento [Vertiefung der Lehre? Nein, das ist Verrat], La nuova Bussola Quotidiana, 21. Dezember 2014].
86. Frage: Könnte man vielleicht sagen, dass die gegenwärtige Lage der Gleichgültigkeit gegenüber dem katholischen Glauben es verlangt, dass die Wahrheit und die moralischen Regeln stufenweise vorgeschlagen und angewendet werden, nach Maßgabe des Gewissens des Einzelnen oder des Publikums?
Antwort: Die fortschreitende Kenntnis des Sittengesetzes befreit den Gläubigen nicht von der Pflicht, es vollständig zu kennen und zu praktizieren. „Jedoch können sie (die Ehegatten) das Gesetz nicht als ein reines Ideal auffassen, das es in Zukunft einmal zu erreichen gelte, sondern sie müssen es betrachten als ein Gebot Christi, die Schwierigkeiten mit aller Kraft zu überwinden. Daher kann das sogenannte ‚Gesetz der Gradualität‘ oder des stufenweisen Weges nicht mit einer ‚Gradualität des Gesetzes‘ selbst gleichgesetzt werden, als ob es verschiedene Grade und Arten von Gebot im göttlichen Gesetz gäbe, je nach Menschen und Situationen verschieden“ (hl. Joannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 34).
Die" verletzten Menschen"
87. Frage: Und wer wären die „verletzten Menschen“?
Antwort: In der aktuellen Debatte bezieht sich diese Formulierung auf Menschen, die im Stand der schweren und öffentlichen Sünde leben: unverheiratet Zusammenlebende, wiederverheiratete Geschiedene, homosexuelle Paare usw. Dadurch, dass man sie als „verletzt“ bezeichnet, umgeht man ein moralisches Urteil, indem man nur einen Aspekt ihrer konkreten Situation hervorhebt, die zwar richtig, aber zweitrangig ist. Also bezeichnet man sie mit einem Begriff, der Mitleid erzeugen soll: es sind ja nur „verletzte Personen“, vielleicht unschuldige Opfer, denen man keine schwere Schuld auferlegen darf.
Angesichts einer „verletzten Person“ ist natürlich die normale Reaktion, sich ihr zu nähern, um zu helfen. In unserem Fall wird, um das psychologische Leid der jeweiligen Person nicht weiter zu verschlimmern, auf diese Weise jegliches moralische Urteil als unangebracht zurückgewiesen. Stattdessen wird empfohlen, diesen Personen mit einem Gefühl von „Barmherzigkeit“ und „Zärtlichkeit“ entgegenzukommen, als einzige Basis für eine Bewertung ihrer Situation und damit für eine ihr angemessene Pastoral. Am Ende dieses Prozesses besteht die Gefahr, dass vor lauter Mitleid der sündhafte Zustand auch noch gerechtfertigt wird. Das bedeutet eine Änderung der Grundwerte der kirchlichen Lehre, alles, um der „verletzten Person“ nicht noch mehr Leid zuzufügen.
88. Frage: Ist dies nicht genau die in dem bekannten Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ empfohlene Haltung?
Antwort: Im Gegenteil. Das schöne Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ wird hier missverstanden. Wenn es nach der heutigen dominierenden Mentalität ausgelegt würde, würde es tatsächlich zu einem paradoxen Ergebnis führen. Der helfende Samariter wäre demnach so bemüht, weitere Leiden des Verwundeten zu verhindern, die Schwere seiner Verletzungen zu verharmlosen und ihn vor schmerzhaften Behandlungen zu bewahren, die seine Heilung herbeiführen könnten, dass er sich nur darum kümmern würde, schmerzlindernde Medikamente zu verabreichen. Damit würde er ein vorübergehendes Leiden in ein chronisches verwandeln. Um den Verwundeten nicht mit Schuldgefühlen zu beunruhigen, würde der Helfer ihm auch nicht empfehlen, den gefährlichen Weg, auf dem er überfallen wurde, in Zukunft zu meiden; der Ärmste, schlecht gepflegt und schlecht beraten, liefe daher Gefahr, dasselbe noch einmal zu erleben.
