Weihnachtsansprachen Papst Franziskus'

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Weihnachtsansprachen

von Papst
Franziskus
an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang

(Quelle: Die deutschen Fassungen auf der Vatikanseite, mit Weblinks)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Papst Franziskus

2013

am 21. Dezember 2013 im Clementina-Saal; Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

Ecce, VERBUM caro factum est.jpg
Meine Herren Kardinäle,

Meine Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,

liebe Brüder und Schwestern,

ich danke dem Kardinaldekan von Herzen für seine Worte. Danke!

Der Herr hat uns gewährt, wieder einmal den Weg des Advent zurückzulegen, und rasch sind wir bei den letzten Tagen angelangt, die dem Weihnachtsfest vorangehen – Tage, die ein einzigartiges geistliches Klima aus Gefühlen und Erinnerungen in sich tragen, aus liturgischen und außerliturgischen Zeichen, wie die Krippe… In diesem Klima findet auch das traditionelle Treffen mit euch statt, die ihr als Vorgesetzte und Mitarbeiter der Römischen Kurie täglich im Dienst der Kirche zusammenarbeitet. Ich begrüße euch alle von Herzen. Und erlaubt mir, besonders Erzbischof Pietro Parolin zu begrüßen, der seit Kurzem seinen Dienst als Staatssekretär begonnen hat und unserer Gebete bedarf!

Während unsere Herzen alle von Dankbarkeit gegenüber Gott erfüllt sind, der uns so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn für uns hingab, ist es schön, auch der Dankbarkeit unter uns Raum zu geben. Und ich habe an diesem meinem ersten Weihnachten als Bischof von Rom das Bedürfnis, euch allen als Arbeitsgemeinschaft wie auch jedem Einzelnen persönlich ein großes „Danke“ zu sagen. Ich danke euch für euren tagtäglichen Dienst: für die Sorgfalt, den Fleiß, die Kreativität; für den nicht immer leichten Einsatz, im Büro zusammenzuarbeiten, einander anzuhören, sich auseinanderzusetzen, die verschiedenen Persönlichkeiten und Qualitäten in gegenseitigem Respekt zur Geltung zu bringen.

In besonderer Weise möchte ich meinen Dank denen ausdrücken, die in dieser Zeit ihren Dienst beenden und in Pension gehen. Wir wissen genau, dass man als Priester und Bischof niemals in Pension geht, wohl aber als Beschäftigter in einem Büro, und es ist recht so, auch um sich ein bisschen mehr dem Gebet und der Seelsorge – angefangen bei sich selber! – zu widmen. Ein spezielles, herzliches „Danke“ also an euch, liebe Mitbrüder, die ihr die Kurie verlasst, besonders an diejenigen, die hier jahrelang mit großer Hingabe im Verborgenen gearbeitet haben. Das ist wirklich bewundernswert. Ich bewundere diese Prälaten sehr, die dem Beispiel der alten Kurialen folgen, diesen vorbildlichen Personen… Doch auch heute haben wir solche Menschen, die mit Sachkenntnis, Genauigkeit und Opferbereitschaft arbeiten und so ihre tägliche Pflicht mit Sorgfalt erfüllen. Ich würde hier gerne einige dieser unserer Brüder mit Namen nennen, um ihnen meine Bewunderung und meinen Dank auszudrücken, doch sind bekanntlich in einer Liste die ersten, die auffallen, diejenigen, die fehlen; so würde ich dabei Gefahr laufen, jemanden zu vergessen und damit eine Ungerechtigkeit und einen Mangel an Liebe zu begehen. Doch ich möchte diesen Brüdern sagen, dass sie ein sehr wichtiges Zeugnis auf dem Weg der Kirche darstellen.

Und sie sind ein Vorbild und aus diesem Vorbild und diesem Zeugnis leite ich die Merkmale des Kurienmitarbeiters – und erst recht des Vorgesetzten – ab, die ich hervorheben möchte: Professionalität und Dienst.

Die Professionalität – das bedeutet Sachkenntnis, Studium, Fortbildung… Das ist ein grundlegendes Erfordernis, um in der Kurie zu arbeiten. Natürlich bildet sich die Professionalität heraus, und teilweise erwirbt man sie auch; doch ich meine, gerade damit sie sich herausbildet und damit sie erworben wird, ist es notwendig, dass von Anfang an eine gute Basis vorhanden ist.

Und das zweite Merkmal ist der Dienst, der Dienst für den Papst und die Bischöfe, für die Weltkirche und für die Teilkirchen. In der Römischen Kurie erfährt, „atmet“ man in besonderer Weise diese zweifache Dimension der Kirche, diese gegenseitige Durchdringung von Universalem und Teilbezogenem; und ich denke, es ist eine der schönsten Erfahrungen derer, die in Rom leben und arbeiten: die Kirche in dieser Weise „wahrzunehmen“. Wenn die Professionalität fehlt, rutscht man langsam in den Bereich der Mittelmäßigkeit ab. Die Akten werden zu klischeehaften Berichten und zu Mitteilungen ohne eine innerlich treibende, lebendige Kraft, unfähig, den Blick auf das Große hin zu öffnen. Wenn andererseits die Haltung nicht die des Dienstes für die Teilkirchen und ihre Bischöfe ist, wächst die Struktur der Kurie wie ein schwerfälliges Zollamt, eine bürokratische Untersuchungs- und Kontrolleinrichtung, die dem Wirken des Heiligen Geistes und dem Wachsen des Gottesvolkes keinen Raum lässt.

Diesen beiden Merkmalen – Professionalität und Dienst – möchte ich ein drittes hinzufügen: die Heiligkeit des Lebens. Wir wissen sehr wohl, dass sie das wichtigste Merkmal in der Rangordnung der Werte ist. Tatsächlich ist sie die Grundlage auch der Arbeitsqualität und des Dienstes. Und ich möchte hier sagen, dass es in der Römischen Kurie Heilige gab und gibt. Ich habe das mehr als einmal öffentlich gesagt, um dem Herrn zu danken. Heiligkeit bedeutet ein in den Heiligen Geist „eingetauchtes“ Leben, die Öffnung des Herzens für Gott, beharrliches Gebet, tiefe Demut, brüderliche Liebe im Umgang mit den Kollegen. Heiligkeit bedeutet auch Apostolat – ein mit Eifer und in direktem Kontakt mit dem Volk Gottes ausgeübter taktvoller, treuer seelsorglicher Dienst. Das ist unverzichtbar für einen Priester.

Heiligkeit in der Kurie bedeutet auch Verweigerung aus Gewissensgründen. Ja, Verweigerung aus Gewissensgründen gegenüber dem Tratsch! Wir beharren zu Recht sehr auf dem Wert der Verweigerung aus Gewissensgründen, doch vielleicht müssen wir sie auch anwenden, um uns gegen ein ungeschriebenes Gesetz in unseren Kreisen zu verteidigen, welches leider das des Tratsches ist. Üben wir also alle die Verweigerung aus Gewissensgründen; und beachtet, dass ich hier nicht bloß moralische Erwägungen anstellen will! Denn der Tratsch verdirbt die Menschen, beeinträchtigt die Arbeitsqualität und schadet dem Betriebsklima.

Liebe Mitbrüder, fühlen wir uns auf dieser letzten Wegstrecke nach Bethlehem alle vereint! Es mag uns gut tun, über die Rolle des heiligen Josef nachzudenken, so still und so notwendig an der Seite der Muttergottes. Denken wir an ihn, an seine aufmerksame Fürsorge um seine Braut und das Kind. Das sagt uns sehr viel über unseren Dienst für die Kirche! Leben wir also diese Weihnacht in der geistigen Nähe zum heiligen Josef. Das wird uns allen gut tun!

Ich danke euch sehr für eure Arbeit und vor allem für euer Gebet. Ich fühle mich wirklich durch die Gebete „getragen“, und ich bitte euch, mich weiterhin so zu unterstützen. Auch ich trage meinerseits euch vor den Herrn und segne euch, und ich wünsche jedem von euch und euren Lieben eine Heilige Nacht voll Licht und Frieden. Frohe Weihnachten!

2014

am 22. Dezember 2014 im Clementina-Saal Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

Die Römische Kurie und der Leib Christi

„Du thronst über den Cherubim – der Du den elenden Zustand der Welt verwandelt hast, als Du uns gleich geworden bist.“ (hl. Athanasius)
Liebe Brüder,

am Ende des Advents treffen wir uns zu den traditionellen Grüßen. In einigen Tagen werden wir die Freude haben, die Geburt des Herrn zu feiern; das Ereignis Gottes, der Mensch wird, um die Menschen zu retten; die Offenbarung der Liebe Gottes, der sich nicht darauf beschränkt, uns etwas zu geben oder uns irgendeine Botschaft oder einige Boten zu senden, sondern der uns sich selber schenkt; das Geheimnis Gottes, der unsere menschliche Verfasstheit und unsere Sünden auf sich nimmt, um uns sein göttliches Leben, seine unermessliche Gnade und seine unentgeltliche Vergebung kundzutun. Es ist die Begegnung mit Gott, der in der Armut der Grotte von Bethlehem geboren wird, um uns die Macht der Demut zu lehren. In der Tat ist Weihnachten auch das Fest des Lichtes, das vom „erwählten“ Volk nicht aufgenommen wird, sondern von den armen und einfachen Leuten, die das Heil des Herrn erwarteten.

Zunächst möchte ich euch allen – Mitarbeitern, Brüdern und Schwestern, Päpstlichen Vertretern in aller Welt – und allen euren Lieben ein gnadenreiches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr wünschen. Ich möchte euch herzlich danken für euren täglichen Einsatz im Dienst des Heiligen Stuhls, der Katholischen Kirche, der Teilkirchen und des Nachfolgers Petri.

Da wir Personen und nicht Zahlen oder nur Bezeichnungen sind, denke ich besonders an die, welche im Laufe dieses Jahres ihren Dienst beendet haben wegen Erreichen der Altersgrenze oder weil sie andere Rollen übernommen haben oder auch weil sie zum Haus des Vaters gerufen worden sind. Ihnen allen und ihren Angehörigen gilt ebenfalls mein Gedenken und mein Dank.

Gemeinsam mit euch möchte ich einen herzlichen und tief empfundenen Dank zum Herrn erheben für das zu Ende gehende Jahr, für die erlebten Ereignisse und für all das Gute, das er großzügig durch den Dienst des Heiligen Stuhls vollbracht hat, und ihn zugleich um Vergebung bitten für die begangenen Verfehlungen „in Gedanken, Worten, Werken und Unterlassungen“.

Und gerade von dieser Vergebungsbitte ausgehend, möchte ich, dass diese unsere Begegnung und die Überlegungen, die ich mit euch teilen werde, für uns alle eine Hilfe und eine Anregung für eine echte Gewissenerforschung werden, um unser Herz auf Weihnachten vorzubereiten.

Als ich an diese unsere Begegnung dachte, kam mir das Bild der Kirche als der mystische Leib Jesu Christi in den Sinn. Es ist eine Bezeichnung, die – wie Papst Pius XII. erklärte – » aus dem hervorgeht und gleichsam aufkeimt, was häufig in der Heiligen Schrift und bei den Kirchenvätern dargelegt wird «.<ref> Er sagt, dass die Kirche, da sie mysticum Corpus Christi ist, »auch eine Vielzahl von Gliedern erfordert, die so miteinander verbunden sein müssen, dass sie sich gegenseitig helfen. Und wie in unserem sterblichen Organismus, wenn ein Glied leidet, die anderen seinen Schmerz empfinden und ihm zu Hilfe kommen, so leben in der Kirche die einzelnen Glieder nicht jedes für sich, sondern helfen auch den anderen, indem sie zusammenarbeiten, sowohl zur gegenseitigen Stärkung, als auch für eine immer bessere Entfaltung des gesamten Leibes … ein Leib, der nicht aus irgendeiner Anhäufung von Gliedern besteht. Er muss vielmehr mit Organen bzw. Gliedern ausgestattet sein, die nicht alle dieselbe Aufgabe haben, sondern gebührend aufeinander abgestimmt sind. Speziell aus diesem Grund muss die Kirche Leib genannt werden, denn sie entsteht aus einer rechten Anordnung und einem kohärenten Zusammenschluss untereinander verschiedener Glieder« (Enzyklika Mystici Corporis Erster Teil: AAS 35 [1943], 200).</ref> In diesem Zusammenhang schrieb der heilige Paulus: » Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus« (1 Kor 12,12).<ref> Vgl. Röm 12,5: » So sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören. «</ref>

In diesem Sinn erinnert uns das Zweite Vatikanische Konzil daran, dass » bei der Auferbauung des Leibes Christi … die Verschiedenheit der Glieder und der Aufgaben [waltet]. Der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben gemäß seinem Reichtum und den Erfordernissen der Dienste zum Nutzen der Kirche austeilt (vgl. 1 Kor 12,1-11) «.<ref> Dogm. Konst. Lumen gentium, 7.</ref> » Christus und die Kirche bilden somit den „ganzen Christus“ – Christus totus. Die Kirche ist mit Christus eins. «<ref> Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 795. Man beachte außerdem: » Der Vergleich der Kirche mit dem Leib wirft Licht auf die innige Verbindung zwischen der Kirche und Christus. Die Kirche ist nicht nur um ihn versammelt, sondern in ihm, in seinem Leib geeint. Drei Aspekte der Kirche als des Leibes Christi sind besonders hervorzuheben: die Einheit aller Glieder untereinander durch ihre Vereinigung mit Christus; Christus als das Haupt des Leibes; die Kirche als die Braut Christi. « Vgl. ebd. Nr. 789.</ref>

Es ist schön, sich die Römische Kurie wie ein kleines Modell der Kirche vorzustellen, das heißt als einen „Leib“, der sich ernsthaft und tagtäglich darum bemüht, lebendiger, heiler, harmonischer und mehr in sich und mit Christus geeint zu sein.

