Alfons Maria von Liguori: Das große Mittel des Gebetes

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Das große Mittel des Gebetes
Kirchenlehrer Alfons Maria von Liguori, verfasst 1756 bis 1759

Das große Mittel des Gebetes, Vollständige deutsche Erstübersetzung durch Pater Paul Suso Holdener CSSR, NIKA Verlag 1998, Postfach 2475, 84000 Landshut, S. 1-252 (330 Seiten, 1. Auflage, ISBN 3-00-003671-7, mit freundlicher Genehmigung des Nika Verlages für Kathpedia vom 13. April 2021. Alfons hält dieses Buch für sein wichtigstes Werk und möchte es jedem Christen in die Hand geben.

Betende Hände - Albrecht Dürer

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung des Übersetzers

Bei dem vorliegenden Nachdruck wird die kritische Ausgabe, die der Redemptorist Giuseppe Cacciatore besorgte und die im Verlag für Geschichte und Literatur, 1962 zu Rom herausgegeben wurde, benutzt.

Es sind einzelne Veränderungen vorgenommen, um den Text etwas lesbarer zu machen: so etwa wurden die sehr zahlreichen Stellen in Latein auf deutsch wiedergegeben; was die Bibelstellen angeht, so wurden sie aus dem jeweiligen inspirierten Urtext übersetzt, außer an jenen Stellen, wo Alfons eine davon abweichende Deutung gegeben hat. Sodann wurde der textkritische Apparat der zugrunde gelegten Ausgabe weggelassen, da ich nicht für die Wissenschaftler, sondern für die einfachen Leute übersetze.

Im Anschluss wurden noch ein paar dem Werk näherstehende kleinere Werke des heiligen Alfons mitübersetzt, da sie das Anliegen dieses Werkes vom großen Mittel des Gebetes zu vertiefen vermögen.

(Pater Paul Suso Holdener)

WIDMUNG DES WERKES AN JESUS UND MARIA

O Mensch gewordenes WORT, du hast dein Blut und dein Leben hingegeben, um unserm Beten so hohen Wert zu erlangen (wie du es uns ja bereits verheißen hattest), dass es alles zu erringen vermag, was wir erbitten. Doch wir, o Gott, sind leider so nachlässig um unser Heil besorgt, dass wir von dir nicht einmal die Gnaden erflehen wollen, deren wir bedürfen, damit wir gerettet werden! Du aber hast uns mit diesem gewaltigen Mittel des Gebetes den Schlüssel zu all deinen göttlichen Schatztruhen gegeben, und wir, um nicht beten zu müssen, wir wollen so armselig bleiben, wie wir es sind! Ach, Herr, erleuchte uns und lass uns erkennen, wie viel unsere Bittgebete, die wir in deinem Namen und aufgrund deiner Verdienste verrichten, bei deinem ewigen Vater vermögen. Dir weihe ich dieses mein Büchlein, segne du es und bewirke, dass all jene, die es in die Hände nehmen werden, Lust bekommen, allzeit zu beten, und dass sie sich dafür einsetzen, auch die anderen dafür zu entflammen, damit sie sich dieses große Mittel für ihr Heil nutzbar machen.

Auch dir Maria, du liebe Mutter Gottes, empfehle ich dieses mein Werklein an: ja beschütze du es, indem du all jenen, die es lesen werden, den Geist des Gebetes erlangst, damit sie allezeit und in all ihren Bedürfnissen zu deinem Sohne und zu dir ihre Zuflucht nehmen, die du die Ausspenderin der Gnaden und die Mutter der Barmherzigkeit bist, und die du keinen, der sich dir anempfiehlt, unbefriedigt zu entlassen vermagst, vielmehr bist du die mächtige Jungfrau, die von Gott für ihre Diener alles bekommt, was du erbittest.

<centerAN JESUS CHRISTUS, DAS MENSCH GEWORDENE WORT
Du Geliebter des ewigen Vaters,
Du vom Herrn Gesegneter,
Urheber des Lebens,
König der Herrlichkeit
Heiland der Welt,
Du von den Heiden Ersehnter,
Du Sehnsucht der ewigen Hügel,
Du himmlisches Brot,
Du Richter des Weltalls,
Du Mittler zwischen Gott und den Menschen,
Du Lehrmeister der Tugenden,
Du Lamm ohne Makel,
Du Mann der Schmerzen,
Du ewiger Priester und Opferlamm der Liebe,
Du Hoffnung der Sünder,
Du Quell der Gnaden,
Du guter Hirt,
Du in die Seelen Verliebter,

dir weiht der Sünder Alfons dies Werk.

ERSTER TEIL

Einleitung die man lesen sollte

Verschiedene geistliche Werke habe ich ans Licht gebracht, doch ich denke, dass ich kein nützlicheres Werk verfasst habe als dieses Büchlein, in dem ich vom Gebet spreche, weil dieses ein notwendiges und sicheres Mittel ist, um das Heil zu erlangen und alle Gnaden, die man dafür braucht. Ich habe zwar nicht die Möglichkeit dazu, doch wenn ich könnte, so möchte ich von diesem Büchlein so viele Abdrucke drucken lassen, als es an Gläubigen, die da auf der Erde leben, insgesamt gibt, und sie an jeden austeilen, damit jeder die Notwendigkeit des Betens begreift, die für uns alle besteht, um gerettet zu werden.

Dies sage ich, weil ich einerseits diese absolute Notwendigkeit des Betens einsehe, die andrerseits von allen Heiligen Schriften und von allen heiligen Vätern eingehämmert wird. Und dem gegenüber sehe ich, dass die Christen sich wenig befleißigen, dieses große Mittel zu ihrem Heil in die Tat umzusetzen. Und was mich am meisten betrübt, ich sehe, dass die Prediger und die Beichtväter sich wenig befleißigen, zu ihren Hörern und Beichtkindern davon zu sprechen; und ich sehe, dass auch die geistlichen Bücher, die ihnen heutzutage durch die Hände gehen, auch nicht genug davon sprechen. Wo doch alle Prediger und Beichtväter und alle Bücher nichts anderes mit mehr Nachdruck und Wärme einhämmern sollten als dieses Anliegen des Betens. Diese Leute regen zwar die Seelen zu gar vielen guten Mitteln an, um sich in der Gnade Gottes zu erhalten, wie das Meiden der nächsten Gelegenheit, das häufigen Empfangen der Sakramente, das den Versuchungen Widerstand leisten, das Anhören des Wortes Gottes, das Betrachten der ewigen Wahrheiten, und andere Mittel, sie alle sind (das ist nicht zu leugnen) sehr nützlich. Aber wozu dienen, sage ich, die Predigten, die Betrachtungen und all die andern Mittel, welche die geistlichen Lehrmeister angeben, ohne das Gebet, wenn doch der Herr erklärt hat, dass er die Gnaden nur dem gewähren will, der betet? «Bittet und ihr werdet empfangen» Joh 16,24. Ohne das Gebet (wir reden hier gemäß der gewöhnlichen Vorsehung) werden alle Betrachtungen, die man hält, all unsere Vorsätze und all unsere Versprechen zwecklos bleiben. Wenn wir nicht beten, dann werden wir allen von Gott empfangenen Erleuchtungen immer untreu bleiben, und allen von uns gemachten Versprechen. Der Grund dafür ist, weil, um jetzt das Gute zu tun, um die Versuchungen zu überwinden, um die Tugenden zu üben, letztlich um die göttlichen Vorschriften und Ratschlüsse zu beobachten, die von uns empfangenen Erleuchtungen und Überlegungen und die von uns gemachten Vorsätze nicht genügen, sondern es außerdem die aktuelle Hilfe Gottes braucht. Und der Herr gewährt diese aktuelle Hilfe (wie wir später sehen werden), nur jenem, der betet, und der beharrlich betet. Die empfangenen Erleuchtungen, die Überlegungen und die gefassten guten Vorsätze, dienen dazu, dass wir in den Gefahren und Versuchungen, das göttliche Gesetz zu übertreten, derzeit beten und mit dem Gebet die göttliche Hilfe erlangen, die uns dann vor der Sünde bewahrt, wenn wir dann jedoch nicht beten, werden wir verlorengehen.

Ich habe, lieber Leser, diese meine Ansicht allem, was ich später schreiben werde, vorausschicken wollen, damit du dem Herrn dankst, dass er dir durch die Vermittlung dieses meines Büchleins die Gnade schenkt, aufgrund dessen tiefere Überlegungen über die Wichtigkeit dieses großen Mittels des Gebetes zu machen. Denn all jene, die gerettet werden (dabei rede ich von den Erwachsenen), werden gewöhnlich durch dieses einzige Mittel gerettet. Und deshalb betone ich, sagt Gott dafür Dank, da dies eine ganz große Barmherzigkeit ist, die er all jenen erweist, denen er die Erleuchtung und die Gnade zu beten schenkt. Ich hoffe, dass du, mein geliebter Bruder, nachdem du dieses mein kurzes Werklein gelesen haben wirst, dass du von heute an nicht mehr nachlässig sein wirst, allzeit mit dem Gebet zu Gott deine Zuflucht zu nehmen, wenn du versucht sein wirst, ihn zu beleidigen. Wenn du dich jemals in der Vergangenheit mit einem von vielen Sünden belasteten Gewissen vorgefunden hast, dann sollst du verstehen, dass der Grund dafür der folgende gewesen ist, dass du unterlassen hast, zu beten und bei Gott die Hilfe zu suchen, um den Versuchungen zu widerstehen, die dich bedrängt haben. Ich bitte dich einstweilen, es mit der ganzen Aufmerksamkeit zu lesen und immer wieder zu lesen, nicht etwa weil es ein Werk von mir ist, sondern weil es ein Mittel ist, das der Herr dir darreicht zugunsten deines ewigen Heiles. Und damit gibt er dir auf eine besondere Weise zu verstehen, dass er dich gerettet sehen will. Und wenn du es gelesen hast, bitte ich dich, es andern zum Lesen zu geben (so gut du es vermögen wirst), Freunden oder Landsleuten, mit denen du dich unterhalten wirst. Somit beginnen wir im Namen des Herrn.

Der Apostel schrieb an Timotheus: «Ich ermahne dich also zu allererst, Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen zu verrichten» 1 Tim 2,1. Der heilige Thomas, der Engelgleiche, erklärt, dass das Beten eigentlich das Erheben des Sinnes zu Gott ist. Das Bitten ist sodann eigentlich ein Beten, das man Fordern (postulazione) nennt, wenn die Bitte ganz bestimmte Dinge enthält. Wenn es aber um unbestimmte Dinge geht (wie etwa wenn wir sagen: «O Gott, komm mir zu Hilfe») nennt man es, Flehruf (supplica). Das inständige Bitten (obsecrazione) ist ein frommes Beschwören, oder ein Herbeirufen von Zeugen (contestazione), um die Gnade zu erlangen, wie etwa wenn wir sagen: "Durch dein Kreuz und dein Leiden erlöse uns, O Herr". Schließlich das Dank sagen ist das Danken für empfangene Wohltaten, womit wir verdienen, wie der heilige Thomas sagt, neue größere Wohltaten zu empfangen. Das Beten im eigentlichen Sinn (sagt der heilige Kirchenlehrer) bezeichnet das Zufluchtnehmen zu Gott, aber in allgemeiner Bedeutung enthält es alle andern Teilbegriffe, die wir oben erwähnt haben. Und in diesem Sinne werden wir es auffassen, wobei wir es von nun an mit der Bezeichnung Gebet oder Beten benennen werden.

Um sodann dieses große Mittel unseres Heiles, welches das Gebet ist, lieb zugewinnen, muss man vor allem erwägen, wie sehr es für uns notwendig ist, und wie viel es vermag, um uns alle Gnaden zu erlangen, die wir von Gott ersehnen, wenn wir sie zu erbitten verstehen, wie es sich gehört. Somit werden wir in diesem ersten Teil zuerst von der Notwendigkeit und vom Wert des Gebetes sprechen und sodann von den Bedingungen desselben, damit es wirkkräftig werde vor Gott. Im zweiten Teil werden wir dann beweisen, dass die Gnade zu beten allen gegeben wird. Und dabei wird dann die Art und Weise behandelt werden, wie die Gnade gewöhnlich wirkt.

I. VON DER NOTWENDIGKEIT DES GEBETES

§ 1. DAS GEBET IST ALS EINZIGES MITTEL HEILSNOTWENDIG

Es war schon ein Irrtum der Pelagianer zu behaupten, dass das Gebet nicht notwendig sei, um das Heil zu erlangen. Es sagte nämlich ihr gottloser Lehrer Pelagius, dass der Mensch nur insofern verloren gehe, als er es unterlasse, die zu wissen notwendigen Wahrheiten kennen zu lernen. Doch eine wichtige Sache hat dabei der heilige Augustin gesagt: "Über alles will er mitreden; nur nicht beten". Pelagius wollte über jeden andern Gegenstand verhandeln, außer über das Gebet, das ja das einzige Mittel ist (wie der Heilige festhielt und lehrte), um das Wissen der Heiligen zu erwerben gemäß dem, was schon der heilige Jakobus geschrieben hat: «Wenn es jemandem von euch an Weisheit fehlt, erbitte er sie von Gott, der allen großzügig und ohne Widerrede gibt» Jak 1,5.

Sehr deutlich sind die Heiligen Schriften, die uns einsehen lassen, dass wir zu beten nötig haben, wenn wir gerettet werden wollen. «Er sprach zu ihnen über die Notwendigkeit, dass sie allzeit beten und nicht nachlassen» Lk 18,1; «Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet» Mt 26,41; «Bittet und es wird euch gegeben werden» Mt 7,7.

Die oben genannten Worte: "Notwendigkeit, betet, bittet", wie sie die Theologen allgemein (verstanden wissen) wollen, bedeuten und bringen mit sich ein Gebot und eine Notwendigkeit. Wyclif sagte, dass diese Texte nicht so sehr vom Gebet, sondern nur von der Notwendigkeit der guten Werke zu verstehen seien, so dass das Beten in seinem Sinn nichts anderes sei, als Gutes zu tun; doch das war sein Irrtum und der wurde ausdrücklich von der Kirche verurteilt. Daher schrieb der gelehrte Leonhard Lessius, man könne nicht leugnen, ohne im Glauben zu irren, dass das Beten für die Erwachsenen notwendig sei, um gerettet zu werden; dabei steht es offensichtlich aus der Heiligen Schrift fest, dass das Gebet das einzige Mittel ist, um die zum Heil notwendige Hilfe zu erlangen.

Der Grund dafür ist klar. Ohne die Hilfe der Gnade vermögen wir nichts Gutes zu tun. «Ohne mich könnt ihr nichts tun» Joh 15,5. Der heilige Augustin bemerkt zu diesen Worten, dass Jesus Christus nicht sage, dass man nichts vollbringen könne, sondern nichts tun. Damit gibt uns unser Heiland zu verstehen, dass wir ohne die Gnade nicht einmal das Gute zu tun beginnen können. So schrieb der Apostel, dass wir von uns aus, nicht einmal gewünscht haben können, es zu tun: «Nicht dass wir von uns selber aus fähig sind, etwas zu beurteilen, als käme es von uns, sondern unsere Fähigkeit stammt von Gott» 2 Kor 3,5. Wenn wir also nicht einmal an das Gute denken können, um so weniger vermögen wir es zu begehren. Dasselbe deuten uns so viele andere Schriftstellen an: «Es ist derselbe Gott, der alles in allen wirkt» 1 Kor 12,6; «Ich bewirke, dass ihr nach meinen Gesetzen lebt und auf meine Gebote achtet und sie in die Tat umsetzt» Ez 36,27. So dass der Mensch, wie der heilige Leo der Erste beim 2. Konzil von Orange gelehrt hat, nichts Gutes tut, außer dem, was Gott ihm zu tun gewährt. Daher sagte das Konzil von Trient in der 6. Sitzung, im Kanon 3: "Wer behauptet, der Mensch könne glauben, hoffen, lieben oder seine eigenen Sünden bereuen, wie es sich gehört, um die Gnade der Rechtfertigung zu erlangen, ohne dass ihm der Heilige Geist mit seiner Eingebung und mit seiner Hilfe zuvorkomme, der sei ausgeschlossen".

Der Verfasser des unvollendeten Werkes, wo er von den Tieren redet, sagt, dass der Herr die einen mit (raschem) Lauf versehen, andere mit Krallen, andere mit Flügeln, damit sie so ihr Dasein bewahren können; doch den Menschen hat er so gestaltet, dass Gott selber dessen Wirkkraft sei. Somit ist der Mensch durchaus nicht in der Lage, sich sein Heil selber zu besorgen, da Gott gewollt hat, dass er alles, was er hat und haben kann, allein durch die Hilfe seiner Gnade bekomme.

Doch diese Hilfe der Gnade gewährt der Herr auf dem Wege der gewöhnlichen Vorsehung nur dem, der betet gemäß dem berühmten Ausspruch des Gennadius (von Marseille): «Wir glauben, dass niemand zum Heil gelangt, wenn Gott ihn nicht lockt; und niemand wird zu seinem Heil gelockt ohne die Hilfe Gottes; keiner wird die Hilfe verdienen, wenn er nicht betet».

Angenommen also einerseits, dass wir ohne die Hilfe der Gnade nichts vermögen; angenommen andrerseits, dass solche Hilfe gewöhnlich von Gott nicht gewährt wird, außer dem, der betet, wer sieht da nicht ein, dass sich daraus in der Folge ableiten lässt, dass das Gebet für uns absolut zum Heil notwendig ist? Es ist wahr, dass die ersten Gnaden, die uns zukommen ohne irgendein Mitwirken von unsrer Seite, wie die Berufung zum Glauben oder zur Buße, sagt der heilige Augustin, Gott auch denen gewährt, die nicht beten; so hält der Heilige nichtsdestoweniger für gewiss, dass die andern Gnaden (zumal die Gnade der Beharrlichkeit) nicht gewährt werden außer dem, der betet: "Gott gewährt Gnade auch jenen, die nicht beten, wie den Anfang des Glaubens; doch andere Gnaden, wie die Beharrlichkeit bis ans Ende, hat er nur für die Betenden bereit gehalten".

Daher kommt es, dass die Theologen allgemein mit dem heiligen Basilius, dem heiligen Johannes Chrysostomus, Klemens von Alexandrien und anderen, sowie mit dem heiligen Augustin lehren, dass für die Erwachsenen das Gebet notwendig ist, und zwar nicht nur mit der Notwendigkeit eines Gebotes, wie wir gesehen haben, sondern auch eines Mittels, was besagen will, dass es für einen Gläubigen, ohne sich Gott anzuempfehlen, bei der gewöhnlichen Vorsehung mit einem sich Bemühen um die zum Heile notwendigen Gnaden, unmöglich ist, dass er gerettet wird. Dasselbe lehrt der heilige Thomas, indem er sagt: "Nach der Taufe ist für den Menschen beharrliches Gebet notwendig, damit er in den Himmel eingehen kann. Denn wenn auch die Taufe alle Sünden nachlässt, so bleibt dennoch der Stachel der Sünde, der uns innerlich zum Bösen anspornt, die Welt und die Dämonen, die uns äußerlich anfechten". Der Grund also, der uns nach dem Engelgleichen die Gewissheit gibt, dass wir das Gebet nötig haben, der ist kurz gesagt, folgender: Wir müssen, um gerettet zu werden, kämpfen und siegen: «Auch wenn einer zum Wettkampf antritt, empfängt er den Kranz nicht, wenn er nicht nach den Spielregeln gekämpft hat» 2 Tim 2,5. Beim Zusammenstoß können wir ohne göttliche Hilfe den Kräften so vieler und derartiger Feinde nicht Widerstand leisten: nun aber wird diese göttliche Hilfe nur aufs Gebet hin gewährt: somit gibt es keine Rettung ohne das Gebet.

Dass dann das Gebet das einzige gewöhnliche Mittel sei, um die göttlichen Gaben zu empfangen, das bestätigt noch deutlicher derselbe heilige Lehrer an einer andern Stelle, wo er sagt, dass der Herr alle Gnaden, die er seit Ewigkeit uns zu geben bestimmt hat, uns durch kein anderes Mittel als durch das Gebet geben will. Und dasselbe schreibt der heilige Gregor: "Wenn die Menschen beten, dann machen sie sich würdig, das zu empfangen, was Gott ihnen seit Ewigkeit zu schenken verfügt hat". Der heilige Thomas sagt nicht etwa, das Beten sei nötig, damit Gott unsere Bedürfnisse erkenne, sondern damit wir das Bedürfnis begreifen, das wir haben, zu Gott unsere Zuflucht zu nehmen, um die passenden Hilfen zu bekommen, damit wir gerettet werden und damit wir ihn dadurch als den einzigen Urheber all unsrer Güter anerkennen: "Damit wir anerkennen, dass er der Urheber alles Guten für uns ist, in dem Augenblick, in welchem wir angespornt werden, um die göttliche Hilfe zu bitten". Wie also der Herr bestimmt hat, dass wir mit Brot versorgt würden, wenn wir Korn säen, und mit Wein, wenn wir Weinstöcke pflanzen; so hat er gewollt, dass wir die zum Heil notwendigen Gnaden mittels des Gebetes empfangen, indem er sagte: «Bittet und es wird euch gegeben werden; suchet und ihr werdet finden» Mt 7,7.

Wir sind im Grunde nichts anderes als arme Bettler, die nur soviel haben, als uns Gott als Almosen gibt. «Ich bin arm und gebeugt» Ps 40,18. Der Herr will uns seine Gnaden austeilen, sagt der heilige Augustin, aber er gibt sie nur dem, der darum bittet. Er erklärt sich dazu, wenn er sagt: «Bittet und es wird euch gegeben werden». Suchet, und es wird euch zuteil werden; folglich sagt die heilige Teresa, wer nicht sucht, bekommt nichts. Wie die Feuchtigkeit den Pflanzen nötig ist, um zu leben und nicht auszutrocknen, so sagt der heilige Chrysostomus, haben wir das Gebet nötig, um gerettet zu werden. An andrer Stelle sagt derselbe Heilige, dass, wie die Seele dem Leib Leben verleiht, so das Gebet die Seele am Leben erhält: "Wie der Leib, ohne die Seele, nicht leben kann, so ist die Seele ohne Gebet tot und verströmt einen schlimmen Gestank". Ja, er sagt: "Sie verströmt einen schlimmen Gestank", denn wer aufhört, sich Gott anzuempfehlen, beginnt sogleich von Sünden zu stinken. Man nennt das Gebet auch Speise der Seele, weil wie der Leib sich ohne Speise nicht zu erhalten vermag, so vermag sich die Seele ohne Gebet (sagt der Heiligen Augustin) nicht am Leben zu erhalten: "Wenn mit Speisen der Leib ernährt wird, so wird der innere Mensch durch das Gebet genährt". All diese Vergleiche, welche diese heiligen Väter anführen, bezeichnen die absolute Notwendigkeit zu beten, die für uns in allen Dingen besteht, wie diese Väter lehren, um das Heil zu erlangen.

§ 2. OHNE GEBET IST ES UNMÖGLICH, DER VERSUCHUNG ZU WIDERSTEHEN UND DIE GEBOTE ZU BEOBACHTEN

Das Gebet ist außerdem die unerlässlichste Waffe, um uns gegen die Angriffe der Feinde zu verteidigen; wer sich deren nicht bedient, sagt der heilige Thomas, ist verloren. Der Heilige zweifelt nicht daran, dass Adam deshalb gefallen ist, weil er sich Gottes Hilfe nicht anempfohlen hat, als er versucht wurde. Und dasselbe schrieb der heilige Gelasius, als er von den aufrührerischen Engeln sprach: "Indem sie die Gnade Gottes ins Leere fallen ließen, weil sie nicht beteten, vermochten sie nicht zu bestehen". Der heilige Karl Borromäus warnt in einem seiner Hirtenbriefe, dass unter allen Mitteln, die uns Jesus Christus im Evangelium anempfohlen hat, er dem Gebet den ersten Platz eingeräumt hat; und darin wollte er, dass sich seine Kirche und Religion von allen Sekten dadurch unterscheide, dass sie eigens Haus des Gebetes genannt würde: «Mein Haus ist ein Haus des Gebetes» Mt 21,13. Der heilige Karl schließt dann den oben genannten Brief damit, dass das Gebet "Anfang, Fortschritt und Vollendung jeder Tugend" sei. Somit haben wir in der Finsternis, in den Nöten und Gefahren, in denen wir uns befinden, nichts anderes, worauf wir unsere Hoffnungen stützen können, als unsere Augen zu Gott zu erheben und von seiner Barmherzigkeit durch das Gebet unser Heil zu erflehen: «Wir wissen nicht, was wir tun sollen» (sagt der König Joschafat); «es bleibt uns nur, auf dich unsere Augen zu richten» 2 Chr 20,12. Und so brachte es auch David zur Anwendung, denn ein anderes Mittel fand er nicht, um nicht die Beute seiner Feinde zu werden, als fortwährend zum Herrn zu beten, er möge ihn von ihren Nachstellungen befreien: «Immerdar halte ich meine Augen auf den Herrn hingewendet, denn er befreit meine Füße aus dem Netz» Ps 25,15. Somit tat er nichts anderes, als beten, indem er sprach: «Wende dich mir zu und erbarme dich meiner, denn einsam bin ich und arm» Ps 25,16. «Ich rufe zu dir; errette mich, ich will deinen Vorschriften folgen» Ps 119,146. Herr, wende deine Augen mir zu, hab Erbarmen mit mir und rette mich: denn ich vermag nichts, und außer dir habe ich niemand, der mir helfen kann.

Und in der Tat, wie könnten wir den Kräften der vielen Feinde widerstehen und die göttlichen Gebote beobachten, zumal nach der Sünde unseres ersten Vaters Adam, die uns so hinfällig und schwach gemacht hat, wenn wir nicht das Mittel des Gebetes hätten, durch das wir vom Herrn bereits das Licht und hinreichende Kraft erflehen können, um sie zu beobachten? Es war bereits eine Lästerung, was Luther gesagt hat, nämlich nach der Sünde Adams sei den Menschen das Beobachten des göttlichen Gesetzes absolut unmöglich gemacht worden. Jansenius hatte noch gesagt, dass einige Gebote auch für die Gerechten unmöglich geworden seien, gemäß den derzeitigen Kräften, die sie besitzen; und bis dahin hätte man sie in günstigem Sinn auslegen können; doch sie wurde gerechterweise von der Kirche verurteilt, wegen dessen, was er dann hinzufügte, indem er sagte, dass dem Menschen auch noch die göttliche Gnade fehle, um ihm die Erfüllung der Gebote zu ermöglichen. Es ist wahr, sagt der heilige Augustin, dass der Mensch durch seine Schwäche einige Gebote mit den gegenwärtigen Kräften und mit der gewöhnlichen oder allen gemeinsamen Gnade noch nicht erfüllen kann, aber er kann durch das Gebet sehr wohl grössere Hilfe bekommen, die er benötigt, um sie zu beobachten: "Gott befiehlt keine unmöglichen Dinge, sondern, indem er befiehlt, ermahnt er, man solle das tun, was man kann, und solle das erbitten, was man nicht kann; während ER hilft, damit man kann". Berühmt ist dieser Text des Heiligen, der sodann vom Trienterkonzil (in der 6. Sitzung im 11. Kapitel) übernommen und zum Glaubensdogma erklärt wurde. Und dort fügte der heilige Lehrer sogleich hinzu: "Wir sehen also, warum es dem Menschen mit dem Heilmittel gelingt, das zu tun, was er mit seiner Schwäche nicht vermochte". Und er will sagen, dass wir mit dem Gebet das Heilmittel gegen unsere Schwäche erlangen, denn wenn wir beten, gibt uns Gott die Kraft, das zu tun, was wir aus uns nicht vermögen.

Wir dürfen nicht schon meinen, fährt der heilige Augustin zu reden fort, dass der Herr uns die Beobachtung des Gesetzes hat auferlegen wollen, und dass er uns dann ein unmögliches Gesetzes auferlegt hat; und darum sagt uns der Heilige, dass während Gott uns erkennen lässt, dass wir unfähig sind, alle seine Gebote zu beobachten, ermahnt er uns, die leichten Dinge mit der gewöhnlichen Gnade, die er uns gibt, zu tun, und sodann die schwierigen Dinge mit der größeren Hilfe zu tun, die wir durch das Gebet erflehen können. Aber warum (wird manch einer sagen) hat uns Gott Dinge befohlen, die für unsere Kräfte unmöglich sind? Eben deswegen, sagt der Heilige, damit wir erwarten, dass wir durch das Gebet die Hilfe erhalten, um das zu machen, was wir nicht vermögen. Und an einer andern Stelle: "Das Gesetz wurde auferlegt, damit man die Gnade erbitte, und die Gnade wird gewährt, damit das Gesetz erfüllt werde". Man kann das Gesetz nicht beobachten ohne die Gnade, und Gott hat das Gesetz zu diesem Zweck gegeben, damit wir ihn unablässig flehentlich bitten, uns die notwendige Gnade zu geben, um es zu beobachten. An einer andern Stelle sagt er: "Das Gesetz ist eine gute Sache, wenn man davon einen rechtmäßigen Gebrauch macht. Doch was bedeutet: rechtmäßig das Gesetz gebrauchen?" Und er antwortet: "Die eigenen Krankheiten durch dieses erkennen und die göttliche Hilfe erflehen, um geheilt zu werden". Der heilige Augustin sagt also, dass wir uns des Gesetzes bedienen sollen, aber wozu? Um durch das Gesetz unser Unvermögen zu erkennen, es zu beobachten, damit wir sodann durch das Gebet die göttliche Hilfe erflehen, die unsere Schwäche heilt.

Dasselbe schrieb der heilige Bernhard, indem er sagte: "Was sind wir und wie beschaffen ist unsere Kraft, damit wir so vielen Versuchungen widerstehen können? Eins wird sicher durch Gott von uns verlangt: dass, wenn wir unser Versagen sehen und es für uns keine andere Hilfe gibt, wir in aller Demut zu seiner Barmherzigkeit Zuflucht nehmen ". Der Herr weiß Bescheid, wie nützlich für uns die Notwendigkeit zu beten ist, um uns in der Demut zu bewahren und um unser Vertrauen zu üben; und deshalb erlaubt er, dass uns für unsere Kräfte unüberwindliche Feinde bestürmen, damit wir durch das Gebet von seiner Barmherzigkeit die uns fehlende Hilfe zum Widerstehen erlangen.

Besonders soll man davon überzeugen, dass niemand den unreinen Versuchungen des Fleisches widerstehen kann, der sich nicht Gott anempfiehlt, wenn er versucht wird. Das Fleisch ist eine so schreckliche Feindin, dass wenn sie uns angreift, sie uns jedes Licht wegnimmt; sie lässt uns alle Betrachtungen und die dabei gefassten guten Vorsätze vergessen, und sie lässt uns sogar die Wahrheiten des Glaubens missachten, ja selbst die Furcht vor den göttlichen Strafen verlieren: denn sie verschwört sich mit der natürlichen Neigung, die uns mit ärgster Gewalt von da aus zu den sinnlichen Vergnügen hintreibt. Wer dann nicht seine Zuflucht zu Gott nimmt, der ist verloren. Die einzige Verteidigung gegen diese Versuchung ist das Gebet, so sagt der heilige Gregor von Nyssa: "Das Gebet ist die Verteidigung der Reinheit". Und schon Salomo hat es vor ihm gesagt: «Da ich wusste, dass ich sie anders nicht bekommen würde, wenn Gott sie mir nicht gewährte wandte ich mich an den Herrn und betete zu ihm von ganzem Herzen» Weish 8,21. Die Keuschheit ist eine Tugend, die zu beobachten, wir nicht die Kraft haben, wenn Gott sie uns nicht gewährt, und Gott gewährt diese Kraft nur dem, der um sie bittet. Doch wer um sie bittet, wird sie sicher bekommen.

Deshalb sagt der heilige Thomas, was gegen den Irrtum des Jansenius ist, dass wir nicht sagen dürfen, das Gebot der Keuschheit oder irgendein anderes Gebot sei für uns unmöglich, denn alles, was wir aus unsern eigenen Kräften nicht zu beobachten vermögen, das können wir nichtsdestoweniger mit der göttlichen Hilfe. Und man soll auch nicht sagen, dass es eine Ungerechtigkeit zu sein scheine, dass man einem Hinkenden befehle, gerade zu gehen; nein, sagt der heilige Augustin, es ist keine Ungerechtigkeit, sooft man ihm den Weg angibt, das Heilmittel zu finden, wodurch sein Mangel behoben wird, dann ist es sein eigener Fehler, wenn er dann weiterhin auf krumme Weise dahergeht.

Schließlich sagt der heilige Lehrer, dass einer nie richtig zu leben wissen wird, wenn er nicht gut zu beten weiß. Und seinerseits sagte der heilige Franz von Assisi, dass man ohne Gebet nie erwarten dürfe, dass in einer Seele irgendeine gute Frucht hervorgebracht werde.

Zu Unrecht entschuldigen sich also jene Sünder, die sagen, sie hätten keine Kraft, um den Versuchungen zu widerstehen. Aber wenn ihr diese Kraft nicht habt (wirft ihnen der heilige Jakobus vor), warum bittet ihr nicht darum? Ihr habt sie nicht, weil ihr sie nicht sucht: «Ihr habt sie nicht, weil ihr sie nicht anfordert» Jak 4,2. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir zu schwach sind, um den Angriffen unsrer Feinde zu widerstehen; aber es ist wiederum sicher, dass Gott treu ist, wie der Apostel sagt, und er lässt nicht zu, dass wir über unsere Kräfte hinaus versucht werden: «Gott ist nämlich treu und er wird nicht zulassen, dass ihr über das, was ihr könnt, versucht werdet, sondern er wird bei der Versuchung den Ausgang bewirken, dass ihr bestehen könnt» 1 Kor 10,13. Primasius erklärt dazu: "Er wird mit seiner Gnade für euch sorgen, damit ihr die Versuchung bestehen könnt". Wir sind schwach, aber Gott ist stark; wenn wir ihn um seine Hilfe bitten, dann teilt er uns seine Stärke mit, und dann werden wir alles vermögen, wie es sich ganz richtig derselbe Apostel verhieß, indem er sagte: «Ich vermag alles in dem, der mich stärkt» Phil4,13. Es gibt also keine Entschuldigung (sagt der heilige Johannes Chrysostomus), für den, der fällt, weil er es unterlässt zu beten, denn, wenn er gebetet hätte, so wäre er nicht von den Feinden besiegt worden.

§ 3. ÜBER DAS ANRUFEN DER HEILIGEN

1. Ist es nützlich, die Heiligen anzurufen?

Hier kommt dann der Zweifel, ob es denn notwendig sei, noch zur Fürsprache der Heiligen seine Zuflucht zu nehmen, um die göttlichen Gnaden zu erlangen. Insofern man sagt, dass es erlaubt und nützlich sei, die Heiligen als Fürsprecher anzurufen, damit sie uns durch die Verdienste Jesu Christi das erflehen, was wir durch unsere Missverdienste nicht zu erlangen würdig sind; das ist Lehre der Kirche, wie das Konzil von Trient erklärt hat (25. Sitzung im Dekret über die Anrufung der Heiligen): "Es ist eine gute und nützliche Sache, demütig die Heiligen anzurufen und zu ihrem Wirken und ihrer Fürsprache Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus die Gnade zu erflehen". Solches Anrufen wurde vom lieblosen (empio) Calvin verurteilt, aber auf eine allzu ungerechte Weise; wenn es erlaubt und vorteilhaft ist, die lebenden Heiligen zu unsrer Hilfe anzurufen und sie zu bitten, dass sie uns mit ihren Gebeten beistehen, wie es der Prophet Baruch tat, der sagte: «Betet zum Herrn, unserem Gott, auch für uns, die wir ihn beleidigt haben» Bar 1,13. Und der heilige Paulus «Brüder, betet für uns» 1 Thess 5,25. Und Gott selber wollte, dass die Freunde Ijobs sich dessen Fürbittgebeten anempfehlen sollten, damit ER ihnen durch die Verdienste Ijobs Huld erweise: «Geht hin zu meinem Knecht Ijob ... ; mein Knecht Ijob soll für euch Fürbitte einlegen, damit ich mit Rücksicht auf ihn euch nichts Schlimmeres antue wegen eurer Torheit» Ijob 42,8. Wenn es also erlaubt ist, sich den Fürbitten der Lebenden anzuempfehlen, warum sollte es nicht erlaubt sein, die Heiligen anzurufen, die sich im Himmel in größerer Nähe Gottes an ihm erfreuen? Das heißt nicht der Ehre, die man Gott schuldet, Abbruch tun, sondern diese verdoppeln, wie es ja auch ein den König Ehren gibt nicht nur in seiner Person, sondern auch in seinen Ministern. So lehrt darum der heilige Thomas, es sei gut, zu mehreren Heiligen seine Zuflucht zu nehmen: "Denn manchmal erlangen die Gebete vieler das, was die Fürbitte eines einzigen nicht erreichen würde". Und wenn da einer sagen würde: Aber was nützt es schon, zu den Heiligen seine Zuflucht zu nehmen, damit sie für uns beten, wo sie doch bereits für all jene beten, die dessen würdig sind? Ihnen antwortet derselbe heilige Lehrer, dass, wenn einer dessen noch nicht würdig wäre, dass die Heiligen für ihn beten, er aber durch diese Tatsache würdig gemacht wird, da er mit Hingabe zu ihnen Zuflucht nimmt.

2. Ist es gut, auch die Seelen im Fegfeuer anzurufen?

Es wird sodann darüber gestritten, ob es angebracht sei, sich den Seelen im Fegfeuer anzuempfehlen. Manche sagen, dass die Seelen im Vorgang der Läuterung nicht für uns beten können, und dabei lassen sie sich verleiten von der Autorität des heiligen Thomas, der da sagt, dass diese Seelen, weil sie im Vorgang der Reinigung durch die Strafen sich befinden, niedriger sind als wir und deshalb "nicht in der Lage sind zu beten, sondern dass sie eher unsrer Gebete bedürfen". Aber viele andere Lehrer, wie Bellarmin, Sylvius, der Kardinal Gotti, Lessius, Medina und andere behaupten mit sehr viel Wahrscheinlichkeit, man solle in frommer Weise glauben, dass Gott diesen Seelen unsere Gebete kundtue, damit diese heiligen Seelen für uns beten, und sich so zwischen uns und ihnen dieser schöne Austausch der barmherzigen Liebe erhalte, nämlich dass wir für sie beten und sie für uns. Und es steht dem nicht im Wege, was der Engelgleiche gesagt hat (wie Sylvius und Gotti lehren), dass die Seelen im Vorgang der Reinigung nicht im Zustand des Betens wären, denn es ist etwas anderes, nicht im Zustand des Betens zu sein, und etwas anderes, nicht beten zu können. Es ist wahr, dass jene heiligen Seelen nicht im Zustand des Betens sich befinden, weil sie (wie der heilige Thomas sagt) am Leiden sind, sind sie uns unterlegen und eher als wir bedürfen sie unsrer Fürbitten; nichtsdestoweniger können sie in solchem Zustand sehr wohl für uns beten, weil sie mit Gott befreundete Seelen sind. Wenn jemals ein Vater seinen Sohn zärtlich liebt, aber ihn eingekerkert hält, um ihn für ein Vergehen zu bestrafen, das dieser begangen hat, so ist dieser Sohn dann zwar nicht schon im Zustand des Betens, aber warum sollte er nicht für andere bitten können? Und nicht erhoffen, das zu erlangen, um was er bittet, wo er doch um die Zuneigung weiß, die sein Vater zu ihm hegt? Da also die Seelen im Fegfeuer gar sehr von Gott geliebt und in der Gnade gefestigt sind, besteht kein Hindernis, das ihnen verbieten könnte, bei ihm für uns zu bitten. Die Kirche pflegt übrigens nicht, sie anzurufen, und ihre Fürbitte zu erflehen, weil diese gewöhnlich unsere Gebete nicht kennen. Doch auf fromme Weise glaubt man (wie es gesagt wurde), dass der Herr ihnen unsere Gebete bekannt gibt, und dann unterlassen es diese sicher nicht, da sie ja voller Liebe sind, für uns zu beten. Als die heilige Katharina von Bologna irgendeine Gnade zu erbitten hatte, nahm sie ihre Zuflucht zu den Seelen im Fegfeuer und sogleich sah sie sich erhört; so bezeugte sie, dass sie viele Gnaden, die sie nicht durch die Fürbitte der Heiligen erlangt hatte, sodann durch die Seelen im Fegfeuer bekommen hatte.

3. Unsere Pflicht, für die Seelen im Fegfeuer zu beten

Doch hier möge man mir erlauben, eine Abschweifung zugunsten dieser heiligen Seelen zu machen. Wenn wir die Hilfe ihrer Gebete erlangen möchten, dann ist es gut, dass wir wiederum darauf achten, ihnen mit unsern Gebeten und Werken zu helfen. Ich sagte, es sei gut, aber man muss auch sagen, dass dies eine unsrer Christenpflichten ist, denn die Liebe fordert, dass wir dem Nächsten zu Hilfe eilen, wenn unser Nächster unsrer Hilfe bedarf, und wir ihm ohne große Unannehmlichkeit helfen können. Nun aber ist es sicher, dass sich die Seelen im Fegfeuer noch unter unsern Nächsten befinden, die, wenn sie auch nicht mehr in dieser Welt leben, nichtsdestoweniger nicht aufhören, in der Gemeinschaft der Heiligen zu sein. Der heilige Augustin sagt: "Die heiligen Seelen der Verstorbenen werden nicht von der Kirche losgetrennt".

Und noch deutlicher erklärt es der heilige Thomas zu unserem Zweck, indem er sagt, dass die Liebe, die man den Verstorbenen schuldet, die in der Gnade ins andere Leben hinübergegangen sind, eine Ausdehnung dieser seIben Liebe sei, die wir unsern lebenden Nächsten schulden: "Die Liebe ist jenes Band, das die Gläubigen als Glieder des einen Leibes miteinander in der Kirche vereint, und sie erstreckt sich nicht nur auf die Lebenden, sondern auch auf die Verstorbenen, die in der Liebe hinscheiden". Daraus folgt, dass wir diesen heiligen Seelen als unsern Nächsten nach unsern besten Möglichkeiten helfen sollen; denn deren Bedürfnisse sind ja noch größer in dieser Hinsicht, so dass unsere Schuldigkeit, ihnen zu Hilfe zu eilen, noch dringender bleibt.

Nun aber in welch großen Nöten befinden sich diese heiligen Gefangenen? Es ist sicher, dass ihre Qualen unermesslich sind. Das Feuer, das sie brennt, sagt der heilige Augustin, ist qualvoller als irgendeine andere Qual, die den Menschen in dieser Welt treffen mag. Und dasselbe vermutet der heilige Thomas, wobei er hinzufügt, dass dies dasselbe Feuer wie das der Hölle sei: "Im selben Feuer wird der Verdammte gequält und der Auserwählte gereinigt". Und dies gilt hinsichtlich der Qual der Sinne, aber viel größer ist dann die Qual der Verdammnis, das Entbehren der Anschauung Gottes, was diese heiligen Bräute Christi niederdrückt; während diese Seelen nicht nur von der natürlichen sondern auch von der übernatürlichen Liebe her, in der sie zu Gott hin brennen, mit solcher Wucht hingezogen werden, sich mit ihrem höchsten Gut zu vereinen, sich dann aber von ihren Vergehen, die noch zu verbüßen bleiben, daran gehindert sehen, empfinden sie eine so heftige Qual, dass wenn jene zu sterben imstande wären, so würden sie jeden Augenblick daran sterben. Folglich quält sie nach dem, was Chrysostomus sagt, diese Strafe der Trennung von Gott unendlich mehr als die Qual der Sinne. Daher kommt es, dass jene heiligen Bräute alle andern Qualen lieber erdulden möchten, als auch nur einen Augenblick von dieser zutiefst ersehnten Vereinigung mit Gott ausgeschlossen zu sein. Es sagt jedoch der engelgleiche Lehrer, dass die Qual der Läuterung jeden Schmerz übersteigt, den man in diesem Leben erleiden kann. Und Dionysius der Kartäuser berichtet, dass ein gewisser Verstorbener, der sodann auf die Fürsprache des heiligen Hieronymus auferweckt wurde, dem heiligen Kyrill von Jerusalem gesagt habe, dass alle Qualen dieser Erde Erleichterungen und Wonnen seien im Vergleich zur kleinsten Strafe, die es im Fegfeuer gibt. Und er fügte hinzu, dass, wenn ein Mensch diese Qualen verkostet hätte, er viel eher alle Schmerzen dieses Lebens erleiden möchte, welche die Menschen bis zum Tage des Gerichtes erduldet haben, als auch nur die kleinste Qual des Fegfeuers während eines einzigen Tages zu erleiden. Daher schrieb der zuvor erwähnte heilige Kyrill, dass jene Qualen hinsichtlich der Härte dieselben sind, wie die in der Hölle; allein darin unterscheiden sie sich voneinander, dass sie nicht ewig sind.

Die Qualen dieser Seelen sind also sehr groß; andrerseits können sie sich nicht selber helfen; «Sie sind», nach dem was Ijob darüber sagt: «in Fesseln geschlagen, gefangen in des Elends Stricken» Ijob 36,8. Sie sind bereits bestimmt zur Königsherrschaft der heiligen Königinnen, aber sie werden solange abgehalten, davon Besitz zu ergreifen, bis das Ende ihrer Läuterung angebrochen ist; somit können sie sich nicht selber helfen (wenigstens hinreichend, wenn wir diesen Lehrern glauben wollen, die da wollen, dass diese Seelen sehr wohl mit ihren Fürbitten einen gewissen Trost erlangen können), um sich aus diesen Ketten zu lösen, solange sie nicht vollständig der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung geleistet haben; wie diesbezüglich aus dem Vorgang der Reinigung ein Zisterziensermönch zum Sakristan seines Klosters gesagt hat: Helft mir (ich bitte darum) mit euren Fürbitten, denn ich kann von mir aus nichts erreichen. Und das gilt, gemäß dem, was der heilige Bonaventura sagt: "Ihre Armut verhindert ihre Befreiung aus den Qualen". Das heißt also, diese Seelen sind so arm, dass sie nichts haben, womit sie Genugtuung leisten.

Da es hingegen sicher ist, sogar aufgrund des Glaubens, dass wir sehr wohl mit unsern Suffragien und vor allem mit unsern Gebeten, die nicht nur auf besondere Weise empfohlen, sondern auch von der Kirche geübt werden, diese heiligen Seelen unterstützen können; so weiß ich nicht, wie von Schuld freigesprochen werden kann, wer es unterlässt, ihnen ein wenig Hilfe darzureichen wenigstens mit seinen Gebeten. Es möge uns wenigstens dazu bewegen, ihnen zu helfen, wenn uns nicht die Pflicht dazu bewegt, die Freude, die man Jesus Christus damit schenkt, wenn er sieht, dass wir uns bemühen, diese seine geliebten Bräute aus der Gefangenschaft zu befreien, damit sie mit ihm im Paradiese vereint seien. Es möge uns schließlich wenigstens das Erwerben großer Verdienste, die wir erlangen können, dazu bewegen, wenn wir diesen großen Akt der Liebe diesen heiligen Seelen gegenüber ausüben: diese sind nämlich sehr dankbar dem gegenüber, und sie anerkennen die große Wohltat, die wir ihnen erweisen, wenn wir sie befreien aus diesen Qualen und ihnen mit unseren Gebeten eine Beschleunigung ihres Eintritts in die Herrlichkeit erreichen; daher werden sie es nicht unterlassen, sobald sie dort angelangt sein werden, für uns zu beten. Und wenn der Herr dem Barmherzigkeit verspricht, der Barmherzigkeit gegen seinen Nächsten übt: «Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen» Mt 5,7, so darf er mit gutem Grund sein Heil erhoffen, wenn er sich befleißigt, diesen heiligen, so sehr betrübten und Gott so teueren Seelen zu helfen. Nachdem Jonathan für die Rettung der Hebräer durch den Sieg gesorgt hatte, den er über die Feinde erlangte, wurde er von seinem Vater Saul zum Tode verurteilt, da er gegen den von ihm erteilten Befehl von dem Honig zu sich genommen; doch das Volk stellte sich vor den König und sagte: «Soll Jonathan sterben, der so viel für die Rettung Israels getan?» 1 Sam 14,45. Genau so sollen wir hoffen, dass, wenn jemals einer von uns durch seine Fürbitten erreicht, dass eine Seele aus der Läuterung herauskommt und ins Paradies hineingeht, diese dankbare Seele zu Gott sagen wird: Herr, erlaube nicht, dass der verlorengeht, der mich aus den Qualen befreit hat. Und wenn Saul dem Jonathan das Leben zugestand, aufgrund der Fürbitten des Volkes, so wird Gott nicht das ewige Heil jenem Gläubigen verweigern aufgrund der Bitten einer Seele, die seine geliebte Braut ist. Außerdem sagt der heilige Augustin, dass für jene, die in diesem Leben am meisten diesen heiligen Seelen geholfen haben, Gott im andern Leben, wenn sie im Vorgang der Läuterung sein sollten, bewirken wird, dass ihnen von den andern mehr Hilfe zuteil wird.

Man nehme hier wahr hinsichtlich der Übung, dass es eine wichtige Fürbitte für die Seelen im Vorgang der Reinigung ist, für sie an der Messe teilzunehmen und sie dabei Gott durch die Verdienste des Leidens Jesu Christi anzuempfehlen, indem man folgendermaßen betet: Ewiger Vater, ich bringe dir dieses Opfer des Leibes und Blutes Jesu Christi dar, mit allen Schmerzen, die er in seinem Leben und bei seinem Sterben erlitten hat; und durch die Verdienste seines Leidens empfehle ich dir die Seelen des Fegfeuers an, im besonderen usw. Und es ist ein Akt großer Nächstenliebe zur seIben Zeit auch die Seelen aller Sterbenden anzuempfehlen.

4. Ist es notwendig, die Heiligen anzurufen?

Das was außerdem im Hinblick auf die Seelen im Vorgang der Reinigung über den Streitpunkt gesagt worden ist, ob sie für uns beten können oder nicht, und ob es uns folglich nütze oder nicht, uns ihren Gebeten anzuempfehlen, findet sicher keine Anwendung im Hinblick auf die Heiligen; denn, was die Heiligen betrifft, darf man nicht daran ,zweifeln, dass es sehr nützlich ist, zu ihrer Fürsprache Zuflucht zu nehmen, wir sprechen dabei von den durch die Kirche bereits heiliggesprochenen Heiligen, die sich bereits der Anschauung Gottes erfreuen. Und dass einer meint, die Kirche könne Fehlentscheidungen treffen, den kann man von Schuld oder Häresie nicht freisprechen, wie es der heilige Bonaventura und Bellarmin und andere vermuten, oder zumindest der Häresie sehr nahe, wie es Suarez, Azor, Gotti und andere vertreten, denn der oberste Hirte wird beim Heiligsprechen zumal der Heiligen vom unfehlbaren Beistand des Heiligen Geistes geleitet, wie der engelgleiche Kirchenlehrer lehrt.

Doch kommen wir zurück auf den Zweifel, den wir weiter oben dargelegt haben, ob auch eine Pflicht besteht, zur Fürsprache der Heiligen Zuflucht zu nehmen. Ich möchte mich nicht darauf einlassen, diesen Punkt zu entscheiden, aber ich kann es nicht unterlassen, eine Lehre des Engelgleichen darzulegen. Er an erster Stelle nimmt an mehreren weiter oben erwähnten Stellen und besonders im Sentenzenkommentar als sicher an, dass jeder zu beten verpflichtet sei; denn auf eine andere Weise kann man von Gott nicht die zum Heil notwendigen Gnaden erlangen, wenn man sie nicht erbittet: "Jeder Mensch ist zu beten verpflichtet aufgrund der einfachen Tatsache, dass er gezwungen ist, sich die geistlichen Hilfen zu verschaffen, die von oben kommen, und die auf keine andere Weise sichergestellt werden können, wenn man sie nicht von Gott erbittet". An einer andern Stelle desselben Buches legt der Heilige genau den Zweifel vor: "muss man zu den Heiligen beten, damit sie für uns Fürsprache einlegen?" Und er antwortet folgendermaßen (um die Meinung des Heiligen richtig erfassen zu lassen, muss der vollständige Text angeführt werden): "Denn es besteht eine göttliche Ordnung, die in den Dingen festgelegt wurde ... damit die entfernteren Dinge zu Gott zurückgeführt würden. Darum fordert die Ordnung der göttlichen Vorsehung, weil die Heiligen im Himmel Gott bereits sehr nahe stehen, dass wir als Pilger im Leib und fern von Gott zum Herrn zurückkehren durch die Fürsprache der Heiligen, und das trifft ein, weil die göttliche Güte fortfährt ihre Wohltaten durch deren Vermittlung auszugießen. Doch unsere Rückkehr zu Gott muss dem Vorgehen seiner Güte uns gegenüber entsprechen und wie die göttlichen Wohltaten durch die Vermittlung der Heiligen zu uns hinkommen, so ist es notwendig, dass wir zu Gott zurückgeführt werden über ein erneutes göttliches Eingreifen durch die Heiligen. Und so kommt es, dass diese als Fürbitter und Vermittler bei Gott für uns eingesetzt sind, wenn wir sie anrufen, damit sie für uns beten". Man möge sich folgende Worte merken: "Die Ordnung der göttlichen Vorsehung fordert"; und dann soll man sich besonders die letzten Worte merken: "und wie die göttlichen Wohltaten durch die Vermittlung der Heiligen zu uns hinkommen, so ist es notwendig, dass wir zu Gott zurückgeführt werden über ein erneutes göttliches Eingreifen durch die Heiligen". Da nach dem heiligen Thomas die Ordnung des göttlichen Gesetzes fordert, dass wir Sterblichen durch die Vermittlung der Heiligen gerettet werden, indem wir durch ihre Vermittlung die zum Heil notwendigen Hilfen empfangen. Und auf den Einwand, den man gegen den Engelgleichen vorbringt, dass es doch überflüssig erscheine, zu den Heiligen Zuflucht zu nehmen, während Gott unendlich viel barmherziger und geneigter ist, uns zu erhören, antwortet er, dass der Herr es so verfügt hat, nicht etwa' aus einem Mangel an seiner Milde, sondern um die richtige, alles umfassende, festgelegte Ordnung zu wahren, durch die Zweitursachen zu wirken.

Und gemäß dem allgemein anerkannten Urteil des heiligen Thomas schreibt der Fortsetzer von Tournely mit Sylvius, dass wenn man auch Gott allein bitten soll als Urheber der Gnaden, so werden wir nichtsdestoweniger angehalten, unsere Zuflucht zur Fürsprache der Heiligen zu nehmen, um die Ordnung zu befolgen, die der Herr im Hinblick auf unsere Rettung festgesetzt hat, das heißt die niedriger Gestellten werden dadurch gerettet, dass sie um die Hilfe der höher Gestellten flehen.

§ 4. DIE FÜRSPRACHE DER LIEBEN MUTTERGOTTES

Und wenn das zutrifft, insofern man von den Heiligen spricht, so muss das noch viel mehr zutreffen bei der Fürsprache der Gottesmutter, deren Gebete sicher mehr bei Gott vermögen als jene des ganzen Paradieses; während der heilige Thomas sagte, dass die Heiligen im Verhältnis des Verdienstes, womit sie die Gnade erworben haben, viele andere retten können; dass aber Jesus Christus, und ebenso seine Mutter für sich so viel Gnade verdient haben, dass sie alle Menschen retten können.

Der heilige Bernhard schrieb, indem er von Maria sprach: "Durch dich haben wir Zutritt zu deinem Sohne, die du Gnade gefunden, o Mutter der Rettung, damit uns Jener durch dich aufnimmt, der uns durch dich geschenkt wurde". Und damit wollte er sagen, wie wir keinen Zutritt zum Vater haben, wenn nicht durch den Sohn, der Mittler von Rechtswegen ist; ebenso haben wir keinen Zutritt zum Sohne, wenn nicht durch die Mutter, die MittIerin aus Gnade ist, und die uns durch ihre Fürsprache die Güter erlangt, die Jesus Christus für uns verdient hat. Und infolge dessen sagt derselbe heilige Bernhard an einer andern Stelle, dass Maria von Gott zwei Gnadenfüllen empfangen hat. Die erste ist die Fleischwerdung des ewigen WORTES gewesen, das in ihrem hochheiligen Mutterschoß Mensch geworden ist. Die zweite ist die Fülle der Gnaden gewesen, die wir durch die Gebete dieser göttlichen Mutter von Gott empfangen. Sodann fügt der Heilige hinzu: "Gott hat in Maria die Fülle alles Guten niedergelegt, damit wir anerkennen, wenn es in uns irgendwelche Hoffnung auf Gnade, auf Rettung gibt, dass sie von ihr herkommt, die wie ein Gestirn aufgeht, überströmend von Milde. Einem wohlriechenden Garten, aus dem hervor fließen und strömen, wie wohlriechende Edelgewürze des Himmels, die Gaben ihrer Gnaden". Alles, was wir also an Gutem vom Herrn haben, das empfangen wir durch die Fürsprache Mariens. Und warum ist denn das so? Weil (antwortet derselbe heilige Bernhard) Gott es so will: "Gott hat festgelegt, dass wir alles, was wir haben, durch Maria empfangen".

Der ganz besondere Grund dafür lässt sich aus dem ableiten, was der heilige Augustin sagt, der geschrieben hat, dass Maria mit Recht unsere Mutter genannt wird, weil sie mit ihrer Liebe mitgewirkt hat, damit wir Gläubige zum Leben der Gnade geboren werden, als Glieder unseres Hauptes Jesus Christus. Daher kommt es, dass wie Maria mit ihrer Liebe zur geistlichen Geburt der Gläubigen mitgewirkt hat, so will Gott auch, dass sie mit ihrer Fürsprache mitwirke, dass sie diese das Leben der Gnade in dieser Welt und das Leben der Herrlichkeit in der andern erlangen lasse. Und deshalb lässt sie uns die heilige Kirche anrufen und grüßen mit absoluten Ausdrücken wie unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung.

Daher ermahnt uns der heilige Bernhard, uns immer an diese Gottesmutter zu wenden, denn ihre Gebete werden sicher vom Sohn erhört: "Mit Sicherheit sage ich dir, wende dich an Maria, denn der Sohn wird die Mutter erhören". Und dann sagt er: "Ihr Kinder, sie ist die Treppe für die Sünder, mein tiefstes Vertrauen, und der ganze Grund meines Hoffens". Der Heilige nennt sie "Treppe", denn wie man auf der Treppe nicht zur dritten Stufe hinaufkommt, wenn man nicht zuvor den Fuß auf die zweite setzt, und man nicht die zweite erreicht, wenn man den Fuß nicht auf die erste setzt, so gelangt man nicht zu Gott, außer durch Jesus Christus, und man kommt nicht zu Jesus Christus hin, außer durch Maria. Er nennt sie sodann sein tiefstes Vertrauen und den ganzen Grund seines Hoffens, weil Gott will (wie er annimmt), dass alle Gnaden, die er an uns austeilt, durch Mariens Hand hindurchgehen. Und er schließt, indem er am Ende sagt, dass wir alle Gnaden, die wir uns erwünschen, durch Maria erbitten müssen, denn sie bekommt alles, was sie sucht, und ihre Gebete können keine Absage bekommen: "Bitten wir um Gnade und suchen wir sie durch Maria, denn sie bekommt alles, was sie sucht und sie kann niemand in berechtigten Erwartungen täuschen".

Und mit einem Empfinden, das dem heiligen Bernhard entspricht, reden auch der heilige Ephräm: "Wir haben keine andere Zuversicht außerhalb von dir, o du treueste Jungfrau"; der heilige Ildefons: "Alle guten Dinge, welche die höchste Majestät zu verteilen festgelegt hat, die hat er in deine Hände niedergelegt. Dir wurden die Schätze und die Zierden der Gnaden anvertraut"; der heilige German: "Wenn du uns im Stiche ließest, was würde aus uns werden, o du Leben der Christen?"; der heilige Petrus Damiani: "In deinen Händen liegen die Schätze der göttlichen Erbarmungen verborgen"; der heilige Antonin: "Wer ohne deinen Beistand bittet, maßt sich an, ohne Flügel zu fliegen"; der heilige Bernardin von Siena: "Du bist die Spenderin aller Gnaden; unser Heil liegt in deinen Händen". An anderer Stelle sagt er nicht nur, dass durch Vermittlung Mariens uns alle Gnaden vermittelt werden, sondern er versichert auch, dass die selige Jungfrau von dem Zeitpunkt an, da sie Mutter Gottes geworden war, eine gewisse Rechtsprechung über alle Gnaden erworben hat, die uns gespendet werden: "Durch Maria hindurch wird die Gnade des Lebens vom Haupt her, das Christus ist, dem geheimnisvollen Leib eingegossen. Von dem Augenblick an, wo die jungfräuliche Mutter das WORT Gottes empfing, bekam sie so zu sagen eine gewisse Rechtsprechung beim zeitlichen Hervorgehen des Heiligen Geistes; so dass kein Geschöpf eine Gnade von Gott empfangen wird, wenn nicht durch das milde Zugeständnis seiner Mutter". Und er schließt: "Somit werden durch ihre Hände alle Gaben, Tugenden und Gnaden gespendet, wem sie will, wann sie will und wie sie will". Dasselbe schrieb der heilige Bonaventura: "Nachdem sie in ihrem Schoß die Fülle der göttlichen Natur getragen hat, fürchte ich mich nicht, zu sagen, dass diese Jungfrau eine gewisse Rechtsprechung im Gnadenprozess bekommen hat, wenn aus ihrem Schoß wie aus dem Ozean der Gottheit alle Gnadenströme hervorfluten ".

Daher haben dann viele Theologen auf die Autorität dieser Heiligen gestützt, fromm und gerecht die Meinung vertreten, dass es da keine Gnade gibt, die uns gespendet würde, wenn nicht durch die Fürsprache Mariens: so etwa Vega, Mendozza, Paciucchelli, Segneri, Poire, Crasset und viele andere Autoren zusammen mit dem gelehrten Pater Natale Alessandro, der geschrieben hat: "Gott will, dass wir jedes Gut von ihm erwarten, aber indem wir es durch die Fürsprache der jungfräulichen Mutter erbitten, wenn wir sie anrufen, wie es sich schickt". Und zur Bestätigung dafür führt er die vom heiligen Bernhard zitierte Stelle an: "Gott hat festgelegt, dass wir alles, was wir haben, durch Maria empfangen". Und dasselbe sagt der Pater Contenson, der zu den von Jesus Christus am Kreuze zum heiligen Johannes gesprochenen Worten: «Siehe da deine Mutter» folgendes hinzufügte: "Als ob er gesprochen hätte, niemand wird durch mein Blut erlöst werden, es sei denn durch die Fürsprache meiner Mutter. Meine Wunden sind Quellen der Gnade, doch zu niemandem werden die Bäche hingeleitet werden, es sei denn durch die Vermittlung Mariens. Johannes, mein Jünger, um so mehr wirst du von .. mir geliebt werden, je mehr du sie lieben wirst". Im Übrigen ist es sicher, dass Gott sein Wohlgefallen daran hat, dass wir uns an die Heiligen wenden, um so mehr wird es ihm gefallen, dass wir uns die Fürsprache Mariens nutzbar machen, damit sie unsere Unwürdigkeit durch ihre Verdienste ersetze gemäß dem, was der heilige Anselm sagt: "Damit die Würde des Fürsprechers unser Ungenügen ersetze. Deshalb bedeutet, die Jungfrau anrufen, nicht, der göttlichen Barmherzigkeit misstrauen, sondern es bedeutet, sich vor der eigenen Unwürdigkeit fürchten". Indem der heilige Thomas sodann von der Würde Mariens spricht, nennt er sie nahezu unendlich: "Aufgrund der Tatsache dass sie Muttergottes ist, besitzt sie eine gewisse unendlich hohe Würde".

Daher sagt man mit Recht, dass die Gebete Mariens bei Gott mächtiger sind, als die Gebete des ganzen Paradieses zusammen.

SCHLUSSFOLGERUNG ZUM ERSTEN KAPITEL

Wir wollen diesen ersten Punkt abschließen, indem wir kurz die Schlussfolgerung ziehen aus allem, was gesagt worden ist, dass WER BETET, SICHER GERETTET WIRD; wer nicht betet, sicher verloren geht. Alle Seligen (ausgenommen die Kindlein) wurden durch das Beten gerettet. Alle Verdammten sind verloren gegangen durch das Nicht-Beten; hätten sie gebetet, so wären sie nicht verloren gegangen. Und das ist und wird ihre größte Verzweiflung in der Hölle ausmachen, dass sie mit solcher Leichtigkeit hätten gerettet werden können, indem sie von Gott die Gnaden erbeten hätten, deren sie bedurften, und dass es für die Elenden nun nicht mehr an der Zeit ist, um diese zu bitten.

II. VON DER WIRKSAMKEIT DES GEBETES

§ 1. WERT DES GEBETES UND DESSEN MACHT BEI GOTT

Unsere Gebete sind vor Gott so wertvoll, dass er die Engel dazu bestimmt hat, sie ihm vorzutragen, sobald sie von uns an ihn gerichtet worden sind. Der heilige Hilarius sagt: "Die Engel stehen den Gläubigen beim Beten vor, um es jeden Tag Gott darzubringen". Genau das ist jener heilige Weihrauch, das heißt die Gebete der Heiligen, die der heilige Johannes geschaut hatte, wie sie zum Herrn emporsteigen, ihm durch die Hand der Engel dargebracht (Offb 8,4). Und anderswo (Offb 5,8) schreibt derselbe heilige Apostel, dass die Gebete der Heiligen wie gewisse goldene Schalen sind, voll von lieblichem Räucherwerk und Gott sehr wohlgefällig.

Aber um noch besser zu verstehen, wie viel bei Gott unsere Gebete gelten, genügt es in den Heiligen Schriften die unzählbaren Verheißungen zu lesen, die Gott dem gibt, der betet, so im Alten wie im Neuen Testament: «Rufe zu mir, so will ich dir antworten» Jer 33,3; «Rufe mich an am Tage der Not, dann werde ich dich retten» Ps 50,15; «Bittet, dann wird euch gegeben; suchet, dann werdet ihr finden; klopfet an, dann wird euch geöffnet» Mt 7,7; «Euer Vater im Himmel wird denen Gutes geben, die ihn darum bitten» Mt 7,11; «Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet» Lk 11,10; «Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten» Mt 18,19; «Alles, worum ihr betet und bittet, glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil» Mk 11,24; «Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bittet, werde ich es tun» Joh 14,14; « Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: ihr werdet es erhalten» 15,7; «Amen, Amen, ich sage euch: Was ihr vom Vater in meinem Namen erbitten werdet, das wird er euch geben» Joh 16,23. Und es gibt da tausend andere ähnliche Texte, die man um der Kürze willen überspringt und weglässt.

Gott will, dass wir gerettet werden, aber zu unserem größeren Wohl, will er uns als Sieger gerettet sehen. Da wir also in diesem Leben stehen, so haben wir in einem fortwährenden Krieg zu leben, und um gerettet zu werden, haben wir zu kämpfen und zu siegen. "Man wird nicht gekrönt, wenn man nicht siegt", sagt der heilige Johannes Chrysostomus. Wir sind sehr schwach, und die Feinde sind zahlreich und gar mächtig: wie werden wir ihnen die Stirn bieten können und sie überwinden? Fassen wir Mut und jeder soll sprechen, wie der Apostel sprach: «Ich vermag alles in dem, der mir Kraft gibt» Phil 4,13. Alles werden wir mit dem Gebet vermögen, durch dessen Vermittlung der Herr uns jene Kraft gibt, die wir nicht haben. Theodoret hatte geschrieben, dass das Gebet alles vermögend ist: es ist einzig, aber es vermag alles zu erlangen. Und der heilige Bonaventura versicherte, dass man durch das Gebet ein Erlangen jedes Gutes erreicht und ein Entfernen jeden Übels. Der heilige Lorenz Justiniani sagte, dass wir uns mittels des Gebetes einen sehr starken Turm erbauen, worin wir verteidigt und sicher vor allen Nachstellungen und Gewalttaten der Feinde sein werden. Die Mächte der Hölle sind kraftvoll, aber das Gebet ist kraftvoller (sagt der heilige Bernhard) als alle Dämonen. Ja so ist es, denn mit dem Gebet erwirbt die Seele die göttliche Hilfe, die jede geschaffene Macht überwindet. So fasste David Mut in den Gefahren, die ihn rings umgaben: Ich (sagte er) werde meinen Herrn zu Hilfe rufen und werde von all meinen Feinden befreit werden (Ps 18,4). Kurz und gut sagt der heilige Johannes Chrysostomus: Das Gebet ist eine wirksame Waffe, um jeden Angriff der Dämonen zu besiegen; sie ist eine Verteidigung, die uns bewahrt in jeglicher Gefahr; es ist ein Hafen, der uns vor jedem Sturm rettet; und es ist zugleich ein Schatz, der uns mit jeglichem Gut versieht.

§ 2. KRAFT DES GEBETES GEGEN DIE VERSUCHUNGEN

Da Gott den großen Vorteil kennt, den uns die Notwendigkeit zu beten verschafft, erlaubt er zu diesem Zweck (wie es im ersten Kapitel gesagt wurde), dass wir von mächtigen Feinden angegriffen werden, damit wir ihn um die Hilfe ersuchen, die er uns anbietet und uns verheißt. Welche Freude hat er, wenn wir uns in den Gefahren an ihn wenden, doch ebenso sehr missfällt es ihm, wenn er uns das Beten vernachlässigen sieht. Sowie ein König, sagt der heilige Bonaventura, einen Hauptmann für unzuverlässig einschätzen würde, der ihn nicht um Hilfe ersuchen würde, wenn er sich in einer Stellung, die er verteidigen sollte, angegriffen sähe, so erachtet sich Gott von dem verraten, der, obwohl er sich von Versuchungen bedroht sieht, ihn nicht um Hilfe anruft: während er doch wünscht und darauf wartet, dass man ihn um Hilfe bittet, um reichlich zu helfen. Das erklärte gar wohl Jesaja, als er von Gott her zum König Ahas sagte, dass er vom Herrn ein Zeichen erbitten solle, um sich der Hilfe zu vergewissern, die der Herr ihm geben wollte: «Erbitte dir vom Herrn, deinem Gott, ein Zeichen» Jes 7,11. Der ungläubige König antwortete: «Ich werde nicht darum bitten, ich will den Herrn nicht auf die Probe stellen». Ich will ihn nicht darum ersuchen, weil ich Gott nicht versuchen will. Das sagte er, weil er auf seine eigenen Kräfte vertraute, um die Feinde zu besiegen ohne göttliche Hilfe. Doch der Prophet macht ihm deshalb harte Vorwürfe: «Hört, ihr vom Hause David! Genügt es euch nicht Menschen zu belästigen, wollt ihr nun auch noch meinem Gott lästig fallen?» Jes 7,13. Und damit tut er uns kund, dass man sich Gott gegenüber als lästig und beleidigend erweist, wenn man es unterlässt ihn um die Gnade zu bitten, die der Herr uns anbietet.

«Kommt alle zu mir, die ihr ermüdet und belastet seid, ich werde euch erquicken» Mt 11,28. Meine armen Kinder, sagt der Heiland, die ihr euch von euren Feinden bekämpft fühlt, und bedrückt von der Last eurer Sünden, verliert nicht den Mut, wendet euch an mich mit dem Gebet, und ich werde euch die Kraft geben, Widerstand zu leisten, und ich werde Abhilfe schaffen für all eure Übel. An anderer Stelle sagt er durch den Mund des Jesaja: «Kommt her, wir wollen sehen, wer von uns recht hat, spricht der Herr. Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee» Jes 1,18. Ihr Menschen (sagt er), wendet euch an mich, und obwohl ihr eure Gewissen arg befleckt habt, unterlasst es nicht zu kommen, und ich gebe euch auch die Erlaubnis, mich (sozusagen) zurechtzuweisen, wenn ich jemals, nachdem ihr euch an mich gewendet habt, mit meiner Gnade nicht bewirke, dass ihr weißer als der Schnee werdet. Was ist denn das Gebet? Hören wir auf Chrysostomus: "Das Gebet ist ein sicherer Anker für den, der in Gefahr schwebt, Schiffbruch zu erleiden: es ist ein unermesslicher Schatz an Reichtum für den, der arm ist, es ist ein höchst wirksames Heilmittel für den, der krank ist, und es ist ein unfehlbares Vorbeugemittel für den, der sich gesund erhalten will". Was bewirkt das Gebet? Hören wir dazu den heiligen Lorenz Justiniani: Es besänftigt die Entrüstung Gottes, der dem verzeiht, der ihn demütig darum bittet; man bekommt die Gnade für alles, was man erbittet; es überwindet alle Kräfte der Feinde: mit einem Wort es verwandelt die Menschen aus Blinden in Erleuchtete, aus Schwachen in Starke, aus Sündern in Heilige. Wer Licht braucht, soll es von Gott erbitten, und es wird ihm gegeben werden: kaum hatte ich mich an Gott gewendet, sagt Salomo, so gewährte er mir Weisheit: «Ich rief ihn an und es kam über mich der Geist der Weisheit» Weish 7,7. Wer Tapferkeit braucht, der erbitte sie von Gott, und sie wird ihm gegeben werden: Sobald ich meinen Mund geöffnet habe, um zu beten, sagte David, habe ich von Gott Hilfe bekommen (vgl. Ps 119,131). Und wie haben die heiligen Märtyrer solchen Starkmut erworben, um den Tyrannen zu widerstehen, wenn nicht durch das Gebet, das ihnen die Lebenskraft errang, um die Foltern und den Tod zu überwinden?