Die "Barmherzigkeit"
89. Frage: Ein anderes, in der Synodendebatte häufig verwendetes Schlüsselwort war „Barmherzigkeit“. Wenn Gott den Sündern immer vergibt, sollte da nicht auch die Kirche Barmherzigkeit walten lassen und ihre Strenge im Hinblick auf den Zugang von Menschen, die in ungeordneten Verhältnissen leben, zu den Sakramenten etwas mildern?
Antwort: „Dies greift als sakramentaltheologisches Argument zu kurz. Die gesamte sakramentale Ordnung ist ein Werk göttlicher Barmherzigkeit und kann nicht durch Berufung auf das Prinzip, auf das sie sich stützt, aufgehoben werden. Durch die sachlich falsche Berufung auf die Barmherzigkeit besteht zudem die Gefahr einer Banalisierung des Gottesbildes, wonach Gott nichts anderes vermag als zu verzeihen. Zum Geheimnis Gottes gehören neben der Barmherzigkeit auch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit. Wenn man diese Eigenschaften Gottes unterschlägt und die Sünde nicht ernst nimmt, kann man den Menschen letztlich auch nicht seine Barmherzigkeit vermitteln. (…) Die Barmherzigkeit Gottes ist keine Dispens von den Geboten Gottes und den Weisungen der Kirche“ (Kardinal Gerhard Müller, Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Debatte in Bezug auf die zivil Wiederverheirateten und die Sakramente, in: Aa. Vv., In der Wahrheit Christi verbleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg, 2014, S. 127).
„‚Barmherzigkeit‘ ist ein weiteres Wort, das leicht missverstanden werden kann (…) Da sie mit der Liebe zusammenhängt, wird die Barmherzigkeit, gleich der Liebe, gegen das Recht und die Gerechtigkeit ausgespielt. Aber man weiß genau, dass es keine Liebe ohne Gerechtigkeit und Wahrheit gibt, dass es keine Liebe gibt, wenn man gegen die Gesetze handelt, seien es göttliche oder menschliche. Der hl. Paulus entgegnet denjenigen, die seine Aussagen über die Liebe falsch interpretiert haben, dass „die Regel die Liebe (ist), die die Werke des Gesetzes vollbringt“ (Gal 5,14). (…) Angesichts des göttlichen Gesetzes gibt es keinen Widerspruch zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Strenge des Gesetzes und Barmherzigkeit der Vergebung. (…) Die Befolgung eines göttlichen Gesetzes kann nicht als der Liebe und Barmherzigkeit zuwiderlaufend dargestellt werden. Jedes Gebot Gottes, selbst das strengste, enthält das Antlitz der göttlichen Liebe, wenn auch nicht immer der barmherzigen Liebe. Das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe und der ehelichen Keuschheit ist eine Gabe Gottes und kann nicht als Gegensatz zur Barmherzigkeit Gottes gesehen werden. (…) Im konkreten Fall ist die missbräuchliche Anrufung der Barmherzigkeit nichts weiter als eine Übertretung des göttlichen Gesetzes“ (Kardinal Velasio de Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8. Januar 2015, SS. 27 und 22)
90. Frage: In den Diskussionen rund um die Synode führt die Betonung der Barmherzigkeit dazu, dass irreguläre Situationen nicht mehr vom Standpunkt von Recht und Pflicht, sondern vom Standpunkt des Verständnisses und der Vergebung aus betrachtet werden, „nicht aus dem Blickwinkel eines moralischen Urteils, sondern aus der Sicht der Verletzlichkeit der Personen“ (Zitat aus den Schriften der heterodoxen Lobby, die sich „Wir sind Kirche“ nennt). Wäre dies nicht eine authentisch christliche Sichtweise?
Antwort: Die Kirche kann sich nicht wie ein Schwindler benehmen, der Leidende betrügt, indem er ihnen einen Trank anbietet, der die Schmerzen weniger spürbar, die Krankheit aber schlimmer macht. Die Kirche ist vielmehr verpflichtet, dem Beispiel des guten Samariters, der Christus darstellt, zu folgen und wie ein weiser Arzt zu handeln, der die seelisch Kranken und Verwundeten wirklich heilen will, indem er die wirkungsvollste, wenn auch schmerzhafte, Medizin verwendet, die den Leidenden von den Gebrechen heilt und vor Rückfällen schützt. Das setzt voraus, dass die Kirche den Patienten die Schwere und Ernsthaftigkeit ihrer Krankheit nicht verheimlicht und auch deren Verantwortung nicht verharmlost, sondern ihnen vielmehr Augen und Herzen öffnet, bevor sie ihre Wunden schließt.