Tatsächlich ist die Römische Kurie ein vielschichtiger Leib, der aus vielen Dikasterien, Räten, Ämtern, Gerichtshöfen, Kommissionen und aus zahlreichen Elementen zusammengesetzt ist, die nicht alle dieselbe Aufgabe haben, aber aufeinander abgestimmt sind im Hinblick auf eine wirksame, aufbauende, disziplinierte und beispielhafte Arbeitsweise, ungeachtet der kulturellen, sprachlichen und nationalen Verschiedenheiten seiner Mitglieder.<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 130-131.</ref>

Da die Kurie jedoch ein dynamischer Leib ist, kann sie nicht leben, ohne sich zu ernähren und sich zu pflegen. In der Tat kann die Kurie – wie die Kirche – nicht leben, ohne eine lebendige, persönliche, authentische und stabile Beziehung zu Christus zu haben.<ref> Jesus hat wiederholt die Einheit deutlich gemacht, welche die Gläubigen mit ihm haben müssen: » Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben « (Joh 15,4-5).</ref> Ein Kurienmitglied, das sich nicht täglich von dieser Speise ernährt, wird ein Bürokrat (ein Formalist, ein Funktionalist, ein bloßer Angestellter): eine Rebe, die austrocknet und allmählich stirbt und weggeworfen wird. Das tägliche Gebet, der regelmäßige Empfang der Sakramente – besonders der Eucharistie und des Bußsakramentes –, der tägliche Kontakt mit dem Wort Gottes und die in gelebte Nächstenliebe übersetzte Spiritualität sind die lebenswichtige Nahrung für jeden von uns. Möge uns allen klar sein, dass wir ohne ihn nichts tun können (vgl. Joh 15,5).

Daraus ergibt sich, dass die lebendige Beziehung zu Gott auch die Gemeinschaft mit den anderen nährt und stärkt, das heißt, je inniger wir mit Gott verbunden sind, desto mehr sind wir untereinander geeint, denn der Geist Gottes eint, und der Geist des Bösen trennt.

Die Kurie ist berufen sich zu bessern, sich ständig zu bessern und an gemeinschaftlichem Miteinander, Heiligkeit und Weisheit zuzunehmen, um ihre Aufgabe gänzlich zu erfüllen.<ref> Vgl. Apostolische Konstitution Pastor Bonus Art. 1; CIC can. 360.</ref> Und doch ist sie – wie jeder menschliche Leib – auch Krankheiten, Funktionsstörungen und Gebrechen ausgesetzt. Und hier möchte ich einige dieser möglichen Krankheiten, „Kurienkrankheiten“ erwähnen. Es sind Krankheiten, die in unserem Kurienleben nicht unüblich sind. Es sind Krankheiten und Versuchungen, die unseren Dienst für den Herrn schwächen. Ich glaube, dass der „Katalog“ der Krankheiten, von dem wir heute sprechen wollen – ein Katalog nach dem Beispiel der Wüstenväter, die solche Kataloge aufstellten –, uns hilfreich sein wird: Er wird uns helfen, uns auf das Sakrament der Versöhnung vorzubereiten – ein schöner Schritt von uns allen in unserer Vorbereitung auf Weihnachten.

1. Die Krankheit, sich „unsterblich“, „immun“ oder sogar „unentbehrlich“ zu fühlen und so die notwendigen und üblichen Kontrollen zu unterlassen. Eine Kurie, die keine Selbstkritik übt, die sich nicht fortbildet, die nicht versucht sich zu bessern, ist ein kranker Leib. Ein gewöhnlicher Friedhofsbesuch könnte uns dazu verhelfen, die Namen vieler Menschen zu sehen, von denen einige vielleicht meinten, unsterblich, immun und unentbehrlich zu sein! Es ist die Krankheit des törichten Reichen aus dem Evangelium, der dachte, ewig zu leben (vgl. Lk 12,13-21), und auch derer, die sich in Gebieter verwandeln und sich allen übergeordnet und nicht im Dienst aller fühlen. Sie beruht oft auf der Pathologie der Macht, auf dem „Komplex der Erwählten“, auf dem Narzissmus, der leidenschaftlich auf das eigene Bild schaut und nicht das Bild Gottes sieht, das dem Angesicht der anderen, besonders der Schwächsten und der am meisten Bedürftigen, eingeprägt ist.<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 197-201.</ref> Das Gegenmittel gegen diese Epidemie ist die Gnade, sich als Sünder zu fühlen und aus ganzem Herzen zu sagen: » Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan « (Lk 17,10).

2. Eine weitere Krankheit ist der „Martalismus“ (von „Marta“ abgeleitet), der übertriebene Fleiß: die Krankheit derer, die sich in die Arbeit versenken und dabei unvermeidlich „das Bessere“ vernachlässigen, nämlich sich Jesus zu Füßen zu setzen (vgl. Lk 10,38-42). Darum hat Jesus seine Jünger aufgefordert, „ein wenig auszuruhen“ (vgl. Mk 6,31). Die nötige Ruhe zu vernachlässigen führt nämlich zu Stress und Rastlosigkeit. Die Zeit der Ruhe ist für den, der seine Aufgabe vollendet hat, eine Notwendigkeit und eine Pflicht; sie muss ernsthaft eingehalten werden, indem man ein wenig Zeit mit den Angehörigen verbringt und die Ferien als einen Moment des geistlichen und körperlichen Kraftschöpfens achtet. Man muss lernen, was Kohelet lehrt: » Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit « (3,1).

3. Es gibt auch die Krankheit der geistigen und geistlichen „Versteinerung“: die Krankheit derer, die ein Herz von Stein haben und „halsstarrig“ sind (vgl. Apg 7,51); die unterwegs die innere Gelassenheit, die Lebendigkeit und die Kühnheit verlieren, sich hinter den Schriftstücken verstecken und „Aktenbearbeitungsmaschinen“ werden anstatt „Gottesmänner“ (vgl. Hebr 3,12). Es ist gefährlich, die menschliche Sensibilität zu verlieren, die notwendig ist, um zu weinen mit den Weinenden und sich zu freuen mit den Fröhlichen! Es ist die Krankheit derer, die die „Gesinnung Jesu“ verlieren (vgl. Phil 2,5), weil ihr Herz sich im Laufe der Zeit verhärtet und unfähig wird, den himmlischen Vater und den Nächsten bedingungslos zu lieben (vgl. Mt 22,34-40). Christ sein bedeutet nämlich » so gesinnt sein wie Christus Jesus « (vgl. Phil 2,5), mit einer inneren Haltung der Demut und der Hingabe, der Loslösung und der Großmut.<ref> Vgl. Benedikt XVI., Katechese in der Generalaudienz, 1. Juni 2005.</ref>

4. Die Krankheit der Planungswut und des Funktionalismus: wenn der Apostel alles minuziös genau plant und glaubt, dass mit einer perfekten Planung die Dinge wirklich vorankommen, er aber auf diese Weise ein Buchhalter wird oder ein Betriebswirt. Alles gut vorzubereiten ist notwendig, aber ohne in Versuchung zu geraten, die Freiheit des Heiligen Geistes einschließen und steuern zu wollen, die stets größer und großzügiger ist als alles menschliche Planen (vgl. Joh 3,8). Man ist dieser Krankheit ausgesetzt, denn » es ist immer einfacher und bequemer, sich in den eigenen statischen und unbeweglichen Positionen auszustrecken. Tatsächlich erweist sich die Kirche in dem Maß treu gegenüber dem Heiligen Geist, in dem sie nicht den Anspruch erhebt, ihn zu regeln und zu zähmen – den Heiligen Geist zu zähmen! – Er ist Frische, Fantasie, Neuheit. «<ref> Homilie in der Eucharistiefeier, Istanbul, Heilig-Geist-Kathedrale, 29. November 2014.</ref>

5. Die Krankheit der schlechten Koordination: wenn die Glieder nicht mehr gemeinschaftlich miteinander verbunden sind und der Leib seine harmonische Funktionsfähigkeit und sein Maß verliert. Dann wird er zu einem Orchester, das nur Lärm hervorbringt, weil seine Glieder nicht zusammenspielen und keinen Gemeinschafts- und Teamgeist leben. Wenn der Fuß zum Arm sagt: „Ich brauche dich nicht“, oder die Hand zum Kopf: „Ich führe das Kommando“ und auf diese Weise Unbehagen verursacht und Anstoß erregt.

6. Es gibt auch die Krankheit des „geistlichen Alzheimer“: das Vergessen der eigenen „Heilsgeschichte“, der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der » ersten Liebe « (Offb 2,4). Es handelt sich um einen fortschreitenden Verfall der spirituellen Fähigkeiten, der früher oder später zu schweren Behinderungen des Menschen führt und ihn unfähig werden lässt, autonom zu handeln, da er in einem Zustand absoluter Abhängigkeit von seinen oft unwirklichen Vorstellungen lebt. Das sehen wir bei denen, die die Erinnerung an ihre Begegnung mit dem Herrn verloren haben; bei denen, die nicht das „deuteronomische“ Lebensgefühl haben; bei denen, die völlig von ihrer Gegenwart, von ihren Leidenschaften, Launen und Fixierungen abhängen; bei denen, die sich mit Mauern umgeben und sich in Gewohnheiten verschließen und so immer mehr zu Sklaven der Götzenbilder werden, die sie mit eigener Hand geschaffen haben.

7. Die Krankheit der Rivalität und der Eitelkeit:<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 95-96.</ref> wenn die äußere Erscheinung, die Farbe der Talare und die Ehrenabzeichen zum vorrangigen Lebensziel werden und man die Worte des heiligen Paulus vergisst: » …dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen « (Phil 2,3-4). Es ist die Krankheit, die uns zu unaufrichtigen Menschen werden lässt und uns dazu führt, einen vorgespielten Mystizismus und einen vorgespielten „Quietismus“ zu leben. Der heilige Paulus selbst definiert sie » Feinde des Kreuzes Christi «, denn » ihr Ruhm besteht in ihrer Schande; Irdisches haben sie im Sinn « (Phil 3,18.19).

8. Die Krankheit der existenziellen Schizophrenie. Es ist die Krankheit derer, die ein Doppelleben führen, Frucht der typischen Heuchelei des Mittelmäßigen und der fortschreitenden spirituellen Leere, die durch Diplome und akademische Titel nicht gefüllt werden kann. Eine Krankheit, die häufig diejenigen befällt, welche den pastoralen Dienst aufgeben, sich auf die bürokratischen Angelegenheiten beschränken und so den Kontakt zur Wirklichkeit, zu den konkreten Menschen verlieren. Auf diese Weise schaffen sie sich eine Parallelwelt, in der sie alles beiseiteschieben, was sie in Strenge die anderen lehren, und beginnen, ein verborgenes, oft ausschweifendes Leben zu führen. Für diese äußerst schwere Krankheit ist die Umkehr ziemlich dringend und unumgänglich (vgl. Lk 15,11-32).

9. Die Krankheit des Geredes, des Gemunkels und des Tratsches. Von dieser Krankheit habe ich schon viele Male gesprochen, aber nie genug. Es ist eine schwere Krankheit, die ganz einfach beginnt – vielleicht nur, um ein kleines Schwätzchen zu halten – und sich dann des Menschen bemächtigt, ihn zum „Unfriedenstifter“ (wie Satan) macht und in vielen Fällen zum „kaltblütigen Urheber von Rufmord“ der eigenen Kollegen und Mitbrüder. Es ist die Krankheit der Feiglinge, die nicht den Mut besitzen, etwas unmittelbar anzusprechen und daher hinter dem Rücken reden. Der heilige Paulus ermahnt uns: » Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid « (Phil 2,14-15). Brüder, hüten wir uns vor dem Terrorismus des Geredes!

10. Die Krankheit, die Vorgesetzten zu vergöttern: Es ist die Krankheit derer, die ihre Oberen hofieren in der Hoffnung, deren Gunst zu erlangen. Sie sind Opfer des Karrierismus und des Opportunismus; sie ehren Menschen und nicht Gott (vgl. Mt 23,8-12). Es sind Menschen, die ihren Dienst einzig im Gedanken an das verrichten, was sie dafür bekommen, und nicht, was sie geben müssen. Es sind kleinliche, unglückliche Menschen, die nur von ihrem fatalen Egoismus geleitet sind (vgl. Gal 5,16-25). Diese Krankheit könnte auch die Oberen befallen, wenn sie einige ihrer Mitarbeiter hofieren, um ihre Unterwerfung, Treue und psychologische Abhängigkeit zu erlangen, doch das Endergebnis ist eine wirkliche Komplizenschaft.

11. Die Krankheit der Gleichgültigkeit gegenüber den anderen: wenn einer nur an sich selber denkt und die Aufrichtigkeit und Herzlichkeit der menschlichen Beziehungen verliert. Wenn der mit der größten Sachkenntnis sein Wissen nicht in den Dienst der weniger sachverständigen Kollegen stellt. Wenn man etwas in Erfahrung bringt und es für sich behält, anstatt es im positiven Sinne mit den anderen zu teilen. Wenn man aus Eifersucht oder Verschlagenheit Freude am Fallen des anderen empfindet, anstatt ihn wieder aufzuheben und zu ermutigen.

12. Die Krankheit der Totengräbermiene. Es ist die Krankheit der Mürrischen und Griesgrämigen, die meinen, um seriös zu sein, müsse man ein trübsinniges, strenges Gesicht aufsetzen und die anderen – vor allem die, welche man niedriger einstuft – mit Strenge, Härte und Arroganz behandeln. In Wirklichkeit sind theatralische Strenge und steriler Pessimismus<ref> Vgl. ebd., 84-86.</ref> oft Symptome von Angst und mangelndem Selbstvertrauen. Der Apostel muss sich bemühen, ein freundlicher, unbeschwerter, begeisterter und fröhlicher Mensch zu sein, der Freude verbreitet, wo immer er sich befindet. Ein von Gott erfülltes Herz ist ein glückliches Herz, das Freude ausstrahlt und alle in seiner Umgebung damit ansteckt: Das sieht man sofort! Verlieren wir also nicht jenen fröhlichen, humorvollen Geist, der sogar zur Selbstironie fähig ist und der die Menschen auch in schwierigen Situationen liebenswürdig sein lässt.<ref> Vgl. ebd., 2.</ref> Wie gut tut uns eine großzügige Dosis gesunden Humors! Es wird uns sehr nützlich sein, oft das Gebet des heiligen Thomas Morus<ref> »Schenke mir, Herr, eine gute Verdauung und auch etwas zum Verdauen. Schenke mir die Gesundheit des Leibes und die nötige gute Laune, um sie zu bewahren. Schenke mir, Herr, eine einfache Seele, die alles Gute zu beherzigen weiß und sich angesichts des Bösen nicht leicht erschreckt, sondern vielmehr Wege findet, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Gib mir eine Seele, der die Langeweile fremd ist und die weder Murren noch Seufzen noch Klagen kennt, noch die übertriebene Sorge um dieses sich breit machende Etwas, das sich “Ich“ nennt. Schenke mir, Herr, den Sinn für Humor. Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich im Leben ein wenig Freude entdecke und fähig bin, auch den anderen davon mitzuteilen. Amen.«</ref> zu beten: Ich bete es jeden Tag, es tut mir gut.