Kurz und gut wer sich diese mächtige Waffe des Gebetes nutzbar macht, sagt der heilige Johannes Chrysostomus: "Der kennt nicht den Tod, verlässt die Erde, tritt in den Himmel ein, bleibt in Lebensgemeinschaft mit Gott". Er fällt nicht in Sünde, er verliert den Geschmack an der Erde, beginnt im Himmel zu wohnen und fängt an, von diesem Leben an, sich am Umgang mit Gott zu erfreuen. Was nützt es also, dass mancher sich ängstigt, indem er sagt: Wer weiß, ob ich im Buch des Lebens eingeschrieben bin oder nicht? Wer weiß, ob Gott mir die wirksame Gnade geben wird und die Beharrlichkeit? «Seid nicht ängstlich besorgt, sondern lasst bei all eurem Beten und Flehen eure Anliegen mit Danksagung vor Gott offenbar werden» Phil 4,6. Was nützt es, sagt der Apostel, eure Fassung zu verlieren in diesen Nöten und Ängsten? Jagt fort von euch all diese Sorgen, die nichts anderes bewirken, als euer Vertrauen zu schmälern, euch lauer zu machen und träge, auf dem Wege des Heils zu wandeln. Betet und bittet ohne Unterlass, lasst eure Wünsche vor Gott hören und werdet nicht müde, ihm allezeit zu danken für die Verheißungen, die er euch gemacht hat, euch alle Gaben zu gewähren, die ihr ersehnt (jedesmal wenn ihr ihn um sie ersucht) die wirksame Gnade, die Beharrlichkeit, die Rettung und all das, was ihr wünscht.

Der Herr hat euch in den Kampf hineingestellt, damit ihr mächtige Feinde bekämpft, doch ER ist treu in seinen Versprechen, und duldet nicht, dass wir mehr bekämpft werden, als wir Widerstand zu leisten vermögen: «Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kräfte hinaus versucht werdet» 1 Kor 10,13. Ja, er ist treu, denn sofort hilft er dem, der ihn anruft. Es schreibt die gelehrte Eminenz, Kardinal Gotti, dass der Herr nicht etwa durch einen andern gezwungen wird, uns immer eine Gnade zu geben, die der Versuchung gleich kommt; aber er ist verpflichtet, wenn wir versucht werden und uns an ihn wenden, uns mittels der Gnade (die er für alle bereit hält und anbietet) die ausreichende Kraft zu geben, mit der wir derzeit der Versuchung widerstehen können. Alles vermögen wir mit Gottes Hilfe, die jedem geschenkt wird, der demütig darum bittet; daher haben wir keine Entschuldigung, wenn wir uns von der Versuchung besiegen lassen. Wenn wir besiegt werden, dann allein durch unsere Schuld, weil wir nicht beten. Mit dem Gebet lassen sich alle Nachstellungen und Angriffe der Feinde gut überwinden, schrieb der heilige Augustin. Nichts vermag uns zu schaden, wenn wir beten.

§ 3. GOTT IST ALLZEIT BEREIT, UNS ZU ERHÖREN

Der heilige Bernhardin von Siena sagt, dass das Gebet eine treue Gesandtschaft ist, die beim himmlischen König wohl bekannt ist und gewohnt bis in sein Arbeitszimmer vorzudringen und mit ihrer Aufdringlichkeit das mitleidsvolle Gemüt des Königs zu erweichen, uns Notleidenden jede Hilfe zu gewähren, wo wir doch unter so vielen Kämpfen und Nöten in diesem Tal der Tränen stöhnen: "Das Gebet ist wie ein sehr treuer und beim König bekannter Botschafter, der in das königliche Ruhegemach eintreten darf, um mit sanfter Beharrlichkeit den gottesfürchtigen Sinn des Königs zu bezwingen; und er ist es gewohnt, Hilfe zu erflehen für die Unglücklichen".

Auch Jesaja versichert uns gründlich, dass, wenn der Herr unsere Gebete vernimmt, er sogleich von Mitleid mit uns gerührt wird, und uns nicht lange klagen lässt, sondern uns im selben Augenblick Antwort gibt und uns alles gewährt, worum wir ihn bitten: «Ja, du Volk auf dem Berge Sion, das in Jerusalem wohnt, du brauchst jetzt nicht mehr zu weinen. Der Herr ist dir gnädig, wenn du um Hilfe schreist; er wird dir antworten, sobald er dich hört» Jes 30,19. Und an einer andern Stelle spricht der Herr durch den Mund des Jeremia und indem er sich über uns beklagt, sagt er: «Bin ich vielleicht für Israel eine Wüste geworden oder ein Land mit dichtester Finsternis? Warum sagt mein Volk: Wir wollen frei umherschweifen, wir werden nicht mehr zu dir zurückkehren?» Jer 2,31. Warum, (frägt Gott) sagt ihr, dass ihr euch nicht mehr an mich wenden wollt? Ist meine Barmherzigkeit vielleicht ein ödes Feld für euch, das nicht vermöchte, für euch irgendeine Gnadenfrucht hervorzubringen? O spätreifer Erdboden, der du deine Frucht sehr spät hergibst? Damit wollte unser liebevoller Herr uns zu verstehen geben, dass er nie aufhört, uns zu erhören, und unsere Bitten sofort zu erhören, und damit will er auch jene tadeln, die aufhören, ihn zu bitten aus einem Misstrauen, vielleicht doch nicht erhört zu werden.

Wenn Gott uns erlaubte, ihm unsere Bitten einmal im Monat vorzutragen, so wäre das dennoch eine große Gunst. Die Könige der Erde geben nur wenige Male im Jahr Audienz, doch "Gott, der König der Könige, gibt uns jederzeit Audienz, er ist immer bereit unsere Bitten anzuhören, schreibt Chrysostomus, und es tritt nie der Fall ein, dass, wenn er gebeten wird, wie es sich gehört, er den nicht erhört, der ihn bittet". Und anderswo sagt er, dass, wenn wir Gott bitten, ehe wir zu Ende gekommen sind, ihm unsere Anliegen darzulegen, er uns darin bereits erhört. Dafür haben wir sogar das Versprechen von Gott selber: «Schon ehe sie rufen, werde ich Antwort geben» Jes 65,24. Der Herr (sagt David) ist jedem nahe, der ihn bittet, um ihm gefällig zu sein, ihn zu erhören und ihn zu retten: «Der Herr ist allen, die ihn anrufen nahe, allen, die ihn mit aufrichtigem Herzen suchen» (das heißt, wie es sich gehört); «Er erfüllt die Wünsche derer, die ihn fürchten, er hört ihr Schreien und rettet sie» Ps 145,18f. Das war es ja, wessen Mose sich rühmte, indem er sprach: «Denn welche große Nation hat ihre Gottheit so nahe bei sich, wie der Herr, unser Gott, uns nahe ist, jedesmal wenn wir ihn anrufen?» Dtn 4,7. Die Götter der Heiden waren taub, für den, der sie anrief, denn sie waren ja armselige Geschöpfe, die nichts vermochten; doch unser Gott, der alles vermag, ist niemals taub für unsere Bitten, sondern er ist immer dem nahe, der ihn bittet, um rasch alle Gnaden zu gewähren, dem der ihn darum bittet: Wenn ich dich angerufen habe, so weiß ich, dass du, mein Gott, mir zur Seite stehst (Ps 56,10). Herr, (sagte der Psalmist) daran hab ich erkannt, dass du, mein Gott, ganz Güte bist und Erbarmen, wenn ich sehe, dass immer, wenn ich mich an dich wende, du mir sogleich zu Hilfe eilst.

§ 4. MAN SOLL NICHT IN BESCHRÄNKTHEIT NUR UM KLEINIGKEITEN BITTEN

BITTGEBET IST BESSER ALS MEDITATION

Wir sind arm an allem, aber wenn wir bitten, sind wir nicht mehr arm. Wenn wir arm sind, ist Gott reich; und Gott ist ganz freigebig, sagt der Apostel, zu dem, der ihn zu Hilfe ruft: «Der Herr ist reich für all jene, die ihn anrufen» Röm 10,12. Da wir es also mit einem Herrn von unendlicher Macht und unendlichem Reichtum zu tun haben (ermuntert uns der heilige Augustin), so wollen wir bei ihm nicht kleine und spottbillige Dinge suchen, sondern bitten wir ihn um etwas Großes! Wenn einer den König um eine spottbillige Münze ersuchen würde, einen roten Rappen, so würde der, wie es scheint, dem König eine Unehre bereiten. Wir hingegen ehren Gott, wir ehren seine Barmherzigkeit und seine Freigebigkeit, wenn er sieht, dass wir so arm sind, wie wir es sind, und so unwürdig für jegliche Wohltat, und wir nichtsdestoweniger große Gunsterweise von ihm zu erbitten wagen, indem wir auf die Güte Gottes vertrauen und auf seine Treue, aufgrund des gegebenen Versprechens, dem, der ihn darum bittet, jede Gnade zu gewähren, welche auch immer er von ihm erbittet: «Bittet um alles, was ihr wollt, ihr werdet es erhalten» Joh 15,7. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagte, dass der Herr sich so geehrt fühlt und so getröstet wird, wenn wir Gnaden bei ihm suchen, dass er uns in gewissem Sinn dafür dankt, da es dann gleichsam scheint, als würden wir ihm einen Weg auftun, uns Wohltaten zu erweisen und seine Neigung, allen Gutes zu tun, zufriedenzustellen. Lasst uns davon überzeugen, dass, wenn wir Gott um Gnaden ersuchen, er uns immer mehr als das gibt, was wir von ihm erbitten. «Fehlt es jemand von euch an Weisheit, erbitte er sie von Gott, der allen, ohne weiteres und ohne Vorwürfe zu machen, gibt» Jak 1,5. So spricht der heilige Jakobus, um darauf hinzuweisen, dass Gott nicht wie die Menschen mit seinen Gütern geizt; wenn die Menschen Almosen verteilen, obschon sie reich sind, obwohl sie fromm und freigebig sind, so sind sie immer sparsam im Geben und meist geben sie weniger, als man von ihnen erbittet, weil ihr Reichtum immer, wie groß er auch sein mag, endlicher Reichtum ist; daher je mehr sie geben, um so mehr beginnt er, ihnen zu fehlen. Doch Gott schenkt seine Güter, wenn er darum gebeten wird, "großmütig", das heißt, mit weit offener Hand, wobei er immer mehr gibt als das, was man von ihm erbittet, weil sein Reichtum unendlich ist; je mehr er gibt, um so mehr bleibt ihm zum Geben. «Herr, du bist gütig und bereit zu verzeihen, für alle, die zu dir rufen, reich an Erbarmen» Ps 86,5. Du, mein Gott, sagte David, bist zu großzügig und zu höflich zu dem, der dich anruft; die Beweise des Erbarmens, die du erweisest, sind alle überreich, denn sie übersteigen seine Bitten.

Darauf hat also unsere ganze Aufmerksamkeit zu beruhen, dass wir mit Vertrauen beten, sicher, dass, wenn wir beten, alle Schätze des Himmels sich zu unseren Gunsten öffnen werden (Chrysostomus). Das Gebet ist ein Schatz, wer mehr betet, bekommt auch mehr davon. Der heilige Bonaventura sagt, dass jedesmal, wenn der Mensch sich andächtig im Gebet an Gott wendet, er Güter gewinnt, die mehr wert sind als die ganze Welt. Einige fromme Seelen verwenden viel Zeit aufs Lesen und Meditieren, aber sie achten wenig aufs Beten.

Es besteht kein Zweifel, dass die geistliche Lesung und das Betrachten der ewigen Wahrheiten sehr nützliche Dinge sind; doch viel nützlicher ist das Beten, sagt der heilige Augustin; beim Lesen und Betrachten achten wir auf unsere Pflichten, doch durch das Beten erlangen wir die Gnade, sie zu erfüllen. Was hilft es, das zu erkennen, was wir zu tun verpflichtet sind, und es dann doch nicht tun, sondern uns noch mehr zu Schuldnern zu machen vor Gott? Mögen wir lesen und meditieren, soviel wir wollen, nie werden wir unsern Pflichten genügen, wenn wir Gott nicht um die Hilfe bitten, um sie zu erfüllen.

Und deshalb überlegt der heilige Isidor, dass zu keiner andern Zeit der Teufel sich mehr abmüht, uns mit dem Denken an die zeitlichen Sorgen abzulenken, als wenn er bemerkt, dass wir am Beten sind und Gott um seine Gnaden bitten. Und warum? Weil der Feind sieht, dass wir zu keiner andern Zeit mehr Schätze an himmlischen Gütern gewinnen, als wenn wir beten. Die größte Frucht des innern Gebetes (orazione mentale) ist das Folgende, dass wir bei Gott um die Gnaden bitten, deren wir für die Beharrlichkeit und für das ewige Heil bedürfen. Deswegen vor allem ist das innere Gebet moralisch für die Seele notwendig, um uns in der Gnade Gottes zu erhalten, denn wenn eine Person sich nicht zur Zeit der Betrachtung sammelt, um die Hilfen zu erbitten, deren sie für die Beharrlichkeit bedarf, so wird sie es zu keiner andern Zeit tun; denn ohne zu meditieren, wird sie nicht an das Bedürfnis denken, das sie hat, sie zu erbitten. Wer hingegen jeden Tag seine Betrachtung hält, wird die Bedürfnisse der Seele richtig sehen, die Gefahren, in denen sie schwebt, dass sie notwendig beten muss; und so wird sie beten und die Gnaden bekommen, die sie dann ausharren und gerettet werden lassen. Der Pater Segneri pflegte zu sagen, wobei er von sich sprach, dass er anfangs bei der Meditation sich mehr damit befasste, Gefühle zu erwecken als mit Bitten, aber nachdem er dann die Notwendigkeit und den unermesslichen Nutzen des Bittens erkannt habe, da habe er von da an meistens bei dem vielen innern Beten, dem er oblag, sich dem Bitten gewidmet.

«Ich zwitschere wie eine Schwalbe, ich gurre wie eine Taube» Jes 38,14, sagte der fromme König Hiskija. Die Jungen der Schwalben machen nichts anderes als schreien, wodurch sie die Hilfe und die Nahrung von ihren Müttern erbitten. So müssen wir alle es machen, wenn wir uns das Leben der Gnade bewahren wollen, so müssen wir allzeit schreien, indem wir von Gott Hilfe erbitten, um den Tod der Sünde zu vermeiden und um Fortschritte zu machen in seiner heiligen Liebe. Der Pater Rodriguez berichtet, dass die Väter der Frühzeit, die unsere ersten geistliche Lehrmeister waren, unter sich berieten, um zu sehen, welches die nützlichste und für das ewige Heil notwendigste Übung sei, und sie kamen zum Schluss, es sei das häufige Wiederholen des kurzen Gebetes von David: «Herr, eile mir zu helfen» Ps 70,2. Dasselbe (schreibt Cassian) muss der tun, der gerettet werden will, indem er immerfort spricht: Mein Gott, hilf mir, mein Gott, hilf mir. Das müssen wir vom Tagesbeginn an tun, wenn wir morgens erwachen, und dann in all unsern Nöten fortfahren dies zu tun, und dann bei allen Anliegen, die auf uns zukommen, sowohl bei den geistlichen wie den zeitlichen und dann ganz besonders wenn wir uns von irgendeiner Versuchung oder Leidenschaft angefochten fühlen. Der heilige Bonaventura sagt, dass man manchmal rascher mit einem kurzen Gebet die Gnade bekommt als mit vielen andern guten Werken. Der heilige Ambrosius fügte hinzu, dass, wer betet, schon während er bittet, erlangt; denn schon das Bitten ist ein Empfangen. Daher schrieb der heilige Chrysostomus, dass es keinen Mächtigeren gibt als einen Menschen, der betet, denn dieser macht sich der Macht Gottes teilhaftig. Um zur Vollkommenheit emporzusteigen, sagte der heilige Bemhard, braucht man die Betrachtung und das Gebet: mit der Betrachtung sehen wir das, was uns fehlt, mit dem Gebet bekommen wir das, wessen wir bedürfen: "lasst uns aufsteigen mit der Betrachtung und dem Gebet; jene erleuchtet uns über alles, was uns fehlt, dieses erlangt, dass uns nichts fehlt".

SCHLUSSFOLGERUNG ZUM ZWEITEN KAPITEL

Kurz und gut, gerettet zu werden, ohne zu beten, ist sehr schwierig, ja sogar unmöglich (wie wir gesehen haben) gemäß der gewöhnlichen Vorsehung Gottes; aber wenn man betet, ist das Gerettetwerden eine sichere Sache und ganz leicht. Es ist nicht notwendig, um gerettet zu werden, dass man zu den Ungläubigen gehe, um das Leben hinzugeben; es ist nicht notwendig, sich in die Wüsteneien zurückzuziehen und sich mit Kräutern zu ernähren. Was soll denn heißen: Gott komm mir zu Hilfe, Herr, stehe mir bei, hab Erbarmen mit mir? Gibt es etwas Leichteres als das? Und dieses wenige wird genügen, dass wir gerettet werden, wenn wir sorgfältig darauf acht geben, es zu tun. Besonders ermahnt uns der heilige Lorenz Justiniani, uns anzustrengen, wenigstens am Anfang jeder Tätigkeit zu beten. Cassian bezeugt, dass die Väter der Frühzeit im höchsten Maß dazu ermahnten, mit kurzen aber häufigen Bitten sich an Gott zu wenden. Niemand soll wenig Wert auf sein Gebet legen (sagte der heilige Bernhard), denn Gott misst ihm große Bedeutung bei, da er uns dann das schenkt, was wir von ihm erbitten, oder das, was noch nützlicher für uns ist. Und merken wir uns, wenn wir nicht beten, gibt es für uns keine Entschuldigung, denn die Gnade zu erbeten, wird jedem gegeben; es liegt immer in unsrer Macht zu beten, sooft wir wollen, wie David sagte, da er von sich redete: «Ich flehe zum Gott meines Lebens. Ich spreche zu Gott, meinem Fels» Ps 42,9f. Über diesen Punkt wird noch ausführlich im zweiten Teil gesprochen werden, wo ich hinreichend klar machen werde, dass Gott allen die Gnade zum Beten gibt; damit sie, wenn sie beten, dann auch alle Hilfen bekommen können, sogar in überreichem Maße, um das göttliche Gesetz beobachten und darin bis zum Tode ausharren zu können. Für jetzt sage ich nur, dass wenn wir nicht gerettet werden, so wird das ganz unsere Schuld sein und nur an uns wird es gefehlt haben, eben weil wir nicht gebetet haben.

III. VON DEN BEDINGUNGEN DES GEBETES

§ 1. WELCHES SIND DIE GEFORDERTEN BEDINGUNGEN. ZWECK DES GEBETES

«Amen, Amen, ich sage euch: Um was immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben» Joh 16,23. Es ist also eine Verheißung Jesu Christi, dass alles, was wir in seinem Namen vom Vater erbitten werden, der Vater uns gewähren wird; aber es versteht sich immer, wenn wir es unter den erforderlichen Bedingungen erbitten werden. Viele (sagt der heilige Jakobus) suchen, und erlangen nicht, weil sie auf eine schlechte Weise begehren: «Ihr bittet und empfangt nicht, weil ihr schlecht bittet» Jak 4,3. Daher sagt der heilige Basilius, indem er der Aussage des Apostels folgt: «Manchmal bittest du also, aber du bekommst nichts, weil du sinnlos gebetet hast; oder auf eine ungläubige Art, oder leichtfertig oder auf eine dir nicht dienliche Weise, oder weil du das innere Gebet aufgegeben hast». «Mit ungläubigem Gemüt» das heißt mit wenig Glauben oder mit wenig Vertrauen. «Leichtfertig», mit wenig Verlangen die Gnade zu bekommen. «Auf eine dir nicht dienliche Weise», weil du nach Gütern strebtest, die dir für das Heil nicht nützlich sind. «Oder weil du im Beten nicht ausharrst», ohne Ausdauer. Deswegen führt der heilige Thomas die beim Beten erforderlichen Bedingungen auf vier zurück, damit es seine Wirkung erreicht: das heißt damit der Mensch erbitte "für sich, zum Heil notwendige Dinge, mit Frömmigkeit und Ausdauer".

1. Kann man wirksam für die andern beten?

Die erste Bedingung für das Beten ist also, dass man es "für sich" tue; denn der Engelgleiche ist der Meinung, dass ein Mensch nicht für die andern in gebührender Weise das ewige Leben erbitten könne und infolgedessen auch nicht jene Gnaden, die dem Heil zugeordnet sind: weil die Verheißung (wie er sagt) nicht für die andern gemacht wurde, sondern nur für jene, die beten: "Euch wird er es geben". Aber trotzdem gibt es viele Gelehrte, Cornelius a Lapide, Silvester, Tolet, Habert und andere, die das Gegenteil vertreten, wobei sie sich auf die Autorität des heiligen Basilius stützen, der da lehrt, dass das Gebet aufgrund der göttlichen Verheißung unfehlbar seine Wirkung erreicht, auch wenn man für die andern betet, wenn nur die andern diesem Gebet kein bestimmtes Hindernis entgegensetzen. Und sie stützen sich auf die Heilige Schrift: «Und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet. Viel vermag inständiges Gebet eines Gerechten» Jak 5,16; «Betet für jene, die euch verfolgen und euch verleumden» (Mt 5,11.44). Und noch deutlicher im Text des heiligen Johannes: «Wenn einer seinen eigenen Bruder eine Sünde begehen sieht, die nicht zum Tode führt, der bete, und Gott wird ihm das Leben geben» 1 Joh 5,16. Erklärt wird dieses «eine Sünde, die nicht zum Tode führt» von Augustin und anderen mit, wenn dieser Sünder nur nicht ein solcher ist, der beabsichtigt, halsstarrig zu leben bis zum Tode, denn für diesen brauchte es eine ganz außerordentliche Gnade. Im Übrigen verspricht der Apostel für die andern Sünder, die sich nicht so großer Bosheit schuldig machen, dem, der für diese betet, deren Bekehrung: "Der bete, und ER wird dem Sünder das Leben geben".

2. Wir müssen für die Sünder beten

Im Übrigen wird es nicht bezweifelt, dass die Gebete der andern den Sündern viel helfen und Gott sehr angenehm sind; und Gott beklagt sich über seine Diener, die ihm die Sünder nicht anempfehlen, wie er sich darüber bei der heiligen Maria Magdalena von Pazzi beklagt hat; daher sagte er eines Tages zu ihr: Siehe, meine Tochter, wie die Christen in den Händen der Dämonen stecken; wenn meine Auserwählten sie nicht mit ihren Gebeten befreien würden, so würden sie deren Beute bleiben. Besonders aber wünscht dieses der Herr von den Priestern und von den Ordensleuten. Die oben erwähnte Heilige sagte zu ihren Nonnen: Schwestern, Gott hat uns nicht von der Welt abgetrennt, damit wir nur für uns Gutes tun, sondern auch damit wir ihn zu Gunsten der Sünder besänftigen. Und der Herr selber sagte eines Tages zu derselben: Ich habe euch, erwählte Bräute, die Zufluchtsstätte gegeben (das heißt das Leiden Jesu Christi), damit ihr einen Ort habt, wohin ihr euch wenden könnt, um meinen Geschöpfen zu helfen; deshalb sollt ihr euch zu ihr hinwenden, und dort bietet meinen Geschöpfen Hilfe an, die zugrunde gehen, und setzt euer Leben für sie ein. Darum bot die Heilige fünfzig Mal im Tag von heiligem Eifer entflammt Gott das Blut des Erlösers für die Sünder dar, und sie verzehrte sich aus dem Wunsch sie zu bekehren, wobei sie sagte: Oh, was für eine Pein ist es, Herr, sehen zu müssen, dass man deinen Geschöpfen helfen kann, indem man sein Leben für sie einsetzt, und es nicht tun zu dürfen. Im Übrigen empfahl sie bei jeder Übung die Sünder Gott; und man schreibt in ihrem Leben, dass keine Stunde des Tages vorüberging, ohne dass die Heilige für diese gebetet hätte; häufig stand sie auch noch um Mitternacht auf und begab sich zum Allerheiligsten Sakrament, um für die Sünder zu beten; und bei alledem fand man sie eines Tages, wie sie bitterlich weinte, und als man sie fragte, warum, antwortete sie: Weil mir scheint, dass ich nichts für die Rettung der Sünde tue. Sie ging so weit, dass sie sich darbot, für deren Bekehrung sogar die Qualen der Hölle zu erleiden, damit man dort nicht Gott zu hassen brauche; und mehrere Male wurde ihr von Gott der Gefallen gemacht, dass sie mit schweren Schmerzen und Krankheiten für die Rettung der Sünder bedrückt wurde. Besonders betete sie für die Priester, weil sie einsah, dass deren guter Lebenswandel der Grund war für die Rettung der andern, und ihr schlechter Lebenswandel für das Verderben von vielen; und deshalb bat sie den Herrn, dass er deren Verschuldungen an ihr bestrafe, indem sie sagte: Herr, lass mich sooft sterben, und wieder zum Leben zurückkehren, bis ich für diese Genugtuung geleistet habe vor deiner Gerechtigkeit. Und es wird in ihrem Lebensbild erzählt, dass die Heilige mit ihren Gebeten allerdings in der Tat viele Seelen aus den Händen Luzifers errettet hat.

Ich habe etwas Näheres über den Eifer dieser Heiligen sagen wollen. Im Übrigen hören alle wahrhaft in Gott verliebten Seelen nicht auf, für die armen Sünder zu beten. Und wie ist es möglich, dass jemand der Gott liebt und die Liebe sieht, die er zu den Seelen hegt, und was Jesus Christus für ihr Heil getan und gelitten hat, und das Verlangen, das dieser Heiland hegt, dass wir für die Sünder beten; wie ist es möglich, sage ich, dass er dann mit Gleichgültigkeit so viele arme Seelen sehen kann, die ohne Gott als Sklaven der Hölle dahinleben, und nicht bewegt werden und sich abmühen, häufig den Herrn zu bitten, diesen Unseligen Licht und Kraft zu geben, damit sie aus dem elenden Zustand, in dem sie schlafen und als Verlorene dahinleben, herauszugehen? Es ist wahr, dass Gott nicht versprochen hat, uns zu erhören, wenn jene, für die wir beten, ein bestimmtes Hindernis ihrer Bekehrung entgegensetzen; aber viele Male gefiel es dem Herrn aufgrund seiner Güte im Hinblick auf die Gebete seiner Diener, mit außerordentlichen Gnaden die am meisten verblendeten und hartnäckigen Sünder in den Stand des Heiles zurückzuführen. Deswegen wollen wir nie aufhören, Messen zu feiern oder mitzufeiern, die Kommunion zu empfangen, die Betrachtung zu halten oder die Besuchung beim Heiligsten Sakrament zu machen, Gott immer die armen Sünder anzuempfehlen. Und ein gelehrter Schriftsteller sagt, dass, wer für die andern betet, um so rascher seine Gebete erhört sehen wird, die er für sich selber verrichtet. Das sei beiläufig gesagt, doch kommen wir darauf zurück, die anderen Bedingungen zu sehen, die der heilige Thomas fordert, damit das Gebet Wirkung bekommt.

3. Man muss um die zum Heil notwendigen Gnaden bitten

Eine andere Bedingung, die der heilige Thomas festsetzt, besteht darin, dass man um jene Gnaden bittet, deren wir zum Heil bedürfen; denn die Verheißung für das Gebet wurde nicht gegeben für zeitliche Dinge, die nicht notwendig sind für die Rettung der Seele. Der heilige Augustin sagt, während er die Worte des Evangeliums «in meinem Namen» erklärt, die oben erwähnt wurden, dass einer "nicht im Namen des Heilands bittet, wenn einer etwas gegen die vernunftgemäße Ordnung des Heiles erbittet" .

Manchmal, fügt der heilige Augustin hinzu, bitten wir um zeitliche Güter, und Gott erhört uns nicht. Warum? Weil er uns liebt und er uns mit Barmherzigkeit behandeln will. Wer gläubig zu Gott betet für die Bedürfnisse dieses Lebens, wird mal voll Erbarmen erhört, mal voll Erbarmen nicht erhört; was nämlich für den Kranken nützlich ist, weiß der Arzt besser als der Kranke. Der Arzt, der seinen Kranken liebt, gestattet ihm nicht Dinge, von denen er weiß, dass sie ihm schädlich sind. Ach, wie viele gibt es, die, wenn sie krank und arm wären, nicht in die Sünden fallen würden, die sie begehen, weil sie gesund sind oder im Wohlstand! Wenn der Herr also die Gesundheit des Leibes oder die Güter des Wohlstandes denen verweigert, die ihn darum bitten, dann geschieht das, weil er sie liebt und weil er voraussieht, dass diese zeitlichen Vorteile für sie ein Anlass wären, seine Gnade zu verlieren oder mindestens in die Lauheit zu versinken. Wir behaupten übrigens nicht, dass es ein Fehler sei, von Gott die notwendigen Dinge des gegenwärtigen Lebens zu erbitten, insofern sie zum ewigen Heil beitragen, wie es ja sogar der Weise getan hat: «Gib mir weder Armut noch Reichtum, nähr mich nur mit dem Brot, das zum Leben notwendig ist» Spr 30,8.

Der heilige Thomas gesteht zu, dass es erlaubt sei, für diese Art von Gütern eine maßvolle Sorge zu hegen; schlimm wäre es, die zeitlichen Güter zu begehren und zu erstreben als Hauptgegenstand mit einer ungeordneten Sorge, wie wenn sie unser ganzes Glück ausmachten. Somit, wenn wir von Gott zeitliche Vorteile erbitten, so müssen wir dies immer auf eine Weise tun, die sich unterwirft und ergibt und unter der Bedingung, dass sie für unsere Seele nützlich seien; und wenn sie uns der Herr verweigert, so sollen wir überzeugt sein, das dies eine Auswirkung seiner Liebe zu uns ist, und weil er voraussieht, dass wir daraus einen geistlichen Schaden erleiden würden.

Oft bitten wir Gott, dass er uns von irgendeiner gefährlichen Versuchung befreie, und Gott erhört uns doch nicht, und er lässt es zu, dass die Versuchung uns weiterhin belästige. Wir wollen verstehen, dass Gott dann auch dies zu unserem größeren Wohl zulässt. Es sind nicht die Versuchungen und die schlechten Gedanken, die uns von Gott entfernen, sondern die schlechten Zustimmungen. Wenn sich die Seele in der Versuchung Gott anempfiehlt und mit seiner Hilfe Widerstand leistet, oh, wie sehr kommt sie dann vorwärts in der Vollkommenheit und wie sehr vereint sie sich inniger mit Gott! Und deshalb erhört Gott sie nicht. Der heilige Paulus betete inständig, er möge von den Versuchungen zur Unreinheit befreit werden: «Es wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen, ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll... Deshalb habe ich den Herrn gut dreimal angefleht, dass er ihn von mir entferne» 2 Kor 12,7f. Doch der Herr antwortete ihm: «Meine Gnade genügt dir». Also müssen wir Gott auch in den Versuchungen mit Ergebung bitten, indem wir sagen: Herr, befreie mich von dieser Belästigung, wenn es mir förderlich ist, davon befreit zu werden, und wenn nicht, dann gib mir wenigstens eine Hilfe zum Widerstandleisten. Und hier mache das, was der heilige Bernhard sagt, dass wenn wir von Gott irgendeine Gnade erbitten, so gibt er uns jene, oder etwas noch Nützlicheres als jene. Gar oft lässt uns Gott das Unwetter erdulden, um unsere Treue zu erproben und zu unserem größeren Nutzen. Dann scheint es, dass er für unsere Gebete taub sei, doch nein, wir sollen sicher sein, dass Gott uns dann sehr wohl hört und uns im Verborgenen hilft, indem er uns stärkt mit seiner Gnade, um jedem Ansturm der Feinde zu widerstehen. Seht, wie er selber uns dessen versichert durch den Mund des Psalmisten: «Du riefst zu mir in der Not und ich habe dich befreit; ich habe dich aus dem Gewölk des Donners erhört, an den Wassern des Widerspruchs geprüft» Ps 81,8.

4. Von den andern Bedingungen des Gebetes

Schließlich die andern Bedingungen, die der heilige Thomas für das Gebet festsetzt, sind, dass man "mit Frömmigkeit und mit Ausdauer" bete. "Mit Frömmigkeit" meint mit Demut und mit Vertrauen; "mit Ausdauer", ohne bis zum Tode zu beten aufzuhören. Nun aber von diesen drei Bedingungen, das heißt von der Demut, dem Vertrauen und der Ausdauer, die für das Gebet am notwendigsten sind, davon muss hier von jeder einzelnen deutlich gesprochen werden.

§ 2. VON DER DEMUT, MIT DER MAN BETEN SOLL

Der Herr blickt sehr wohl auf die Gebete seiner Diener, aber eben wenn sie demütig sind: «Er wendet sich dem Gebet der Verlassenen zu» Ps 102,18. Sonst blickt er nicht hin, sondern er stößt ihn zurück: «Gott widersteht Überheblichen, den Demütigen aber gibt er Gnade» Jak 4,6. Gott hört nicht auf das Gebet der Überheblichen, die auf ihre eigenen Kräfte vertrauen, und deshalb lässt er sie in ihrem eigenen Elend; und in diesem Zustand sind diese der göttlichen Hilfe beraubt und werden ohne Zweifel zugrunde gehen. Das beklagte David: «Ehe ich gedemütigt wurde, ging mein Weg in die Irre» Ps 119,67. Ich (sagte er) habe gesündigt, weil ich nicht demütig gewesen bin. Und dasselbe geschah dem heiligen Petrus, der, obwohl er von Jesus Christus gewarnt worden war, dass in dieser Nacht alle seine Jünger ihn verlassen sollten: «Ihr alle werdet meinetwegen Anstoß nehmen in dieser Nacht» Mt 26,31, nichtsdestoweniger anstatt seine Schwäche zu erkennen und den Herrn um Hilfe zu bitten, um ihm nicht untreu zu werden, sagte er, indem er allzu sehr auf seine eigenen Kräfte vertraute, dass wenn alle ihn verlassen würden, so würde er ihn nie verlassen: «Auch wenn alle an dir Anstoß nehmen werden, ich werde niemals Anstoß nehmen» Mt 26,33. Und mit allem, was der Erlöser von neuem ihm im besondern voraussagte, dass er in dieser Nacht, ehe der Hahn krähen werde, ihn dreimal verleugnet haben würde; doch indem er auf seinen Mut vertraute, rühmte er sich und sagte: «Und wenn es sein müsste, dass ich mit dir sterben müsste, nie werde ich dich verleugnen» Mt 26,35. Doch was geschah? Kaum war der Armselige in das Haus des Hohenpriesters eingetreten, und da ihm vorgeworfen wurde, er sei ein Jünger Jesu Christi, da verleugnete er ihn in der Tat dreimal mit einem Eid, wobei er sagte, er habe ihn nie gekannt: «Und wieder leugnete er mit einem Eid: Ich kenne den Menschen nicht» Mt 26,72. Hätte Petrus sich verdemütigt und hätte er den Herrn um die Gnade der Standhaftigkeit gebeten, so hätte er ihn nicht verleugnet.

Wir müssen uns alle davon überzeugen, dass wir wie auf dem Gipfel eines Berges stehen, schwebend über dem Abgrund aller Sünden und nur am Faden der Gnade festgehalten: wenn dieser Faden uns reißt, so fallen wir sicher in einen solchen Abgrund und wir werden die schrecklichsten Verbrechen begehen. «Wäre nicht der Herr mir zu Hilfe gekommen, so wäre meine Seele in Kürze ins Land des Schweigens zu wohnen gekommen» Ps 93,l7. Wenn Gott mir nicht geholfen hätte, so wäre ich in tausend Sünden gefallen und jetzt befände ich mich in der Hölle; so sprach der Psalmist, und so muss jeder von uns sprechen. Das meinte auch der heilige Franz von Assisi, wenn er sagte, dass er der schlimmste Sünder der Welt sei. Aber, mein Vater (sagte zu ihm der Gefährte), was du da sagst, ist nicht wahr; es gibt viele auf der Welt, die schlimmer sind als du. Doch, nur zu wahr ist das, was ich da sage (antwortete der Heilige), denn wenn Gott nicht seine Hände über mich hielte, so würde ich alle Sünden begehen.

Es ist ein Glaubenssatz, dass wir nicht ohne die Hilfe der Gnade irgendein gutes Werk tun können und nicht einmal einen guten Gedanken haben. "Die Menschen können ohne die Gnade weder in Gedanken, noch in Werken irgend etwas Gutes vollbringen" sagte der heilige Augustin. Wie das Auge ohne Licht nicht sehen kann, so (sagte der Heilige) kann der Mensch nicht etwas Gutes tun ohne die Gnade. Und vorher hatte es schon der Apostel gesagt: «Doch wir sind nicht von uns aus fähig, etwas als eigene Leistung anzusehen, unsere Fähigkeit stammt vielmehr von Gott» 2 Kor 3,5. Und noch vor dem Apostel hatte es schon David gesagt: «Wenn nicht der Herr das Haus baut, mühen sich die Bauleute umsonst» Ps 127,1. Umsonst arbeitet der Mensch an seiner Heiligung, wenn nicht Gott daran die Hand anlegt. «Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst» Ps 127,1. Wenn nicht Gott die Seele vor den Sünden bewahrt, so wird sie umsonst achtgeben, sich aus ihren eigenen Kräften davor zu bewahren. Und darum beteuerte dann der heilige Prophet: «Ich verlasse mich nämlich nicht auf meinen Bogen» Ps 44,7. Somit will ich nicht auf meine Waffen die Hoffnung setzen, sondern auf Gott allein, der mich retten kann.

Wenn man daher feststellt, dass man irgendetwas Gutes getan hat, und sich nicht in der Lage befindet, dass man in größere Sünden gefallen ist, als die man begangen hat, soll man mit dem heiligen Paulus sprechen: «Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin» 1 Kor 15,10. Und aus demselben Grunde soll man nicht aufhören, zu zittern und zu befürchten, dass man bei jeder Gelegenheit fällt. «Wer also meint, er stehe, sehe zu, dass er nicht fällt» 1 Kor 10,12. Und damit will uns der Apostel warnen, dass in großer Gefahr zu fallen schwebt, wer es für sicher hält, dass er nicht falle. Und er gibt den Grund dafür an einer andern Stelle an, wo er sagt: «Wer sich also einbildet etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich selber» Gal 6,3. Daher hat der heilige Augustin mit Weisheit geschrieben: "Die Anmaßung stark zu sein, hindert viele daran, beständig zu bleiben; niemand wird wahrhaft stark sein, außer wer sich schwach fühlt" (Serm. 13 de Verb. Dom.). Wenn mancher sagt, er habe keine Angst, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er auf sich selber vertraut und auf die von ihm gefassten Vorsätze; doch diese werden durch ein solch verderbliches Selbstvertrauen verführt, denn wenn man auf seine eigenen Kräfte vertraut, hört man zu fürchten auf, und wenn man nichts fürchtet, hört man auf, sich Gott anzuvertrauen, und dann wird man sicher zu Fall kommen. Und so ist es nötig, dass jeder sich davor hütet, sich mit einer gewissen Eitelkeit über die Sünden der andern zu verwundern; dann muss man sich so rasch wie möglich, was einen selber betrifft, für schlimmer als die andern halten und sagen: Herr, wenn du mir nicht geholfen hättest, so hätte ich es noch schlimmer getrieben. Sonst wird es der Herr zur Strafe für unsere Überheblichkeit zulassen, dass wir in größere und abscheulichere Fehler fallen. Deswegen mahnt uns der Apostel, uns um unser ewiges Heil zu kümmern, aber wie? Immer mit Furcht und Zittern: «Müht euch mit Furcht und Zittern um euer Heil» PhiI 2,12. Jawohl, denn wer sehr befürchtet, dass er falle, misstraut seinen Kräften, und deshalb, indem er sein Vertrauen auf Gott setzt, wird er in den Gefahren sich an ihn wenden; Gott wird ihm zu Hilfe eilen, und so wird er die Versuchungen überwinden und gerettet werden. Der heilige Philipp Neri ging eines Tages seines Weges durch Rom, er zog mit den Worten daher: Ich bin verzweifelt; ein gewisser Ordensmann wies ihn zurecht, doch der Heilige sagte nun: Lieber Pater, ich bin verzweifelt an mir, aber ich vertraue auf Gott. So müssen wir es machen, wenn wir gerettet werden wollen; es ist nötig, dass wir allzeit unsern Kräften misstrauend leben, denn wenn wir es so machen, werden wir den heiligen Philipp nachahmen, der vom ersten Augenblick an, wenn er am Morgen erwachte, zu Gott sagte: Herr, halte heute deine Hände über Philipp, denn wenn du es nicht tust, so wird dich der Philipp verraten.

Darin also besteht schließlich das ganze große Wissen eines Christen, sagt der heilige Augustin, zu erkennen, dass man nichts ist und nichts vermag. Denn so wird er nicht aufhören, sich bei Gott durch die Gebete jene Kraft zu verschaffen, die er nicht hat, und deren er bedarf, um den Versuchungen Widerstand zu leisten und um das Gute zu tun; und dann wird er alles mit der Hilfe dieses Herrn tun, der dem nichts verweigern kann, der ihn mit Demut darum bittet. Das Gebet einer demütigen Seele dringt in die Himmel vor, und wenn sie sich vor dem göttlichen Thron vorstellt, geht sie von dort nicht mehr weg, ohne dass Gott auf sie achtet und sie erhört (Sir 35, 21). Und mag diese Seele an so vielen Sünden, wie man will, die Schuld tragen, Gott vermag ein Herz, das sich demütigt, nicht zu verachten: «Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen» Ps 51,19; «Gott tritt den Stolzen entgegen; den Demütigen aber schenkt er seine Gnade» Jak 4,6. So streng der Herr mit den Hochmütigen ist, und sich ihren Bitten entgegenstellt, so gütig und großherzig ist er mit den Demütigen. Gerade das sagte eines Tages Jesus Christus zur heiligen Caterina von Siena: Wisse, o Tochter, dass wer demütig darin ausharrt, Gnaden von mir zu erbitten, der wird alle Tugenden erwerben.

Es nützt, hier eine schöne Warnung anzuführen, die an die geistlich gesinnten Seelen, die heilig zu werden begehren, der gelehrte und sehr fromme Monsignore Palafox, der Bischof von Osma, in einer Fußnote, an den 18. Brief der heiligen Teresa anfügt. Dort schreibt die Heilige an ihren Beichtvater und gibt ihm Rechenschaft über alle Stufen des übernatürlichen Gebetes, womit der Herr sie begünstigt hatte. Der erwähnte Prälat hingegen schreibt, dass diese übernatürlichen Gnaden, die Gott der heiligen Teresa zu erweisen, sich gewürdigt hat und andern Heiligen erwiesen hat, nicht notwendig sind, um zur Heiligkeit zu gelangen; denn viele Seelen seien ohne diese sehr wohl dorthin gelangt; dagegen hätten viele solche (Gnaden) erlangt, und seien dann verdammt worden. Deswegen sagt er, sei es eine überflüssige Sache, ja sogar Anmaßung, solche übernatürlichen Gaben zu ersehnen und zu erstreben, während es doch der einzige wahre Weg sei, um eine heilige Seele zu werden, sich in den Tugenden zu üben und dabei Gott zu lieben; und dahin gelange man durch das Mittel des Gebetes und dadurch dass man den Erleuchtungen und Hilfen Gottes entspricht, der ja nichts anderes wolle, als uns heilig zu sehen: «Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung» 1 Thess 4,3.

Daher schreibt der oben erwähnte fromme Schreiber, während er von den Stufen des übernatürlichen Betens spricht, wovon die heilige Teresa schrieb, das heißt vom Gebet der Ruhe, vom Schlaf und vom Aufheben der Fähigkeiten, von der Vereinigung, von der Ekstase, von der Verzückung, vom Geistesflug und vom Ansturm des Geistes und von der geistlichen Verwundung; hier nun die klugen Überlegungen, die er darüber anstellt: hinsichtlich des Gebetes der Ruhe, das heißt, das, was wir von Gott ersehnen und erbitten sollen, ist, dass er uns befreie vom Kleben an den weltlichen Gütern und vom Verlangen nach dem, was uns den Frieden nicht gibt, sondern dem Geist Beunruhigung und Betrübnis einbringt. «Das Ergebnis: alles ist Eitelkeit und Gespinst des Geistes» Koh 1,14. Das Herz des Menschen wird niemals den wahren Frieden finden, wenn es sich nicht von allem entleert, was nicht Gott ist, um allen Raum seiner heiligen Liebe zu überlassen, damit ER allein alles besitzt. Doch das kann die Seele nicht von sich aus tun; es ist nötig, dass sie es vom Herrn mit wiederholten Bitten erlange.

Was den Schlaf und das Aufheben der Fähigkeiten betrifft, so sollen wir Gott um die Gnade bitten, er möge sie eingeschläfert bewahren für alles, was zeitlich ist und nur aufgeweckt, um die göttliche Güte zu betrachten und um die göttliche Liebe und die ewigen Güter zu erstreben.

Was die Vereinigung der Fähigkeiten betrifft, beten wir, dass er uns die Gnade gebe, nichts anderes zu denken, zu suchen, zu wollen, als das, was Gott will, denn die ganze Heiligkeit und die Vollkommenheit der Liebe besteht darin, unsern Willen mit dem Willen des Herrn zu vereinen.

Was die Ekstase und die Entrückung betrifft, bitten wir Gott, er möge uns aus der ungeordneten Liebe zu uns selbst und zu den Geschöpfen herausreißen, um uns ganz zu sich hinzuziehen.

Was den Geistesflug betrifft, wollen wir ihn bitten, uns die Gnade zu schenken, ganz von dieser Welt losgelöst zu leben und es zu machen wie die Schwalben, die sich sogar, um sich zu ernähren, nicht auf der Erde aufhalten, sondern im Flug ihre Nahrung zu sich nehmen; das soll heißen, dass wir uns dieser zeitlichen Güter bedienen, soweit es nötig ist, um das Leben zu erhalten, aber stets im Flug, ohne uns auf der Erde aufzuhalten, um weltliche Gelüste zu erstreben.

Was den Ansturm des Geistes betrifft, bitten wir Gott, er möge uns den Mut und die Kraft schenken, dass wir uns Gewalt antun, soweit es nötig ist, um den Angriffen der Feinde zu widerstehen, um die Leidenschaften zu überwinden, und um das Leiden inmitten der Betrübnisse und geistlichen Überdrusses mit Freude anzunehmen.

Was schließlich die Liebeswunde betrifft, so wie die Wunde mit ihrem Schmerz immer die Erinnerung an das erlittene Unrecht bei einer Person erneuert, so sollen wir Gott bitten, unser Herz dermaßen mit seiner heiligen Liebe zu verwunden, dass wir allzeit uns an seine Güte erinnern müssen und an die Zuneigung, die er uns entgegengebracht hat, und damit wollen wir leben, indem wir ihn fortwährend lieben und ihm mit unseren Werken und Gefühlen wohlgefällig sind.

Doch all diese Gnaden bekommt man nicht ohne das Gebet; und durch das Gebet bekommt man alles, wenn das Beten nur demütig, vertrauensvoll und beharrlich ist.

§ 3. VOM VERTRAUEN, MIT DEM WIR BETEN SOLLEN

1. Vom hohen Wert und der Notwendigkeit dieser Tugend

Die Hauptwarnung, die uns der heilige Apostel Jakobus gibt, wenn wir von Gott durch das Gebet Gnaden erlangen wollen, ist, dass wir mit dem festen Vertrauen beten, dass wir erhört werden, wenn wir, wie es sich gehört, ohne jedes Misstrauen beten: «Er bitte aber voll Glauben, ohne zu zweifeln» Jak 1,6. Der heilige Thomas lehrt, dass das Beten, von der Nächstenliebe sein Verdienst hernimmt, seine Wirksamkeit etwas zu erlangen aber vom Glauben und vom Vertrauen. Dasselbe lehrt der heilige Bernhard, indem er sagt, dass es allein unser Vertrauen ist, das uns die göttlichen Erbarmungen erlangt.

Gar sehr findet der Herr Gefallen an unserem Vertrauen auf seine Barmherzigkeit, weil wir dadurch seine unendliche Güte ehren und preisen, die er die Absicht hatte, der Welt kundzutun, als er uns erschuf. Freuen sollen sich doch, o mein Gott (sagte der königliche Prophet), all jene, die auf dich hoffen, denn diese werden ewig selig sein, und du wirst immer unter ihnen wohnen: «Alle sollen sich freuen, die auf dich vertrauen, und sie werden auf ewig jubeln. Beschütze alle, die deinen Namen lieben, damit sie dich rühmen» Ps 5,12. Gott schützt und rettet all jene, die auf ihn vertrauen. «Ein Schild ist er für alle, die sich bei ihm bergen» Ps 18,31; «Du rettest alle, die sich an deiner Rechten vor den Feinden bergen» Ps 17,7. Oh was für große Verheißungen werden in der Heiligen Schrift jenen gemacht, die auf Gott hoffen! Wer auf Gott vertraut: wird nicht in Sünde fallen. «Wer seine Zuflucht zu ihm nimmt, wird nicht verurteilt werden» Ps 34,23. Jawohl, denn (so sagt David) der Herr hält seine Augen auf all jene hingewandt, die auf seine Güte vertrauen, um sie mit seiner Hilfe aus dem Tod der Sünde zu befreien: «Doch das Auge des Herrn ruht auf allen, die ihn fürchten und ehren, die nach seiner Güte ausschauen; denn er will sie dem Tod entreißen» Ps 33,18f. Und an einer andern Stelle spricht Gott selber: «Weil er an mir hängt, will ich ihn retten; ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen ... ich befreie ihn und bringe ihn zu Ehren» Ps 91,14f. Man merke sich das Wörtchen «denn»; denn dieser hat auf mich vertraut, so werde ich ihn beschützen, ihn von seinen Feinden und von der Sturzgefahr befreien; und schließlich werde ich ihm die ewige Herrlichkeit schenken. Wobei Jesaja von jenen spricht, die ihre Hoffnung auf Gott setzen, sagt er: «Die aber, die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt» Jes 40,31. Diese werden aufhören, schwach zu sein, wie sie es sind, und in Gott werden sie eine große Stärke erringen; sie werden keinen Mangel verspüren, sie werden sogar nicht einmal Müdigkeit empfinden, während sie auf dem Weg des Heiles dahineilen, sondern sie werden laufen und wie Adler fliegen. «Nur in Stille und Vertrauen liegt eure Kraft» Jes 30,15. Im Grunde genommen, besteht unsere Stärke, wie uns derselbe Prophet belehrt, darin, dass wir unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen, und im Schweigen, das heißt, indem wir uns in den Armen seiner Barmherzigkeit ausruhen, ohne uns auf unsere eifrigen Bemühungen und auf menschliche Mittel zu verlassen.

Und wo hat es jemals den Fall gegeben, dass jemand auf Gott vertraut hat und verloren gegangen ist? «Wer hat auf den Herrn vertraut und ist dabei zuschanden geworden?» Sir 2,10. Dieses Vertrauen war es, das David die Sicherheit gab, dass er niemals verloren gehen sollte. «Herr, ich suche Zuflucht bei dir. lass mich doch niemals scheitern!» Ps 31,2. Nein, Gott ist kein Betrüger, ruft der heilige Augustin aus, wo er sich doch dafür anbietet, uns in den Gefahren zu unterstützen, wenn wir uns auf ihn abstützen; sollte er sich uns entziehen, wenn wir zu ihm unsere Zuflucht nehmen? David nennt den selig, der auf den Herrn vertraut: «Herr der Heerscharen, selig, wer dir vertraut!» Ps 84,13. Und warum das? Weil derjenige, der auf Gott vertraut, sagt derselbe Prophet, immer von der göttlichen Barmherzigkeit umgeben sein wird: «Doch wer auf den Herrn vertraut, den wird er mit seiner Huld umgeben» Ps 32,10. Somit wird dieser dermaßen ringsum von Gott umgeben und behütet sein, dass er sicher bleiben wird vor den Feinden und vor jeder Gefahr, verloren zu gehen.

Darum empfiehlt der Apostel so sehr, in uns das Vertrauen auf Gott zu bewahren, da dieses, (wie er uns ankündigt) uns sicher eine große Belohnung einbringt: «Werft also eure Zuversicht nicht weg, die großen Lohn mit sich bringt» Hebr 10,35. So groß unser Vertrauen sein wird, so groß werden die Gnaden sein, die wir von Gott empfangen werden; wenn unser Vertrauen groß sein wird, dann werden auch die Verdienste überreich sein. Der heilige Bernhard schreibt, dass die göttliche Barmherzigkeit eine unermessliche Quelle ist, wer das größere Gefäß an Vertrauen dorthin trägt, der wird eine größere Menge an Gütern davon heimtragen. Und schon früher drückte es der königliche Prophet aus, indem er sprach: «Herr, lass dein Erbarmen über uns walten, denn wir halten Ausschau nach dir» Ps 33,22. Das ist sehr wohl geschehen beim Hauptmann, zu dem der Erlöser sprach, wobei er dessen Vertrauen lobte: «Geh, dir soll geschehen, wie du geglaubt hast» Mt 8,13. Und der heiligen Gertrud offenbarte der Herr, dass wer ihn mit Vertrauen bittet, der übt in gewissem Sinn solche Gewalt auf ihn aus, dass er es nicht über sich bringt, ihn nicht zu erhören in allem, worum er ihn ersucht. Das Gebet (sagte der heilige Johannes Klimakos) übt sanfte Gewalt auf Gott aus, aber eben eine Gewalt, die ihm lieb und angenehm ist.

«Lasst uns also mit Zuversicht zum Thron der Gnade hingehen, rät uns der Verfasser des Hebräerbriefes, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit» Hebr 4,16. Der Thron der Gnaden ist Jesus Christus, der nun zur Rechten des Vaters sitzt, nicht auf einem Thron der Gerechtigkeit, sondern der Gnade, um für uns Verzeihung zu erlangen, wenn wir uns in Sünde befinden, und die Hilfe zum Ausharren, wenn wir uns seiner Freundschaft erfreuen. Zu diesem Thron müssen wir immer mit Zuversicht hinzutreten, das heißt mit diesem Vertrauen, das uns der Glaube an die Güte und die Treue Gottes schenkt, der ja versprochen hat, zu erhören, wer mit Vertrauen zu ihm betet, aber mit einem standhaften und festen Vertrauen. Wer jedoch mit Zögern zu ihm betet, sagt der heilige Jakobus, der soll nicht meinen, dass er irgendetwas erlangt: «Denn wer zweifelt, ist wie eine Welle, die vom Wind im Meer hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, dass er vom Herrn etwas erhalten wird. Er ist ein Mann mit zwei Seelen, unbeständig auf all seinen Wegen» Jak 1,6f. Gar nichts wird er bekommen, weil sein ungerechtes Misstrauen, von dem er hin und her getrieben wird, das göttliche Erbarmen daran hindern wird, seine Bitten zu erhören. Der heilige Basilius sagt: "Du hast die Gnade nicht empfangen, weil du sie ohne Vertrauen erbeten hast". David hatte gesagt, dass unser Vertrauen auf Gott unerschütterlich wie ein Berg sein soll, der sich unter welchen Stürmen auch immer nicht bewegt: «Wer auf den Herrn vertraut, steht fest wie der Sionsberg, der niemals wankt, der ewig bleibt» Ps 125,1. Und das ist es, was der Erlöser uns warnend sagte, wenn wir die Gnaden empfangen wollen, die wir suchen: «Alles, worum ihr betet und bittet, glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil werden» Mk 1 1,24. Jede beliebige Gnade, worum ihr bittet, seid gewiss, dass ihr sie besitzt, und so werdet ihr sie bekommen.

2. Grundlage unseres Vertrauens

Doch worauf, wird mancher sagen, soll ich Elender dieses Vertrauen, sicher zu erlangen, was ich erbitte, abstützen? Worauf? Auf die von Jesus Christus gegebene Verheißung: «Bittet und ihr werdet empfangen» Joh 16,24. Suchet und ihr werdet bekommen. "Wer wird befürchten, getäuscht zu werden, wenn die Wahrheit selber es verheißt?" sagt der heilige Augustin, wie können wir befürchten, nicht erhört zu werden, wenn Gott, der die Wahrheit selber ist, verspricht, uns das zu gewähren, was wir betend von ihm erbitten? "Wir würden nicht ermuntert zu bitten, wenn er es uns nicht geben möchte", sagt derselbe heilige Kirchenlehrer. Gewiss würde uns der Herr nicht auffordern, ihn um Gnaden zu bitten, wenn er sie uns nicht gewähren wollte. Doch da geht es darum, wozu er uns so sehr ermahnt und was er uns so oft wiederholt in der Heiligen Schrift:

Betet, bittet, suchet und ihr werdet bekommen, so viel ihr ersehnt: «Bittet um was immer ihr wollt, und es wird euch gegeben werden» Joh 15,7. Und damit wir ihn mit dem geschuldeten Vertrauen bitten, darum hat uns der Heiland im Gebet des «Vater unser» gelehrt, dass, wenn wir uns an Gott wenden, um die zu unserem Heile notwendigen Gnaden zu empfangen (die ja bereits alle im «Vater unser» enthalten sind), wir ihn nicht Herr, sondern Vater, «Vater unser», nennen sollen; während er will, dass wir bei Gott die Gnaden mit jenem Vertrauen suchen, mit dem ein armer oder kranker Sohn, die Unterstützung oder die Arznei bei seinem eigenen Vater sucht. Wenn ein Sohn vor Hunger am Sterben ist, so genügt es, dass er es dem Vater kundtue, der Vater wird ihn sogleich mit Nahrung versehen; und wenn er irgendeinen Biss von einer giftigen Schlange bekommen hat, so wird es genügen, dass er dem Vater die empfangene Wunde vorstelle, damit der Vater dort sogleich die Arznei anwende, die er bereits besitzt.

Somit wollen wir im Vertrauen auf die göttlichen Verheißungen, immer vertrauensvoll bitten, nicht wankend, sondern standhaft und mit Festigkeit, wie der Apostel sagt: «lasst uns also ohne Wanken festhalten am Bekenntnis unsrer Hoffnung, denn treu ist, der die Verheißung gab» Hebr 10,23. Da es inzwischen sicher ist, dass Gott treu zu seinen Verheißungen steht, so muss auch unser Vertrauen sicher sein, dass er uns erhört, wenn wir darum bitten. Und obwohl wir manchmal, wenn wir uns vielleicht im Zustand der Trockenheit oder verwirrt durch einen Fehler, den wir begangen haben, befinden, kein spürbares Vertrauen, das wir gerne verspüren möchten, beim Beten empfinden: so tun wir uns trotzdem Gewalt an, um zu beten, weil Gott es nicht unterlassen wird, uns zu erhören; dann wird er uns sogar noch besser erhören, da wir dann mit mehr Misstrauen gegen uns selber und allein im Vertrauen auf die Güte und die Treue Gottes beten werden, der ja versprochen hat, den zu erhören, der ihn bittet. Oh wie sehr gefällt dem Herrn unser Hoffen sogar gegen die Hoffnung, das heißt gegen dieses Gefühl des Misstrauens, das wir dann infolge unsrer Troslosigkeit verspüren, zur Zeit der Drangsal, der Ängste und der Versuchungen. Dafür lobt der Apostel den Patriarchen Abraham, indem er sagt: «Er glaubte an Hoffnung wider alle Hoffnung» Röm 4,18.

Der heilige Johannes sagt, dass wer ein festes Vertrauen auf Gott setzt, sicher ein Heiliger wird: «Und jeder, der die Hoffnung auf IHN setzt, heiligt sich selbst, wie auch ER heilig ist» 1 Joh 3,3, denn Gott lässt die Gnaden überströmen auf all jene, die auf ihn vertrauen. Mit diesem Vertrauen haben so viele Märtyrer, so viele Jungfrauen, so viele Kinder, trotz dem Schrecken der Qualen, welche die Tyrannen ihnen bereiteten, die Foltern und den Tod überwunden, womit sie bedroht wurden.

Manchmal (sage ich) beten wir, aber es scheint uns, dass Gott uns nicht erhören will: ach dann wollen wir nicht aufhören, beim Beten und Hoffen auszuharren. Dann wollen wir mit Ijob sprechen: «Sogar wenn er mich töten wird, so werde ich auf ihn harren» Ijob 13,15. Mein Gott, auch wenn du mich von deinem Antlitz fortjagen würdest, so werde ich nicht aufhören, dich zu bitten, und auf deine Barmherzigkeit zu hoffen. Wir wollen es so machen, und wir werden vom Herrn alles bekommen, was wir wollen. So machte es die kanaanäische Frau und sie bekam alles, was sie von Jesus Christus wollte. Diese heidnische Frau, deren Tochter vom Dämon besessen war, bat den Erlöser, dass er sie davon befreie: «Erbarme dich meiner, Herr, du Sohn Davids. Meine Tochter wird grausam gequält von einem bösen Geist» Mt 15,22. Der Herr antwortete ihr, dass er nicht zu den Heiden gesandt worden sei, wie sie eine sei, sondern zu den Juden. Doch sie verlor den Mut nicht und machte sich von neuem mit Vertrauen ans Bitten: Herr, du kannst mich trösten, du musst mich trösten: «Herr, hilf mir» Mt 15,25. Jesus Christus erwiderte ihr: Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen. Doch mein Herr, (fügte sie hinzu) auch die Hündlein bekommen von den Brosamen, die vom Tische fallen. Als nun der Heiland das große Vertrauen dieser Frau sah, lobte er sie und erwies ihr die Gunst, wobei er sagte: «Frau, fürwahr dein Glaube ist groß. Dir soll geschehen, wie du es ersehnst» Mt 15,28. Und wer hat je, sagt Jesus Sirach, Gott für sich zu Hilfe gerufen, und Gott hätte ihn missachtet und hätte ihm nicht geholfen? «Wer rief ihn an, und ER erhörte ihn nicht?» Sir 2,10.

Der heilige Augustin sagt, dass das Gebet ein Schlüssel ist, der den Himmel für unser Wohl öffnet; zum selben Zeitpunkt, in dem unser Gebet zu Gott aufsteigt, steigt die Gnade, die wir erbitten, zu uns herab. Es schrieb der königliche Prophet, dass unsere inständigen Bitten mit der Barmherzigkeit Gottes vereint zusammengehen: «Gepriesen sei Gott; denn er hat mein Gebet nicht verworfen und mir seine Huld nicht entzogen» Ps 66,20. Und daher sagt derselbe heilige Augustin, dass wenn wir gerade daran sind den Herr zu bitten, dann müssen wir sicher sein, dass er uns bereits erhört. "Solange du beim Beten standhaft sein wirst, sei sicher, dass sich seine Barmherzigkeit nicht von dir entfernen wird". Und ich fühle mich (die Wahrheit sage ich) niemals mehr getröstet im Geiste und mit größerem Vertrauen gerettet zu werden, als wenn ich gerade daran bin zu Gott zu beten und mich ihm anempfehle. Und ich denke, dass dasselbe bei allen andern Gläubigen geschieht; denn alle andern Zeichen für unser Heil sind ungewiss und fehlbar; dass Gott jedoch den erhört, der ihn mit Vertrauen bittet, ist sichere und unfehlbare Wahrheit, wie es sicher ist, dass Gott seine Verheißungen nicht brechen kann.

Wenn wir sehen, dass wir schwach sind und nicht in der Lage, eine Leidenschaft oder irgendeine große Schwierigkeit zu überwinden, um das auszuführen, was der Herr von uns fordert, dann wollen wir mutig mit dem Apostel sprechen: «Ich vermag alles in dem, der mich stärkt» Phil 4,13. Wir wollen nicht sagen, wie es einige tun: Ich kann nicht, ich traue mich nicht. Mit unseren eigenen Kräften vermögen wir sicher nichts, doch mit Gottes Hilfe vermögen wir alles. Wenn Gott zu jemandem sagen würde: Nimm diesen Berg auf deine Schultern und trage ihn, ich werde dir helfen; wäre dieser nicht ein Dummkopf oder ein Unverschämter, wenn er antworten würde: ich will ihn nicht auf mich nehmen, weil ich nicht die Kraft habe, ihn zu tragen? Und so wollen wir nicht den Mut verlieren, wenn wir erkennen, dass wir armselig und schwach sind, wie wir es sind, und wenn wir gerade heftiger von den Versuchungen angefochten werden, wir wollen die Augen zu Gott erheben und mit David sprechen: «Der Herr ist bei mir, er ist mein Helfer; ich aber schaue auf meine Hasser hinab» Ps 118,7. Mit der Hilfe meines Herrn werde ich alle Angriffe meiner Feinde überwinden und verachten. Und wenn wir uns in Gefahr befinden, Gott zu beleidigen, oder in sonst einer folgenschweren Angelegenheit, und wir in der Verwirrung nicht wissen, was wir tun sollen, dann wollen wir uns Gott anempfehlen, indem wir sprechen: «Der Herr ist mein Licht und mein Heil: vor wem sollte ich mich fürchten?» Ps 27,1. Und dann wollen wir sicher sein, dass Gott uns sehr wohl erleuchten und uns vor jedem Schaden erretten wird.

3. Vom Beten der Sünder

Doch ich bin ein Sünder, sagt da mancher, und im Evangelium lese ich: «Gott erhört die Sünder nicht» Joh 9,31. Der heilige Thomas mit dem heiligen Augustin antwortet darauf, dass dies vom geheilten Blindgebornen gesagt wurde, um Jesus in Schutz zu nehmen gegen die Angriffe der Pharisäer, die Jesus das Wunder absprechen wollten. Im übrigen fügt der engelgleiche Lehrer hinzu, dass dies mit Recht gesagt wurde, wenn man von der Bitte spricht, die der Sünder vorbringt, das heißt, wenn er bittet aus dem Wunsch heraus, mit Sündigen fortzufahren: zum Beispiel, wenn er um Hilfe bitten würde, um sich an seinem Feind zu rächen oder um sonst eine schlimme Absicht auszuführen. Und dasselbe geschieht mit einem Sünder, der Gott bittet, ihn zu retten, aber ohne dass er irgendein Verlangen hätte, aus dem Zustand der Sünde herauszukommen. Es gibt da manche Unselige, welche die Ketten lieben, mit denen der Dämon sie als Sklaven gefesselt hält. Die Bitten solcher Leute werden von Gott nicht erhört, weil es verwegene und abscheuliche Bitten sind. Und was für eine größere Verwegenheit gibt es, als dass einer Gunstbeweise von einem Fürsten erbitten will, den er nicht nur mehrfach beleidigt hat, sondern wo er gedenkt, ihn weiterhin zu beleidigen? Und so ist zu verstehen, was der Heilige Geist sagt, dass für Gott das Gebet dessen abscheulich und hassenswert ist, der seine Ohren abwendet, um nicht hören zu müssen, was Gott ihm befiehlt: «Wendet einer sein Ohr ab, um die Lehre nicht zu hören, dann ist sogar sein Gebet ein Gräuel» Spr 28,9. Zu solchen Leuten spricht der Herr: es soll nicht vorkommen, dass ihr betet, denn ich werde die Augen von euch abwenden und euch nicht erhören: «Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr noch so viel betet, ich höre es nicht» Jes 1,15. Genau so war das Gebet des gottlosen Königs Antiochus, der zu Gott betete und große Dinge versprach, aber heuchlerisch und mit in der Schuld verstocktem Herzen, denn er betete nur, um dem Strafgericht zu entgehen, das im bevorstand; und deshalb schenkte der Herr seinen Gebeten kein Gehör, sondern ließ ihn sterben, von den Würmern zerfressen. «Der Verbrecher rief sogar den Herrn an, fand aber bei ihm kein Erbarmen mehr» 2 Makk 9,13.

Andere sodann, die durch Schwäche oder durch die Wucht irgendeiner großen Leidenschaft sündigen und die unter dem Joch des Feindes stöhnen und sich danach sehnen, diese Ketten des Todes zu zerreißen und aus dieser elenden Knechtschaft herauszukommen und deshalb Gott um Hilfe bitten; das Gebet dieser Leute, wenn es standhaft ist, wird sehr wohl vom Herrn erhört, der ja sagt, dass jeder, der bittet, empfängt, und wer die Gnade sucht, sie wiederfindet: «Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet» Mt 7,8. "Wer auch immer es sei," (erklärt der Verfasser des unvollendeten Werkes) "sei er ein Gerechter oder sei er ein Sünder". Und bei Lukas, wo Jesus Christus von jenem spricht, der dem Freund alle Brote, die er hatte, übergab, nicht so sehr aus Freundschaft, als vielmehr wegen dessen Aufdringlichkeit, sagte er: «Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben» Lk 11,8f. Also erlangt das beharrliche Gebet von Gott die Barmherzigkeit auch für jene, die nicht seine Freunde sind. Was man nicht aufgrund der Freundschaft erlangt, sagt Chrysostomus, das bekommt man durch das Gebet. Überdies sagt derselbe Heilige, dass bei Gott das Gebet mehr vermag als die Freundschaft. Und der heilige Basilius zweifelt nicht daran, dass auch die Sünder das erlangen, was sie erbitten, wenn sie beharrlich sind beim Beten. Dasselbe sagt der heilige Gregor: "Auch der Sünder soll laut schreien, damit sein Beten zu Gott emporsteige". Dasselbe schreibt der heilige Hieronymus, indem er sagt, dass auch der Sünder Gott als seinen Vater anrufen darf, wenn er ihn bittet, er möge ihn wieder als Sohn annehmen, nach dem Beispiel des verschwenderischen Sohnes, der ihn Vater nannte, «Vater, ich habe gesündigt!», noch bevor ihm verziehen worden war. Wenn Gott die Sünder nicht erhören würde, sagt der heilige Augustin, dann hätte der Zöllner vergebens um Verzeihung gebeten: «O Gott, sei mir Sünder gnädig!» Doch das Evangelium bezeugt uns, dass der Zöllner durch sein Beten sehr wohl die Verzeihung erlangt hat: «Dieser kehrte gerechtfertigt nach Hause zurück» Lk 18,14.

Doch vor allem erforscht der engelgleiche Kirchenlehrer diesen Punkt noch sorgfältiger und er zögert nicht, zu behaupten, dass auch der Sünder erhört wird, wenn er betet; und dabei sagt er, obschon dessen Gebet nicht verdienstvoll sei, so habe es doch die Kraft zu erflehen; denn dessen Wirksamkeit stützt sich nicht auf die Gerechtigkeit, sondern auf die göttliche Güte: "Das Verdienst (sagt der Heilige) stützt sich auf die Gerechtigkeit, doch das Erflehen stützt sich auf die göttliche Gnade". Gerade so betete Daniel: «Mein Gott, neige mir dein Ohr zu, und höre mich; öffne deine Augen, und sieh auf die Trümmer... Nicht im Vertrauen auf unsere guten Taten legen wir dir unsere Bitten vor, sondern im Vertrauen auf dein großes Erbarmen» Dan 9,18. Während wir also beten, sagt der heilige Thomas, ist es nicht notwendig, dass wir Gottes Freunde sind, um von ihm die Gnaden zu erlangen, die wir erstreben, denn das Gebet selber macht uns zu seinen Freunden. Im übrigen fügt der heilige Bernhard einen guten Grund hinzu, wenn er sagt, dass ein solches Gebet des Sünders, um aus der Sünde herauszukommen, aus dem Verlangen hervorgeht, in die Gnade Gottes zurückzukehren; nun aber ist ein solches Verlangen ein Geschenk, das ihm sicher nicht von wo anders herkommt als von Gott selber; wozu also würde Gott, sagt sodann der Heilige, dem Sünder ein so heiliges Verlangen eingeben, wenn er ihn nicht erhören wollte? Und gerade davon gibt es in der Heiligen Schrift selber so viele Beispiele von Sündern, die durch das Beten von der Sünde befreit wurden. So wurde der König Achab befreit. So der König Manasse. So der König Nebukadnezzar. So der gute Schächer. Eine großartige Sache und von großem Wert ist das Gebet! Zwei Sünder sterben auf dem Kalvarienberg an der Seite von Jesus Christus, der eine, weil er betet «Gedenke meiner», wird gerettet; der andere, weil er nicht betet, wird verdammt!