Gewiss muss die Heilung schonend sein, das heißt, die Verletzlichkeit der Person muss berücksichtigt werden. Aber eine solche Vorsicht muss immer noch in erster Linie die Heilung im Auge haben, anstatt sie zu verhindern, in der Illusion mit palliativen Mitteln einem Kranken helfen zu können, der die Arznei, die ihm wirklich helfen könnte, ablehnt. Man darf auch nicht die Verletzlichkeit eines Kranken, der unter einer schmerzhaften Therapie leidet, mit der Empfindlichkeit dessen verwechseln, der die Heilung verweigert.
„Der Weg der Kirche (…) ist immer der Weg Jesu: der Weg der Barmherzigkeit und der Eingliederung. Das bedeutet nicht, die Gefahr zu unterschätzen oder die Wölfe in die Herde eindringen lassen, sondern den verlorenen reuigen Sohn aufzunehmen, entschieden und mutig die Verletzungen der Sünde zu heilen“ (Papst Franziskus, Predigt am 15. Februar zum Abschluss des Konsistoriums) .
91. Frage: In der synodalen Debatte ist die „Barmherzigkeit“ das leitende Kriterium für die Pastoral geworden. Sollte dieses Kriterium nicht über die Forderungen der Sittenlehre gestellt werden, so dass deren Bewertung dadurch verändert werden kann?
Antwort: Die Barmherzigkeit kann über die Gerechtigkeit siegen, aber sie kann ihr nicht zuwiderlaufen, weil sie dann ungerecht wäre. Sie kann auch nicht die Wahrheit leugnen, weil sie dann falsch wäre. Außerdem kann sie, gerade weil sie sich auf der praktischen Ebene befindet, auch nicht in die Lehre eingreifen, was bedeutet, dass sie das moralische Urteil über eine Verhaltensweise nicht beeinflussen kann. Andernfalls fiele eine solche „Barmherzigkeit“ unter die bekannte biblische Verurteilung: „Wehe jenen, die das Böse als gut, das Gute als bös bezeichnen, die Finsternis als Licht und Licht als Finsternis hinstellen, die Bitter als süß und süß als bitter hinstellen!“ (Is 5,20).
„Man darf die Liebe nicht mit der Barmherzigkeit identifizieren. Diese ist sicher ein Aspekt der Liebe und ist Liebe, indem sie das Gute mitteilt, das jedes Böse beseitigt. Die Liebe kann sich aber auch dadurch ausdrücken – und in einigen Fällen muss sie es tun –, dass sie die Barmherzigkeit verweigert, wenn diese als eine wohlwollende Duldung oder, schlimmer noch, als eine Billigung [des Bösen] verstanden wird“ (Kardinal Velasio De Paolis, Die wiederverheirateten Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie udn der Buße, Vortrag am Regionalen Kirchengericht Umbrien, 8.1.2015, S. 22).
„Die Barmherzigkeit als Tugend ist mit der Gerechtigkeit keineswegs unvereinbar. (…) Wir dürfen keine ungerechte Barmherzigkeit walten lassen, denn das wäre eine völlige Verfälschung der göttlichen Offenbarung. (…) Eine ungerechte Handlung ist somit nie barmherzig. Die Barmherzigkeit unterscheidet sich vom bloßen Mitleid dadurch, dass die Barmherzigkeit das Elend des anderen beseitigen will: oder mit anderen Worten, die Barmherzigkeit bekämpft aktiv das Böse, in dem der Mensch verfangen ist. Ein falscher Trost, der darin besteht, eine Sünde als ‚lässlich‘ zu bezeichnen, stellt keine Barmherzigkeit dar, wenn man denjenigen, der davon betroffen ist, nicht von dem Übel erlöst. (,,,) Das Erbarmen kommt aus der Liebe zu der Person, um sie vom Übel der Untreue zu erlösen, die sie bedrückt und die sie an einem Leben in Vereinigung mit Gott hindert. Das ist etwas völlig anderes, als die Untreue ohne eine innere Erneuerung durch die Gnade einfach zuzulassen, so als würde Gott unsere Sünden zudecken, ohne unser Herz durch Reinigung zu bekehren. Es handelt sich hierbei um einen wichtigen dogmatischen Unterschied zwischen der katholischen und der lutherischen Rechtfertigungslehre“ (J.J. Perez-Soba, Die Wahrheit des Ehesakraments, in Perez-Soba und Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 66-69).