13. Die Krankheit des Hortens: wenn der Apostel eine existenzielle Leere in seinem Herzen zu füllen sucht, indem er materielle Güter anhäuft, nicht aus Notwendigkeit, sondern nur, um sich sicher zu fühlen. In Wirklichkeit werden wir nichts Materielles mitnehmen können, denn „das Totenhemd hat keine Taschen“, und alle unsere irdischen Schätze – auch wenn es Geschenke sind – können niemals jene Leere füllen, im Gegenteil, sie machen sie immer anspruchsvoller und abgründiger. Diesen Menschen wiederholt der Herr: » Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, dass gerade du elend und erbärmlich bist, arm, blind und nackt … Mach also Ernst und kehr um! « (Offb 3,17-19). Die Anhäufung belastet nur und verlangsamt unerbittlich den Weg! Und da fällt mir eine Geschichte ein: Die spanischen Jesuiten beschrieben die Gesellschaft Jesu einst als die „leichte Kavallerie der Kirche“. Ich erinnere mich an den Umzug eines jungen Jesuiten. Während er all seine vielen Habseligkeiten – Gepäckstücke, Bücher, Gegenstände und Geschenke in einen Lastwagen lud, sagte ein alter Jesuit, der ihn beobachtete, mit einem weisen Lächeln zu ihm: „Das soll also die ,leichte Kavallerie der Kirche sein‘?“ Unsere Umzüge sind ein Zeichen dieser Krankheit.

14. Die Krankheit der geschlossenen Zirkel, wo die Zugehörigkeit zum Grüppchen stärker wird als die zum Leib und – in einigen Fällen – zu Christus selbst. Auch diese Krankheit beginnt immer mit guten Absichten, aber im Laufe der Zeit unterjocht sie die Mitglieder und wird zu einem Krebs, der die Harmonie des Leibes bedroht und viel Unheil verursacht – Anstoß erregt – besonders für die Geringsten unserer Brüder. Die Selbstzerstörung oder der „Eigenbeschuss“ der Gefährten ist die heimtückischste Gefahr.<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 88.</ref> Es ist das Übel, das von innen her zuschlägt,<ref> Der selige Papst Paul VI. sagte in Bezug auf die Situation der Kirche, er habe den Eindruck, dass » durch irgendeinen Riss der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen sei « (Homilie am Hochfest der Apostel Petrus und Paulus, 29. Juni 1972); vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 98-101.</ref> und Jesus sagt dazu: » Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden « (Lk 11,17).

15. Und die letzte Krankheit: die des weltlichen Profits, der Zurschaustellung,<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 93-97 (» Nein zur spirituellen Weltlichkeit «).</ref> wenn der Apostel seinen Dienst in Macht und seine Macht in Ware verwandelt, um weltlichen Nutzen oder mehr Einfluss zu gewinnen. Es ist die Krankheit der Menschen, die unersättlich danach streben, Machtbefugnisse zu vervielfältigen, und die fähig sind, zu diesem Zweck die anderen zu verleumden, zu diffamieren und zu diskreditieren, sogar in Zeitungen und Zeitschriften. Natürlich um sich hervorzutun und sich als fähiger zu erweisen als die anderen. Auch diese Krankheit schadet dem Leib sehr, denn sie führt die Menschen dazu, den Gebrauch jedweden Mittels zu rechtfertigen, nur um dieses Ziel zu erreichen – oft im Namen der Gerechtigkeit und der Transparenz! Und hier erinnere ich mich an einen Priester, der die Journalisten kommen ließ, um ihnen private und vertrauliche Angelegenheiten seiner Mitbrüder und Gemeindemitglieder zu erzählen – und zu erfinden. Ihm ging es nur darum, sich auf den Titelseiten zu sehen, denn auf diese Weise fühlte er sich mächtig und interessant – und richtete so viel Unheil an für die anderen und für die Kirche. Der Arme!

Brüder, diese Krankheiten und diese Versuchungen sind natürlich eine Gefahr für jeden Christen und für jede Kurie, Gemeinschaft, Kongregation, Pfarrei und kirchliche Bewegung, und sie können auf individueller wie auf gemeinschaftlicher Ebene auftreten.

Es muss klargestellt werden, dass allein der Heilige Geist alle Krankheiten heilen kann: Er ist die Seele des mystischen Leibes Christi, wie das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel bekräftigt: » Ich glaube … an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht «. Der Geist unterstützt jedes aufrichtige Bemühen um Läuterung und jeden guten Willen zur Umkehr. Er ist es, der uns begreifen lässt, dass jedes Glied teilhat an der Heiligung des Leibes oder an seiner Schwächung. Er ist der Stifter der Harmonie:<ref> »Der Heilige Geist ist die Seele der Kirche. Er schenkt das Leben, erweckt die verschiedenen Charismen, die das Volk Gottes bereichern, und vor allem schafft er die Einheit unter den Gläubigen: Aus vielen bildet er einen einzigen Leib, den Leib Christi … Der Heilige Geist wirkt die Einheit der Kirche: Einheit im Glauben, Einheit in der Liebe, Einheit im inneren Zusammenhalt« (Homilie in der Eucharistiefeier, Istanbul, Heilig-Geist-Kathedrale, 29. November 2014).</ref> » Ipse harmonia est «, sagt der heilige Basilius. Und der heilige Augustinus sagt: » Solange ein Teil mit dem Leib verbunden bleibt, ist seine Heilung nicht aussichtslos; was hingegen abgetrennt wurde, kann weder gepflegt, noch geheilt werden. «<ref> Serm., CXXXVII, 1: PL, XXXVIII, 754.</ref>

Die Heilung ist auch Frucht des Wissens um die Krankheit sowie des persönlichen und gemeinschaftlichen Entschlusses, sich behandeln zu lassen und dabei mit Geduld und Ausdauer die Behandlung zu ertragen.<ref> Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 25-33 (»Seelsorge in Neuausrichtung«).</ref>

Wir sind also berufen, in dieser Weihnachtszeit wie auch für die ganze Dauer unseres Dienstes und unseres Daseins so zu leben, dass wir uns » von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut « (Eph 4,15-16).

Liebe Brüder, ich habe einmal gelesen, dass Priester wie Flugzeuge sind: Schlagzeilen machen sie nur, wenn sie abstürzen – doch sehr viele gibt es unter ihnen, die fliegen. Viele kritisieren, aber wenige beten für sie. Es ist ein recht amüsanter aber auch sehr wahrer Satz, denn er beschreibt die Bedeutung und die Zerbrechlichkeit unseres priesterlichen Dienstes und welchen Schaden ein einziger Priester, der „fällt“, für den ganzen Leib der Kirche verursachen kann.

Um also in diesen Tagen, in denen wir uns auf die Beichte vorbereiten, nicht zu fallen, bitten wir die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes und Mutter der Kirche, die Verletzungen der Sünde, die jeder von uns in seinem Herzen trägt, zu heilen und die Kirche wie auch die Kurie zu unterstützen, damit sie heil und heilend, heilig und heiligend seien, zur Ehre ihres Sohnes und zu unserem und der Welt Heil. Wir bitten sie, in uns eine Liebe zur Kirche zu entfachen, wie Christus, ihr Sohn und unser Herr sie hatte, und uns den Mut zu schenken, uns als Sünder zu bekennen, die ihrer Barmherzigkeit bedürfen, damit wir furchtlos unsere Hände in ihre mütterlichen Hände legen.

Euch allen, euren Familien und Euren Mitarbeitern meine Glückwünsche für ein gesegnetes Weihnachtsfest. Und – bitte! – vergesst nicht, für mich zu beten! Herzlichen Dank!

Anmerkungen

<references />

2015

am 21. Dezember 2013 im lementina-Saal; Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

Liebe Brüder und Schwestern,

ich bitte euch um Entschuldigung, dass ich nicht stehend spreche, aber seit einigen Tagen bin ich unter dem Einfluss einer Grippe und fühle mich nicht sehr stark. Mit eurer Erlaubnis werde ich also im Sitzen sprechen.

Mit Freude drücke ich euch meine herzlichsten Glückwünsche für ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein frohes neues Jahr aus, in die ich auch alle Mitarbeiter, die Päpstlichen Vertreter und besonders diejenigen einbeziehe, die in diesem Jahr wegen Erreichen der Altersgrenze ihren Dienst beendet haben. Denken wir auch an die Menschen, die vor das Angesicht Gottes gerufen wurden. Euch allen und euren Angehörigen gelten mein Gedenken und mein Dank.

In meiner ersten Begegnung mit euch im Jahr 2013 habe ich zwei wichtige und voneinander untrennbare Aspekte der Kurienarbeit hervorheben wollen: Professionalität und Dienst und dabei als nachzuahmendes Vorbild auf die Gestalt des heiligen Josefs verwiesen. Im vergangenen Jahr haben wir uns hingegen in Vorbereitung auf das Sakrament der Versöhnung mit einigen Versuchungen und „Krankheiten“ auseinandergesetzt – dem „Katalog der Kurienkrankheiten“; heute sollte ich dagegen von den „kurialen Antibiotika“ sprechen – Krankheiten, die jeden Christen, jede Kurie, Gemeinschaft, Kongregation, Pfarrei und kirchliche Bewegung befallen könnten. Krankheiten, die Vorbeugung, Überwachung, Pflege und in einigen Fällen leider schmerzhafte und langwierige Eingriffe erfordern.

Einige dieser Krankheiten sind im Laufe dieses Jahres aufgetreten; sie haben dem gesamten Leib nicht unerhebliche Schmerzen zugefügt und viele Menschen innerlich verletzt – auch durch den Skandal…

Ich halte es für meine Pflicht zu bekräftigen, dass dies ein Anlass zu aufrichtigen Überlegungen und entscheidenden Maßnahmen war und weiter sein wird. Die Reform wird mit Entschlossenheit, klarem Verstand und Tatkraft fortgeführt werden, denn Ecclesia semper reformanda.

Dennoch können die Krankheiten und sogar die Skandale nicht die Effizienz der Dienste überdecken, welche die Römische Kurie mühevoll mit Verantwortung, Engagement und Hingabe für den Papst und die ganze Kirche leistet, und das ist ein wirklicher Trost. Der heilige Ignatius lehrte, dass es »dem bösen Geist eigen [ist], Gewissensängste zu erregen, traurig zu stimmen und Hindernisse zu legen, indem er mit falschen Gründen beunruhigt, damit man nicht weiter voranschreite. Dagegen ist es dem guten Geist eigen, Mut und Kraft, Tröstungen und Tränen, Eingebungen und Gelassenheit zu schenken, indem er alle Hindernisse leicht macht und weghebt, damit man auf dem Weg des Guten weiter fortschreite.«<ref> Exerzitien, 315.</ref>

Es wäre eine große Ungerechtigkeit, gegenüber all den anständigen und gewissenhaften Personen, die in der Kurie mit uneingeschränktem Einsatz, mit Ergebenheit, Treue und Professionalität arbeiten, nicht einen tief empfundenen Dank und eine gebührende Ermutigung zum Ausdruck zu bringen – sie schenken der Kirche und dem Nachfolger Petri den Trost ihrer Solidarität und ihres Gehorsams, ganz zu schweigen von ihren großherzigen Gebeten.

Überdies sind die Widerstände, die Mühen und das Fallen der Menschen und der Amtsträger auch Lektionen und Chancen zum Wachsen und niemals Anlass zur Entmutigung. Sie sind Gelegenheiten, sich „auf das Wesentliche zu besinnen“, das heißt zu überprüfen, wie weit wir uns im Klaren sind über uns selbst, über Gott, über den Nächsten, über den sensus Ecclesiae und über den sensus fidei.

Über dieses „sich auf das Wesentliche besinnen“ möchte ich heute zu euch sprechen, während wir am Anfang der Pilgerfahrt des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit stehen, das von der Kirche vor wenigen Tagen eröffnet wurde und das für sie wie für uns alle ein nachdrücklicher Aufruf zur Dankbarkeit, zur Umkehr, zur Erneuerung, zur Buße und zur Versöhnung ist.

Tatsächlich ist Weihnachten das Fest der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, wie der heilige Augustinus von Hippo sagt: »Konnte es uns Unglücklichen gegenüber eine größere Barmherzigkeit geben als die, welche den Schöpfer des Himmels dazu bewegte, vom Himmel herabzusteigen, und den Schöpfer der Erde, sich mit einem sterblichen Leib zu bekleiden? Ebendiese Barmherzigkeit veranlasste den Herrn der Welt, Knechtsgestalt anzunehmen, so dass er, der doch selber „Brot“ ist, Hunger hatte; er, der doch die vollkommene Labung ist, Durst hatte; er, der die Macht ist, schwach wurde; er, der das Heil ist, verwundet wurde; er, der Leben ist, sterben konnte. Und all das, um unseren Hunger zu stillen, unsere Trockenheit zu lindern, unsere Schwäche zu stärken, unsere Niederträchtigkeit auszulöschen und in uns die Liebe zu entzünden.«<ref>Serm. 207, 1: PL 38, 1042. - * Es handelt sich um ein Buchstabenspiel, das leider in der Übersetzung nicht nachvollziehbar ist; wir versuchen jedoch, es zumindest der Form nach sichtbar zu machen (Anm. d. Übers.)</ref>

Im Kontext dieses Jahres der Barmherzigkeit und der Vorbereitung auf Weihnachten, das bereits vor der Tür steht, möchte ich euch also ein praktisches Hilfsmittel anbieten, um diese Zeit der Gnade fruchtbringend zu leben. Es handelt sich um einen unerschöpflichen „Katalog der notwendigen Tugenden“ für die, welche in der Kurie Dienst tun, und für alle, die ihre Weihe oder ihre Arbeit für die Kirche fruchtbar machen wollen.