Kurz und gut sagt Chrysostomus: Kein reumütiger Sünder hat zum Herrn gebetet, der nicht bekommen hat, was er ersehnte. Doch wozu dienen weitere Zeugnisse und Begründungen von Autoritäten, wo doch Jesus selber sagt: «Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und belastet seid, und ich will euch erquicken» Mt 11,28. Als Belastete versteht man nach den heiligen Hieronymus, Augustin und anderen im allgemeinen die Sünder, die unter der Last ihrer Sünden stöhnen, und die, weil sie zu Gott ihre Zuflucht nehmen, sehr wohl von ihm erquickt werden (wie es gerechterweise solcher Verheißung entspricht) und mit seiner Gnade gerettet. Ach wie sehr wünschen nicht nur wir, sagt der heilige Johannes Chrysostomus, dass uns verziehen wird, nein wie sehr sehnt sich Gott danach, uns verzeihen zu dürfen. Es gibt keine Gnade (fügt der Heilige hinzu), die man nicht durchs Gebet erlangt, obgleich es von einem Sünder verrichtet wird, wenn es auch vom Verlorensten, den es gibt, geschieht, wenn er nur beharrlich betet. Und merken wir uns, was der heilige Jakobus sagt: «Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten, der allen gern gibt und niemand einen Vorwurf macht» Jak 1,5. All jene also, die durch das Gebet zu Gott ihre Zuflucht nehmen, hört er nicht auf, zu erhören und sie mit Gnaden zu erfüllen, «ja er beschenkt alle großzügig». Doch man schenke besondere Aufmerksamkeit dem Wort, das folgt, «und ohne ihnen Vorwürfe zu machen». Das bedeutet, dass Gott es nicht macht wie die Menschen, die, wenn jemand kommt, um eine Gunst von ihnen zu erbitten, der sie früher bei irgendeiner Gelegenheit beleidigt hat, ihm sogleich die Beleidigung vorwerfen, die sie von ihm erlitten haben. Der Herr macht es nicht so mit dem, der zu ihm betet; möge der nun der größte Sünder der Welt sein, wenn er von ihm eine zu seinem ewigen Heil nützliche Gnade erbittet, so wirft er ihm nicht gleich die Unannehmlichkeiten vor, die er ihm bereitet hat, vielmehr als hätte er ihn niemals beleidigt, empfängt er ihn sogleich, tröstet ihn, erhört ihn, und beschenkt ihn überreich mit seinen Gaben.

Vor allem ermutigt uns unser göttlicher Erlöser selber zum Beten: «Amen, amen, ich sage euch, wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird er es euch geben» Joh 16,23. Ihr armen Sünder, sagt er zu uns, habt Vertrauen, mögen eure Sünden euch nicht daran hindern, zu meinem Vater Zuflucht zu nehmen und von ihm eure Rettung zu erhoffen, wenn ihr es wünscht. Es ist wahr, dass ihr, weit davon entfernt, die Gnaden zu verdienen, die ihr erbittet, nur Strafen verdient habt; aber seht, wie ihr es anstellen sollt: wendet euch an meinen Vater, bittet ihn in meinem Namen und durch meine Verdienste, um alles, was ihr wollt, und ich verspreche euch, ich schwöre es euch: Amen, amen, ich sage euch (das sind Worte, die eine Art von Eid darstellen, sagt der heilige Augustin) ja, ich schwöre euch, dass euch alles gewährt werden soll. Und welch größeren Trost kann ein Sünder haben, nach all seinen Stürzen, als sicher zu sein, dass alles, was er von Gott erbitten wird, ihm im Namen Jesu Christi gewährt werden wird?

Ja, ich sage, dass ihm alles gewährt werden wird, aber ich will nur von dem reden, was das Heil betrifft; denn für die zeitlichen Güter haben wir weiter oben gesehen, dass der Herr trotz unsern Bitten, sie uns manchmal verweigert, weil sie der Seele schädlich sind. Was jedoch die geistlichen Güter betrifft, so ist die Verheißung nicht an Bedingungen geknüpft, sondern sie gilt absolut; deshalb sagt uns der heilige Augustin, dass wir darum bitten sollen mit der festen Zuversicht, dass wir sie bekommen werden. Wie könnte uns Gott, sagt der heilige Lehrer, etwas verweigern, wenn wir ihn mit Vertrauen darum bitten, wo er doch ein größeres Verlangen hat, uns seine Gnaden zu geben, als wir, sie zu empfangen.

Chrysostomus sagt, dass der Herr sich nur dann über uns erzürnt, wenn wir es unterlassen, ihn um seine Gaben zu ersuchen. Und wie könnte es jemals vorkommen, dass Gott eine Seele, die ihn um Dinge ersucht, die alle nach seinem Wohlgefallen sind, nicht erhören will? Wenn die Seele zu ihm sagt: Herr, ich ersuche dich nicht um Güter dieser Erde, um Reichtümer, Vergnügen, Ehren; vielmehr bitte ich dich einzig um deine Gnade, befreie mich von der Sünde, gib mir einen guten Tod, gib mir das Paradies, gib mir deine heilige Liebe (was jene Gnade ist, wie der heilige Franz von Sales sagt, die man von Gott mehr als alle andern erbitten muss), gib mir Ergebung in deinen Willen; wie wäre es möglich, dass Gott sie nicht erhören will? Und welche Bitten wirst du jemals erhören, mein Gott, sagt der heilige Augustin, wenn du die nicht erhörst, die alle nach deinem Herzen sind? Doch vor allem muss es unser Vertrauen neu beleben, wenn wir von Gott geistliche Gnaden erbitten, was Jesus Christus gesagt hat: «Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten!» Lk 11,13. Wenn ihr (sagt der Erlöser), die ihr so sehr an euren Interessen hängt, weil ihr voller Eigenliebe seid, euren Kindern nicht zu verweigern wisst, was sie von euch erbitten; um wie viel mehr wird euer himmlischer Vater, der euch mehr als jeder irdische Vater liebt, euch seine geistlichen Güter gewähren, wenn ihr ihn darum bitten werdet?

§ 4. VON DER BEIM BETEN GEFORDERTEN BEHARRLICHKEIT

Es ist also notwendig, dass unsere Gebete demütig und vertrauensvoll seien, doch das genügt nicht, um die Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende zu erlangen und damit das ewige Heil. Gewiss werden uns die einzelnen Gebete sehr wohl die einzelnen Gnaden erlangen, die wir von Gott erbitten, doch wenn wir dabei nicht beharrlich sind, werden wir die Beharrlichkeit bis ans Ende nicht erlangen, wofür vermehrte Gebete erforderlich sind und solche, die fortgesetzt werden bis zum Tod, weil sie eben die Anhäufung vieler Gnaden zusammen einschließt. Die Gnade des Heils ist nicht eine einzige Gnade, sondern eine Kette von Gnaden, welche sich dann alle mit der Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende vereinen; nun aber muss dieser Kette von Gnaden (sozusagen) eine andere Kette unsrer Gebete entsprechen; wenn wir zu beten vernachlässigen, zerreißen wir die Kette unsrer Gebete, dann wird auch die Kette der Gnaden in die Brüche gehen, die uns zum Heil führen sollten, und so werden wir nicht gerettet werden.

Es ist wahr, dass die Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende nicht von uns verdient werden kann, wie das heilige Konzil von Trient lehrt, indem es sagt: "Man kann es nicht von andern bekommen, als von JENEM, dessen Allmacht es zukommt, zu bestimmen, dass jemand ausharrt" (6. Sitzung, Kapitel 13). Nichtsdestoweniger sagt der heilige Augustin, dass diese große Gabe der Beharrlichkeit in einem gewissen Sinn sehr wohl mit den Gebeten verdient werden kann, das heißt, dass man sie durch Beten erflehen kann. Und der Pater Suarez fügt hinzu, dass, wer betet, sie unfehlbar bekommt. Aber um dies zu erlangen und gerettet zu werden, sagt der heilige Thomas, ist ein beharrliches und fortwährendes Gebet notwendig: "Nach der Taufe ist für den Menschen ein ausdauerndes Gebet notwendig, damit er in den Himmel eingehen kann". Und zuvor hat es unser Heiland selber mehrere Male gesagt: «Man muss allezeit beten und darin nie nachlassen» Lk 18,1; «Wachet und betet zu jeder Zeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt» Lk 21,36. Ja, nur dann können wir mit Vertrauen vor seinem höchsten Gericht erscheinen. Dasselbe wurde früher im Alten Testament gesagt: «Säume nicht ein Gelübde rechtzeitig einzulösen, warte nicht bis zum Tod, um davon frei zu werden» Sir 18,22; «Preise Gott, den Herrn zu jeder Zeit; bitte ihn, dass dein Weg geradeaus führt und dass alles, was du tust und planst, ein gutes Ende nimmt» Tob 4,19. Daher hämmerte der Apostel seinen Schülern ein, sie sollten niemals aufhören zu beten: «Betet ohne Unterlass» 1 Thess 5,17; «Harret aus im Gebet; seid dabei wachsam und dankbar» Kol 4,2; «Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten» 1 Tim 2,8. Der Herr will uns die Beharrlichkeit und das ewige Leben sehr wohl geben, aber, sagt der heilige Neilos, er will sie nur dem gewähren, der auf beharrliche Weise darum bittet. Vielen Sündern gelingt es mit Hilfe der Gnade, sich zu Gott zu bekehren und die Verzeihung zu erlangen; aber dann fallen sie von neuem und verlieren alles, weil sie aufhören um die Beharrlichkeit zu bitten.

Es genügt auch nicht, sagt der heilige Robert von Bellarmin, einmal oder wenige Male um die Gnade der Beharrlichkeit zu bitten; wir müssen sie immer erstreben, an jedem Tag bis hin zum Tode, wenn wir sie erlangen wollen. Wer sie für einen Tag sucht, wird sie für diesen Tag bekommen; aber wenn er nicht um sie bittet am morgigen Tag, wird er morgen zu Fall kommen. Und das ist es, was der Herr uns zu verstehen geben wollte im Gleichnis von jenem Freund, der die Brote jenem, der sie von ihm erbat, nicht geben wollte, oder erst nach vielen aufdringlichen Bitten, indem er sagte: «Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht» Lk 11,8. Wenn nun ein solcher Freund, sagt der heilige Augustin, einzig um sich von der Aufdringlichkeit desselben zu befreien, ihm auch gegen seinen Willen die Brote geben würde, die er erbittet, um wie viel mehr wird Gott, der ja die unendliche Güte ist und ein so großes Verlangen hat, uns seine Güter mitzuteilen, uns seine Gnaden geben, wenn wir ihn darum ersuchen? Um so mehr, da er selber uns dazu auffordert, sie von ihm zu erbitten, und es missfällt ihm, wenn wir ihn nicht darum bitten. Sehr wohl will also der Herr uns das Heil gewähren und damit alle Gnaden, aber er will, dass wir nicht unterlassen, sie unablässig von ihm zu erbitten bis hin zur Aufdringlichkeit. Cornelius a Lapide sagt zum erwähnten Evangelium:' "Gott will, dass wir beharrlich seien im Beten, bis hin zur Aufdringlichkeit". Die Menschen auf Erden können die Aufdringlichen nicht ertragen, Gott jedoch erträgt uns nicht nur, er wünscht vielmehr, dass wir aufdringlich seien beim ihn um seine Gnaden Bitten, und besonders um die der heiligen Beharrlichkeit. Der heilige Gregor sagt, Gott wolle, dass man ihm Gewalt antue mit den Gebeten, weil eine solche Gewaltanwendung ihn nicht etwa aufbringe, sondern besänftige: "Gott will, dass man ihn anrufe, er will gezwungen werden, er will, dass man ihn durch eine gewisse Zudringlichkeit besiege, durch die er nicht beleidigt, sondern geradezu besänftigt wird".

Um also die Beharrlichkeit zu erlangen, ist es nötig, dass wir uns allezeit aufmerksam Gott anempfehlen, am Morgen, am Abend, bei der Betrachtung, bei der Messe, bei der Kommunion und alle Zeit: besonders zur Zeit der Versuchungen, indem wir dann immer sprechen und wiederholen: Herr, hilf mir, Herr, steh mir bei, halte deine Hände (schützend) über mich, lass mich nicht im Stich, hab Erbarmen mit mir. Gibt es denn etwas, das leichter wäre, als dies, dass man sagt: Herr, hilf mir, steh mir bei? Zu den Worten des Psalmisten: «Ich flehe zum Gott meines Lebens» Ps 41,9 sagt die Glosse: "Es sagt da einer: ich kann nicht fasten, kein Almosen geben; doch wenn man zu ihm sagen würde: Bete! So könnte er nicht sagen; Ich kann nicht". Denn es gibt nichts Leichteres als das Beten. Aber es ist notwendig, dass wir nie zu beten aufhören, es ist nötig, dass wir Gott sozusagen fortwährend Gewalt antun, damit er uns allezeit hilft, aber Gewalt, die ihm liebenswert und angenehm ist, schrieb Tertullian; und der heilige Hieronymus sagte, dass unsere Gebete um so eher von Gott freundlich angenommen werden, je beharrlicher und aufdringlicher sie sind.

Selig der Mensch, sagt Gott, der auf mich hört, der Tag für Tag mit heiligen Gebeten an den Toren meiner Barmherzigkeit wacht (Spr 8,34). Und Jesaja sagt: «Selig alle, die auf ihn warten» Jes 30,18. Selig sind jene, die bis ans Ende (betend) ihr Heil vom Herrn erwarten. Denn im Evangelium ermahnt uns Jesus Christus zum Beten, aber auf welche Weise? «Bittet, dann wird euch gegeben, sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet» Lk 11,9. Es hätte genügt, zu sagen «bittet», wozu diente es, dieses «suchet» und «klopfet an» hinzuzufügen? Doch nein, es war nicht überflüssig, dies hinzuzufügen; damit wollte unser Erlöser uns nahebringen, dass wir es machen müssen wie die Armen, die betteIn gehen: wenn diese nicht das Almosen bekommen, worum sie bitten, und weggeschickt werden, so hören sie nicht auf, darum zu bitten und von neuem darum zu bitten, und wenn nicht der Herr des Hauses in Erscheinung tritt, beginnen sie an die Türen zu klopfen, bis sie sehr aufdringlich und lästig werden. Das will Gott, dass wir es tun: dass wir bitten und wieder bitten und nie aufhören darum zu bitten, dass er uns beistehe, dass er uns helfe, dass er uns Licht gebe, uns Kraft gebe, und nicht zulasse, dass wir jemals seine Gnade verlieren sollten.

Der gelehrte Lessius lehrt, dass einer nicht von schwerer Schuld freigesprochen werden kann, wenn er nicht betet, während er sich im Stand der Sünde oder in Todesgefahr befindet; oder wenn einer während beachtlicher Zeit zu beten vernachlässigt, das heißt, (wie er sagt) während einem oder zwei Monaten; doch ist das zu verstehen außerhalb der Zeit der Versuchungen, denn wer sich von irgendeiner schweren Versuchung angefochten sieht, der sündigt ohne Zweifel schwer, wenn er nicht durch das Gebet zu Gott seine Zuflucht nimmt, indem er die Hilfe erbittet, ihr zu widerstehen, ja wenn er sieht, dass er sich sonst der nächsten, ja der sichern Gefahr zu fallen, aussetzt.

1. Warum schiebt es Gott hinaus, uns die Beharrlichkeit bis ans Ende zu gewähren?

Mancher wird jedoch sagen: Da mir der Herr die heilige Beharrlichkeit geben kann und will, warum gewährt er sie mir nicht ganz auf einmal, wenn ich ihn darum bitte? Zahlreich sind die Gründe, welche die heiligen Väter dafür angeben.

1. Gott gewährt sie nicht auf einmal und schiebt sie hinaus, um besser unser Vertrauen auf die Probe zu stellen.

2. Außerdem, sagt der heilige Augustin, damit wir sie umso mehr herbeisehnen; der Heilige schreibt, die großen Gaben bekommt man nur bei großer Sehnsucht, zumal man sodann die Güter, die man rasch bekommen hat, nicht für von so hohem Wert hält, wie man jene hält, die man lange Zeit ersehnt hat: "[Gott] will nicht sogleich geben, damit du in hohem Maße die großen Dinge ersehnen lernest; das, was lange ersehnt wurde, wird man süßer empfangen; was man sofort geschenkt bekommt, läuft Gefahr zu etwas Gewöhnlichem zu werden".

3. Außerdem tut er es, damit wir nicht aufhören, an ihn zu denken; wenn wir über unsere Beharrlichkeit und unser Heil schon sicher wären und wenn wir nicht beständig die Hilfe Gottes benötigen würden, um in seiner Gnade bewahrt und gerettet zu werden, so würden wir Gott leicht vergessen. Die Not bewirkt, dass die Armen die Häuser der Reichen häufig besuchen. Daher schiebt es der Herr hinaus, um uns an sich zu ziehen (wie der heilige Johannes Chrysostomus sagt), und um uns oft zu seinen Füßen zu sehen, damit er uns um so größere Wohltaten erweisen könne, ja zu diesem Zweck schiebt es der Herr bis zur Zeit unseres Todes hinaus, uns die erfüllte Gnade der Rettung zu schenken: "Er schiebt es hinaus, unsere Gebete anzunehmen, nicht weil es ihm widerstreben würde, sondern mit dem Zweck, uns ausdauernder werden zu lassen und um uns an sich zu ziehen".

4. Außerdem macht er es, damit wir uns durch das mit dem Beten Fortfahren um so mehr mit süßen Banden der Liebe IHM selber anschließen: "Das innere Gebet (sagt derselbe Chrysostomus) ist kein geringes Band der Liebe zu Gott, vielmehr gewöhnt uns das Gespräch mit IHM an seine Natur". Dieses unser fortwährendes Zufluchtnehmen zu Gott durch die Gebete und dieses mit Vertrauen die Gnaden von IHM Erwarten, die wir ersehnen, oh was für ein großer Ansporn und ein Band der Liebe ist es doch, um uns für IHN zu entflammen und uns inniger mit Gott zu verbinden!

Aber bis wann muss man beten? Allezeit, antwortet derselbe Heilige, bis wir das günstige Urteil für das ewige Heil empfangen, das heißt bis zum Tode: "Nicht davon ablassen, bis man es bekommen hat". Und er fügt hinzu, dass wer sagt: Ich werde nicht zu beten aufhören, solange ich nicht gerettet bin, der wird sicher gerettet werden: "Wenn du sagen wirst, ich werde nicht zu beten aufhören, solange ich nicht bekommen haben werde, so wirst du schließlich empfangen". Der Apostel schreibt, dass viele laufen um das Pallium (den Bischofsmantel), aber nur jener eine bekommt es, dem es gelingt es zu erfassen: «Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, dass aber nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft auch ihr so, dass ihr ihn gewinnt» 1 Kor 9,24. Es genügt also nicht zu beten, um gerettet zu werden, es ist nötig, dass wir allzeit beten, bis wir dahin gelangen, die Krone zu empfangen, die Gott verspricht, aber er verspricht sie nur jenen, die standhaft sind, um ihn zu bitten bis ans Ende.

Wenn wir also gerettet werden wollen, müssen wir es machen, wie David getan hat, der allzeit seine Augen auf den Herrn gerichtet hielt, um dessen Hilfe zu erflehen, und sich nicht von seinen Feinden besiegen ließ. «Ich schaue stets auf den Herrn, denn er wird meinen Fuß aus der Schlinge ziehen» Ps 25,15. So wie der Teufel nicht aufhört, uns fortwährend Fallen zu stellen, um uns ohne Unterlass zu verschlingen, wie der heilige Petrus schreibt: «Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann» 1 Petr 5,8, so müssen auch wir fortwährend mit den Waffen in der Hand dastehen, um uns gegen einen solchen Feind zu verteidigen und mit dem königlichen Propheten zu sprechen: «Ich verfolge meine Feinde ... ich kehre nicht um, bis ich sie vernichtet habe» Ps 18,38. Ich werde nicht aufhören zu kämpfen, bis ich meine Widersacher besiegt sehen werde. Doch wie werden wir diesen Sieg erlangen können, der für uns so wichtig und so schwierig ist? "Mit äußerst beharrlichen Gebeten" antwortet uns der heilige Augustin, nur mit den Gebeten, aber mit äußerst beharrlichen Gebeten. Und bis wann? Solange der Kampf andauern wird. "Wie der Kampf nie zu Ende geht, sagt der heilige Bonaventura, so werden wir nie aufhören, um Erbarmen zu bitten" (Sermo 27 de Conf.). Wie wir fortwährend kämpfen müssen, so sollen wir fortwährend bei Gott Hilfe suchen, um nicht besiegt zu werden. Wehe dem, sagt der Weise, wer in diesem Kampf unbeständig und nachlässig beim Beten ist: «Wehe euch, die ihr die Geduld verloren habt» Sir 2,14. Wir werden gerettet werden, warnt uns der Apostel, aber nur unter der Bedingung: «Wenn wir an der Zuversicht und an dem Ruhm der Hoffnung bis ans Ende festhalten» (Hebr 3,6). Wenn wir beim Beten mit Vertrauen standhaft sein werden bis zum Tod.

Lasst uns also mit demselben Apostel sprechen, beseelt vom Erbarmen Gottes und gestützt auf seine Verheißungen: «Wer wird uns also trennen von der Liebe Christi? Trübsal oder Bedrängnis, Verfolgung oder Hunger, ... Gefahr oder Schwert?» Röm 8,35. Wer vermag uns zu trennen von der Liebe Christi? Vielleicht die Bedrängnis? Die Gefahr, die Güter dieser Erde zu verlieren? Die Verfolgungen durch die Dämonen oder die Menschen? Die Grausamkeit der Tyrannen? «Doch in all dem bleiben wir Sieger durch den, der uns geliebt hat» Röm 8,37. Nein (sagte er, indem er uns seinen Mut mitteilte), keine Bedrängnis, keine Beengung, keine Gefahr, Verfolgung oder Quälereien werden uns jemals von der Liebe Jesu Christi trennen; denn wir werden alles überwinden mit göttlicher Hilfe und indem wir aus Liebe zu diesem Herrn kämpfen, der sein Leben für uns hingegeben hat.

An dem Tage, da Pater Hippolyt Durazzo sich entschloss, die Prälatenstelle in Rom zu verlassen und sich ganz Gott zu schenken, indem er in die Gesellschaft Jesu eintrat (wie er dann ja getan hat), weil er sich fürchtete vor seiner Untreue aufgrund seiner Schwäche, sagte er zu Gott: "Du wirst mich nicht verlassen"; Herr, da ich mich nun ganz dir geschenkt habe, lass mich aus Erbarmen nicht im Stich. Doch da vernahm er, wie ihm im Herzen von Gott gesagt wurde: "Du wirst mich nicht verlassen"; (da sagte Gott zu ihm) eher muss ich zu dir sagen, dass du mich nicht verlassen sollst. Und so kam der Diener Gottes im Vertrauen auf die Güte Gottes und dessen Hilfe zum Schluss, indem er sagte: Mein Gott, so wirst du mich also nicht verlassen und ich werde dich nicht verlassen.

2. Schlussfolgerung aus dem dritten Kapitel

Wenn wir also am Schluss nicht wollen, dass Gott uns im Stiche lässt, so dürfen wir nicht unterlassen, allzeit zu ihm zu beten, dass wir einander nicht verlassen. Wenn wir so handeln, so wird er uns sicher immer beistehen und niemals zulassen, dass wir ihn verlieren und uns von seiner Liebe trennen. Und zu diesem Zweck trachten wir nicht nur danach, allzeit um die Beharrlichkeit bis ans Ende und um die Gnaden zu bitten, die notwendig sind, um sie zu erlangen; sondern wir ersuchen im voraus den Herrn zugleich um die Gnade, mit Beten fortzufahren: was ja im Grunde jene große Gabe ist, die er seinen Auserwählten durch den Mund des Propheten verheißen hat: «Über das Haus David und über die Einwohner Jerusalems werde ich den Geist des Mitleids und des Gebetes ausgießen» Sach 12,10.

Oh welch große Gnade ist der Geist des Gebetes, das heißt die Gnade, die Gott einer Seele gewährt, allzeit zu beten. So wollen wir denn von Gott allzeit diese Gnade erbitten und diesen Geist, allzeit zu beten; denn wenn wir allzeit beten werden, dann werden wir sicher vom Herrn die Beharrlichkeit erlangen und jede andere Gabe, die wir ersehen, während er nicht sein Versprechen brechen kann, den zu erhören, der ihn bittet. «Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet worden» Röm 8,24. Mit dieser Hoffnung, dass wir allzeit beten werden, dürfen wir unseres Heiles sicher sein. "Mit diesem Vertrauen, wird uns der Zutritt zur Heimat gewährt werden". Diese Hoffnung, sagte der ehrwürdige Beda, wird uns den sichern Zutritt in die himmlische Stadt verleihen.

ZWEITER TEIL

HIER WIRD NACHGEWIESEN, dass DIE GNADE ZUM BETEN ALLEN MENSCHEN GEGEBEN WIRD, UND DIE ART UND WEISE BEHANDELT, WIE DIE GNADE FÜR GEWÖHNLICH WIRKT.

VORBEMERKUNG

Vorausgesetzt also, die Notwendigkeit, die wir haben, beten zu müssen, um das Heil zu erlangen, was unbestreitbar ist, wie wir es im ersten Teil im ersten Kapitel bewiesen haben; so müssen wir folglich auch als sicher unterstellen, dass jeder die göttliche Hilfe bekommt, um hier und jetzt beten zu können, ohne dass es einer weiteren besonderen Gnade bedürfte, und dass man so dann durch das Gebet alle andern notwendigen Gnaden bekommen kann, um die Gebote beobachten und bis ans Ende ausharren zu können, und so zum ewigen Leben zu gelangen; somit kann keiner, der verlorengeht, sich jemals darüber beklagen, dass er verloren gegangen sei infolge eines Mangels an notwendigen Hilfen, um gerettet zu werden. Sowie Gott in der natürlichen Ordnung verfügt hat, dass der Mensch nackt geboren werde und gar mancher Dinge bedarf, um zu leben, ihm dann aber Hände gegeben hat und Verstand (mente), womit er sich bekleiden und für alle seine andern Bedürfnisse sorgen kann, so wird der Mensch (auch) in der übernatürlichen Ordnung geboren als ein Ohnmächtiger, um mit seinen eigenen Kräften das ewige Heil zu erlangen, doch der Herr gewährt jedem durch seine Güte die Gnade des Gebetes, mit der er sodann alle andern Gnaden erflehen kann, deren er bedarf, um die Gebote zu beobachten und gerettet zu werden.

Aber bevor dieser Hauptpunkt erklärt wird, ist es förderlich zwei Vorbemerkungen vorauszuschicken. Zum ersten, dass Gott das Heil aller Menschen will und dass deshalb Jesus Christus für alle gestorben ist. Zum zweiten, dass Gott, was ihn selber betrifft, allen die notwendigen Gnaden schenkt, um gerettet zu werden, und damit jeder gerettet werden kann, wenn er diesen Gnaden entspricht.

I. GOTT WILL, DASS ALLE GERETTET WERDEN, UND DESHALB IST JESUS CHRISTUS GESTORBEN, UM ALLE ZU RETTEN

§ 1. GOTT WILL DAS HEIL ALLER MENSCHEN

Gott liebt alle Wesen, die er erschaffen hat: «Du liebst ja alle Wesen und du verabscheust nichts von dem, was du erschufst» Weish 11,24. Die Liebe kann nicht müßig bleiben: "Jede Liebe hat ihre eigene Kraft", sagt der heilige Augustin, "und sie kann nicht untätig bleiben". Daher kommt es, dass die Liebe notwendigerweise das Wohlwollen in sich trägt, so dass der Liebende es nicht unterlassen kann, der geliebten Person Gutes zu tun, sooft er kann: "Die Liebe treibt dazu an, die Dinge zu verwirklichen, die als ein Gut erachtet werden für die geliebte Person", hat Aristoteles geschrieben (I Rhetor.). Wenn Gott also alle Menschen liebt, so muss er wollen, dass alle das ewige Heil erwerben, was ja das höchste und einzige Gut für den Menschen ist, da dies der einzige Zweck ist, für den er sie erschaffen hat: «Jetzt aber habt ihr als euren Gewinn die Heiligung und als Ende ewiges Leben» Röm 6,22.

Diese Lehre, dass Gott alle gerettet sehen will, und dass Jesus Christus für das Heil aller gestorben ist, das ist heutzutage sicheres und katholisches Lehrgut der Kirche, wie die Theologen gemeinhin sagen, so ein Petau, Gonet, Gotti und andere mit Tournely, der sogar hinzufügt, es sei ein Lehrsatz, der nahezu zum Glauben verpflichtet (fide proxima).

1. Beschlüsse der Kirche

Daher wurden zu recht die Prädestinatiönler verurteilt, die unter andern Irrtümern, wie man es bei Noris, Petau und noch deutlicher bei Tournely sehen kann, sagten, dass Gott nicht alle gerettet sehen will, wie Hinkmar, der Erzbischof von Reims in seinem Brief an Nikolaus I. bezeugte, indem er sagte: "Die alten Prädestinatianer sagten, Gott wolle nicht, dass alle gerettet werden, sondern nur jene, die tatsächlich gerettet werden". Diese wurden schon früher vom Konzil von Arles im Jahre 475 verurteilt, wo gesagt wurde: "Ausgeschlossen sei, wer sagt, dass Jesus Christus nicht für alle gestorben ist; und wer sagt, er wolle nicht, dass alle Menschen gerettet werden". Und dann vom Konzil von Lyon im Jahre 490, wo Lucidus gezwungen wurde, seine Behauptung zurückzunehmen, worin es erklärte: "Ich verurteile denjenigen, der behauptet, dass Christus den Tod nicht für das Heil aller erlitten hat". Und ebenso wurde im neunten Jahrhundert Gottschalk, der denselben Irrtum erneuerte, von der Synode von Quiercy verurteilt, wo im Artikel 3 beschlossen wurde: "Gott will ohne irgendeine Ausnahme, dass alle Menschen gerettet werden, wenn auch tatsächlich nicht alle gerettet werden". Und im Artikel 4: "Es gibt keinen, für den Christus nicht gelitten hat, obwohl nicht alle durch das Geheimnis seines Leidens erlöst werden". Derselbe Irrtum wurde zuletzt verurteilt in den Thesen 12 und 30 von Quesnel. In der einen wurde gesagt: "Wenn Gott eine Seele retten will, so wird die Auswirkung unvermeidlich seinem Willen folgen". In der andeen: "All jene, von denen Gott will, dass sie durch Christus gerettet werden, diese werden unfehlbar gerettet". Diese Thesen wurden gerechter Weise verurteilt, und zwar weil sie andeuteten, dass Gott nicht das Heil aller Menschen will; denn wenn man sagen könnte, dass jene, deren Heil Gott will, unfehlbar gerettet werden, dann würde daraus abgeleitet, Gott wolle nicht die Rettung aller Gläubigen, und noch viel weniger die aller Menschen.

Und das wurde auch klar und deutlich vom Konzil von Trient zum Ausdruck gebracht in der sechsten Sitzung im Kapitel zwei, wo gesagt wird, dass Jesus Christus gestorben ist, "damit alle die Annahme an Kindes statt empfingen". Und im Kapitel drei: "In der Tat, obwohl ER für alle gestorben ist, so empfangen dennoch nicht alle die Wohltat seines Sterbens". Somit nimmt das Konzil als gewiss an, dass der Erlöser nicht nur für die Auserwählten gestorben ist, sondern auch für jene, welche die Wohltat der Erlösung durch ihre Schuld nicht annehmen. Und es gilt nicht, zu sagen, damit habe das Konzil nur sagen wollen, dass Jesus Christus der Welt einen hinreichenden Lösepreis, um alle zu retten, gegeben habe; denn in diesem Sinn könnte man auch sagen, er sei auch für die Dämonen gestorben. Außerdem dass hier das Trienter Konzil den Irrtum der Neuerer widerlegen wollte, die zwar nicht bestritten, dass das Blut Jesu Christi hinreichend war, um alle Menschen zu retten, die aber sagten, dass es keineswegs für alle vergossen und hingegeben worden war; und diesen Irrtum hat das Konzil verurteilen wollen, indem es sagte, dass der Heiland für alle gestorben sei. Außerdem sagt es im sechsten Kapitel, dass die Sünder sich für die Rechtfertigung vorbereiten durch die Hoffnung auf Gott, beruhend auf den Verdiensten Jesu Christi: "Sie machen sich Mut, indem sie darauf vertrauen, dass Gott ihnen gnädig sein werde aufgrund der Verdienste Christi". Wenn nun aber Jesus Christus die Verdienste seines Leidens nicht für alle Menschen angewendet hätte, würde daraus folgen, dass niemand sicher sein könnte (ohne eine besondere Offenbarung), dass er zur Zahl jener gehört, für die der Erlöser die Frucht seiner Verdienste hat anwenden wollen, so könnte kein Sünder sich mit einer solchen Hoffnung vorbereiten, da er ja keine sichere und zuverlässige Grundlage hätte (die aber für die Hoffnung notwendig ist), dass Gott die Rettung aller Menschen will und allen Sündern verzeihen will, die dazu vorbereitet wurden durch die Verdienste Jesu Christi.

Und das wurde auch, außer dem Irrtum, der schon bei Bajus verurteilt wurde, der gesagt hat, Jesus Christus sei nur für die Auserwählten gestorben, bei Jansenius in seiner fünften These verworfen: "Es ist semipelagianisch zu sagen, Christus sei absolut für alle gestorben und er habe sein Blut für alle vergossen". Und Innozenz X. hat ausdrücklich in seiner Konstitution vom Jahre 1653 erklärt, dass wenn man sage, Christus sei nur für das Heil der Auserwählten gestorben, das sei eine gottlose und häretische These.

2. Berühmter Text des heiligen Paulus

Doch dagegen versichern uns sowohl die Schrift, wie alle heiligen Väter, dass Gott aufrichtig mit echtem Willen das Heil aller will und die Bekehrung aller Sünder, solange sie auf dieser Erde leben. Dafür haben wir zuerst das ausdrückliche Zeugnis beim heiligen Paulus: «Gott, unser Retter, ... will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen» 1 Tim 2,4. Die Aussage des Apostels ist absolut und entscheidend: «Gott will dass alle Menschen gerettet werden». Diese Worte in ihrem eigentlichen Sinn erläutern, dass Gott wahrhaft das Heil aller Menschen will; und es gilt als sichere Regel, allgemein von allen angenommen, dass man die Worte der Schrift nicht umbiegen darf zu einem uneigentlichen Sinn, außer im einzigen Fall, dass der Wortsinn dem Glauben oder den guten Sitten widerspricht. Und gerade das will der heilige Bonaventura in unserem Anliegen sagen, wenn er schreibt: "Man muss behaupten, dass, wenn der Apostel sagt, Gott wolle, dass alle Menschen gerettet werden, dann müssen wir notwendigerweise zugeben, dass Gott es effektiv will".

Es ist wahr, dass der heilige Augustin und der heilige Thomas verschiedene Deutungen anführen, die einzelne zu diesem Text gegeben haben, aber diese beiden heiligen Lehrer haben es vom echten Willen verstanden, den Gott hat, alle Menschen ohne Ausnahme zu retten.

Und indem wir nun vom heiligen Augustin sprechen, werden wir im Folgenden sehen, dass dies die wahre Meinung des Heiligen gewesen ist; daher weist es der heilige Prosper als etwas für den Kirchenlehrer Beleidigendes zurück, sagen zu wollen, der heilige Augustin habe je angenommen, dass der Herr nicht aufrichtig das Heil aller und jedes einzelnen unter den Menschen wolle; daher hat der heilige Prosper, der dessen treuester Schüler gewesen ist, dies so beschrieben: "Redlicher Weise muss man glauben und bekennen, dass Gott will, dass alle Menschen gerettet werden; deswegen ermahnt der Apostel, der diese Wahrheit beteuert hat, mit größter Sorge, man solle für alle zu Gott beten". Dieser Beweisgrund, mit dem der Heilige dies beweist, ist klar und gediegen, da ja der heilige Paulus an der zuvor erwähnten Stelle folgendermaßen spricht: «Ich fordere dich also auf, zu allererst inständige Bitten ... für alle Menschen zu verrichten» 1 Tim 2,1. Und dann fügt er hinzu mit der Begründung: «Das ist recht und angenehm vor Gott, unserem Retter, der will, dass alle Menschen gerettet werden» 1 Tim 2,3. Der Apostel will also, dass man für alle bete, insofern Gott will, dass alle gerettet werden. Desselben Argumentes bediente sich der heilige Johannes Chrysostomus: "Wenn ER will, dass alle gerettet werden, dann muss mit gutem Grund für alle gebetet werden. Wenn er wünscht, dass alle gerettet werden, dann sollst auch du dich seinem Willen anpassen".

Und wenn an irgendeiner Stelle der heilige Augustin beim Streitgespräch gegen die Semipelagianer den Anschein erweckt, als hätte er eine abweichende Deutung des erwähnten Textes festgehalten, indem er sagt, Gott wolle nicht jeden von den Menschen gerettet sehen, sondern nur einige; dann überlegt der hochgelehrte Petau richtig, dass der Heilige dort beiläufig gesprochen habe, aber nicht mit Absicht; oder er hat bloß von der Gnade des absoluten und siegreichen Willens gesprochen, mit dem Gott absolut will, dass einige gerettet werden, da ja der Heilige beim Reden darüber gesagt hat: "Der Wille des Allmächtigen triumphiert immer".

Hören wir uns auf einem andern Wege an, wie der heilige Thomas die Aussage des heiligen Augustin mit der des heiligen Johannes Chrysostomus versöhnt, welcher daran festhält, dass Gott alle und einen jeden von den Menschen mit dem zuvorkommenden Willen gerettet sehen will: "Gott will vorauseilend, dass alle gerettet werden, denn, weil er ja gütig ist, will er alle an seiner Güte teilhaben lassen; und weil er gerecht ist, will er, dass die Sünder bestraft werden". Der heilige Augustin hingegen, scheint an einer Stelle (wie es bereits gesagt wurde), es nicht so zu meinen. Doch der heilige Thomas versöhnt die Aussagen miteinander, und sagt, dass der heilige Johannes Damaszenus vom vorauseilenden Willen Gottes gesprochen habe, womit dieser wirklich alle gerettet sehen will, und der heilige Augustin habe vom nachfolgenden Willen gesprochen. Der heilige Thomas erklärt. sodann an der erwähnten Stelle, wie der vorauseilende Wille Gottes beschaffen sei und wie der nachfolgende und er sagt: "Vorauseilend ist jener Wille Gottes, wodurch er will, dass alle gerettet werden. Habe man jedoch alle Umstände der einzelnen Person in Betracht gezogen, so wäre es nicht gerecht, dass alle gerettet würden. Gut ist derjenige, der durch ein sich Vorbereiten damit einverstanden ist gerettet zu werden, nicht aber derjenige, der es nicht will und widerspenstig ist und so fort. Und dieser wird nachfolgender Wille genannt, der das Vorauswissen um die Werke voraussetzt, nicht zwar als Ursache des (vorauseilenden) Willens, sondern als vernunftmäßiger Beweggrund dessen, was der Mensch gewollt hat".

Somit ist auch der heilige Thomas derselben Ansicht, dass Gott alle und jeden von den Menschen wahrhaft gerettet sehen will; und er bestätigt das an mehreren anderen Stellen; über die Worte: "Ich werde den, der zu mir seine Zuflucht nimmt, nicht fortjagen", lässt er den Herrn, indem er die Lehrvollmacht des Chrysostomus beizieht, sprechen: "Wenn ich also zur Rettung der Menschen Fleisch geworden bin, wie kann ich sie fortjagen? Und das beabsichtigt er zu sagen, wenn er behauptet: "Ich werde ihn nicht fortjagen, denn ich stieg ja vom Himmel herab, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen meines Vaters, der will, dass alle Menschen gerettet werden". An einer andern Stelle: "Gott schenkt mit seinem großzügigen Willen die Gnade jedem, der sich darauf vorbereitet, Gott, der ja will, dass alle Menschen gerettet werden. Folglich wird die Gnade Gottes keinem fehlen, vielmehr soweit es von IHM abhängt, teilt er sich allen mit". Im übrigen erläutert er es noch ausdrücklicher, indem er den erwähnten Text des heiligen Paulus auslegt: «Gott will, dass alle Menschen gerettet werden» 1 Tim 2,4, schreibt der heilige Lehrer: "In Gott hat die Rettung aller Menschen in sich betrachtet schon einen hinreichenden Grund, um gewollt zu werden, und das ist der vorauseilende Willen; wenn man aber auf die Rechte der Gerechtigkeit und auf die begangene Sünde schaut, die bestraft werden muss, dann gibt es keinen hinreichenden Grund mehr, und so gesehen will Gott nicht, und das ist der nachfolgende Willen". Und hier sieht man, dass der Engelgleiche fest geblieben ist beim Erklären, was er unter vorauseilendem Willen verstand, und was unter dem Nachfolgenden; denn hier bestätigt er dasselbe, was er schon gesagt hat über die Sentenzen, wie wir kurz zuvor erwähnt haben. Da fügt er an dieser Stelle nur noch den Vergleich mit dem Kaufmann hinzu, der im Voraus betrachtet alle seine Waren retten will; doch nachdem der Seesturm hinzugekommen ist, da will er sie nicht mehr gerettet sehen, um so sein eigenes Leben zu retten. Und so sagt dann der Heilige ganz ähnlich, dass Gott in Anbetracht der Bosheit von einigen, sie bestraft sehen will zum Wohl der Gerechtigkeit und sie folglich nicht gerettet sehen will; vorauseilend jedoch will er mit echtem Wollen (in sich betrachtet) die Rettung aller. Somit ist, wie er an einer andern Stelle geschrieben hatte, der Wille Gottes alle zu retten, von ihm her gesehen absolut, er ist nur von Seiten des gewollten Gegenstandes her gesehen bedingt, das heißt, wenn der Mensch zustimmen will, wie es die richtige Ordnung erfordert, um das Heil zu erlangen: "Es besteht jedoch keine Unvollkommenheit von Seiten des Willens Gottes, sondern von Seiten des gewollten Gegenstandes mit allen Begleitumständen, die erforderlich sind für die richtige Ordnung des Heils". Und in der erwähnten Frage 19 (Artikel 6 zum I) erklärt der Engelgleiche von neuem und noch deutlicher, was er unter vorauseilendem Willen versteht und was unter nachfolgendem Willen, indem er es folgendermaßen sagt: "Der gerechte Richter will im voraus das Leben für jeden Menschen, in der Folge jedoch will er, dass der Menschenmörder gehenkt werde. So will Gott "im voraus", dass jeder Mensch gerettet werde, "in der Folge" jedoch will er, dass einige verdammt werden, gemäß dem, was seine Gerechtigkeit fordert".

Ich beabsichtige nicht, hier die Lehrmeinung zu verwerfen, welche die Vorausbestimmung zur Herrlichkeit noch vor der Voraussicht der Verdienste will; ich sage nur, dass ich nicht zu verstehen vermag, wie diejenigen, die da wollen, dass Gott ohne jeden Blick auf die Verdienste einige für das ewige Leben erwählt haben soll, und andere davon ausgeschlossen, sich dann davon überzeugen können, dass ER die Rettung aller will; wenn sie trotzdem nicht begreifen, dass dieser Wille Gottes nicht wahr und aufrichtig sei, sondern viel eher ein hypothetischer oder metaphorischer Wille. Ich sehe nicht ein, sage ich, wie man bloß behaupten kann, Gott wolle alle Menschen gerettet und der Herrlichkeit teilhaftig sehen, wenn von IHM der größere Teil unter ihnen bereits im voraus zu jeglichem Missverdienst ihrerseits von dieser Herrlichkeit ausgeschlossen wurde. Zur Verteidigung seiner gegenteiligen Ansicht sagt Petau: Wozu diente es, dass Gott allen Menschen die Sehnsucht nach der ewigen Seligkeit gegeben hat, wenn er aber im voraus zu jeglichem Missverdienst von ihnen den größeren Teil unter ihnen davon ausgeschlossen hat? Was nützte es Jesus Christus, alle retten zu kommen mit seinem Sterben, wenn schon im voraus so viele Elende durch Gott dessen beraubt worden wären? Wozu diente es, ihnen die Mittel zu geben, wenn sie schon vorher vom Erreichen des Zieles ausgeschlossen worden sind? Was für ein Gott, fügt darum derselbe Petau hinzu (und das ist eine sehr wichtige Überlegung) und sagt, wenn das jemals der Fall gewesen wäre, dann müssten wir sagen, was ist das für ein Gott, der zwar alle von ihm erschaffenen Wesen liebt, der sodann die Menschen erschuf, sie aber nicht alle geliebt hätte, sondern sie zum größeren Teil in höchstem Maße gehasst hätte, indem er sie von der Herrlichkeit ausschloss, für die er sie erschaffen hatte. Es ist gewiss, dass die Seligkeit des Geschöpfes im Erreichen des Zieles besteht, wofür es erschaffen wurde. Es ist hingegen sicher, dass Gott alle Menschen für das ewige Leben erschafft. Wenn nun aber Gott einige Menschen für das ewige Leben erschaffen hätte, und er sie sodann ohne Rücksicht auf ihre Fehler davon ausgeschlossen hätte, dann hätte er sie dadurch, dass er sie erschuf, ohne Grund im höchsten Maß gehasst, indem er ihnen den größten Schaden zufügte, der ihnen jemals hätte widerfahren können, und der darin besteht, vom Erreichen ihres Zieles ausgeschlossen zu sein, das heißt von der Herrlichkeit, für die sie ja erschaffen worden waren. "Denn Gott kann nicht zugleich von Hass und von Liebe im Hinblick auf seine Geschöpfe erfasst werden, und im besondern dem Menschen gegenüber, wie wenn er ihn liebte für das ewige Leben und ihn hasste für die Verdammnis. Es wäre höchste Ungnade für den Menschen, von Gott entfernt oder verworfen zu werden. Nun aber wäre eine Seele, deren Verurteilung Gott wollte, nicht geliebt, vielmehr würde sie mit einem in seiner Art höchsten Hass gehasst, was über die natürliche Ordnung der Dinge hinausginge". Und unter diesem ewigen Untergang versteht der Verfasser noch nicht tatsächliche Verdammung, die Gott für jemanden bestimmt, sondern den Ausschluss von der Herrlichkeit, denn in der Tat, sagt Tertullian, was würde es uns jemals nützen, dass Gott uns nicht für die Hölle erschaffen hat, wenn er uns beim Erschaffen von der Zahl der Erwählten abgetrennt hätte? Zumal das von den Auserwählten Getrenntsein notwendigerweise den Verlust des Heiles und das Verdammtwerden nach sich zieht, wo es doch zwischen dem einen und dem andern kein Mittelding gibt. "Was würde das von den Auserwählten getrennt werden bedeuten" (schreibt Tertulian) "wenn nicht den Verlust des Heiles?" Infolgedessen zieht Petau daraus den Schluss: "Wenn darum Gott den Menschen mit einer Liebe liebt, die dessen Verdienste übersteigt, so wird er dessen Seele nicht hassen und folglich kann er für ihn nicht das größte Übel wollen". Wenn Gott also alle Menschen liebt, wie es unbestreitbar ist, dann müssen wir festhalten, dass er sie alle gerettet sehen will, und dass er keinen jemals dermaßen gehasst hat, dass er für ihn dieses große Übel gewollt hat, ihn von der Herrlichkeit auszuschließen, ehe er dessen Missverdienste vorausgesehen hat.

Nichtsdestoweniger sage ich, und wiederhole immer, dass ich es nicht verstehen kann; denn im übrigen, da diese Angelegenheit der Vorherbestimmung ein so tiefes Geheimnis ist, dass es den Apostel sagen ließ: «O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind deine Entscheidungen, wie unerforschlich deine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt?» Röm 11,33. Wir müssen uns also dem Willen des Herrn unterwerfen, der in der Kirche dieses Geheimnis im Dunkel hat lassen wollen, damit wir uns alle demütig zu beugen lernen unter die erhabenen Urteile seiner göttlichen Vorsehung. Umso mehr als die göttliche Gnade, durch die allein von den Menschen das ewige Leben erworben werden kann, dieses ohne Zweifel mehr oder weniger reichlich von Gott verteilt wird ganz und gar umsonst und ohne irgend ein Hinblicken auf unsere Verdienste. Daher kommt es, dass es, um gerettet zu werden, immer notwendig sein wird, dass wir uns in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit hineinwerfen, damit sie uns mit ihrer Gnade beisteht, das Heil zu erwerben, wobei man immer auf ihre unfehlbaren Verheißungen vertraut, den zu erhören und zu retten, der zu ihr betet.

3. Andere Texte der Heiligen Schrift

Doch wir wollen zu unserem Streitpunkt zurückkehren, dass Gott wirklich die Rettung aller Menschen will. Schauen wir uns die anderen Texte an, die dasselbe bestätigen. Der Herr sagt durch Ezechiel: «So wahr ich lebe - Spruch Gottes, des Herrn -, ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt» Ez 33,11. Er sagt nicht nur, dass er den Tod nicht will, sondern dass er das Leben des Sünders will: und er bekräftigt es mit einem Eid, wie Tertullian bemerkt, damit man ihm dabei leichter Glauben schenke.

Außerdem sagt David: «Sein Zorn dauert nur einen Augenblick, doch seine Güte ein Leben lang» Ps 30,6. Wenn er uns züchtigt, so tut er es, weil unsere Sünden ihn zur Entrüstung herausfordern, doch was seinen Willen betrifft, so will er nicht unsern Tod, sondern das Leben. Der heilige Basilius, wobei er gerade diesen Text erklärt, sagt: "Was sagt er also? Wenn nicht, dass alle teilhaben sollen am ewigen Leben". Außerdem sagt derselbe Prophet: «Gott ist ein Gott, der uns Rettung bringt, Gott, der Herr, führt heraus aus dem Tod» Ps 68,21. Dazu erläutert Bellarmin: "Das macht sein Wesen aus, seine Natur: unser Gott ist ein Gott, der rettet; und Gott gehören die Schlüssel des Todes, die Befreiung davon". Somit ist es Gott eigen und gehört zur Natur Gottes, alle zu retten und alle vom ewigen Tod zu befreien.

Außerdem sagt der Herr selber: «Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken» Mt 11,28. Wenn er uns alle zum Heil beruft, dann hat er also den echten Willen, uns alle zu retten. Außerdem sagt der heilige Petrus: «(Er ist nur langmütig mit euch, da) er nicht will, dass jemand verlorengehe, sondern dass alle zur Bekehrung finden» 2 Petr 3,9. Er will nicht die Verdammnis von irgend jemandem, vielmehr will er, dass alle Buße tun und dadurch gerettet werden.

Außerdem sagt der Herr: «Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer auf meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem will ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir» Offb 3,20; «Warum wollt ihr sterben, ihr Israeliten! Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt» Ez 18,3lf; «Was sollte ich noch für meinen Weinberg tun, das ich nicht für ihn tat?» Jes 5,4; «Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, ihr aber habt nicht gewollt!» Mt 23,37. Wie könnte der Herr sagen, dass er fortwährend an die Herzen von uns Sündern klopft? Wie sollte er uns so lebhaft ermahnen, in seine Arme zurückzukehren ? Wozu uns zärtliche Vorwürfe machen, indem er frägt, was sollte ich noch tun, um euch zu retten? Wozu sagen, dass er uns habe wie Söhne aufnehmen wollen, wenn er nicht den echten Willen hätte, uns alle zu retten?

Außerdem erzählt der heilige Lukas, dass Jesus Christus von weitem auf Jerusalem geblickt hat, und wie er dabei den Untergang dieses Volkes infolge seiner Sünde bedachte, «da weinte er über sie» Lk 19,41. Warum hat der Heiland damals überhaupt geweint, sagt Theophylaktos mit Chrysostomus, als er den Untergang der Hebräer voraussah, wenn nicht, weil er wahrhaftig ihr Heil ersehnte?

Nun wie kann man also nach so vielen Zeichen der Aufmerksamkeit des Herrn, worin sich der Willen offenbart, den er hegt, uns alle gerettet zu sehen, jemals behaupten, Gott wolle nicht das Heil aller? Zu behaupten, dass Gott nicht wahrhaft alle gerettet sehen will, sagt Petau, ist eine Beleidigung und Spitzfindigkeit gegen die deutlichsten Bestimmungen des Glaubens. Und der Kardinal Sfondrati fügt hinzu: "Wer sich Gott auf eine andere Weise ausdenkt, macht aus dem wahren Gott einen Theatergott, wie jene, die bei einem Schauspiel die Rolle eines Königs übernehmen, aber alles andere als Könige sind".

4. Einmütige Meinung der heiligen Väter

Diese Wahrheit, dass Gott alle gerettet sehen will, wird sodann allgemein bestätigt von den heiligen Vätern. Es besteht kein Zweifel, dass darin die griechischen Väter einhellig gewesen sind, dass sie sagen, Gott wolle alle und einen jeden von den Menschen gerettet sehen; so die Heiligen Justin, Basilius, Gregor von Nazianz, Kyrill, Methodius und Chrysostomus, die alle bei Petau angeführt werden. Doch wir wollen sehen, was darüber auch die lateinischen Väter sagen.

Der heilige Hieronymus: "Gott will alle gerettet sehen, doch da keiner gerettet wird ohne sein eigenes Wollen, so will er, dass wir das Gute ersehnen, damit er, wenn wir es einmal gewollt haben, an uns seinen Ratschluss erfüllen kann". Und an einer anderen Stelle: "Gott wollte jene retten, die sich nach der Rettung sehnten, und er forderte sie zum Guten heraus, damit ihr guter Wille die Belohnung bekäme; aber sie wollten ihm kein Vertrauen schenken".

Der heilige Hilarius: "Er will, dass alle gerettet werden und nicht nur jene, die den Heiligen beigezählt werden; nein alle ohne Ausnahme". Der heilige Paulinus: "Zu allen sagt Christus: Kommet zu mir, usw. Denn, so weit es ihn angeht, will er, dass jeder von ihm erschaffene Mensch, gerettet werde". Der heilige Ambrosius: "Er sollte seinen Willen auch hinsichtlich der Gottlosen offenbaren, wobei nicht einmal der Verräter verloren gegangen wäre, und so alle begreifen möchten, dass er bei der Hoffnung auf Rettung dessen, der ihn verraten sollte, auf erstaunliche Weise den Willen, alle retten zu wollen, offenbarte ... und so weit es von Gott abhing, gab er allen den offensichtlichen Beweis, alle retten zu wollen".

Der Verfasser des Werkes, das den Titel der Kommentare des heiligen Ambrosius trägt (und man meint, es stamme vom Diakon Hilarius, wie Petau schreibt), spricht über den Text des heiligen Paulus: "Derjenige, der will, dass alle gerettet werden", und er frägt folgendermaßen: Da aber Gott alle Menschen gerettet sehen will, wo er doch allmächtig ist, warum werden so viele nicht gerettet? Und er antwortet: "Er will, dass diese gerettet werden, wenn auch sie es wollen; denn Jener, der uns das Gesetz gegeben hat, hat keinen vom Heil ausgeschlossen ... doch diese Arznei nützt den Nichtwollenden nichts". Er sagt, dass der Herr übrigens niemanden von der Herrlichkeit ausgeschlossen hat und allen die Gnade gibt, um gerettet zu werden, doch unter der Bedingung, dass sie zustimmen wollen, denn seine Gnade nützt dem nichts, der sie zurückweist.

Der heilige Chrysostomus frägt ähnlich: "Warum werden dann nicht alle gerettet, wenn Gott will, dass alle gerettet werden?" Und er antwortet: "Weil nicht immer der Wille von allen seinem Wollen entspricht; er zwingt nämlich niemanden". Der heilige Augustin: "Gott will das Heil aller, ohne jedoch von der Willensfreiheit abzusehen". Und dasselbe denkt der heilige Augustin an mehreren andern Stellen, die wir nachher innert kurzem anführen werden.

§ 2. JESUS CHRISTUS IST GESTORBEN, UM ALLE MENSCHEN ZU RETTEN

Dass Jesus Christus sodann für alle und für jeden unter den Menschen gestorben sei, ist ebenfalls klar, sowohl aus der Heiligen Schrift, wie auch aus dem, was die heiligen Väter darüber sagen. Groß war gewiss das Verderben, das die Sünde Adams für das ganze Menschengeschlecht verursachte: doch Jesus Christus behob alle Schäden, die uns von Adam zugefügt wurden, durch die Gnade der Erlösung. Daher hat uns das Trienterkonzil erklärt (in der S. Sitzung im Dekret über die Erbsünde im 5. Kapitel), dass die Taufe die Seelen rein und unbefleckt macht; und dass der Anreiz (zur Sünde), der in ihnen zurückbleibt, nicht zu ihrem Schaden bleibt, sondern um sie eine größere Krone erwerben zu lassen, wenn sie Widerstand leisten. Und wie der heilige Leo sagt: Ist der Gewinn größer, den wir durch die Erlösung Jesu Christi gemacht haben, als der Schaden, den wir durch des Teufels Neid erlitten haben. Und gerade das erklärt der Apostel, wenn er sagt: «Doch .. mit der Gnade verhält es sich nicht wie mit der Übertretung ... ; wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden» Röm 5,15.20. Und unser Heiland selber hat es erklärt: «Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben» Joh 10,10. Und vorher hat es David richtig vorausgesagt und auch Jesaja. David sagte: «Bei IHM ist Erlösung in Fülle» Ps 130,7. Und Jesaja: «Abgegnadet ist ihre Schuld, denn gedoppelt von der Hand des Herrn hat sie empfangen für all ihre Sünden Bußen» Jes 40,2. Und über diese Worte hat ein Ausleger geschrieben: "So hat Gott der Kirche ihre Schuld nachgelassen um der Verdienste Christi willen, so hat sie denn das Doppelte bekommen, das heißt unzählbare Wohltaten anstelle der Bußen für ihre Sünden".

Die heiligen Schriften versichern uns ja, dass unser Heiland, wie ich gesagt habe, für alle gestorben ist und dass er für das Heil eines jeden Menschen dem ewigen Vater den Preis seiner Erlösung dargebracht hat.

1. Schriftzeugnisse

«Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war» Lk 19,1 0; «Der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle» 1 Tim 2,6; «Er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferstand» 2 Kor 5,15; «Dafür arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt, den Retter aller Menschen, besonders der Gläubigen» 1 Tim 4,10; «Er ist das Sühnopfer für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für die der ganzen Welt» 1 Joh 2,2; «Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben» 2 Kor 5,14. Und indem ich nur von dieser letzten Schriftstelle rede, frage ich, wie könnte der Apostel nur von der Begründung, weil Jesus Christus für alle gestorben ist, ableiten, dass alle gestorben seien, wenn er es nicht für gewiss hielte, dass Jesus Christus wahrhaft für alle gestorben ist? Um so mehr als der heilige Paulus von derselben Wahrheit her die Verpflichtung ableitet, unseren göttlichen Heiland zu lieben. Als stärkster Beweis für den Wunsch und den Willen, den Gott hegt, alle zu retten, gilt, was derselbe Apostel sagt: «Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben» Röm 8,32. Und noch mehr Eindruck machen die Worte, die folgen: «Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?». Wenn Gott uns alles geschenkt hat, wie sollen wir dann befürchten, dass er uns die Erwählung zur Herrlichkeit verweigert hat, unter der Bedingung jedoch dass wir entsprechen? Und wenn er den eigenen Sohn für unser Heil hingeopfert hat, sagt der gelehrte Kardinal Sfondrati, wie wird er uns die notwendige Gnade für unsre Rettung verweigern? Und in Wahrheit wie konnte der heilige Paulus sagen, Gott habe uns, indem er uns seinen göttlichen Sohn hingab, alles geschenkt, wenn der Apostel geglaubt hätte, dass der Herr viele von der Herrlichkeit ausgeschlossen hat, welches doch das einzige Gut und das einzige Ziel ist, wofür er uns erschaffen hat? Diesen selben zahlreichen Leuten also hätte der Herr alles geschenkt und dann hätte er ihnen das Beste verweigert, was ja die ewige Seligkeit ist, ohne die sie nichts anderes als ewig unglücklich sein können (denn einen mittleren Weg gibt es nicht)? Wenn wir womöglich nicht etwas anderes sagen wollen, was noch unschicklicher wäre, wie ein andrer gelehrter Verfasser überlegt, dass Gott allen die Gnade gebe, die Herrlichkeit zu erlangen, dann aber im voraus vielen den Zutritt zum sich daran Erfreuen verweigert: er gebe zwar das Mittel, doch er verweigere das Ziel.

2. Die Lehre der Väter

Im übrigen stimmen alle heiligen Väter darin überein, dass sie sagen, Jesus Christus sei gestorben, um allen das ewige Heil zu erlangen.

Der heilige Hieronymus: "Christus ist für alle gestorben: er allein ließ sich finden, sich für all jene hinzuopfern, die in den Sünden gestorben waren". Der heilige Ambrosius: "Er ist gekommen, um unsere Wunden zu heilen; doch da nicht alle die Arznei anfordern ... heilt er eben jene, die es wollen; er zwingt die nicht Wollenden nicht". An einer andern Stelle: "Allen bietet der das Heilmittel für die Rettung an, denn wer verloren geht, nimmt die Verantwortung des eigenen Todes auf sich, da er die Heilkur zurückgewiesen hat, als ihm das Heilmittel angeboten wurde. Allen aber ist die Barmherzigkeit Christi bekannt, der will, dass alle Menschen gerettet werden". Und an einer an dem Stelle noch deutlicher: "Jesus vertraute sein Vermächtnis nicht einem einzigen, nicht wenigen, sondern allen an; wir alle sind als seine Erben bezeichnet; sein Vermächtnis ist allumfassend und allgemein rechtsgültig; die Erbschaft ist für alle, deren Besitz für einige". Man merke sich, "wir alle sind zu seinen Erben bestimmt"; somit hat der göttliche Erlöser uns alle als seine Erben des Himmels aufgeschrieben.

Der heilige Leo: "Da Christus keinen gefunden hat, der frei von Sünde wäre, so kam er, um alle zu befreien". Der heilige Augustin sagt zu diesen Worten des heiligen Johannes (Joh 3,17): «Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird», "soweit es also vom Arzt abhängt, ist er gekommen, um den Kranken zu heilen". Man merke sich: "soweit es vom Arzt abhängt"; auf wirksame Weise also, soweit es IHN betrifft, will Gott die Rettung aller Menschen, aber er kann den nicht heilen (wie der heilige Augustin hinzufügt), der nicht geheilt werden will: "Gewiss heilt er den, der es will, aber nicht den, der es nicht wünscht. Wer ist glücklicher als du: denn, wenn du über dein Leben verfügen kannst, als läge es in deinen Händen, so kannst du über deine Rettung verfügen, wie wenn es von deinem Wollen abhinge". Wenn der Heilige also sagt: er heilt, so spricht er von den Sündern, die krank sind und unfähig, mit ihren eigenen Kräften sich das Heil zu besorgen: und wenn er sagt "gewiss", so erklärt er, dass nichts fehlt von Seiten Gottes, damit die Sünder gänzlich geheilt und gerettet werden: wenn er sodann sagt, "über dein Leben, als läge es in deinen Händen, so kannst du über deine Heilung verfügen, wie wenn es von deinem Wollen abhinge", erklärt er, dass Gott mit echtem Willen von seiner Seite uns alle gerettet sehen will, sonst läge es nicht in unserer Hand, die Heilung und das ewige Leben zu erwerben. An einer andern Stelle: "Derjenige, der uns um einen so teueren Preis erlöst hat, will nicht, dass wir verloren gehen; er hat uns nicht erlöst, um uns verloren gehen zu lassen, sondern um uns das Leben zu geben". Der Herr hat uns also alle erlöst, um uns alle zu retten. Und daher ermutigt er alle, die ewige Seligkeit zu erhoffen mit jenem berühmten Ausspruch: "Die menschliche Gebrechlichkeit soll wieder zu hoffen beginnen und nicht sagen, ich werde nicht gerettet sein unter den Seligen ... Jesus Christus hat mehr getan als, was er versprochen hat. Was hat er denn getan? Er ist für dich gestorben. Was hat er versprochen? Dass du mit ihm leben wirst".

Einige haben zu sagen gewagt, dass Jesus Christus sein Blut für alle aufgeopfert hat, um für sie zwar die Gnade zu erlangen, aber nicht das Heil. Aber indem der Verfasser der Theologie für das Seminar von Perigueux gegen diese Leute redet, entrüstet er sich über eine solche Meinung und ruft aus: "O welch kleinliche Untersuchungen! Warum sollte die göttliche Weisheit zwar die Mittel für das Heil wollen, nicht aber den Zweck desselben?" Während der heilige Augustin übrigens zu den Juden redet, sagt er: "Schaut auf dieses Herz, das ihr durchbohrt habt, denn durch euch und euretwegen wurde es geöffnet". Wenn Jesus Christus nicht wirklich sein Blut für alle hingegeben hätte, dann hätten die Juden dem heiligen Augustin antworten können, es sei zwar wahr, dass sie die Seite des Herrn geöffnet haben, aber diese sei nicht für sie geöffnet worden.

Der heilige Thomas ebenfalls zweifelt nicht, dass Jesus Christus für alle Menschen gestorben sei, und daraus schließt er, dass ER sie alle retten will: "Jesus Christus ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, und nicht nur für einige Menschen, sondern zwischen Gott und allen Menschen, was nicht wahr wäre, wenn er sie nicht alle retten wollte". Das wird bestätigt (wie es schon weiter oben gesagt worden ist) aufgrund der Verurteilung der fünften These des Jansenius, der sagte: "Es ist semipelagianisch zu sagen, dass Christus für alle Menschen gestorben ist oder dass er sein Blut für alle vergossen hat". Der Sinn dieser Aussage gemäß dem Kontext der übrigen verurteilten Thesen und gemäß den Grundsätzen des Jansenius ist folgender: Jesus Christus ist nicht gestorben, um für uns alle die zum Heil hinreichende Gnade zu verdienen, sondern nur für die Vorherbestimmten, wie dies Jansenius klar ausdrückte an einer Stelle, wo er Folgendes geschrieben hat: "Auf keine Weise entspricht es dem Denken des heiligen Augustin es auszulegen: wie wenn Christus der Herr gestorben wäre und sein Blut vergossen hätte für das ewige Heil der Ungläubigen, die in der Unbußfertigkeit sterben oder für die Gerechten, die nicht ausharren". Der gegenteilige Sinn, also der katholische, ist folgender: Es ist nicht semipelagianisch, sondern es ist richtig zu sagen, Jesus Christus sei gestorben, um nicht nur für die Vorherbestimmten, sondern für alle Menschen, also auch für die Verworfenen die notwendigen Gnaden zu verdienen, damit sie nach der gegenwärtigen Vorsehung das ewige Heil erlangen.

Außerdem dass Gott wahrhaftig von seiner Seite her das Heil aller Menschen will, und dass Jesus Christus, um alle zu retten, gestorben ist, das versichert uns auch das Gebot der Hoffnung, das der Herr uns allen auferlegt. Der Grund dafür ist klar. Der heilige Paulus nennt die christliche Hoffnung den sicheren und festen Anker der Seele: «So sollten wir eine starke Zuversicht haben, wir, die wir unsere Zuflucht dazu genommen haben, die dargebotene Hoffnung zu ergreifen. In ihr haben wir einen sicheren und festen Anker der Seele» Hebr 6,18f. Nun aber wo fänden wir diesen sicheren und festen Anker für unsere Hoffnung, wenn nicht in der Wahrheit, dass Gott alle Menschen retten will? So sagt denn die Theologie von Perigueux: "Mit was für einem Vertrauen könnten die Menschen auf die göttliche Barmherzigkeit hoffen, wenn es nicht sicher wäre, dass Gott die Rettung aller will? Mit was für einem Vertrauen sollte man das Opfer Christi darbringen, um die Verzeihung zu erlangen in der Ungewissheit, ob es für sie dargebracht wurde?" Und der Kardinal Sfondrati sagt, dass wenn Gott jemals die einen für das ewige Leben auserwählt hätte, und die andern davon ausgeschlossen, so hätten wir eher Anlass zum Verzweifeln als zum Hoffen, wo wir doch sehen, dass in der Tat die Auserwählten schon viel weniger zahlreich sind als die Verdammten. Der oben erwähnte Verfasser sagt: "Niemand könnte fest hoffen, wenn sich ihm mehr Beweggründe zum Verzweifeln als Grundlagen zum Hoffen vorstellen; es gibt nämlich mehr Verworfene als Erwählte". Und wenn Jesus Christus nicht für das Heil aller Menschen gestorben wäre, wie könnten wir eine sichere Grundlage dafür haben, das Heil durch die Verdienste Jesu Christi zu erhoffen ohne eine besondere Offenbarung? Aber der heilige Augustin zweifelt nicht daran, indem er sagt: "All meine Hoffnung und die ganze Glaubensgewissheit beruht auf dem kostbaren Blute Christi, das für uns und für unser Heil vergossen wurde". Somit setzte der Heilige seine ganze Hoffnung auf das Blut Jesu Christi, weil der Glaube ihm versicherte, dass der göttliche Heiland für alle gestorben sei. Doch ich werde im vierten Kapitel diesen Grund der Hoffnung noch besser untersuchen müssen, wenn ich über den Hauptpunkt sprechen werde, das heißt, dass die Gnade zum Beten allen Menschen gegeben wird.

§ 3. ÜBER DIE OHNE TAUFE GESTORBENEN KINDER

Es bleibt mir hier den Gegnern zu antworten übrig, was geschieht mit den Kindern, die zugrunde gehen, indem sie vor der Taufe sterben und ehe sie den Gebrauch der Vernunft erlangt haben. Wenn Gott alle gerettet sehen will (wird entgegnet), wie gehen dann diese Kinder zugrunde ohne ihre Schuld, zumal diese jede göttliche Hilfe entbehren, um das ewige Heil zu erlangen? Es gibt da zwei Antworten, eine richtiger als die andere. Ich fasse sie kurz zusammen.

Zum ersten gibt man zur Antwort, dass Gott, da er mit dem vorauseilenden Willen alle gerettet sehen will, bereits die alles umfassenden Mittel dazu gegeben hat, dass alle gerettet werden; diese Mittel haben dann manchmal nicht ihre Wirkung, sei es aufgrund des eigenen Willens jener, die sie nicht benutzen wollen, sei es aufgrund dessen, dass andere sie sich nicht nutzbar machen können infolge von Zweitursachen (wie da sind die natürlichen Todesfälle von Kindern), deren Verlauf Gott nicht zu verhindern gezwungen ist, da er nach den gerechten Urteilssprüchen seiner allgemeinen Vorsehung über das Ganze verfügt hat; das alles lässt sich beim heiligen Thomas zusammentragen aus dem, was er über die Vorsehung gesagt hat. Jesus Christus hat seine Verdienste für alle aufgeopfert und für alle hat er die Taufe eingesetzt. Die Anwendung dieses Mittels des Heiles wird sodann nicht schon durch Gottes Willen direkt verhindert, sondern durch ein bloß zulassendes Wollen; da er der allgemeine Voraussehende für alle Dinge ist, darf er die allgemeine Ordnung nicht durcheinanderbringen, um für Einzelfälle zu sorgen.

Die zweite Antwort ergibt sich daraus, dass es nicht dasselbe ist, nicht selig zu sein, wie verlorengehen: da die ewige Seligkeit ein ganz unentgeltliches Geschenk ist, erbringt das Vorenthalten derselben nicht den Beweis einer Strafe. Sehr richtig ist somit die Meinung des heiligen Thomas, dass die Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, keine Strafe der Sinne, noch der Verdammnis bekommen: keine für die Sinne, sagt der heilige Lehrer, "Weil die Sinnenstrafe einer Hinwendung zum Geschöpf entspricht, in der Erbschuld gibt es aber kein sich Hinwenden zum Geschöpf" (da es dabei keine eigene Schuld gibt) "insofern erfordert die Erbschuld keine Sinnenstrafe", weil ja die Erbschuld kein Handeln beinhaltet. Dem setzen die Gegner die Lehre des heiligen Augustin entgegen, der an einer Stelle verstehen lässt, dass er die Meinung vertritt, die Kinder würden auch zu einer Strafe der Sinne verurteilt. Doch an andrer Stelle spricht der Heilige sich deutlich dafür aus, dass er in diesem Punkt sehr ungewiss gewesen sei; hier nun seine Worte: "Wenn ich mich daran mache, über die Strafe der Kinder nachzudenken, das sollt ihr mir glauben, dann werde ich von großen Ängsten erfasst, und ich weiß ehrlich nicht, was ich antworten soll". Und an einer andern Stelle schreibt er, man könne sehr wohl sagen, dass solche Kinder weder eine Belohnung noch eine Strafe bekommen: "Es gibt da nichts zu befürchten, wenn man nicht die richtige Mitte zwischen der Belohnung und der Züchtigung finden könne, weil ja ihr Leben sich zwischen der Sünde und dem sittlich Guten befinde". Und das habe als Befürworter sodann der heilige Gregor von Nazianz geschrieben:

"Die ohne Taufe gestorbenen Kinder werden vom himmlischen Richter weder der Belohnung noch der Strafe zugewiesen". Und dieselbe Meinung vertrat der heilige Gregor von Nyssa: "Die Kinder, die auf eine unreife Weise zu leben aufgehört haben, das heißt ohne Taufe, werden sich weder im Schmerz noch in der Traurigkeit befinden".

Was die Strafe der Verdammnis betrifft, obwohl die Kinder von der Herrlichkeit ausgeschlossen würden, lehrt der engelgleiche Lehrer, der über diesen Punkt besser nachgedacht hat, nichtsdestoweniger, dass niemand sich über das Vorenthaltenbleiben dieses Gutes, dessen sie nicht fähig sind, betrübt; wie ja kein Mensch sich darüber beklagt, dass er nicht fliegen kann oder eine Privatperson, dass sie nicht Kaiser ist, und so betrüben sich diese Kinder nicht, dass sie der Herrlichkeit entbehren, deren sie ja niemals fähig gewesen sind, da sie nach dieser nicht verlangen konnten, weder von ihrer Natur her, noch durch ihre eigenen Verdienste. Der heilige Thomas fügt an einer andern Stelle noch einen andern Grund dafür hinzu, indem er sagt, man habe die übernatürliche Erkenntnis der Herrlichkeit nur mittels des aktuellen Glaubens, der jede natürliche Erkenntnis übertrifft; daher kommt es dann, dass die Kinder keine Qual empfinden können aufgrund eines Entbehrens der Herrlichkeit, da sie davon ja niemals irgendeine übernatürliche Erkenntnis gehabt haben. Außerdem sagt er an der zuerst erwähnten Stelle, dass solche Kinder sich nicht darüber beklagen werden, dass sie der ewigen Seligkeit entbehren, sondern vielmehr werden sie sich freuen an ihren natürlichen Gaben und in gewissem Sinn werden sie sich auch an Gott erfreuen, durch das, was ihnen die natürliche Erkenntnis und die natürliche Liebe einbringen wird:

"Ja, sie werden sich sogar noch mehr erfreuen, da sie gar sehr an der göttlichen Güte teilhaben und an natürlichen Fähigkeiten». Und danach fügt her hinzu, dass solche Kinder, obwohl sie im Hinblick auf die Vereinigung in der Herrlichkeit von Gott getrennt sind, nichtsdestoweniger «Mit Gott verbunden sein werden in der Teilhabe an den natürlichen Gütern und sich so durch natürliche Erkenntnis und Liebe an Ihm werden erfreuen können".