92. Frage: Sollte die Kirche nicht weniger als strenge Lehrmeisterin und Richterin, sondern vielmehr in erster Linie als eine barmherzige Mutter erscheinen?
Antwort: „Auch auf dem Gebiet der ehelichen Moral handelt die Kirche als Lehrerin und Mutter. Als Lehrerin wird sie nicht müde, die sittliche Norm zu verkünden, welche die verantwortliche Weitergabe des Lebens bestimmen muss. Diese Norm ist nicht von der Kirche geschaffen und nicht ihrem Gutdünken überlassen. In Gehorsam gegen die Wahrheit, die Christus ist, (…) interpretiert die Kirche die sittliche Norm und legt sie allen Menschen guten Willens vor, ohne ihren Anspruch auf Radikalität und Vollkommenheit zu verbergen. Als Mutter steht die Kirche den vielen Ehepaaren zur Seite, die in diesem wichtigen Punkt sittlichen Lebens Schwierigkeiten haben. (…) Aber es ist die eine Kirche, die zugleich Lehrerin und Mutter ist. Deswegen hört die Kirche niemals auf, aufzurufen und zu ermutigen, die eventuellen ehelichen Schwierigkeiten zu lösen, ohne je die Wahrheit zu verfälschen oder zu beeinträchtigen. (…) Darum muss die konkrete pastorale Führung der Kirche stets mit ihrer Lehre verbunden sein und darf niemals von ihr getrennt werden. Ich wiederhole deshalb mit derselben Überzeugung die Worte meines Vorgängers: ‚In keinem Punkte Abstriche an der Heilslehre Christi zu machen, ist hohe Form seelsorglicher Liebe‚“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 33).
„Ferner, wenn nichts von der Heilslehre Christi zu unterschlagen eine hervorragende Ausdrucksform der Liebe ist, so muss dies immer mit Duldsamkeit und Liebe verbunden sein; dafür hat der Herr selbst durch sein Wort und Werk den Menschen ein Beispiel gegeben. Denn obwohl er gekommen war, nicht um die Welt zu richten, sondern zu retten, war er zwar unerbittlich streng gegen die Sünde, aber geduldig und barmherzig gegenüber den Sündern“ (sel. Paul VI., Humanae Vitae, 29).
XII. Die Rolle der Barmherzigkeit in Familienfragen
93. Frage: Heutzutage herrscht so viel Unwissenheit über die Ehe, ihren Zweck und die Pflichten, die mit ihr verbunden sind; bedeutet das nicht, dass der Großteil der heute geschlossenen Ehen als ungültig zu betrachten ist?
Antwort: Die Unwissenheit sollte durch eine gründliche und ernsthafte Vorbereitung auf de Ehe bekämpft werden, die auch die lehre der Kirche behandelt. Es ist wirklich merkwürdig, dass viele, die heute auf Grund der allgemeinen Unwissenheit eine Lockerung der Sittenlehre der Kirche verlangen, die gleichen sind, die einst die Lockerung der moralischen Erziehung verteidigt haben die gerade zu dieser Unwissenheit geführt hat.
„Die rechtzeitige Vorbereitung auf die Ehe ist äußerst wichtig, und sie sollte begonnen werden, bevor junge Menschen das Alter erreicht haben, in dem es in ihrer jeweiligen Gesellschaft üblich ist, sexuell aktiv zu werden; in der westlichen Welt müsste das vor der Teenagerzeit getan werden. (…) Sicherlich ist die Aufgabe der Kirche, Wunden zu verbinden und zu heilen, aber wie jeder gute Arzt weiß, ist Prävention die beste Medizin. Jugendliche sind sehr viel offener dafür, sich mit der Tugend der Keuschheit auseinanderzusetzen, als allgemein angenommen wird“ (Stephan Kampowski, Ein in der Zeit gelebtes Leben, in: Pérez-Soba und Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S. 118).
94. Frage: Müsste eine Pastoral, die in erster Linie durch Barmherzigkeit geprägt ist, den Prozess der Nichtigkeitserklärung der Ehe nicht erleichtern?