Ich lade die Leiter der Dikasterien und die Vorgesetzten ein, ihn anzureichern und zu vervollständigen. Es ist eine Aufstellung, die von einer akrostichischen Analyse – Pater Ricci verwendete diese Methode in China – gerade des Wortes „MISERICORDIA – Barmherzigkeit“ ausgeht, damit diese uns leite und leuchte:

1. Missionarietà e pastoralità – Missionsgeist und pastorale Grundhaltung

Der Missionsgeist ist das, was die Kurie schöpferisch und fruchtbar macht und dies auch in Erscheinung treten lässt; er ist der Beweis für die Wirksamkeit, die Effizienz und die Echtheit unseres Schaffens. Der Glaube ist ein Geschenk, aber das Maß unseres Glaubens erweist sich auch darin, wie weit wir fähig sind, ihn zu vermitteln.<ref> »Die missionarische Dimension ist nicht nur eine Frage geographischer Gebiete, sondern eine Frage der Völker und Kulturen und der einzelnen Menschen, gerade weil die „Grenzen“ des Glaubens nicht nur durch menschliche Orte und Traditionen verlaufen, sondern durch das Herz jedes Menschen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat auf besondere Weise hervorgehoben, dass der missionarische Auftrag, der Auftrag, die Grenzen des Glaubens zu erweitern, jeden Getauften und alle christlichen Gemeinschaften betrifft« (Botschaft zum Weltmissionssonntag 2013, 2).</ref> Jeder Getaufte ist Missionar der Frohen Botschaft, vor allem mit seinem Leben, seiner Arbeit und seinem frohen und überzeugten Zeugnis.

Die gesunde pastorale Grundhaltung ist eine unentbehrliche Tugend vor allem für jeden Priester. Sie ist das tägliche Bemühen, dem Guten Hirten zu folgen, der sich um seine Schafe kümmert und sein Leben hingibt, um das Leben der anderen zu retten. Er ist der Maßstab für unsere kuriale und priesterliche Aktivität. Ohne diese beiden Flügel werden wir nie fliegen können und auch die Seligkeit des „treuen Knechtes“ (vgl. Mt 25,14-30) nicht erreichen.

2. Idoneità e sagacità – Eignung und Scharfsinn

Die Eignung verlangt die persönliche Anstrengung, die notwendigen und geforderten Voraussetzungen zu erwerben, um die eigenen Aufgaben und Tätigkeiten bestmöglich auszuführen, mit Verstand und Intuition. Sie steht gegen Empfehlungsschreiben und Bestechungsgelder.

Der Scharfsinn ist die Geistesgegenwart, um die Situationen zu verstehen und mit Weisheit und Kreativität in Angriff zu nehmen. Eignung und Scharfsinn sind auch die menschliche Antwort auf die göttliche Gnade, wenn jeder von uns jenem berühmten Spruch folgt: „Alles tun, als ob es Gott nicht gäbe, und dann alles Gott überlassen, als ob es mich nicht gäbe“. Es ist das Verhalten des Jüngers, der sich täglich an den Herrn wendet mit diesen Worten aus dem schönen, Papst Clemens XI. zugeschriebenen Gebet: »Leite mich mit deiner Weisheit, stütze mich mit deiner Gerechtigkeit […] ermutige mich mit deiner Güte, schütze mich mit deiner Macht. Ich schenke dir, Herr, meine Gedanken, damit sie auf dich gerichtet sind; meine Worte, damit es die deinen sind; mein Tun, damit es deinem Willen entspricht; meine Qualen, damit sie dir gewidmet sind.«<ref>Missale Romanum, Editio typica tertia 2002.</ref>

3. Spiritualità e umanità – Spiritualität und Menschlichkeit

Die Spiritualität ist das Rückgrat jeglichen Dienstes in der Kirche und im christlichen Leben. Sie ist das, was all unser Wirken nährt, es stützt und es vor der menschlichen Hinfälligkeit und den täglichen Versuchungen schützt.

Die Menschlichkeit ist das, was die Wahrhaftigkeit unseres Glaubens verkörpert. Wer seine Menschlichkeit aufgibt, der gibt alles auf. Die Menschlichkeit ist das, was uns von den Maschinen und den Robotern unterscheidet, die nichts empfinden und sich nicht innerlich anrühren lassen. Wenn es uns schwer fällt, ernstlich zu weinen oder herzlich zu lachen – das sind zwei Anzeichen –, dann hat unser Niedergang und der Prozess unserer Verwandlung von einem „Menschen“ in etwas anderes begonnen. Die Menschlichkeit ist die Fähigkeit, allen mit zärtlicher Zuneigung, Vertrautheit und Liebenswürdigkeit zu begegnen (vgl. Phil 4,5). Obwohl Spiritualität und Menschlichkeit natürliche Eigenschaften sind, sind sie doch auch Möglichkeiten, die vollständig zu verwirklichen, ständig zu erstreben und täglich zu beweisen sind.

4. Esemplarità e fedeltà – Vorbildlichkeit und Treue

Der selige Papst Paul VI. erinnerte die Römische Kurie im Jahr 1963 an »ihre Berufung zur Vorbildlichkeit«<ref>Ansprache an die Römische Kurie (21. September 1963): AAS 55 (1963), 793-800.</ref> – Vorbildlichkeit, um die Skandale zu vermeiden, die die Menschen innerlich verletzen und die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses bedrohen.

Treue gegenüber unserer Weihe, gegenüber unserer Berufung: Denken wir immer an die Worte Christi: »Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen« (Lk 16,10) und »Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde. Wehe der Welt mit ihrer Verführung! Es muss zwar Verführung geben; doch wehe dem Menschen, der sie verschuldet!« (Mt 18,6-7).

5. Razionalità e amabilità – Vernünftigkeit und Liebenswürdigkeit

Die Vernünftigkeit dient dazu, übermäßige Gefühlsbetontheit zu vermeiden, und die Liebenswürdigkeit dazu, Übertreibungen in der Bürokratie sowie beim Erstellen von Programmen und Plänen zu vermeiden. Es sind Gaben, die für die Ausgeglichenheit der Persönlichkeit erforderlich sind: »Der Feind« – und ich zitiere noch einmal den heiligen Ignatius; entschuldigt mich! – »achtet sehr darauf, ob eine Seele grobschlächtig oder feinfühlig ist, und ist sie feinfühlig, dann bemüht er sich, sie übertrieben feinfühlig zu machen, um sie dann noch mehr zu ängstigen und zu verwirren«.<ref> Ignatius von Loyola, Exerzitien, 349.</ref> Jede Übertreibung ist ein Zeichen irgendeiner Unausgeglichenheit, sowohl die Übertreibung der Vernünftigkeit als auch die der Liebenswürdigkeit.

6. Innocuità e determinazione – wohlwollende Besonnenheit und Entschiedenheit

Die wohlwollende Besonnenheit macht uns vorsichtig im Urteil und fähig, uns impulsiver und übereilter Handlungen zu enthalten. Es ist die Fähigkeit, durch achtsames und verständnisvolles Handeln dem Besten, das in uns, in den anderen und in den Situationen liegt, zum Durchbruch zu verhelfen. Es besteht darin, den anderen so zu begegnen, wie wir es von ihnen erwarten (vgl. Mt 7,12; Lk 6,31).

Die Entschiedenheit ist das Handeln mit zielbewusstem Willen, einer klaren Perspektive und dem Gehorsam gegenüber Gott – und allein im Hinblick auf das oberste Gesetz der salus animarum (vgl. CIC Can. 1725).

7. Carità e verità – Liebe und Wahrheit

Liebe und Wahrheit sind zwei untrennbar verbundene Tugenden des christlichen Lebens: die Wahrheit in Liebe tun und die Liebe in der Wahrheit leben (vgl. Eph 4,15).<ref>»Die Liebe in der Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben und vor allem mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit […] Es ist eine Kraft, die ihren Ursprung in Gott hat, der die ewige Liebe und die absolute Wahrheit ist« (Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate [29. Juni 2009], 1: AAS 101 [2009], 641). »Daher ist es notwendig, die Liebe und die Wahrheit nicht nur in der vom heiligen Paulus angegebenen Richtung der »veritas in caritate« (Eph 4, 15) miteinander zu verbinden, sondern auch in der entgegengesetzten und komplementären von »caritas in veritate«. Die Wahrheit muss in der »Ökonomie« der Liebe gesucht, gefunden und ausgedrückt werden, aber die Liebe muss ihrerseits im Licht der Wahrheit verstanden, bestätigt und praktiziert werden« (Ebd., 2).</ref> Die Liebe ohne Wahrheit wird nämlich zur Ideologie des destruktiven „Alles-Gutheißens“, und die Wahrheit ohne Liebe zur blinden „Buchstaben-Justiz“.

8. Onestà e maturità – Ehrlichkeit und Reife

Ehrlichkeit ist die Rechtschaffenheit, die Kohärenz und das Handeln in absoluter Aufrichtigkeit gegenüber uns selbst und gegenüber Gott. Wer ehrlich ist, handelt redlich nicht nur unter dem Blick des Aufsehers oder des Vorgesetzten; der Ehrliche fürchtet nicht, überrascht zu werden, denn er hintergeht niemals den, der ihm vertraut. Der Ehrliche spielt sich niemals als Herr auf über die Menschen oder über die Dinge, die ihm zur Verwaltung anvertraut sind, wie es der „schlechte Knecht“ (vgl. Mt 24,48) tut. Die Ehrlichkeit ist das Fundament, auf dem all die anderen Eigenschaften aufruhen.

Reife ist das Bemühen, zur Harmonie zwischen unseren physischen, psychischen und spirituellen Fähigkeiten zu gelangen. Sie ist das Ziel und das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der nie endet und der nicht von unserem Alter abhängt.

9. Rispettosità e umiltà – Achtung und Demut

Die Achtung ist die Gabe edler und feinfühliger Seelen; sie ist den Menschen eigen, die sich stets darum bemühen, den anderen mit ehrlicher Achtung zu begegnen und gegenüber der eigenen Rolle, den Vorgesetzten und den Untergebenen sowie im Umgang mit Akten und Dokumenten, mit der Schweigepflicht und der Vertraulichkeit ein authentisch respektvolles Verhalten zu zeigen. Es sind Menschen, die verstehen, aufmerksam zuzuhören und höflich zu sprechen.

Die Demut ist hingegen die Tugend der Heiligen und der von Gott erfüllten Menschen: Je mehr sie an Bedeutung gewinnen, umso stärker wird in ihnen das Bewusstsein, dass sie nichts sind und ohne die Gnade Gottes nichts tun können (vgl. Joh 15,8).

10. „Doviziosità“ – ich habe das Laster der sprachlichen Neubildungen – e attenzione – Großherzigkeit und Aufmerksamkeit

Je mehr wir auf Gott und seine Vorsehung vertrauen, umso großherziger und freigebiger sind wir, da wir wissen: Je mehr man gibt, umso mehr empfängt man. In der Tat ist es nutzlos, alle Heiligen Pforten sämtlicher Basiliken der Welt zu öffnen, wenn die Tür unseres Herzens für die Liebe verschlossen ist, wenn unsere Hände sich dem Geben verschließen, wenn unsere Häuser der Gastfreundschaft verschlossen sind und wenn unsere Kirchen sich der Aufnahme verschließen.

Die Aufmerksamkeit bedeutet, auf die Details zu achten, unser Bestes zu geben und in Bezug auf unsere Laster und Verfehlungen niemals die Zügel schleifen zu lassen. Der heilige Vinzenz von Paul betete mit diesen Worten: „Herr, hilf mir, dass ich unverzüglich diejenigen wahrnehme, die neben mir stehen, die besorgt und orientierungslos sind, die leiden, ohne es zu zeigen, die sich gegen ihren Willen isoliert fühlen.“

11. Impavidità e prontezza – Unerschrockenheit und Regsamkeit

Unerschrocken sein bedeutet, sich – wie Daniel in der Löwengrube und David gegenüber Goliath – angesichts von Schwierigkeiten nicht ängstigen zu lassen; es bedeutet, wagemutig und entschlossen und ohne Lauheit zu handeln, »als guter Soldat« (vgl. 2 Tim 2,3-4); es bedeutet, wie Abraham und Maria ohne Zögern den ersten Schritt zu tun.

Die Regsamkeit ist dagegen die Fähigkeit, mit innerer Freiheit und Beweglichkeit zu handeln, ohne sich an die materiellen Dinge zu klammern, die vergänglich sind. Im Psalm heißt es: »Wenn der Reichtum auch wächst, so verliert doch nicht euer Herz an ihn!« (Ps 62,11). Regsam sein bedeutet, immer unterwegs zu sein, ohne sich jemals dadurch zu belasten, dass man unnötige Dinge anhäuft und sich in die eigenen Pläne einschließt, und ohne sich von der Geltungssucht beherrschen zu lassen.

12. Und zum Schluss: Affidabilità e sobrietà – Vertrauenswürdigkeit und Nüchternheit

Vertrauenswürdig ist derjenige, der seine Pflichten ernsthaft und zuverlässig einzuhalten weiß, wenn er beobachtet wird, vor allem aber, wenn er allein ist; derjenige, der in seiner Umgebung ein Gefühl der Ruhe verbreitet, weil er niemals das Vertrauen enttäuscht, das ihm geschenkt wurde.