II. GOTT SCHENKT IM ALLGEMEINEN ALLEN MENSCHEN DIE NOTWENDIGEN GNADEN, DEN GERECHTEN, UM DIE GEBOTE BEOBACHTEN ZU KÖNNEN, UND DEN SÜNDERN, UM SICH ZU BEKEHREN

§ 1. BEWEISE

Wenn Gott also will, dass alle Menschen gerettet werden, so gibt er infolgedessen allen die Gnade und die notwendigen Hilfen, um das Heil zu erlangen; sonst könnte man nicht sagen, dass ER den wirklichen Willen hat, alle Menschen zu retten. Der heilige Thomas sagt: "Dem Willensakt vorauseilend, wodurch Gott das Heil aller will, wurde die Naturordnung festgelegt im Hinblick auf die Rettung, und somit für alle vorgeschlagenen Mittel zu sorgen sowohl in der Gnadenordnung wie in der Naturordnung". Es ist gewiss trotz dem, was Luther und Calvin gelästert haben, dass Gott kein zum Beobachten unmögliches Gesetz auferlegt. Hingegen ist es nicht weniger gewiss, dass für uns ohne die Gnadenhilfe das Beobachten des Gesetzes unmöglich ist, wie es Innozenz I. gegen die Pelagianer erklärt hat, indem er sagte: "Die Pflicht verlangt zu glauben, dass wir, wenn Gott uns zu Hilfe kommt, den Sieg davontragen werden, wenn uns aber seine Hilfe fehlt, dass wir besiegt werden". Und dasselbe erklärte Papst Coelestin. Wenn also der Herr allen ein mögliches Gesetz gibt, dann gibt er folglich auch allen die nötige Gnade, um es zu erfüllen, entweder unmittelbar oder mittelbar durch das Gebet, wie es ja sehr klar das heilige Konzil von Trient erklärt hat: "Gott befiehlt keine unmöglichen Dinge, sondern indem er befiehlt, ermahnt er dich, das zu tun, was du kannst und zu erbitten, was du nicht kannst; und er hilft dir, damit du es kannst" (6. Sitzung, Kapitel 13). Andernfalls, wenn Gott uns sowohl die unmittelbar hinreichende (proxima) wie die entfernt hinreichende (remota) Gnade, um das Gesetz zu erfüllen, verweigern würde, dann wäre das Gesetz umsonst gegeben, oder die Sünde wäre zwingend notwendig, und da sie notwendig wäre, wäre es eben keine Sünde mehr, wie wir sogleich nachher ausführlich darlegen werden.

1. Lehre der Väter der griechischen Kirche

Und das ist die gemeinsame Meinung der Väter. Sehen wir uns das an. Der heilige Kyrill von Alexandrien sagt: Wie kann dieser Sünder, der ebenfalls mit den andern, die treu geblieben sind, die Gnadenhilfen empfangen hat und der freiwillig hat sündigen wollen, sich sodann über Jesus Christus beklagen, der ja, was ihn betrifft, diesen bereits durch die ihm gewährten Hilfen befreit hat? Der heilige Johannes Chrysostomus frägt: "Wovon hängt es ab, dass einige Gegenstand des göttlichen Zornes werden, andere solche seiner Barmherzigkeit?» Und er antwortet darauf: «Vom freien Willen eines jeden; denn Gott, der im höchsten Maße gütig ist, beweist dieselbe Güte gegen die einen wie die andern". Indem er sodann vom Pharao spricht, der in der Schrift als im Herzen verhärtet genannt wird, fügt er hinzu: "Wenn der Pharao nicht das Heil erlangt hat, so ist das ausschließlich seinem Willen zuzuschreiben, denn ihm wurde nichts weniger als jenen gewährt, die das Heil erlangt haben". Und an einer andern Stelle, wo er von der Bitte der Mutter der Zebedäussöhne über die Worte spricht, «Es steht nicht mir zu, das zu gewähren ... », sagt er Folgendes: "Damit wollte Christus kundtun, dass das Geben nicht nur von ihm abhinge, sondern dass es Aufgabe der Thronanwärter sei, sich darum zu bewerben; denn wenn es nur von ihm abhinge, so würden alle Menschen gerettet".

Der heilige Isidor von Pelusium sagt: "In der Tat will Gott wirksam und auf jede Weise denen helfen, die ins Laster versunken sind, weil er ihnen jede Ausrede wegnehmen will". Der heilige Kyrill von Jerusalem: "Der Herr hat viele Pforten zum ewigen Leben geöffnet, damit es, soweit es von ihm abhängt, alle ohne Hindernis erlangen können".

Doch die Lehre dieser griechischen Väter gefällt dem Jansenius nicht, denn er hat die Kühnheit zu sagen, dass die griechischen Väter nur sehr unvollkommen von der Gnade gesprochen haben. Sollen wir also hinsichtlich des Gesprächsstoffes der Gnade nicht der Lehre der griechischen Väter folgen, die ja die ersten Lehrmeister und Säulen der Kirche gewesen sind? War vielleicht die Lehre der Griechen, zumal in dieser so wichtigen Materie von der der lateinischen Kirche verschieden? Wo es doch im Gegenteil sicher ist, dass die wahre Lehre des Glaubens von der griechischen Kirche an die lateinische übergegangen ist; daher kann man, wie der heilige Augustin gegen Julianus geschrieben hat, der ihm die Lehrvollmacht der griechischen Väter entgegenstellte, keinen Zweifel daran hegen, dass der Glaube der lateinischen derselbe ist wie der der Griechen. Und wem sollen wir allenfalls folgen? Vielleicht ihren Irrtümern, die von der Kirche bereits als häretisch verurteilt worden sind, wo dies« Leute die Kühnheit gehabt haben, zu behaupten, dass sogar den Gerechten die Gnade fehlt, die ihnen einige Gebote ermöglichen würden; und dass der Mensch Verdienst und Missverdienst gewinnt, auch wenn er durch Notwendigkeit wirkt, solange er nicht mit Gewalt gezwungen wird? Wo doch diese und andere Irrtümer von ihnen aus ihrem grundfalschen System des relativ obsiegenden Gefallenfindens hervorgeht, worüber ausführlich im dritten Kapitel gesprochen werden soll, um diesen Irrtum zu widerlegen.

2. Lehre der Väter der lateinischen Kirche

Doch da den Jansenius die griechischen Väter nicht zufriedenzustellen vermögen, wollen wir sehen, was die lateinischen Väter darüber sagen. Doch diese zeigen gar keine Meinungsverschiedenheit zu den Griechen.

Der heilige Hieronymus sagt: "Kein gutes Werk kann man vollbringen ohne ihn, der uns mit freiem Willen ausgestattet hat, insofern er uns für jedes gute Werk seine Gnade nicht verweigert". Man merke sich: "Für jedes gute Wirken verweigert er uns nie seine Gnade". Der heilige Ambrosius: "Er kommt und klopft an unsere Tür und er will stets eintreten; aber es hängt von uns ab, wenn er nicht immer eintritt". Der heilige Leo: "Mit Recht besteht er darauf mit einem Befehl, wo er uns doch mit seiner Hilfe zuvorkommt" .

Der heilige Hilarius: "Durch einen einzigen fließt jetzt die Gabe des Lebens durch die Gnade der Rechtfertigung auf alle zurück". Innozenz der I.: "Jeden Tag kommt er uns entgegen mit Heilmitteln, aufgrund von denen wir, wenn wir ihm nicht zuversichtlich Vertrauen schenken, keineswegs die menschlichen Irrtümer werden überwinden können". Der heilige Augustin: "Man wird dich nicht verantwortlich machen für das, was du ohne deine Schuld nicht weißt, aber dass du es unterlässt, um das zu bitten, was du nicht kennst. Und man wird dir keine Vorwürfe machen dafür, dass es dir nicht gelingt, mit verwundeten Gliedern zu sammeln, sondern dass du nicht geheilt werden willst, wenn du dir dessen bewusst bist. Das ist deine eigene Sünde. Keinem Menschen wurde es nämlich verweigert, auf nützliche Weise zu bitten zu wissen". An einer andern Stelle: "Wenn eine Seele noch nicht weiß, was von ihr gefordert wird, weil es ihr noch nicht gewährt wurde, so wird sie es schließlich erkennen, wenn sie sich des wenigen gut wird bedient haben, was sie bisher bekommen hat. Sie empfängt nämlich, damit sie, wenn sie will, wisse, fromm und mit Fleiß zu bitten". Man merke sich: "Sie empfängt, damit sie fromm und mit Fleiß zu bitten weiß". Somit bekommt jeder wenigstens die entfernt hinreichende Gnade zum Suchen, woraus er dann, wenn er diese gut anwendet, die unmittelbar hinreichende Gnade zum Verwirklichen dessen bekommt, was er zuvor nicht tun konnte. Und das alles begründet der heilige Kirchenlehrer auf dem Grundsatz, dass sich niemand in dem versündigt, was er nicht vermeiden kann; folglich (fügt er hinzu), wenn der Mensch in etwas sich verfehlt, sündigt er, insofern er es mit der Gnade des Herrn, die keinem fehlt, vermeiden kann. Ein einleuchtender Grund, wodurch klar wird (wie wir nachher noch genauer untersuchen werden, wenn wir von den Fehlern der Hartnäckigen reden werden), dass, wenn die zum Beobachten der Gebote notwendige Gnade fehlen würde, es dabei keine Sünde gäbe.

Dasselbe lehrt der heilige Thomas an mehreren Stellen. An einer Stelle, wo er den Text des Apostels auslegt: «ER will, dass alle Menschen gerettet werden», sagt er: "Somit fehlt keinem die Gnade, doch allen wird diese mitgeteilt, so wie die Sonne auch vor den Augen der Blinden erstrahlt". Daher, wie die Sonne ihr Licht für alle (Sehenden) verbreitet und dessen nur jene beraubt sind, die freiwillig ihre Augen verschließen; so teilt Gott die Gnade allen mit, um das Gesetz zu beobachten, und die Menschen gehen insofern verloren, weil sie sich diese nicht nutzbar machen wollen. An einer andern Stelle: "Es ist der göttlichen Vorsehung eigen, jeden mit dem zum Heil Notwendigen zu versehen, vorausgesetzt dass von Seiten des Menschen ihm kein Hindernis entgegengesetzt wird". Wenn Gott also allen die zum Gerettetwerden notwendigen Gnaden gibt, da nun die Tatgnade zum Überwinden der Versuchungen notwendig ist und zum Beobachten der Gebote, so muss man notwendigerweise daraus schließen, dass er allen die Tatgnade gibt, um das Gute zu verwirklichen, entweder unmittelbar, oder mittelbar, aber ohne dass es einer weiteren Gnade bedürfte, um das Mittel anzwenden (wie etwa das Gebet eins wäre), um so die unmittelbar hinreichende Tatgnade zu bekommen. An einer andern Stelle sagt er über diese Worte des Heilandes: «Niemand kommt zu mir, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat, nicht zieht» (Joh 6,44): "Wenn das menschliche Herz sich nicht emporschwingt (bis zu Gott hin), so hängt das nicht von einem Versagen dessen ab, der ihn anzieht, der, insoweit es ihn angeht, nicht versagt, sondern von einer Behinderung, die von dem entgegengesetzt wird, der angezogen wird". Dasselbe sagt Scotus: "So weit es von IHM abhängt, will ER alle Menschen mit vorauseilendem Willen retten, wodurch er die angemessenen hinreichenden Mittel zum Heil mitteilt". Die Synode von Köln meint: "Obwohl keiner sich bekehrt, wenn er nicht vom Vater (dazu) bewegt wird, soll dennoch keiner Entschuldigungen vorbringen, indem er sagt, dass er nicht angezogen werde; ER steht ja immer vor der Tür, wobei er mit äußern und innern Einsprechungen anspornt".

3. Zeugnisse der Heiligen Schriften

Auch die heiligen Väter haben nicht auf gut Glück hin gesprochen, sondern gestützt auf die göttlichen Schriften, denn der Herr versichert uns sehr deutlich an so vielen Stellen, dass er nicht aufhört, uns mit seiner Gnade beizustehen, wenn wir davon Gebrauch machen wollen und darin ausharren, wenn wir gerechtfertigt worden sind, oder uns bekehren, wenn wir Sünder sind: «Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Wenn jemand mir die Tür öffnet, so werde ich zu ihm kommen» Offb 3,20. Gut argumentiert über diesen Text der Kardinal Bellarmin, indem er sagt, dass der Herr schon wisse, dass der Mensch nicht öffnen könne ohne seine Gnade, und dass ER umsonst an der Tür von dessen Herzen anklopfen würde, wenn ER ihm nicht schon zuvor die Gnade verliehen hätte, zu öffnen, wann er will. Und genau das lehrt der heilige Thomas, wobei er denselben Text erklärt; er sagt, Gott gebe jedem die zum Heil notwendige Gnade, um ihr zu entsprechen, wenn er will. Dabei fügt er an einer andern Stelle hinzu: "Es ist der göttlichen Vorsehung eigen, jedem die zum Heil notwendigen Mittel zu geben". Also klopft der Herr, wie der heilige Ambrosius geschrieben hat, an die Tür, weil er wahrhaft eintreten will; aber wenn er nicht eintritt, oder vielleicht nicht in unsern Seelen bleibt, weil wir ihn am Eintreten hindern, oder ihn, der eingetreten ist, daraus vertreiben.

«Was sollte ich für meinen Weinberg noch tun, das ich nicht getan hätte? Warum brachte er mir, während ich erwartete, dass er (süße) Trauben hervorbrächte, nur (saure) Wildtrauben?» Jes 5,4. Bellarmin sagt zu dieser Stelle: "Wenn er ihm nicht die Fähigkeit, Trauben hervorzubringen, gegeben hätte, warum sollte er dann sagen: Ich habe erwartet...". Und wenn Gott nicht allen die notwendige Gnade, um gerettet zu werden, gegeben hätte, so hätte er zu den Hebräern nicht sagen dürfen: «Was hätte ich noch tun sollen?», weil diese ihm hätten antworten können, dass sie deshalb keine Frucht gebracht haben, weil ihnen die dazu notwendige Hilfe gefehlt habe. Derselbe Bellarmin sagt an der erwähnten Stelle über folgende Worte Jesu Christi: «Wie oft wollte ich deine Kinder um mich versammeln ... , aber ihr habt nicht gewollt!» Mt 23,38. "Wie kann ER von dem gesucht werden, der es nicht will, wenn ER ihnen nicht die Gnade gegeben hat, wollen zu können?".

«Über deine Barmherzigkeit, o Gott, denken wir nach in deinem heiligen Tempel» Ps 48,10. Es kommentiert der heilige Bernhard: "In deinem heiligen Tempel denken wir nach über deine Huld, und nicht in einer Ecke oder in einem Abstellraum: denn bei Gott gibt es keine Unterscheidung der Personen; seine Gnade gehört dem Bereich des Gemeinsamen an und wird allen angeboten; und sie fehlt nur dem, der sie zurückweist".

«Verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte, seiner Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?» Röm 2,4. Da siehst du, dass der Sünder sich durch seine Bosheit nicht bekehrt, wobei er die Reichtümer der göttlichen Güte verachtet, die ihn ruft und nicht aufhört, ihn mit seiner Gnade zum sich Bekehren zu bewegen. Gott hasst die Sünde, aber zur selben Zeit hört er nicht auf die sündige Seele zu lieben, während sie auf dieser Erde lebt, indem er ihr die nötige Hilfe zum Gerettetwerden gibt (Weish 11,28). Daraus ersieht man, sagt der heilige Bellarmin, dass Gott die Gnade, den Versuchungen zu widerstehen, welchem verstockten und verblendeten Sünder es auch immer sei, nicht verweigert: "Die Hilfe, um nicht wieder in die Sünde zurückzufallen, steht immer direkt oder indirekt allen zur Verfügung durch das Gebet, wodurch man von Gott immer größere Hilfeleistungen erlangen kann, um die Sünde zu vermeiden". Dazu fordert auch das auf, was der Herr durch Ezechiel sagt: «So wahr ich lebe - Spruch Gottes, des Herrn ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er von seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt» Ez 33,11. Dasselbe sagt der heilige Petrus: «ER ist nur geduldig mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle Gelegenheit haben sich zu bekehren» 2 Petr 3,9. Wenn also Gott will, dass alle sich jetzt bekehren, so muss man notwendigerweise unterstellen, dass er allen die Gnade gibt, deren sie bedürfen, um sich jetzt zu bekehren.

§ 2. DIE VERSTOCKTEN SÜNDER UND DIE GOTTVERLASSENHEIT

Ich weiß sehr wohl, dass es Theologen gibt, die den Standpunkt vertreten, dass Gott gewissen verstockten Sündern sogar die hinreichende Gnade verweigert; und unter andern machen sie Gebrauch von einer Lehre des heiligen Thomas, der sagt: "Obwohl jene, die im Stand der Sünde sind, sie nicht aus eigenen Kräften vermeiden können, ohne dass sie der Gnade Widerstand leisten, wie es gezeigt wurde, und außer wenn ihnen durch die Hilfe der Gnade nicht zuvorgekommen wurde, so wird es ihnen dennoch als Schuld angerechnet, weil dies eine Mangelfolgeerscheinung aus einer vorausgehenden Schult ist, so wird zum Beispiel der Betrunkene nicht von einem Menschenmord entschuldigt, den er im Zustand der Trunkenheit begangen hat, in die er durch seine eigene Schuld hineingeraten ist. In der Tat obwohl derjenige, der im Stand der Sünde lebt, nicht die Macht hat, sie gänzlich zu vermeiden, so hat er dennoch die Möglichkeit, diese oder jene Sünde zu vermeiden, wie ich bereits gesagt habe; deshalb wer auch immer eine Sünde begeht, der begeht sie freiwillig, und deshalb wird sie ihm nicht zu Unrecht angelastet". Daher wollen sie, dass der Heilige zu sagen beabsichtige, dass einige Sünder sehr wohl einzelne Sünden vermeiden können, aber nicht alle Sünden, weil sie zur Strafe für die zuvor begangenen Sünden jeder Tatgnade beraubt sind.

Doch wir antworten darauf, dass der heilige Thomas an dieser Stelle nicht von der Tatgnade spricht, sondern vom Gnadenstand, oder von der heiligmachenden Gnade, denn wenn diese fehlt, so kann der Sünder sich nicht lange Zeit aufrecht erhalten, ohne in neue Sünden zu stürzen, gemäß dem, was er an mehreren Stellen lehrt. Und dass er an der oben erwähnten Stelle dasselbe meint, sieht man deutlich aus dem Kontext der Worte, die er dort vorausschickt, und die man ausführlicher anführen muss, um die wahre Meinung des Heiligen zu verstehen.

Vorerst lautet die Überschrift des erwähnten Kapitels 160 folgendermaßen: "Wie der Mensch im Zustand der Sünde ohne die Gnade nicht vermeiden kann wieder zu fallen". Man sieht also, dass die Überschrift selber klarstellt, dass der heilige Kirchenlehrer nichts anderes versteht, außer dasselbe, was er an den andern erwähnten Stellen gesagt hat.

Somit sagt er an der erwähnten Stelle Folgendes: "Wenn der Sinn des Menschen vom geraden Wege abgewichen ist, dann hat er sich auch vom Streben nach dem geschuldeten Ziel entfernt... Jedesmal wenn es ihm zustößt, in etwa einem ungeordneten Ziel zuzustreben und das dem geschuldeten Ziel entgegensteht, so ist das eine freie Wahlentscheidung von ihm, außer er wäre in die geschuldete Ordnung zurückgeführt worden, welche das geschuldete Ziel wieder an die erste Stelle setzt, was eine Auswirkung der Gnade ist. Wenn man etwas erwählt, was dem geschuldeten Ziel widerstrebt, leistet man der Gnade Widerstand, die zum Ziel hintreibt. Deshalb springt es in die Augen, dass der Sünder nach der Sünde sich nicht von jeder Sünde wird enthalten können, ehe er nicht durch die Gnade in die geschuldete Ordnung zurückgekehrt ist... Daher muss man die Meinung der Pelagianer für töricht halten, die behaupteten, dass der Mensch im Stande der schweren Sünde ohne die Gnade irgendwelche Sünde vermeiden könne". Und danach schreibt er dann die Worte, die schon oben zitiert wurden, "Obwohl jene, die im Stand der Sünde leben", deren sich die Gegner bedienen.

Somit ist es nicht zuerst die Absicht des heiligen Thomas zu beweisen, dass einige Sünder jeder Tatgnade beraubt seien, und auch nicht dass sie, da sie nicht jede Sünde vermeiden können, nur sündigten und Strafe verdienten, doch seine Absicht ist es, gegen die Pelagianer zu beweisen, dass der Mensch, wenn er ohne die heiligmachende Gnade ist, sich nicht vom Sündigen enthalten kann. Und schon sieht man, dass der Heilige hier sicher von der heiligmachenden Gnade spricht, denn diese ist es, die einzig die Seele in die richtige Ordnung zurückführt. Nun aber beabsichtigt er von eben dieser heiligmachenden Gnade zu sprechen, wenn er danach sagt: "Außer es würde ihnen von der Gnade zuvorgekommen"; damit will er sagen, wenn dem Sünder nicht helfend zuvorgekommen werde, das heißt, wenn er nicht zuerst von der Gnade geleitet werde, so sei er vermindert in der richtigen Ordnung, um Gott als sein letztes Ziel festzuhalten, und er könne es nicht vermeiden, neue Sünden zu begehen. Und so verstehen es die Thomisten, wie Ferrariese an der erwähnten Stelle und Gonet, der diese selbe Stelle erklärt. Aber ohne zu andern Zuflucht zu nehmen, wird dies einsichtig gemacht, was der heilige Thomas selber in der Summe der Theologie sagt, wo er vom selben Standpunkt aus spricht, und er führt identisch dieselben Gründe mit denselben Worten an, die er im Buch Contra Gentiles im erwähnten Kapitel 160 geschrieben hat, und dort spricht er ausdrücklich nur von der habituellen oder heiligmachenden Gnade.

Und es konnte nicht sein, dass der heilige Doktor es anders verstanden hat, während er anderswo einerseits lehrt, dass niemandem jemals die göttliche Gnade fehle, wie er sagt, wo er den heiligen Johannes kommentiert: "Aber man soll nicht glauben, dass die negative Auswirkung vom sich Entfernen vom wahren Licht abhängt; und um das auszuschließen, fügt der Evangelist sogleich hinzu: «Es kam in die Welt das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet». In der Tat erleuchtet das Wort, soweit es auf ES ankommt, auf eine Weise, dass niemandem das Licht fehle, vielmehr will es, dass alle gerettet werden. Wenn nämlich einer nicht erleuchtet wird, so hängt es vom Menschen ab, der sich von dem ihn erleuchtenden Licht abwendet." Und andrerseits lehrt er, dass es keinen Sünder gebe, der so verloren und von der Gnade verlassen wäre, dass er nicht seine Verstockung niederlegen und sich mit dem göttlichen Willen vereinen könnte, was er sicher nicht ohne die Hilfe der Gnade machen kann. An andrer Stelle sagt er: "Solange der Mensch in diesem Leben über die freie Entscheidung verfügt, kann er immer der Gnade entsprechen durch das Bereuen der Sünden". Das Bereuen der Sünden kann nicht ohne die Gnade geschehen. An andrer Stelle sagt er: "Solange der Mensch auf dem Weg ist, gibt es keinen, der nicht die Verstockung des Herzens niederlegen und sich so dem göttlichen Willen angleichen kann". Solange der Mensch hienieden den Gebrauch des freien Willens bewahrt, kann er sich darauf einstellen, die Gnade zu empfangen durch einen Akt der Reue. Wie sehr ein Mensch auch im Bösen verhärtet sein rnag, so kann er doch immer an seiner Befreiung mitwirken. Das Bereuen seiner Sünden und das Mitwirken an seiner Bekehrung bringt notwendigerweise mit sich, dass die Hilfe der Gnade da ist.

An einer andern Stelle sagt er über die Worte des heiligen Paulus: «Er will, dass alle Menschen gerettet werden», "Gott lässt seine Gnade keinem fehlen, sondern soweit es von ihm abhängt, will er sich allen mitteilen". Anderswo sagt der Apostel zu denselben Worten: «Er will, dass alle gerettet werden», "soweit es ihn angeht, ist er bereit, die Gnade allen zu geben ... Der Gnade beraubt sind nur jene, die in sich selber der Gnade Widerstand leisten; und so können sie nicht entschuldigt werden, wenn sie sündigen". Und wenn der Heilige sagt: "Er ist bereit, allen die Gnade zu geben", dann hat er nicht die Absicht, schon von der Tatgnade zu sprechen, wie wir weiter oben gesehen haben, sondern nur von der heiligmachenden Gnade.

Daher widerlegt der Kardinal Gotti gerechterweise einige, die sagen, dass Gott die zum Heil hinreichenden Hilfen bei sich bereit halte, aber sie tatsächlich nicht allen gebe. Was würde es einem Kranken dienen (sagt dieser gelehrte Schriftsteller), wenn der Arzt die Heilmittel nur bei sich bereit halten würde, aber sie dann an ihm nicht anwenden wollte? Wenn er deshalb gezielt über unseren Punkt spricht, kommt er zum Schluss, man müsse notwendigerweise sagen: "Gott bietet nicht nur an, sondern verleihe den einzelnen Menschen, sogar den Ungläubigen bis hin zu den Unbußfertigen, die hinreichenden Hilfen, und zwar die naheliegenden oder wenigstens die entfernten, um seine Gebote zu beobachten".

Im übrigen sagt der heilige Thomas, dass nur die Sünden der Dämonen und der Verdammten nicht ausgetilgt werden können durch die Buße, hingegen aber "Ist es falsch, zu behaupten, es gebe in diesem Leben irgendwelche Sünde, die man nicht bereuen könne... weil dadurch die Kraft der Gnade eingeschränkt wird". Wenn jemandem die Gnade fehlen würde, könnte er sie sicher nicht bereuen. Außerdem lehrt derselbe heilige Thomas, wie wir schon weiter oben gesehen haben, ausdrücklich an mehreren Stellen, besonders aber im Kommentar zum Kapitel 12 des Hebräerbriefes, dass Gott niemandem, soweit es ihn betrifft, die notwendige Gnade vorenthält, um sich zu bekehren, vielmehr teilt er sich mit. Daher versichert mit Recht der gelehrte Autor der Theologie von Perigueux: "Es ist eine Verleumdung, zu behaupten, der heilige Thomas habe gelehrt, dass einige Sünder schon in diesem Leben völlig von Gott verlassen seien".

Indem er von solchem Standpunkt her redet, unterscheidet der Kardinal Bellarmin weise und sagt, was das Vermeiden neuer Sünden betrifft, hat jeder Sünder zu jeder Zeit wenigstens die mittelbare Hilfe: "Allen und zu jeder Zeit wird von der göttlichen Güte unmittelbar oder auf Mittelsweg die hinreichende und zum Meiden der Sünden notwendige Hilfe gewährt... Wir sagen in der Tat auf Mittelsweg, weil es sicher ist, dass einige nicht die Hilfe haben, womit sie unmittelbar die Sünde vermeiden können, dass sie aber die Hilfe bekommen können, womit sie von Gott die weiteren Hilfen erlangen können, womit sie dann die Sünden vermeiden können". Was sodann die Gnade sich zu bekehren betrifft, sagt er, dass diese nicht zu jeder Zeit dem Sünder gegeben wird, aber dass keiner jemals dermaßen von Gott verlassen bleibt bis zum Ende seines Lebens, jeder Hilfe entbehrend, so dass er keine Hoffnung auf Rettung mehr haben kann.

Und dasselbe sagen die thomistischen Theologen als seine Schüler. Der hochgelehrte Pater Dominikus Soto sagt: "Ich bin mehr als sicher und ich glaube es fest, dass die heiligen Lehrer, die gerechterweise diesen Namen verdienten, sehr sicher waren, dass keiner von Gott in diesem sterblichen Leben je im Stich gelassen worden ist". Und der Grund dafür ist klar, denn, wenn der Sünder völlig von der Gnade im Stich gelassen würde, so könnten ihm entweder seine Sünden nicht mehr zur Last gelegt werden, wenn er zu sündigen fortfährt, oder er würde zu etwas verpflichtet bleiben, was er nicht erfüllen kann; aber es ist ein vom heiligen Augustin unbezweifelter Grundsatz, dass man niemals in dem sündigt, was man nicht vermeiden kann. Und das gilt gemäß dem, was der Apostel sagt: «Gott ist treu und er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kräfte hinaus versucht werdet, sondern mit der Versuchung wird er euch auch einen Ausweg schaffen, so dass ihr sie bestehen könnt» 1 Kor 10,13. Unter diesem "Ausweg" versteht man die göttliche Hilfe, die der Herr den Versuchten immer gibt, um der Versuchung zu widerstehen, wie der heilige Cyprian erklärt: "Er wird mit der Versuchung auch den Ausweg zulassen". Und noch deutlicher Primasius: "Er wird zulassen, dass euch zustößt, was ihr werdet überwinden können; das heißt, in der Prüfung wird er euch leiten mit einem Beitrag an Gnade, der euch erlauben wird, sie zu überwinden". Der heilige Augustin und der heilige Thomas vereinigen sich, um zu sagen, dass Gott ungerecht und grausam wäre, wenn er jemanden auf ein Gebot verpflichten würde, das er nicht beobachten kann. Der heilige Augustin sagt: "Es wäre höchste Ungerechtigkeit, den für schuldig zu halten, der nicht ertrug, was er nicht ertragen konnte". Und der heilige Thomas sagt sodann: "Gott wäre verderbter als der Mensch; der Mensch aber würde der Grausamkeit beschuldigt, wenn er jemanden zwingen würde, ein Gebot auszuführen, das er in keiner Weise erfüllen kann. Und wenn es sich dabei um Gott handelte, so wäre es nicht notwendig, dass man es irgendwie anerkennt". Anders verhält es sich, sagt sodann der Heilige, wenn "einer durch seine Nachlässigkeit diese Gnade nicht verdient, womit er die Gebote beobachten kann". Das trifft eigentlich zu, wenn der Mensch es versäumt, die entfernte Gnade des Betens zu gebrauchen, womit er gut die naheliegende Gnade zum Beobachten des Gebotes bekommen könnte, gemäß dem, was das Konzil von Trient lehrt: "Gott befiehlt nicht unmögliche Dinge, sondern, indem er befiehlt, ermahnt er uns, das zu tun, was wir können, und zu erbitten, was wir nicht können, und er hilft, damit wir können" (6. Sitz. 13. Kap.).

Was sodann der heilige Augustin an der erwähnten Stelle gesagt hat, das heißt, dass es keine Sünde gibt, wo man sie nicht vermeiden kann, das bestätigt er an vielen andern Stellen. An einer Stelle sagt er: "Wenn es nicht in der Macht des Menschen steht, sich festzulegen sei es für die Gerechtigkeit oder für das Unrecht, so wäre weder Belohnung, noch Strafe gerecht". An andrer Stelle sagt er: "Wenn man ihnen schließlich gar keine Möglichkeit gewährt, sich vom eigenen Handeln zu enthalten, dann müssen wir festhalten, dass man dabei nicht von Sünde reden kann". Anderswo sagt er: "Der Teufel kann auch etwas einreden; aber mit Gottes Hilfe steht es in unsrer Macht, anzunehmen oder abzulehnen, was er vorschlägt; und dann wenn es durch Gottes Gnade in deiner Macht steht, warum entschließt du dich nicht, dich eher Gott zu unterwerfen als dem Teufel?" An andrer Stelle sagt er: "Niemand kann schuldig sein in dem, wofür er keine freie Zustimmung gibt". Niemand verdient Vorwürfe, wenn er nicht tut, was er nicht tun kann. Dasselbe sagt der heilige Hieronymus: "Wir werden weder zu den Tugenden, noch zu den Lastern notwendig hingezogen; übrigens wo das Gesetz der Notwendigkeit gilt, kann man weder von Belohnung noch von Verurteilung sprechen".

Tertullian: "Man kann dem nicht ein Gesetz auferlegen, der dann nicht die Möglichkeit hat, sich mit dem geschuldeten Gehorsam dem Gesetz gegenüber entschließen zu können". Markus der Einsiedler: "Es wird uns eine innere Gnade eingeimpft: aber es bleibt in uns immer die Fähigkeit, nach Möglichkeit das Gute zu tun, oder nicht zu tun". Dasselbe sagen die heiligen Irenäus, Kyrill von Alexandrien, Johannes Chrysostomus und andere.

Und dem steht nicht entgegen, was der heilige Thomas sagt, dass einigen die Gnade verweigert wird zur Strafe für die Erbsünde: "Die Unterstützung durch die Gnade wird einigen aus Erbarmen gewährt; andern nicht; aber sie wird aus Gerechtigkeit nicht gegeben als Strafe für eine vorhergehende Sünde, oder wie der heilige Augustin sagt, zur Strafe für die Erbsünde". Denn sehr gut antwortet der hochgelehrte Kardinal Gotti, dass der heilige Augustin und der heilige Thomas von der naheliegenden Tatgnade, deren man bedarf, um den Vorschriften des Glaubens und der Liebe zu genügen, von denen der heilige Thomas eigentlich an besagter Stelle spricht; doch damit beabsichtigen sie nicht zu leugnen, dass der Herr jedem die innere Gnade gibt, womit er wenigstens mittelbar die Gnade des Glaubens und des Heiles erflehen kann; denn, wie wir oben gesehen haben, zweifeln die erwähnten heiligen Lehrer nicht daran, dass Gott jedem wenigstens die entfernte Gnade gibt, um den Geboten zu genügen. Dem fügt sich die Autorität des heiligen Prosper hinzu, der geschrieben hat: "Es wurde immer für alle Menschen ein gewisses Maß an Belehrung von oben angewendet, das, obwohl man es als ein Minimum an Gnade betrachtet, für einige als Heilmittel, für alle als Zeugnis ausreichend ist".

Und das dürfte man nicht anders verstehen, denn wenn es jemals wahr gewesen wäre, dass einige sündigten, weil ihnen auch die entfernt ausreichende Gnade gefehlt hat infolge der Erbsünde, die ihnen als persönliche Schuld angerechnet wurde, dann müsste man sagen, dass, um zu sündigen, die Willensfreiheit genügt, die wir auf erklärende Weise in der Sünde Adams gehabt haben; doch darf man das nicht sagen, weil es ausdrücklich verurteilt wurde im Satz I. des Michel Bajus, der sagte: "Um eine formale Sünde zu begehen und folglich, um Verdienste zu erwerben, genügt jene Freiheit, wonach er frei und freiwillig war bei seiner ersten Ursache, das heißt bei der Erbsünde und in der Freiheit des sich versündigenden Adam". Gegen diese Behauptung tut gut, was der Kardinal Bellarmin geschrieben hat, dass man, um eine persönliche Sünde zu begehen, die von der Sünde Adams verschieden ist, ein neues Ausüben der Freiheit brauche, und eine Freiheit, die von der Freiheit Adams verschieden ist, sonst ist es keine verschiedene Sünde nach der Lehre des heiligen Thomas, der lehrt: "Damit man eine persönliche Sünde begeht, ist eine absolut persönliche Fähigkeit erforderlich". Außerdem hat im Hinblick auf die Getauften das Konzil von Trient erklärt, dass in ihnen nichts Verdammenswertes übrigbleibe: "In den zur Gnade wiedergeborenen, findet Gott nichts, was ihn zum Hass hinneigen ließe, weil nichts Verdammenswertes in denen bleibt, die wahrhaft durch die Taufe mit Christus auf seinen Tod begraben wurden". Und es fügt hinzu, dass die Begehrlichkeit nicht aufgehoben wird nicht zur Strafe, sondern "zum Ringen und dass sie keinen Schaden verursachen kann bei dem, der ihr nicht zustimmt" (5. Sitz. im Dekr. über die Erbsünde). Die zurückgelassene Begehrlichkeit würde hingegen beim Menschen sehr viel Schaden anrichten, wenn Gott infolge von ihr den Menschen auch die entfernte Gnade verweigern würde, die unerlässlich ist, um das Heil zu erlangen.

Aus all dem, was gesagt worden ist, schließen mehrere Theologen, dass wenn man sage, Gott verweigere einigen die hinreichende Hilfe, um den Vorschriften zu genügen, so wäre das gegen den Glauben, weil Gott sie dann zum Unmöglichen verpflichten würde; so sagt der Pater Nuñez: "Gott verweigert nie die hinreichende Hilfe, um die Gebote zu erfüllen, sonst könnten sie auf keine Weise beobachtet werden; und so muss die häretische Behauptung Luthers zurückgenommen werden, Gott habe den Menschen zu unmöglichen Dingen verpflichtet". Und an andrer Stelle sagt er: "Es verpflichtet zum Glauben und die gegenteilige Behauptung steht im Verdacht offensichtlicher Häresie, dass jeder Mensch, solange er noch auf dieser Erde auf dem Wege ist, seine Sünden immer bereuen kann". Und Pater Ledesma: "Es verpflichtet zum Glauben, dass es keine Sünde gibt bei dem, was nicht in der freien Verfügungsgewalt des Menschen steht".

Juénin sagt, dass der Sünder sich dennoch schuldig macht durch die Freiheit des Ausübens, indem er freiwillig diese oder jene Sünde wählt, obwohl er dabei notwendig sündigt, wobei ihm die hinreichende Tatgnade fehlt, um jede Sünde zu meiden. Aber diese Lehre, das heißt, dass ein gefallener Mensch notwendig sündigt, da er keine andere Freiheit hat, als die Sünde zu wählen, die er begehen will, aber zu sündigen genötigt ist, hat beim gelehrten Monsignore von Saléon, dem Erzbischof von Vienne in Frankreich, gerechterweise Entrüstung erregt, der in seinem Buch JANSENISMUS REDIVIVUS folgendes geschrieben hat: "Wer wird je geduldig anzuhören vermögen, dass der gefallene Mensch, in Abwesenheit der Gnade sich keiner andern Freiheit erfreut, außer jener, wodurch er, der zu sündigen genötigt ist, die eine Sünde eher wählen kann, als die andere?" Somit müsste man von einem zum Tode Verurteilten, der keine andere Freiheit hat, als das Eisen, das Gift oder das Feuer zu wählen, das ihn umbringen muss, sagen, dass dieser, indem er seine Todesart auswählt, freiwillig und ungezwungen stirbt? Und wie darf man die Sünde dessen als Schuld anrechnen, der auf die eine oder die andere Weise zu sündigen genötigt ist? Verworfen wurde die These 67 von Bajus, die behauptete: "Der Mensch sündigt mit der Möglichkeit verdammt zu werden, auch in dem, was er notwendigerweise tun muss". Wo bleibt die Freiheit, wo Notwendigkeit zum Sündigen besteht? Jansenius antwortet, dass zum Sündigen die Willensfreiheit genügt, die wir erklärungsmäßig bei der Sünde Adams gehabt haben. Aber auch das wurde verurteilt in der ersten These des Bajus selber: "Um eine formelle Sünde zu begehen und folglich, um schuldig zu werden, genügt jene Freiheit, wodurch einer frei und unbehindert handelte in seiner ersten Ursache, das heißt bei der Erbsünde und aufgrund der Freiheit Adams, als der sündigte".

Die Gegner behaupten weiterhin, dass der von der Gnade verlassene Sünder, obwohl er nicht alle Todsünden "im Verbund" vermeiden kann, nichtsdestoweniger jede Sünde "distributiv" vermeiden kann, das heißt sozusagen im einzelnen, "durch einfaches Aussetzen oder Verweigern des Aktes", wie sie sagen. Aber das kann man aus mehreren Gründen nicht zugeben. Erstens weil, wenn eine heftige Versuchung drängt, die viel Anstrengung zum Widerstehen fordert, man sie moralisch nicht überwinden kann (wie alle Theologen sagen) außer mit Hilfe der Gnade, oder indem man sich an eine andere entgegengesetzte lasterhafte Leidenschaft klammert, so dass ein solcher Sünder, der Gnade beraubt, ohne Heilmittel sich gezwungen sähe, auf die eine oder andere Weise zu sündigen; und so etwas zu sagen erregt Schauder, wie oben gesagt worden ist. Zweitens, wenn eine große sündhafte Leidenschaft auf einem Gebiet drängt, besteht nicht immer, ja sogar selten ein andrer gegenteiliger ungeordneter Beweggrund, der die Kraft hat, den Menschen dazu zu verleiten, dass er sich enthalte, dieser zuzustimmen; weshalb ja, wenn dieser entgegengesetzte Beweggrund fehlt, der Sünder sich schon dann gezwungen sähe, diese besondere böse Tat zu begehen, wozu er sich hinneigen fühlt. Drittens kann man sich dieses von der Sünde Enthalten "aus einfacher Verweigerung des Aktes", wie sie sagen, schon kaum bei den Verboten vorstellen, aber es kann schon gar nicht stattfinden, wie Tournely und der Kardinal Gotti richtig überlegen, wenn ein positives Gebot dazu drängt, einen übernatürlichen Akt zu erfüllen, wie etwa die Akte des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und der Reue sind; denn, da diese Akte übernatürlich sind, bedarf es notwendigerweise, um sie zu verwirklichen, der übernatürlichen göttlichen Hilfe. Somit würde der Mensch wenigstens in einem solchen Fall, da ihm die Gnade fehlt, notwendigerweise sündigen, indem er dieser positiven Vorschrift nicht Genüge leistet, obwohl er die Sünde nicht vermeiden könnte. Doch so etwas zu behaupten, sei gegen den Glauben, sagt Pater Bannez: "Jedesmal wenn jemand sündigt, ist es notwendig, dass er tatsächlich eine göttliche Eingebung empfangen hat. Diese Schlussfolgerung wird von uns als sicher dem Glauben gemäß behauptet; denn niemand sündigt, wenn er nicht erfüllt hat, was er nicht tun konnte, wie es gewiss und dem Glauben gemäß ist; aber der Mensch, dem nichts gegeben wurde, als was zur menschlichen Natur gehört, besitzt nichts, womit er handeln könnte über die Natur hinaus; und deshalb sündigt er nicht, wenn er nichts tut in irgendeiner Sache, die ihn zwar übernatürlich verpflichten würde".

Und es dient nichts zu sagen, dass, wenn dieser Sünder der Gnade beraubt ist, er deren aus eigener Schuld beraubt ist; und er deshalb, obwohl er von der Gnade verlassen ist, dennoch sündigt. Denn gut antwortet darauf der Kardinal Gotti, dass der Herr einen solchen Sünder gerechterweise bestrafen könne für die früher begangenen Sünden, doch nicht schon für die Übertretungen, die er in der Zukunft begehen wird hinsichtlich der Vorschriften, die er nicht mehr erfüllen kann. Wenn ein Knecht, sagt der obige Autor, an einen Ort geschickt würde, und er durch seine Schuld in eine Grube fallen würde, so könnte ihn sein Vorgesetzter wegen seiner Nachlässigkeit beim Fallen bestrafen und auch für den folgenden Fehler, des Nicht-gehorchen-wollens, wenn er ihm die Mittel (wie ein Seil oder eine Leiter) gäbe, um aus der Grube zu steigen, und dieser sich dessen nicht bedienen wollte; aber angenommen, dass der Vorgesetzte ihm keine Hilfe anbieten würde, um herauszukommen, so wäre dieser ein Tyrann, wenn er ihm auferlegen wollte, dass er seinen Weg fortsetze, und wenn er ihn bestrafen würde, wenn er ihn nicht fortsetzte. Daher schließt er: "Hat der Mensch gesündigt und ist er in die Grube gefallen, so ist der Mensch unfähig geworden, den Weg des ewigen Heiles wieder aufzunehmen; und er könnte ihn ja bestrafen wegen einer solchen Nachlässigkeit, wie auch, wenn er die angebotenen Mittel, die ihn befähigen würden, wieder herauszukommen, ablehnen würde; doch wenn Gott ihn in seiner Ohnmacht verlassen wollte, so könnte er ihn nicht, oder nur Ungerechterweise dazu verpflichten den Weg wieder aufzunehmen, wie auch falls er ihn strafen würde, wenn er diesen nicht wiederaufnehmen würde".

Dem stellt man sodann viele Bibeltexte entgegen, aus denen es scheint, dass sich dieses göttliche im-Stiche-lassen erklären lässt: «Und er verhärtet diesem Volk das Herz, damit es mit seinen Augen nicht sieht... damit es sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird» Jes 6,10; «Wir wollten Babel Heilung bringen, es war aber nicht mehr zu heilen. Verlasst es, gehen wir weg» Jer 51,9; «Rechne ihnen Schuld über Schuld an, damit sie nicht teilhaben an deiner Gerechtigkeit» Ps 69,28; «Darum lieferte sie Gott entehrenden Leidenschaften aus» Röm 1,26; «Er erbarmt sich also, wessen er will, und macht verstockt, wen er will» Röm 9,18. Und andere ähnliche Aussagen. Aber auf all diese Stellen antwortet man gemeinsam und leicht, dass in der Bibel oft göttliche Zulassungen als Handlungen benannt werden. Daher muss man, um nicht mit Calvin zu lästern, Gott bestimme einige und lege sie positiv zum Sündigen fest, sagen, dass er es zulasse, dass einige Sünder zur Strafe für ihre Schulden einerseits von heftigen Versuchungen angefochten werden (was ja das Übel ist, wovon wir den Herrn im «Vater unser» bitten, er möge uns davor bewahren, «Und führe uns nicht in Versuchung»); und andrerseits, dass diese moralisch an ihre Sünde ausgeliefert bleiben; so dass ihre Bekehrung und der Widerstand, den sie den Versuchungen leisten könnten, zwar nicht unmöglich und hoffnungslos wäre, würde es sich trotzdem durch ihr Versagen und durch die angenommenen schlechten Gewohnheiten sehr schwierig gestalten; denn sie werden bei einem solchen Sichgehenlassen im Lebenswandel nur noch sehr schwache und seltene Wünsche und Regungen haben, um ihren schlechten Gewohnheiten zu widerstehen und um sich wieder auf den Weg des Heiles zu begeben. Und das ist jene unvollendete Verstockung, in welcher der Sünder verhärtet bleibt und von der der heilige Thomas redet, wenn er sagt: "Verhärtet ist das Herz dessen, der nicht mehr leicht mitwirken kann, um aus der Sünde wieder aufzustehen; und das ist eine Form von beginnender Verstockung, weil man zu einem solchen Zustand der Verstockung auch in diesem Leben gelangen kann, dass man einen Willen hat, der gleichsam in der Sünde verwurzelt ist, so dass die innern Regungen zur Einsicht nahezu wirkungslos sind".

Einerseits der verdunkelte Verstand; der Wille, der unempfänglich geworden ist gegenüber den göttlichen Eingebungen und festgeklammert an die sinnlichen Vergnügungen, dermaßen dass er nur noch Gleichgültigkeit gegen die geistlichen Güter zeigt und sie ihn sogar anwidern; die Leidenschaften und die sinnlichen Begierden, die durch die erworbenen schlechten Gewohnheiten in der Seele vorherrschen; andrerseits die Erleuchtungen und Anrufe von Gott her, die sich als wenig wirksam erweisen, wegen der Geringschätzung und des Missbrauchs, die sie damit getrieben hat, fühlt sie dabei eher eine gewisse Abneigung, weil sie nicht gestört werden will bei ihren sinnlichen Vergnügen; all diese Dinge bIlden dann die moralische Verwahrlosung, in die hineingestellt der Sünder mit größter Schwierigkeit aus seinem elenden Zustand herauskommen kann, um wieder ein ordentliches Leben aufzunehmen.

Um aus einer solchen Unordnung herauszukommen und in einem Zuge in den Stand des Heiles zurückzukehren, würde es dazu eine überreiche und außerordentliche Gnade brauchen; doch Gott gewährt eine solche Gnade selten diesen verstockten Sündern. Er gewährt sie jedoch einigen, sagt der heilige Thomas, wobei er sie zu Gefässen des Erbarmens erwählt, wie der Apostel schreibt, um seine Güte bekannt zu machen; andern aber verweigert er sie gerechterweise und belässt sie in ihrem unseligen Zustand, um seine Gerechtigkeit und seine Macht zu zeigen. Man soll nicht den Grund untersuchen, fährt der engelgleiche Lehrer fort, warum der Herr die einen durch seine Gnade bekehrt, und zulässt, dass andere verloren gehen; denn der Apostel warnt uns, dass Gott der Herr über seine Gaben ist und dass er darüber verfügt, wie es ihm gefällt.

Wir verneinen also nicht, um diesen Punkt abzuschließen, dass sich eine solche moralische Verlassenheit einiger verstockter Sünder ergibt, so dass ihre Bekehrung moralisch unmöglich ist, das heißt sehr schwierig. Und das mag übrigens der guten Absicht der Gegner wohl genügen beim Verteidigen ihrer Sentenz, das heißt eine Bremse anzusetzen bei solchen, die ein schlechtes Leben führen, und um sie anzuleiten, ihr Unrecht einzusehen, ehe sie so weit kommen, dass sie in einen solch beweinenswerten Zustand fallen. Aber es ist grausam (wie der Verfasser der Theologie von Périgueux richtig sagt), ihnen jede Hoffnung wegnehmen zu wollen und ihnen den Weg des Heiles gänzlich zu verschließen, dadurch dass man behauptet, dass sie in eine dermaßen vollständige Verlassenheit gefallen sind, dass sie jeder Tatgnade beraubt bleiben, um neue Sünden zu vermeiden, und um sich wenigstens mittelbar durch das Gebet zu bekehren (was niemandem verweigert wird, so lange er lebt, wie wir im folgenden Paragraphen beweisen werden), wodurch sie stets reichere Hilfen erlangen können, die man braucht, um gerettet zu werden; denn die Furcht, völliger Verlassenheit, würde sie nicht nur zum Verzweifeln verleiten, sondern sich noch mehr gehen zu lassen in den Lastern, wenn sie sich für gänzlich der Gnade beraubt halten würden, so dass für sie gar keine Hoffnung mehr bestünde, die ewige Verdammnis zu vermeiden.

III. DARGELEGT UND WIDERLEGT WIRD DAS SYSTEM DES JANSENIUS ÜBER DAS RELATIV SIEGREICHE GEFALLENFINDEN

§ 1. DAS SYSTEM DES JANSENIUS

Im nun folgenden Kapitel, wie wir oben darauf angespielt haben, werden wir nachweisen, dass die Gnade des Betens allen Menschen gegeben wird. Doch diese Lehrmeinung gefällt Jansenius nicht; er geht soweit, dass er sagt, es sei eine Halluzination: "Eine Art von Halluzination (ist es), wenn man meint, dass der Mensch immer die Gnade habe zum Bitten". Während er sagt, wobei er gemäß seinem System redet, dass man auch zum Beten das relativ siegreiche Gefallenfinden brauche, was nicht allen gewährt wird, fügt er darum hinzu, dass nicht alle die hinreichende Gnade haben und folglich auch nicht die Kraft, um die Gebote zu erfüllen; da sehr vielen auch die entfernte Gnade zum Beten, wie es sich gehört, oder auf irgendeine Weise zu beten, fehle: "Bitten viele nicht um die Gnade, mit der sie die Gebote erfüllen können, oder sie suchen sie nicht als Notwendige, und weil Gott nicht allen die Gnade gewähre, entweder sie zu erbitten, oder sie mit Eifer zu suchen, ist es in höchstem Maße möglich, dass vielen Gläubigen, diese hinreichende, immerfort begleitende Gnade fehlen wird, die von einigen als notwendig zum Erfüllen eines Gebotes benannt wird". Daher ist es notwendig, ehe wir dazu übergehen unsern Lehrsatz zu beweisen, sein unheilvolles System zu widerlegen, aus dem dann all seine Irrtümer hervorgehen, und zur Einsicht zu bringen, dass er selber einer Halluzination erlegen ist und nicht die andern.

Die fünf Thesen des Jansenius, die von der Kirche bereits als häretisch verurteilt worden sind, sind allen bereits bekannt. Nun aber gehen, wie Tournely nachweist, alle erwähnten Thesen aus seinem sogenannten System des obsiegenden Gefallenfindens hervor, worauf Jansenius seine ganze Lehre gründet. Und dasselbe sagt der Pater Ignaz Graveson: "Aus diesem verderbenbringenden Grundsatz haben Jansenius und seine Anhänger jene irrtümlichen Folgerungen gezogen," (nämlich die fünf Thesen) "die mit diesem Grundsatz durch ein sehr enges Band verbunden sind". Dasselbe sagt Pater Berti, wenn er schreibt, was ja fest steht, "vom Grundsatz der beiden unüberwindlichen Vorgänge des Gefallenfindens, sind wie aus einer einzigen Wurzel, gleichsam alle andern Irrtümer des Jansenius hervorgewuchert und vor allem die fünf verurteilten Thesen". Und Pater Fortunatus von Brescia beweist bis zur Evidenz in seinem neulich herausgegebenen Werk mit dem Titel Cornelii Jansenii Systema confutatum etc., dass, wenn man das System des Jansenius annähme, man dann notwendigerweise auch die fünf oben erwähnten verurteilten Thesen annehmen müsste.

So wollen wir denn mit Unterscheidung das System des Jansenius darlegen. Er sagt, dass der Wille des Menschen nach der Sünde Adams nicht anders wirken kann, als indem er dem Gefallenfinden an der Gnade folgt, das er himmlisch nennt, oder dem Gefallenfinden an der Begehrlichkeit, das er irdisch heißt, je nachdem das eine oder das andere überwiegt. Denn wenn das himmlische Gefallenfinden größer ist, dann siegt dieses notwendig; wenn das irdische Gefallenfinden überwiegt, dann muss der Wille notwendig ihm nachgeben.

Und hier muss davor gewarnt werden, dass Jansenius nicht die Absicht hat von überlegtem oder von nachfolgendem Gefallenfinden zu reden, denn damit wären alle katholischen Theologen einverstanden, da es sich ja so verhält, dass wenn das Gefallenfinden überlegt ist und ohne Notwendigkeit, sondern frei vom Willen umfasst wird, dann ist es sicher notwendig, dass der Wille gemäß dem Gefallenfinden wirkt, doch zielt er (Jansenius) auf das Unüberlegte ab. Und so wird der berühmte Text des heiligen Augustin verstanden. "Es ist notwendig, dass wir nach dem, woran wir am meisten Gefallenfinden, wirken". Und diesen Text muss man notwendigerweise, wie wir nachher beweisen werden, vom überlegten und nachfolgenden Gefallenfinden verstehen; Jansenius aber versteht ihn irrtümlich (und darauf beruht seine ganze Lehre) vom unüberlegten und jedem Willensakt vorhergehenden Gefallenfinden. Daher gibt es dabei nach ihm keine hinreichende Gnade mehr, weil sie entweder von minderem Gewicht ist und niemals genügen kann; oder sie überwindet die Begehrlichkeit und dann ist sie notwendigerweise wirksam; wobei er die ganze Wirksamkeit der Gnade auf nichts anderem beruhen lässt als im relativen Überwiegen des unüberlegten Gefallenfindens.

Nun aber wenn man ein solches System aufstellt, dann werden als ebenso viele notwendige Schlüsse alle besagten fünf verurteilten Thesen daraus abgeleitet. Lassen wir die andern und reden wir nur von der ersten und von der dritten, die mehr zu dem von uns Vorgenommenen beitragen.

1. Widerlegung der ersten These

Die erste sagt: "Einige Gebote Gottes, die den Gerechten auferlegt werden, denen sie immerhin zustimmen und zu denen sie verpflichtet sind, die sind den Kräften entsprechend, die sie jetzt zur Verfügung haben, für sie unmöglich, da ihnen die Gnade fehlt, die sie ihnen möglich macht". Insofern also (sagt Jansenius) einige Gebote auch für die Gerechten unmöglich werden, die wollen und sich dazu anstrengen, sie zu beobachten, solange ihnen die Gnade fehlt, welche die Oberhand gewinnt über die Begehrlichkeit. Er schreibt: "Wenn das himmlische Gefallenfinden nicht größer ist als das irdische, so wird es niemals geschehen, dass man sich überwinden kann mit dem geschwächten Willen". Und an andrer Stelle: "Wenn das fleischliche Gefallenfinden vorherrscht, ist es unmöglich, dass die Überlegtheit der Tugend die Oberhand gewinnt". Obwohl die Gnade (sagte Jansenius), wobei er an sich losgelöst von allem redet und wobei er sie getrennt vom Akt und von den Umständen betrachtet, im höchsten Maß genügend wäre, den Willen zum Guten zu bewegen, ist nichtsdestoweniger die Gnade dann, dabei redet er relativ, das heißt, wenn gegenüber dem himmlischen Gefallenfinden das fleischliche Gefallenfinden (das beim Überwiegen über die Gnade immer mit dem Akt verbunden wird) größer ist, ganz und gar ungenügend, um die Zustimmung des Willens an sich zu reißen. Und wie Pater Graveson mit Weisheit schreibt, ist das absolute Vermögen, das der Mensch kraft der Gnade zum Beobachten der Gebote hätte, wenn es sich aus einer Gnade ergibt, die der Begehrlichkeit unterliegt, ist es in Beziehung auf den Akt nicht mehr ein Vermögen, sondern wahres Unvermögen, so dass der Wille dann gar nicht mehr das Gute bewirken kann; sowie bei einer Waage das geringere Gewicht nicht das größere überwiegen kann.

Doch wie wird man dann den Menschen beschuldigen können, wenn er dem Gebot nicht Genüge leistet, da ihm ja jene Hilfe fehlt, die ihm wenigstens genügen würde, um es zu erfüllen? Der Einwand ist stark und er ist zu offenkundig berechtigt, daher kann Jansenius sich nicht entziehen, sich selber den Einwand zu machen, indem er sagt: "Wie können sie nicht entschuldigt werden, wenn es ihnen an dieser Hilfe fehlt, ohne die sie das Gebot nicht erfüllen können?" Wir wollen sehen, wie er darauf antwortet. Die Schwierigkeit ist groß, daher sucht er auf mehrere Weisen sich herauszuziehen.

Zum ersten antwortet er, dass das Unvermögen dann entschuldigt, wenn der Mensch das Gebot erfüllen will, und es nicht vermag; aber schon nicht mehr, wenn er es nicht erfüllen will. Aber man gibt Jansenius zur Antwort, dass wenn der Wille gemäß seinem Grundsatz notwendig dem unüberlegten Gefallenfinden der Begehrlichkeit nachgeben muss, weil diese der Gnade überlegen ist, dann ist es dem Menschen physisch unmöglich, das Gebot erfüllen zu wollen; aber man antwortet dem Jansenius, dass wenn der Wille nach seinem Grundsatz notwendigerweise dem unüberlegten Gefallenfinden der Begehrlichkeit nachgeben muss, weil sie der Gnade überlegen ist, dann ist für den Menschen ein erfüllen Wollen des Gebotes physisch unmöglich; da beim fleischlichen Überwiegen, die Gnade keine aktive Kraft mehr hat, die genügt, um es zu überwinden. Und daran hat Jansenius selber keinen Zweifel, da er ja sagt, dass das überlegene Gefallenfinden an und für sich den Willen bestimmt und ihn unüberwindbar bewegt, die Zustimmung zu geben, wobei der Wille dann ganz und gar des relativen Vermögens zum Widerstehen beraubt bleibt. Pater Graveson sagt (dazu): "So kommt es, dass diese Notwendigkeit in der Lehre des Jansenius und seiner Anhänger nicht von moralischer Notwendigkeit ist, sondern vorausgehend und unüberwindbar, eine Sache, die man nicht zugestehen darf, ohne in offensichtliche Häresie zu geraten". Und Jansenius sagt, dass ohne das überwiegende Gefallenfinden an der Gnade es dem Menschen ebenso unmöglich ist, die Gebote zu erfüllen, wie es dem, der keine Flügel hat, unmöglich ist zu fliegen, dem, der blind ist, zu sehen, dem Tauben zu hören, dem, der gebrochene Beine hat, aufrecht seinen Weg zu gehen. Und dasselbe würde gelten für einen, der zwar Augen hat, dem aber das Licht fehlt, denn es ist sowohl dem Blinden, der der Augen beraubt ist, physisch unmöglich zu sehen, wie auch dem, der zwar Augen hat, dem aber das Licht fehlt; da ja die physische Unmöglichkeit nichts anderes ist, als jene, welche die natürlichen Kräfte übersteigt. Somit sieht jeder, wie sehr diese erste Antwort des Jansenius unbegründet ist.

Sehen wir die zweite; doch die zweite ist noch hinfälliger als die erste. Er sagt, dass alle Gebote soweit für den Menschen möglich sind, wie Gott ihm die notwendige Gnade geben kann, um sie von ihm beobachten zu lassen: "Man räumt ein, dass alle Menschen glauben können, Gott lieben können ... dieses Vermögen ist nichts anderes als eine schwankende Fähigkeit, wodurch die Menschen den Glauben und die Liebe annehmen können". Somit sündigt der Mensch insofern, nach Jansenius, indem er die göttlichen Gebote übertritt, weil er fähig ist, die Gnade anzunehmen, deren er bedarf, um sie zu erfüllen. Aber auf diese Weise sagen wir, dass auch der Blinde sehen kann, und der Taube hören kann, da ja Gott bewirken kann, dass er sieht und hört; einstweilen aber ist es physisch unmöglich, wenn Gott es ihm nicht gewährt, nämlich dem Blinden das Sehen, dem Tauben das Hören. Daher kommt es, dass zu sagen, für jedes Gebot, damit man es möglich nennen kann, genüge es, dass es für den Menschen möglich wäre im Falle, dass Gott ihm das Vermögen geben würde, es zu erfüllen, dass das leeres Geschwätz oder Betrug ist, um die Wahrheit zu vertuschen; darum frage ich: Was für eine Hilfe hat jemals einer von dieser Gnade bekommen, die er haben könnte, aber zur Zeit nicht hat? Das ist dasselbe, wie wenn man sagt: Der Mensch könnte alle Gebote beobachten, wenn er sie beobachten könnte, aber jetzt kann er es nicht. Wenn ein Kranker, sagt der heilige Augustin, Pflege braucht, um zu gesunden, dann wird er nie gesund werden können ohne Pflege, obwohl er sie möchte.

Jansenius gibt die dritte Antwort, indem er sagt, dass die ganze Freiheit der Entscheidung im Gefallenfinden besteht und in der Erkenntnis des erfreulichen Gegenstandes: "Wodurch" (das sind seine eigenen Worte) die Grundsätze Augustins bloßgelegt werden, worauf die ganze Lehre von der freien Entscheidung begründet wird, denken wir: dass die Erkenntnis, das Gefallenfinden, das erfreuliche Wohlgefallen, nichts anderes sind, als das, was solche Macht besitzt auf die freie Entscheidung, so dass sie bei ihr das Wollen oder das nicht Wollen bewirkt. Aber um die Erkenntnis wollen wir uns hier nicht allzu viel Sorgen machen, zumal sie ja für die Zustimmung notwendig ist, woran niemand zweifeln kann". So dass nach Jansenius die Freiheit des Menschen somit im Gefallenfinden des sich Ergötzens besteht, wie in der Erkenntnis des Gegenstandes oder im teilnahmslosen Urteil, womit der Mensch das Gute und das Böse des Handeins erkennt, wie zum Beispiel beim Mord bereits das Böse der Schuld erkannt wird und das Vergnügen an der Rache. Und er sagt deshalb an andrer Stelle, dass die Gottlosen insofern sündigen, wie sie durch das Gesetz schon die Bosheit der Sünde erkennen: "Es bietet sich als erste Auswirkung des Gesetzes an, die Erkenntnis der Sünde zu geben"; wobei er sich des Textes vom heiligen Paulus bedient: «Ich habe durch das Gesetz die Erkenntnis der Sünde gehabt» Röm 3,20. Und das hat schon vor ihm Calvin gesagt, indem er schrieb: "Das Gesetz hat zum Zweck, den Menschen unentschuldbar zu machen; und es wird nicht schlecht definiert, wenn man von ihm sagt: Erkenntnis des eingehend zwischen gerecht und ungerecht unterscheidenden Gewissens, um jeden Vorwand zur Unkenntnis wegzunehmen". Aber wir antworten, dass es nie vorkommen kann, dass das teilnahmslose Urteil, das heißt die Erkenntnis von Gut und Böse, die nur dem Verstand angehört, die Freiheit der Entscheidung bilden könne, die ja ganz dem Willen zugehört; denn die Freiheit besteht in nichts anderem, als in der freien Wahl, die der Willen trifft, eine Sache zu tun oder nicht zu tun.

Jansenius gibt die vierte Antwort, aber die vierte ist noch unangemessener und gegenstandsloser als alle ersten drei. Er sagt, um zu sündigen, sei nicht unbedingt die Freiheit der Gleichgültigkeit notwendig, der Mensch solle zwar frei sein von jeder Notwendigkeit zu sündigen, aber es genügt die Freiheit des Ausübens oder der Wahl, womit er sich von der Sünde enthalten kann, wozu ihn die Begehrlichkeit antreibt, mit der Möglichkeit, eine andere zu begehen. Und damit setzt er den Menschen in eine solche Notwendigkeit, dass er, um eine Sünde zu vermeiden, notwendig eine andere begehen muss; und er sagt, dass eine solche Freiheit ihn bereits einer Sünde schuldig macht, obwohl er sich genötigt sieht, auf diese oder jene Weise zu sündigen. Gegen diese letzte Antwort könnte man alle jene Dinge vorbringen, die wir weiter oben gegen Juénin gesagt haben (im Kapitel II. S. 152), der nämlich will, dass gewisse Sünder, obwohl sie der hinreichenden Gnade beraubt sind, doch sündigen durch eine sogenannte Freiheit des Ausübens. Doch was für eine Art von Freiheit ist denn das wohl (das fragten wir schon), wobei ein Mensch, sei er gerecht oder Sünder, schuldig gesprochen werden kann, wenn er auf die eine oder andere Weise zu sündigen genötigt ist? Der engelhafte Lehrer sagt, es sei eine Häresie zu sagen, dass der Wille verdient oder missverdient, wenn er aus Notwendigkeit wirkt, obschon er zum Wirken nicht mit Gewalt gezwungen wird: "Einige behaupten, dass der Wille des Menschen aus Notwendigkeit bewegt wird irgend etwas zu wählen, ohne jedoch zu behaupten, dass der Wille mit Gewalt gezwungen wird ... Diese These ist falsch, sie nimmt nämlich den Grund für Verdienst und Missverdienst bei den menschlichen Taten weg. Es scheint nämlich kein Beweggrund für Verdienst oder Missverdienst zu geben, wo einer aus Notwendigkeit tut, was er nicht vermeiden kann." Außerdem, was allgemein alle Theologen sagen, wenn einer genötigt ist, die eine oder die andere Sünde zu begehen, so sündigt er nicht, wenn er die kleinere Sünde auswählt, obwohl er sie willentlich auswählt, weil er die notwendige Freiheit entbehrt, damit man ihm die Tat als Sünde anrechnet. Somit, wenn in unserem Falle die Begehrlichkeit der Gnade überlegen ist, wenn man sich an die kleinere Sünde klammern würde, würde man nicht sündigen.

Aber wenn wir all diese Überlegungen beiseite lassen, so lautet die direkte Antwort, wenn man den Grundsatz des Jansenius vom relativ obsiegenden Gefallenfinden annimmt, kann es dabei diese Freiheit des Ausübens überhaupt nicht geben, wenn man sich dabei einer Sünde enthält, indem man eine andere begeht. Sein Grundsatz ist, wie wir oben überprüft haben, dass, wenn das fleischliche Gefallenfinden das himmlische übertrifft, dann der Wille genötigt wird, dem entschieden zuzustimmen, je nachdem wozu er physisch angetrieben wird. Und deshalb sagt er an einer Stelle, dass das überlegene Gefallenfinden die Gleichgültigkeit des Willens aufhebt; denn wie das Gewicht die Waagschale zum Sinken bringt, die zuvor im Gleichgewicht stand, so zwingt das Gefallenfinden den Willen, diese Begierde anzunehmen, wozu es ihn bewegt. Dasselbe sagt er an andrer Stelle, wo er jene zurückweist, die wollen, dass das überlegene Gefallenfinden moralisch bewegt, sagt er, dass es zwar nicht moralisch aber physisch antreibe und den Willen im voraus festlege, den vorgeschlagenen Gegenstand zu erfassen. Somit bestimmt nach Jansenius das Gefallenfinden im voraus den Willen, den Gegenstand zu erfassen, zu dem hin es ihn bewegt, noch bevor der Wille sich festlegt. Und dass dies die wahre Meinung des Jansenius sei, daran zweifelt der gelehrte Dirois nicht, der da sagt, dass darum Jansenius sich nicht unterscheide von den Physiognomikern, die den Willen des Menschen dem Einfluss der Planeten unterworfen sein lassen, dermaßen dass: "Der Wille vorausbestimmt ist zum Erwählen seines Zieles von einem gewissen Einfluss, der seiner Wahl vorausgeht". Dasselbe schrieb der Erzbischof von Vienne, der Verfasser des Buches Bajanismus et Jansenismus redivivus, worin er sagte: "Die Jansenisten kämpfen, um zu behaupten, dass der Wille unbesiegbar dazu bestimmt ist, von einem gradmäßig überlegenen Gefallenfinden her zu wirken ohne irgendeine Rücksicht auf die nachfolgende Bestimmung durch den Willen selber".

Ist das angenommen, wo ist dann noch die Freiheit des Ausübens? Da ja das überwiegende Gefallenfinden, nach Jansenius, im voraus allein den Willen bestimmt, dieses anzunehmen; auf solche Weise wie es bei der Waage notwendig ist, dass das geringere Gewicht dem größeren nachgibt, so ist es notwendig, das der Wille dem relativ obsiegenden Gefallenfinden nachgibt. Wenn also jemand (zum Beispiel) angetrieben wird vom Gefallenfinden am sich der Sachen des andern zu Bemächtigen, so ist es wahr, dass dieser sich des Stehlens enthalten könnte aus Furcht seinen guten Ruf zu verlieren, aber im Falle, dass diese Furcht nicht da ist oder nicht größer als das Gefallenfinden am Stehlen, so kann diese Furcht sicher nicht siegen, und dann hört sicher jede Freiheit des Ausübens auf.

2. Widerlegung der dritten These

Doch wollen wir jetzt dazu übergehen, von der dritten These des Jansenius zu reden, der sagt: um zu verdienen oder zu sündigen, ist nicht die Freiheit der Gleichgültigkeit notwendig, welche die Notwendigkeit ausschließt, sondern es genügt, dass der Wille nicht widerstrebt. Und er wagt, zu behaupten, es sei ein Paradox, zu sagen, der Willensakt sei so weit frei, als der Wille es annehmen oder ablehnen kann. Diese These, die auch als häretisch verworfen wurde, geht ebenfalls aus demselben System hervor; während vorausgesetzt wird, dass der Wille, wenn er vom vorwiegenden Gefallenfinden bewegt wird, diesem notwendig gehorchen muss, geht daraus (nach Jansenius) notwendig hervor, dass es genügend ist zum Verdienen oder Sündigen, dass der Mensch dem Gefallenfinden zustimmen will, obwohl er es nicht unterlassen kann, es zu wollen, und er physisch genötigt wird, es zu wollen. Lehre, die richtig ungeheuerlich genannt wird von Pater Serry: "dass das Verdienst bestehen kann bei der Notwendigkeit zum Handeln." Zuerst wird sie schon vom heiligen Thomas häretisch genannt, dessen schon oben erwähnten Worte mir hier zu wiederholen gestattet sei: "Einige behaupten, dass der Wille des Menschen aus Notwendigkeit bewegt wird, irgend etwas zu wählen, ohne jedoch zu behaupten, dass der Wille mit Gewalt gezwungen wird ... Diese These ist falsch, sie nimmt nämlich den Grund für Verdienst und Missverdienst bei den menschlichen Taten weg. Es scheint nämlich kein Beweggrund für Verdienst oder Missverdienst zu geben, wo einer aus Notwendigkeit tut, was er nicht vermeiden kann."

Mit Recht nennt man diese Lehre häretisch, wo sie doch gegen sämtliche Heiligen Schriften steht. «Denn Gott ist treu; er wird es nicht zulassen, dass ihr über eure Kräfte hinaus versucht werdet. Sondern mit der Versuchung wird er euch einen Ausweg schaffen, so dass ihr sie bestehen könnt» 1 Kor 10,13. Doch Jansenius will, dass der Mensch zuweilen so sehr von der Gnade im Stich gelassen wird, dass er der Versuchung nicht widerstehen kann und dass er genötigt wird, ihr nachzugeben.