Antwort: Nach Meinung des bedeutenden Kirchenrechtlers Kardinal Raymond Leo Burke garantiert das aktuelle Ehenichtigkeitsverfahren den Parteien volle Gerechtigkeit, so dass keine Notwendigkeit besteht, seine gegenwärtige Struktur zu ändern (vgl. Kardinal Raymond Leo Burke, Das kanonische Ehenichtigkeitsverfahren als Mittel zur Wahrheitssuche, in: In der Wahrheit Christi bleiben. Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg 2014, Kap. 9).
Natürlich besteht die pastorale Lösung in erster Linie darin, sicherzustellen, dass die Ehen in bewusster und gültiger Form geschlossen werden und eventuelle Ehenichtigkeitsverfahren für alle, auch für die weniger gebildeten Schichten, zugänglich gemacht werden. Es ist aber nicht ratsam, die Gültigkeit vieler Ehen in Frage zu stellen, um eine kleine Minderheit von wiederverheirateten Geschiedenen zufriedenzustellen, die die Kommunion empfangen wollen, ohne ihren Status zu ändern.
„Liebe ohne Gerechtigkeit ist keine Liebe, sondern nur eine Fälschung, weil die Liebe selbst jene Objektivität verlangt, die typisch ist für die Gerechtigkeit und die nicht mit unmenschlicher Kälte verwechselt werden darf. Diesbezüglich gilt, was mein ehrwürdiger Vorgänger, Johannes Paul II., in seiner feierlichen Ansprache über die Beziehungen zwischen Pastoral und Recht festgestellt hat: ‚Der Richter muss sich daher immer vor der Gefahr hüten, falsch verstandenes Mitleid zu üben, das in Sentimentalität versinken würde und nur scheinbar pastoral wäre‘ (am 18. Januar 1990, abgedruckt in Osservatore Romano, Deutsche Ausgabe, Nr. 5 v. 2.2.1990, S. 10, Nr. 5). Wir müssen pseudopastorale Ausflüchte vermeiden, die diese Fragen auf einer rein horizontalen Ebene ansiedeln, auf der es darum geht, subjektive Forderungen zufriedenzustellen, um um jeden Preis eine Erklärung der Nichtigkeit zu erreichen – unter anderem zu dem Zweck, Hindernisse auszuräumen, die dem Empfang des Sakraments der Buße und der Eucharistie im Wege stehen. Das hohe Gut der Wiederzulassung zur eucharistischen Kommunion nach der sakramentalen Versöhnung erfordert dagegen, das wahre Wohl der Personen im Auge zu haben, das untrennbar mit der Wahrheit ihrer kirchenrechtlichen Situation verbunden ist. Es wäre ein fiktives Wohl und ein schwerwiegender Mangel an Gerechtigkeit und Liebe, wenn man ihnen dennoch den Weg zum Empfang der Sakramente ebnen würde. Und es würde auch die Gefahr bergen, diese Menschen in objektivem Gegensatz zur Wahrheit ihrer persönlichen Situation leben zu lassen“ (Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder des Gerichtshofs der Römischen Rota am 29. Januar 2010).
XIII. Die Rolle der übernatürlichen Gnade im Hinblick auf die Keuschheit in der Familie
95. Frage: Der moderne Mensch scheint unfähig, Verantwortung zu übernehmen, die das ganze Leben andauert; daher erscheint die unauflösliche und monogame Ehe den meisten heute undurchführbar. Ist es da nicht utopisch, wenn die Kirche von den Familienmitgliedern die Tugenden der Treue und der Keuschheit verlangt?
Antwort: Gott verlangt vom Menschen nichts, was diesen überfordern würde. Wenn die natürlichen Kräfte nicht ausreichen, spendet die Vorsehung übernatürliche Kräfte, die ihn befähigen, seine Aufgabe zu bewältigen. Unser Herr Jesus Christus verlangt von den Eheleuten, den Eltern, den Kindern nichts Unmögliches; er gibt ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausreichende Gnaden.
„Die Würde und die Verantwortung der christlichen Familie als Hauskirche können nur mit der beständigen Hilfe Gottes gelebt werden; wer sie in Demut und Vertrauen erbittet, dem wird sie auch zuteil“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris consortio, Nr. 59).