Die Nüchternheit – die letzte Tugend in dieser Aufstellung, nicht aber die letzte im Sinn ihrer Bedeutung – ist die Fähigkeit, auf Überflüssiges zu verzichten und der herrschenden Konsum-Mentalität zu widerstehen. Nüchternheit bedeutet Klugheit, Schlichtheit, Wesentlichkeit, Ausgeglichenheit und Mäßigung. Nüchternheit bedeutet, die Welt mit den Augen Gottes zu betrachten – mit dem Blick der Armen und auf der Seite der Armen. Die Nüchternheit ist ein Lebensstil,<ref> Ein von Nüchternheit geprägter Lebensstil führt den Menschen zurück zu »jener uneigennützigen, selbstlosen, ästhetischen Haltung, die aus dem Staunen über das Sein und über die Schönheit entsteht, das in den sichtbaren Dingen die Botschaft des unsichtbaren Schöpfergottes erkennen lässt« (Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus [1. Mai 1991], 37: AAS 83 [1991], 840); vgl. Versch. Autoren, Nuovi stili di vita nel tempo della globalizzazione, Fondaz. Apostolicam actuositatem, Rom 2002.

</ref> der auf die Vorrangstellung des anderen als hierarchisches Prinzip hinweist und das Leben als Fürsorglichkeit und Dienst gegenüber den anderen zum Ausdruck bringt. Der nüchterne Mensch ist in allem kohärent und wesentlich, weil er versteht zu beschränken, nutzbar zu machen, zu recyceln, zu reparieren und mit einem Sinn für das Maß zu leben.

Liebe Brüder und Schwestern,

die Barmherzigkeit ist kein flüchtiges Gefühl, sondern sie ist die Synthese der Frohen Botschaft, die Wahl dessen, der die Gesinnung des „Herzens Jesu“<ref>»Der Ausdruck “Herz Jesu” lässt sofort an die Menschheit Christi denken und unterstreicht den Reichtum seiner Gefühle, das Mitleid mit den Kranken; die Vorliebe für die Armen; die Barmherzigkeit gegenüber den Sündern; die Zärtlichkeit gegenüber den Kindern; die Stärke in der Anprangerung von Heuchelei, Stolz und Gewalt; die Sanftmut gegenüber seinen Gegnern; den Eifer für die Ehre des Vaters und den Jubel über seine geheimnisvollen, vorsorglichen Pläne der Gnade… Er erinnert außerdem an die Traurigkeit Christi über der Verrat durch Judas, an die Trostlosigkeit aufgrund der Einsamkeit, an die Angst im Angesicht des Todes, an die kindliche und gehorsame Hingabe in die Hände des Vaters. Und er drückt vor allem die Liebe aus, die unaufhaltsam aus seinem Innern hervorströmt: unendliche Liebe zum Vater und grenzenlose Liebe zum Menschen« (Johannes Paul II., Ansprache zum Angelus-Gebet vom 9. Juli 1989: Insegnamenti XII, 2 [1989], 60).</ref> haben und ernstlich dem Herrn nachfolgen will, der uns sagt: »Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!« (Lk 6,36; vgl. Mt 5,48). Pater Ermes Ronchi bekräftigt: »Barmherzigkeit – Ärgernis für die Justiz, Torheit für die Intelligenz, Trost für die Schuldner: Der Preis, den wir schuldig sind für das Leben und dafür, dass wir geliebt werden, kann nur mit der Barmherzigkeit bezahlt werden.«

So möge also die Barmherzigkeit unsere Schritte lenken, unsere Reformen inspirieren und unsere Entscheidungen erleuchten. Möge sie die tragende Säule unseres Wirkens sein. Möge sie uns lehren, wann wir vorangehen und wann wir einen Schritt zurück tun müssen. Möge sie es sein, die uns die Geringfügigkeit unserer Handlungen im großen Heilsplan Gottes und in der Erhabenheit und geheimnisvollen Wirklichkeit seines Werkes verstehen lässt.

Um das zu begreifen, wollen wir uns von dem wunderschönen Gebet innerlich anrühren lassen, das gewöhnlich dem seligen Oscar Arnulfo Romero zugeschrieben wird, jedoch erstmalig von Kardinal John Dearden gesprochen wurde:

Ab und zu hilft es uns, einen Schritt zurückzutreten
und aus der Ferne zu schauen.
Das Reich liegt nicht nur jenseits unserer Bemühungen,
sondern auch jenseits unserer Horizonte.
In unserem Leben gelingt es uns nur, einen kleinen Teil zu vollbringen
von jenem wunderbaren Unterfangen, das das Werk Gottes ist.
Nichts von dem, was wir tun, ist vollständig.
Das besagt, dass das Reich weit über uns selbst hinausgeht.
Keine Aussage drückt all das aus, was gesagt werden kann.
Kein Gebet gibt den Glauben vollständig wieder.
Kein Credo führt zur Vollkommenheit.
Kein Pastoralbesuch bringt alle Lösungen mit sich.
Kein Programm erfüllt voll und ganz die Sendung der Kirche.
Keine Zielsetzung erreicht ihre vollständige Verwirklichung.
Es geht um dies:
Wir streuen Samen aus, die eines Tages aufgehen werden.
Wir begießen bereits ausgesäte Samen
und wissen, dass andere sie pflegen werden.
Wir legen den Grund für etwas, das sich entwickeln wird.
Wir bringen den Sauerteig ein, der unsere Fähigkeiten vervielfachen wird.
Wir können nicht alles tun,
doch es zu beginnen schenkt ein Gefühl der Befreiung.
Es gibt uns die Kraft, etwas zu tun, und es gut zu tun.
Es kann unvollendet bleiben, doch es ist ein Anfang, ein Schritt auf einem Weg.
Eine Chance, dass die Gnade Gottes eintritt
und den Rest tut.
Mag sein, dass wir nie seine Vollendung sehen,
doch das ist der Unterschied zwischen dem Baumeister und dem Handlanger.
Wir sind Handlanger, nicht Baumeister,
Diener, nicht Messias.
Wir sind Propheten einer Zukunft, die uns nicht gehört.

Mit diesen Gedanken und diesen Gefühlen wünsche ich euch ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und bitte euch, für mich zu beten. Danke.

Anmerkungen

<references />

2016

am 2. Dezember 2013 in der Sala Clementina; [ Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite]

Liebe Brüder und Schwestern,

ich möchte diese unsere Begegnung beginnen, indem ich euch allen meine herzlichen Glückwünsche ausspreche: den Vorgesetzten, den Angestellten, den Päpstlichen Vertretern und den Mitarbeitern in den über die ganze Welt verstreuten Nuntiaturen, allen, die in der Römischen Kurie Dienst tun, und euren Angehörigen. Ich wünsche euch ein gesegnetes, frohes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr 2017.

Bei der Betrachtung des Jesuskindes rief der heilige Antonius aus: » Groß als Gott, klein als Diener «.<ref>Serm.187,1: PL 38,1001: » Magnus dies angelorum, parvus in die hominum […] magnus in forma Dei, brevis in forma servi «.y</ref> Auch der heilige Makarios, ein Mönch des 4. Jahrhunderts und Schüler des heiligen Wüstenvaters Antonius, griff für die Beschreibung des Geheimnisses der Inkarnation auf das griechische Verb smikruno, d.h. sich klein machen zurück und beschränkte sich gleichsam auf die allerkleinsten Begriffe: » Hört gut zu: Der unendliche, unzugängliche und unerschaffene Gott hat aufgrund seiner grenzenlosen und erhabenen Güte einen Leib angenommen und sich von seiner Herrlichkeit aus – ich möchte sagen – unendlich verkleinert. «<ref>Hom. IV,9: PG 34,480.</ref>

Weihnachten ist also das Fest der liebenden Demut Gottes, des Gottes, der die Ordnung des logisch Selbstverständlichen, die Ordnung des Folgerichtigen, des Dialektischen und des Mathematischen auf den Kopf stellt. In dieser Umkehrung liegt der ganze Reichtum der göttlichen Logik, die die Begrenztheit unserer menschlichen Logik durcheinander wirft (vgl. Jes 55,8-9). Romano Guardini sagte: » Welche Umwertung aller dem Menschen gewohnten Werte – nicht nur der menschlichen, auch der göttlichen! Wahrlich, dieser Gott wirft alles um, was der Mensch im Hochmut […] von sich aus aufbaut «.<ref>Der Herr, Würzburg 1951, S. 386-387.</ref> Zu Weihnachten sind wir aufgefordert, mit unserem Glauben „Ja“ zu sagen – nicht zum Herrscher über das All und auch nicht zu den edelsten Vorstellungen, sondern gerade zu diesem Gott, der der Demütig-Liebende ist.

Der selige Papst Paul VI. sagte Weihnachten 1971: » Gott hätte in Herrlichkeit, Glanz, Licht und Macht gekleidet kommen können, um uns Angst zu machen, so dass wir vor Staunen die Augen aufgerissen hätten. Nein, nein! Er ist gekommen wie das Kleinste der Wesen, das Zerbrechlichste, das Schwächste. Und warum? Damit sich niemand schämen sollte, ihm näher zu kommen, damit niemand sich fürchtete, damit alle ihn wirklich bei sich haben, nahe zu ihm herantreten könnten und keinen Abstand mehr hätten zwischen uns und ihm. Gott hat seinerseits die Mühe auf sich genommen, in die Tiefe zu sinken, sich in uns hinein zu senken, damit jeder – ich sage: jeder von euch – ihn duzen kann, mit ihm vertraut sein kann, ihm nahen und spüren kann, dass er an ihn denkt und dass er ihn liebt […] von ihm geliebt werden: Schaut mal, das ist ein bedeutendes Wort! Wenn ihr das begreift, wenn ihr euch an das erinnert, was ich euch hier sage, dann habt ihr das ganze Christentum verstanden. «<ref>Homilie, 25. Dezember 1971.</ref>

Tatsächlich hat Gott gewählt, klein geboren zu werden,<ref>Vgl. Petrus Chrysologus, Serm. 118: PL 52, 617.</ref> weil er geliebt werden wollte.<ref>Die heilige Theresia vom Kinde Jesu – verliebt in die Kleinheit Jesu – schrieb in ihrem letzten Brief (vom 25. August 1897, an einen Priester, der ihr als „geistlicher Bruder“ anvertraut worden war): » Ich kann einen Gott, der sich für mich so klein gemacht hat, nicht fürchten… Ich liebe ihn! […] Er ist nämlich nichts anderes als Liebe und Barmherzigkeit! « (LT 266. Œuvres complètes – Paris 1996, S. 624).</ref> Auf diese Weise ist die Logik von Weihnachten die Umkehrung der weltlichen Logik, der Logik der Macht und des Kommandos, der pharisäischen, der kausalistischen oder der deterministischen Logik.

Gerade in diesem sanften und eindrucksvollen Licht des göttlichen Antlitzes des Christkindes habe ich als Thema unseres diesjährigen Treffens die Reform der römischen Kurie gewählt. Es schien mir richtig und angebracht, euch den Rahmen der Reform darzulegen und dabei die Leitlinien und die bereits getanen Schritte hervorzuheben, vor allem aber die Logik des Warum eines jeden vollzogenen Schrittes und dessen, was noch zu verwirklichen ist, herauszustellen.

Hier kommt mir wahrlich ganz spontan der alte Spruch in den Sinn, der die Dynamik der ignatianischen Exerzitien beschreibt: deformata reformare – was entstellt ist reformieren, reformata conformare – was reformiert ist, anpassen, conformata confirmare – was angepasst ist, festigen und confirmata transformare – und was gefestigt ist, neu gestalten.

Zweifellos kann in der Kurie die Bedeutung der Reform zweifach sein: Zunächst ist es eine Anpassung an die Frohe Botschaft, die froh und mutig allen verkündet werden muss, besonders den Armen, den Geringsten und den Ausgeschlossenen; und eine Anpassung an die Zeichen unserer Zeit und an alles, was der Mensch an Gutem erreicht hat, damit wir den Bedürfnissen der Menschen, denen wir zu Diensten stehen sollen, besser genügen.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben in Form eines Motu proprio, mit dem das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen eingerichtet wird (17. August 2016)</ref> Zugleich geht es darum, die Kurie besser ihrem Zweck anzupassen, der darin besteht, am speziellen Dienst des Nachfolgers Petri mitzuarbeiten<ref>Die Römische Kurie hat die Funktion, dem Papst in seiner täglichen Leitung der Kirche zu helfen, das heißt in seinen besonderen Aufgaben, nämlich: a) alle Gläubigen » im Band eines Glaubens und einer Liebe vereint « und auch » in der Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft « zu bewahren; b) » den Episkopat selbst in voller Einigkeit zusammenzuhalten « (Erstes Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Pastor aeternus, Einleitung). » Diese Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt und erklärt feierlich mit ihm, dass der ewige Hirt Jesus Christus die heilige Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte, wie er selbst gesandt war vom Vater (vgl. Joh 20,21). Er wollte, dass deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt « (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium, 18). </ref> (» cum Ipso consociatam operam prosequuntur «, sagt das Motu proprio Humanam progressionem), also den Römischen Pontifex zu unterstützen in der Ausübung seiner einzigartigen, allgemeinen vollen, höchsten, unmittelbaren und universalen Macht.<ref>Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt nämlich in Bezug auf die Römische Kurie: » Bei der Ausübung der höchsten, vollen und unmittelbaren Gewalt über die Gesamtkirche bedient sich der Papst der Behörden der römischen Kurie. Diese versehen folglich ihr Amt in seinem Namen und mit seiner Vollmacht zum Wohle der Kirchen und als Dienst, den sie den geweihten Hirten leisten « (Dekret Christus Dominus, 9). So erinnert es uns vor allem daran, dass die Kurie ein Hilfs-Organismus für den Papst ist, und stellt zugleich klar, dass der Dienst der Organismen der Römischen Kurie immer nomine et auctoritate des Papstes ausgeübt wird. Aus diesem Grund wird die Tätigkeit der Kurie in bonum Ecclesiarum et in servitium Sacrorum Pastorum ausgeführt, d.h. auf das Wohl der Teilkirchen wie auch auf die Unterstützung ihrer Bischöfe hin ausgerichtet. Die Teilkirchen sind » nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet […] In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche « (Lumen gentium, 23).</ref>