Mose sagte zum ganzen Volk: «Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft» Dtn 30,11. Und Jesus Sirach nennt «Selig ... wer sündigen konnte und nicht sündigte, Böses tun, es aber nicht tat» Sir 31,10. Somit genügt es nicht, dass der Mensch willentlich handelt, um Verdienste zu haben, sondern es ist auch noch notwendig, dass er freiwillig handelt, das heißt, dass er es unterlassen kann, die Gebote zu erfüllen, und es für ihn nicht (zwingend) notwendig ist, sie zu erfüllen. Und dasselbe gilt umgekehrt beim Sündigen, das heißt, dass er die hinreichende Gnade haben muss, um sich dessen zu enthalten, und dass er durch seine Schuld sich dessen nicht enthält.

Und es taugt auch nichts, zu sagen, so wie der ehrfurchtslose (empio) Theodor Beza darauf antwortete, dass solche Notwendigkeit nicht von der Natur herkomme, sondern von der Erbsünde, wodurch sich der Mensch freiwillig seiner Freiheit beraubt habe, und dass er deshalb gerechterweise gezüchtigt werde, wenn er sündige, obwohl er aus Notwendigkeit sündige. - Denn darauf antworten wir, dass, wenn ein Knecht durch seine Schuld sich die Beine gebrochen hätte, so wäre der Meister ungerecht, wenn er, nachdem er ihm solche Schuld nachgelassen hatte, ihm darauf auferlegen wollte, dass er laufe, und ihn bestrafen würde, wenn er nicht liefe. "Man darf einen nicht als einer Sünde schuldig ansehen, weil er nicht getan hat, was er nicht tun konnte; das wäre höchste Ungerechtigkeit und Verrücktheit" .

Außerdem, angenommen der Mensch würde verdienen und missverdienen können, indem er aus Notwendigkeit wirken würde, ohne relative Möglichkeit, das Gegenteil zu tun, so wüsste ich nicht, wie sich das vereinbaren ließe mit den übrigen Schriftstellen, die sagen: «Entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Väter jenseits des Stromes dienten, oder den Göttern der Amoriter... Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen» Jos 24,15. Es kann keine Wahl geben, wo man aus Notwendigkeit handelt und ohne Freiheit, daher wird im besagten Text klar das Freisein des Menschen von der Notwendigkeit bewiesen. Über diese Schriftstelle sagt der gelehrte Petau: "Es wird klar die Wahlfreiheit nachgewiesen, wenn der Wille wie aufgeschoben ist und wie in Erwartung der Wahl des einen oder des andern von beiden".

Dasselbe wird an andern Stellen der Schrift gesagt: «Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen» Dtn 30,19. Auch bei Jesus Sirach liest man: «Er hat am Anfang den Menschen erschaffen und ihn der Macht der eigenen Entscheidung überlassen. Wenn du willst, kannst du die Gebote halten ... Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; jedem wird gegeben werden, was ihm gefallen wird» Sir 15,14-17. Zu dieser andern Stelle fügt Petau hinzu und sagt: Wenn Jesus Sirach sich jetzt vor der Entscheidung befände über den gegenwärtigen Streitpunkt, wie viel deutlicher hätte er das Freisein von jeder Notwendigkeit ausdrücken können, deren der Mensch sich erfreut? Auf dasselbe deuten die andern Schriftstellen hin: «Als ich euch rief, habt ihr euch geweigert» Spr 1,24; «Andere hassen das Licht» Ijob 24,13; «Der Herr hoffte, dass der Weinberg süße Trauben brächte, doch der brachte nur saure Beeren» Jes 5,2; «Ihr widersetzt euch immerzu dem Heiligen Geist» Apg 7,51. Es ist sicher Wirken des Heiligen Geistes das Rufen, das Erleuchten des Sinnes, das den Willen zum Guten Bewegen; aber wie kann man sagen, dass sich eine Seele dem göttlichen Rufen widersetzt, dass sie sich gegen das Licht auflehnt, dass sie der Gnade widersteht, wenn sie der überwiegenden Gnade beraubt ist und deshalb notwendig der Begehrlichkeit nachgeben muss, die über die Gnade vorherrscht?

§ 2. DIE WAHRE LEHRE DES HEILIGEN AUGUSTlN ÜBER DAS OBSIEGENDE GEFALLENFINDEN UND ÜBER DIE WILLENSFREIHEIT

Aber wie geht das, sagt Jansenius, dass das, was ich gesagt habe, schon vorher der heilige Augustin gesagt hat, das heißt, dass wir notwendig das tun müssen, woran wir am meisten Gefallenfinden, gemäß dem Text des Heiligen, der schon mehrmals erwähnt wurde: Quod amplius nos delectat, secundum id operemur necesse est?

Aber ehe wir Jansenius antworten, muss man vorausschicken, dass Sankt Augustin, weil er zu seinen Zeiten mehrere Häresien zu widerlegen hatte, die damals auf dem Gebiet der Gnade liefen, die alle je voneinander verschieden waren, musste er unterschiedlich und unter verschiedenen Blickwinkeln darüber reden, und darum redete er an vielen Stellen dunkel. Von daher ist es dann gekommen, dass nicht nur jede der katholischen Schulen sich rühmt, ihn auf ihrer Seite zu haben, obwohl sie untereinander unterschiedliche Behauptungen aufstellen; aber auch Calvin und Jansenius, deren Irrtümer von der Kirche bereits verurteilt worden sind, haben die Kühnheit gehabt, ihn ihren Begünstiger zu nennen. Calvin, der gegen Pighius schrieb, wagt zu behaupten: "Wir folgen niemand anderem als Augustin ... Auch wenn Pighius platzen würde, so könnte er uns nicht wegnehmen, dass Augustin uns gehört". Jansenius sodann stellt den heiligen Augustin als seinen einzigen Lehrer hin dermaßen, dass er sein Werk nur mit dem Namen AUGUSTlNUS betitelte. Und alle Jansenisten geben sich keinen andern Namen als Augustinianer. Aus dieser Prämisse will ich hier keinen andern Schluss ziehen, als dass man viele Stellen beim heiligen Augustin, damit man sich nicht verirre, erklären muss, indem man sie andern von seinen Texten gegenüberstellt, wo der Heilige seine wahre Meinung darlegt. So wollen wir denn zum Streitpunkt kommen.

Schon weiter oben haben wir darauf angespielt, dass die oben genannte Lehre des heiligen Augustin nicht verstanden werden soll, noch darf, vom ungewollten Gefallenfinden, das jedem Mitwirken des menschlichen Willens vorausgeht, sondern verstanden werden muss von dem entschiedenen und nachfolgenden (Gefallenfinden); denn im Falle, dass der Mensch freiwillig das Gefallenfinden annimmt, dann ist es sicher notwendig, dass er dem gemäß handelt. Das wird damit bewiesen, was der heilige Lehrer an andern Stellen sagt, wo er das Gefallenfinden mit der Liebe vermengt, oder um es besser zu sagen, wo er erklärt, dass das höhere Gefallenfinden nichts anderes ist, als diese entschiedene Liebe, und diese Zuneigung, die in uns durch unsere freie Wahl vorherrscht, und wenn wir freiwillig Gefallen daran finden, ist es für dieses Gefallenfinden sodann notwendig, dass wir dem gemäß handeln.

Somit will der Heilige im Wesentlichen nichts anderes sagen, als dass es notwendig ist, dass der Wille dem gemäß wirkt, was er nach freier Entscheidung mehr liebt; während er an einer Stelle sagt, dass das Gefallenfinden gleichsam ein Gewicht der Seele ist, das sie mit sich reißt. An andrer Stelle sagt er dann, dass dieses Gewicht, das die Seele zieht, die Liebe eines jeden ist. Das erklärt er deutlicher an andrer Stelle, wo er schreibt, dass unsere Aufmerksamkeit dabei so sein soll, "dass wir mit Gottes Hilfe uns so einrichten, dass wir von den irdischen Dingen nicht beschädigt werden, sondern nur von den himmlischen angezogen". Seht, wie deutlich er vom entschiedenen und freiwillig angenommenen Gefallenfinden spricht. An andrer Stelle sagt er dasselbe: "Was bedeutet, von der Lust angezogen werden? «Freue dich innig am Herrn, dann gibt er dir, was dein Herz begehrt» Ps 37,4". Anderswo: "Seht ihr, wie der Vater uns zieht? Indem er uns unterweist erfreut er uns, nicht indem er uns eine Nötigung aufzwingt". Anderswo: "Willst du eine Freude genießen, so musst du jedes unerlaubte Vergnügen bezähmen; wie wenn wir fasten, und Speisen gesehen haben, erwacht das Begehren der Gaumenlust; doch wir zügeln es durch das Recht der beherrschenden Vernunft". Somit wird nach dem heiligen Augustin das Gefallenfinden am Unerlaubten sehr wohl freiwillig vom Menschen durch die Herrschaft der Vernunft und mit der Hilfe der Gnade bezähmt. Daher ermahnt uns der Heilige: "Die Freude an der Gerechtigkeit soll derartig sein, dass sie auch die erlaubten Befriedigungen überwindet".

Das geht noch deutlicher aus dem hervor, was der heilige Lehrer dann an derselben Stelle des umstrittenen Textes hinzufügt, denn nachdem er dort gesagt hat: "Es ist notwendig, dass wir gemäß dem wirken, was uns am meisten zusagt", sagt er dazu: "Daher wird auch unser Leben von dem geprägt sein, dem wir gefolgt sein werden; wir werden aber dem folgen, das wir am meisten geliebt haben werden. So werden wir, wenn sich in uns zwei gegensätzliche Dinge gegenüberstehen, die Vorschrift der Gerechtigkeit und die sinnliche Gewohnheit, auch wenn wir beide lieben, zu dem hinneigen, das wir am meisten geliebt haben". Wenn der Heilige somit sagt, es sei notwendig, dass wir nach dem handeln, was uns am meisten ergötzt, will er damit nichts anderes sagen, als dass der Wille notwendigerweise gemäß dem wirken muss, was er am meisten liebt. Und es taugt nichts mit Jansenius zu sagen, dass das, was am meisten ergötzt, mehr geliebt wird, denn das ist nicht immer wahr, und darin widerspricht ihm selbst der heilige Augustin, wenn er in seinen Confessiones von sich redet: "Ich tat nicht das, was mir in unvergleichlich höherem Grad zusagte, und was ich gekonnt hätte, so wie ich nur wollte, weil ich, sobald ich nur wollte, dann auch entschieden gewollt hätte". Womit er uns zu verstehen gibt, dass er bereits von Gott zum Guten bewegt wurde durch eine unüberlegte unvergleichliche Hinneigung, wodurch ihm bereits die Tugend mehr als das Laster zu gefallen begann, und er hätte sie sehr wohl üben können, wenn er gewollt hätte; aber weil dieser der Gnade widerstand, wies er die Tugend zurück und überließ sich dem Laster.

Außerdem, wenn der heilige Augustin geglaubt hätte, es sei notwendig, dass man gemäß dem größeren Gefallenfinden wirke, dann hätte er nicht sagen können: "Umwirbt (dich) das unerlaubte Gefallenfinden der Begehrlichkeit? Bekämpfe es, widersteh ihm, stimme ihm nicht zu, damit sich das Sprichwort bewahrheitet: «Folge nicht deinen Begierden, von deinen Gelüsten halte dich fern!» Sir 18,30". Außerdem sagt er anderswo, dass von zwei Personen, welche dieselbe unkeusche Versuchung haben, es manchmal vorkommt, dass die eine ihr zustimmt, die andere widersteht, und warum? Er antwortet, dass die eine die Keuschheit beobachten will, die andere es nicht will.

Außerdem, wenn der Heilige gesagt hat, es sei notwendig, dass wir dem gemäß handeln, was uns mehr ergötzt, dann kann schon der Zweifel aufkommen, ob er beabsichtigt, vom entschiedenen Gefallenfinden zu sprechen. Nun wollen wir es so sagen: Wenn der Heilige es vom unentschiedenen verstanden hätte, so käme er konsequenterweise dazu, zu verneinen, dass der Wille, um wahrhaft frei zu sein, notwendig frei sei nicht nur von Gewalt, sondern auch von der Nötigung; doch wir lesen, dass der Heilige an tausend Stellen das Gegenteil lehrt, wo er sagt, dass der Mensch sowohl im Guten wie im Bösen stets ohne Notwendigkeit wirkt: wenn er also vom vorherrschenden siegreichen Gefallenfinden redet, muss man es notwendig dahin verstehen, dass er vom überlegten nachfolgenden spricht. - Und welches sind diese Stellen? Siehe da, es sind eine große Anzahl.

"Wenn es nicht in unsrer Macht stünde, so wäre der Wille nicht der unsere; denn das, worüber uns nicht das freie Ausüben zusteht, steht uns nicht frei". An andrer Stelle, wobei er das Matthäusevangelium im 7. Kapitel erwähnt, wo von den guten Früchten die Rede ist, die vom guten Baum hervorgehen und von den schlechten, die vom schlechten Baum stammen, sagt er folgendes: "Wenn der Herr sagt, tut dies, oder tut jenes, weist er nach, dass es in des Menschen Macht steht, was er tut... Auch für den, der das Gesetz nicht beobachten will, bleibt die Möglichkeit, es zu beobachten, wenn er will". Darauf antwortet Calvin, dass der heilige Augustin hier vom unschuldigen Menschen gesprochen habe. Doch weise tadelt ihn Bellarmin, indem er sagt, dass der Heilige dort von dem Evangelium handelte, wo der Herr gegen die falschen Propheten sprach und sagte: «An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen». Daher kann man also nicht sagen, dass der heilige Augustin dort von Adam zu sprechen beabsichtigte. Und genau dasselbe, das der Heilige sagte, indem er gegen die Manichäer schrieb, das wiederholt er, wo er gegen die Pelagianer schreibt, indem er sagt: "Die Tatsache selber zu sagen, ich will das und ich will nicht jenes, und die Tatsache, dass um etwas zu erfüllen oder nicht zu erfüllen in den göttlichen Geboten, dazu ein Akt des Willens gefordert wird, das ist schon hinreichend, um eine freie Willensentscheidung nachzuweisen". Hier beginnt Jansenius (der große Anhänger Calvins) wieder, der heilige Augustin rede von der Nötigung mit Gewalt, nicht schon von der einfachen Notwendigkeit. Aber Jansenius irrt da ebenfalls, weil der Heilige in diesem Punkt nicht von den Pelagianern in der Meinung abwich, indem er ihnen gern zugestand, dass die Willensentscheidung frei war sowohl von der zwingenden, wie von der einfachen Notwendigkeit; daher zögerte er nicht als er gegen Julian schrieb, zu erklären: "Sowohl die einen wie die andern sagen wir, dass im Menschen die Entscheidung frei ist. Ihr jedoch sagt, dass einer frei sein kann zum Gutes Tun ohne Gottes Hilfe ... Daher seid ihr Pelagianer".

Wenn also der heilige Augustin sagt: "Die einen wie die andern sagen wir", dann räumte er dieselbe Freiheit ein, zu tun oder nicht zu tun, so wie die Pelagianer sie vertraten, die sie sicher als frei von jeder Nötigung forderten; so dass kein Zweifel daran besteht, dass auch der Heilige der Meinung war, die Entscheidung sei frei, nicht nur von Gewalt, sondern von jeder Nötigung; nur darin widersprach er den Pelagianern, dass sie wollten, dass die Willensentscheidung frei sei, das Gute zu tun auch ohne die Gnade.

Außerdem sagt der heilige Augustin, wo er von der Willensfreiheit und der Wirksamkeit der Gnade redet, es sei eine schwierige Sache die eine mit der andern in Einklang zu bringen "so sehr dass es, wenn man die freie Entscheidung vertritt, scheint, die Gnade Gottes werde geleugnet; und wenn man die Gnade Gottes vertritt, meint man, die freie Entscheidung werde weggenommen". Wenn der heilige Augustin angenommen hätte, dass der Wille nicht von der einfachen Nötigung, sondern nur vom Zwang frei sei, wäre es für ihn nicht schwierig, sondern sehr leicht zu verstehen gewesen, wie die Gnade wirkt. Er fand also, es sei schwierig, zu verstehen, insofern er einerseits daran festhielt, dass die wirksame Gnade sicher die Wirkung erreichte bei den guten Taten, und andrerseits der Willen, indem er diese in Freiheit tat, ohne irgendeine Nötigung wirkte, die ihn bestimmt hätte, irgend etwas zu tun, oder wollen zu können außer diesen Taten, wozu sie die Gnade antrieb. Im Übrigen hielt der heilige Lehrer es für sicher, dass der Mensch beim Beobachten der Gebote mit Hilfe der gewöhnlichen Gnade frei sei, sie zu erfüllen, oder wenigstens, größere Hilfe zu erflehen, um sie zu erfüllen: sonst hätte uns Gott (wie er sagte) solche Gebote nicht auferlegt, wenn er es für unmöglich hielte, dass es vom Menschen getan werden könnte.

Wir wollen uns noch andere Texte des heiligen Augustin merken, wo er dieselbe Meinung bestätigt, dass der menschliche Wille frei sei von jeder Nötigung: "Es gäbe keine Sünde, wo der Wille fehlte; deshalb wäre die Strafe ungerecht, wenn der Mensch nicht das freie Ausüben des Willens besäße, und das würde ja stattfinden, wenn er das Gute und das Böse aus Nötigung tun müsste". Anderswo sagt er: "Wer würde es nicht eine Dummheit nennen, eine Vorschrift dem aufzuerlegen, dem es nicht freisteht, zu tun, was man ihm gebietet; und wer würde nicht sagen, es sei ungerecht, den zu verurteilen, dem nicht die Fähigkeit gegeben wurde, die Gebote zu erfüllen?". Anderswo: "Die Willensregung, wodurch man sich von einem unwandelbaren Gut entfernt, wenn dies von Natur aus oder aus Notwendigkeit auferlegt wird, kann in keiner Weise schuldbar sein". Und nachdem er gesagt hat, die zuvorkommende Gnade sei notwendig, um das Gute zu tun, fügt er hinzu: "Dem Anruf Gottes entsprechen oder ihm nicht zustimmen, das hängt vom eigenen Willen ab". Womit er deutlich lehrt, dass der Wille frei der Gnade gehorchen oder dieser widerstehen kann. Und es taugt nichts, mit Jansenius zu sagen, dass der heilige Augustin damit nichts anderes zu sagen beabsichtige, das Zustimmen und andrer Meinung Sein sei die eigentliche Aufgabe des Willens; denn man könne niemals glauben, der heilige Lehrer habe Unnützerweise sich damit befassen wollen, zu beweisen, dass das Zustimmen und andrer Meinung Sein den Willen betreffen und nicht den Verstand, was auch die Einfältigsten zu unterscheiden wissen. Um so mehr als der Heilige an besagter Stelle zuerst gesagt hat: "Es kann niemand verhindern, was ihm in den Sinn kommt?", und sodann die erwähnten Worte geschrieben hat: "Dem Anruf Gottes entsprechen oder ihm nicht zustimmen, das hängt vom eigenen Willen ab". Woraus man ersieht, dass er ohne Zweifel von dem freien Vermögen spricht, das der Wille besitzt, andrer Meinung zu sein oder dem zuzustimmen, was in den Sinn kommt. An andrer Stelle sagt er: "Niemand außer Gott kann einen Baum machen" (ich meine damit gute Bäume, die gute Früchte bringen, und schlechte, die schlechte Früchte bringen), "doch jeder hat im Willen die Fähigkeit, das zu wählen, was gut ist, oder das, was schlecht ist. Wenn der Herr sagt, tut dies oder tut jenes, beweist er, dass es in unsrer Macht liegt, etwas zu tun ... ". An andrer Stelle, wo er die Hilfe erklärt, "ohne die", sagt er: "Ohne diese könnte der Wille nicht wollen; aber auf solche Weise, dass das Wollen oder Nichtwollen, etwas anzuwenden oder nicht, der freien Wahl der Entscheidung überlassen wird". Aus alle dem sieht man nur zu deutlich, wie weit der heilige Augustin von der Meinung des Jansenius entfernt war, dass der menschliche Wille nicht frei sei von einem Handeln aus Notwendigkeit, und um so weniger, dass er genötigt sei dem überlegenen Gefallenfinden zu folgen, das ihn mit seinem unüberwindlichen Antrieb bewegt und bestimmt.

§ 3 FORTSETZUNG DER WIDERLEGUNG DES JANSENIUS UND SEINER ANHÄNGER =

Aber um zum Schluss zu kommen gemäß unsrer Absicht, zu beweisen, dass der Herr jedem die naheliegende oder die entfernte Gnade zum Beten gibt, um Seine Gebote zu beobachten, denn sonst könnte ihm nicht als Schuld angelastet werden, dass er sie übertritt, genügt es, zu sehen, wie die gegenteiligen Thesen lauten zu den beiden erwähnten Thesen des Jansenius.

Die erste sagte: "Einige Gebote Gottes, die den Gerechten auferlegt werden, die zwar zustimmen und es ehrlich versuchen gemäß den Kräften, die sie gegenwärtig zur Verfügung haben, sind für sie unmöglich, da ihnen die Gnade fehlt, die sie ihnen möglich machen". Die katholische These, die diesen Irrtum widerlegt, lautet also folgendermaßen: Keins der Gebote Gottes ist unmöglich, wenigstens für die Gerechten, die sie beobachten wollen und sich dazu anstrengen; und es fehlt ihnen, auch entsprechend den Kräften, die sie derzeit haben, nicht die (naheliegende oder wenigstens die entfernte) Gnade, mit der sie wenigstens mittelbar größere Hilfe erbitten können, um sie zu erfüllen. - Und hier wird von neuem davor gewarnt, um den verurteilten Irrtum zu vermeiden, genügt es nicht, die absolute Möglichkeit zum Beobachten des Gebotes einzuräumen, denn eine solche Möglichkeit nehmen auch die Jansenisten an; vielmehr muss man auch die relative Möglichkeit beim aktuellen fleischlichen Gefallenfinden zugestehen, dass die der Gnade überwiegt, um dem Gebot Genüge zu leisten, das uns ja verpflichtet, oder wenigstens die notwendige Gnade zu erflehen, um es zu beobachten: zumal genau darin der Irrtum des Jansenius besteht, dass er die Möglichkeit zwar nicht die absolute aber die relative leugnet.

Die dritte These des Jansenius sagte dann: "Um zu verdienen oder zu sündigen, ist die Freiheit der Gleichgültigkeit nicht notwendig, welche die Notwendigkeit ausschließt, sondern es genügt, dass der Wille nicht widerstrebt (wie Alfons selber S. 106 übersetzt)". Die katholische These, die dem widerspricht, ist folgende: Zu Verdienst und Missverdienst auch im Zustand der gefallenen Natur sowohl für die Gerechten, wie für die Sünder wird die Freiheit gefordert nicht nur von der Gewalt, sondern auch von der einfachen Nötigung. Denn nach katholischer Lehre, sobald der Wille aus Notwendigkeit handelt, hat er nicht die zu Verdienst oder Missverdienst im gegenwärtigen Leben erforderliche Freiheit; denn für Verdienst oder Missverdienst muss der Wille frei sein von jeglicher Nötigung, welche die Zustimmung zur einen oder andern der vorgelegten Dinge festlegt.

Schließlich sagt Pater Fortunato da Brescia (ein Mann, der allgemein von den modernen Gelehrten gefeiert wird, besonders von Muratori) in seinem neulich herausgegebenen Werk mit dem Titel Cornelii Jansenii Systema confutatum, dass wenn jemals das System des Jansenius wahr wäre, so würde Gottes Gesetz nutzlos oder ungerecht; denn nach solchem System, wenn das himmlische Gefallenfinden überwiegt, dann ist der Wille genötigt, auch wenn es kein Gesetz gäbe, entschieden dem Antrieb des Gefallenfindens zu folgen; und so würde das Gesetz nutzlos. Wenn hingegen das irdische Gefallenfinden überwiegt, dann wäre das Gesetz ungerecht, weil dann Gott eine Vorschrift auferlegen würde, die vom Menschen beobachtet zu werden physisch unmöglich wäre, da der Wille dann notwendigerweise der Versuchung nachgeben muss.

Und auf solche Weise würden alle Drohungen und Ermahnungen der göttlichen Schriften zwecklos; und es gäbe dabei auch keine menschliche Tat mehr, die Lohn oder Strafe verdienen würde, da die Menschen alles mit Notwendigkeit tun würden. Daher könnten wir dem, der uns ermahnen würde, uns anständig zu benehmen, zur Antwort geben, was Eusebius gegen die Fatalisten geschrieben hat: "Es liegt nicht in meiner Macht, aber ich werde es tun, wenn das Schicksal es will" (das heißt, wenn das fleischliche Gefallenfinden nicht überwiegt); "es wird das sein, was schon vorausgesagt wurde"; ich habe ja notwendigerweise dem Gefallenfinden zu folgen, das vorherrscht.

Außerdem sagt er, dass, wenn man ein solches System zulässt, man dann auch den Manichäismus zulassen muss, der zwei Prinzipien festlegte, das Gute und das Böse, und der sagte, wenn all unsere Taten vom einen oder andern Prinzip ausgingen, dann müsste der Mensch sich notwendig dem anheimgeben, das vorherrscht. Und es hilft nichts, zu sagen, dass eine solche Notwendigkeit im System des obsiegenden Gefallenfindens nicht vom guten oder bösen Prinzip herstamme, wie es die Manichäer wollten, sondern von der Sünde Adams abhänge, die dafür die Ursache war; denn hier wird nicht gefragt, durch welches Prinzip dann der Wille notwendigerweise wirke, wenn er bewegt wird, sondern ob der Wille nach der Sünde Adams frei geblieben ist von der Notwendigkeit beim Wirken, und das ist der Punkt, der von den Jansenisten verneint wird, die ja wollen, dass der Wille Verdienst und Missverdienst erwerbe, auch wenn er genötigt werde, das zu wollen, worauf das überlegene Gefallenfinden ihn festlegt. Aber wie der genannte Pater da Brescia richtig warnt, wurden die Bücher des Arnauld, des Irénée, des Vendroc und andrer Jansenisten, nur insofern verurteilt, weil in ihnen das Prinzip des Jansenius über die beiden gemäß der Überlegenheit der Stufen unüberwindbaren Gefallenfindens befestigt wurde. Und deshalb wissen wir auch, dass die Theologie des Juénin verboten wurde, der obwohl er noch nicht ausdrücklich das oben genannte System vertreten hatte, nichtsdestoweniger in diesem Punkt Unklugerweise sich zu dunkel ausgedrückt hatte, indem er sagte: "Die physische Natur der wirksamen Gnade ist in nichts anderes hineingelegt, als in das obsiegende Gefallenfinden, wodurch der Sinn zum Guten hingezogen wird". Er hatte nicht schon andrerseits gesagt, "relativ obsiegend", dann aber stützt er seine These auf die mehrmals erwähnte Lehre des heiligen Augustin; "Es ist notwendig, dass wir gemäß dem handeln, was uns am meisten zusagt". Und deshalb ist sein Werk so lange verboten gewesen; und nur insofern wurde es kürzlich zugelassen, seit dort eine kurze Zusammenfassung mit dem Titel "Die wahre Lehre der Kirche" hinzugefügt wurde, gewonnen aus der Theologie des gelehrten Honoré Tournely, der ausführlich und hervorragend das oben genannte System widerlegt hat.

Am Ende kommt Pater da Brescia zum Schluss, indem er Folgendes sagt: "Es erklärt sich leicht, wie das System des Jansenius ihnen (das heißt Luther, Calvin und Jansenius) günstig ist; und daher kann es von einem Katholiken nicht verteidigt werden, ohne die Reinheit des Glaubens anzugreifen. Man kann nicht mit Glaubensgewissheit und mit unversehrter Religionstreue ein System verteidigen, wenn es bei Annahme der Grundprinzipien notwendig wird, verurteilte Glaubenssätze gutzuheißen" . Und dasselbe beabsichtigte Tournely zu sagen, wenn er schreibt: "Nachdem die Kirche die fünf Thesen in dem von Jansenius verstandenen Sinn verurteilt hat, ist es notwendig, dass dieselben im System des Jansenius verurteilt worden sind und das heißt das vom überlegenen Gefallenfinden, das relativ obsiegt, und das an der Basis seinem ganzen System zugrunde liegt".

Und es taugt nichts zu sagen, etwas anderes sei das System des Jansenius, welches das relativ obsiegende UNENTSCHIEDENE Gefallenfinden voraussetzt, das heißt, das in uns aufkommt ohne irgendeine Zustimmung des Willens, und wieder etwas anderes das System vom auch relativ obsiegenden Gefallenfinden aufgrund der Überlegenheit der Stufen, das aber ENTSCHIEDEN sei, wo doch dieses nicht allein und mit den eigenen Kräften siegt, wie die Begünstiger eines solchen Systems sagen, sondern es siegt dadurch, dass es von den Kräften des bewussten Willens bestätigt wird. Und deshalb sagen sie, dass das überwiegende Gefallenfinden, insofern es sicher und unfehlbar siegt, indes nicht notwendigerweise siege, wie Jansenius es wollte.

Es taugt nichts, denn richtig antwortet Tournely, dass diese Gnade (oder dieses Gefallenfinden), die unfehlbar wirksam ist und den Willen unüberwindbar bestimmt durch das Überwiegen ihrer Kräfte unmöglich nicht nötigend sein kann bei der Zustimmung des Willens. Und er weist es folgendermaßen nach: "Eine nötigende Gnade ist jene, die einen Willen voraussetzt, der einer echten Fähigkeit zum Widerstehen beraubt ist; sondern eine solche Gnade ist unfehlbar wirksam durch angemessene überlegene Kräfte. Man kann doch nicht einräumen, dass überlegene Kräfte, die auf ihrer Natur angemessene Weise wirken, von geringeren Kräften überwältigt werden, wo sie im Gegenteil mit einem ihre Natur übersteigenden Wirkgrad wirken sollten". Es taugt auch nichts, zu erwidern, dass die Kräfte der Gnade, die zwar relativ siegreich sind, zwar überlegen sind, verglichen mit der Begehrlichkeit für sich allein genommen, aber nicht, wenn man sie vergleicht mit den Kräften der Begehrlichkeit, verbunden mit jenen des Willens, denn (antwortet derselbe Tournely) solche Kräfte des Willens könnte man nur einräumen hinsichtlich des Bösen, das der Mensch von sich aus tun kann, wenn er wenigstens ein Laster durch ein anderes Laster überwindet, oder kaum im Hinblick auf das Gute der natürlichen Ordnung, aber nicht im Hinblick auf das übernatürlich Gute oder etwa um eine starke Begehrlichkeit zu besiegen, was nicht ohne die göttliche Gnade geschehen kann. Und deshalb forderten die Väter vom Gottesstaat, dass die Pelagianer unter den andern Anführern jeder folgendes bekennen sollten: "dass sie beteuerten, dass, wenn wir gegen die unerlaubten Versuchungen der Begehrlichkeit kämpfen, uns der Sieg nicht vom eigenen Willen herkomme, sondern von Gottes Hilfe". Und der Grund dafür ist, wie der heilige Thomas lehrt, dass kein aktives Prinzip eine Wirkung hervorbringen kann, die seine Tätigkeit übersteigt, daher kann ein Prinzip oder etwa eine natürliche Ursache keine übernatürliche Wirkung hervorbringen: "Kein Akt übersteigt die Fähigkeit des eigenen aktiven Prinzips. Und so geben wir uns Rechenschaft, wie man in den natürlichen Dingen keine Wirkung hervorbringen kann, die die Fähigkeit des eigenen aktiven Prinzips übersteigt, sondern nur eine Wirkung, die zu sich selber in angemessenem Verhältnis steht". Somit können die natürlichen Kräfte des menschlichen Willens, obwohl sie mit den Kräften der Gnade vereint sind, die den Kräften der Begehrlichkeit unterlegen sind, nicht dazu beitragen, eine übernatürliche Wirkung hervorzubringen, wie es das Besiegen einer gewaltigen über die Gnade vorherrsehenden Begehrlichkeit ist. Und in der Tat sagen die Jansenisten: Uns wird es gewährt, dass das Gefallenfinden am sichersten siegt aufgrund seiner überlegenen Kräfte, und das genügt uns. - Seht, wie da einer von diesen, der Abt von Bourzeis, redet: "Für uns genügt es, dass man uns diese Wahrheit allein zugesteht, und das heißt, dass, jedesmal wenn wir der Gnade Gottes Folge leisten, das so geschieht, weil die richtige Liebe, die Gott uns einhaucht, den Kräften der entarteten Liebe überlegen ist und deshalb muss sie diese notwendigerweise überwinden". Deswegen kommt Tournely, der von den zwei Systemen redet, das heißt zum einen vom absolut siegreichen Gefallenfinden, zum andern vom relativ siegreichen Gefallenfinden, zu folgendem Schluss: "Es ist uns bekannt, dass die rechtgläubigen Theologen die Wirksamkeit der Gnade vom absolut und einfach obsiegenden Gefallenfinden selber ableiten; und dass sie in der hinreichenden Gnade gleichwertige Kräfte anerkennen, um die entgegengesetzte aktuelle Leidenschaft zu überwinden. Doch jene, die einräumen, dass eine relativ obsiegende Gnade existiere mit stufenmäßiger Überlegenheit und die keine andere hinreichende Gnade einräumen, die der entgegengesetzten überlegenen Begehrlichkeit an Kräften unterlegen wäre, sind nichts anderes als Verteidiger des jansenistischen Systems".

Um also zu schließen, beabsichtigen wir hier nicht, die Meinung zu widerlegen, die da sagt, dass der Wille, auch wenn er dem höheren Gefallenfinden folgt, immer nichtsdestoweniger frei wirkt, das heißt, ohne Nötigung und mit echter Kraft zum Wirken in entgegengesetzter Richtung (und nicht bloß Kraft dem Namen nach oder rein hypothetisch); wir weisen nur die Meinung jener zurück, die da wollen, dass, wenn eins von den Gefallenfinden, das himmlische oder das fleischliche, siegreich ist, weil es das andere gradmäßig übertrifft, dann dem Menschen keine Kraft bleibe zum Widerstehen und zum sie Überwinden, aus dem Grunde, dass die größere Kraft ohne weiteres die kleinere besiegt.

Nichtsdestoweniger kann ich es in diesem Punkt nicht unterlassen, den Zweifel auszusprechen, den ich in diesem System des relativ siegreichen Gefallenfindens wiederfinde. Deren Verteidiger sagen, wie es auch der Pater Gianlorenzo Berti sagt, dass die Wirksamkeit der Gnade, in der Weise, wie diese sie festlegen, sich in der Substanz nicht unterscheidet von der Wirksamkeit, welche die Thomisten lehren, wenn auch durch verschiedene Ausgangspunkte; denn die Thomisten lassen die Wirksamkeit der Gnade auf der physischen Vorausbestimmung beruhen, diese lassen sie auf dem vorherrschenden Gefallenfinden beruhen. Das, was die Vorausbestimmung im zweiten Akt beim Anwenden der Entscheidungsfreiheit in der Zustimmung ausmacht, dasselbe bewirke das Gefallenfinden. Im übrigen lehrt sowohl die eine wie die andere Meinung, dass dem Menschen das Vermögen beim ersten Akt bleibt, in entgegengesetztem Sinn zu wirken, so dass der Wille immer frei und ohne Notwendigkeit wirkt.

Ich aber komme zur Überlegung, dass wie die Ausgangspunkte dieser beiden Systeme verschieden sind, und verschieden ihre Gründe, so sind auch die Folgen verschieden.

Der Grund für die Wirksamkeit der Gnade bei den Thomisten ist, dass der geschaffene Wille sich in passiver Potenz befindet, da er in der Potenz ist, die Anregung der Gnade aufzunehmen; daher um vom Wirken zum Akt zu kommen, ist es notwendig, dass er von Gott bewegt wird, als dem ersten Wirkenden und der ersten freien Ursache, welche mit der Vorausbestimmung die Potenz zum Akt hin bestimmt. Das geschieht im Hinblick auf den Akt, im Hinblick auf die Potenz hingegen, sagen die Thomisten, dass. der Mensch die Gnade der Potenz hat, ganz vollendet und auf nächste Weise bereit, um das Gute tun zu können. So der Pater Gonet: "Die Gnade, die Fähigkeit zum Wollen gibt, gibt auch jede Ergänzung und die ganze Tugendkraft, das heißt jenes erforderliche Genügen, um den ersten Akt zu setzen". So auch der Kardinal Gotti: "Die hinreichende Gnade gibt die Fähigkeit, den nächsten und leichten Akt setzen zu können in der Ordnung der Potenz". Und so alle andern Thomisten gemeinhin; und wenn einer von ihnen anders zu reden scheint, dann redet er vom zweiten Akt und nicht schon vom ersten.

Die Begründung hingegen für den Ausgangspunkt jener, welche die Meinung vom gradmäßig überlegenen Gefallenfinden vertreten, ist weil (wie sie sagen) wo dem Menschen zuerst im Zustand der unschuldigen Natur die alleinige hinreichende Gnade genügte, um das Gute zu tun, denn da die freie Entscheidung gesund war und sich in vollkommenem Gleichgewicht befand, konnte dieser gut mit der nur hinreichenden Gnade wirken, ohne dass er der wirksamen Gnade bedurfte; jetzt aber nach dem Fall Adams, nachdem der Wille verletzt zurückgeblieben ist und zum Bösen hingeneigt, bedarf die Natur der wirksamen Gnade, damit sie durch das siegreiche Gefallenfinden diese anwendet, um das Gute in die Tat umzusetzen.

Aber gemäß der Begründung eines solchen Systems, gesetzt (und das sage ich), dass der Wille des Menschen dermaßen schwach geblieben ist, dass, um im gegenwärtigen Zustand zu wirken, er der wirksamen Gnade bedarf, kann man nicht sagen, der Mensch habe mehr an Lebenskraft als die hinreichende Gnade, nicht einmal im ersten Akt, und weder im zusammengesetzten Sinn, noch im geteilten, das vollständige und auf nächste Weise bereite Vermögen, um das Gute tun zu können, oder um irgendeine gute Tat tun zu können, nicht einmal mittelbar, womit er sich dann darauf einstellen könnte, die größere Hilfe zu bekommen, um das Gesetz zu erfüllen.

Ich weiß schon, dass die Begünstiger dieser Meinung nicht widerstreben, das einzuräumen, indem sie sagen, dass in der Gegenwart die hinreichende Gnade nicht die vollendete und bereite Potenz gibt: "Die hinreichende Gnade gibt nicht die in nächster Weise vollständige und erleichternde Fähigkeit" (schreibt der Pater Macedo, einer von solchen Befürwortern). Und an anderer Stelle, wo er von der Gnade des unschuldigen und des gefallenen Adam spricht und sagt: "Die erste Gnade setzte die leichte und freie Potenz voraus, die zweite war behindert und abhängig".

Ja schlimmer noch, wenn man annimmt, dass die der Begehrlichkeit unterlegene Gnade nicht die erfüllte und bereite Potenz gibt zum Beobachten der Gebote, kann man sie nicht mehr wirklich hinreichend nennen. Denn in der Tat begegnet der erwähnte Pater Berti, der ein solches System des relativ obsiegenden Gefallenfindens verteidigt, keiner Schwierigkeit, auch noch einzuräumen, dass man eine solche unterlegene Gnade eigentlich UNWIRKSAME Gnade und nicht mehr hinreichende nennen sollte. Somit haben, solchem System entsprechend, jene, die von Gott nicht die wirksame Gnade empfangen durch das relativ obsiegende Gefallenfinden, nicht einmal die hinreichende Gnade, um die Gebote erfüllen zu können.

Hier nun das, was Pater Berti schreibt zur Verteidigung, die er für seine Meinung gibt; zuerst legt er dort die drei Einwände dar, die ihm seine Gegner vorlegen, und es sind die folgenden: "Drei sind die Glaubenssätze, die nach Jansenismus stinken und sie sind die Quelle und der Ursprung der fünf verurteilten Thesen, aus denen die neuen Jansenisten, und unter ihnen ragen zwei unzweifelhafte Augustinianer hervor" (das sind Pater Bellelli und Pater Berti, gegen die der Erzbischof von Vienne schreibt), "die sich nicht im geringsten davon entfernen. Von diesen Irrtümern, setzen sie als ersten die hinreichende Gnade nicht so sehr in das obsiegende Gefallenfinden, sondern in das relativ obsiegende Gefallenfinden, usw. Als zweiten, womit sie die am nächsten liegende leichte Potenz leugnen, (setzen sie) in das Gefallenfinden einer niedereren Stufe, und daraus fordern sie ein stärkeres Gefallenfinden von Seiten der Potenz und des ersten Aktes; darum ist die unwirksame Gnade (und das heißt "die Hilfe, ohne die", welche so sehr von ihnen beschwört wird) nicht eine wahrhaft hinreichende Gnade, weder für die Molinisten noch für die Thomisten, denn die hinreichende Gnade im katholischen Sinn verleiht eben die am nächsten liegende leichte Potenz. Als dritten Irrtum, der sich davon ableitet, nehmen sie eben die wahrhaft hinreichende Gnade aus der Mitte weg, die sie sogar bis hin zum Namen verabscheuen, indem sie diese eher als unwirksam bezeichnen, denn als hinreichend". Dazu stellen sie ihr ihre Gegensätze entgegen; seht, wie er ihnen antwortet: "Mit Festigkeit und ohne Zögern erkläre ich, dass die drei soeben ausgesprochenen Streitpunkte keineswegs Irrtümer sind und auch nicht die Ausgangspunkte der verurteilten Thesen; sondern dass einige vom Eifer, den Jansenius zu widerlegen, Bewegte und von der eigenen vorgefassten Meinung Hingerissene, nicht im geringsten unterschieden haben zwischen dem, was katholisch wäre, und was irrtümlich und verurteilt, und dass aus den ausgeklügelten Arbeiten derselben ein gewisser winziger Besserwisser (das heißt der erwähnte Erzbischof von Vienne) einen Prozess angestrengt hat; und wenn dabei noch andere sind, Leute mit wenig Erudition und Söhne einer lässigen Weisheit, die als Parteinahme für die Häresie die unumstrittenen Glaubenssätze Augustins anschwärzen wollen, und ob sie es wollen oder nicht, es sind diesselben wie die unseren".

Nun gerade als einen von jenen mit kurzer Lehre und groben Verstand bekenne auch ich mich, wobei ich nicht verstehen kann, wie die Aussagen von Pater Berti sich miteinander vereinbaren lassen, denn ihre Folgen treten deutlich zu Tage als die eine der andern widerstreitend. Wenn er sagen würde, dass man, um die göttlichen Gebote zu beobachten der wirksamen Gnade bedarf, dass aber die hinreichende Gnade, die allen gegeben wird, die am nächsten liegende Potenz zum Beten gibt, und dass man mit dem Gebet sodann die größere Hilfe bekommt, die notwendig ist, um aktuell die Gebote zu beobachten, wären wir einverstanden; da ja gerade dies unsere Meinung ist, die wir darlegen und im folgenden Kapitel beweisen werden.

Aber nicht weil, wobei er vom Beten redet, er ja sagt, obwohl jeder Gläubige, durch die hinreichende Gnade, wenn er da kein Hindernis setzt, beten und indem er betet, die unmittelbare Hilfe zum derzeitigen Beobachten der Gebote erflehen kann: "Für jeglichen Gläubigen, außer wenn er freiwillig einen Riegel schiebt, ist da die Gnade zum Beten da, womit er die unmittelbar hinreichende Hilfe erflehen kann, um die Gebote zu erfüllen". Und er sagt außerdem anderswo, dass die oben genannte hinreichende Gnade, die bereits jedem Gläubigen gemeinsam ist, obwohl sie nur auf entfernte Weise hinreichend sei, zum Beobachten der Vorschriften, so ist sie dennoch in nächster Weise hinreichend zum Beten, wodurch man sodann die wirksame Gnade bekommt, indem er folgendermaßen schreibt: "In jedem, der ein Minimum an gutem Willen hat" (welches jener Wille ist, der allen durch die hinreichende Gnade gegeben wird) "befindet sich die auf nächste Weise hinreichende Fähigkeit zum Beten, und entfernt hinreichend zum Erfüllen der Gebote, welche man auf nächste Weise erflehen kann; denn durch das Gebet wird ein kräftiger Wille erlangt", und dieser kräftige Wille wird von der wirksamen Gnade verabreicht. Er sagt also und er sagt es klug, dass man im Hinblick auf das Beobachten der Gebote nicht sagen kann, dass die hinreichende Gnade allen die nächst liegende Potenz gebe, um sie derzeit zu beobachten; denn (gemäß dem er gut nachdenkt an der kurz zuvor zitierten Stelle im § 4) ist die nächstliegende Potenz zum Beobachten der Gebote jene, die keines andern Mittels bedarf, um in den Akt überzugehen, wo er im selben § 4 schreibt zum Anfang hin, dass man die erfüllte und bereite Potenz nur aufgrund der wirksamen Gnade haben kann. Deshalb fügt er hinzu, damit die hinreichende, Gnade am nächsten liegend hinreichend genannt werden könne, um im Akt zu wirken, "habe sie kein anderes Mittel nötig, um in den Akt überzugehen". Somit verabreicht, gemäß der Rede von Pater Berti, die hinreichende Gnade nicht schon jedem Gläubigen die am nächsten liegende Potenz zum Beobachten der Gebote, doch verabreicht sie wohl allen die zunächst hinreichende Potenz zum Beten. Es kann also jeder Gläubige mit der hinreichenden Gnade allein derzeit beten ohne Bedürfnis nach einem andern Hilfsmittel, das heißt nach der wirksamen Gnade.

Nun weiß ich aber nicht, wie das übereinstimmt mit dem, was er an andrer Stelle sagt: "Niemand hat ohne die an sich wirksame Gnade die Fähigkeit zu beten verbunden mit dem Akt". Somit gibt nach dieser neuen These die hinreichende Gnade nicht wirklich, sondern nur dem Namen nach die zunächst hinreichende Potenz zum Beten; sie gibt nur eine auf entfernte Weise hinreichende Potenz, weil da noch ein Bedürfnis nach der wirksamen Gnade besteht, damit die Potenz zum Beten in den Akt übergehe. Oder um also aktuell zu beten, ist die wirksame Gnade erforderlich, und dann kann man von der hinreichenden nicht sagen, dass sie die zunächst hinreichende Potenz verleiht: oder die hinreichende Gnade gibt die zunächst hinreichende Potenz zum aktuellen Beten, und dann besteht kein Bedürfnis nach der wirksamen Gnade des überwiegenden Gefallenfindens, wie er es behauptet.

Aber auch der heilige Augustin, sagt Pater Berti, fordert das obsiegende Gefallenfinden, um derzeit zu beten, wenn er sagt: "Augustin lehrt, es sei notwendig zum Beten sicheres Wissen und siegreiches Gefallenfinden". Ich habe den Text des heiligen Lehrers einsehen wollen. Nun sagt aber der heilige Augustin nicht, zum Beten sei das siegreiche Gefallenfinden notwendig; hier sagt er nichts anderes, als Gott gebe bisweilen auch seinen Heiligen nicht die sichere Erkenntnis, oder das siegreiche Gefallenfinden bei irgendeinem gerechten Werk: damit sie erkennen, dass sie von Ihm und nicht von ihnen selber das Licht haben, wodurch ihre Finsternis erleuchtet wird, und die Lieblichkeit, wodurch ihre Erde ihre Frucht bringt.

Also redet der Heilige hier erstens keineswegs von der hinreichenden Gnade, womit der Mensch wirken kann, aber nicht immer wirkt; und er sagt auch nicht, dass der Mensch allein mit der hinreichenden und ohne die wirksame Gnade derzeit nicht beten kann; sondern er redet nur von der wirksamen Gnade, die ihn durch das siegreiche Gefallenfinden unfehlbar gut handeln lässt.

Zweitens redet er hier nicht vom Beten, sondern von den guten Werken, was eigentlich vom Beobachten der Gebote oder der Ratschläge zu verstehen ist; denn das Beten, obwohl es ein gutes Werk ist, ist seiner Natur nach nicht ein Werk, sondern das Mittel, um die Hilfe zu bekommen, um die guten Werke zu vollbringen.

Auch wir vertreten die Meinung, wie es oben gesagt worden ist, dass zum Beobachten der Gebote die wirksame Gnade notwendig ist; aber wir sagen, dass um derzeit zu beten und durch das Gebet die wirksame Gnade zu bekommen, die hinreichende Gnade genügt, die Gott jedem Gläubigen gewährt. Und somit wird sehr wohl gerettet, dass die göttlichen Gebote für niemanden unmöglich sind, denn jeder Mensch kann mit der alleinigen hinreichenden Gnade die leichten Dinge tun, wie es das Beten ist, und durch das Gebet wird er die Hilfe der wirksamen Gnade erflehen, die unentgeltlich und notwendig ist, um gegenwärtig die schwierigen Dinge zu tun, welches das Beobachten der Gebote ist; genau so spricht der Kardinal de Noris, dessen Worte ich im folgenden Kapitel anführen werde, und so lehrte schon vor ihm der heilige Augustin, indem er sagte: "Die Tatsache selber, mit festestem Glauben zu glauben, dass der gerechte und gütige Gott uns nicht das Unmögliche befehlen kann, lässt uns verstehen, was wir in den leichten Situationen tun sollen und was wir in den schwierigen Situationen erbitten sollen". Andernfalls, wenn die hinreichende Gnade uns nicht in Stand setzen würde, um aktuell zu beten, sondern dass es dazu immer der wirksamen Gnade bedürfte, und diese manchmal verweigert würde, wie in der Tat die wirksame Gnade vielen verweigert wird, so weiß ich nicht, wie man sagen könnte, für diese Unglücklichen sei das Vollbringen der göttlichen Gebote möglich und wie Gott von diesen das Beobachten seines Gesetzes fordern könnte (wenn er ihnen sogar die wirksame Gnade zum derzeitigen Beten verweigerte) und wie er sie dann gerechterweise zur Hölle verurteilen könnte, wenn sie es nicht beobachtet haben. Gerade das ließ den Jansenius sagen, dass einige Gebote auch für die Gerechten unmöglich wären, weil er irrtümlicherweise sagte, dass einigen die notwendige Gnade fehlte, um die Gebote beobachten zu können. Aber dem ist nicht so, weil Gott allen (wir sehen hier davon ab, die Ungläubigen und die Verhärteten mit einzuschließen) die naheliegende Gnade aktuell zu beten gebe, wie wir im folgenden Kapitel nachweisen werden; und so kann für keinen Sünder die Entschuldigung taugen, es sei ihm unmöglich gewesen, die Gebote zu beobachten, wenn er sie nicht beobachtet; denn, insofern er die wirksame Gnade, um sie in actu zu beobachten, nicht gehabt hat, so hat er nichtsdestoweniger die zunächst hinreichende Gnade, um gegenwärtig zu beten, gehabt, wodurch er von Gott gemäß seinem Versprechen, den zu erhören, der ihn bittet, die wirksame Gnade bekommen hätte, womit er sicher die Gebote beobachtet hätte. Und gerade das hat das Konzil von Trient gegen Luther erklärt, der behauptete, sogar den Gläubigen sei das Beobachten des göttlichen Gesetzes unmöglich, indem es sagte: "Gott gebietet keine unmöglichen Dinge, sondern, indem er befiehlt, ermahnt er dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst, und er hilft dir, damit du kannst" (6. Sitz. 11. Kap.).

IV. GOTT GIBT ALLEN DIE GNADE ZUM BETEN, WENN SIE WOLLEN, WOBEI ZUM BETEN DIE ALLEINIGE HINREICHENDE GNADE GENÜGT, DIE ALLEN GEMEINSAM IST

§ 1 DIE WICHTIGSTEN THEOLOGEN, DIE DIESE LEHRE VERTRETEN

Da also angenommen wird, dass Gott alle Menschen retten will, und soweit es ihn betrifft, er allen die notwendigen Gnaden gibt, um das Heil zu erlangen, sagen wir, dass allen die Gnade gegeben wird, wirksam beten zu können (ohne einer andern neuen Gnade zu bedürfen) und durch das Beten sodann alle andern Hilfen zu erlangen, um die Gebote zu beobachten und gerettet zu werden. Aber man muss beachten, dass, wenn gesagt wird, ohne einer andern neuen Gnade zu bedürfen, so heißt das nicht, dass die allen gemeinsame Gnade die Fähigkeit zum Beten gebe ohne den Beistand der helfenden Gnade, weil, um irgendeinen Akt der Frömmigkeit zu verrichten, außer der anspornenden Gnade, ohne Zweifel auch die helfende oder mitwirkende Gnade erfordert wird; aber man versteht darunter, dass die allgemeine Gnade jedem das Vermögen gibt, wirksam zu beten ohne eine neue zuvorkommende Gnade, die physisch oder moralisch den Willen des Menschen dazu bestimmt, das Gebet in die Tat umzusetzen.

Deshalb werden wir hier eine Aufzählung der vielen und bedeutenden Theologen geben, die diese Meinung als sicher lehren, und dann werden wir sie beweisen mit den Grundlagen für die Glaubwürdigkeit und mit den Vernunftgründen.

So vertreten (sie) Isambert, der Kardinal du Perron, Alphonse Le Moyne und andere, die wir nachher zitieren werden, und dabei ausführlicher Honoré Tournely; alle diese Autoren beweisen, dass jeder allein mit der gewöhnlichen hinreichenden Gnade wirksam beten kann, ohne dass er einer andern Hilfe bedürfte, und durch das Gebet alle andern Gnaden erflehen kann, um die schwierigsten Aufgaben zu erfüllen.

So hält es auch seine Eminenz der Kardinal de Noris, der ausdrücklich sagt, dass der Mensch, wenn das Gebot verpflichtet, mit der alleinigen ordentlichen Gnade beten kann, wenn er will ohne andere Hilfe und er beweist es folgendermaßen: "Es ist einleuchtend, dass die Fähigkeit zu beten im Gläubigen naheliegend sein muss; in der Tat, wenn der Gläubige nur die entfernte Fähigkeit, um einfach zu beten hätte (und er redet hier nicht von einem inbrünstigen und längeren Gebet), so wäre er jeder weitern naheliegenden Fähigkeit bar, um die Gabe des Betens zu erflehen; sonst müsste man die Überlegung ja ins Unendliche fortsetzen". Angenommen, dass es zum Beobachten der Gebote und um gerettet zu werden, notwendig ist, dass wir beten, wie wir von Anfang an nachgewiesen haben, als wir von der Notwendigkeit des Betens sprachen, sagt klugerweise dieser gelehrte Autor, dass jeder die naheliegende Fähigkeit zum Beten hat, um von da aus mit dem Gebet die naheliegende Fähigkeit zum Tun des Guten zu erlangen; und deshalb können alle mit der alleinigen ordentlichen Gnade ohne weitere Hilfe beten. Andernfalls, wenn es, um sich die naheliegende Fähigkeit zum Akt des Betens zu verschaffen, einer weitern Hilfe bedürfte, so bedürfte es dazu wiederum einer weitern Gnade zur Befähigung, und so wäre das Fortschreiten endlos und es läge nicht mehr in der Macht des Menschen, an seinem Heil mitzuwirken.

Derselbe Autor bestätigt an einer andern Stelle noch deutlicher die oben genannte Lehre: "Auch im Zustand der gefallenen Natur wird uns die Hilfe gegeben "ohne weiteres" (welches die hinreichende Gnade ist, die allen gemeinsam ist), anders setzt sich damit Jansenius auseinander; "denn die Hilfe erfüllt in uns die kraftlosen Akte und die weniger inbrünstigen Gebete, um die Gebote zu erfüllen; in der Reihenfolge ihrer Ausführung ist die Hilfe ohne die nicht eben nur eine entfernte, aber mit Bittkraft jedoch um die Hilfe, wodurch oder eben um die wirksame Gnade, wodurch die Gebote erfüllt werden". Somit hält seine Eminenz Noris für gewiss, dass es für jeden im gegenwärtigen Zustand die Hilfe ohne die gibt, das heißt die ordentliche Gnade, welche ohne einer weiteren Hilfe zu bedürfen, das Gebet hervorbringt, wodurch sodann die wirksame Gnade zum Beobachten der Gebote erfleht wird. Und so wird von da aus gut das Axiom verstanden, das in den Schulen weltweit angenommen wird: Dem, der tut, was an ihm liegt, verweigert Gott die Gnade nicht, das heißt, dass dem Menschen, der betet, wenn er guten Gebrauch von der hinreichenden Gnade macht, womit er schon die leichten Dinge vollbringen kann, wie es das Beten ist, Gott sodann die wirksame Gnade nicht verweigert, um die schwierigen Dinge auszuführen.

So hält es auch Pater Louis Thomassin. Dieser Autor verwundert sich zuerst über jene, die da wollen, dass die hinreichenden Hilfen in der Auswirkung nicht wirklich genügen, um irgendein gutes Werk zu tun und auch nicht um irgendeine Sünde zu vermeiden. Damit man sagen kann, dass die hinreichende Gnade in Wahrheit hinreichend sei, muss sie dem Menschen das nächste Vermögen und das zu einem den guten Akt in die Tat Umsetzen freie Vermögen geben; wenn es aber, um den Akt zu setzen, einer andern Gnade bedarf, welches die Wirksame ist, wenn der Mensch nicht die Wirksame (wenigstens mittelbar) hat, die ja schon zu seinem Heil notwendig ist, wie kann man sagen, die Hinreichende gebe ihm dieses nächste und freie Vermögen? "Da es ja, sagt der heilige Thomas, Gott nicht unterlässt, das zu tun, was zum Heil notwendig ist." Einerseits ist es wahr, dass Gott nicht gezwungen ist, uns seine Gnaden zu geben, weil die Gnaden nichts uns Geschuldetes sind; da er uns aber andrerseits die Gebote gibt, ist er sogleich verpflichtet, uns die nötige Hilfe zu geben, um sie zu beobachten; und sowie der Herr uns verpflichtet, jedes Gebot wirksam zu beobachten in der Zeit, wo dieses verpflichtet, so muss er uns auch wirksam die Hilfe (wenigstens eine mittelbare und entfernte) verabreichen, die uns notwendig ist, um das Gebot zu beobachten, ohne einer weiteren Gnade zu bedürfen, die nicht allen gemeinsam wäre. Daher kommt Pater Thomassin zum Schluss, um in Übereinstimmung zu bringen, dass also die hinreichende Gnade dem Menschen tatsächlich genügt, um sich zu retten, und dass jedoch die wirksame Gnade notwendig sei, um das ganze Gesetz zu beobachten, da müsse man sagen, dass die hinreichende Gnade allein zum Beten und um ähnliche leichte Akte zu setzen genüge, und durch diese bekomme man sodann die wirksame Gnade, um die schwierigen Dinge zu erfüllen. Und das ist ohne Zweifel der Lehre des heiligen Augustin gemäß, der lehrt: "Die Tatsache selber, mit festestem Glauben zu glauben, dass Gott uns nichts Unmögliches befehlen kann, das lässt uns begreifen, sowohl was wir tun müssen in leichten Situationen, als auch um was wir ihn bitten sollen in den schwierigen Situationen". Und über diesen Text kommt der erwähnte Kardinal de Noris, nachdem er ihn angeführt hat, zu einem ähnlichen Schluss: "Wir können also die weniger vollkommenen Werke tun, ohne jene größere Hilfe von Gott zu erbitten; um die wir jedoch bei den schwierigen Dingen bitten müssen". Pater Thomassin führt auch zu diesem Zweck als Autoritäten, den heiligen Bonaventura, den Johnannes Scotus und andere an und sagt: "Vor allem befriedigt die Lehre von den hinreichenden Hilfen, aber sie sollen wahrhaftig solche sein, dass ihr der Wille manchmal anhängt und manchmal nicht". Und das weist er nach in vier Teilen seines Werkes, wobei er die Autoritäten der Schule in langen Serien über Jahre hin anführt, wobei er beim Jahre 1100 anfängt.

Habert, Bischof von Vabres und Doktor an der Sorbonne, welcher der erste war, der gegen Jansenius geschrieben hat, sagt folgendes: "An erster Stelle denken wir, das die hinreichende Gnade in keiner Beziehung steht zur vollbrachten Wirkung, außer etwa auf eine heilsame Weise und mittelbar (das heißt durch das Gebet). Wir glauben schließlich, dass die hinreichende Gnade auf die wirksame Gnade vorbereitet, weil von ihrem guten Gebrauch her Gott dem menschlichen Willen die Gnade der vollendeten und vollständigen Wirkung gewährt". Und das sagt er, nachdem er zuvor gesagt hat: "Alle katholischen Lehrer in allen Schulen haben behauptet und behaupten, dass eine innere Gnade gegeben wird, welche die Zustimmung des Willens dem Guten gegenüber hervorrufen kann, aber nicht derartig, dass sie den freien Widerstand des Willens anstacheln könnte". Und für diese Lehre zitiert er Gamache, Duval, Isambert, Pereira, Le Moyne und andere. Daher fährt er fort mit der Aussage: "Die Hilfen der hinreichenden Gnade sind also bestimmend und wirksam gemäß einem gewissen Grad um die Wirkung zu erlangen, an erster Stelle auf entfernte Weise, sodann auf nahe liegende Weise: wie der Akt des Glaubens, der Hoffnung, der Furcht und vor allem die Gnade zu beten. Deshalb behauptet Alphonse Le Moyne, dass die hinreichende Gnade eigentlich die Gnade des Bittens ist, das heißt des Gebetes, wovon der heilige Augustin oft gesprochen hat". Somit unterscheidet sich die wirksame Gnade von der hinreichenden nach Habert darin, dass sie mit der vollständigen Wirkung verbunden wird; aber die hinreichende erreicht ihre Wirkung nur auf eine bedingte Weise, das heißt, dass sie es manchmal erreicht und manchmal nicht erreicht "oder auf mittelbare Weise", das heißt durch das Gebet. Außerdem sagt er, dass die hinreichende Gnade, gemäß dem guten Gebrauch, den man davon macht, darauf vorbereitet, die wirksame Gnade zu erlangen: daher nennt er die hinreichende wirksam "je nach dem", das heißt gemäß einer zwar eingeleiteten, aber nicht vollendeten Wirkung. Zuletzt sagt er, dass die hinreichende Gnade die Gnade zum Beten ist, die für uns nutzbar zu machen, von uns abhängt, nach dem heiligen Augustin. Somit hat der Mensch keine Entschuldigung, wenn er nicht das tut, was in seiner Macht steht, da er ja stets die hinreichende Gnade hat, mit der er ohne weitere Hilfe entweder unmittelbar wirkt, oder wenigstens alles bekommt, was er braucht. Habert behauptet, dass diese Lehre an der Sorbonne schon als allgemein vertretene Ansicht (opinio communis) galt.

Charles Duplessis d'Argentré, auch noch ein Theologe der Sorbonne berichtet über tausend Theologen, die ausdrücklich lehren, dass man mit der hinreichenden Gnade leichte Werke sehr wohl vollbringe, und dass, wenn der Mensch mit der hinreichenden Gnade wirkt, er sodann die reichlichere Hilfe erlangt für seine vollkommene Bekehrung. Und gerade in solchem Sinn, wie wir schon oben vermerkten, sagt er, solle man das berühmte Axiom verstehen, das von den Schulen vertreten wird, dass "Gott denen nicht die Gnade verweigert, die das tun, was von ihnen abhängt" (das wird immer von der hinreichenden Gnade verstanden), das heißt, die reichlich überfließende und wirksame (Gnade).

Der hochgelehrte Pater Dionys Petau beweist ausführlich, dass mit der hinreichenden Gnade allein der Mensch gut wirkt; und er geht so weit, dass er behauptet, dass das Gegenteil zu sagen, "ungeheuerlich wäre"; und dass diese Lehre nicht nur von den Theologen vertreten wird, sondern von der Kirche. Daher sagt er, dass die Gnade, die Gebote zu beobachten, die Frucht des Gebetes ist, und dass Gott diese Gabe des Betens allen zur selben Zeit schenkt, wie er die Gebote auferlegt. Darum wie allen das Gesetz auferlegt wird, so wird allen die Gabe des Betens geschenkt.

Der Verfasser der Theologie zum Gebrauch im Seminar von Périgueux sagt, dass mit der hinreichenden Gnade allein "Jemand Gutes tun kann und zuweilen gut handelt". Dermaßen dass er hinzufügt: "Nichts verbietet zu denken, dass von zwei Menschen, denen dieselbe Gnade zuvorgekommen ist, der eine die grundlegenden vorbereitenden Akte zur vollen Bekehrung setzt, der andere nicht." Und er versichert, dass es gemäß der Lehre des heiligen Augustin sowie des heiligen Thomas und seiner ersten Schüler ist, besonders des Pater Bartolomeo Medina, der geschrieben hat: "Manchmal bekehrt sich der Mensch mit der hinreichenden Gnade allein". Und ich habe gefunden, dass dasselbe als gemeinsam vertretene Lehre der Theologen auch Pater Ludwig von Granada behauptete, der sagte: "Die Theologen nehmen zwei Arten von Gnade an: die erste hinreichend, die andere übermäßig; und in Wahrheit mit der ersten Gnade bekehren sich die Menschen manchmal, und manchmal widerstehen sie der Bekehrung". Und danach fügt er hinzu: "Die Theologen behaupten, dass jene erste Gnadenstufe allen Menschen in weitestem Ausmaß zur Verfügung steht". Daher sagt die Theologie von Périgueux: "So kommt es, dass einzelne einfache Akte der Frömmigkeit, wie demütig zu Gott beten mit Hilfe der hinreichenden Gnade allein getan werden können, und manchmal erreichen sie es sogar, dass einer sich damit auf weitere Gnaden vorbereitet". Und dabei sagt er, das sei die Ordnung der göttlichen Vorsehung hinsichtlich der Gnaden, "dass bei gutem Gebrauch der ersten Gnaden, darauf weitere folgen". Und er schließt, dass die volle Bekehrung und die Beharrlichkeit bis ans Ende (die Menschen) sie unfehlbar mit dem Gebet verdienen, um sie zu erlangen, ist die Gnade des Gebetes weitaus hinreichend, die ja keinem fehlt".

Dasselbe vertritt der Kardinal d'Aguirre, in allem ein Anhänger des heiligen Augustin. Der Pater Anton Boucat aus dem Orden des heiligen Franz von Paola verteidigt, dass jeder schon durch das Gebet ohne neue Hilfe die Gnade der Bekehrung erlangen kann; und außer Gamache, Duval, Habert, Le Moyne, zItiert er für diese Lehrmeinung Duplessis d'Argentré, Bischof von Tulle, Godefroi Desfontaines, Henri de Gand, Doktoren der Sorbonne, mit dem Herrn Deligny, königlichem Professor, der in seiner Abhandlung "Über die Gnade" nachweist, dass die hinreichende Gnade nicht nur das Mittel zum Beten gibt, wie es Le Moyne und der Professor Elie sagen, sondern auch einige weniger schwierige Werke zu tun.

Dasselbe schrieb Gaudenzio Buontempi, indem er nachwies, dass man mit der hinreichenden Gnade die wirksame durch das Gebet erlangt, was allen gegeben wird, die sich dieses nutzbar machen wollen. Der Kardinal Robert Pullus legt zwei Gnaden fest, eine immer siegreiche, und eine andere, mit der der Mensch manchmal mitwirkt und sie bisweilen verachtet und nicht aufhört schlecht zu handeln. Von derselben Lehrmeinung ist auch noch der gelehrte Pater Fortunato da Brescia, der die Meinung vertritt, dass alle die mittelbare Gnade des Betens haben, um die Gebote zu beobachten, und er hält für unbezweifelbar, dass der heilige Augustin das vertreten habe.

Richard von St. Victor lehrt auf ähnliche Weise, es gebe eine hinreichende Gnade, welcher der Mensch manchmal zustimme und manchmal widerstehe. Domingo de Soto frägt, warum von zwei Personen, die Gott gern bereit und bestrebt ist zu bekehren, der eine von der Gnade gezogen wird und der andere nicht? Und er antwortet: "Da kann man keine andere Erklärung geben, weil von den beiden der eine seine Zustimmung gibt und mitwirkt, der andere keineswegs". Mathias Felisius, der gegen Calvin geschrieben hat, definiert die gewöhnliche oder hinreichende Gnade so: "Es ist eine göttliche Anregung oder ein Antrieb, wodurch der Mensch zum Guten bewegt wird, und die niemandem verweigert wird. Aber die Menschen reagieren unterschiedlich auf diese Anregung hin, einige Zustimmende bereiten sich adäquat auf die Zustandsgnade, denn jenen, die alles tun, was von ihnen abhängt, kann Gott nicht fehlen; andere widerstreben ihr".

Andreas Vega sagt ähnlich: "Diese Hilfen, die allen gewährt werden, werden von den meisten als unwirksam betrachtet, weil sie nicht immer die Wirkung erreichen, sondern von den Sündern werden sie meistens um den Erfolg gebracht". Die hinreichenden Gnaden haben manchmal ihre Wirkung und andere Mal wieder nicht.

Der Kardinal Gotti scheint an einer Stelle seiner Theologie von unsrer Meinung nicht abzuweichen, denn er frägt sich, wie der Mensch ausharren könne, wenn er wolle, wenn es nicht von ihm abhängt, die besondere Hilfe zu haben, die erfordert wird, um auszuharren, er antwortet, dass, wenn auch diese besondere Hilfe nicht in der Macht des Menschen steht, "dennoch mit Recht behauptet wird, es stehe in der Macht des Menschen, weil er sie mit der Gnade Gottes von ihm erbitten und erlangen kann. Und so kann man sagen: Es stehe in der Macht des gerechten Menschen, dass er die zur Beharrlichkeit notwendige Hilfe habe, wenn er sie durch das Gebet erflehe". Somit um sich zu bewahrheiten, dass es vom Menschen abhängt, auszuharren, ist es notwendig, dass er mit dem Gebet die unerlässliche Hilfe erlangen kann, um wirksam auszuharren, ohne einer andern Gnade zu bedürfen; so ist es auch notwendig, dass er allein mit der hinreichenden Gnade, die allen gemeinsam ist, ohne einer weiteren besondern Gnade zu bedürfen, wirksam beten und mit dem Gebet sodann die Beharrlichkeit erlangen kann; sonst kann man nicht sagen, dass jeder die notwendige Gnade habe zum Ausharren, wenigstens entfernt und mittelbar durch das Gebet.

Und wenn dann seine Eminenz Kardinal Gotti das nicht so versteht, versteht es sicher so der heilige Franz von Sales, indem er sagt, dass die Gnade wirksam zu beten, jedem gegeben wird, der sich dessen bedienen will, und daraus schließt er, die Beharrlichkeit stehe im Vermögen eines jeden. Deutlich sagt dies der Heilige in seinem Theotimus: dort fügt er, nachdem er nachgewiesen hat, dass es notwendig sei, fortwährend zu beten, um von Gott die Gabe der Beharrlichkeit bis ans Ende zu bekommen, hinzu: Nun aber, weil die Gabe des Betens großzügig all jenen gewährt wird, die den himmlischen Eingebungen mit gutem Willen zustimmen wollen, steht es somit in unsrer Macht, auszuharren.

Und dasselbe lehrt der Kardinal Bellarmin, wenn er sagt: "Die zur Rettung hinreichende Gnade wird allen zur rechten Zeit und am rechten Ort mittelbar oder unmittelbar gegeben ... Wir sagen mittelbar oder unmittelbar, weil wir bei denen, die sich des Gebrauchs der Vernunft erfreuen, glauben, dass von Gott heilige Eingebungen erteilt werden, und durch sie haben diese die aufweckende Gnade und wenn sie dieser entsprechen wollen, können sie sich zur Rechtfertigung bereiten und dereinst zum Heil gelangen".

§ 2 GRUNDLAGEN, WORAUF SICH DIESE LEHRE STÜTZT

Doch wir wollen uns nun die Beweise zu dieser Lehrmeinung anschauen. Wir werden zuerst die Heilige Schrift zitieren, dann das Konzil von Trient und schließlich die Kirchenväter.

1 . Die Heilige Schrift

Sie wird zuerst durch die Autorität des Apostels Paulus nachgewiesen, der uns versichert, dass Gott treu ist und niemals erlauben wird, dass wir über unsere Kräfte hinaus versucht werden, wobei er uns immer seine Hilfe gibt (unmittelbar oder mittelbar durchs Gebet), um den Angriffen unsrer Feinde zu widerstehen (vgl. 1 Kor 10,13). Jansenius sagt dieser Text sei allein von den Vorherbestimmten zu verstehen, aber diese seine Auslegung besitzt überhaupt keine Grundlage; denn der heilige Paulus schreibt an alle Gläubigen von Korinth, die er sicher nicht alle für vorherbestimmt hielt. Daher versteht ihn der heilige Thomas mit Recht im allgemeinen von allen Menschen und sagt, dass Gott nicht treu wäre, wenn er uns (soweit es ihn betrifft) nicht jene Gnaden gewähren würde, durch die wir das Heil erlangen können: "Gott würde nicht als treu erscheinen, wenn er uns (soweit es ihn betrifft) jene Gnaden verweigern würde, durch die wir zu ihm gelangen könnten".