96. Frage: Wie ist es möglich, ein keusches Leben zu führen?
Antwort: „Alle, die an Christus glauben, sind berufen, ihrem jeweiligen Lebensstand entsprechend ein keusches Leben zu führen“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2348). Die Kirche lehrt, dass die absolute Keuschheit sowohl außerhalb als auch in der Ehe der Natur entspricht und deshalb theoretisch möglich ist. Doch wegen der Erbsünde ist dauerhafte Keuschheit nur mit Hilfe der Gnade möglich, die eine schwere Aufgabe leicht macht: „denn gut zu tragen ist mein Joch, und meine Bürde ist leicht“, sagt Jesus (Mt 11,30). Wenn einmal die Gewohnheit der Unzucht überwunden und durch die Keuschheit ersetzt ist, wird sie zu einer Tugend, die man mit Freude praktizieren kann.
„Die Keuschheit erfordert den Erwerb der Selbstbeherrschung, die eine Erziehung zur menschlichen Freiheit ist. Die Alternative ist klar: Entweder ist der Mensch Herr über seine Triebe und erlangt so den Frieden, oder er wird Knecht und somit unglücklich„ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2339).
97. Frage: Wenn auch die Keuschheit theoretisch möglich scheint – wie kann man sie in unserer von Pansexualität geprägten Zeit in der Praxis noch verlangen?
Antwort: Keusch zu sein war schon immer schwer und es ist heute, in der modernen Gesellschaft, in der die Unzucht in Umwelt, Kultur und Medien geradezu beworben wird, noch schwerer geworden. Mehr denn je müssen die Gläubigen gegen den Strom schwimmen, um die Keuschheit zu bewahren. Dazu ist im Besonderen die Hilfe der göttlichen Gnade durch Gebet, Askese und Buße notwendig. Aber gerade deswegen – das kann man gar nicht oft genug wiederholen – ist ein Leben in Keuschheit heute verdienstvoller und lohnender als je zuvor.
„Die Würde des Menschen verlangt daher, dass er in bewusster und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft.“ (Gaudium et Spes, Nr. 17).
98. Frage: Wie soll es den Eheleuten möglich sein, in ehelicher Keuschheit zu leben?
Antwort: Die eheliche Keuschheit ist keine unerfüllbare Forderung; sie ist vielmehr die Bedingung für eine gesunde und gedeihliche Ehe und Familie, und damit auch eine Wohltat für die Gesellschaft.
„Dieses nachdrückliche Bestehen auf der Unauflöslichkeit des Ehebandes hat Ratlosigkeit hervorgerufen und ist als eine unerfüllbare Forderung erschienen. Jesus hat jedoch den Gatten keine untragbare Last aufgebürdet (vgl. Mt 11,29-30). (…) Durch die Wiederherstellung der durch die Sünde gestörten anfänglichen Schöpfungsordnung gab er selbst die Kraft und die Gnade, die Ehe in der neuen Gesinnung des Reiches Gottes zu leben. „ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1615).
99. Frage: Scheint es nicht eindeutig, dass das Thema Familie eine verlorene Sache ist, und dass es schon längst zu spät ist, noch etwas zu tun?
Antwort: Es gibt sehr viel zu tun und es sollte dringend getan werden! Anstatt die Situation zu beklagen und sich mit dem Schlimmsten abzufinden, ist es Zeit, dass die Christen sich an die Arbeit machen, um den verlorenen Boden mit allen Mitteln wieder zurückzugewinnen – „alles vermag ich in dem, der mich stärkt“ (Phil 4,13).
„Liebe zur Familie bedeutet, ihre Werte und Möglichkeiten zu schätzen und stets zu fördern. Liebe zur Familie bedeutet, die ihr drohenden Gefahren und Übel wahrzunehmen und zu bekämpfen. Liebe zur Familie bedeutet ferner, an der Schaffung einer Umgebung mitzuwirken, die ihre Entfaltung begünstigt. In ganz besonderer Weise schließlich zeigt sich diese Liebe, wenn man der christlichen Familie von heute, die oft zu Mutlosigkeit versucht und durch die vermehrten Schwierigkeiten verängstigt ist, wieder Vertrauen zu sich selbst gibt, zu ihrem Reichtum von Natur und Gnade, zu der Sendung, die Gott ihr übertragen hat“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 86).