Die Reform der Römischen Kurie ist folglich – ebenso wie der Dienst des Bischofs von Rom<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache an die Römische Kurie (21. September 1963): » Eine solche Übereinstimmung zwischen dem Papst und seiner Kurie ist im Übrigen eine ständige Norm. Nicht nur in den bedeutenden Augenblicken der Geschichte zeigt sie ihr Bestehen und ihre Kraft, sondern sie gilt immer, an jedem Tag, in jeder Handlung des päpstlichen Dienstes, wie es sich für das Organ gehört, das mit dem Papst unmittelbar und in absolutem Gehorsam verbunden ist und dessen er sich bedient, um seine universale Aufgabe zu erfüllen. Und diese wesentliche Beziehung der Römischen Kurie zur Ausübung der apostolischen Aktivität des Papstes ist die Rechtfertigung, ja der Ruhm der Kurie selbst. Denn aus ebendieser Beziehung ergibt sich ihre Notwendigkeit, ihre Nützlichkeit, ihre Würde und ihre Autorität. Die Römische Kurie ist ja das Werkzeug, das der Papst braucht und dessen er sich bedient, um seinen göttlichen Auftrag zu erfüllen. Ein äußerst würdiges Werkzeug, und es nimmt nicht Wunder, wenn alle – und Wir an erster Stelle – viel von ihm erwarten und hohe Anforderungen stellen! Die Tätigkeit der Kurie verlangt größte Fähigkeit und höchste Tugend, weil eben ihr Amt von höchstem Rang ist. Eine sehr heikle Aufgabe ist es, Hüter oder Widerhall der göttlichen Wahrheiten zu sein und sie in Worte zu fassen, um in Dialog zu treten mit den Formen rein menschlichen Denkens; es ist eine unermesslich weitreichende Aufgabe, deren Grenzen der Kreis des Universums sind; eine sehr edle Aufgabe ist es, die Stimme des Papstes zu hören und zu interpretieren und zugleich dafür zu sorgen, dass es ihm nicht an nützlicher und objektiver Information sowie an respektvollem und sorgsam erwogenem Rat fehlt. «</ref>– ekklesiologisch orientiert in bonum e in servitium, entsprechend einer bedeutsamen Aussage des heiligen Papstes Gregor des Großen, die im dritten Kapitel der Konstitution Pastor aeternus des Ersten Vatikanischen Konzils aufgegriffen wird: » Meine Ehre ist die der ganzen Kirche. Meine Ehre ist die ungeschwächte Autorität meiner Brüder. Ich werde also wirklich geehrt, wenn keinem von ihnen die gebührende Ehre versagt wird. «<ref>p. ad Eulog. Alexandrin., epist. 30: PL 77, 933. Die Römische Kurie leitet » vom Hirten der Universalkirche ihre Existenz und ihre Zuständigkeit her[…]. Diese nämlich besteht und wirkt nur insofern, als sie sich auf das Petrusamt bezieht und in ihm gründet « (Johannes Paul II., Pastor Bonus, Einleitung, 7; vgl. Art. 1)</ref>

Da die Kurie kein unbeweglicher Apparat ist, ist die Reform vor allem ein Zeichen der Lebendigkeit der Kirche auf dem Wege, auf Pilgerschaft, und ein Zeichen der Kirche, die lebendig und daher semper reformanda<ref>Die Geschichte bestätigt, dass die Römische Kurie – zumindest in den letzten hundert Jahren – in einem Zustand ständiger “Reform“ war. » Tatsächlich kommt jene am 13. April 2013 mit einem Kommuniqué des Staatssekretariats angekündigte als vierte hinzu – angefangen mit der, die der heilige Pius X. mit der Konstitution Sapienti Consilio von 1908 durchführte. Diese Reform wurde natürlich dringend im Hinblick auf die neue Rechtsordnung, die bereits in Vorbereitung war; sie erwies sich jedoch noch notwendiger wegen des Endes der weltlichen Macht. Ihr folgte die Reform, die der selige Paul VI. im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil mit der Apostolischen Konstitution Regiminis Ecclesiae Universae (1967) durchführte. Der Papst selbst hatte eine Überarbeitung des Textes im Licht einer ersten Erprobungsphase vorgesehen. Im Jahr 1988 kam dann die Konstitution Pastor Bonus des heiligen Johannes Paul II. die in der generellen Anlage dem Schema Montinis folgt, aber eine andere Aufgliederung der verschiedenen Organismen und ihrer Kompetenzen in Übereinstimmung mit dem CIC von 1983 einfügt. Innerhalb dieser grundlegenden Übergänge sind weitere wichtige Eingriffe zu verzeichnen. So schuf Benedikt XV. zum Beispiel die Kongregation für die Seminare (bis zu dem Zeitpunkt eine Sektion innerhalb der Konsistorial-Kongregation) und die Universitäten (1915) und die Kongregation für die Ostkirchen (1917: zuvor errichtet als Sektion in der S. Congregatio de Propaganda Fide) und reihte sie unter die anderen römischen Kongregationen ein. Johannes Paul II. führte auch nach Pastor Bonus noch Änderungen in der kurialen Organisation durch, und nach ihm nahm auch Benedikt XVI. bedeutsame Eingriffe vor: Man denke an die Einsetzung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung (2010), an die Verlegung der Zuständigkeit für die Seminare von der Kongregation für das katholische Bildungswesen an die Kongregation für den Klerus und die Verlegung der Zuständigkeit für die Katechese von Letzterer an den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung (2013). Dazu kommen die anderen vereinfachenden Eingriffe durch die Vereinigung mehrerer Dikasterien unter einem einzigen Vorsitz – Eingriffe, die im Laufe der Jahre durchgeführt wurden und von denen einige bis heute gelten « (Marcello Semeraro, La riforma di Papa Francesco: Il Regno, Jahrg. LXI, Nr. 1240 [15. Juli 2016] S. 433-441).</ref> – immer zu reformieren ist, eben weil sie lebt. Es muss mit Nachdruck bekräftigt werden, dass die Reform kein Selbstzweck, sondern ein Prozess des Wachstums und vor allem der Umkehr ist. Sie verfolgt darum kein ästhetisches Ziel, so als wolle sie die Kurie schöner machen, noch darf sie als eine Art Lifting, Make-up oder Schminke verstanden werden, um den alten kurialen Leib zu verschönern, und auch nicht als eine Operation der Schönheitschirurgie, um die Falten wegzunehmen.<ref> In diesem Sinn sagte Paul VI. am 21. September 1963 über die Römische Kurie: » Es ist erklärlich, dass diese Ordnung durch ihr eigenes ehrwürdiges Alter beschwert ist, dass sie die Verschiedenheit ihrer Organe und ihrer Praxis im Vergleich zu den Bedürfnissen und den Bräuchen der neuen Zeit spürt; dass sie zugleich das Bedürfnis empfindet, sich zu vereinfachen und zu dezentralisieren wie auch sich auszudehnen und für neue Aufgaben zu qualifizieren. «</ref> Liebe Brüder, nicht die Falten sind das, was man in der Kirche fürchten muss, sondern die Flecken!

Aus dieser Perspektive ist zu betonen, dass die Reform einzig und allein wirksam sein wird, wenn sie mit „erneuerten“ und nicht bloß mit „neuen“ Menschen durchgeführt wird.<ref>Paul VI. sagte am 22. Februar 1975 anlässlich des Jubiläums der Römischen Kurie: » Wir sind die Römische Kurie […] Dieses Bewusstsein, das wir haben und von dem wir wollen, dass es nicht nur in seiner kanonischen Definition, sondern auch in seinem moralischen und spirituellen Inhalt ganz klar sei, erlegt jedem von uns einen Bußakt auf, der der besonderen Disziplin des Jubiläums angemessen ist – einen Akt, den wir als einen Schritt der Selbstkritik bezeichnen können, um im Innern unseres Herzens zu prüfen, ob unser Verhalten dem Dienst entspricht, der uns anvertraut ist. Zu dieser inneren Gegenüberstellung drängt uns vor allem die Kohärenz unseres kirchlichen Lebens und dann die kritische Auswertung, die sowohl die Kirche als auch die Gesellschaft uns gegenüber machen. Deren Anforderungen sind oft nicht objektiv und umso strenger, je repräsentativer unsere Stellung ist, die immer durch ihre ideale Vorbildlichkeit leuchten müsste […] Zwei geistliche Grundhaltungen werden daher unserer Jubiläumsfeier Sinn und Wert verleihen: eine Gesinnung aufrichtiger Demut, d.h. dass wir die Wahrheit über uns selbst anerkennen und erklären, dass wir als Erste das Erbarmen Gottes nötig haben« (Insegnamenti di Paolo VI, XIII [1975], S. 172-176).</ref> Es genügt nicht, sich damit zufrieden zu geben, das Personal auszutauschen, sondern die Kurienmitglieder müssen dazu gebracht werden, sich geistlich, menschlich und beruflich zu erneuern. Die Kurienreform verwirklicht sich keineswegs mit dem Wechsel der Personen – was gewiss geschieht und geschehen wird<ref>In diesem Sinn gehört das Aufeinanderfolgen der Generationen zum Leben, und weh uns, wenn wir diese Wahrheit aus unserem Denken oder Leben ausklammern. Der Wechsel der Personen ist also normal, notwendig und wünschenswert.</ref> –, sondern mit der Umkehr in den Personen. Tatsächlich reicht eine „ständige Fortbildung“ nicht aus, es bedarf auch „einer Umkehr und einer ständigen Reinigung“. Ohne einen „Gesinnungswandel“ wäre das funktionelle Bemühen vergeblich.<ref>Benedikt XVI. erwähnte in seiner Ansprache an die Kurie am 20. Dezember 2010 in Anknüpfung an eine Vision der heiligen Hildegard von Bingen, dass das Antlitz der Kirche leider » mit Staub bestreut « und ihr Gewand » zerrissen « sein kann. Und darum habe ich meinerseits daran erinnert, dass die Heilung » auch Frucht des Wissens um die Krankheit sowie des persönlichen und gemeinschaftlichen Entschlusses [ist], sich behandeln zu lassen und dabei mit Geduld und Ausdauer die Behandlung zu ertragen « (Ansprache an die Römische Kurie, 22. Dezember 2014).</ref>

Aus diesem Grund bin ich in unseren beiden vorigen weihnachtlichen Begegnungen 2014 nach dem Modell der Wüstenväter näher auf einige „Krankheiten“ eingegangen und 2015 von dem Wort „Barmherzigkeit“ aus auf eine Art Katalog der notwendigen Tugenden für die, welche in der Kurie Dienst tun, und für alle, die ihre Weihe oder ihre Arbeit für die Kirche fruchtbar machen wollen. Der letzte Grund ist, dass genauso wie in der ganzen Kirche auch in der Kurie das semper reformanda in einer ständigen persönlichen und strukturellen Umkehr umgesetzt werden muss.<ref> Es geht darum, die Reform als eine Verwandlung, bzw. einen vorwärts gerichteten Wechsel, eine Verbesserung zu verstehen: wechseln/umwandeln in melius.</ref>

Es war notwendig, von Krankheiten und Behandlungen zu sprechen, weil jede Operation, um zum Erfolg zu führen, durch gründliche Diagnosen und sorgfältige Analysen vorbereitet und durch genaue Verordnungen begleitet und weiter verfolgt werden muss.

Auf diesem Weg ist es normal, ja sogar heilsam, auf Schwierigkeiten zu stoßen, die im Fall der Reform in verschiedenen Arten von Widerstand auftreten könnten: offener Widerstand, der oft aus gutem Willen und aus aufrichtigem Dialog hervorgeht; verborgener Widerstand, der aus verängstigten oder versteinerten Herzen hervorgeht, die ihre Nahrung aus dem leeren Gerede des geistlichen „Gattopardismus“ derer ziehen, die sich in Worten zur Veränderung bereit erklären, aber wollen, dass alles beim Alten bleibt. Und es gibt auch den böswilligen Widerstand, der in verdrehten Mentalitäten aufkeimt und zum Vorschein kommt, wenn der Dämon böse (oft als Lämmer verkleidete) Vorhaben eingibt. Diese letzte Art des Widerstands versteckt sich hinter rechtfertigenden und in vielen Fällen beschuldigenden Worten und sucht Zuflucht in Traditionen, äußeren Erscheinungen, Formalitäten, im Altbekannten oder darin, alles auf die persönliche Ebene zu verlagern, ohne zu unterscheiden zwischen der Handlung, dem Handelnden und der Auswirkung.<ref>Vgl. Homilie (Domus Sanctae Marthae, 1. Dezember 2016).</ref>

Das Fehlen jeder Reaktion ist ein Zeichen von Tod! So sind also die guten Widerstände – und sogar die weniger guten – notwendig und verdienen es, angehört, angenommen und ermutigt zu werden, sich auszudrücken, denn das ist ein Zeichen, dass der Leib lebt.

All das besagt, dass die Reform der Kurie ein heikler Prozess ist, der in Treue zum Wesentlichen angegangen werden muss, mit andauerndem Unterscheidungsvermögen, mit am Evangelium orientiertem Mut, kirchlicher Weisheit, aufmerksamem Zuhören, hartnäckigem Handeln, positivem Schweigen, festen Entschlüsse, sehr viel Gebet – sehr viel Gebet! –, tiefer Demut, klarem Weitblick, mit konkreten Schritten vorwärts und – wenn es sich als notwendig erweist – auch rückwärts, mit einem entschiedenen Willen, reger Vitalität, verantwortlicher Autorität und bedingungslosem Gehorsam, an erster Stelle aber, indem wir uns der sicheren Führung des Heiligen Geistes überlassen und auf seine notwendige Unterstützung vertrauen. Und deshalb Gebet, Gebet und Gebet.


EINIGE LEITLINIEN DER REFORM:

Im Wesentlichen sind es zwölf: Individualität, Hirtensorge, Missionsgeist, Rationalität, Funktionsfähigkeit, Modernität, Einfachheit, Subsidiarität, Synodalität, Katholizität, Professionalität und Gradualität.