Außerdem wird es mit all jenen Schriftstellen bewiesen, mit denen uns der Herr ermahnt, uns zu bekehren und zu ihm Zuflucht zu nehmen, um von ihm die zum Heil notwendigen Gnaden zu erbitten, mit dem Versprechen, uns zu erhören, wenn wir zu ihm Zuflucht nehmen: «Die Weisheit ruft laut auf der Straße, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme: Wie lange noch, ihr Törichten, werdet ihr die Betörung lieben, und werden die Spötter Gefallenfinden an ihren Spöttereien; wendet euch meinen Mahnungen zu, dann will ich auf euch meinen Geist ausgießen. Denn ich habe euch gerufen und ihr habt euch geweigert, ... Dann werde auch ich lachen, wenn euch Unglück trifft, werde spotten, wenn Schrecken über euch kommt» Spr 1,20-26. Diese Ermahnung: «Wendet euch meinen Mahnungen zu» wäre reinster Spott, sagt Bellarmin, wenn Gott den Sündern nicht wenigstens die mittelbare Hilfe des Gebetes zum sich Bekehren gewähren würde. Außerdem wollen wir beachten, dass im selben erwähnten Text, schon die innere Gnade zum Vorschein kommt («Ich werde meinen Geist über euch ausgießen»), wodurch Gott die Sünder zur Umkehr ruft und ihnen die wirksame Hilfe gibt, um sich zu bekehren, wenn sie wollen.

«Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid und ich werde euch erquicken» Mt 11,28; «Kommt her, wir wollen sehen, wer von uns recht hat, spricht der Herr. Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee» Jes 1,18; «Bittet und ihr werdet empfangen» Mt 7,7. Und dasselbe sagt uns der Herr an tausend andern Stellen, die schon oben erwähnt wurden. Wenn nämlich Gott nicht jedem die Gnade gäbe, wirksam Zuflucht zu ihm zu nehmen und ihn wirksam zu bitten, so wären all diese Einladungen und Ermahnungen leer und nutzlos, wobei gesagt wird: Kommet alle und ich werde euch zufrieden stellen. Suchet und ihr werdet finden.

2. Das Konzil von Trient

Zweitens wird es auch mit dem Text des Konzils von Trient in der 6. Sitzung im 11. Kapitel klar bewiesen. Ich bitte den Leser mit Aufmerksamkeit diese Beweisführung des Trienter Konzils durchzulesen, die (wenn ich mich nicht täusche) einleuchtend erscheint. Die Neuerer sagten, da der Mensch durch die Sünde Adams der Entscheidungsfreiheit beraubt sei, bewirke der Wille des Menschen zurzeit bei den guten Werken nichts, aber er werde passiv induziert, sie von Gott zu empfangen, ohne dass er sie hervorbringe; und daraus folgerten sie, das Beobachten der Gebote sei denen unmöglich, die nicht wirksam von der Gnade bewegt und vorherbestimmt werden, das Böse zu meiden und das Gute zu tun. Gegen diesen Irrtum sprach das Konzil das vom heiligen Augustin genommene Urteil aus: "Gott befiehlt keine unmöglichen Dinge, sondern wenn er befiehlt, ermahnt er dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst, und er hilft dir, damit du kannst".

Um gegen die Häretiker zu beweisen, dass das Befolgen der Gebote für niemanden unmöglich ist, hat das Konzil also erklärt, dass alle Menschen die Hilfe haben, das Gute zu tun, oder wenigstens die Gnade des Gebetes, wodurch sie dann die größere Hilfe erlangen, es zu tun. Was so zu verstehen ist, dass jeder mit der allgemeinen Gnade die leichten Dinge tun kann (wie es das Beten ist) ohne einer weiteren außerordentlichen Gnade zu bedürfen, und durch das Beten die Kraft erflehen kann, um die schwierigen Aufgaben zu erfüllen, gemäß der Lehre des heiligen Augustin, die schon oben erwähnt wurde. Somit können nach dem Konzil alle Menschen die Gebote Gottes beobachten, wenigstens aufgrund des Gebetes, das ihnen die größeren Hilfen erlangt, um sie zu beobachten. Wenn also Gott allen Menschen seine Gebote auferlegt hat und allen deren Beobachten wenigstens mittelbar durch das Gebet ermöglicht hat, muss man notwendigerweise daraus schließen, dass alle die Gnade zu beten haben; sonst wären dem, dem diese Gnade fehlen würde, die Gebote nicht möglich. Und wie der Herr durch das Gebet die Tatgnade gibt, um das Gute zu tun, und damit allen Menschen seine Gebote ermöglicht; so gibt er auch allen die Tatgnade zum Beten: sonst würden dem, der die Tatgnade zum Beten nicht hätte, das Beobachten der Gebote verunmöglicht, da jener ja nicht einmal durch das Gebet die Hilfe erflehen kann, um sie zu beobachten.

Wenn wir das angenommen haben, taugt es nichts zu sagen, dass die Worte des Konzils "(Gott) ermahnt dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst", seien von der Potenz zu beten allein zu verstehen, nicht vom Beten in actu; denn (so antworten wir), wenn die allgemeine und gewöhnliche Gnade nichts anderes gäbe als die Potenz zum Beten, aber nicht das Beten in actu, dann hätte das Konzil nicht gesagt: "(Gott) ermahnt dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst". Sondern es hätte gesagt: "Er warnt uns, dass wir tun können, und dass wir beten können".

Außerdem, wenn das Konzil hier nichts anderes hätte erklären wollen, als dass jeder die Gebote beobachten kann, oder dass er beten kann, um die Gnade zu erflehen, damit er sie beobachte, und wenn es nicht die Absicht gehegt hätte, von der Tatgnade zu sprechen, dann hätte es nicht gesagt: "(Gott) ermahnt dich, das zu tun, was du kannst", denn das "er ermahnt dich" bezieht sich eigentlich auf das aktuelle Tun; und es kommt da nicht auf das Unterweisen des Verstandes an, sondern auf das den Willen dazu Bewegen, jenes Gute zu tun, das er derzeit schon tun kann. Da es also gesagt hat: "(Gott) ermahnt dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst", hat es nur zu klar ausgedrückt, dass es nicht nur das tun Können und das beten Können, sondern auch das wirkliche Tun und das wirkliche Beten im Auge behält; während, wenn der Mensch, um zu Wirken und Beten in actu, einer andern außerordentlichen Gnade bedürfte, die er nicht hat, wozu würde Gott ihn dann ermahnen, das zu tun oder zu erbitten, was er derzeit nicht tun, noch erbitten kann ohne die wirksame Gnade?

Auf kluge Weise sagt der Pater Forunato da Brescia, wo er über diesen Punkt spricht, folgendes: Wenn die Tatgnade zum Beten nicht allen Menschen gegeben würde, sondern es zum Beten der wirksamen Gnade bedürfte, die nicht allen gemeinsam ist, so wäre das Beten für viele, denen diese wirksame Gnade fehlt, unmöglich; daher würde man zu Unrecht sagen, dass Gott "dich ermahnt, das zu erbitten, was du nicht kannst", denn er würde ermahnen, etwas zu tun, zu dessen Erfüllung die aktuelle Hilfe fehlt, ohne die es nicht erfüllt werden kann. Somit muss man die göttliche Ermahnung zum Wirken und Beten vom Wirken und Beten in actu verstehen, wobei man keiner andern außerordentlichen Gnade bedarf. Und genau das wollte uns der heilige Augustin zu verstehen geben, wenn er sagte: "Daher werden wir ermahnt, in dem, was wir in den leichten Situationen tun können, und in dem, was wir erbitten sollen in den schwierigen Situationen"; denn er unterstellt, dass wenn nicht alle die Gnade haben, die schwierigen Dinge zu tun, so haben wenigstens alle die Gnade zum Beten, da es ja für alle leicht ist zu beten, wie er es auf ähnliche Weise unterstellt, wobei er schon vorher gesagt hat, was dann das Tridentinum gelehrt hat: "(Gott) ermahnt dich, das zu tun, was du kannst, und zu erbitten, was du nicht kannst.

Wir wollen die Argumentation enger fassen. Das Konzil sagt, dass Gott keine unmöglichen Vorschriften auferlegt, denn entweder gibt er die Hilfe, um sie zu beobachten, oder er gibt die Gnade zum Beten, um diese Hilfe zu erlangen, die er gern gibt, wenn er gebeten wird. Nun aber, wenn es jemals wahr sein sollte, dass der Herr nicht allen die Gnade gibt, wenigstens die mittelbare zum Beten, um wirksam all seine Gebote zu beobachten, dann wäre wahr, was Jansenius sagte, dass für einige Gebote schon die Gnade fehlt auch für den gerechten Menschen, um sie wirksam zu beobachten.

Ich wüsste nicht, wie man den zitierten Text des Tridentinums anders verstehen und auslegen könnte, wenn die hinreichende Gnade nicht allen Menschen die Fähigkeit gäbe, wirksam zu beten ohne die wirksame Gnade, die von den Gegnern als notwendig vorausgesetzt wird, um irgendein frommes Werk hervorzubringen. Solche Notwendigkeit einer neuen Gnade (wie diese es wollen) wird vorausgesetzt, um wirksam zu beten, ich kann nicht verstehen, wie jene andere Aussage desselben Konzils sich bewahrheiten sollte: "Gott mit seiner Gnade lässt jene nicht im Stich, die einmal gerechtfertigt wurden, wenn er nicht zuerst von diesen im Stich gelassen wird" (6. Sitz. 11. Kap.). Wenn auch zum wirksamen Beten die ordentliche hinreichende Gnade nicht genügen würde, sondern es außerdem der wirksamen nicht allen gemeinsamen Gnade bedürfte (so frage ich) was dabei herauskäme, dass wenn der Gerechte versucht würde, die erste Todsünde zu begehen, und Gott würde ihm nicht die wirksame Gnade geben, um wenigstens zu beten, um die Kraft zu erhalten zum Widerstehen, und wenn dieser dann der Versuchung erliegen würde, so müsste man eher sagen, dass der Gerechte von Gott im Stich gelassen wird, bevor er Gott verlässt, weil ihm die zum Widerstehen unerlässliche wirksame Gnade gefehlt hätte.

Die Gegner setzen eine gewisse Stelle des heiligen Augustin entgegen, wo es scheint, dass der Heilige erklärt, dass die Gnade zum Beten nicht allen gegeben wird: "Mitunter ist sogar unser Gebet so lau, oder eher kalt und nahezu unbedeutend, ja so nichtssagend, dass wir es nicht einmal mit Schmerz wahrnehmen; denn wenn wir es bedauern würden, würden wir ja schon beten". Aber auf kluge Weise antwortet darauf der Kardinal Sfondrati, indem er sagt: "Eine Sache ist es, dass die Sünder nicht beten, eine andere nicht die Gnade zu haben, womit sie beten könnten". Der heilige Augustin sagt nicht, dass einigen die Gnade, so zu beten, wie man sollte, fehle, er sagt nur, dass manchmal unser Gebet so kalt ist, dass es gleichsam nichts ist, nicht so sehr infolge eines Fehlens der göttlichen Hilfe zum besser Beten, sondern nur durch unsere eigene Schuld, die das Gebet zunichte macht.

Auf dieselbe Weise antwortet Tournely, indem er von Jansenius erster verurteilten These spricht und sagt: "Die Gläubigen beten nicht immer, wie es sich gehört. Ihre Schuld besteht darin, dass sie nicht so beten, da sie aus der Gnade die hinreichenden Kräfte zum Beten hätten. Daher sagt der heilige Augustin, dass unser Gebet manchmal kalt und fast nichts sagend ist, aber er sagt nicht, dass es uns an der Gnade fehle, wodurch unser Gebet eifriger werden könnte". Außerdem schreibt der Kardinal Noris über die besagte Stelle des heiligen Augustin, dass man durch das laue Gebet wenigstens ein inbrünstigeres Gebet erlange, und durch dieses erlange man sodann die wirksame Gnade, um die Gebote zu beobachten. Und das bestätigt er mit der Autorität desselben heiligen Lehrers, der über den Psalm 17 Folgendes geschrieben hat: "Ich habe meine Gebete an dich gewendet mit aufrichtiger und freimütiger Gesinnung, und damit ich es noch mehr erlangen könne, hast du auf mich gehört, der ich eher schwächlich gebetet habe".

Dem steht noch weniger entgegen, was der heilige Augustin über die Worte des heiligen Paulus «Der Geist betet für uns mit unaussprechlichen Seufzern» sagt, dass der Heilige Geist jener ist, der "uns erflehen lässt und uns die Anmutung eingibt, (noch mehr) zu flehen". Denn der Heilige wollte damit nichts anderes gegen die Pelagianer sagen, als niemand könne ohne die Gnade beten. Und so erklärt er es selber, indem er den Psalm 53 kommentiert, wo er schreibt: "Denn mit der Gabe des Geistes wirkst du so, dass man sagt, der Geist habe gewirkt: denn ohne ihn würdest du nicht wirken".

3. Die heiligen Väter

Zum Dritten wird unsere Lehrmeinung mit dem bewiesen, was darüber die heiligen Väter sagen. Der heilige Basilius sagt: "Wenn Gott zugelassen hat, dass einer durch Versuchung geprüft wurde, so genügt es, damit er die Prüfung bestehen kann, dass er durch das Gebet die Erfüllung des göttlichen Willens erflehe". Es sagt also der Heilige, dass wenn Gott erlaubt, dass der Mensch geprüft wird, dann tut er es, damit dieser widerstehe, indem er um den göttlichen Willen bittet, das heißt die Gnade, um den Sieg zu erlangen. Also unterstellt der Heilige, dass, wo der Mensch nicht die zum Besiegen der Versuchung genügende Hilfe hat, da er wenigstens die aktuelle und gemeinsame Hilfe des Betens hat, um die größere Gnade zu erlangen, die er dazu braucht.

Der heilige Johannes Chrysostomus sagt an einer Stelle: "Er hat uns ein Gesetz gegeben, um uns unsere Wunden aufzudecken und damit wir den Arzt erwünschten". Und an einer andern Stelle: "Keiner ist entschuldigt, wenn er, obwohl er den Feind besiegen konnte, es nicht gewollt hat, indem er unterlassen hat zu beten". Wenn ein solcher nicht die notwendige Gnade hätte, um wirksam zu beten, und so mit dem Gebet die Hilfe zu erlangen, um zu widerstehen, so könnte er sich damit entschuldigen, wenn er besiegt wird.

Dasselbe sagt der heilige Bernhard: "Wer sind wir, wie groß ist unsere Kraft? Dies suchte Gott, dass wir, indem wir unsere Schwäche erkennen, und indem wir einsehen, dass es keine andre Hilfe für uns gibt, in aller Demut Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit nehmen". Gott hat uns also ein Gesetz auferlegt, das über unsere Kräfte geht, damit wir unsere Schwächen erkennend, zu ihm unsere Zuflucht nehmen durch das Gebet, und so die Kraft erlangen, seine Gebote zu beobachten: aber wenn solch einem die Gnade verweigert würde, wirksam zu beten, so würde für ihn das Gesetz zu beobachten ganz unmöglich gemacht. Deshalb sagt der heilige Bernhard: "Viele beklagen sich, dass ihnen die Gnade fehle, aber es wäre viel richtiger, dass die Gnade sich beklagen würde, weil viele ihr untreu werden". Der Herr hat viel mehr Grund, sich über uns zu beklagen, weil wir die Gnade versäumen, mit der er uns beisteht, als dass wir uns beklagen, dass uns die Gnade fehlt.

Aber kein Vater sagt es uns deutlicher als der heilige Augustin an gar vielen Stellen. An einer Stelle sagt er: "Die Pelagianer meinen, dass sie viel darüber wissen, wenn sie sagen: Gott würde das nicht auferlegen, wenn er gewusst hätte, dass es für den Menschen unmöglich ist. Doch wer weiß nicht um diese Dinge? Wenn er also etwas befiehlt, was wir nicht können, dann tut er es, damit wir erkennen, was wir von ihm erbitten müssen". An einer andern Stelle sagt er: "Es wird dir nicht als Schuld angelastet werden, was du unschuldiger Weise nicht erkanntest, aber du wirst angeklagt werden, weil du vernachlässigst, um das zu bitten, was du nicht weißt. Und man wirft es dir nicht vor, weil du nicht willst, dass deine Wunden verbunden werden, sondern weil du den verschmähst, der dich heilen will. Das sind deine wahren Sünden. Keinem Menschen wird die Möglichkeit weggenommen, um das zu bitten, was er nützlicher Weise wissen sollte". Somit, sagt der Heilige, wird keinem die Gnade zu beten verweigert, und mit dem Gebet, die notwendige Hilfe zur Bekehrung zu erlangen; sonst könnte man, wenn ihm diese Gnade fehlen würde, es ihm nicht als Schuld anlasten, wenn er sich nicht bekehrt.

An einer andern Stelle: "Was wird uns anderes gelehrt, wenn nicht, dass wir bitten, suchen, anklopfen sollen, wie er es uns gestattet, und befiehlt, damit wir es wirklich tun". An andrer Stelle: "Suche es zu erfassen und zu verstehen: Fühlst du dich noch nicht vom Vater angezogen? Bete, damit du es werdest". Anderswo sagt er: "Warum weiß eine Seele nicht, was sie tun soll, wenn nicht, weil es ihr noch nicht gewährt wurde; aber es wird ihr gewährt werden, wenn sie guten Gebrauch macht von dem, was sie schon bekommen hat. Sie hat aber bekommen, damit sie fromm und fleißig bittet, wenn es ihr Wille sein wird". Folglich hat jeder die notwendige Gnade zum Beten; wenn er guten Gebrauch davon macht, wird er die Gnade bekommen, das zu tun, was er vorher noch nicht unmittelbar tun konnte.

An einer andern Stelle: "Der Mensch, der zwar will, aber nicht kann, soll beten, damit er soviel Willen hat, wie genügend ist, um die Gebote zu erfüllen. Auf solche Weise wird ihm geholfen werden, das zu tun, was ihm auferlegt ist". Anderswo: "Die freie Willensentscheidung wurde mit einem Gebot angeregt, damit sie von Gott eine Gabe erbitte; doch würden wir nutzlos angeregt werden, wenn wir nicht zuvor ein beginnendes Wohlgefallen bekommen hätten, das uns lehrt, um das zu bitten, was wir erfüllen sollen". Merken soll man sich "ein beginnendes Wohlgefallen": da haben wir also die hinreichende Gnade, wodurch der Mensch dann betend die Tatgnade erflehen kann zum Erfüllen des Gebotes, "das uns lehrt, um das zu bitten, was wir erfüllen sollen".

An andrer Stelle sagt er: "Er befiehlt also, damit wir, indem wir uns anstrengen, das Befohlene zu tun, und ermüdet von unsrer Schwäche, lernen, um die Hilfe der Gnade zu bitten". Damit setzt der Heilige schon voraus, dass wir mit der ordentlichen Gnade nicht schon die schwierigen Dinge tun können, aber wir können durch das Gebet die notwendige Hilfe bekommen, um sie auszuführen. Und von da fährt er weiter und sagt: "Weil die Menschen vergessen haben, um die Hilfe der Gnade flehend zu bitten, wurde das Gesetz eingeführt, damit das Vergehen sich rasch vermehrte. Als sie dann durch göttlichen Anruf begriffen hatten, zu wem sie aufstöhnen sollten, um ihn anzurufen, traf ein, was folgt: «Wo die Sünde mächtig wurde, ist die Gnade übergroß geworden» Röm 5,20". Hier findet man klar ausgesprochen, wie Pater Petau sagt, das Fehlen der überreichen Gnade einerseits und den Beistand der ordentlichen und allgemeinen Gnade andrerseits, womit man betet und die vom Heiligen hier göttlicher Anruf genannt wird.

An einer andern Stelle sagt er: "Das bleibt in diesem sterblichen Leben" (für die freie Entscheidung), "nicht dass der Mensch das Gesetz erfüllen könnte, auch wenn er es wollte, sondern dass er sich mit flehender Frömmigkeit an den wendet, mit dessen Gnade er es erfüllen kann". Wenn der heilige Augustin also sagt, dass der Mensch von sich aus unfähig ist das ganze Gesetz zu beobachten, und dass ihm nichts anderes bleibt, als die Hilfe zu erflehen, deren er bedarf, um ihm zu genügen, das heißt das Mittel des Gebetes, so setzt er sicher voraus, dass der Herr jedem die Gnade gibt, wirksam zu beten, ohne einer andern außerordentlichen und nicht allen gemeinsamen Hilfe zu bedürfen; andernfalls, wenn diese andere besondere Hilfe fehlen würde, würde für die freie Entscheidung nichts übrigbleiben, um derzeit alle göttlichen Gebote zu beobachten, wenigstens die schwierigsten. Und wenn der Heilige so spricht, so kann er sicher nicht meinen, die hinreichende Gnade gebe nur die einfache Potenz aber noch nicht den Akt des Gebetes; denn hinsichtlich der Potenz ist es gewiss, dass sie durch die hinreichende Gnade zu jedem schwierigen Werk gegeben wird; also meint der heilige Lehrer sicher (wie er schon an anderer Stelle lehrt), dass die leichten Dinge, wie es das Beten ist, gut in actu von jedem mit der hinreichenden Gnade erfüllt werden können und die schwierigen dann mit der Hilfe, die man durch das Gebet erlangt.

Zwei Texte des heiligen Augustin sind vor allem in unsrer Frage von großer Bedeutung. Der erste ist Folgender: "Sicher ist, dass wir die Gebote bewahren, wenn wir wollen; aber weil der Wille vom Herrn bereitet wird, so muss von ihm erbeten werden, damit wir soviel wollen, wie es genügt, dass wir es tun, indem wir es wollen". Der Heilige sagt also einerseits, es sei gewiss, dass wir die Gebote beobachten werden, wenn wir wollen: andrerseits sagt er, um sie beobachten zu wollen und um sie tatsächlich zu beobachten, müssen wir beten. Also wird uns allen die Gnade zum Beten gegeben, und mit dem Beten die überreiche Gnade zu bekommen, die uns die Gebote beobachten lässt; andernfalls, wenn es zum wirksamen Beten der wirksamen, nicht allen gemeinsamen, Gnade bedürfte, so könnten jene, denen diese nicht gegeben würde, die Gebote nicht beobachten und auch nicht den Willen haben, sie zu beobachten.

Der zweite Text ist folgender, wo der heilige Lehrer den hadrumetinischen Mönchen antwortet, die folgendes sagten: Wenn die Gnade mir notwendig ist, und ich ohne diese nichts tun kann, warum mich zurechtweisen, der ich nicht wirken kann und der ich nicht die Gnade habe, was geboten ist, zu tun? Bittet viel eher ihr den Herrn für mich, dass er mir diese Gnade gibt, "Bitte eher für mich". Und der Heilige antwortet ihnen: Ihr müsst zurechtgewiesen werden, nicht weil ihr nicht tut, wozu ihr die Kraft nicht habt, sondern weil ihr nicht betet, um diese Kraft, die euch fehlt, zu erlangen: "Wer nicht zurechtgewiesen werden will und sagt: Bitte eher für mich, der muss getadelt werden, damit auch er es für sich tue, das heißt, dass er für sich selber bete." Wenn also der heilige Lehrer nicht geglaubt hätte, dass jeder die Gnade hat, womit er betet (wenn er will), ohne einer weitern Hilfe zu bedürfen, dann hätte er nicht sagen können, dass dieser zurechtgewiesen werden sollte, weil er nicht betete; während dieser hätte erwidern können: Wenn ich nicht zurechtgewiesen werden soll, wenn ich nicht wirke, weil ich nicht die besondere Gnade zum Wirken habe, darf ich ebenso wenig getadelt werden, wenn ich nicht bete, da ich nicht die besondere Gnade habe, wirksam zu beten.

Dasselbe schreibt der heilige Augustin an einer andern Stelle, wo er sagt: "Täuschen sich vielleicht jene nicht, die sich fragen: Warum wird uns denn geboten, uns vom Bösen fernzuhalten und das Gute zu tun, wenn Gott ja dieses Wollen und Vollbringen in uns bewirkt?". Und der Heilige antwortet, dass die Menschen dann, wenn sie das Gute tun, Gott dafür danken sollen, weil er ihnen die Kraft gibt, es zu tun; wenn sie es aber nicht tun, müssen sie beten, um diese Kraft zu bekommen, die ihnen fehlt: "Wenn sie also nicht handeln, sollen sie beten, damit sie erlangen, was sie noch nicht bekommen haben". Nun aber wenn diese nicht einmal die Gnade hätten, um wirksam zu beten, könnten sie antworten: "Warum wird uns denn geboten zu beten, wenn Gott das Beten nicht in uns bewirkt?" Wie sollen wir beten, wenn wir nicht die notwendige Hilfe bekommen, um wirksam zu beten?

Der heilige Thomas redet nicht ausdrücklich vom Gebet, aber er setzt als sicher voraus, was wir behaupten, wenn er sagt: "Es ist der göttlichen Vorsehung eigen, jeden mit den zum Heile notwendigen Mitteln zu versehen, solange sie von unsrer Seite nicht verhindert wird". Angenommen einerseits, dass Gott allen die zum Heil notwendigen Gnaden gibt; und da andrerseits zum Beten eine Gnade notwendig ist, die uns die Fähigkeit verleiht, wirksam zu beten, und mit dem Gebet sodann eine größere Hilfe zu empfangen, um das zu bewirken, was wir mit der gewöhnlichen Hilfe nicht tun können, müssen wir notwendigerweise sagen, dass Gott allen die hinreichende Gnade gibt, um wirksam zu beten, wenn wir wollen, ohne dazu der wirksamen Gnade zu bedürfen.

Hier soll hinzugefügt werden, was Bellarmin sagt, indem er den Häretikern antwortet, die aus dem Wort des Heilands «Niemand kommt zu mir, wenn ihn der Vater, der mich gesandt hat, nicht zieht» Joh 6,44 folgerten, es könne nicht zu Gott hingehen, wer von Ihm nicht eigens gezogen werde: "Darauf antworten wir", sagt Bellarmin, "es kann daraus geschlossen werden, dass nicht alle die wirksame Gnade haben, wodurch sie glauben; man darf jedoch nicht folgern, dass nicht alle die Hilfe haben, wodurch sie glauben, oder wenigstens womit sie um Hilfe bitten können".

§ 3 GRÜNDE, DIE DIESE LEHRE RECHTFERTIGEN

Kommen wir im dritten und letzten Punkt, uns die Gründe für diese Lehrmeinung anzusehen. Der hochgelehrte Pater Petau frägt zusammen mit Duval und andern Theologen wie folgt: Warum auferlegt Gott uns Dinge, die wir nicht beobachten können mit der allgemeinen und ordentlichen Gnade? Weil der Herr (antwortet er) will, dass wir zu ihm Zuflucht nehmen durch das Gebet, gemäß dem, was die Väter allgemein sagen, wie wir weiter oben gesehen haben. Daraus schließt er, dass wir für sicher halten müssen, dass jeder von uns die Gnade hat, wirksam zu beten, und durch das Gebet die größere Hilfe zu erflehen, um das zu tun, was wir mit der allgemeinen Gnade nicht vermögen; sonst hätte uns Gott ein unmögliches Gesetz auferlegt; die Begründung ist sehr stark.

Dem kann ein andrer Grund hinzugefügt werden: Wenn Gott allen das wirksame Beobachten der Gebote befiehlt, so muss man unbedingt voraussetzen, dass er auch allgemein allen die notwendige Gnade für das wirksame Beobachten derselben wenigstens mittelbar durch das Gebet gibt. Damit also das Gesetz vernünftig sei und der Tadel berechtigt bei dem, der es nicht beobachtet, muss jeder die hinreichende Befähigung haben, wenigstens mittelbar durch das Gebet, um wirksam den Gesetzen nachzukommen und zu beten, ohne dass er einer andern Hilfe dazu bedarf, die nicht allen gemeinsam ist; andernfalls wenn diese mittelbare oder entfernte Befähigung zum wirksamen Beten fehlte, könnte man nicht sagen, dass jeder von Gott die hinreichende Gnade hat, um das Gesetz wirksam zu beobachten.

Thomassin und Tournely häufen viele andere Gründe für diese Lehrmeinung an und weisen sie ihr zu, aber diese alle übergehe ich und klammere mich an den einen Grund, der mir einleuchtend scheint. Dieser Grund beruht auf dem Gebot der Hoffnung, aufgrund dessen wir alle verpflichtet sind, von Gott mit Gewissheit das ewige Leben zu erhoffen; und ich sage, wenn wir nicht sicher wären, dass Gott uns allen die Gnade gibt, wirksam beten zu können, ohne einer andern besondern und nicht allen gemeinsamen Gnade zu bedürfen, so könnte niemand ohne eine besondere Offenbarung die Rettung erhoffen, wie es sich gebührt. Man gestatte mir also, dass ich zuvor die Grundlagen dieser Begründung darlege.

Die Tugend der Hoffnung ist Gott so teuer, dass er erklärt hat, dass er sein Wohlgefallen findet an denen, die auf ihn vertrauen: «Gefallen hat Gott an denen, die ihn fürchten und ehren, die voll Vertrauen warten auf seine Huld» Ps 147, 11. Und er verspricht den Sieg über die Feinde des Heils dem, der ausharrt in seiner Gnade, und die ewige Herrlichkeit, dem, der hofft, und weil er hofft: «Weil er an mir hängt, werde ich ihn retten; ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen ... Ich bin bei ihm in der Not, befreie ihn und bringe ihn zu Ehren» Ps 91,14 f. «Er schenkt ihnen Heil, denn sie suchen Zuflucht bei ihm» Ps 37,40. «Behüte mich, Gott, denn ich vertraue dir» Ps 16,1. « Wer hoffte auf ihn und wurde verlassen? Wer rief ihn an, und er erhörte ihn nicht?» Sir 2,10. Und wir sind sicher, dass Himmel und Erde entschwinden werden, doch die Worte und die Verheißungen Gottes können nicht verschwinden: «Himmel und Erde werden vorübergehen, aber meine Worte werden nicht vorübergehen» Mt 24,35. Es sagt also der heilige Bernhard, unser ganzes Verdienst bestehe darin, dass wir auf Gott all unser Hoffen setzen. Der Grund dafür ist, weil wer auf Gott hofft, ihn gar sehr ehrt. Er ehrt die Macht, die Barmherzigkeit und die Treue Gottes, weil er fest glaubt, dass Gott ihn retten kann und will, und er gegen seine Verheißungen, zu retten wer auf ihn vertraut, nicht fehlen kann. Und der königliche Prophet versichert uns, je größer unser Vertrauen sein werde, um so mehr werde sich über uns das göttliche Erbarmen ausgießen (vgl. Ps 33, 22).

Nun aber wollte der Herrn diese Tugend der Hoffnung, weil sie ihm so sehr gefällt, uns durch strenges Gebot auferlegen, wie die Theologen allgemein lehren und wie es aufgrund mehrerer Schriftstellen feststeht: «Vertrau ihm, Volk Gottes, jederzeit» Ps 62,9. «Ihr, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf ihn, er wird euch den Lohn nicht vorenthalten» Sir 2,8. «Hoffe immer auf deinen Gott!» Hos 12,7. «Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch bei der Offenbarung Jesu Christi geschenkt wird» 1 Petr 1,13. Diese Hoffnung auf das ewige Leben muss sodann in uns fest stehen, so wie sie bereits der heilige Thomas bestimmt: "Die Hoffnung ist die sichere Erwartung der künftigen Seligkeit". Auch das heilige Konzil von Trient hat sie ausdrücklich erklärt, indem es sagte: "Alle müssen eine unerschütterliche Hoffnung auf die Hilfe Gottes setzen. Gott in der Tat wird, wenn es nicht diese selber sind, die sich seiner Gnade entziehen, so, wie er ja das gute Werk begonnen hat, es auch zur Vollendung hinführen, insofern er das Wollen und das Vollbringen bewirkt". Und zuerst hat es ja der heilige Paulus erklärt, indem er von sich selber sprach: «Ich weiß, wem ich geglaubt habe, und ich bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren» 2 Tim 1,12. Und darin unterscheidet sich die christliche Hoffnung von der weltlichen Hoffnung; damit man die weltliche Hoffnung habe, genügt es, dass man eine unbestimmte Erwartung hege; und es kann auch nicht anders sein, denn immer kann man daran zweifeln, ob der Mensch, der eine Gabe versprochen, zur Zeit noch den Willen hat zu schenken, oder ob er etwa sich ändert oder seine Absicht schon geändert hat. Die christliche Hoffnung auf das ewige Heil hingegen ist sicher von Gott her, da er uns retten kann und will, und er hat das Heil jedem versprochen, der sein Gesetz beobachtet; dabei hat er zu diesem Zweck die notwendigen Gnaden, um dieses Gesetz zu beobachten, jedem versprochen, der ihn darum bittet.

Es ist wahr, dass die Hoffnung auch noch von einer gewissen Furcht begleitet wird, wie der engelgleiche Kirchenlehrer sagt: aber diese Furcht kommt nicht so sehr von Gott her, sondern von unsrer Seite, weil wir immer fehlen können (indem wir der Gnade nicht entsprechen, wie wir sollten), und der Gnade ein Hindernis entgegensetzen mit unsern Fehlern. Daher hat das Tridentinum mit Recht die Neuerer verurteilt, da sie den Menschen als einen gänzlich der freien Entscheidung Beraubten sehen; sie behaupten, dass jeder Gläubige eine unfehlbare Gewissheit von der Beharrlichkeit und vom Heil haben muss. Das ist ein Irrtum, der schon vom Tridentinum verurteilt wurde (6. Sitz. 13. Kap. 15. u. 16. Kan.); denn, wie wir gesagt haben, um das Heil zu erlangen, ist noch unser der Gnade Entsprechen notwendig, und dieses unser Entsprechen ist ungewiss und fehlbar. Daher will der Herr einerseits, dass wir uns immer vor uns selber fürchten und uns misstrauen, damit wir nicht in die Anmaßung fallen, unsern eigenen Kräften zu vertrauen; aber andrerseits will er, dass wir uns seines guten Willens, uns zu retten, gewiss seien, und seiner Hilfe, die er uns schenkt, jedesmal wenn wir sie von ihm erbitten, damit wir auf seine Güte ein restloses Vertrauen haben. Der heilige Thomas sagt, dass wir mit Gewissheit von Gott die ewige Seligkeit erwarten sollen, im Vertrauen auf seine Macht und Barmherzigkeit, wobei wir fest glauben, dass Gott uns retten kann und will.

Somit, wenn unsere Hoffnung auf Gott für unser Heil sicher sein soll (gemäß dem, was der heilige Thomas sagt: "Sicheres Erwarten der Seligkeit") folglich muss der Beweggrund der Hoffnung sicher sein; sonst, wenn die Grundlage dieser Hoffnung nicht sicher wäre, sondern zweifelhaft, so dürften wir nicht sicher von Gott das Heil und die dazu notwendigen Mittel erhoffen und erwarten. Aber der heilige Paulus will, dass wir ohne weiteres in der Hoffnung feststehend und unbeweglich sind, wenn wir gerettet werden wollen: «Doch müsst ihr unerschütterlich und unbeugsam am Glauben festhalten und dürft euch nicht von der durch das Evangelium verheißenen Hoffnung abbringen lassen, das ihr gehört habt» Kol 1,23. Und an einer andern Stelle bestätigt er es, indem er sagt, dass unsere Hoffnung unerschütterlich sein muss, wie ein sicherer und fester Anker, da sie sich ja auf Gottes Verheißungen stützt, der nicht betrügen kann: «Wir verlangen aber, dass jeder von euch denselben Eifer aufweise zur Vervollständigung der Hoffnung bis ans Ende, ... damit wir durch zwei unverrückbare Dinge, bei denen es unmöglich ist, dass Gott täuscht, eine ganz starke Ermutigung haben, die wir unsere Zuflucht zu ihm nahmen, die vorausliegende Hoffnung zu ergreifen. In ihr haben wir wie einen Anker der Seele, sicher und fest» Hebr 6,l1.18f. Daher sagt der heilige Bernhard, dass unsere Hoffnung nicht ungewiss sein kann, da sie sich auf die unfehlbaren Verheißungen der ewigen Wahrheit stützt. Und indem er von sich selber spricht (sagt er an einer andern Stelle), meine Hoffnung beruht auf drei Dingen, auf der Liebe, mit der uns Gott als Söhne angenommen hat, auf der Wahrheit seiner Verheißung und auf seinem Vermögen sie zu erfüllen.

Und darum will der heilige Apostel Jakobus, dass, wer die göttlichen Gnaden begehrt, die er braucht, sie von Gott erbittet nicht mit Zweifeln, sondern mit dem sichern Vertrauen, sie zu bekommen (Jak 1,6). Sonst sagt er, wenn er sie von Zweifeln hin- und hergeworfen erbittet, wird er nichts bekommen. «Wer bittet, soll aber voll Glauben bitten und nicht zweifeln; denn wer zweifelt, ist wie eine Welle, die vom Wind im Meer hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, dass er vom Herrn etwas erhalten wird» (vgl. Jak 1,6f). Und der heilige Paulus lobt Abraham darin, dass er in nichts gezweifelt hat an der göttlichen Verheißung, wohl wissend, dass, wenn Gott etwas verheißt, er nicht (gegen sein Wort) fehlen kann (vgl. Röm 4,20). Darum hat uns auch Jesus Christus ermahnt, dass wir alle Gnade empfangen werden, die wir wünschen, wenn wir sie mit dem sichern Vertrauen, sie zu bekommen, erbitten (vgl. Mk 11,24). Kurz und gut, Gott will uns nicht erhören, wenn wir nicht mit der Gewissheit, erhört zu werden, glauben.

Nun kommen wir zu unserem Streitpunkt. Unsere Hoffnung, das Heil zu erlangen und die notwendigen Mittel, um dahin zu gelangen, muss also sicher sein von Gott her. Die Beweggründe, die diese Sicherheit begründen, wie wir gesehen haben, sind die Macht, die Barmherzigkeit und die Treue Gottes: doch unter diesen drei Beweggründen ist der stärkste und sicherste die unfehlbare Treue Gottes aufgrund der Verheißung, die er uns wegen der Verdienste Jesu Christi gegeben hat, uns zu retten und uns die notwendigen Gnaden zu gewähren, um das Heil zu erlangen, denn so sehr wir glauben, dass Gott von unendlicher Macht und Barmherzigkeit ist, nichtsdestoweniger (bemerkt richtig Juénin) dürften wir nicht mit sicherem Vertrauen das Heil vom Herrn erhoffen, wenn er es uns nicht sicher versprochen hätte. Doch dieses Versprechen steht unter der Bedingung, dass wir mit den Werken entsprechen und dass wir beten, wie es aus der Heiligen Schrift feststeht: «Bittet und ihr werdet empfangen» Mt 7,7; «Um was auch immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben» Joh 15,16; «Euer Vater im Himmel wird denen Gutes geben, die ihn bitten» Mt 7,11; «Allzeit muss man beten» Lk 18,1; «Ihr empfangt nichts, weil ihr nicht darum bittet» Jak 4,2; «Fehlt es einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten» Jak 1,5. Und aus vielen andern ähnlichen Texten, die wir oben erwähnt haben. Deshalb sagen die heiligen Väter und die Theologen allgemein, wie wir im ersten Kapitel des ersten Teils nachgewiesen haben, dass das Gebet ein unerlässliches Mittel zum Heil ist.

Nun aber wenn wir nicht sicher wären, dass Gott allen Menschen die Gnade gibt, um wirksam beten zu können, ohne einer andern besonderen Gnade zu bedürfen, die nicht allen gemeinsam ist, so könnten wir in Gott keine sichere und feste Grundlage finden, um das Heil sicher zu erhoffen, sondern nur einen ungewissen und bedingten Beweggrund. Wenn ich die Gewissheit habe, dass ich mit Beten das ewige Leben empfangen werde und alle notwendigen Gnaden, um es zu erlangen, und wenn ich weiß, dass Gott mir nicht die Gnade verweigern wird, um wirksam zu beten, wenn ich will (da er sie ja allen gewährt), dann habe ich eine sichere Grundlage, um von Gott das Heil zu erhoffen, sobald ich tue, was von mir abhängt. Wenn ich hingegen daran zweifle, ob mir Gott die besondere Gnade geben wird oder nicht, die er ja nicht allen gibt, und die notwendig ist, um wirksam zu beten, dann habe ich keine sichere Grundlage, um von Gott das Heil zu erhoffen, sondern nur eine zweifelhafte und ungewisse, weil es für mich ungewiss ist, ob Gott mir diese besondere Gnade geben wird, deren ich bedarf, um zu beten, zumal er sie ja vielen verweigert. Und so wäre meine Hoffnung ungewiss, nicht nur von meiner Seite, sondern auch von Seiten Gottes; und damit wäre dann die christliche Hoffnung zerstört, welche nach dem Apostel unerschütterlich, fest und zuverlässig sein muss. Ich sage die Wahrheit, ich weiß nicht, wie der Christ das Gebot der Hoffnung erfüllen kann, wobei er mit sicherem Vertrauen von Gott das Heil und die dazu notwendigen Gnaden erhofft, wie er muss, ohne dass er für gewiss hält, dass Gott allgemein jedem die Gnade gibt, wirksam zu beten, sobald er will, ohne einer weitern besondern Hilfe zu bedürfen.

Um also zum Schluss zu kommen mit unserem System oder mit unsrer Lehrmeinung (die schon von gar vielen Theologen und von unsrer geringsten Kongregation vertreten wird) stimmt einerseits gut überein mit der wirksamen Gnade und andrerseits mit der hinreichenden Gnade. Wir sprechen von der an und für sich wirksamen Gnade, womit wir unfehlbar (wenn auch frei) das Gute tun; denn man kann nicht leugnen, dass Gott sehr wohl aufgrund seiner Allmacht die menschlichen Herzen hinneigen und bewegen kann, freiwillig das zu wollen, was er will gemäß den Aussagen der Heiligen Schrift: «Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn, er lenkt es, wohin er will» Spr 21,1. «Ich werde meinen Geist in euch legen und bewirken, dass ihr meinen Gesetzen folgt» Ez 36,27. «Mein Plan steht fest, und alles, was ich will, führe ich aus» Jes 46,10. «Den Häuptern des Landes nimmt er den Verstand ... und er lässt sie umherirren wie Trunkene» Ijob 12,24. «Der Gott des Friedens mache euch tüchtig in allem Guten, damit ihr seinen Willen tut, er bewirke in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus» Hebr 13,21. Der Herr hält die Herzen der Menschen in seiner Hand; er ändert sie, er bereitet sie vor, das Gute zu tun nach seinem Willen; er bewirkt in ihnen, was ihm gefällt.

Und man kann nicht leugnen, dass der heilige Augustin und der heilige Thomas die Lehrmeinung von der Wirksamkeit der Gnade aus sich und von ihrer Natur aus gelehrt haben. Das tritt klar in Erscheinung aus vielen ihrer Texte und besonders aus denen, die nun folgen. Der heilige Augustin sagt: "Gott hat das nicht gemacht, wenn nicht durch den Willen der Menschen selber, doch hatte er ohne jeden Zweifel die allmächtigste Kraft, die menschlichen Herzen dazu hinzuneigen". An andrer Stelle: "Der allmächtige Gott wirkt im Herzen der Menschen, um durch sie das zu tun, was er gewollt hat, dass sie es tun". Anderswo: "Obschon die Menschen Gutes tun, was die Verehrung Gottes betrifft, so bewirkt doch er selber, dass sie tun, was er geboten hat". Anderswo: "Es ist gewiss, dass wir es sind, die handeln, wenn wir wirken, aber er ist es, der bewirkt, dass wir handeln, indem er hochwirksame Kräfte für den Willen beisteuert; denn er hat gesagt: Ich werde euch wandeln lassen auf den Wegen meiner Heiligkeit" Ez 36,27. Anderswo über den Text des Apostels: «Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, noch über euren guten Willen hinaus» Phil 2,13 sagt er: "Also sind wir es, die wollen, aber Gott ist es, der in uns das Wollen und das Vollbringen bewirkt". Anderswo: "Weil der Wille vom Herrn vorbereitet wird, so müssen wir von ihm erbitten, dass wir soviel wollen, wie genügt, dass wir es durch Wollen tun". Anderswo: "Gott versteht es, in den Herzen der Menschen selbst zu wirken, nicht damit die Menschen, was unmöglich geschehen kann, ohne zu wollen, glauben, sondern, dass sie aus nicht Wollenden, zu Wollenden werden". Anderswo: "Er bewirkt in den Menschen nicht nur echte Offenbarungen, sondern auch Taten guten Willens". Anderswo:. "Unsere Absichten sind soviel wert, wie Gott will, dass sie wert sind". Anderswo: "Der Wille, der die Schöpfung dieser Zeit bewahrt, steht dermaßen in Gottes Macht, dass er die einzelnen Willensäußerungen, wohin er will, wann er will, hinneigen lässt". Der heilige Thomas, der engelgleiche Lehrer, sagt sodann mit dem heiligen Augustin an einer Stelle: "Gott lenkt unwandelbar den Willen des Menschen aufgrund der Wirksamkeit der Tugendkraft des Bewegenden, die nicht versagen kann". Und an einer andern Stelle: "Die Liebe hat eine Unfähigkeit zum Sündigen aus der Wirkkraft des Heiligen Geistes, der unfehlbar alles bewirkt, was er will; deshalb ist es unmöglich, dass folgende zwei Dinge zugleich wahr seien: dass der Heilige Geist jemanden zu einem Akt der Liebe bewegen will, und dass ein solcher die Liebe verliere, indem er sündigt". Anderswo: "Wenn Gott den Willen zu etwas bewegt, so ist es in dieser Lage unmöglich, dass der Wille nicht dazu bewegt wird".

Andrerseits verträgt sich mit unsrer Lehrmeinung gut die wahrhaft hinreichende Gnade, die allen Menschen gemeinsam ist, und wenn der Mensch dieser Gnade und mit dieser Gnade entspricht, wird er die wirksame Gnade bekommen; wenn er ihr hingegen nicht entspricht und widersteht, wird ihm diese wirksame Gnade gerechterweise verweigert werden. Und so wird den Sündern jede Entschuldigung weggenommen, die sagen, sie hätten nicht die Kraft, die Versuchungen zu überwinden; denn wenn diese beten würden, gemäß der ordentlichen Gnade, die schon jedem geschenkt wird, so bekäme er diese Kraft und er würde gerettet.

Im andern Fall, wenn man diese gewöhnliche Gnade nicht annimmt, mit der jeder wenigstens beten kann (ohne einer weitem besondern Gnade zu bedürfen, die nicht allen gemeinsam ist), und indem er betet, größere Hilfe bekommen kann, um das Gesetz zu beobachten, so weiß ich nicht, wie man so viele Stellen der Heiligen Schrift verstehen kann, wo die Seelen ermahnt werden, zu Gott zurückzukehren, die Versuchungen zu überwinden und den himmlischen Einladungen zu entsprechen: «Ihr Treulosen, nehmt es zu Herzen» Jes 46,8. «Kehret um, wendet euch ab von all euren Vergehen!» Ez 18,30. «Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt» Ez 18,32. «Schüttle den Staub von dir ab, steh auf du gefangenes Jerusalem» Jes 52,2. «Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt» Mt 11,28. «Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!» 1 Petr 5,9. «Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt» Joh 12,35. Ich weiß nicht (sage ich), ob es jemals zuträfe, dass nicht allen die Gnade zu beten gegeben wurde, und durch das Gebet, die größere Hilfe zu bekommen, um das Heil zu erlangen, wie man dann die oben erwähnten Schriftstellen verstehen könnte und wie die heiligen Redner überall mit soviel Kraft alle Menschen ermahnen könnten, sich zu bekehren, den Feinden ihrer Seele Widerstand zu leisten, auf dem Weg der Tugenden zu gehen; und um all das zu erlangen, mit Vertrauen und Beharrlichkeit zu beten, wenn die Fähigkeit, Gutes zu tun oder wenigstens zu beten, nicht jedem gewährt würde, sondern nur jenen, denen die wirksame Gnade gegeben wird. Und ich weiß nicht, wie der Vorwurf gerecht sein könnte, der auch überall allen Sündern gemacht wird, die der Gnade widerstehen und die göttliche Stimme verachten: «Ihr widerstrebt allzeit dem Heiligen Geist» Apg 7, 51. «Als ich rief, habt ihr euch geweigert, meine drohende Hand hat keiner beachtet; jeden Rat, den ich euch gab, habt ihr ausgeschlagen, meine Mahnung gefiel euch nicht» Spr 1,24f. Wenn ihnen auch die entfernte, aber wirksame Gnade des Gebetes gefehlt hätte, die ja schon von den Gegnern als notwendig vorausgesetzt wird, um wirksam zu beten, so weiß ich nicht (sage ich), wie man ihnen all das gerechter Weise vorwerfen könnte.

ABSCHLIEßENDE ZUSAMMENFASSUNG

Ich komme zum Schluss. Manch einer hätte sich vielleicht gewünscht, wie ich mir denke, dass ich mich mehr ausgedehnt hätte, um in diesem Werk den wichtigen Streitpunkt genau zu untersuchen worin die Wirksamkeit der Gnade bestehe gemäß den so unterschiedlichen Systemen, die heutzutage von den Theologen gelehrt werden, von der physischen Prämotion, von der angemessenen Gnade, von der begleitenden Gnade, vom relativ durch eine Überlegenheit der Stufen obsiegenden Gefallenfinden. Aber um das zu tun, genügte dieses Büchlein nicht, das ich absichtlich möglichst klein zu halten suchte, damit es leichter gelesen würde. Um mich daran zu machen, ein so weites Meer zu durchqueren, hätte es mehrerer Bände bedurft; doch diese mühevolle Arbeit wurde bereits hinreichend von andern geleistet; und dann war das eben nicht meine Absicht. Ich wollte unter anderem nur den Streitpunkt festlegen, der in diesem zweiten Teil vorgelegt wurde, zur Ehre der göttlichen Vorsehung und Güte, um die armen Sünder zu ermutigen, damit sie sich nicht der Verzweiflung überließen, indem sie glaubten, die notwendige Gnade wäre ihnen entzogen, aber auch, um ihnen jede Entschuldigung wegzunehmen, wenn sie sagen möchten, sie hätten nicht die Kraft, den Angriffen der Sinnlichkeit und der Hölle zu widerstehen; indem ich sie einsehen ließ, dass keiner von denen, die verlorengehen, wegen der Erbsünde Adams verlorengeht, sondern allein durch seine eigene Schuld; denn Gott verweigert keinem die Gnade des Gebetes, wodurch man von Gott die Hilfe bekommt, jedes ungeordnete Begehren und jede Versuchung zu überwinden.

Im übrigen war meine Hauptabsicht, allen den Gebrauch dieses mächtigsten und notwendigsten Mittels des Gebetes nahezubringen, damit jeder mit größerer Sorgfalt darauf achte und dass er mit mehr Mut und Eifer wünsche, gerettet zu werden; wo doch so viele arme Seelen die göttliche Gnade verlieren und weiter in der Sünde dahinleben und am Ende verlorengehen, weil sie nicht beten und sich nicht um Hilfe an Gott wenden. Das Schlimmste ist doch (und ich kann es nicht unterlassen, es zu wiederholen), dass wenige Prediger und wenige Beichtväter mit Absicht danach streben, ihren Hörern und Beichtkindern den Gebrauch des Betens nahezubringen, ohne das es unmöglich ist, die göttlichen Gebote zu beobachten und die Beharrlichkeit in der göttlichen Gnade zu erlangen.

Da ich die absolute Notwendigkeit des Betens beobachtet habe, welche die ganze Heilige Schrift auferlegt, wovon sowohl das Alte wie das Neue Testament voll sind, habe ich veranlasst, bei den Missionen unsrer Kongregation, wie es seit vielen Jahren geübt wird, einzuführen, dass nie die Predigt über das Gebet weggelassen wird. Und ich sage und wiederhole es und werde es immer wiederholen, solange ich leben werde, dass unser ganzes Heil auf dem Beten beruht; und dass deshalb alle Schriftsteller in ihren Büchern, alle geistlichen Redner in ihren Predigten und alle Beichtväter bei der Spendung des Bußsakramentes nichts anderes mehr als das einhämmern sollten, allzeit zu beten, indem sie allzeit dazu ermahnen, es immerfort laut hinausrufen und wiederholen: BETET, BETET UND LASST NIEMALS DA VON AB ZU BETEN; DENN WENN IHR BETEN WERDET, WIRD EURE RETTUNG SICHER SEIN; WENN IHR ABER DAS BETEN AUFGEBT, WIRD EURE VERDAMMNIS SICHER SEIN. So sollten es alle Prediger, alle Seelenführer machen, denn gemäß der Lehrmeinung jeglicher katholischen Schule, stellt keine von ihnen diese Wahrheit in Zweifel, dass wer betet, die Gnaden erlangt und gerettet wird; aber allzu wenige sind es, welche sich in der Praxis diese Mühe geben, und deshalb werden so wenige gerettet.

GEBETE

Gebet um die Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende zu erlangen

Ewiger Vater, ich bete dich demütig an und danke dir, dass du mich erschaffen und durch Jesus Christus erlöst hast. Ich danke dir, dass du mich Christ werden ließest, indem du mir den wahren Glauben gegeben und mich als dein Kind angenommen hast durch die heilige Taufe. Ich danke dir, dass du mich zur Buße erwartet hast nach meinen so zahlreichen Sünden und mir alle Beleidigungen (wie ich hoffe) verziehen hast, die ich dir zugefügt habe, die ich von neuem bereue, weil ich dir, unendliche Güte, missfallen habe. Dir danke ich auch, dass du mich vor vielen Rückfällen bewahrt hast, in die ich wieder hineingeraten wäre, wenn nicht du mit deiner Hand mich davor bewahrt hättest. Aber die Feinde meiner Seele hören nicht auf und werden nicht aufhören, mich bis zum Tode zu bekämpfen, um mich wieder als ihren Sklaven zu sehen. Wenn du mich nicht verteidigst und mir mit deiner fortwährenden Hilfe beistehst, werde ich wieder elendiglich deine Gnade verlieren. Ich bitte dich also aus Liebe zu Jesus Christus gewähre mir die heilige Beharrlichkeit bis zum Tode. Dein vielgeliebter Sohn Jesus hat uns versprochen, um was auch immer wir in seinem Namen bitten werden, wirst du es uns gewähren. Darum bitte ich dich um der Verdienste Jesu Christi willen für mich und für alle, die in deiner Gnade stehen, dass wir uns nie mehr von deiner Liebe trennen, um dich in diesem und im andern Leben immer zu lieben. Maria, Muttergottes, bitte Jesus für mich.

Gebet ZU JESUS CHRISTUS um seine heilige Liebe zu erlangen

Mein gekreuzigter Jesus, ich glaube an dich und bekenne dich als den wahren Sohn Gottes und meinen Retter. Ich bete dich an aus dem Abgrund meines Nichts. Und ich danke dir für den Tod, den du für mich erlitten hast, um mir das Leben der göttlichen Gnade zu erlangen. Mein geliebter Erlöser, dir verdanke ich mein ganzes Heil. Durch dich wurde ich bisher von der Hölle befreit. Durch dich habe ich die Verzeihung meiner Sünden empfangen. Doch ich Undankbarer anstatt dich zu lieben, habe wieder angefangen, dich zu beleidigen. Ich verdiente dazu verurteilt zu werden, dich nicht mehr lieben zu dürfen; aber nein, mein Jesus, gib mir jede andere Strafe, nur nicht diese. Wenn ich dich in der Vergangenheit nicht geliebt habe, so liebe ich dich jetzt, und ich wünsche nichts anderes als dich von ganzem Herzen zu lieben. Doch ohne deine Hilfe vermag ich nichts. Da du mir also befiehlst, dass ich dich liebe, gib mir die Kraft, um diesen deinen so süßen und liebenswürdigen Befehl auszuführen. Du hast versprochen all das zu geben, was man von dir erbittet: Bittet um was ihr wollt, es wird euch gegeben (Joh 15,7). Im Vertrauen also auf diese Verheißung, mein lieber Jesus, ersuche ich dich erstens um die Verzeihung all meiner Sünden, die ich mehr als jedes Übel bereue, weil ich dich die unendliche Güte beleidigt habe. Ich bitte dich um die heilige Beharrlichkeit in deiner Gnade bis zum Tode. Aber vor allem erbitte ich von dir die Gabe deiner heiligen Liebe. Ach mein Jesus, meine Hoffnung, meine Liebe und mein Alles, entflamme mich mit jenem Feuer der Liebe, das du auf Erden anzuzünden gekommen bist (Lk 12,49). Und darum mache, dass ich immer deinem Heiligen Willen gleichgestaltet lebe. Erleuchte mich, damit ich immer mehr erkenne, wie sehr du verdienst, geliebt zu werden, und die unermessliche Liebe, die du mir entgegengebracht hast, besonders indem du dein Leben für mich hingegeben hast. Bewirke also, dass ich dich mit dem ganzen Herzen liebe, dass ich dich für immer liebe und immer von dir in diesem Leben die Gnade erbitte, dich zu lieben; damit ich immer in deiner Liebe lebend und das Leben darin beendend, eines Tages dahin gelange, dich mit all meinen Kräften im Himmel zu lieben, um nie mehr aufzuhören, dich in alle Ewigkeit zu lieben.

O Mutter der schönen Liebe, Maria, meine Füsprecherin und meine Zuflucht, die du das liebenswürdigste Geschöpf bist, das Gott am meisten liebt und von ihm am meisten geliebt wird, und die du nichts anderes wünschest als ihn von allen geliebt zu sehen, ach, bitte für mich aufgrund der Liebe, die du zu Jesus Christus hegst, und erlange mir die Gnade, ihn immer zu lieben und mit meinem ganzen Herzen: darum bitte ich dich, von dir erhoffe ich es. Amen.

Gebet um das Vertrauen auf die Verdienste Jesu Christi und auf die Fürsprache Mariens zu erlangen

Ewiger Vater, ich danke dir, so viel ich aus mir vermag und von Seiten aller Menschen, für die große Barmherzigkeit, die du an uns aufgewendet hast, indem du deinen Sohn gesandt hast, Mensch zu werden und zu sterben, um uns das Heil zu erlangen; ich danke dir dafür und ich möchte ihm Dank sagen, dir so viel Liebe erwidern, wie eine so große Wohltat verdient. Vergib du uns um seiner Verdienste willen unsere Schulden, während diese deiner Gerechtigkeit für die von uns verdienten Strafen Genugtuung geleistet haben: im Austausch dafür nimm du uns arme Sünder in deine Gnade auf, die wir nichts anderes als Hass und Züchtigungen verdienen, für sie lässt du die Menschen zu, im Paradies zu herrschen; für sie bist du letztlich verpflichtet, jede Gabe und Gnade dem zu gewähren, der sie von dir im Namen Jesu Christi erbittet.

Ich danke dir auch, du unendliche Güte, dafür, dass du uns, um unser Vertrauen zu unterstützen, außer Jesus Christus, den du uns zum Erlöser gegeben hast, uns auch noch deine geliebte Tochter Maria zur Fürsprecherin gegeben hast, damit sie mit diesem Herzen, das du ihr voller Barmherzigkeit gegeben, nicht aufhört, jedem Sünder, der zu ihr eilt, mit ihrer Fürsprache zu helfen; und diese ihre Fürsprache hast du bei dir so machtvoll gemacht, dass du, welche Gnade auch immer sie bei dir suchen will, sie ihr nicht verweigern kannst.

Somit willst du, dass wir ein großes Vertrauen auf die Verdienste Jesu und auf die Fürsprache Mariens haben. Aber dieses Vertrauen ist eine Gabe von dir und eine große Gabe, die du nicht schenkst außer dem, den du gerettet sehen willst. Um dieses Vertrauen also auf das Blut Jesu Christi und auf die Fürsprache Mariens bitte ich dich, und ich bitte dich darum um der Verdienste Jesu und Mariens willen. Auch an dich wende ich mich, mein teurer Erlöser; zu diesem Zweck hast du das Leben am Kreuze aufgeopfert, um mir, der ich nur der Strafen würdig war, dieses Vertrauen auf deine Verdienste zu erwerben; verwirkliche also den Zweck, wofür du gestorben bist, bewirke, dass ich alles erhoffe im Vertrauen auf dein Leiden. Und du, o Maria, meine Mutter und meine Hoffnung nach Jesus Christus, erflehe du mir ein festes Vertrauen zuerst auf die Verdienste Jesu, deines Sohnes, und dann auf die Fürsprache deiner Gebete: alles vermögende Gebete, die vom Herrn alles erlangen, was sie erbitten. O mein geliebter Jesus, o meine süße Maria, dir vertraue ich meine Seele an, dir übergebe ich sie, die du so sehr geliebt hast, habe Mitleid mit ihr und rette SIe.

Gebet um die Gnade zu bekommen, allzeit zu beten

Du Gott meiner Seele, ich hoffe auf deine Güte, um in deiner Huld zu stehen und dass du mir bereits alle meine Beleidigungen, die ich dir zugefügt habe, verziehen hast. Ich danke dir dafür von ganzem Herzen und hoffe, dir dafür die ganze Ewigkeit zu danken. «Von den Taten deiner Huld, o Herr, werde ich ewig singen» Ps 89,2. Ich sehe schon ein, dass die Ursache für mein Fallen darin liegt, dass ich es vernachlässigt habe, zu dir Zuflucht zu nehmen in meinen Versuchungen und dich um die heilige Beharrlichkeit zu bitten. Für die Zukunft nehme ich mir fest vor, mich immer dir anzuempfehlen, und besonders dann, wenn ich mich in Gefahr sehe, dich wiederum zu beleidigen. Ich nehme mir vor, immer zu deiner Barmherzigkeit Zuflucht zu nehmen, wobei ich immer die heiligsten Namen Jesu und Mariens anrufe: in der Gewissheit, dass ihr dann nicht aufhören werdet, wenn ich bete, mir die Kraft zu geben, die ich nicht habe, um meinen Feinden zu widerstehen. So nehme ich mir vor und verspreche ich zu tun. Aber wozu werden mir, mein Gott, all diese Vorsätze und Versprechen dienen, wenn ihr mir nicht mit eurer Gnade beisteht, das auszuführen, was ich mir vorgenommen habe, das heißt allzeit zu euch Zuflucht zu nehmen in meinen Gefahren? Ach, hilf mir, du ewiger Vater, aus Liebe zu Jesus Christus, und lass nicht zu, das ich es unterlasse, mich euch anzuempfehlen, jedesmal wenn ich versucht werde. Ich bin sicher, dass ihr mir immer helfen werdet, wenn ich zu euch Zuflucht nehmen werde. Doch das ist meine Befürchtung, ich fürchte, dass ich es versäumen werde, mich dir anzuempfehlen, und dass diese meine Nachlässigkeit dann die Ursache für mein Verderben sein soll, das heißt deine Gnade zu verlieren, was das größte Verderben ist, das mir zustoßen kann. Ach, um der Verdienste Jesu Christi willen, gib mir die Gnade zu beten, aber eine reichliche Gnade, die mich immer beten heißt, und beten, wie es sich gehört. O Maria, meine Mutter, immer wenn ich zu dir meine Zuflucht genommen habe, hast du mir die Hilfe erfleht, nicht zu fallen. Nun eile ich zu dir, damit du mir eine größere Gnade erflehst, das heißt, dass ich mich in all meinen Bedürfnissen für immer deinem Sohn und dir empfehle. Meine Königin, du erlangst von Gott alles, was du suchst, erlange mir jetzt um der Liebe Jesu Christi willen, diese Gnade zu beten, um die ich dich bitte, und bis zum Tode es nie zu unterlassen zu beten. Amen.

Gebet, das jeden Tag verrichtet werden soll, um die zum Heil notwendigen Gnaden zu empfangen

Ewiger Vater, dein Sohn hat uns versprochen, dass du uns alle Gnaden erweisen würdest, die wir in seinem Namen von dir erbitten würden. Im Namen, also durch die Verdienste, Jesu Christi bitte ich dich für mich und für alle Menschen um die folgenden Gnaden. Zum Ersten bitte ich dich, mir einen lebendigen Glauben in allem zu geben, was die heilige römische Kirche mich lehrt. Gewähre mir zugleich dein Licht, das mich die Eitelkeit der irdischen Güter erkennen lassen soll, und die Größe des unendlichen Gutes, das du selber bist; dann lass mich auch die Hässlichkeit der von mir begangenen Sünden erkennen, um mich zu demütigen und damit ich sie verabscheue, wie es sich gehört, und den Wert deiner Güte, damit ich dich von ganzem Herzen liebe. Lass mich auch die Liebe erkennen, die du mir entgegengebracht, damit ich von heute an bestrebt bin, dankbar zu sein für eine so große Güte. Zum Zweiten gib mir Vertrauen auf deine Barmherzigkeit, die Verzeihung meiner Sünden, die heilige Beharrlichkeit und schließlich die Herrlichkeit im Paradies zu erlangen um der Verdienste Jesu Christi und der Fürsprache Mariens willen. Zum Dritten gib mir eine große Liebe zu dir, die mich loslöst von allen Neigungen zum Irdischen und zu mir selbst, um nur noch dich zu lieben und mich für nichts anderes einzusetzen und nichts anderes zu ersehnen als deine Ehre. Zum Vierten bitte ich dich, mir zu geben, dass ich mich vollkommen in deinen Willen ergebe, indem ich im Frieden die Schmerzen, die Krankheiten, die Verachtungen, die Verfolgungen, die geistliche Trockenheit, den Verlust von Hab und Gut, von Hochschätzung oder von Verwandten und jedes andere Kreuz, das mir aus deinen Händen zukommen wird, annehme. Ich biete mich dir ganz an, damit du aus mir und aus all meinen Sachen machst, was dir gefällt; du aber gib mir Licht und Kraft, all deine heiligen Absichten auszuführen; und besonders beim Sterben gib mir die Hilfe, um dir das Leben hinzuopfern mit all meiner Liebe in Vereinigung mit dem großen Opfer seines Lebens, das dir dein Sohn Jesus auf Kalvaria am Kreuz darbrachte. Zum Fünften bitte ich dich um einen großen Schmerz über meine Sünden, der mich immer betrübt leben lasse, indem ich bis zu meinem Tode die Verdrusse beklage, die ich dir, du höchstes Gut, bereitet habe, der du unendlicher Liebe würdig bist und mich so sehr geliebt hast. Zum Sechsten bitte ich dich mir den Geist wahrer Demut und Sanftmut zu geben, der mich im Frieden und Freude alle Verachtungen, Undankbarkeiten und Misshandlungen umfassen lasse, die ich von den Menschen erfahren werde. Und damit bitte ich dich, mir eine vollkommene Liebe zu geben, die mich dem Gutes wünschen lässt, der mir Böses getan, und mich dafür einzusetzen, Gutes zu tun, so weit ich es kann, indem ich wenigstens für all jene bete, die mir irgendeine Beleidigung zugefügt haben. Zum Siebten bitte ich dich, mir Liebe zur Tugend der heiligen Abtötung zu geben, dass sie mich meine rebellischen Sinne züchtigen und meiner Eigenliebe widersprechen lässt, und damit bitte ich dich, mir die heilige Reinheit des Leibes zu geben, indem du mir die Hilfe gibst, allen unanständigen Versuchungen zu widerstehen, wobei ich dann immer zu dir eile und zu deiner heiligsten Mutter. Gib mir die Gnade, pünktlich den Befehlen meines Seelenführers und all meiner Vorgesetzten zu gehorchen. Gib mir die redliche Absicht, damit alles, was ich tue, und was ich wünsche, zu deiner Ehre gereiche und zu deiner Freude. Gib mir ein großes Vertrauen auf das Leiden Jesu Christi und auf die Fürsprache Mariens, der Unbefleckten. Gib mir eine große Liebe zum Heiligsten Altarsakrament und eine innige Andacht und Liebe zu deiner heiligen Mutter. Gib mir, ich bitte dich, vor allem die heilige Beharrlichkeit und die Gnade sie von dir immer zu erbitten, besonders zur Zeit der Versuchungen, und meines Todes. Ich empfehle dir sodann die heiligen Seelen im Fegfeuer, meine Verwandten und Wohltäter, und in besondrer Weise empfehle ich dir all jene, die mich hassen oder die mich irgendwie beleidigt haben, ich bitte dich, ihnen mit Gutem zu vergelten, was sie mir Böses getan oder mir wünschen. Ich empfehle dir schließlich die Ungläubigen, die Häretiker und alle armen Sünder, gib ihnen Licht und Kraft aus der Sünde herauszukommen. O liebenswürdigster Gott, lass dich von allen erkennen und lieben, besonders aber von mir, der ich dir mehr als die andern undankbar gewesen bin, damit ich eines Tages durch deine Güte in Ewigkeit deine Barmherzigkeiten im Paradies besingen werde, wie ich aufgrund der Verdienste deines Blutes und der Fürsprache Mariens hoffe. O Maria, Muttergottes bitte Jesus für mich. So hoffe ich, so sei es.

FROMME GEDANKEN UND STOSSGEBETE

Mein Gott, wer weiß, welches Schicksal mich treffen wird?

Entweder werde ich immer glücklich sein oder immer unselig.

Wozu nützt mir die ganze Welt ohne Gott?

Mag man alles verlieren, wenn man nur Gott nicht verliert.

Ich liebe dich, Jesus, der du für mich gestorben bist. Oh würde ich doch sterben, ehe ich dich beleidige. Eher sterben als Gott verlieren.

Jesus und Maria, ihr seid meine Hoffnung. Mein Gott, hilf mir aus Liebe zu Jesus Christus. Mein Jesus, du allein genügst mir.

Lass nicht zu, dass ich mich von dir trenne.

Gib mir deine Liebe, und mach aus mir, was du willst.

Und wen soll ich lieben, wenn ich dich, meinen Gott, nicht liebe?

Ewiger Vater, hilf mir aus Liebe zu Jesus.

An dich glaube ich, auf dich hoffe ich, dich liebe ich.

Da bin ich, Herr, mach aus mir, was dir gefällt.

Wann werde ich sehen, dass ich ganz dein bin, mein Gott?

Wann wird es geschehen, dass ich dir sagen kann:

Mein Gott, nun kann ich dich nicht mehr verlieren?

Maria, meine Hoffnung, hab Erbarmen mit mir.

Muttergottes, bitte Jesus für mich.

Herr, wer bin ich, dass du von wir geliebt sein willst?

Mein Gott, dich allein will ich und, weiter nichts mehr.

Ich will in allem nur, was du willst.

Oh könnte ich mich doch ganz für dich verzehren, der du dich ganz für mich aufgerieben hast.

Den andern gegenüber habe ich mich dankbar gezeigt, nur gegen dich, meinen Gott, war ich undankbar.

Genug hab ich dich beleidigt, ich will dich nicht mehr beleidigen.

Wenn ich damals gestorben wäre, so könnte ich dich nicht mehr lieben.

Lass mich sterben, ehe ich dich beleidige.

Du hast auf mich gewartet, damit ich dich liebe, so will ich dich denn lieben.

Dir weihe ich das Leben, das mir noch bleibt. O mein Jesus, ziehe mich ganz an dich.

Du wirst mich nicht loslassen, ich werde dich nicht lassen.

Ich hoffe, dass wir uns allzeit lieben werden, o Gott meiner Seele.

Mein Jesus, mach mich ganz dein eigen, ehe ich sterbe.

Mach, damit ich dich dann besänftigt sehe, wenn du mich wirst richten müssen.

Zu sehr hast du mich verpflichtet, dich zu lieben, ich liebe dich, ich liebe dich.

Gestatte, dass ein Sünder dich liebe, der dich so sehr beleidigt hat.

Du hast dich ganz mir geschenkt, ich schenke mich ganz dir.

Ich will dich genug in diesem Leben lieben, um dich reichlich im andern zu lieben.

Lass mich dich als das große Gut, das du ja bist, erkennen, damit ich dich hinreichend liebe.

Du liebst, wer dich liebt, ich liebe dich, liebe auch du mich.

Gib mir die Liebe, die du von mir erbittest.

Ich freue mich, dass du unendlich glücklich bist.

Oh hätte ich dich doch immer geliebt, und wäre ich gestorben, ehe ich dich beleidigte.

Mach, dass ich alles überwinde, um dir Freude zu schenken.

Ich schenke dir meinen ganzen Willen; verfüge über mich, wie es dir gefällt.

Meine Freude ist es, dich du unendliche Güte zufriedenzustellen.

Ich hoffe dich ewig zu lieben, du ewiger Gott. Du bist allmächtig, drum mache mich heilig.

Du hast mich gesucht, als ich dich floh; du wirst mich doch jetzt nicht vertreiben, wo ich dich suche.

Ich danke dir, dass du mir Zeit gibst, dich zu lieben.

Dir danke ich dafür und liebe dich.

Heute soll der Tag sein, an dem ich mich ganz dir schenke.

Verabreiche mir jede Strafe, aber beraube mich nicht der Möglichkeit, dich zu lieben.

Ich will dich ohne Vorbehalt lieben, mein Gott.

Alle Strafen nehme ich hin, alle Verachtung, wenn ich dich nur liebe.

Sterben möchte ich für dich, der du für mich gestorben bist.

Ich möchte, dass alle dich liebten, wie du es verdienst.

All das will ich tun, was ich ahnen werde, dass es dich freut.

Mehr liebe ich deine Freude, als alle Freuden der Welt.

O Wille meines Gottbs, du bist meine Liebe.

O Maria, ziehe mich ganz zu Gott hin.

O meine Mutter, lass mich allzeit Zuflucht zu dir nehmen.

Du sollst mich heilig machen, so hoffe ich.

Es lebe Jesus, unsere Liebe, und Maria unsere Hoffnung.