100. Frage: Was ist also zu tun?
Antwort: „Bei dieser Gelegenheit wollen Wir die Erzieher und alle, die für das Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft verantwortlich sind, an die Notwendigkeit erinnern, ein Klima zu schaffen, das geschlechtlich zuchtvolles Verhalten begünstigt. So überwindet wahre Freiheit Ungebundenheit durch Wahrung der sittlichen Ordnung. (…) Daher richten Wir das Wort an die Regierungen, denen vor allem die Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls obliegt und die so viel zur Wahrung der guten Sitten eurer Völker beitragen können: Duldet niemals, dass die guten Sitten eurer Völker untergraben werden; verhindert unter allen Umständen, dass durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen“ (sel. Paul VI., Humanae Vitae, Nr. 22-23).
Wir schließen dieses Dokument mit dem Hinweis, dass die Familie von Nazareth das Vorbild für die Familie schlechthin ist, weil sie die Gemeinschaft der Liebe verwirklicht, die die wahre und heilige Aufgabe der Familie ist. Zur Rettung der Familie haben die Päpste die Andacht zum heiligsten Herzen Jesu empfohlen. Wenn dieser Empfehlung Folge geleistet wird, wird Gott den Familien in Not mit Seiner allmächtigen Gnade zu Hilfe kommen, die Muttergottes wird ihnen beistehen mit mütterlichem Schutz, und die Kirche wird ihnen helfen mit Wort und Gebet, mit den Sakramenten und mit aktiver Nächstenliebe.
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"Ich glaube, dass diese Broschüre wegen der Klarheit ihres theologischen Ansatzes aber auch wegen der beeindruckenden Klarheit und Treue seiner Interpretation der lehramtlichen Tradition über die Familie, ein kostbares Instrument sein kann, den Gläubigen zu helfen, die Prüfung, die diese innerkirchliche Debatte darstellt und die nicht immer frei und besonnen verläuft, zu erleben als eine Gelegenheit, im Glauben zu reifen. Der einzige Grund für diese Prüfungen, die Gott erlaubt und denen alle Gläubigen unterworfen sind, ist in der Tat das Reifen im Glauben, angefangen bei den Demütigsten, das heißt, den heiligsten. Mit meinen besten Wünschen für eine weite Verbreitung." (S.E. Luigi Negri, Erzbischof von Ferrara-Comacchio, Abt von Pomposa, Italien).
"Mit meiner vollen Unterstützung ermutige ich die Veröffentlichung und Verbreitung des Buches "Vorrangige Option für die Familie - 100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode". Dies kann ein hilfreiches Instrument sein für alle Leser, die die Erklärung von Gaudium et Spes (Nr. 47) ernst nehmen, nämlich, dass "das Wohl der Person sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft zuinnerst mit einem Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden ist"". (S.E. Anthony Sablan Apuron, OFM Cop., D.D. Erzbischof von Agana ([GUAM, USA]).
"Die Broschüre "Vorrangige Option für die Familie - 100 Fragen und 100 Antworten im Zusammenhang mit der Synode" ist von großem Nutzen, weil sie mittels einer soliden Doktrin die Antworten auf die drängenden Probleme gibt, denen die moderne Familie ausgesetzt ist. Die gewählte Methode von "Frage und Antwort" für dieses Vademecum erlaubt es dem interessierten Leser, schnell Antworten auf gestellte Fragen zu finden, was den Gebrauch sehr vereinfacht:' (S.E. Tadeusz Kondrusiewicz, Erzbischof von Minsk, Weißrussland).
"Ich bin überzeugt, mit der Empfehlung der Lektüre dieser Broschüre "Vorrangige Option für die Familie" ein gutes Werk zu tun. Möge die göttliche Vorsehung ihre weite Verbreitung begünstigen. Ein Werk zu diesem Thema ist notwendig geworden. Mit der Darlegung von theologischen, moralischen und klugen pastoralen Argumenten wird dieses Heft ein Lichtstrahl sein in dieser Zeit, in der so viele Faktoren diese Keimzelle der Gesellschaft bedrohen. Allen Lesern wünsche ich von nun an, dass Unsere Liebe Frau vom Guten Erfolg ihnen reichliche Gnaden schenken möge, und erteile ihnen gern meinen bischöflichen Segen." (S.E. Patricio Bonilla Bonilla OFM, Apostolischer Vikar von San Cristóbal, Galápagos, Ecuador).