1. Individualität (persönliche Umkehr)

Ich betone noch einmal die Bedeutung der individuellen Umkehr, ohne die alle strukturellen Veränderungen nutzlos sein werden. Die wahre Seele der Reform sind die Menschen, die in sie eingebunden sind und sie ermöglichen. Die persönliche Umkehr unterstützt und stärkt nämlich die gemeinschaftliche.

Es besteht eine starke Wechselwirkung zwischen dem persönlichen und dem gemeinschaftlichen Verhalten. Ein einzelner Mensch kann sehr viel Gutes in die ganze Gemeinschaft einbringen und könnte sie schädigen und krank machen. Und eine gesunde Gemeinschaft ist imstande, die eigenen Glieder zu bergen, aufzunehmen, zu stärken, zu pflegen und zu heiligen.

2. Hirtensorge (pastorale Umkehr)

Im Gedanken an das Bild des Hirten (vgl. Ez 34,16; Joh 10,1-21) und daran, dass die Kurie eine Gemeinschaft des Dienstes ist, » tut es auch uns gut, die wir gerufen sind, Hirten in der Kirche zu sein, wenn wir zulassen, dass das Antlitz Gottes, des Guten Hirten, uns erleuchtet, uns reinigt, uns verwandelt und uns vollkommen erneuert unserer Sendung zurückgibt. Damit wir auch in unserem Arbeitsumfeld ein starkes pastorales Bewusstsein spüren, pflegen und praktizieren können, vor allem den Menschen gegenüber, denen wir jeden Tag begegnen. Niemand möge sich vernachlässigt oder schlecht behandelt fühlen, sondern jeder soll vor allem hier die liebevolle Sorge des Guten Hirten erfahren können. «<ref>Homilie anlässlich des Jubiläums der Römischen Kurie (22. Februar 2016); vgl. Ansprache zur Eröffnung der Arbeiten des Konsistoriums (12. Februar 2015).</ref> Hinter den Akten stehen Menschen

Das Engagement des gesamten Personals der Kurie muss von einer Hirtensorge und von einer Spiritualität des Dienstes und der Gemeinschaft beseelt sein, denn das ist das Gegenmittel gegen alle Gifte eitler Ehrsucht und trügerischer Rivalität. In diesem Sinn mahnte der selige Paul VI.: » Die Römische Kurie soll daher keine Bürokratie sein, wie sie zu Unrecht von manchen beurteilt wird, anmaßend und teilnahmslos, nur auf Rechtsordnungen und Rituale fixiert, ein Klettergarten verborgener Ehrgeize und heimlicher Antagonismen, wie andere sie beschuldigen. Sie soll vielmehr eine echte Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, des Gebetes und des Handelns sein; eine Gemeinschaft von Geschwistern als „Söhne“ und „Töchter“ des Papsts, die alles tun – jeder in der Achtung gegenüber der Kompetenz des anderen und mit einem Sinn für Zusammenarbeit –, um ihm zu dienen in seinem Dienst an den Brüdern und an den Söhnen und Töchtern der Weltkirche sowie der ganzen Erde. «<ref>Ansprache an die Römische Kurie (21. September 1963).</ref>

3. Missionsgeist<ref> » Die Aufgabe, allen Menschen die Frohbotschaft zu verkündigen, [ist] die wesentliche Sendung der Kirche […], eine Aufgabe und Sendung, die die umfassenden und tiefgreifenden Veränderungen der augenblicklichen Gesellschaft nur noch dringender machen. Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren […] Die Gemeinschaft der Christen ist niemals in sich selbst abgeschlossen. In ihr hat das eigentliche Leben – Leben des Gebetes, Hören auf das Wort und die Unterweisung der Apostel, gelebte brüderliche Liebe, Austeilen des Brotes – nur seinen vollen Sinn, wenn es zum Zeugnis wird, die Aufmerksamkeit auf sich zieht und zur Umkehr führt, zur Predigt wird und die Frohbotschaft verkündet. So ist es die ganze Kirche, die die Sendung zur Evangelisierung empfängt, und die Mitwirkung jedes einzelnen ist für das Ganze von Wichtigkeit« (Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 14-15). » Wir können nicht passiv abwartend in unseren Kirchenräumen sitzen bleiben «; es ist notwendig, » von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral überzugehen « (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 15).</ref> (Christozentrismus)

Das Hauptziel jedes kirchlichen Dienstes ist das, die Frohe Botschaft bis an alle Enden der Erde zu bringen,<ref>Es darf die Kraft für die Verkündigung an diejenigen, die noch fern von Christus sind, nicht verlorengehen, denn das ist die erste Aufgabe der Kirche (vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio, 34).</ref> wie uns die Konzilslehre erinnert, denn » es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können; gleicherweise können die guten Strukturen nützlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie unterstützt und sie beurteilt. Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist, ohne Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben. «<ref>Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 26. » Ich träume von einer missionarischen Entscheidung [paradigmatische Mission], die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur [programmatische Mission] ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient « (ebd., 27). In diesem Sinne ist das, » was veraltete Strukturen fallen lässt, was dazu führt, die Herzen der Christen zu verändern, […] eben gerade der missionarische Charakter «, denn » die programmatische Mission besteht, wie der Name sagt, in der Verwirklichung von Unternehmungen missionarischer Art. Die paradigmatische Dimension schließt hingegen ein, die gewöhnlichen Aktivitäten der Teilkirchen unter missionarischem Aspekt anzugehen « (Ansprache an die Bischöfe des Koordinations-Komitees des CELAM, Rio de Janeiro, 28. Juli 2013).</ref>

4. Rationalität

Aufgrund des Prinzips, dass alle Dikasterien rechtlich gleichgestellt sind, erwies sich eine Rationalisierung der Organismen der Römischen Kurie als notwendig,<ref>Vgl. Paul VI., Apost. Konst. Regimini Ecclesiae universae, Art. 1 §2; Johannes Paul II., Apost. Konst. Pastor Bonus, Art. 2 §2.</ref> um zu verdeutlichen, dass jedes Dikasterium eigene Kompetenzen besitzt. Diese Zuständigkeiten müssen respektiert, aber auch rationell, wirksam und effizient verteilt werden. Kein Dikasterium kann also die Zuständigkeit eines anderen Dikasteriums für sich in Anspruch nehmen, entsprechend der rechtlichen Festlegung, und andererseits stehen alle Dikasterien in direktem Bezug zum Papst.

5. Zweckdienlichkeit

Die eventuelle Zusammenlegung zweier oder mehrerer Dikasterien mit Zuständigkeiten für ähnliche oder eng miteinander verbundene Bereiche zu einem einzigen Dikasterium dient einerseits dazu, diesem eine größere Bedeutung (auch nach außen) zu verleihen; andererseits verhelfen der direkte Kontakt und das Zusammenwirken einzelner Realitäten innerhalb eines Dikasteriums zu einer größeren Zweckdienlichkeit. (Ein Beispiel dafür sind die beiden jüngst eingesetzten neuen Dikasterien).<ref>» Von Rom geht heute die Einladung zum „Aggiornamento“ aus […], das heißt zur Vervollkommnung aller inneren und äußeren Aspekte der Kirche. Das päpstliche Rom ist heute etwas ganz Anderes und dank der Gnade Gottes sehr viel würdiger, weiser und heiliger. Sie ist sich viel deutlicher ihrer auf das Evangelium gegründeten Berufung bewusst, ist sehr viel engagierter in ihrer christlichen Mission und darum hat sie ein viel stärkeres Verlangen nach fortwährender Erneuerung und ist dafür offen « (Paul VI., Ansprache an die Römische Kurie, 21. September 1963). </ref>

Das Kriterium der Zweckdienlichkeit erfordert auch die ständige Überprüfung der Rollen und der Zuweisung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten des Personals und folglich die Durchführung von Versetzungen, Einstellungen, Unterbrechungen und auch Beförderungen.

6. Modernität („Aggiornamento“ – Aktualisierung)

Es handelt sich um die Fähigkeit, die „Zeichen der Zeit“ zu verstehen und auf sie zu hören. In diesem Sinn » sorgen wir zügig dafür, dass die Dikasterien der Römischen Kurie den Situationen unserer Zeit angepasst werden und den Bedürfnissen der Weltkirche entsprechen «.<ref>Motu proprio Sedula Mater, 15. August 2016.</ref> Das Zweite Vatikanische Konzil wünschte, dass die Dikasterien der Römischen Kurie » eine neue Ordnung erhalten, die den Erfordernissen der Zeit, der Gegenden und der Riten stärker angepasst ist, besonders was ihre Zahl, Bezeichnung, Zuständigkeit, Verfahrensweise und die Koordinierung ihrer Arbeit angeht«.<ref>Dekret Christus Dominus, 9.</ref>

7. Einfachheit

Aus dieser Sicht sind eine Vereinfachung und eine Verschlankung der Kurie notwendig: die Zusammenlegung oder Fusion von Dikasterien entsprechend ihren Zuständigkeitsbereichen und die interne Vereinfachung einzelner Dikasterien; eventuelle Schließung von Büros, die für die jeweiligen Bedürfnisse nicht mehr geeignet sind. Einfügung oder auch Reduzierung zum Beispiel von Kommissionen, Akademien, Komitees in Dikasterien – alles im Hinblick auf die unerlässliche Einfachheit, die für ein korrektes und authentisches Zeugnis notwendig ist.

8. Subsidiarität

Neuordnung der spezifischen Zuständigkeiten der verschiedenen Dikasterien, indem sie nötigenfalls von einem Dikasterium in ein anderes verlegt werden, um Autonomie, Koordination und Subsidiarität in den Kompetenzen und die wechselseitige Verbindung im Dienst zu erreichen.

In diesem Sinn erweist sich auch die Beachtung der Prinzipien der Subsidiarität und der Rationalisierung in der Beziehung zum Staatssekretariat und in dessen innerer Organisation – unter seinen verschiedenen Zuständigkeiten – als notwendig, damit es in der Erfüllung seiner eigenen Aufgaben die direkte und unmittelbarere Hilfe für den Papst ist.<ref>Zu den Hauptaufgaben des Staatssekretärs als des ersten Mitarbeiters des Papstes in dessen Ausübung seiner höchsten Mission und als des Vollstreckers der Entscheidungen, die der Papst mit Hilfe der Beratungsorgane fällt, müssten die regelmäßigen und häufigen Versammlungen mit den Leitern der Dikasterien gehören. In jedem Fall sind die Koordinierung und die Zusammenarbeit der Dikasterien untereinander und mit den anderen Büros von erstrangiger Bedeutung.</ref> Das auch für eine bessere Koordinierung der verschiedenen Sektoren der Dikasterien und der Büros der Kurie. Das Staatssekretariat kann diese seine wichtige Funktion gerade in der Verwirklichung der Einheit, der Interdependenz und der Koordination seiner Sektionen und seiner verschiedenen Bereiche erfüllen.

9. Synodalität

Die Arbeit der Kurie muss synodalen Charakter haben: gewohnheitsmäßige Versammlungen der Dikasterien-Leiter unter dem Vorsitz des Papstes;<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apost. Konst. Pastor Bonus, 22.</ref> regelmäßige Audienzen „nach Plan“ der Dikasterien-Leiter; gewohnte Versammlungen der Dikasterien untereinander. Die Reduzierung der Anzahl der Dikasterien wird häufigere und systematischere Begegnungen der einzelnen Präfekten mit dem Papst und wirkungsvolle Versammlungen der Dikasterien-Leiter ermöglichen, was bei einer größeren Gruppe so nicht möglich ist.

Die Synodalität<ref>Eine Synodale Kirche ist eine hörende Kirche (vgl. Ansprache zur Fünfzig-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode, 17. Oktober 2015; Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 171). Etappen solchen Hörens für die Reform der Kurie waren: 1. Meinungsumfrage im Sommer 2013 (bei den Dikasterien-Leitern und anderen; bei den Mitgliedern des Kardinalsrats; bei einzelnen Bischöfen und den Bischofskonferenzen von deren Herkunftsländern); 2. Versammlung der Dikasterien-Leiter vom 10. September 2013 und vom 24. November 2014; 3. Konsistorium vom 12.-13. Februar 2015; 4. Brief vom Kardinalsrat an die Dikasterien-Leiter vom 17. September 2014 wegen eventueller „Dezentralisierungen“; 5. Beiträge einzelner Dikasterien-Leiter, die aufgefordert waren, in den Versammlungen des Kardinalsrates Vorschläge und Meinungen in Bezug auf die Reform ihres Dikasteriums vorzubringen (vgl. Marcello Semeraro, La riforma di Papa Francesco, Il Regno, Jahrg. LXI, Nr. 1240 [15. Juli 2016] S. 433-441).</ref> muss auch im Innern jedes Dikasteriums gelebt werden, indem dem Kongress eine besondere Bedeutung verliehen und wenigstens die gewöhnliche Sitzung häufiger abgehalten wird. Innerhalb eines jeden Dikasteriums muss die Aufsplitterung vermieden werden, die durch verschiedene Faktoren verursacht werden kann, wie die Vervielfachung von spezialisierten Abteilungen, die zu einer gewissen Selbstbezogenheit neigen können. Die Koordinierung unter ihnen müsste Aufgabe des Sekretärs oder des Untersekretärs sein.

10. Katholizität

Unter den Mitarbeitern muss die Kurie über die Priester und die gottgeweihten Personen hinaus die Katholizität der Kirche widerspiegeln durch die Einstellung von Personal aus aller Welt, von ständigen Diakonen und gläubigen Laien, die sorgfältig aufgrund ihres einwandfreien geistlichen und moralischen Lebens und ihrer beruflichen Kompetenz ausgewählt werden müssen. Es ist angebracht, den Zugang einer größeren Anzahl von gläubigen Laien einzuplanen, besonders in den Dikasterien, in denen sie sachkundiger sein können als Kleriker und Ordensleute. Von großer Bedeutung sind im Übrigen die Aufwertung der Rolle der Frau und der Laien im Leben der Kirche und ihre Eingliederung in Führungsrollen der Dikasterien. Dabei muss der Multikulturalität besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

11. Professionalität

Es ist unerlässlich, dass jedes Dikasterium eine Politik der ständigen Fortbildung des Personals ergreift, um das „Einrosten“ und das Abfallen in die Routine des Funktionalismus zu vermeiden.