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KURZE ABHANDLUNG ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT DES GEBETES, ÜBER DESSEN WIRKSAMKEIT UND ÜBER DIE BEDINGUNGEN, UNTER DENEN ES VERRICHTET WERDEN SOLL

(Seiten 252 bis 273)

§ 1. VON DER NOTWENDIGKEIT DES GEBETES

Wie sehr war eine Gotteslästerung, was Luther und Calvin gesagt haben, das heißt, die Beobachtung des göttlichen Gesetzes sei den Menschen unmöglich gemacht worden nach der Sünde Adams; und es war ein Irrtum, der auch von der Kirche verurteilt wurde, was Jansenius gesagt hat, dass einige Gebote auch für die Gerechten unmöglich seien, entsprechend den gegenwärtigen Kräften, die sie haben und es fehlte auch die göttliche Hilfe, um sie zu erfüllen; da das heilige Konzil von Trient erklärt habe (6. Sitz. 11. Kap.), dass Gott nichts Unmögliches befehle, sondern uns ermahnt, das zu tun, was wir mit den Kräften der gegenwärtigen Gnade tun können, oder wenigstens um die reichlichere Gnade zu bitten, die wir erstreben sollen, um das zu erfüllen, was wir nicht können, und dann gibt er uns schon die Hilfe, damit wir es können: Gott befiehlt keine unmöglichen Dinge (das sind Worte des Tridentinums), aber indem er befiehlt, mahnt er zu tun, was du kannst und zu erbitten, was du nicht kannst, und er hilft, damit du kannst; aufgrund dieser (Wahrheit) lehren viele ernsthafte Theologen (Habert, Theol. Graecor. PP. 1.2 c.6 n.l und c.15 n.2 u. 3): und gemeinsam versichert er diese allgemeine Lehrmeinung der Schulen und eben der Sorbonne (Thomassin, Du Plessis, Tournely), dass Gott allen entweder die nahe liegende Gnade zum Beobachten der Gebote, oder immerhin die entfernte Gnade zum Beten schenke oder wenigstens anbiete, womit dann jeder die naheliegende bekomme, um in der Tat die göttlichen Gesetze zu beobachten; es ist gewiss, dass das Beobachten des Gesetzes im gegenwärtigen Zustand der verdorbenen Natur sehr schwierig ist, ja sogar moralisch unmöglich ohne eine besondere Hilfe Gottes (über die gemeinsame hinaus), die größer sein müsste, als es deren im Zustand der Unschuld bedurft hätte. Nun aber gewährt Gott diese besondere Hilfe nicht, soweit wir von der gewöhnlichen Ordnung sprechen außer denen, die darum bitten. Gennadius, ein antiker Schriftsteller (der ins Werk des heiligen Augustinus hineingehört) lehrt, dass, ausgenommen die ersten anregenden Gnaden, die uns zukommen ohne unser Zutun, wie die Berufung zum Glauben, oder zur Buße, alle andern, und besonders die Gnade der Beharrlichkeit, nur denen geschenkt werden, die beten: "Keiner, glauben wir, gelangt zum Heil, wenn Gott ihn nicht treibt; und keiner, der angetrieben wird, kann sein Heil verwirklichen, wenn Gott ihm nicht hilft; niemand kann die Hilfe verdienen, wenn er nicht darum betet". Und an andrer Stelle setzt der heilige Augustin als sicher voraus: "Gott gewährt uns einige Gnaden, auch ohne dass wir ihn darum bitten, aber als Anfang des Glaubens: die andern Gnaden hat er nur für jene bereitgestellt, die beten".

Daraus ziehen die Theologen (Suarez, Habert, Layman, Segneri und andere mit dem heiligen Klemens von Alexandrien, den heiligen Basilius, Augustinus und Johannes Chrysostomus) den Schluss, dass das Bitten der Erwachsenen notwendig ist als Notwendigkeit des Mittels; das heißt, dass aufgrund der ordentlichen Vorsehung ein Gläubiger nicht gerettet werden kann, ohne dass er sich Gott anempfiehlt und ihn um die für sein Heil notwendigen Gnaden bittet. Der heilige Johannes Chrysostomus sagt, dass wie um zu leben, so für die Seele das Gebet notwendig ist, um sich in der göttlichen Gnade zu erhalten. Das will dieser Lehrsatz Jesu Christi bedeuten: "Es ist notwendig allzeit zu beten und nicht nachzulassen" Lk 18,1. Es ist also eine Notwendigkeit allzeit zu beten. Das will jenes andere Wort vom heiligen Jakobus sagen: «Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet» Jak 4,2. Das will heißen, was unser Heiland mit zwei Wörtern sagte: «Bittet und es wird euch gegeben» Lk 11,9. Wenn also, wer sucht, erlangt (sagt die heilige Teresa), so bekommt nichts, wer nicht sucht. «Gott will, dass alle gerettet werden» 1 Tim 2,4; ja Gott will alle gerettet sehen, aber er will, dass wir ihn um die Gnaden ersuchen, die uns notwendig sind, um uns zu retten. Wollen wir denn nicht einmal das tun? Wir beenden diesen ersten Punkt, indem wir aus dem, was gesagt wurde, schließen: Wer betet, wird sicher gerettet, wer nicht betet, wird sicher verdammt. Alle Heiligen wurden gerettet, und wurden Heilige durch das Beten. Alle Verdammten gingen verloren, weil sie nicht gebetet haben; wenn sie gebetet hätten wären sie sicher nicht verloren gegangen. Und das wird ihre größte Verzweiflung sein in der Hölle, dass sie mit solcher Leichtigkeit hätten gerettet werden können, indem sie von Gott seine Hilfe erbeten hätten und dass es nun nicht mehr an der Zeit ist, sie zu suchen.

§ 2. VON DER WIRKSAMKEIT DES GEBETES

Die Heilige Schrift ist voll von Texten, wodurch uns Gott zu verstehen gibt, dass er all unsere Bitten erhört. An einer Stelle sagt er: «Er wird mich anrufen und ich werde ihn erhören» Ps 91,15. Anderswo: «Flehst du ihn an, so hört er dich» Ijob 22,27. Anderswo: «Rufe mich an am Tage der Not; dann rette ich dich» Ps 50,15. Ja, anrufen wirst du mich, und ich werde dich befreien aus den Gefahren, verloren zu gehen. Anderswo: «Wer rief ihn an, und er erhörte ihn nicht?» Sir 2,10. Wer hat denn jemals Gott angerufen, und Gott hat ihn gering geschätzt, indem er seinen Bitten kein Ohr schenkte? Anderswo: «Der Herr ist dir gnädig, wenn du um Hilfe schreist; er wird, dir antworten, sobald er dich hört» Jes 30,19. Wenn du ihn also bitten wirst, wird er dir sofort antworten, das heißt, er wird dich erhören. Anderswo: « Schon ehe sie rufen, gebe ich Antwort, während sie noch reden, erhöre ich sie» Jes 65,24. Ehe sie damit fertig geworden sind, mir die Gnade darzulegen, die sie von mir fordern werden, werde ich sie erhören. Anderswo: «Gepriesen sei Gott, denn er hat mein Gebet nicht verworfen und mir seine Huld nicht entzogen» Ps 66,20. Unser Beten wird immer mit der Barmherzigkeit Gottes verbunden sein; daher sagt der heilige Augustin über diese Stelle, wenn wir daran sind uns Gott anzuempfehlen, sollen wir uns sehr erfreuen, denn während wir beten, sollen wir sicher sein, dass Gott uns erhört. Anderswo: «Bittet um alles, was ihr wollt, ihr werdet es erhalten» Joh 15,7. Bittet um so viel, wie ihr wollt, es genügt, dass ihr darum bittet, und es wird euch gewährt.

Daher sagt Theodoret, dass das Gebet alles vermögend ist: es ist einzig, aber alles kann es bekommen. Und der heilige Bonaventura sagt, dass man durch das Beten, den Erwerb jedes Gutes erlangt und die Befreiung von jedem Übel. Und wenn uns der Herr jemals (fügt der heilige Bernhard hinzu) nicht gerade die Gnade gewähren sollte, um die wir bitten, so dürfen wir sicher erhoffen, dass er uns eine nützlichere Gnade als jene schenkt. «Herr (sagte David zu ihm), du bist gütig und bereit zu verzeihen, für alle die zu dir rufen, reich an Gnade» (Ps 86,5). Und der heilige Jakobus sagt: «Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemand einen Vorwurf» Jak 1,5. Dieser Apostel sagt, dass denen die beten, der Herr nicht mit geschlossener Hand gibt, wie die Menschen auf Erden geben, weil der Reichtum der Menschen ein beschränkter Reichtum ist; sondern Gott hat, weil sein Reichtum unendlich ist, je mehr er gibt, um so mehr zum Geben, deshalb schenkt er großzügig, er gibt mit einer Hand, die freigebiger ist, als was wir vom ihm erbitten können. «Ohne Vorwurf», er hält uns nicht den Verdruss vor, den wir ihm bereitet haben, wenn wir zu ihm kommen, um ihn um die Gnaden zu bitten.

Das kommt daher, weil die Güte von ihrer Natur aus danach strebt, sich auszubreiten, darum hat Gott, der von Natur aus unendliche Güte ist (der heilige Leo sagt, "Gott, dessen Wesen die Güte ist"), das höchste Verlangen, uns seine Güter und seine Seligkeit mitzuteilen. Und das macht ihn besorgt um unser Wohl. «Der Herr sorgt für mich» Ps 40,18 sagte David. Und das ließ den heiligen König sprechen: «Die Feinde weichen zurück an dem Tage, da ich rufe. Ich habe erkannt: Gott steht mir zur Seite» Ps 56,10. Herr, wollte er sagen, wenn ich dich anrufe, erkenne ich sofort, dass du mein Gott bist, das heißt unendliche Güte, da du wünschest, dass du von uns gebeten wirst, um uns Gutes zu tun; während wir dich kaum um Gnaden gebeten haben, hast du sie uns schon gewährt. Eines Tages stellte sich ein armer Aussätziger bei unserem Heiland ein und sagte zu ihm: «Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen» Mt 8,2 und Jesus antwortete ihm: «Ich will, werde gereinigt»; als hätte er gesagt: Ach, mein Sohn, du zweifelst daran, dass ich dich heilen will und du weißt nicht, dass ich dein Gott bin, der ich den Wunsch habe, alle glücklich zu sehen? Und warum bin ich vom Himmel zur Erde hinabgestiegen, wenn nicht um alle zufrieden zu stellen? Ja, ich will es, sei geheilt.

Viele beklagen sich über Gott, dass er ihnen nicht die Gnaden gewährt, die sie ersehnen: aber der heilige Bernhard sagt, dass Gott sich besser über sie beklagte, dass sie ihn nicht bitten, und so schließen sie ihm die Hand, die er öffnen möchte, um ihnen Gutes zu tun, gemäß seinem Wunsch. Nein beklagt euch nicht über mich, sagt der Herr, wenn ihr von mir nicht die Gnaden erhalten habt, die euch Not taten; beklagt euch über euch selber, die ihr sie nicht von mir gefordert, und deshalb nicht bekommen habt; sucht sie von heute an und ihr werdet voll und ganz zufrieden sein: «Bis jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei» Joh 16,24.

Die Mönche der Antike hielten einst eine Ratsversammlung unter sich ab, um zu sehen, welches die nützlichste Übung wäre, um das ewige Heil abzusichern, und sie kamen zum Schluss, es sei das Bittgebet, wenn man sage: "O Gott, komm und rette mich!" Und Pater Paul Segneri sagte, indem er von sich redete, dass er sich bei der Betrachtung zuerst dabei aufhielt, Anmutungen zu erwecken, dann aber als er den großen Nutzen und die Notwendigkeit des Bittens erkannt hatte, war er darum besorgt, sich meistens beim Bitten aufzuhalten. Aber wie kommt es, dass einige beten, und dann nichts erlangen? Sie beten, aber sie beten nicht, wie man soll, und darum erlangen sie nichts: «Ihr betet und empfangt nicht, weil ihr in schlechter Absicht betet» Jak 4,3. Viele suchen die Gnaden, aber ohne die gebührenden Bedingungen. So wollen wir denn sehen, welches die notwendigen Bedingungen sind beim Beten, um die Gnaden zu erlangen.

§ 3. VON DEN BEDINGNUNGEN, UNTER DENEN DAS GEBET VERRICHTET WERDEN SOLL

Zum Ersten muss das Gebet demütig sein. «Gott widersteht den Hoffärtigen; den Demütigen aber gibt er Gnade» Jak 4,6. Der heilige Jakobus gibt uns also zu verstehen, dass Gott die Bitten der Stolzen nicht erhört, sondern ihnen widersteht; hingegen ist er ganz bereit, die Bitten der Demütigen zu erhören: «Das Flehen der Armen durchdringt die Wolken ... Es weicht nicht, bis Gott eingreift» Sir 35,21. Das Beten einer demütigen Seele dringt sogleich in den Himmel ein und wenn es sich vor den göttlichen Thron hinstellt, geht es von dort nicht weg, ohne dass Gott es anschaut und erhört. Und mag diese demütige Seele, die betet, noch so sündig sein; Gott kann ein Herz, das seine Sünden bereut und sich verdemütigt, nicht verachten: «Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du Gott nicht verschmähen» Ps 51,19.

Zum Zweiten muss das Gebet vertrauensvoll sein. «Wer hat auf den Herrn vertraut, ist dabei zuschanden geworden?» Sir 2,10. Der Heilige Geist versichert uns, dass es nie jemanden gegeben hat, der sein Vertrauen auf Gott gesetzt hat, und von ihm getäuscht worden sei. Der Herr sagte der heiligen Gertrud, dass wer mit Vertrauen zu ihm betet, (in gewissem Sinn) solche Gewalt auf ihn ausübt, dass er ihn nicht unerhört lassen kann in allem, was er von ihm erbittet. Der heilige Johannes Klimakos sagte: Das Gebet tut Gott Gewalt an, die ihm aber lieb und teuer ist (Tertullian). Wie lässt uns Jesus Christus im Vater unser-Gebet, das er uns gelehrt hat, um alle Gnaden zu erlangen, die für unser Heil notwendig sind, Gott anreden? Nicht Herr, nicht Richter, sondern Vater, ja Vater unser; denn er will, dass wir von Gott die Gnaden mit dem Vertrauen erbitten, mit dem ein armer oder kranker Sohn die Nahrung oder das Heilmittel von seinem eigenen Vater erbittet. Wenn ein Sohn vor Hunger am Sterben ist, genügt es, dass er es dem Vater kundtut, um sogleich unterstützt zu werden; und wenn er irgendwie von einer giftigen Schlange gebissen worden ist, genügt es, dass er dem Vater die Wunde unterbreite, die ihm zugefügt worden ist, damit der Vater sogleich bei ihm das Heilmittel anwendet, das er zur Hand hat. Darum hat unser Erlöser uns gesagt: «Bei allem, um was ihr betet und fleht, glaubt nur, dass ihr es empfangen habt, und es wird euch zuteil werden» Mk 11,24. Es genügt also, dass man mit Vertrauen bittet, um alles zu erlangen, was wir von Gott wollen. Und warum sollte der Herr uns so sehr ermahnt haben, um Gnaden zu bitten, wenn er sie uns dann nicht hätte gewähren wollen? (sagt der heilige Augustin De Verbo Domini, Sermo 5). Die kanaäische Frau, deren Tochter von einem Dämon besessen war, ging, um Jesus Christus zu bitten, dass er sie befreie, indem sie sprach: «Erbarme dich meiner, meine Tochter wird von einem Dämon gequält» Mt 15,22. Der Herr gab ihr zur Antwort: Ich bin nicht zu euch Heiden gesandt, sondern zum Wohl der Juden. Sie aber verlor den Mut nicht, sondern bat von neuem voll Vertrauen: Herr, du kannst mich trösten, tröste mich. Jesus erwiderte, aber das Brot der Kinder, soll man nicht den Hunden geben. Aber, Herr, (fügte sie hinzu), auch den Hündlein gewährt man die Brosamen, die vom Tische fallen. Da lobte sie der Herr, als er das große Vertrauen dieser Frau sah, und er erwies ihr die Gunst: "Frau, sagte er zu ihr, fürwahr, dein Glauben ist groß! Dir soll geschehen, wie du wünschest". Und von diesem Augenblick an war ihre Tochter geheilt Mt 15,28.

Vertrauen will er also bei uns, damit wir alles erlangen, was wir von Gott erbitten. Aber worauf sollen wir, wird einer sagen, dieses Vertrauen stützen? Worauf? Ich antworte, auf Gottes Güte und auf die Verheißungen, die er selber uns gegeben hat, indem er sagte: «Bittet und ihr werdet empfangen». Der heilige Augustin sagt: Und wer kann jemals befürchten, dass ihm das fehlen könnte, was ihm von der Wahrheit selber versprochen wird?

Zum Dritten muss das Gebet beharrlich sein, sonst wird man nicht das ewige Heil erlangen. Die Gnade der Rettung ist nicht eine einzige Gnade, sondern eine Kette von Gnaden, die sich dann alle vereinen mit der Gnade der Beharrlichkeit bis ans Ende. Nun aber muss dieser Kette von Gnaden (so zu sagen) eine andere Kette unsrer Gebete entsprechen. Über des heiligen Lukas Gleichnis vom Freund im Kap. 11, der sich, um sich von der Belästigung durch den andern zu befreien, von seinem Bett erhob und ihm alle Brote gab, die dieser erbat, sagt der heilige Augustin Folgendes: Wenn nun aber ein solcher Freund nur um sich von der Belästigung durch den andern zu befreien, ihm gegen seinen Willen die Brote geben würde, um die er bittet, um wie viel mehr wird uns Gott, der ein so großes Verlangen hat, uns an seinen Gütern teilhaben zu lassen, seine Gnaden mitteilen, wenn wir ihn darum bitten? Ja, Gott, der uns zu bitten ermuntert, und dem es missfällt, wenn wir nicht bitten? Der will uns also das Heil gewähren und alle Gnaden zur Rettung; aber er will, dass wir beharrlich seien beim Beten (sagt Cornelius a Lapide über dieses Evangelium) "bis hin zum ihn Belästigen". Die Menschen auf Erden können die Aufdringlichen nicht ausstehen; doch Gott erträgt uns nicht nur, sondern er will geradezu dass wir aufdringlich seien beim ihn um Gnaden Bitten und besonders wo es um die heilige Beharrlichkeit geht.

Es ist wahr, dass die Beharrlichkeit bis ans Ende nicht von uns verdient werden kann, wie das Tridentinum erklärt hat (6. Sitz. 23. Kap.), da sie eine ganz unentgeltliche Gnade ist, die uns Gott gewährt; nichtsdestoweniger sagt der heilige Augustin, dass die Beharrlichkeit in gewissem Sinn verdient werden kann mit den flehentlichen Bitten (Liber de dono persev. c. 6). Somit wird, wer die Beharrlichkeit sucht, obwohl er sie nicht verdienen kann, sie nichtsdestoweniger unfehlbar bekommen, sagt Pater Suarez. Aber es genügt nicht, diese Gnade der Beharrlichkeit einmal zu erbitten, sagt hingegen der Kardinal Bellarmin; man muss sie vielmehr jeden Tag erbitten, um sie jeden Tag zu erlangen. Und darum sagt Jesus Christus: Darf man nie mit Beten aufhören (vgl. Lk 18,1); sonst kann uns in der Zeit, wo wir damit aufhören, die Versuchung überwinden. «Wachet und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt» Lk 21,36. Wachet, indem ihr beständig betet, damit ihr nicht von mir weggejagt werdet (sagt Jesus Christus), wenn ihr von mir gerichtet werdet. Deshalb ermahnte auch der heilige Paulus seine Schüler: «Betet unablässig» 1 Thess 5,17. «Wohl dem, der auf mich hört», sagt Gott, «und der Tag für Tag an den Toren der Barmherzigkeit wacht» (vgl. Spr 8,34). Und darum ermahnt uns Jesus Christus im Evangelium und erlegt uns auch das Beten auf (denn das Beten ist nicht nur ein Rat, sondern sogar ein Gebot) mit folgenden Worten: «Bittet und es wird euch gegeben, suchet und ihr werdet finden, klopfet an und es wird euch aufgetan» Lk 11,9. Es schien, dass es genügt hätte, zu sagen "Bittet", wozu diente es, dieses "Suchet" und jenes "Klopfet an" hinzuzufügen? Nicht, dass es nicht überflüssig gewesen ist, es hier hinzuzufügen; damit wollte unser Erlöser nahebringen, dass wir tun müssen, wie es die Armen tun, die Betteln gehen; diese, wenn sie das Almosen nicht bekommen, das sie suchen, und wenn sie entlassen werden, hören nicht auf, es immer wieder zu suchen, und dann an die Tür zu klopfen, wenn sie den Herrn des Hauses nicht mehr sehen, soweit gehen, dass sie sich sehr lästig und aufdringlich zeigen. Das will nun der Herr, dass wir es tun: dass wir beten, dass wir immer wieder beten und niemals aufhören zu beten, dass er uns beistehe, dass er die Hände schützend über uns hält, dass er nicht zulässt, dass wir uns durch die Sünde von ihm trennen. Und das müssen wir tun, nicht nur am Morgen, wenn wir aufstehen, sondern mehrmals am Tage, wenn wir die Messe mitfeiern, wenn wir die Betrachtung halten, wenn wir die Danksagung nach der Kommunion durchführen, wenn wir die Besuchung beim allerheiligsten Sakrament vornehmen, wenn wir die Gewissenserforschung am Abend halten, und besonders dann, wenn wir von einer Versuchung angefochten werden, besonders dann wenn es eine Versuchung gegen die Reinheit ist: wenn wir dann nicht zu Gott unsere Zuflucht nehmen, indem wir wenigstens die heiligsten Namen Jesu und Mariens anrufen, werden wir schwerlich nicht zu Fall kommen.

Aber da wird einer sagen: Ich bin ein Sünder, und "Gott erhört die Sünder nicht", wie man lesen kann im Johannesevangelium (9,31). Darauf ist zu antworten, nicht Jesus Christus hat das gesagt, sondern der Blindgeborne, um ihn gegen die Juden zu verteidigen. Doch an sich ist diese Aussage falsch; in einem einzigen Fall kann sie zutreffen, sagt der heilige Thomas, wenn die Sünder Gott aufsuchen sollten "mit der Absicht zu sündigen", das heißt, wenn sie etwas erbitten sollten, was ihnen beim Sündigen behilflich sein könnte; zum Beispiel wenn einer Gott ersuchen sollte, dass er ihm helfe, sich an seinem Feind zu rächen, dann wird Gott sicher solche Bitten nicht erhören. Doch wenn einer betet und für sein ewiges Heil nützliche Dinge erbittet, was hat es zu bedeuten, ob er ein Sünder ist? Selbst wenn er der schlimmste Verbrecher der Welt gewesen wäre, soll er nur beten und sicher wird er alles erlangen, worum er bittet. Die Verheißung ist allgemein für alle; jeder der bittet, empfängt (Lk 11,10). Für den, der betet, ist es nicht notwendig, dass er sich die Gnade verdient hat, um die er bittet, es genügt, dass er betet und er wird sie erlangen. Der Grund dafür ist, weil, wie derselbe Lehrer sagt (2-2, q.83, a.16 ad 2): die Kraft, die das Gebet hat, zum Erflehen, nicht vom Verdienst des Betenden kommt, sondern von der Barmherzigkeit und Treue Gottes, der unentgeltlich und aufgrund seiner Güte versprochen hat, den zu erhören, der ihn bittet. Wenn wir beten, ist es nicht notwendig, Freunde Gottes zu sein, um die Gnaden zu erflehen; das Beten selber macht uns zu seinen Freunden (fügt der Engelgleiche hinzu). Und was man nicht aufgrund der Freundschaft erlangt (sagt auf ähnliche Weise der heilige Johannes Chrysostomos), erlangt man durchs Beten (Hom 56). Und Jesus Christus, um uns Mut zu machen zum Beten und uns der Gnade zu versichern, während wir beten, gibt uns dieses große und besondere Versprechen, wenn er zu uns sagt: «Amen, Amen, ich sage euch, wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben» Joh 16,23. Wie wenn er zu uns gesagt hätte: Wohlan, ihr Sünder, ihr habt noch keine Verdienste, um von Gott, meinem Vater, erhört zu werden; Macht es so, wenn ihr die Gnaden wollt, erbittet sie in meinem Namen, das heißt durch meine Verdienste, und ich verspreche euch, und seid dessen sicher («Wahrlich, wahrlich, ich sage euch», was eine Art von Schwur gewesen ist), dass ihr alles, was ihr erbitten werdet, von meinem Vater bekommen werdet. Oh, was für ein schöner Trost für einen armen Sünder, zu wissen, dass ihn seine Sünden nicht daran hindern können, jede Gnade zu erlangen, um die er bittet, während Jesus Christus versprochen hat, alles, was wir von Gott durch seine Verdienste erbitten werden, wird Gott uns gewähren.

Man muss nun aber nicht meinen, dass die göttliche Verheißung, unsere Gebete zu erhören, nicht für die zeitlichen Gnaden gilt, sondern nur für die geistlichen, die für das Heil der Seele notwendig und nützlich sind; und dass wir aber die Gnaden erlangen werden, die wir im Namen und durch die Verdienste Jesu Christi erbitten werden, wie wir oben gesagt haben; doch der heilige Augustin sagt Folgendes (Tract. 102, in Joan.), was dem geistlichen Wohl schadet, darf man nicht im Namen des Heilands erbitten, und deshalb gewährt sie uns Gott nicht, und er darf sie auch nicht gewähren; und warum?, weil Gott uns liebt. Der Arzt, der den Kranken liebt, gewährt ihm sicher nicht die Speisen, von denen er weiß, dass sie ihm Schaden bringen. Wie viele, wenn sie krank oder arm wären, würden nicht die Sünden begehen, die sie begehen. Viele erbitten von Gott die Gesundheit, oder die Habe; aber weil Gott sieht, dass diese ihm Anlass zum Sündigen wären oder um lau zu werden, gewährt er sie ihm nicht. Daher kommt es, dass wenn wir um diese zeitlichen Gnaden bitten, müssen wir immer unter der Bedingung darum bitten, wenn sie der Seele nützen. Und wenn wir sehen, dass Gott sie uns nicht gibt, sollen wir gewiss sein, dass der Herr sie uns aus der Liebe verweigert, die er zu uns hegt; und weil er sieht, dass diese Dinge, die wir erbitten, uns zum Schaden wären für das geistliche Wohl.

Und oft verlangen wir von Gott, dass er uns von irgendeiner lästigen Versuchung befreie, die uns dazu verleiten will, seine Gnade zu verlieren; aber Gott befreit uns nicht davon und lässt, diese Versuchung zu, damit die Seele sich mehr an seine Liebe klammert. Es sind nicht die Versuchungen und die schlechten Gedanken, die uns Schaden zufügen und uns von Gott trennen, sondern die bösen Zustimmungen. Wenn die Seele mit der göttlichen Gnade der Versuchung widersteht, kommt sie weit in der Vollkommenheit voran. Der heilige Paulus erzählt von sich, weil er viel von unreinen Versuchungen belästigt wurde, habe er dreimal den Herrn gebeten, dass er ihn davon befreien möchte. Und was gab ihm der Herr zur Antwort? Er sagte ihm, es genügt dir, meine Gnade zu haben (vgl. 2 Kor 12,7-9). Deshalb wollen wir in den Versuchungen, die uns anfechten, zu Gott beten, dass er uns entweder davon befreit, oder uns wenigstens seine Hilfe gibt, um zu widerstehen. Und wenn wir so zu ihm beten, dürfen wir für gewiss halten, dass der Herr uns zu widerstehen hilft. «Du riefst in der Not, und ich riss dich heraus; ich habe dich aus dem Gewölk des Donners erhört» Ps 81,8. Oftmals lässt uns der Herr im Unwetter stehen zu unserem größeren Wohl; doch inzwischen erhört er uns im Verborgenen, indem er uns seine Gnade gibt, die uns zum Widerstehen und uns damit Abfinden stärkt.

Somit, wiederhole ich, müssen wir alle Gnaden, die für unser Heil nicht notwendig sind, bedingungsweise erbitten; und wenn wir sehen, dass Gott sie uns nicht gewährt, müssen wir für gewiss festhalten, dass Gott sie uns zu unserem größeren Wohl verweigert. Doch bei den geistlichen Gnaden sollen wir für gewiss halten, dass Gott sie uns schenkt, wenn wir ihn darum bitten. Die heilige Teresa sagt, dass Gott uns mehr liebt, als wir uns selber lieben; deshalb schreibt der heilige Augustin, dass Gott mehr danach verlangt, uns die Gnaden zu erweisen, als wir, sie zu empfangen. Daher sagte die heilige Maria Magdalena von Pazzi, dass Gott in gewissem Sinn der Seele verpflichtet bleibt, die ihn bittet, als wenn er ihr gesagt hätte: Seele, ich danke dir, dass du mich um Gnaden ersuchst. Ja, weil es dann so ist, als würde die Seele ihm einen Weg öffnen, um Gutes zu tun und sein Verlangen danach zu stillen, das darin besteht, allen Gnaden zu erweisen. Und wie könnte es je geschehen, dass Gott eine Seele nicht erhören will, die ihn um Dinge ersucht, die alle nach seinem Wohlgefallen sind? Wenn die Seele zu ihm sagt: Herr, ich ersuche dich nicht um Reichtum, Ehren, Güter dieser Erde, aber ich bitte dich nur um deine Gnade: befreie mich von der Sünde, gib mir einen guten Tod, schenke mir das Paradies und inzwischen gib mir deine Liebe (die jene Gnade ist, wie der heilige Franz von Sales sagt, die man von Gott erbitten soll mehr als jede andere Gnade), gib mir Ergebung in deinen Willen (was jene Gnade ist, worin die ganze göttliche Liebe besteht), wie ist es möglich, dass Gott sie nicht erhören will? Und was für Gebete würdest du je erhören, mein Gott (sagt der heilige Augustin), wenn du diese nicht erhörst, die alle deinem Wunsch gemäß sind? Und dann sagt der heilige Bernhard, wenn wir um diese Art von geistlichen Gnaden bitten, so komme uns der Wunsch, sie zu erlangen gewiss von Gott selber; daher fügt der Heilige zu Gott hin gewandt hinzu: "Warum solltest du uns einen Wunsch eingeben, den du dann nicht erhören willst?" Also (will der Heilige sagen) während du Herr mich anstachelst, dich um diese Gnaden zu ersuchen, soll ich für gewiss halten, dass du mich erhören willst. Doch vor allem soll unser Vertrauen neu beleben, wenn wir geistliche Gnaden suchen, was Jesus Christus bei Lukas gesagt hat: «Wenn also ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten» Lk 11,13. Wenn ihr, sagt der Heiland, die ihr böse seid und voll von Eigenliebe, euren Kindern die guten Dinge, um die sie euch bitten, nicht verweigern könnt, wieviel mehr wird euch euer himmlischer Vater, der euch mehr liebt als jeder irdische Vater, die geistlichen Güter gewähren, wenn ihr ihn darum bitten werdet?

Beten wir also und erstreben wir allzeit die Gnaden, wenn wir gerettet werden wollen. Möge das Gebet für uns das Teuerste sein, das Beten soll für uns die Übung unseres ganzen Lebens sein. Und indem wir von Gott die besondern Gnaden erbitten, trachten wir nach der Gnade, für die Zukunft weiterhin zu beten, denn wenn wir zu beten aufhören werden, werden wir verlorengehen. Das ist die leichteste Sache, das Beten. Was will das für uns heißen: Herr, steh mir bei, Herr, hilf mir, gib mir deine Liebe? usw. gibt es eine leichtere Sache als diese? Aber wenn wir es nicht tun, können wir nicht gerettet werden. Beten wir also und lassen wir für uns die Fürsprache Mariens eingreifen: "Trachten wir nach jeder Gnade, aber erbitten wir sie durch Maria" sagt der heilige Bernhard. Und wenn wir uns Maria anempfehlen, seien wir sicher, dass sie uns erhört und uns alles erlangt, was wir wünschen. Ihr kann es nicht fehlen an Macht, noch am Willen, uns zu helfen, sagt derselbe Heilige. Und der heilige Augustin: Gedenke, Herrin, dass noch nie der Fall vorgekommen ist, dass einer zu dir seine Zuflucht genommen und im Stich gelassen worden sei. Ach nein, sagt der heilige Bonaventura, wer Maria anruft, findet das Heil und deshalb rief er aus: "O Heil derer, die dich anrufen!" So lasst uns denn allzeit beten, indem wir Jesus und Maria anrufen, und unterlassen wir es nie zu beten.

Ich komme zum Ende. Ich hoffe, innert kurzer Frist ein Buch herauszugeben, extra über diesen Gegenstand des Gebetes, wo doch dieses Mittel, wie aus der Heiligen Schrift hervorgeht und aus den Lehrmeinungen der heiligen Väter und der Theologen, ein absolut notwendiges Mittel ist, um gerettet zu werden, und wenn wir uns dessen nicht bedienen, ist unsere Verdammnis sicher. Und ich hoffe zugleich klar nachzuweisen in diesem erwähnten kleinen Werk, dass die Gnade zu beten jedem gegeben wird, somit kann keiner, der verlorengeht, eine Entschuldigung haben; während Gott allgemein allen die Gnade derzeit zu beten gibt, ohne einer weiteren besondern Hilfe zu bedürfen, und mit dem Gebet die größeren Hilfen zu erlangen, um alle Versuchungen zu überwinden, und die Tugenden zu üben; wer daher verloren geht, geht allein durch seine Schuld verloren, weil er nicht betet. Für jetzt habe ich diese kleine Abhandlung herausgeben wollen, worin ich, ehe ich sie beende, es nicht unterlassen kann, das Missfallen zu äußern, das ich empfinde, sehen zu müssen, wie die Prediger und die Beichtväter wenig zahlreich sind, die davon reden; und wenn sie davon reden, reden sie zu wenig davon und nur so beiläufig. Weil ich die Notwendigkeit des Gebetes sehe, sage ich, dass alle geistlichen Bücher für ihre Leser, alle Prediger in ihren Predigten für ihre Zuhörer, alle Beichtväter in allen Beichten für ihre Beichtkinder nichts anderes mehr einprägen sollten als dieses Anliegen, allzeit zu beten, indem sie diese immer ermahnen und ihnen sagen: BETET, BETET, BETET, UND UNTERLASST ES NIE ZU BETEN: WENN IHR BETET, WERDET IHR SICHER GERETTET WERDEN; WENN IHR NICHT BETET, WERDET IHR SICHER VERDAMMT WERDEN.

REGELN UM RICHTIG ZU LEBEN

1. Am Morgen beim Aufstehen die Akte verrichten, die auf der folgenden Seite stehen. Jeden Tag während einer halben Stunde die Betrachtung halten, wenigstens während einer Viertelstunde ein geistliches Buch lesen. Die Messe mitfeiern. Die Besuchung beim Allerheiligsten Sakrament und bei der göttlichen Mutter machen. Den Rosenkranz beten. Und am Abend die Gewissenserforschung anstellen mit dem Akt der Reue und die christlichen Akte (des Glaubens der Hoffnung und der Liebe) mit der Litanei zur heiligsten Maria.

2. Beichten und kommunizieren wenigstens jede Woche: und öfter, wenn möglich mit dem Rat des geistlichen Vaters.

3. Sich einen guten Beichtvater auswählen, gelehrt und fromm, sich immer nach ihm richten, so für die Andachtsübungen wie auch für die folgenschweren Geschäfte; ihn nicht aufgeben ohne schwerwiegenden Grund.

4. Meide den Müßiggang, schlechte Gesellschaften, unanständige Reden und vor allem die schlechten Gelegenheiten, besonders wo Gefahr zu Unenthaltsamkeit besteht.

5. In den Versuchungen besonders zur Unkeuschheit sich sogleich bekreuzigen und die heiligen Namen Jesu und Mariens anrufen, solange die Versuchung anhält.

6. Wenn man eine Sünde begeht, es sogleich bereuen und sich vornehmen sich zu bessern; und wenn es eine schwere Sünde ist, so bald wie möglich diese beichten gehen.

7. Predigten anhören, immer wenn man kann: und zu der einen oder andern Versammlung gehen, um dabei nach nichts anderem zu trachten als nach den Anliegen des ewigen Heiles.

8. Zu Ehren der heiligsten Maria am Samstag fasten und an den Vortagen ihrer sieben Feste, dazu noch irgendwelche anderen leiblichen Abtötung auf sich nehmen gemäß dem Rat des Beichtvaters; die Novenen dieser Feste Mariens, sowie zu Weihnachten, Pfingsten und zum heiligen Schutzpatron halten.

In den Dingen, die uns missfallen, wie Krankheit, Verluste, Verfolgungen, sich in allem dem göttlichen Willen angleichen und sich beruhigen, indem man sich sagt: Gott will es (er hat es so gewollt), so soll es geschehen.

Jedes Jahr die Exerzitien halten in einem Ordenshaus oder einem einsamen Ort; sie wenigstens im eigenen Hause machen, und sich in diesen Tagen, soviel man kann, dem Beten, den geistlichen Lesungen und dem Schweigen widmen. Und auf dieselbe Weise jeden Monat einen Einkehrtag halten mit Kommunion und mit sich Fernhalten von jedem Gespräch.

Akte, die im Laufe des Tages von jedem Christen gehalten werden

Beim Aufstehen am Morgen, nachdem man das Kreuzzeichen gemacht, soll man die folgenden Akte der Anbetung, der Liebe, des Dankes, des Vorsatzes, des Betens folgendermaßen verrichten:

1. Mein Gott, ich bete dich an und ich liebe dich von ganzem Herzen. 2. Ich danke dir für alle Wohltaten und besonders, dass du mich während dieser Nacht erhalten hast. 3. Ich opfere dir auf alles, was ich tun und leiden werde an diesem Tag in Vereinigung mit den Taten und Leiden Jesu und Mariens; mit der Absicht alle Ablässe zu gewinnen, die ich kann. 4. Ich nehme mir vor jede Sünde zu meiden und besonders folgende... (es ist gut, dass man den besondern Vorsatz fasst bei dem Fehler, wo man am häufigsten zu fallen pflegt). Und ich nehme mir vor in den Widerwärtigkeiten mich deinem heiligen Willen anzugleichen. 5. Mein Jesus, halte heute deine Hände über mich; heiligste Maria, behüte mich unter deinem Schutzmantel. Und du, ewiger Vater, hilf mir aus Liebe zu Jesus und Maria. Mein Schutzengel, meine heiligen Schutzpatrone, stehet mir bei. Vater unser, Gegrüßt und Glaubensbekenntniis und drei Ave um die Reinheit Mariens.

Wenn man eine Arbeit oder ein Studium oder eine andere Beschäftigung beginnt, soll man sagen: Herr, ich opfere dir diese Mühe auf. Wenn man zum Essen geht: Mein Gott, alles geschehe dir zur Ehre; segne mich, damit ich dabei keinen Fehler begehe. Nach dem Mittagessen: Ich danke dir, Herr, ich danke dir, dass du einem deiner Feinde Gutes getan hast. Wenn die Stunde schlägt: Mein Jesus, ich liebe dich, gestatte nicht, dass ich mich jemals von dir trennen muss. In den Widerwärtigkeiten: So hast du es gewollt, so will auch ich. In Zeiten der Versuchung wiederhole oft die Namen Jesu und Mariens. Wenn du einen Fehler begangen hast: Mein Gott, es tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe, unendliche Güte; ich will es nicht mehr tun. Und wenn es eine schwere Sünde gewesen ist, sollst du es sogleich beichten.

Am Abend sodann, bevor du zu Bette gehst, danke Gott für alle empfangenen Wohltaten; mach die Gewissenserforschung und den Akt der Reue und dann die christlichen Akte (wie oben).

Praktisches Verfahren, um Betrachtung zu halten

Bei der Vorbereitung sprich: 1. Mein Gott, ich glaube, dass du mir gegenwärtig bist, ich bete dich von ganzem Herzen an. 2. Herr, zu dieser Stunde sollte ich in der Hölle sein; ich bereue, dich beleidigt zu haben, verzeihe mir. 3. Ewiger Vater, aus Liebe zu Jesus und Maria, gib mir Licht. Sodann soll man sich mit einem Ave der heiligsten Maria, dem heiligen Josef, dem Schutzengel und dem heiligen Schutzpatron anempfehlen und zur Betrachtung übergehen.

Man lese die Betrachtung und halte an, wo man Nahrung findet. Und danach trachte Akte der Demut und des Dankes und vor allem der Reue und der Liebe zu erwecken, wobei man sich fügt und sagt: Herr, mache aus mir, was dir gefällt, und lass mich erkennen, was du von mir willst, was ich alles tun soll. Trachte noch hinreichend Gebete zu verrichten, indem du Gott um die Beharrlichkeit, seine Liebe, um Licht und Kraft ersuchst, um immer den göttlichen Willen zu tun und allzeit zu beten. Bevor du die Betrachtung beendest, fasse einen besondern Vorsatz, einen Fehler zu meiden, in den du öfter fällst; und schließe mit einem Vater unser, und einem Gegrüßt ab. Und empfiehl immer bei der Betrachtung die Seelen im Fegfeuer und die Sünder.

Es lebe Jesus, unsere Liebe, und Maria, unsere Hoffnung.

II. NOTWENDIGE WARNUNGEN FÜR JEDEN AUS JEDWEDEM STAND, UM GERETTET ZU WERDEN

(Seiten 274 bis 277)

Gott will alle gerettet sehen: «Er will, dass alle Menschen gerettet werden» 1 Tim 2,4. Und er will allen die notwendige Hilfe geben, um gerettet zu werden; aber er gewährt sie nur jenen, die ihn darum bitten, wie der heilige Augustin schreibt: "Er beschenkt nur jene, die danach verlangen" In Psalm. 100. Daher ist es allgemeine Lehrmeinung der Theologen und heiligen Väter, dass das Gebet für die Erwachsenen notwendig ist mit einer Notwendigkeit des Mittels, das heißt, wer nicht betet und es unterlässt, von Gott die zweckmäßigen Hilfen zu erbitten, um die Versuchungen zu überwinden und die empfangene Gnade zu bewahren, kann nicht gerettet werden.

Der Herr hingegen kann es nicht unterlassen, dem die Gnaden zu gewähren, der sie erbittet, weil er es versprochen hat. «Rufe mich an, und ich werde dich erhören» Jer 33, 3. Erbittet von mir, was ihr wollt und ihr werdet alles bekommen. «Bittet und ihr werdet empfangen» Mt 7,7. Bittet und es wird euch gegeben. Diese Versprechen sind jedoch nicht zu verstehen als solche, die für zeitliche Güter gemacht wären, denn diese gibt Gott nicht, es sei denn um der Seele zu helfen; aber für die geistlichen Gnaden hat er sie absolut jedem versprochen, der ihn darum bittet; und da er sie uns versprochen hat, ist er verpflichtet sie uns zu geben, sagt der heilige Augustin (De Verb. Dom. Serm. 2).

Man muss sodann warnen, dass Gott versprochen hat, das Gebet zu erhören, doch was uns angeht, ist es strenges Gebot zu beten. «Bittet und ihr werdet empfangen» Mt 7,7; «Es ist notwendig allzeit zu beten» Lk 18,1. Diese Worte «Bittet» und «es ist notwendig», wie der heilige Thomas lehrt (3.p. q.39. a.5) bringen eine schwere Verpflichtung mit sich, die für das ganze Leben gilt und besonders, wenn der Mensch sich in Todesgefahr sieht oder in Sünde zu fallen; weil er dann, wenn er nicht zu Gott Zuflucht nimmt, sicher der Besiegte bleiben wird. Und wer sich schon in Gottes Ungnade gefallen befindet, begeht neue Sünde, wenn er sich nicht um Hilfe an Gott wendet, um aus seinem elenden Zustand herauszukommen. Aber wird ihn Gott erhören können, wenn er sieht, dass er sein Feind geworden ist? Doch, er erhört ihn sehr wohl, wenn der Sünder sich verdemütigt und von Herzen bittet, ihm zu verzeihen; im Evangelium steht ja geschrieben: «Denn wer bittet, empfängt» Lk 11,10. Jeder soll es sich sagen, sei er gerecht oder Sünder, wenn er betet, hat Gott versprochen, ihn zu erhören. An andrer Stelle sagt Gott: «Rufe mich an am Tage der Not, dann rette ich dich» Ps 50,15. Schrei zu mir, und ich werde dich befreien aus der Hölle, zu der du verurteilt bist.

Nein, am Tage des Gerichts wird es keine Entschuldigung geben für den, der in der Sünde stirbt. Und es wird ihm nichts nützen, zu sagen, er habe nicht die Kraft gehabt, der Versuchung zu widerstehen, die ihn belästigte; denn Jesus Christus wird ihm antworten: wenn du diese Kraft nicht gehabt hast, warum hast du nicht darum gebeten, denn ich hätte sie dir sehr wohl gegeben? Und wenn du schon in die Sünde gefallen bist, warum hast du dich nicht an mich gewendet, wo ich dich doch davon befreit hätte?

Somit, mein Leser, wenn du gerettet werden und dich in der Gnade Gottes erhalten willst, ist es notwendig, dass du oft zu ihm betest, er möge die Hände über dich halten. Das Konzil von Trient (6. Sitz. 13. Kap. 22. Kan.) hat erklärt, damit der Mensch in der Gnade Gottes ausharrt, genügt die allgemeine Hilfe, die er allen gibt, nicht, sondern eine besondere Hilfe ist notwendig, die man nur durch das Gebet bekommt. Deshalb sagen alle Lehrer, dass jeder unter schwerer Sünde verpflichtet ist, sich Gott oft anzuempfehlen, wobei man um die heilige Beharrlichkeit bittet, wenigstens einmal im Monat. Und wer sich mitten unter mehreren gefährlichen Gelegenheiten befindet, ist verpflichtet, öfter um die Gnade der Beharrlichkeit zu bitten.

Viel hilft sodann, um diese Gnade zu erlangen, eine besondere Andacht zur Muttergottes beizubehalten, die die Mutter der Beharrlichkeit genannt wird; während der heilige Bernhard sagt, dass alle göttlichen Gnaden und besonders die der Beharrlichkeit, welche die größte von allen ist, durch Maria zu uns kommen.

Oh gäbe es doch Gott, und die Prediger würden mehr darauf achten, ihren Hörern dieses große Mittel des Gebetes nahezu bringen ! Einige werden es in ihrem ganzen Fastenpredigtzyklus kaum ein oder zweimal nennen und das nur so beiläufig; wo sie doch gezielt und mehrmals davon reden sollten und sozusagen in jeder Predigt; schwere Rechenschaft werden sie Gott darüber ablegen müssen, wenn sie es zu tun versäumen. Und so geben auch viele Beichtväter nur auf den Vorsatz der Pönitenten acht, Gott nicht mehr zu beleidigen; und sie nehmen sich wenig Mühe, ihnen das Beten nahezubringen, für dann, wenn sie versucht sein werden wieder zu fallen; aber man muss zur Überzeugung kommen, dass wenn die Versuchung stark ist, und wenn der Pönitent nicht um Gottes Hilfe bittet, um zu widerstehen, dann werden ihm alle gefassten Vorsätze wenig nützen, das Gebet allein kann ihn retten. Es ist sicher, dass wer betet, gerettet wird, wer nicht betet, verdammt wird.

Und darum, mein Leser, wiederhole ich, wenn du gerettet werden willst, bete fortwährend zum Herrn, dass er dir Licht und Kraft gibt, um nicht in die Sünde zu fallen. In diesem Punkt muss man zudringlich sein bei Gott, indem man ihn um diese Gnade bittet. Der heilige Hieronymus sagt: "Die aufdringliche Zudringlichkeit kommt bei Gott gelegen". Jeden Morgen sollst du es nicht unterlassen, ihn zu bitten, dich von Sünden an diesem Tag freizuhalten. Und wenn dir ein schlechter Gedanken in den Sinn kommt, oder dir eine schlechte Gelegenheit einfällt, sogleich nimm Zuflucht zu Jesus Christus und zur heiligen Jungfrau, ohne dich dran zu machen, mit der Versuchung zu reden, vielmehr sag: Jesus, hilf mir, heiligste Maria eile mir zu Hilfe. Es genügt dann Jesus und Maria zu nennen, um die Versuchung verschwinden zu lassen; doch wenn die Versuchung andauert, fahre fort damit, Jesus und Maria um Hilfe anzurufen, und du wirst nie besiegt bleiben.

III. VON DER CHRISTLICHEN HOFFNUNG

(Seiten 278 bis 330)

Es lebe Jesus, Maria und Josef

Das Buch, das den Titel trägt vom christlichen Vertrauen, dem sollte man richtiger den Titel geben vom christlichen Misstrauen, da der Verfasser uns der sichern Hoffnung beraubt, die wir haben auf das Heil und die Hilfe, es aufgrund der göttlichen Barmherzigkeit zu erlangen, wenn es nur von uns aus nicht an der Gnade fehlt. Die christliche Hoffnung ist von der weltlichen verschieden; die weltliche ist eine ungewisse Erwartung des erhofften Gutes, weil sie sich auf das Versprechen des Menschen stützt, bei dem es fehlen kann am Vermögen oder am Willen, auf das achtzugeben, was er versprochen hat. Doch die christliche Hoffnung ist ein sicheres Erwarten des ewigen Lebens, genau wie sie der heilige Thomas definiert (2. 2. p. 18, a. 4). Sicher, weil gemäß dem, was derselbe heilige Lehrer lehrt, sie sich auf die Gewissheit der Barmherzigkeit Gottes abstützt, der durch die Verdienste Jesu Christi das Heil versprochen hat, und die Hilfe, damit es jeder, der dessen Gesetz beobachtet, erreiche: "Die Hoffnung hat ihre Hauptgrundlage nicht in den bereits empfangenen Gnaden, sondern sie gründet auf Gottes Allmacht und Erbarmen ... Und jeder, der die Gabe des Glaubens hat, ist der Allmacht Gottes gewiss und seiner Barmherzigkeit" (zit. art.4, ad 2). Somit beruht die Gewissheit unsrer Hoffnung auf der von Gott verheißenen Hilfe für den, der es nicht versäumt, seiner Gnade zu entsprechen. Und so lehrt auch noch das Konzil von Trient: "Alle sollen eine unerschütterliche Hoffnung auf Gottes Hilfe setzen. Denn Gott wird, wenn es nicht diese selber sind, die sich seiner Gnade entziehen, das gute Werk, so wie er es begonnen hat, zur Vollendung führen, insofern er vollendet, was er will" (6. Sitz. 13. Kap.).

Der Verfasser des Buches sagt, dass die Gewissheit unsrer Hoffnung nicht schon auf der allen allgemein verheißenen göttlichen Hilfe, dass sie das Heil erlangen, beruht, wenn wir nur von unsrer Seite entsprechen, denn ein solches Versprechen bildet eine ungewisse Hoffnung, da sie ja bedingt und abgestützt ist auf unsere Schwachheit. Deshalb sagt er (und das ist das im Buch in den Kapiteln 12, 15 und 16 erklärte System der Hoffnung), dass wir unsere Hoffnung gründen sollen auf die den Auserwählten gegebene Verheißung, was eine absolute Verheißung des ewigen Lebens sei und nicht schon bedingt. Daher schreibt er auf Seite 202, dass die Hoffnung, um sie in ihrer ganzen Ausdehnung zu nehmen, darauf beruhe, dass man sich als zur Zahl der Auserwählten gehörig betrachte, und deshalb müssten wir uns eine solche Verheißung aneignen, indem wir uns als in der Zahl der Auserwählten enthalten betrachten. Hier nun seine Worte, der im Kapitel 12 schreibt: Die absoluten Verheißungen werden nur der Kirche und den Auserwählten gegeben; um also zu hoffen, zu dieser Zahl zu gehören, eigne ich mir die Verheißungen an, und vertraue, dass sie sich an mir erfüllen werden. Am Ende des Kap. 15 sagt er dann: Nun betrachten wir uns als in der Zahl der Auserwählten enthalten kraft des Gebotes, das Gott uns gibt zu hoffen. Infolgedessen schließt der Verfasser des Anhangs auf Seite 368 am Schluss, indem er demselben System folgt, dass es nicht gelte zu sagen: Ich erhoffe das Heil und die Mittel, es zu erlangen, weil du, mein Gott es mir verheißen, wenn ich mit deinen Gnaden mitwirken werde. Er sagt, dass dieser Akt der Hoffnung nicht gültig sei, weil ich so die Hoffnung aufteile zwischen Gott und mir, denn ich muss ja von mir aus danach streben, mit der Gnade mitzuwirken, und dann wird mein Heil ungewiss, denn ich weiß ja um meine Schwachheit; aber wenn ich, fügt er hinzu, auf die Verheißung hoffe, die den Auserwählten absolut gemacht wurde, dann sei meine Hoffnung sicher, weil dieselbe Gnade, die den Auserwählten verheißen wurde, mich wird mitwirken lassen.

Der Übersetzer, der wahrscheinlich auch noch der Verfasser des Anhangs ist, stellt dem Werk einen Brief vom Bischof Bossuet und einige Lehren des heiligen Thomas voran, um glauben zu lassen, dass der eine wie der andere die extravagante Lehrmeinung des Buches bestätigen; doch Bossuet verteidigt in diesem Brief nichts anderes als die unentgeltliche Vorherbestimmung und die ab intrinseco wirksame Gnade, die auch wir verteidigen; die Lehren des heiligen Thomas sodann stimmen keineswegs mit dem System des Verfassers überein, sondern sind ihm alle entgegengesetzt, wie ich sehen lassen werde; und deshalb werde ich mich enthalten die Autoritäten aller andern Theologen anzuführen, und ich werde mich damit begnügen, nur die vom heiligen Thomas und vom Konzil von Trient darzulegen.

Ich sage indessen an erster Stelle, es sei ganz und gar nicht wahr, dass die von Gott allen gegebene Verheißung seiner Hilfe, um das Heil zu erlangen, eine Hoffnung bilde, die nicht sicher sei, noch fest; denn um sie höchst zuverlässig und sicher zu machen, genügt das Wissen, dass niemandem von Seiten Gottes die Hilfe fehlen wird, um gerettet zu werden, wenn er nicht von seiner Seite versagt, indem er das Hindernis der Sünde setzt. Und genau das ist die Hoffnung für das Heil, die wir auf die göttliche Barmherzigkeit haben müssen, entsprechend dem, was das Konzil von Trient im oben erwähnten Text lehrt: "Alle müssen eine unerschütterliche Hoffnung auf Gottes Hilfe setzen. Denn Gott wird, wenn es nicht diese selber sind, die sich seiner Gnade entziehen, das gute Werk, so wie er es begonnen hat, zur Vollendung hinführen, insofern er vollendet, was er will" (6. Sitz. 13. Kap.). Man merke sich die Worte: "Alle müssen eine unerschütterliche Hoffnung auf Gottes Hilfe setzen... wenn es nicht diese selber sind, die sich seiner Gnade entziehen". Das Konzil sagt also, dass unsere Hoffnung sicher ist von Seiten Gottes im Hinblick auf alle ("alle müssen"); und unsicher ist sie nur von unsrer Seite, die wir uns seiner Gnade entziehen können. Daher gilt, dass man die göttliche Hilfe, die vom Konzil erwähnt wird ("auf Gottes Hilfe") nicht verstehen darf von der Hilfe, die sich auf die Verheißung nur an die Auserwählten stützt, sondern man muss sie notwendigerweise von der von Gott allen verheißenen Hilfe, um gerettet zu werden, verstehen, wenn sie von uns nicht versäumt wird. Und das ist nun die bedingte Hoffnung, die nach dem Verfasser eine nicht feste Hoffnung bildet, nach dem Konzil aber bildet sie eine höchst zuverlässige Hoffnung.

Dasselbe lehrte schon früher der heilige Thomas: "Wir müssen behaupten, dass, wenn einige, die zwar die Bedingungen haben, um das Heil zu erreichen, die Hoffnung auf Heil beeinträchtigen, dies geschieht durch Mangel am Willen dessen, der das Hindernis der Sünde aufstellt, und nicht durch Mangel an der göttlichen Macht und Barmherzigkeit, auf die sich die Hoffnung stützt. Daher beeinträchtigt der Zustand unsrer Schwachheit nicht die Gewissheit der Hoffnung" (2. 2. q. 18, a. 4 ad 3). Somit lehrt der heilige Thomas, dass der Zustand des Mangels bei unsrer Schwachheit nicht die Gewissheit der Hoffnung beeinträchtigt, die sich ja auf die göttliche Macht und Barmherzigkeit abstützt. Und für diese Barmherzigkeit kann der Engelgleiche nicht die den alleinigen Auserwählten verheißene Barmherzigkeit im Blick haben, denn diese werden die Auserwählten, obwohl sie fehlen können, jedoch niemals verfehlen; der heilige Thomas hingegen redet von jener Barmherzigkeit, gegen die tatsächlich einige fehlen; also redet der Heilige von der allen allgemein versprochenen Barmherzigkeit. Außerdem, da der heilige Thomas vorher gesagt hat, dass die Hoffnung "die sichere Erwartung der Seligkeit ist", und da Gott allen das Gebot der Hoffnung auferlegt hat: «Vertrau ihm, Volk Gottes, zu jeder Zeit» Ps 62,9, hat er notwendigerweise allen eine sichere und allgemeine Grundlage zum Erwarten der Seligkeit geben müssen.

Ich sage hingegen an zweiter Stelle, dass die Verheißung, die nur den Auserwählten gemacht wurde, in uns eine höchst ungewisse Hoffnung bildet, nicht nur für unsern Teil, solange wir nicht wissen, ob wir zur Zahl der Auserwählten gehören, aber auch für den Anteil Gottes; denn, wenn wir keine andere Grundlage zu hoffen hätten, als diese den Auserwählten gegebene Verheißung, da wir ja höchst unsicher sind, ob wir in ihrer Zahl enthalten sind, so wären wir auch von Seiten Gottes des Heiles und der Hilfe, um es zu erreichen, höchst ungewiss. Schlimmer noch, je größer die Zahl der Verworfenen ist als die der Erwählten, um so größer wäre der Anlass, den wir hätten, eher zu verzweifeln, als auf das Heil zu hoffen.

Bei all unsern Werken müssen wir von den göttlichen Beschlüssen absehen, da diese uns verborgen sind, können sie nicht Leitlinie für unsere Taten sein. Daher, wenn ich den Akt der Hoffnung bilden muss, habe ich mich nicht abzustützen auf die den Auserwählten gegebene Verheißung, wovon ich nicht weiß, ob ich mich unter ihnen enthalten befinde oder nicht, denn eine solche Hoffnung wäre für mich eine abstrakte, oder besser gesagt hypothetische, aufgrund von der ich weiter nichts hoffen würde, als dass die Auserwählten gerettet werden, und dass ich gerettet würde, wenn ich ein Auserwählter wäre; aber eine sichere und von Seiten Gottes begründete Hoffnung, dass ich gerettet werde, wenn ich nicht die Gnade verfehle, könnte ich nicht haben, denn ich weiß ja nicht, ob ich diesen beigezählt werde. Hingegen, wenn ich auf die all jenen verheißene göttliche Hilfe hoffe, die die Gnade nicht verfehlen, so hoffe ich gegenwärtig mit Sicherheit, gerettet zu werden, wenn ich die Gnade nicht verfehlen werde, die auf der göttlichen Verheißung beruht, die allen allgemein gegeben wurde.

Der Verfasser des Buches sagt: Aber wenn ich auf die den Auserwählten gegebene Verheißung hoffe, so ist meine Hoffnung sicherer, weil dieselbe Gnade, die den Auserwählten verheißen wurde, mich wird mitwirken lassen. Ich antworte: Für den, der wüsste, dass er erwählt ist, gebe ich zu, dass die Hoffnung sicherer ist: aber für den, der es nicht weiß, wie wir alle es sind, ist sie höchst unsicher auch von Seiten Gottes, da man ja weiß, dass gar wenige Auserwählte sind. Die Grundlage unsrer Hoffnung müssen wir in der Heiligen Schrift wiederfinden; dort finden wir bereits, dass Gott jedem, der betet und hofft, das Heil verspricht und die Hilfe, um es zu erreichen: «Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, und es wird euch zuteil werden» Mk 11,24; «denn wer bittet, empfängt» Mt 7,8; «Ein Schild ist er für alle, die sich bei ihm bergen» Ps 18,31; «Wer hoffte auf ihn und wurde verlassen?» Sir 2,10; «Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden» Ps 25,3; «Herr, ich suche Zuflucht bei dir. Lass mich doch niemals scheitern» Ps 71,1; «Weil er an mir hängt, will ich ihn retten; ich will ihn schützen, denn er kennt meinen Namen» Ps 91,14; «Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen geben» Joh 16,23.

All diese Verheißungen und tausend andere ähnliche, die wir in den heiligen Büchern haben, sind nicht nur für die Erwählten, sondern für jeden Menschen, der lebt, gegeben; und diese sind es, die jene Hoffnung bilden, die vom heiligen Paulus sogar sicher und zuverlässig genannt wird: «Wir, die wir unsere Zuflucht bei ihm gesucht haben, wir haben einen kräftigen Ansporn, die dargebotene Hoffnung zu ergreifen. In ihr haben wir einen sichern und festen Anker der Seele» Hebr 6,18f Doch wenn wir die Hoffnung auf die den Auserwählten gegebene Verheißung setzen, um zu hoffen, dass ich in der Zahl der Erwählten enthalten sei, welche Grundlage finde ich dafür in der Heiligen Schrift? Viel eher werde ich gegenteilige Argumente finden, wenn ich lese: «Nur wenige sind auserwählt» Mt 22,14; «Du kleine Herde» Lk 12,32, u.a.m.

Sind vielleicht die vom Herrn mir im besondern erwiesenen Wohltaten für mich eine sichere Grundlage, dass ich in die Zahl der Auserwählten eingeschrieben bin? Nein, dies verneint sogar der Verfasser im 14. Kapitel, und der heilige Thomas lehrt es ausdrücklich: "Die Hoffnung hat ihre Hauptstütze nicht in der bereits empfangenen Gnade, sondern sie stützt sich auf die göttliche Allmacht und Barmherzigkeit, wodurch auch der, welcher gegenwärtig nicht solche Gnade hat, sie erlangen und so zum ewigen Leben hinkommen kann" (2.2.q.18, a.4, ad 2). Somit stützt sich unsere Hoffnung hauptsächlich auf die göttliche Barmherzigkeit, die uns verheißen wurde durch die Verdienste Jesu Christi; und weil Jesus Christus nicht nur für die Auserwählten, sondern für alle gestorben ist; alle haben folglich im Hinblick auf die Verdienste des Heilands die sichere Stütze für ihre Hoffnung auf die göttliche Barmherzigkeit.

Somit ist nach dem Konzil von Trient, dem heiligen Thomas und der allgemeinen Meinung der Theologen unsere Hoffnung sicher, wenn wir sie auf die göttliche Hilfe setzen, die allgemein jedem verheißen wurde, wenn er der Gnade entspricht; aber weil jeder sie verfehlen kann in diesem Leben, deshalb ist unsere Hoffnung immer von der Furcht begleitet: gegen Calvin, der sagte, es sei jeder unfehlbar gerettet, der den Glauben habe. Aber das ist der Unterschied, der zwischen unserem System und dem des Verfassers besteht, dass in unserem System die Furcht aus der Ungewissheit von unsrer Seite hervorgeht, dass wir der Gnade nicht entsprechen; doch im System des Verfassers geht die Ungewissheit von der Seite Gottes hervor, wobei es sicher ist, dass Gott nicht alle Menschen, noch die Mehrheit von ihnen, sondern den kleineren Teil ins Buch des Lebens eingeschrieben hat.

Der Verfasser lädt sich also auf Seite 203 im 16. Kapitel die Verantwortung für diese Schwierigkeit auf und nennt sie sehr ernst. Seht, wie er redet: Die Zahl der Auserwählten ist unvergleichlich kleiner pauci vero electi, sogar unter den Berufenen; es wird wohl einer zu sich selber sagen, von dieser Schwierigkeit durchdrungen: wie scheint es euch, gehöre ich eher zu der kleineren Zahl, als zur größeren? … Das Gebot zu hoffen hingegen, wie kann es mich verleiten mich getrennt zu sehen von der Zahl der Verworfenen in den Plänen Gottes, wenn er es sogar an die Verworfenen richtet, wie an mich? Sehen wir nun, wie er damit fertig wird. Auf der Seite 205 antwortet er, dass so, wie wir die Geheimnisse des Glaubens glauben müssen, obwohl sie unsrer Vernunft unglaublich erscheinen, so müssen wir dem Gebot der Hoffnung gehorchen, indem wir hoffen und die vorgebrachte Schwierigkeit verachten: denn wenn wir sie ernst nähmen, müssten wir sagen, dass Gott auf unvernünftige Weise gebietet, auf das Heil zu hoffen. Daraus schließt er, dass es in diesem Leben keine Antwort gibt, welche die Schwierigkeit entscheiden könnte, die er unüberwindlich nennt und die geeignet wäre, uns eine richtige Vorstellung zu bilden von unsrer Hoffnung. Kurz gesagt, sagt er, dass der Mensch sich Gott anvertrauen solle, und dem Verstand Stillschweigen auferlegen hinsichtlich der Schwierigkeit, die darin stecke. Und nichts anderes.

Doch darauf ist zu antworten, dass ein großer Unterschied besteht zwischen dem Glauben und der Hoffnung, wenn man vom Beweggrund redet, weshalb wir glauben müssen und hoffen. Wir müssen auf das göttliche Wort hin die von Gott geoffenbarten Geheimnisse glauben; wir wissen jedoch nicht, da diese unsern Verstand überragen, aber nicht gegen unsern Verstand sind. Aber ein mit Gewissheit das Heil Erhoffen durch die Verheißung, die den Auserwählten gegeben wurde, wobei wir nicht sicher wissen, dass wir zu ihrer Zahl gehören, das ist gegen den Verstand; denn, wenn ich tatsächlich nicht in der Zahl der Auserwählten enthalten bin, ist es unmöglich, dass es dafür einen Inhalt gibt. Denn, wenn ich keine andere Grundlage zum Hoffen habe, außer der alleinigen Verheißung an die Auserwählten, dann kann ich nicht mit Gewissheit von Gott die Hilfe zum mich Retten erhoffen, sondern man muss sagen: Wenn ich in der Zahl der Auserwählten enthalten bin, dann bin ich sicher gerettet; wenn ich aber nicht enthalten bin, dann ist es Schluss für mich mit jeder Hoffnung. Und wenn ich so hoffe, wie kann ich länger mit Sicherheit die Seligkeit erwarten, wie es der heilige Thomas lehrt? Es ist wahr, dass ich immer befürchten muss, dass ich die Gnade verfehlen kann durch meine Schwachheit; aber in dieser Furcht nehme ich meine Zuflucht, auf Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen, der ja versprochen hat, jeden zu retten, der betet und hofft, und damit habe ich den sichern Grund, das Heil zu erhoffen, da ich mit Gewissheit weiß, dass Gott es nicht unterlassen wird, mich seinerseits zu retten, wenn ich bete und hoffe, und es nicht durch meine Sünden verhindere. Doch in der Furcht, dass ich nicht in der Zahl der Erwählten enthalten sein könnte, wenn die Verheißung für das Heil nur an sie ergangen sein sollte, zu welchem Mittel werde ich Zuflucht nehmen, um mir dieses Heil zu inspirieren? Immer wenn ich nicht eingeschrieben bin in die Zahl der Erwählten, dann habe ich keine Grundlage mehr zum Hoffen.

Zum Schluss scheint das System ,des oben erwähnten Buches, außer dem Umstand, dass es gegen die allgemeine Lehrmeinung des heiligen Thomas und aller Theologen geht, eine Konsequenz der fünften These des Jansenius zu sein, der gesagt hat: Christus sei nicht für alle gestorben, sondern nur für die Auserwählten: "Es ist semipelagianisch zu sagen, absolut (gesehen) ist Jesus Christus für alle gestorben". Ich sage Konsequenz, denn wenn die Gnade, um die Herrlichkeit zu erreichen, uns nur durch die Verdienste Jesu Christi geschenkt wird, wenn Jesus Christus nie für alle gestorben wäre, sondern nur für die Auserwählten, dann könnte ich die Gnade und die Herrlichkeit nicht erhoffen, außer indem ich mich in der Zahl der Auserwählten enthalten betrachte. Wenn die These des Jansenius bereits verurteilt worden ist, so scheint es, dass man das System des Buches überhaupt nicht dulden darf, das als auf einer solchen These begründet erscheint.

EINFÜHRENDES NACHWORT

1. Die Sendung des heiligen Alfons

Der heilige Alfons von Liguori war von seinem Wesen her ein Missionar, der größte der italienischen Kirche des achtzehnten Jahrhunderts. Wenn man sein Leben (Neapel 1696 - Pagani 1787) betrachtet, ersieht man, dass die Verkündigung des Wortes Gottes sein Charisma war, der Grund für sein Dasein. Von den Jahren seines Jünglingsalter an «ließ sich der Geist des Herrn auf ihn nieder und sandte ihn, um den Armen die frohe Botschaft zu verkünden, um ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen» (Lk 4,18f). Bei diesem schwierigen Unternehmen, das den ganzen Bogen seiner Existenz umspannt, können wir vier Etappen unterscheiden, wobei sich jede mit eigenen und kennzeichnenden Charakterzügen vorstellt.

Der ersten Etappe begegnet man in den Jahren seiner Jugend (1713-1726), in der Periode, in der Alfons begann den RUF ZUM APOSTOLAT zu vernehmen. Er nahm ihn auf als Verwirklichung seines prophetischen Prägemals aus der Taufe und er verwirklichte ihn mit dem Zeugnis christlichen Lebens, mit dem häufigen Sakramentenempfang, mit der ausdauernden eucharistischen Anbetung, während welcher er in sich die Berufung zum Priesterdienst erwachen spürte; er übte ihn aus in seinem Beruf als Advokat, den er mit Ehrlichkeit und mit Ehrfurcht vor der Wahrheit entfaltete, dabei überwand er die sittlichen Gefahren, die eng damit verbunden waren; er entwickelte ihn schließlich als Mitglied der Adligenkongregation der heiligen Maria von der Barmherzigkeit, die als Programm das Üben der Werke der Barmherzigkeit vertrat, wie das Besuchen der Gefangenen, das Beherbergen der Pilger, das Pflegen der Kranken. Die Teilnahme am Üben der Barmherzigkeit stellt im Leben von Alfons eine Erfahrung dar, die alles andere war als etwas, das man überspringen dürfte, insofern es eben die erste Begegnung des Heiligen mit dem menschlichen Leiden darstellt und die erste konkrete Hingabe an eine Möglichkeit des religiösen Wirkens in der Begegnung mit dem Nächsten.

Diese Möglichkeit wurde zur Wirklichkeit in der zweiten Etappe des missionarischen Lebens von Alfons (1726-1732), wo er zum Priester geweiht, sich völlig der Evangelisierung des Volkes widmete. Er übte sein Dienstamt in den ärmsten Stadtvierteln Neapels aus, wobei er die Klassenvorurteile überwand, denn er entstammte ja einer Adelsfamilie; indem er sich von Laien unterstützen ließ, gründete er die "Cappelle serotine", wobei er an verschiedenen Orten der Stadt, das Volk aus bescheidener Herkunft, die Handwerker, die Hausierer, die Fischer, die Lastträger versammelte, indem er sie im Katechismus unterwies und sie zum praktischen Üben des christlichen Lebens anleitete; das Werk erreichte eine rasche Verbreitung und wurde zu einer Schule der bürgerlichen und religiösen Erziehung. Als den "Apostolischen Missionen" Zugesellter begab sich Alfons in verschiedene Landstriche und Städte Kampaniens und Apuliens, wobei er den Volksmassen die ewigen Wahrheiten predigte.

Aber allmählich wie sich der Wirkkreis ausweitete und wie er sich der religiösen und sittlichen Lage der Leute bewusst wurde, gab er sich Rechenschaft, dass er der Weitläufigkeit der Aufgabe nicht gewachsen war und dass es andere Kräfte brauchte, die tätiger und zahlreicher sein würden. Von dieser Forderung angetrieben und von Gott inspiriert, gründete er 1732 zu Scala die Kongregation der Redemptoristen, was auf die dritte Etappe seiner Missionsreise hinwies, die sich bis zum Jahre 1762 hinzog. Mit einer solchen Gründung wollte er in einem gewissen Sinn an der Universalität und Dauerhaftigkeit der Kirche teilnehmen, worin er seinen tiefen kirchlichen Sinn offenbarte. Er wies als spezifischen Zweck seinen Ordensleuten zu, das Predigen der Missionen für die Armen, die Bedürftigen und die Fernstehenden. Er war der erste Missionar seines Ordens, dabei entfaltete er während etwa dreißig Jahren eine unermüdliche Tätigkeit, indem er die Bevölkerung des Südens evangelisierte, besonders die am meisten Verlassenen und denen es an geistlichen Hilfen am meisten fehlte.

Der heilige Alfons hatte von den Missionen eine sehr hohe Vorstellung, indem er dabei an der Fortsetzung des Erlösungswerkes Christi festhielt, waren sie notwendig, um den Glauben bei den Menschen zu bewahren und neu zu beleben, besonders in den Gebieten, wo diese fern von den religiösen Zentren leben. Er hegte ein absolutes Vertrauen in ihren Wert und in ihren Erfolg, denn wenn sie mit Einsicht organisiert und mit Ernst entfaltet werden, erreichen sie ein sicheres Ergebnis; so war er überzeugt, dass in vielen Fällen allein die Missionen die Bekehrung bewirken und die Christen zur religiösen Praxis und zum häufigen Empfang der Sakramente zurückbringen können; er behauptete: "Durch die Predigt wurde die Welt bekehrt ... und durch die Predigt wird der Glauben bewahrt". Deshalb forderte er von sich selber und von den andern sittliche Strenge im Lebenswandel, ernsthafte kulturelle Vorbereitung, völlige Hingabe. Er hatte von dem, was man den Geist und die Technik der Mission nennen mag, seine eigene persönliche Vorstellung, die sehr triftig war. Es ist richtig, die Mission beruht auf der Verkündigung des göttlichen Wortes, aber das Wort muss sich in der Person inkarnieren, die es verkündet, weil die Verkündigung, wie jedes menschliche Tun sich in der Freiheit und in der schöpferischen Spontaneität des Geistes verwirklicht. Es muss ein erfahrenes, gelebtes, gelittenes Wort sein; es braucht eine innere Kohärenz und eine Angleichung des Wortes an den Glauben und das Leben dessen, der es verkündet:

"Nur wer mit dem Herzen spricht und das in die Tat umsetzt, was er sagt, der wird zum Herzen der andern sprechen und wird sie bewegen, Christus zu lieben". Subjektive Kohärenz ist notwendig absolut betrachtet, aber auch notwendig aus einem äußern sozialen Grund, weil die Leute das Betragen des Predigers beurteilen und wollen, dass es mit den Worten im Einklang steht: "Die Predigten jenes Predigers werden gering geschätzt, dessen Lebenswandel gering geschätzt wird".

Er forderte außerdem ein ernsthaftes Studium und einen gewissenhaften Fleiß, da er sich der Schwierigkeit der echten Verkündigung bewusst war; von der guten Verkündigung hängt ihr Erfolg ab; so schrieb er: "Um gut zu predigen ist an erster Stelle die Lehre und das Studium derselben notwendig. Wer aufs Geratewohl und wie ein Tölpel predigt, wird mehr Schaden als Nutzen anrichten". Eine andere Bedingung, bei der er nicht nachgab, war die Einfachheit der Darlegung und die Klarheit des Stils; in Anbetracht dessen, dass es unter der Hörerschaft immer Unwissende gibt, "muss sich der Prediger immer vorstellen, dass er wie einer von ihnen ist, dem ein andrer beibringen oder ihn überzeugen will, dass er etwas tun muss. Deshalb muss der Wortschatz volkstümlich und umgangssprachlich sein, die Satzperioden kurz und ungezwungen, wobei man dieselbe Art zu denken nachahmt, die solche Leute untereinander zu gebrauchen pflegen. Im Grunde soll die ganze Anstrengung des Predigers darin bestehen, verständlich zu machen, was er sagt, und dazu zu bewegen, dass man tue, wozu er ermahnt, in der Gestalt, die eine Bresche schlägt bei derartigen Leuten". Alfons war der Erste, solche Vorschläge in die Tat umzusetzen, wie sein Biograph, Pater Antonio Tannoia erklärt: "Es gab in seinen Predigten kein Geschwätz und kein eitles Gepränge mit nutzloser Gelehrsamkeit; vielmehr war alles voll Kraft und Gehalt".

2. Der Schriftsteller

Der heilige Alfons entfaltete seine Sendung nicht nur mit Predigen, sondern auch in beträchtlicher Weise mit den Schriften, denen er einen großen Teil seiner Zeit widmete, denn er hatte begriffen, dass er damit dorthin gelangen konnte, wo sein Wort nicht hinkam. Er entfaltete solche Tätigkeit in drei Richtungen: in die MORALTHEOLOGIE, in die Asketik und in die Dogmatik. Vor allem auf dem Gebiet der Moral, wo er spürte, dass sein Eingreifen dringender war. Es existierten damals auf solchem Gebiet zwei entgegengesetzte Strömungen: einerseits gab es die Laxisten, die eine weitmaschige Auffassung vom Gewissen hatten und die beim sittlichen Betragen wahrscheinlichen Meinungen zu folgen gestatteten zum Schaden des Gesetzes; es gab andrerseits die Rigoristen, die sehr hohe Forderungen stellten und die Freiheit opferten, um das Gesetz zu retten. Diese Strömung war weit verbreitet in Italien und nach ihren Grundsätzen bekam der heilige Alfons seine erste Ausbildung beim Studium der Moral. Diese hatte und strenge Einstellung, die von der großen Mehrheit der Priester befolgt wurde, hatte die Beichte aus einem Sakrament der Verzeihung und der Versöhnung in ein erbarmungsloses Gericht der Gerechtigkeit und der Furcht verwandelt, das die Seelen in Angst und manchmal in Verzweiflung stürzte. Einer solchen Lage gegenüber, die in deutlichem Gegensatz zur Frohbotschaft vom Erbarmen und der Liebe stand, und "das Blut Christi nutzlos machte", ging der heilige Alfons in den ersten Jahren seines priesterlichen Dienstes einem echten Gewissenskonflikt entgegen. Und er entschloß sich, Abhilfe zu schaffen, einen neuen Weg zu finden, der das schwierige Problem zu lösen und das Geheimnis der Erlösung wirksam werden zu lassen vermöchte.

Er unterwarf sich einer langen und ausdauernden Untersuchung, die von ihm eine ungeheure Mühe und unerhörte Anstrengungen und Opfer verlangten, weil er sich inmitten eines Waldes von auseinandergehenden Meinungen, von ungewissen Einstellungen und kontrastierenden Systemen bewegen sollte. Er sammelte und ließ durch das Sieb seiner Kritik 80000 Meinungen von ungefähr 8000 Autoren hindurchgehen. Am Ende seiner langen und harten Erkundung fand er eine sichere und zufriedenstellende Lösung: gestützt auf die Schrift und die Überlieferung, auf das Lehramt der Kirche, auf das Denken der angesehensten Theologen und auf sein persönliches Nachdenken, legte er einen Mittelweg fest zwischen Laxismus und Rigorisrnus, bestehend aus Ausgewogenheit und Klugheit, womit er die Moral der neuen Zeiten einleitete. Diesen Weg legte er klar und nüchtern in seinem Meisterwerk dar, in der TEOLOGIA MORALIS, wovon er verschiedene Ausgaben veröffentlichte, wobei er sie immer einer sorgfältigen Revision unterwarf.

Sein System wurde allmählich von den Beichtvätern und Seelenführern befolgt und mit der Zeit wurde es von den Bischöfen aufgenommen und von den Päpsten gutgeheißen und wurde zur offiziellen Lehre der Kirche. Hier nun wie 1864 der Kardinal Henry Manning diesen langsamen aber sichern Weg beschrieb: "Der heilige Alfons ist der Lehrer der richtigen Mitte, sein Einfluss auf die Herzen ist von Tag zu Tag gewachsen... dabei ging es von einer Nation zur andern, von einer Kirche zur andern, von einer Diözese zur andern, von einem Beichtstuhl zum andern: der Geist des heiligen Alfons und die Güte seiner pastoralen Liebe zu den Seelen sind überallhin eingedrungen, sie haben gesiegt in allen katholischen Ländern und herrschen heute als die Meister in der ganzen Ausdehnung der Kirche Gottes".

Außer als Moralist entfaltete der heilige Alfons seine Tätigkeit als Schriftsteller auch als LEHRMEISTER FÜR SPIRITUALITÄT, insofern er das christliche Leben auch auf seiner höchsten Ebene mitten ins Volk Gottes hineintragen wollte. Zu diesem Zweck schrieb er Bücher für Asketik von kleinem Umfang, aber reich an Inhalt, von einfacher Schreibweise und zugänglich für alle, Bücher, die in ununterbrochenem Rhythmus aus seiner unermüdlichen Feder hervorgingen. Wir erinnern an: Vorbereitung auf den Tod, das "im Königreich Neapel die Auswirkung einer Generalmission hervorbrachte", nach der Aussage eines Tannoia: die Besuchungen des Allerheiligsten Sakramentes und der Gottesmutter, die einen außerordentlichen Erfolg hatten und ihn weiterhin haben "Weil sie ein herrliches Handbuch zum Gespräch mit Jesus Christus sind" (Albino Luciani); Vom großen Mittel des Gebetes, welches das vom Verfasser bevorzugte Buch war, und das er gern überall verbreitet hätte; Jesus lieben lernen, das der heilige Alfons als "das frömmste und nützlichste von allen seinen andern Werken" bezeichnete; Die Herrlichkeiten Mariens, "das letzte große europäische Buch, das zum Ruhm Mariens geschrieben wurde" (Giuseppe De Luca); (Die wahre Braut Jesu Christi, die verbindlichste und am meisten systematische Synthese der Aszetik unseres Heiligen, worin die Hauptelemente seiner spirituellen Lehre zusammengefasst werden vorwiegend aber für Ordensleute).

Eine derartige Lehre bewegt sich gemäß einigen grundlegenden Linien: am Anfang des christlichen Lebens steht die alle umfassende Berufung zur Heiligkeit, die allen vorgelegt wird, denn Gott will, dass alle heilig werden. Das Wesentliche der Heiligkeit besteht in der LIEBE ZU GOTT, Tugend, die eine am Anfang, im Verlauf und am Ende der geistlichen Reise bestimmende Aufgabe entfaltet gemäß einer beständigen Dynamik der Entwicklung. Die Liebe ist verbunden mit der Gottesfurcht, zwei Bestandteile, die allzeit gegenwärtig sein müssen auf dem Weg zur Vollkommenheit; doch während am Anfang die Furcht vorherrscht, sicher nicht eine knechtische Furcht sondern eine kindliche Ehrfurcht, doch im Laufe der Zeit übernimmt die Liebe die Oberhand. Um Gott zu lieben und zu fürchten, ist es notwendig, sich mit Jesus Christus zu vereinen, dem Mittler, der zum Vater hinführt und der im Mittelpunkt des Lebens eines jeden Gläubigen stehen muss.

Die Liebe führt zur Kontemplation der Geheimnisse des Lebens Jesu: der Geburt, des Leidens, der Eucharistie hin; sie bringt die Loslösung von den Geschöpfen, damit die Seele frei sei bei ihren geistlichen Bewegungen und die Vereinigung mit Gott erreichen kann, die im Einklang mit seinem Willen besteht, worin der Gipfel der Heiligkeit erreicht wird. Bei seiner Unterweisung ist der heilige Alfons immer praktisch, weil er die Mittel zur Vollkommenheit bezeichnet, wovon die wichtigsten die Abtötung, der häufige Empfang der Sakramente, das Gebet und die Betrachtung sind.

Die spirituelle Lehre des heiligen Alfons, gestützt auf das Wesentliche der christlichen Botschaft, ausgestattet mit einem außerordentlichen Sinn für die Wirklichkeit und einer einzigartigen Kenntnis der Volksseele, hatte einen wunderbaren Erfolg während seines Lebens und hatte ihn weiterhin in wachsendem Ausmaß nach seinem Tode; der offensichtliche Beweis dafür ist die Tatsache, dass seine Bücher in etwa siebzig Sprachen übersetzt und insgesamt etwa 21 tausendmal wiedergedruckt wurden; sie sind unsterblich und weltumspannend zum gemeinsamen Erbe der Menschheit geworden. Jemand hat gesagt, dass der heilige Alfons der volkstümlichste Schriftsteller gewesen ist, den es jemals gegeben hat und man darf ihn als einen "Kirchenvater" festhalten. Sein literarischer Erfolg und der außerordentliche Wert seiner Spiritualität sind folgendermaßen von Henri Daniel-Rops in seiner Kirchengeschichte umrissen worden: "Der heilige Alfons ist ein außerordentlicher Beschreiber geistlicher Dinge; er ist der wirkungsvollste Denker seiner Epoche; derjenige, der die Wege in die Zukunft öffnet. Wenn wir im Abstand von zwei Jahrhunderten das Denken des heiligen Alfons Maria von Liguori betrachten, ist es uns nicht möglich, nicht festzustellen, dass es in sich alle großen Elemente des Katholizismus trug, wie wir ihn haben ausmünden sehen nach der revolutionären Krise. Es gibt nur ganz wenige Elemente des religiösen Lebens, wie es im neunzehnten Jahrhundert praktiziert wurde, wovon man nicht in dieser Lehre die Wurzeln findet. Handle es sich nun um den Sakramentenempfang oder um die Marienverehrung, um das sittliche Verhalten oder um die Stellung, die der Kontemplation zu geben ist, in allen Punkten findet man das Denken dieses klugen und maßvollen Mannes wieder, der es dennoch verstand, ein so tüchtiger Streiter Christi zu sein ... Die katholische Seele der neuen Zeiten wird sich mehr, als man derzeit denkt, von der alfonsianischen Spiritualität ernähren".

Der heilige Alfons, hervorragender Moraltheologe, Lehrmeister der Spiritualität war auch ein bemerkenswerter Schriftsteller der DOGMATISCHEN THEOLOGIE. Aber nach dem Urteil von Giuseppe Cacciatore, orientierte ihn sein positiver Charakter zu den unmittelbareren Problemen des Lebens der Gläubigen hin, das von der Aufklärung eines Voltaire und vom Jansenismus in seinen letzten praktischen Entwicklungen gefährdet war. Darum trägt sein dogmatisches Werk mehr die Charakterzüge einer Kontroverstheologie als die der systematischen. Mit seiner vollen Zustimmung zur Offenbarung besitzt er zuverlässig den Sinn für das innerste Leben der Kirche, das aus seiner Theologie zusammen mit dem Verständnis für die Bedürfnisse der Seelen eine Theologie des Heiles macht.

Die Kirche als einziges Mittel des Heiles ist das Ziel des Weges zur Wahrheit und sie ist die einzige Verwahrerin aller Mittel, um gerettet zu werden. Alfons führt mit einem im 18. Jahrhundert ungewöhnlichen Verfahren den Ungläubigen zur Kirche hin, wobei er über drei Stufen geht: dem Atheisten beweist er die Existenz Gottes; dem Deisten die Existenz der positiven Religion; dem Nichtkatholiken die Göttlichkeit der katholischen Kirche. Bei diesem Aufstieg ruft er den ganzen Menschen zur Wahrheit hin, wobei er sich nicht nur an den Verstand wendet, sondern auch an die sittlichen und die psychologischen Faktoren. Dabei geht er weiter vor, wenn einmal die Göttlichkeit der katholischen Kirche angenommen wird, unterstreicht er die absolute Zuverlässigkeit der Botschaft, welche die Kirche hütet, indem er DIE UNFEHLBARKEIT DES KIRCHLICHEN LEHRAMTES verteidigt.

Ein andrer hervorragender Punkt beim dogmatischen Einsatz des Verfassers lag in der Beziehung zwischen der Gnade und der Freiheit des Menschen, die er mit einem Sinn für Neuheit, mit Ausgewogenheit und Intelligenz löste, wobei er die Rechte der Initiative Gottes und der menschlichen Autonomie rettete.

Der heilige Alfons, der seine Tätigkeit als Schriftsteller schon als junger Priester begonnen hatte, ließ diese mit der Zeit immer intensiver werden und er setzte sie auch noch fort, als er 1762 zum Bischof von S. Agata dei Goti ernannt wurde: in der vierten Etappe seines glänzenden missionarischen Abenteuers. Bekleidet mit der Fülle des Priestertums, wollte er der Stellvertreter Christi sein, ein echter Hirte in seiner Kirche. Er bewirkte eine Reform auf allen Sektoren des religiösen Lebens: er forderte von den Priestern Heiligkeit des Lebens und apostolischen Eifer, er ließ Missionen predigen in allen Pfarreien seiner Diözese, er hob den sittlichen und wissenschaftlichen Stand des Priesterseminars an, tilgte Missbräuche und Ärgernisse aus, indem er sich, wenn nötig, an den weltlichen Arm wandte, half den Armen und den Bedürftigen, offenbarte eine heldenhafte Nächstenliebe während der Hungersnot, die in den Jahren 1763-1764 über das Königreich Neapel hereinbrach. Er hegte eine aufrichtige und tiefe Liebe zu allen, was die Seele seines Hirtendienstes war, das Geheimnis seines Erfolges. Der heilige Alfons war ein Vorbild der wahren Gestalt eines Bischofs, dadurch erneuerte er im Jahrhundert der Aufklärung, die Beispiele geistlicher Größe und apostolischer Tätigkeit der Bischöfe des Urchristentums.

Er verzichtete auf das Bischofsamt aus gesundheitlichen Gründen im Jahre 1775 und zog sich zurück in das Ordenshaus von Pagani, wo er seine missionarische Aufgabe fortsetzte in der Leitung der Kongregation der Redemptoristen, in der Veröffentlichung neuer Bücher, im Gebet und im Opfer, bis ihn dann am 1. August 1787 Gott aus den Schatten und Bildern in die Wahrheit hineinrief.

Aus dem Charakterbild, das auf den vorhergehenden Seiten wenn auch rasch gezeichnet wurde, geht die einzigartige Größe des heiligen Alfons von Liguori hervor, der ein ganzes Jahrhundert mit der Heiligkeit seines Lebens erfüllt hat, mit seiner vielfältigen Tätigkeit, mit seinen unsterblichen Büchern. Beim Nachdenken über die vielseitige Persönlichkeit hat J. Delumeau, Professor am Collège de France, kürzlich geschrieben: "Der heilige Alfons von Liguori ist ein Riese nicht nur in der Geschichte der Spiritualität, sondern ganz einfach in der Geschichte". Urteil, das übereinstimmt mit dem im vergangenen Jahrhundert vom Dogmengeschichtler, Adolf Harnack: "Seliggesprochen (1816), heiliggesprochen (1839), Kirchenlehrer (1871) ist der Liguori das genaue Gegenstück zu Luther; und im römischen Katholizismus hat er den Platz des heiligen Augustin eingenommen ... Kein Pascal hat sich gegen ihn erhoben im 19. Jahrhundert; ja, im Gegenteil von Jahr zu Jahr ist die Autorität des Liguori als des neuen Augustin angewachsen" ... ; und er kommt zum Schluss: "Voltaire und Liguori, die ja Zeitgenossen waren, sind die einflussreichsten Männer gewesen bei der Führung der Seelen in den lateinischen Nationen".

3. Der Apostel des Erbarmens und der Liebe

Der heilige Alfons sollte Missionar sein und das Evangelium verkünden in einer Welt in Gärung und im Wandel, an Menschen, die in ihrem Glauben und in ihren Gewissheiten von neuen kulturellen, politischen und religiösen Strömungen wie der Aufklärung, dem Jansenismus, dem Jurisdiktionalismus erschüttert waren. Die lebendigste und kämpferischste Strömung war die AUFKLÄRUNG, die tief ins 18. Jahrhundert einschnitt, und wenn sie auch unbestreitbare Verdienste im Bereich der zivilen und kulturellen Erneuerung hatte, brachte sie im religiösen Bereich vorwiegend negative Auswirkungen; diese forderte den absoluten Vorrang der menschlichen Vernunft, die ihrem Urteil die Geheimnisse des Glaubens unterwerfen sollte, und da diese ja unfassbar waren, mussten sie zurückgewiesen werden; außerdem war ihre Auffassung von Gott antichristlich, insofern sie ihn als ein fernes Wesen vorstellte, das in seinen Himmeln lebt, ohne sich um die Menschen zu kümmern, die ihrem Schicksal überlassen wurden. Der JANSENISMUS, der sich theologisch auf die Beziehungen zwischen der Gnade und der Willensfreiheit stützt, wobei er sich vom strengsten Kalvinismus inspirieren lässt, der die menschliche Natur und ihre Fähigkeit, im übernatürlichen Bereich zu handeln, entwertete; mit der Vorstellung von einem anspruchsvollen und unnahbaren Gott predigte er einen sittlichen Rigorismus, eine übertriebene asketische Unnachgiebigkeit, welche die Seelen in die Traurigkeit und in den Pessimismus stürzte. Der JURISDIKTIONALlSMUS schließlich behauptete die Abhängigkeit der Kirche vom Staat, der das Recht habe, in ihr inneres Leben, in ihre Gesetzgebung, in ihre Organisation einzugreifen, ja sogar in ihre Theologie und Liturgie. Das Ergebnis dieser Strömungen war eine Entfremdung der Christen vom Glauben, das seltener-Werden ihres Sakramentenempfangs, ein großer sittlicher Niedergang, ein Seelenzustand, der vom Zweifel, vom Misstrauen, von der Angst beherrscht wurde.

Der heilige Alfons, der immer auf das Leben seiner Zeit achtete, empfänglich war für seine missionarische Berufung, begriff den Ernst der Lage und beschloss mit Verstand und Mut darauf zu reagieren. Einer Welt die den Sinn für Gott verloren hatte oder im Begriff war ihn zu verlieren, verkündigte er den Gott Jesu Christi, welcher der Gott der Liebe und des Erbarmens ist. Fest gegründet auf die Offenbarung, erklärt er laut, dass Gott Vater ist und alle Menschen liebt. Gott ist die Liebe: "Die Liebe bringt notwendigerweise das Wohlwollen mit sich, so dass der Liebende nichts anderes machen kann, als der geliebten Person Wohltaten zu erweisen. Wenn Gott alle Menschen liebt, so will er folglich, dass alle das ewige Heil erwerben, welches das höchste und einzige Gut der Menschen ist, während dies der einzige Zweck ist, wofür er sie erschaffen hat". Gott will das Heil aller mit wahrem und aufrichtigem Willen, und der Wille Gottes trägt immer den Sieg davon: Der Wille des Allmächtigen bleibt immer unbesiegt. Indem Alfons eine technische und präzise Sprechweise verwendet, erklärt er, dass der Wille Gottes von seiner Seite absolut ist, wenn auch bedingt von der Antwort und der Zustimmung des Menschen her. Gott hat seine Liebe in Christus, dem Retter der Welt, offenbart; in polemischer Auseinandersetzung mit den Kalvinisten und den Jansenisten, die den Wert und die Universalität der Verdienste Christi einengten, beweist der heilige Alfons mit einer Überfülle an Dokumentation aus der Bibel und der Überlieferung, dass ER für alle gestorben ist. Kräftig, ja fast erzürnt, reagiert er gegen jene, die behaupteten, Gott habe mit einer vorausgehenden, aber sinnlosen Diskriminierung einige Menschen vom Heil ausgeschlossen: "Wenn also Gott alle Menschen liebt, wie es sicher ist, müssen wir festhalten, dass er alle gerettet sehen will, und dass er niemals jemanden dermaßen gehasst hat, dass er für ihn jenes große Übel gewollt hätte, ihn von der Herrlichkeit auszuschließen, ehe er dessen Verdienste vorausgesehen hätte. Unser Gott ist ein Rettender: es ist eine Eigenheit der Natur Gottes, dass er alle rettet und alle vom ewigen Tod befreit. Weiter: Gott lädt alle zur Bekehrung ein; das heißt, dass er den wahren Willen hat, alle zu retten: wie könnte er sonst zur Bekehrung einladen, wenn er nicht will, dass alle gerettet werden? Vor der Erhabenheit des Geheimnisses ist es nötig, eine Haltung der Demut einzunehmen und in Stille anzubeten: "Ich sage aber, dass ich es nicht verstehen kann, da diese Angelegenheit der Vorherbestimmung ein sehr tiefes Geheimnis ist. Wir müssen uns dem Willen des Herrn unterwerfen, der der Kirche dieses Geheimnis im Dunkel hat belassen wollen, damit wir uns alle verdemütigen unter die erhabenen Urteile seiner göttlichen Vorsehung ... Somit wird es immer notwendig sein, um gerettet zu werden, dass wir uns in die Arme der göttlichen Barmherzigkeit hineinwerfen, damit sie uns mit ihrer Gnade beistehe, um das Heil zu erwerben, wobei wir immer auf ihre unfehlbaren Verheißungen vertrauen, zu erhören und zu retten, wer sie darum bittet".

Drei Aspekte gibt es, die von Alfons unterstrichen werden in der Beziehung des Menschen mit Gott; vor allem das Gebot der Hoffnung gilt für alle, und nicht nur für die Auserwählten, wie es die Kalvinisten und die Jansenisten möchten: nun aber ist die göttliche Hoffnung ein sicheres Erwarten der Rettung, Gewissheit, die sich auf die Güte und Treue Gottes stützt, auch wenn diese vereint ist mit der Furcht, insofern der Mensch fallen und verlorengehen kann.

Der andere Aspekt ist die Einstellung des Heiligen beim Lösen der Gewissensfälle, die geprägt ist vom Verständnis, von der Mäßigung, von der Ausgewogenheit; er gründet diese Haltung auf die Analyse der menschlichen Psychologie, aber auch und vor allem auf den Gedanken an die Liebe Gottes, der nicht unmögliche Dinge auferlegt, sondern nur solche, die in Reichweite des Menschen liegen.

Der dritte Aspekt ist die Stellung des heiligen Alfons beim Problem des Bösen und des Schmerzes, Problem, das eingehüllt ist im Geheimnis, es steht aber sicher nicht der Existenz, der Macht, der Güte Gottes entgegen. Der Schmerz kann eine Kundgebung der Gerechtigkeit Gottes sein und er kann die Bedeutung einer Züchtigung annehmen, insofern er als Vater die Menschen dadurch bessern will, um sie zu retten. Unter den zahlreichen Texten, die über alle Werke unseres Schriftstellers verstreut sind, wollen wir einige bedeutsamere zusammentragen: indem er einen Kommentar zum Jesajatext (Jes 1,24) gibt, schreibt er so: "Seht, wie Gott spricht, wenn er von Züchtigungen und von Vergeltung spricht: er sagt, dass er von seiner Gerechtigkeit gezwungen wird, sich an seinen Feinden zu rächen. Aber merkt euch, er schickt das Wörtchen "Wehe" (hebr. hui) voraus: dieses Wort ist ein Schmerzensschrei, wodurch er uns zu verstehen geben will, dass, wenn Gott zum Klagen und Weinen fähig wäre, ehe er uns züchtigt, er bitterlich weinen würde, wenn er sich genötigt sieht, seine Geschöpfe zu betrüben, da er sie so sehr geliebt hat, bis zum Hingeben seines Lebens aus Liebe zu uns ... Nein, dieser Gott, welcher der Vater der Erbarmungen ist und der uns so sehr liebt, hat nicht Neigung, uns zu strafen und uns zu betrüben, sondern zu verzeihen und zu trösten ... Und wenn dem so ist, wird einer sagen, warum züchtigt uns denn Gott nun? Oder wenigstens zeigt er, dass er uns züchtigen will ? Weil er Barmherzigkeit gegen uns walten lassen will: diese seine Entrüstung, die er uns jetzt zeigt, ist alles Geduld und Erbarmen. Wir wollen also einsehen, dass der Herr jetzt sehen lässt, dass er entrüstet ist, nicht so sehr um uns zu züchtigen, sondern damit wir die Sünden tilgen und dass er uns so verzeihen könne". In einem andern Kontext, der auf den heiligen Paulus zurückgreift, wo dieser erklärt, dass uns nichts von der Liebe Christi trennen kann (Röm 8,35), schreibt der heilige Alfons: " ... und dann mögen die Missgeschicke kommen, die Verlassenheit, die Kreuze, die Unwetter, die Finsternis, die Hoffnungslosigkeit, die Hölle; willkommen sollen sie sein! Immer vorausgesetzt, dass es Gott so gefällt; immer ist es derselbe gütige Gott, der geliebt zu werden verdient".

Das Thema der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes geht durch alle Schriften des heiligen Alfons hindurch, besonders durch die Briefe, die noch unmittelbarer sein Gemüt widerspiegeln im direkten Kontakt mit lebenden Personen. Unter diesen befindet sich einer, den er an seine Neffen richtete (sie waren als Waisen zurückgeblieben, und Alfons erklärt sich als ihr Vater, voller Zuneigung und Aufmerksamkeiten: ein Zug seiner tiefen Menschlichkeit); nachdem er sie lebhaft ermahnt hat zum Studium und zum Gebet, zur Ehrfurcht vor Gott und zur Liebe, fährt er fort: "Es soll euch am Herzen liegen, Gott zu fürchten als euren Herrn, aber noch mehr ihn zu lieben als euren Vater. .. ja, er ist euer Vater, liebt ihn also mit zärtlicher Liebe".

Das Gottesbild im heiligen Alfons ganz von Liebe und Barmherzigkeit inspiriert, und das in einem religiösen Klima, das von der jansenistischen Lehre und von der Aufklärung verseucht war, ist wahrhaftig überraschend und ist ein Zeichen für seine wesentlich christliche Einstellung: diese ging hervor aus seiner Kenntnis der Bibel, aus seinem Studium der in hohem Maße unverfälschten Überlieferung, aus seiner mystischen Erfahrung und aus seinem Hirtendienst, entfaltet im Kontakt mit so vielen Seelen. Bernhard Häring fügt eine andere sehr eindrucksvolle Begründung hinzu: Für den heiligen Alfons war es nicht schwierig, die biblischen Charakterzüge für das Gottesbild zu entdecken, weil diese einen einzigartigen, tiefen Widerhall in seinem Herzen fanden. Papst Johannes Paul I. sagte in einer seiner ersten Audienzen, Gott sei, außerdem dass er Vater ist, auch Mutter, so wird er von vielen mehr als Mutter denn als Vater empfunden. Diese religiöse Empfindsamkeit des Papstes lässt sich daraus erklären, weil er, wie schon der heilige Alfons, die liebevolle Begegnung mit Gott mehr durch die Führung der Mutter als durch die des Vaters gefunden hatte, der eher von strengem Charakter war und der aus Gründen der Arbeit oft fern von zu Hause lebte. Es ist daher kein Wunder, dass Johannes Paul I. eine besondere Verehrung zum heiligen Alfons Maria von Liguori hatte. Ihre persönliche Erfahrung ist typisch für viele Menschen, deren Vater aus verschiedenen Gründen meistens außerhalb des Hauses lebt, und wenn er zu Hause ist, stellt er keine herzliche Beziehung her zu seinen Kindern, sondern er ist hart und autoritär. Sowohl beim heiligen Alfons wie beim Papst Luciani gab es diese bittere Erfahrung in ihrer Kindheit; aber sowohl der eine wie der andere hatten das Glück eine zärtliche und höchst liebevolle Mutter zu besitzen, die sie zur wahren Gotteserkenntnis hinführte. Das Wort Jesu, dass der himmlische Vater seine Kinder liebt, wie er sich selber liebt (Joh 17,23), konnte einen so tiefen Widerhall finden im Herzen des heiligen Alfons, weil auch ein anderes Wort Jesu sich stark in ihm eingeprägt hatte, nämlich dass jene, die auf das Wort Gottes hören und es in die Tat umsetzen, ihm nahe stehend sind wie seine Mutter (Lk 8,21). Die beiden Aussagen Jesu erleuchten und ergänzen sich gegenseitig: das innige Verhältnis Jesu zu seiner Mutter ist ein Bild der Liebe, die Gott eigen ist, zwischen dem Vater und dem Mensch gewordenen Sohn, Liebe in die auch wir eingehüllt werden. Die größere Wirklichkeit ist die Liebe des Vaters zu seinem Sohn, die auch alle Kinder Gottes umfasst.

Wichtig ist es heute in einer Welt, die sich in weitem Maß zum theoretischen oder praktischen Atheismus bekennt, das Bild Gottes wieder zu entdecken, so wie es Alfons von Liguori gesehen hat. Es ist bekannt, dass unter den Gründen, die dem Atheismus seinen Ursprung gegeben haben, einer der am meisten bestimmenden die falsche Vorstellung von Gott ist, die von verschiedenen religiösen Konfessionen gepredigt wird, von einem Gott, der vor allem strenger Richter ist, immer bereit zu züchtigen, "der Jäger hinter den Wolken" (Nietzsche), der im Begriff ist, seine Pfeile auf die Erde zu werfen. Durch das Phänomen der psychologischen Verdrängung haben die Menschen ganz allmählich diesen unbequemen Gott zurückgewiesen, bis sie ihn vollständig abgelehnt haben. Es ist um so dringender, heute die religiöse Vorstellung zu reinigen und den Menschen den Gott des Erbarmens vorzustellen, der am Kreuz gestorben ist, um sie von seiner Liebe zu überzeugen. Dies war ja die Intuition Johannes Paul II., als er an alle Menschen guten Willens seinen Rundbrief geschrieben hat, der ein in hohem Maße evangelisches Dokument ist: Reich an Erbarmen.

4. Jesus, der Erlöser

Gott hat den Reichtum seines Erbarmens in Christus kundgetan als höchste Offenbarung seiner Liebe.

Der heilige Alfons liebte Jesus Christus leidenschaftlich, weil er in ihm seinen Erlöser gefunden hat, das Vorbild fürs Leben, die Quelle der Heiligkeit. Christus kann man unter verschiedenen Aspekten betrachten, als Herrn der Herrlichkeit, als Mittler, als Bräutigam der Seele, doch Alfons sah und empfand ihn als den Retter der Menschheit; von daher versteht man sein Leitwort, das auch das der Kongregation ist: Überreich ist bei ihm die Erlösung (copiosa apud eum redemptio). Diese Wahl erklärt sich, wenn man das Temperament unseres Heiligen sich vergegenwärtigt und die Zeit, in der er lebte, eine Zeit, in der, wie es bereits gesagt wurde, die Theologie und die Spiritualität stark von der Aufklärung und vom Jansenismus bedingt waren. In Gegensatz zu diesen Strömungen, die das Geheimnis Christi verneinten oder verfälschten, glaubte und predigte er Jesus als Gott und als Mensch, als Retter der Welt, als Freund der Herzen. Er stellte ihn in die Mitte seiner Spiritualität. Es gibt da einen Text, der sehr klar seine christologische Sicht zusammenfasst: "Das ewige Wort ist in die Welt gekommen, um sich von uns lieben zu lassen: das ist sein ganzes Verlangen ... Gott, der Vater hat ihn auf die Erde gesandt, damit er unsere Liebe gewänne, dadurch dass er uns zeigt, wie sehr er uns liebt, und er erklärt, dass er uns in dem Maße liebt, wie wir Jesus Christus lieben ... Schließlich lässt er uns nur zur ewigen Seligkeit hinzu, in dem Maße wie unser Leben dem von Jesus Christus gleichgestaltet ist. .. Aber wir werden diese Gleichförmigkeit nie erwerben, wir hätten dafür nicht einmal den Wunsch, wenn wir ,uns nicht bemühen würden, die Liebe zu betrachten, die Jesus Christus uns entgegengebracht hat". So liebt uns Gott, wenn wir Jesus Christus lieben; er verzeiht uns, er wendet Erbarmen auf uns an, er rettet uns, nur weil er uns mit Jesus vereint sieht und Jesus in uns sieht: ohne diese Anwesenheit werden wir verloren sein. Die Verehrung des fleischgewordenen Wortes muss an erster Stelle stehen, in Absolutheit, unter den Andachten muss es das Herz eines jeden christlichen Lebens sein; der heilige Alfons erinnert nachdrücklich die Gläubigen und die Prediger an diesen wichtigen Punkt: "Viele widmen sich andern Andachten und vernachlässigen diese. So viele Prediger und Beichtväter sprechen wenig von der Liebe zu Jesus Christus, von der wichtigsten, ja der einzigen Andacht der Christen. Diese Vernachlässigung hat beklagenswerte Folgen, denn wenn die Seelen wenig Fortschritte machen in der Tugend und weiterhin in die Fehler fallen, dann geschieht das, weil diese sich wenig befleißigen und wenig ermuntert werden, Jesus Christus zu lieben".

Der heilige Alfons betrachtet die Liebe Christi und sein Werk des Erlösers besonders in drei Ereignissen: in der Fleischwerdung, im Leiden und in der Eucharistie. WEIHNACHTEN war für sein Nachdenken beständig gegenwärtig und er widmete ihm verschiedene Schriften, Betrachtungen, Gebete und Lieder; in ihnen wiegt die Frömmigkeit, das Vertrauen, die Zärtlichkeit gegen das Kindlein von Betlehem vor, aber diesen Gefühlen liegt eine tiefe theologische Sicht zugrunde: Jesus hat in seiner Fleischwerdung eine einzelne menschliche Natur angenommen, aber der Potenz nach nahm er die Natur jedes Menschen an, wobei er zum Haupt der erlösten Menschheit wurde und dadurch sind alle mit Ihm vereint. Aus dem Bewusstsein von dieser Tatsache, von der Gewissheit, gerettet zu sein, bricht bei Alfons die Freude hervor, die sich kundtut in Gebeten, in Anmutungen, in Gesängen (Das berühmteste Weihnachtslied ist, wie alle wissen, "Tu scendi dalle stelle", ein Lied, das von Verdi sehr geliebt wurde; er sagte dazu 1890: "Ohne dieses Hirtenlied wäre Weihnachten keine Weihnacht mehr"). Er beschreibt die Anziehungspunkte des göttlichen Kindes, die Lehren, die es gegeben hat, die Tugenden, die es geübt hat, die Gnaden, die es mitgebracht hat; er lernt von ihm "die göttliche Morallehre", er entnimmt aus seiner Wiege die stärksten Beweggründe zur Nächstenliebe. Er lässt sich besonders von den Gegensätzen des Jesuskindes beeindrucken, des Gottmenschen: Er der Gott war, wurde Mensch, von groß wurde er klein, vom Herrn wurde er zum Knecht, von unschuldig wurde er zum Schuldigen, von reich machte er sich arm, von erhaben machte er sich niedrig.

Das andere Ereignis aus dem Leben Christi auf das Alfons sein häufiges Nachdenken übertrug, war das LEIDEN, worin er den höchsten Beweis seiner Liebe fand, die Rettung nicht nur verheißen, sondern in Fülle verwirklicht. Der Aspekt, der ihn am meisten anzog, war die Liebe Jesu, der letzte Grund, der ihn bewog, zu leiden und zu sterben. Die Liebe fand ihren Ausdruck in der Sehnsucht nach dem Leiden, die Jesus seit dem ersten Augenblick seiner Menschwerdung hatte, die sein ganzes Leben lang wuchs und auf dem Golgota den Gipfel erreichte. Eine von der Liebe abgeleitete Dimension war die Freiheit, insofern Jesus den Schmerzensweg erwählte, die Leidenszeit, die Art und Weise des Leidens: mehr als bloß den Tod zu erdulden, ging er ihm entgegen. Die Liebe tat sich auf beredte Weise kund in den sowohl physischen Leiden, wie auch in den geistigen, die eingehend erwogen werden in kleinsten Einzelheiten. Doch der heilige Alfons, der ein Moralist war, ein Seelenhirt, bleibt nicht dabei stehen, das Leiden in sich zu betrachten und er vertieft mehr das, was es für uns gewesen ist und sein muss. Es ist wahr, die Erlösung wurde einmal für immer bewirkt, aber der Mensch muss sie annehmen, er muss sie sich aneignen, es muss geschehen, dass sie aus einer objektiven zu einer subjektiven wird. Christus ist nicht bloß Gnade, er ist auch Vorbild; das ist ein Punkt, den der Verfasser ausführlich entfaltet, manchmal polemisch gegen die Protestanten, die nur die objektive Erlösung betonen. Er lässt sich deshalb darauf ein, die Passion in den Reaktionen zu schildern, die sie auslösen soll beim Menschen, der die Pflicht hat, sie zu betrachten, den Sinn und Wert davon zu verstehen, um die Wissenschaft des Kreuzes zu erwerben. Aus der Erkenntnis wird die Liebe erwachsen, die wahre Antwort, die man geben muss auf die Liebe Christi hin. Das Kreuz gibt uns die Gewissheit, dass Gott uns liebt; deshalb, wenn man anfangs einen gewissen Zweifel haben konnte, so muss man jetzt jede Angst fernhalten; doch die Gewissheit schließt das Entsetzen nicht aus, das aus dem Ärgernis des Kreuzes hervorgeht, aus dem Ereignis, das für den Verstand absurd ist, dass Gott für die Menschen gestorben ist. Aus der Betrachtung des Leidens geht die Hoffnung hervor, welches die Kraft des Geistes ist, geweckt vor allem durch den Gedanken, dass der gekreuzigte Christus den Sinn der Gottverlassenheit erfahren wollte. Die Hoffnung begleitet den Christen auf seinem ganzen religiösen Reiseweg: beim Erlangen der Sündenverzeihung, beim Erwerben der Tugend, beim Kampf gegen das Böse, beim Ausharren in der Gnade, beim Erwarten der Wiederkunft des Herrn.

Die Passion findet ihre Fortsetzung in der EUCHARISTIE, die deren immerwährende Gedenkfeier und Vergegenwärtigung ist, wodurch Christus sich wirklich gegenwärtig setzt für die Menschen aller Zeiten, ER macht sich zu ihrem Zeitgenossen. Wenige haben von der Eucharistie gesprochen in ihren drei Momenten des Opfers, der Kommunion, der Realpräsenz wie der heilige Alfons. Er betrachtet sie vor allem als Opfer, das jenes vom Golgota erneuert und das die größte Vorbereitung sowohl des Priesters, der es feiert, wie des Gläubigen, der daran teilnimmt, fordert. Im Büchlein von den Besuchungen herrscht oft die Vorstellung vor, dass Jesu Gegenwart und die Besuchung, die wir bei ihm machen, gewissermaßen die Fortführung der Messe vom Morgen und die Vorbereitung der Messe vom folgenden Tage sind. Der heilige Alfons schöpft zum großen Teil seine Lehre aus der lebendigen Überlieferung der Kirche, aus dem Studium der Väter und der großen Theologen. "Offensichtlich wird seine Unterweisung nicht inspiriert aus der neuen Messe nach der liturgischen Reform; dennoch befindet sich der heilige Kirchenlehrer bei seinen theologischen, asketischen und mystischen Kommentaren, indem er zwar dem traditionellen Text des Konzils von Trient treu bleibt, in vielen Punkten in Übereinstimmung mit dem zweiten Vatikanischen Konzil, mit seinem Geist, mit seinen Gesichtspunkten und mit seinen Änderungen". Geleitet von seinem pastoralen Sinn, hält er sich mit Vorzug bei all dem auf, was die Aufmerksamkeit der Anwesenden unterstützen, ihr Verständnis für das Geheimnis stärken, ihre aktive Teilnahme an der Messe intensivieren kann.

5. Maria im Geheimnis Christi und der Kirche

Untrennbar mit Christus vereint im Werk der Erlösung, sieht der heilige Alfons allzeit Maria, wobei er sich so in die Reihe der katholischen Tradition einfügt, indem er sie zugleich mit dem Beitrag seiner persönlichen Überlegungen bereichert. Er legte seine Lehre auf zahlreichen Seiten seiner Schriften dar, doch bot er die deutlichste und vollständigste Abhandlung davon in seinem mariologischen Hauptwerk, in den Herrlichkeiten Mariens. In diesem Buch jedoch "sammelte er mit vollen Händen unter den Aussagen und Meinungen der kirchlichen Schriftsteller aller Zeiten; ja der heilige Alfons hat es verstanden, bei den Aspekten der Andacht zu den Geheimnissen, die von ihm erwogen wurden, bis in die Tiefe vorzudringen, in besondrer Weise in das Herz der hochheiligen Maria, in ihre Freuden, in ihre Schmerzen, in ihre Herrlichkeiten. Es ist wie ein Blick, den, es dem Verfasser gelingt, in das Gemüt der Jungfrau zu werfen, wobei er ihre Empfindungen liest und ihre Gedanken errät". Unter den Gnadenvorzügen, die der Heilige mit erleuchteter und enthusiastischer Zuneigung verteidigte, nimmt den ersten Platz die UNBEFLECKTE EMPFÄNGNIS ein; man kann ohne Übertreibung behaupten, dass er einer der Hauptförderer dieser Strömung gewesen ist, die ihren Triumph in der Definition der unbefleckten Empfängnis Mariens gefunden hat.

Auch eine andere Strömung muss man auf den wirksamen Einfluss von Alfons zurückführen, nämlich die den Gnadenvorzug Mariens als MITTLERIN ALLER GNADEN von der Kirche anerkannt zu sehen. Die Grundlage dieser These, für die er sich kräftig sein ganzes Leben lang einsetzte, ist die Lehre vom mystischen Leib, das heißt vom Geheimnis der Kirche, die als lebendiger Leib betrachtet wird, dessen Haupt Christus ist, und die Menschen die Glieder sind; ein Organismus, worin die Erlösten, wenn sie ihrer Berufung und ihrer Sendung folgen, den von der Vorsehung bestimmten Platz einnehmen. Es besteht zwischen den verschiedenen Gliedern eine Lebensbeziehung, eine Beziehung der Einheit und gegenseitigen Einflusses, während jedoch jedes seine spezifische Tätigkeit beibehält; in diesem geheimnisvollen Ganzen ist Maria ein erwählter Teil, ein hervorragendes Glied des geheimnisvollen Leibes, welcher die Kirche ist. Ein solcher Primat beruht für sie auf der Tatsache, dass sie die Mutter Christi ist, von dem das Leben herrührt, die Bewegung, die Tätigkeit aller; nun aber wenn sie die Mutter des Hauptes ist, so ist sie auch die Mutter des Leibes, der untrennbar mit dem Haupt vereint ist. Bei zwei Gelegenheiten, sagt der heilige Alfons, wurde Maria zur Mutter der Menschen: bei der Verkündigung, wo sie zustimmte mit vollem Bewusstsein und Verantwortung für das Muttergottes-werden; sodann auf dem Golgota, als sie auf ihre Rechte verzichtend, den Sohn aufopferte für die Rettung der Welt; damals war es, wo Jesus sterbend, sie feierlich zur Mutter der Menschen erklärte.

Maria fährt fort ihre mütterliche Aufgabe auszuüben jetzt, wo sie in den Himmel aufgenommen ist; und in diesem Punkt bestätigt Alfons seine These mit einer reichhaltigen Argumentation und polemischer Kraft: Gott will, dass Maria dabei den Vorsitz einnimmt und mit ihrer Fürsprache zum Wachstum und zur Bewahrung des göttlichen Lebens beiträgt, das sich in den Getauften befindet, bis hin zur vollen Entfaltung in der Herrlichkeit. Die grundlegende Begründung einer solchen Sendung ist folgende: Maria hat die Menschen zum übernatürlichen Leben als Glieder Christi geboren; dieses Leben wird ihnen vom Haupt, das Christus ist, übermittelt mit allen Solidaritäten und menschlichen Beiträgen; Maria hat durch Gottes Willen eine wesentliche Aufgabe bei dieser Übermittlung: nämlich das Leben vom Haupt zu den Gliedern übergehen zu lassen. Das begründet für sie eine einzigartige Würde und eine außerordentliche Ehre, aber es stellt vor allem einen unvergleichlichen Dienst dar, den sie mit eifriger Fürsorge und mit Freude erfüllt. Sie ist die Magd des Herrn, allzeit bereit, den Willen des Vaters zu erfüllen. Maria empfängt die Gnade in ihrer Fülle; aber sie empfängt sie, um sie mitzuteilen, sie ist die Mittlerin aller Gnaden. Alles, was sie für Jesus tat, das tut sie nun für seine schwachen und leidenden Geschwister: sie nährt sie, sie erzieht sie, sie unterstützt sie, sie verteidigt sie; und alles erfüllt sie mit Geduld und mütterlicher Zärtlichkeit den ganzen Lauf ihres Lebens lang; sie ist die Mutter von der immerwährenden Hilfe. Sie als Mutter der Barmherzigkeit stellt das Bild der weiblichen Zärtlichkeit bei Gott dar.

Mit dem heiligen Alfons von Liguori ist in der Kirche ein neuer Typ der Verehrung gegenüber der Gottesmutter aufgetreten, der von seinem persönlichen Temperament und von dem des neapolitanischen Volkes, zu dem er gehörte, abhängig ist. Manchmal könnte das in den Ausdrücken und auch in den äußern Andachtsbekundungen als übertrieben erscheinen, den Stempel eines übertriebenen Eifers, einer Art von volkstümlichem Enthusiasmus, tragen. Das ist eine Bemerkung, die ihm von verschiedenen Schriftstellern schon während seines Lebens gemacht wurde, besonders aber nach seinem Tode.

Diese Beanstandung brachte jedoch nicht gegen ihn vor der berühmteste Konvertit des achtzehnten Jahrhunderts, John Henri Newman, der, wenn er einige Werke des heiligen Alfons direkt an der Quelle las, aufrichtig wie er immer war, seine Vorurteile bei seinen Auseinandersetzungen änderte, und behauptete, er habe bei ihm die christliche Andacht gefunden in den authentischen und wesentlichen Werten, und es war eigens der heilige Alfons, der bei ihm das letzte Hindernis zu seiner Bekehrung zu Fall brachte und ihn beim Übergang vom Anglikanismus zum Katholizismus führte. Folgendes ist sein Bekenntnis: "Man muss vorausschicken, dass die Schriften des heiligen Alfons, wie ich sie aus den Auszügen kannte, die man gemeinhin von ihnen machte, mein Vorurteil gegen die römische Kirche sehr stark genährt hatten, wegen ihrer sogenannten «Mariolatrie»: aber in diesem Buch (es war ein Predigtbuch des heiligen Alfons, das ihm ein irischer Priester geschenkt hatte, Dr. Russell, der Rektor des Priesterseminars von Maynooth) fand ich nichts von dieser Art. ... Gewisse Andachtsbekundungen zu Ehren der Muttergottes waren für mich das große Kreuz gewesen im Hinblick auf den Katholizismus; ich sage es offen, dass es mir nicht gelingt, auch jetzt noch sie euch mitzuteilen; und ich vertraue darauf, dass ich die Muttergottes dennoch liebe, auch wenn es mir nicht gelingt, mir jene Andachtsformen anzueignen... Seit meiner Kindheit hatte ich gelernt, dass mein Schöpfer und ich, sein Geschöpf, dass wir die beiden Wesen waren, lichtvoll so geartet aufgrund der Natur der Dinge. Ich werde hier nicht meine Gefühle erforschen. Aber jetzt weiß ich es bestens, während ich es damals nicht wusste, dass die katholische Kirche nicht zulässt, dass irgendein Bild, irgendeiner Art, weder materiell, noch immateriell, irgendein dogmatisches Symbol, irgendein Ritus, irgendein Sakrament, irgendein Heiliger, nicht einmal die selige Jungfrau sich zwischen die Seele und ihren Schöpfer stellt".

6. Gottinniger Humanismus

Der heilige Alfons wurde der "Heilige des Zeitalters der Aufklärung" genannt, nicht nur weil er im achtzehnten Jahrhundert lebte, sondern auch weil er davon verschiedene Einflüsse erfuhr, worauf er mit Intelligenz und mit Mut reagierte; und wenn die negativen Aspekte denunziert wurden, verstand er es auch die positiven Werte davon zu pflücken. Einer von diesen Werten war die Neuaufwertung des Menschen, der seine Autonomie behaupten sollte, seine Freiheit, seine Würde, er sollte "aus einer schuldhaften Minderjährigkeit herausgehen und den Mut haben, sich seines eigenen Urteils zu bedienen" (Kant). Der heilige Alfons behielt solche Forderungen als legitim bei, sofern sie in gerechten Grenzen gehalten wurden und von der Vernunft und vom Glauben geleitet wurden. Seinerseits seiner missionarischen Berufung treu, befleißigte er sich, eine solche Aufgabe auf dem Feld der christlichen Ethik zu verwirklichen. Er stützt sie auf einige Prinzipien ab, welches die Kraftlinien seines moralischen Konzepts sind. Zunächst stellt er fest, dass der Mensch, vor allem der Christ, die Pflicht hat, ehe er zur Tat übergeht, sich EIN PERSÖNLICHES URTEIL ZU BILDEN über die Erlaubtheit der Tat selber, und er soll nicht passiv die Meinung der andern befolgen, auch wenn es angesehene Theologen sind; er muss sich auf sein Gewissen berufen.

Der Rückgriff auf das Gewissen ist notwendig und hinreichend; er ist vor allem notwendig, weil der Mensch kein vollständig autonomes Geschöpf ist, sondern er hängt von einem höheren Gesetz ab, welches das GÖTTLICHE GESETZ ist; und er hat die Pflicht, es zu KENNEN, weil er wissen muss, welches die Absicht Gottes ist, und bei seiner Tätigkeit mit ihm zusammenarbeiten muss; diese Kenntnis erlangt man durch das Gewissen, welches das praktische Urteil der Vernunft ist, und von der katholischen Überlieferung wird ein Bild festgehalten, eine Teilhabe an der ewigen Vernunft Gottes. Der Rückgriff auf das Gewissen ist auch hinreichend, wenn dieses im richtigen Sinn genommen, mit Ernst studiert, mit Beständigkeit befolgt wird. In diesem Punkt stößt der heilige Alfons über die Stellungnahmen des heiligen Thomas von Aquin vor und anerkennt für die subjektive Absicht eine entscheidende Bedeutung, welche der äußern Handlung ihre moralische Physiognomie aufprägt. So wird die "Wahrheit" des Menschen sehr lebendig hervorgehoben, der, indem er sich auf das Gewissen und auf seine Fähigkeit, die sittlichen Probleme zu lösen, stützt, das Gesetz VERINNERLICHEN und personalisieren muss.

Die Stellungnahme des heiligen Alfons drängt sich in höherem Maße auf, wenn man das kulturelle Umfeld, in dem er handeln sollte, betrachtet und die zu seiner Zeit in der Kirche vorherrschende moralische Orientierung. Es gab damals sehr viele Moralisten, unter denen Concinna und Patuzzi hervorragten, die entschieden Partei nahmen für die Rechte des Gesetzes zum Nachteil der Freiheit; diese behaupteten, am Anfang stehe das Gesetz, folglich im Zweifelsfall, ob man erlaubter Weise handeln darf unter bestimmten Umständen, muss man zum Gesetz stehen, welches im "Besitz" des Rechtes ist, und man darf nicht die Freiheit wählen: denn besser ist die Lage des Besitzenden.

Der heilige Alfons hatte wie ein einsamer Ritter den Mut, sich gegen die Strömung zu stellen. Er vertritt und beweist mit kräftiger Argumentation, dass am Anfang der Mensch in Gottes Gegenwart steht, und von ihm erschaffen noch vor dem Gesetz. Der Mensch ist zunächst frei, von Natur aus auf das Gute hin orientiert; sodann schreitet das Gesetz ein, das seine Freiheit einschränkt; infolge dessen ist DIE FREIHEIT sicher, existent, und im Zweifelsfall ist sie "die Besitzende" , sie ist dem Gesetz überlegen:

"Alles ist erlaubt, - erklärt der heilige Alfons - ausgenommen das, was sicher verboten ist".

Er setzt die leidenschaftliche VERTEIDIGUNG DES MENSCHEN in einem andern Kontext fort, nämlich im Widerlegen einiger Thesen der Jansenisten, welche ihn in Abhängigkeit von Luther und Calvin bedrückten, indem sie ihn als Sklaven der verdorbenen Natur ansahen, unfähig, den Anreizen des Bösen zu widerstehen, weshalb er notwendig dem obsiegenden Gefallenfinden (delectatio victrix) unterliegt. Er stellt dem drei klare und befreiende Grundsätze gegenüber, die man festhalten kann als Menschenrechtserklärung, als Erklärung seiner Würde: 1) der Mensch kann mit Gottes Hilfe alle Anstiftungen und Verführungen zur Sünde überwinden; 2) der Mensch hat die Macht, der Gnade, dem Ruf Gottes, zu widerstehen; 3) der Mensch kann und muss mit Gott zusammenarbeiten, um sein eigenes Schicksal zu gestalten.

Beim Nachdenken über die Einstellung des heiligen Alfons in einem so wichtigen Sektor, gewissermaßen von Bewunderung ergriffen, schrieb Harnack Folgendes: "Liguori hat mit Klarheit und unbesiegbarer Kraft aus dem RECHT den VERBÜNDETEN der menschlichen FREIHEIT gemacht und nicht dessen Kläger. Der Geist der Innerlichkeit und des pastoralen Feingefühls, der die Unterscheidungsgabe des Heiligen beseelt, haben ihn zum Lehrmeister der katholischen Moral gemacht. Der jansenistische Rigorismus wurde neutralisiert, und der Tutiorismus wurde durch das Sieb einer aufrichtigen evangelischen Einstellung hindurchgelassen". Und es geschah im Gedanken an die weise und gelassene Ausgeglichenheit des Unseren, dass Croce ihn definierte als "den sehr sympathischen, neapolitanischen Heiligen, neapolitanisch im guten Sinn".

Einem andern Beweggrund zugunsten des Mannes begegnen wir in einer Maxime des Evangeliums, die oft vom heiligen Alfons in seinen Schriften und seinen Predigten wiederholt wurde: «Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, und dann seine eigene Seele verlorengeht? Was wird der Mensch geben können im Austausch für seine eigene Seele?» Mt 16, 26f. Eine Maxime, die unter seiner Feder und in seinem Mund einen zunächst eschatologischen Sinn annahm, der die ewige Bestimmung des Menschen betrifft; sie schloss aber auch eine Bedeutung ein, die wir werden als existentiell bezeichnen dürfen, insofern der Mensch in der Hierarchie der Geschöpfe den höchsten Rang einnimmt. Diese Sicht, die aus dem Glauben hervorging, besaß auch Wurzeln in der natürlichen, philosophischen Ordnung: für Alfons wie für den heiligen Thomas ist der Mensch das, was es an Vollkommenstem gibt in der Naturordnung. Die philosophische Auffassung wurde auf eine religiöse Ebene erhoben, die den Menschen als «Bild und Gleichnis Gottes» betrachtet, als Erlösten um den teuren Preis des Blutes Christi; und Alfons wollte wie Christus den Menschen retten, er wollte, auch er, nach seinen Möglichkeiten Erlöser des Menschen sein.

In diese Perspektive fügt sich eins der grundlegenden Prinzipien seiner Spiritualität ein, die radikale Loslösung von allen Dingen; wenn das notwendig ist unter der asketischen Hinsicht, damit der Mensch Gott in Fülle empfangen und sich mit ihm in seinem ganzen Wesen vereinen kann, so ist es auch erforderlich, damit er seine ganze Freiheit der Person haben kann. Um es kurz zu sagen, verteidigt der heilige Alfons den PRIMAT DES SEINS, damit der Mensch sich entfalten, wachsen, reifen, wahrhaft zur Person werden kann, damit er "das, was er ist, werden" kann. Wenn es wahr ist, was Gabriel Marcel gemäß seiner scharfen Analyse gefunden hat, dass die Hauptursache des Niedergangs der modernen Zivilisation der in den letzten Jahrhunderten immer zunehmende Vorzug gewesen ist, den man dem Haben vor dem Sein gegeben hat, weshalb der Mensch sich abgetötet hat, um dem ökonomischen Bereich vorherrschen zu lassen, dann geht daraus die Größe des Heiligen hervor, der zum Beginn des industriellen Zeitalters hartnäckig zur Verteidigung des Menschen gekämpft hat.

Die Aufwertung des Menschen in seinem Denken erreicht eine höhere Ebene im Bereich des Übernatürlichen, wo er dessen BERUFUNG ZUR HEILIGKEIT einfordert, in der vollkommenen Nachfolge Christi. In diesem Punkt ist er klar und ausdrücklich: "Gott will, dass alle heilig werden, und jeder in seinem Stand, der Ordensmann als Ordensmann, der in der Welt draußen Lebende als Weltmensch, der Verheiratete als Verheirateter, der Händler als Händler, der Soldat als Soldat, und so zu sagen gilt das für jeden andern Stand". Somit ist die Heiligkeit eine Pflicht für alle, es ist die Bedingung für das Heil, weil Gott keine Kompromisse zulässt, die Sachen nicht zur Hälfte macht; er fordert, dass man die Taufe in Fülle lebt, dass die Einigung mit Christus in all ihren Forderungen verwirklicht wird; dass die Nachahmung des himmlischen Vaters, die von Jesus vorgestellt wird, gänzlich verwirklicht wird. Der heilige Alfons bewirkte eine echte Revolution mit seiner neuen und überraschenden These; früher wurde die Heiligkeit nämlich als ein Privileg wenigen vorbehalten, der spirituellen Aristokratie: er hingegen trug sie aus den Klöstern, aus den Palästen der Adligen, aus der Wüste auf die Plätze, mitten unter das Volk; sowohl in den Büchern, wie in den Predigten richtete er an alle die Einladung "Heilige zu werden".

Wenn das fünfte Kapitel der Konstitution Lumen gentium über "die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche", die vom Zweiten Vatikanischen Konzil veröffentlicht wurde, vielen als eine Neuigkeit erschienen ist, womit noch viele Mühe haben, daran zu glauben, um wie viel mehr musste die Stellungnahme des heiligen Alfons im 18. Jahrhundert überraschen, als sich ein Lattenzaun zwischen den verschiedenen sozialen Klassen erhob, und es eine deutliche Trennung gab zwischen Klerus und Laien, zwischen Ordensleuten und Weltleuten? Zu der Zeit stößt man nicht auf einen Gemeinplatz, wenn man behauptet, der heilige Alfons sei ein Vorläufer der neuen Zeiten gewesen.

7. Der Kirchenlehrer des Gebetes

Die Heiligkeit ist ein sehr hohes Ideal, das man nur durch das Gebet erreicht. Dieser Leitgedanke zieht sich durch das ganze Werk des heiligen Alfons hindurch und drückt ihm eine eigene, unverwechselbare Physiognomie auf, wodurch er in die Kirchengeschichte als der "Kirchenlehrer des Gebetes" eingegangen ist. Als Ordensmann, Missionar, Bischof macht er daraus die Seele seines ganzen Lebens und seiner Tätigkeit; da er selber zum lebendigen Gebet geworden ist, wünscht er die andern in sein Kielwasser hineinzureißen. Und allen empfiehlt er dieses "große Mittel"; den Predigern, den Beichtvätern, den Seelenhirten macht er zu wiederholten Malen zum Vorwurf das Schweigen über diesen wesentlichen Punkt: "Was mich am meisten betrübt, ich sehe, dass die Prediger und die Beichtväter wenig darauf achten, zu ihren Zuhörern und Beichtkindern darüber zu sprechen; und ich sehe auch, dass die geistlichen Bücher, die heutzutage durch die Hände gehen, nicht einmal genug davon sprechen. Wo doch alle Prediger und Beichtväter, und alle Bücher nichts anderes nahe legen sollten als dieses Anliegen des Gebetes". In den Regeln der Kongregation vom Allerheiligsten Erlöser schreibt er seinen Ordensleuten ein intensives Gebetsprogramm vor, so dass ihr Tagesablauf ganz eingetaucht sei in den Gedanken an Gott und an seine Geheimnisse (diese Leute sollen nie den Vorwurf verdienen, dass sie nicht beten); außerdem sollen sie in den Missionen nie die Predigt über das Gebet unterlassen und sie sollen in den Pfarreien eine Regelung für die Übung desselben festlegen. Als Schriftsteller veröffentlicht er verschiedene Bücher über das persönliche und das liturgische Gebet, und er kommt mit Nachdruck darauf zurück in den dogmatischen, moralischen, aszetischen Werken, in denen er viele Kapitel mit der Anrufung Gottes, Christi, der Jungfrau schließt. In den zahlreichen Briefen, die er an verschiedene Kategorien von Leuten richtet, drängt er mit dem Tonfall der Überzeugung auf das Anliegen hin; und es gibt keine Briefe, in denen er nicht um Gebete für sich oder für andere bittet; das könnte als eine eintönige Wiederholung erscheinen, wenn es nicht der Ausdruck einer ganz von der Wahrheit dessen, was er sagt, erfassten Seele wäre.

Am Ursprung dieser in der Geschichte der Spiritualität einmaligen Tatsache, wo das Gebet als Drehpunkt und beständiger Bezugspunkt hingestellt wird, steht die höchst persönliche Überzeugung des heiligen Alfons über dessen Aufgabe in der ewigen Bestimmung des Menschen. Er, der ein sehr scharfes Einfühlungsvermögen hatte, erfuhr auf tragische Weise das Problem des Heiles, den verborgenen Schatz, die kostbare Perle, um derentwillen er alles verkaufte, um sie zu erwerben. Nun also das Heil erlangt man nach seiner unbestreitbaren Überzeugung nur und das aber sicher durch das Gebet: da gibt es eine Art von Gleichung: Gebet ist gleich Heil.

Seine Sicht des Problems kann man folgendermaßen zusammenfassen: Gott will dass alle Menschen gerettet werden, und da er sie effektiv in die Lage versetzen wollte, ihre übernatürliche Bestimmung zu erreichen, macht er sie alle fähig zum Beten. Der Mensch wird geboren in der Unmöglichkeit aus eigenen Kräften gerettet zu werden; doch der Herr, durch seine Güte angetrieben, gibt jedem die Gnade des Gebetes, wodurch er alle Hilfen erlangen kann, deren er bedarf, um die Gebote zu beobachten und zum ewigen Heil zu gelangen. Das Gebet ist somit eine Zustimmung, ein Mitwirken mit der Gnade, die Antwort des Geschöpfes auf die Anrufe und die Angebote des Schöpfers. "Das Gebet ist die Begegnung Gottes mit dem Geschöpf beim Werk des Heiles ... Beten heißt mit Gott zusammen das Gebäude des Heiles aufbauen, mit ihm zusammen die eigene Vorherbestimmung verwirklichen ... Das Gebet ist nicht so sehr eine Bedingung, um die Gnade zu empfangen, als eine Entfaltung der Gnade selber. .. Wer betet, hat schon ein erstes Ja gesagt zur Einladung der Gnade" (Giuseppe Cacciatore). Die gegenwärtige Heilsordnung der Gnade ist wesentlich und an und für sich eine Heilsordnung des Gebetes.

Es gibt am heiligen Alfons etwas dramatisches und beängstigendes, das sich im Kellergeschoss seiner Seele heftig bewegt, das sich unvorhersehbar anzeigt zu unsrer Überraschung: ein pessimistischer und tragischer Zug seiner Natur und seines möglichen Schicksals als Mensch, das abgründige Empfinden der Seele gegenüber dem immer offenen Abenteuer der Sünde: "Wir müssen uns alle davon überzeugen, dass wir wie auf dem Gipfel eines Berges stehen, hängend über dem Abgrund aller Sünden und nur festgehalten vom Faden: der Gnade allein: wenn dieser Faden zerreißt, fallen wir sicher in einen solchen Abgrund und begehen die schrecklichsten Verbrechen ... " Der einzige Weg der Rettung ist das Anrufen Gottes durch das Gebet: "Andere sodann, die aus Hinfälligkeit sündigen oder durch den Ansturm einer großen Leidenschaft, und sie stöhnen unter dem Spiel des Feindes, sie wünschen, diese Todesketten zu zerbrechen und aus dieser Knechtschaft hinauszugehen und deshalb bitten sie Gott um Hilfe ... " Durch das Gebet gelangt er zum mühsamsten Optimismus: "Und nie fühle ich mich mehr getröstet im Geist, ich sage die Wahrheit, und mit größerem Vertrauen erfüllt, gerettet zu werden, als wenn ich zu Gott bete und mich ihm anempfehle. Und ich denke, dasselbe widerfährt allen andern Gläubigen, denn die andern Zeichen für unsere Rettung sind alle ungewiss und fehlbar, dass aber Gott den erhört, der mit Vertrauen zu ihm betet, ist eine sichere und unfehlbare Wahrheit, wie es unfehlbar ist, dass Gott nicht gegen seine Versprechen fehlen kann". So wurde praktisch die pessimistische Einstellung des Jansenismus überwunden, weil sich ein sichrer Zugang zum Heil eröffnet für den, der die Rettung ersehnen und sie von Gott erbitten würde, demgemäß bestätigte er in einem andern Punkt die zusammenfassende Formel, die volkstümlich geworden war: "Wer betet, wird sicher gerettet, wer nicht betet, geht sicher verloren".

Im Werk des heiligen Alfons schließt das Gebet eine sehr unterschiedliche Bedeutung ein, insofern dieses ein Zuflucht-nehmen zu Gott, ein Zwiegespräch mit ihm, ein Ausdruck der Freude, das Bekunden der Dankbarkeit, ein sich Versenken in das Geheimnis, ein Aufschrei des Geistes, eine Bitte um Verzeihung sein kann. Beten heißt nicht notwendig, Bitten vorbringen, um Hilfe bitten, ein Betteln, um Gnaden zu erlangen. Indem er auf einen Gedanken vom heiligen Augustin und vom heiligen Thomas zurückgreift, behauptet er, dass es nicht notwendig sei, Gott unsere Bedürfnisse bekannt zu machen, unser Elend, denn er weiß ja bereits alles; dennoch sind wir verpflichtet zu beten, um uns immer mehr zu überzeugen, dass wir ihn absolut brauchen.

Der heilige Alfons anerkennt den wahren Wert der verschiedenen Gebetsarten, und das auch mit den nötigen Unterscheidungen; wirksam und von der Pflicht gefordert ist das individuelle Gebet; und er gibt ihm in seinen Schriften viel Raum, und stellt es als vorherrschend hin; aber trotz der Gesinnung seiner Zeit, die fast ganz die zentrale Stellung der Liturgie vergisst, gibt er auch dem Gemeinschaftsgebet und der Liturgie ihre Bedeutung, indem er unter anderem ein Buch schreibt mit dem Titel: Dahergehudelte Messe und Stundengebet.

Das Gebet muss von der Meditation und dem Wort Gottes gespeist werden; zuerst muss man auf Gott hören, und dann die eigene Antwort geben: der heilige Alfons lässt beten beim Betrachten und er lässt betrachten beim Beten; deshalb flickt er in seinen Büchern die Überlegungen ein, die Anrufungen, die Anmutungen. Entsprechend den Umständen und den Gemütszuständen nimmt das Gebet verschiedene Tonarten an, manchmal entgegengesetzte, eine liebevolle Vertraulichkeit oder ein Ernst, bestehend aus Furcht, die so notwendig ist für die wahre Frömmigkeit; wenn der heilige Alfons Die Art und Weise fortwährend und auf familiäre Art mit Gott im Gespräch zu bleiben geschrieben hat, wobei die Begegnung mit Gott allzeit schlicht und einfach, fast alltäglich ist, so hat er auch Vorbereitung auf den Tod geschrieben, worin der Gedanke an das Heil und an den Tod Bangigkeit und Angst hervorruft, und dort wird das Gebet traurig, zum Stöhnen und Klagen.

Das wahre Gebet soll demütig, vertrauensvoll und beharrlich sein, drei Bedingungen, die nebeneinander existieren müssen, damit es erhört wird; und es wird sicher angehört, wenn es auf die geistlichen Güter ausgerichtet ist oder besser auf DAS ERFÜLLEN DES WILLENS GOTTES. Außerdem muss es lebendig sein, sich den verschiedenen Zeitpunkten und Situationen des geistlichen Reiseweges des Menschen anpassen; es muss daher fortschreitend sein und einer unablässigen Bewegung der Entwicklung folgen: aus mittelmäßig wird es glühend werden, aus selten wird es häufig, gewohnheitsmäßig werden, denn wenn Gott immer dem Menschen gegenwärtig ist, muss auch der Mensch allzeit bei Gott anwesend sein; aus diskursivem und gequältem und holprigem Gebet wird es allmählich zum Gebet des einfachen Aufblicks, der Ruhe, dunkel und lichtvoll, bis es den Gipfel der mystischen Kontemplation erreicht.

Der heilige Alfons fasste sein Denken über die Notwendigkeit des Gebetes zusammen in seinem Buch Über das große Mittel des Gebetes, das er 1759 veröffentlichte, nachdem er daran mit großem Einsatz und nach verschiedenen Wiederaufnahmen mehr als drei Jahre gearbeitet hatte. Darin brachte er das Ergebnis seiner theologischen Überlegungen, seiner pastoralen und missionarischen Erfahrung und das tragische und lichtvolle Leiden seiner Seele zum Ausdruck. Er hielt es für das Wichtigste seiner Werke, so sehr, dass er wünschte, es mit jedem Mittel zu verbreiten und es allen bekannt zu machen, wie er selber erklärte: "Ich habe diese Möglichkeit nicht, aber wenn ich könnte, möchte ich von diesem Büchlein so viele Kopien drucken, wie es Seelen gibt, die auf der Erde leben, und es jedem austeilen, damit jeder die Notwendigkeit verstehen würde, die wir alle haben, zu beten, um gerettet zu werden".

Über das große Mittel des Gebetes ist ein meditiertes und erlittenes Werk, das sich durchsetzt durch die Originalität des Ansatzes, durch die Ausdruckskraft des Denkens, die Vielfalt der Argumentationen, und durch beachtliche polemische Kraft. So wenigstens sah es der heilige Alfons: "Dieses Buch über das Gebet ist ein einzigartiges, allen sehr nützliches Werk. Und es ist nicht nur ein asketisches oder spirituelles Werk, sondern es ist auch noch ein theologisches Werk, das mich viel Mühe gekostet hat. .. ; und ich hoffe, es werde allen auf eine allumfassende Weise gefallen".

Der heilige Alfons ist ein guter Prophet gewesen, weil "Über das große Mittel des Gebetes" immer gefiel über zweihundert Jahre hin, weshalb es sehr oft neu gedruckt wurde. Es wird sicher auch heute gefallen, vor allem jenen, die von ihren Sünden geängstigt werden, nach Gnade hungern, nach Gerechtigkeit dürsten und um ihre ewige Bestimmung bangen.

Das italienische Original und Übersetzungen zum Gebet

  • "Del gran mezzo della preghiera" (Online).
  • Die Macht des Gebetes Lins Verlag 2000 (80 Seiten).
  • Ist Beten notwendig? : Ein Büchlein vom Gebet, dem Schlüssel zu allen Gnaden, übersetzt von Peter Bernards, Hofbauer Verlag Bonn 1962 (73 Seiten).
  • Das grosse Gnadenmittel des Gebetes, übersetzt von Andreas Hellbach im Hofbauer Verlag Bonn 1934 (3. Auflage; 94 Seiten).
  • Das Gebet, das grosse Mittel zur Erlangung der ewigen Seligkeit, Aschendorff Verlag Münster i. W. 1915 (128 S., 16 Aufl.).