Andererseits muss die Praxis des promoveatur ut amoveatur unbedingt definitiv ad acta gelegt werden. Das ist ein Krebsgeschwür.

12. Gradualität (Unterscheidung)

Die Gradualität ist die Frucht der unentbehrlichen Unterscheidung. Diese schließt einen historischen Prozess, ein Abwägen von Zeiten und Etappen, Überprüfung, Korrekturen, Versuchsphasen und die Approbation ad experimentum ein. Es handelt sich also in diesen Fällen nicht um Unentschiedenheit, sondern um die Flexibilität, die notwendig ist, um eine wirkliche Reform zu erreichen.

Einige vollzogene Schritte<ref>Zur Vertiefung der vollzogenen Schritte, der Gründe und der Zwecke des Reformprozesses wird empfohlen, insbesondere auf die drei in Form eines Motu proprio erlassenen Apostolischen Schreiben Bezug zu nehmen, mit denen bis heute die Maßnahmen zur Errichtung, Änderung oder Aufhebung einiger Dikasterien der Römischen Kurie vorgenommen wurden.</ref>

In einem kurzen Überblick nenne ich einige Schritte, die verwirklicht wurden in Umsetzung der Leitlinien und der Empfehlungen, die von den Kardinälen während der Generalkongregationen vor dem Konklave, von der COSEA, vom Kardinalsrat sowie von den Leitern der Dikasterien und von anderen Personen und Experten geäußert wurden.

- Am 13. April 2013 wurde die Errichtung des Kardinalsrates (Consilium Cardinalium Summo Pontifici) – der sogenannte K8, der ab dem 1. Juli 2014 zum K9 wurde – angekündigt, und zwar primär, um den Papst hinsichtlich der Leitung der Universalkirche und anderer diesbezüglicher Themen<ref>Der Ablauf der Arbeit sieht vor, dass die Mitglieder des Rates vormittags und nachmittags zusammenkommen; bis heute waren es insgesamt 93 Besprechungen.</ref> zu beraten, als auch mit der spezifischen Aufgabe, eine Revision der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus<ref>Bisher waren es mehr als sechzehn Sitzungsperioden für die Arbeit des Rates (im Schnitt findet alle zwei Monate eine statt); zeitlich waren sie wie folgt verteilt: I.‎ Session: 1.-3. Okt. 2013‎; II.‎ Session: 3.-5. Dez. 2013‎; III. Session: 17.-19. Feb. 2014‎; IV.‎ Session: 28.-30. Apr. 2014‎; V.‎ Session: 1.-4. Juli 2014‎; VI.‎ Session: 15.-17. Sept. 2014‎; VII.‎ Session: 9.-11. Dez. 2014‎; VIII. Session: 9.-11. Feb. 2015‎; IX.‎ Session 13.-15. März 2015‎; X.‎ Session: 8.-10. Juni 2015‎; XI.‎ Session: 14.-16. Sept. 2015‎; XII.‎ Session: 10.-12. Dez. 2015‎; XIII.‎ Session: 8.-9. Feb. 2016‎; XIV.‎ Session: 11.-13. Apr.2016‎; XV.‎ Session: ‎6.-8. Juni 2016‎; XVI.‎Session: ‎12.-14. Sept. 2016‎; XVII. Session: 12.-14. Dez. 2016.‎</ref> vorzulegen.

- Mit dem Chirograph vom 24. Juni 2013 wurde die Päpstliche Aufsichtskommission für das Institut für die Religiösen Werke errichtet, um die Rechtsstellung des IOR gründlicher kennen zu lernen und um eine bessere » Übereinstimmung « mit der » universalen Sendung des Apostolischen Stuhls « zu erlauben. Dies alles dient dazu, » es den Prinzipien des Evangeliums zu ermöglichen, auch die Aktivitäten ökonomischer und finanzieller Natur zu durchdringen «, und eine umfassende anerkannte Transparenz in seinem Wirken zu erlangen.

- Mit dem Motu proprio vom 11. Juli 2013 wurde Sorge getragen, die Gerichtsbarkeit der Rechtsorgane des Staates der Vatikanstadt im Bereich des Strafrechts zu umreißen.

- Mit dem Chirograph vom 18. Juli 2013 wurde die COSEA (Päpstliche Studien- und Leitungskommission für die Organisation der administrativ-wirtschaftlichen Struktur des Heiligen Stuhls)<ref>Die Kommission wurde am 18. Juli 2013 errichtet und am 22. Mai 2014 aufgehoben. Sie hatte die Aufgabe, technische Unterstützung und Fachberatung anzubieten und strategische Verbesserungslösungen zu erarbeiten, die geeignet sind, den Aufwand wirtschaftlicher Ressourcen zu vermeiden, die Transparenz beim Erwerb von Gütern und Dienstleistungen zu fördern, die Verwaltung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens zu verbessern, mit immer größerer Umsicht im finanziellen Bereich zu operieren, eine korrekte Anwendung der Buchungsprinzipien zu gewährleisten und das Gesundheitswesen und die Sozialversicherung für alle Anspruchsberechtigte sicherzustellen: » zu einer Vereinfachung und Rationalisierung der bestehenden Organe und zu einer gewissenhafteren Planung der wirtschaftlichen Aktivitäten aller vatikanischer Verwaltungen « (Chirograph vom 18. Juli 2013).</ref> eingesetzt mit der Aufgabe, in Zusammenarbeit mit dem Kardinalsrat für das Studium der organisatorischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls Informationen zu sammeln, zu studieren und zu analysieren.

- Mit dem Motu proprio vom 8. August 2013 wurde das Finanzsicherheitskomitee des Heiligen Stuhls zur Verhütung und Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismus-Finanzierung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen errichtet, um das IOR und das ganze vatikanische Wirtschaftssystem zur ordnungsmäßigen Anwendung und zur sorgfältigen und vollständigen Erfüllung aller Gesetze auf internationalem Standard zur finanziellen Transparenz zu bringen.<ref>Zum Beispiel die von der internationalen Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen“ (FATF) erarbeiteten Empfehlungen. Heute erweist sich die Aktivität des IOR völlig konform den im Staat der Vatikanstadt geltenden Bestimmungen auf dem Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismus-Finanzierung.</ref>

- Mit dem Motu proprio vom 15. November 2013 wurde die Finanzaufsichtsbehörde (AIF)<ref>Die Finanzaufsichtsbehörde AIF ist » eine mit dem Heiligen Stuhl verbundene Einrichtung «, die » völlig selbständig und unabhängig folgende Funktionen ausübt: a) Aufsicht und Vorsichtsregelung der Einrichtungen, die professionell eine Aktivität finanzieller Natur ausüben; b) Aufsicht und Regelung zur Verhütung und Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismus-Finanzierung; c) finanzielle Information « (Statut der AIF, Titel 1, Art. 1 und 2); unter anderem hat sie die Aufgabe, die Einhaltung der auf dem Gebiet der Verhütung und der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismus-Finanzierung festgesetzten Verpflichtungen zu beaufsichtigen sowie Bestimmungen zur Umsetzung und Anwendung von Instruktionen und Maßnahmen besonderen Inhalts gegenüber den Personen, die unter diesen Verpflichtungen stehen, zu erlassen.</ref> konsolidiert, die von Benedikt XVI. mit dem Motu proprio vom 30. Dezember 2010 zur Verhütung und Bekämpfung illegaler Aktivitäten im Finanz- und Geldbereich errichtet wurde.<ref>Die Finanzaufsichtsbehörde AIF wurde auch errichtet, um die Verpflichtung des Heiligen Stuhls, die Prinzipien und die von der internationalen Gemeinschaft entwickelten Rechtsmittel anzuwenden, zu erneuern und dabei die institutionelle Ordnung in Hinsicht auf die Verhütung und Bekämpfung der Geldwäsche, der Terrorismus-Finanzierung und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen weiter anzupassen.</ref>

- Mit dem Motu proprio vom 24. Februar 2014 (Fidelis dispensator et prudens) wurden das Wirtschaftssekretariat und der Wirtschaftsrat,<ref>Der Wirtschaftsrat hat die » Aufgabe, die Durchführung der wirtschaftlichen Angelegenheiten aufmerksam zu verfolgen und über die Strukturen und die administrativen und finanziellen Aktivitäten der Dikasterien der Römischen Kurie, der mit dem Heiligen Stuhl verbundenen Einrichtungen und des Staates der Vatikanstadt zu wachen « (Motu Proprio Fidelis dispensator et prudens, 1).</ref> der den Rat der 15 Kardinäle ersetzt, errichtet mit der Aufgabe, die Kontrollstrategien bezüglich der wirtschaftlichen Verwaltung des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt aufeinander abzustimmen.

- Mit dem selben Motu proprio (Fidelis dispensator et prudens) vom 24. Februar 2014 wurde das Amt des Generalrevisors (URG) als neue Einrichtung des Heiligen Stuhls errichtet. Er hat die Aufgabe, die Rechnungsprüfung (audit) der Dikasterien der Römischen Kurie, der Einrichtungen, die mit dem Heiligen Stuhl verbunden sind oder sich auf ihn beziehen, und der Verwaltungen des Governatorats des Staates der Vatikanstadt durchzuführen.<ref>Das Amt des Generalrevisors arbeitet völlig selbständig und unabhängig in Übereinstimmung mit der geltenden Gesetzgebung und mit dem eigenen Statut und berichtet direkt dem Papst. Er legt dem Wirtschaftsrat ein jährliches Revisionsprogramm sowie einen Jahresbericht über die eigenen Aktivitäten vor. Das Ziel des Revisionsprogramms besteht darin, die wichtigsten Geschäfts- und Organisationsbereiche, die potenziell risikogefährdet sind, auszumachen. Das Amt des Generalrevisors ist die Behörde, welche die Bücherrevision der Dikasterien der Römischen Kurie, der mit dem Heiligen Stuhl verbundenen Einrichtungen sowie des Staates der Vatikanstadt durchführt. Die Tätigkeit des Amtes des Generalrevisors verfolgt das Ziel, unabhängige Fachmeinungen beizubringen, nämlich in Bezug auf die Angemessenheit der Buchungs- und Verwaltungsvorgänge (System interner Kontrolle) und ihre effektive Anwendung (compliance audit) sowie hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Bilanzen der einzelnen Dikasterien und der konsolidierten Haushalte (financial audit) und der ordnungsmäßigen Verwendung der finanziellen und materiellen Ressourcen (value for maney audit).</ref>

- Mit dem Chirograph vom 22. März 2014 wurde die Päpstliche Kommission für den Schutz von Minderjährigen errichtet, um » den Schutz der Würde der Minderjährigen und gefährdeten Erwachsenen durch die Formen und Weisen, die der Natur der Kirche gemäß sind und für mehr geeignet gehalten werden, zu schützen «.

- Mit dem Motu proprio vom 8. Juli 2014 wurde die Ordentliche Sektion der Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhls dem Wirtschaftssekretariat übertragen.

- Am 22. Februar 2015 wurden die Statuten der neuen Wirtschaftseinrichtungen approbiert.

- Mit dem Motu proprio vom 27. Juni 2015 wurde das Sekretariat für die Kommunikation errichtet. Seine Aufgabe besteht darin, » auf den aktuellen Kommunikationskontext, der von der Präsenz und der Entwicklung der digitalen Medien sowie von den Faktoren der Konvergenz und Interaktivität gekennzeichnet ist, zu antworten « und auch durch einen Prozess der Reorganisation und Zusammenlegung » alle Realitäten, die sich auf verschiedene Weise bisher um die Kommunikation gekümmert haben « insgesamt umzustrukturieren, » um den Erfordernissen der Sendung der Kirche immer besser zu entsprechen «.

- Am 6. September 2016 wurde das Statut des Sekretariats für die Kommunikation erlassen, das im vergangenen Oktober in Kraft getreten ist.<ref>» Der aktuelle Kommunikationskontext, der von der Präsenz und der Entwicklung der digitalen Medien sowie von den Faktoren der Konvergenz und Interaktivität gekennzeichnet ist, erfordert ein Überdenken des Informationssystems des Heiligen Stuhls und verpflichtet zu einer Neuorganisation. Unter Hervorhebung dessen, was sich im Laufe der Geschichte innerhalb des Kommunikationsbereiches des Apostolischen Stuhls entwickelt hat, wird diese Neuorganisation entschieden zu einer Integration und einheitliche Führung voranschreiten « (Statut des Sekretariats für die Kommunikation, Präambel).</ref>

- Mit den beiden Motu proprio vom 15. August 2015 wurde für die Reform des kanonischen Verfahrens für die Fälle von Ehenichtigkeitserklärungen Sorge getragen: mit Mitis et misericors Iesus im Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen; mit Mitis Iudex Dominus Iesus im Codex des kanonischen Rechtes.<ref>Mit dem Motu proprio vom 31. Mai 2016 De concordia inter Codices wurden einige Normen des Codex des kanonischen Rechtes abgeändert.‎</ref>

- Mit dem Motu proprio vom 4. Juni 2016 (Wie eine liebende Mutter) wollte man der Nachlässigkeit von Bischöfen bei ihrer Amtsführung, insbesondere in Bezug auf Fälle des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen oder gefährdeten Erwachsenen, vorbeugen.

- Mit dem Motu proprio vom 4. Juli 2016 (Die zeitlichen Güter) wurde unter Befolgung der äußerst wichtigen Regel, dass die Aufsichtsbehörden von den beaufsichtigten Einrichtungen getrennt sein müssen, die jeweiligen Kompetenzbereiche des Wirtschaftssekretariats und der Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhles besser umrissen.

- Mit dem Motu proprio vom 17. August 2016 (Sedula Mater) wurde das Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben errichtet. Hierbei wurde vor allem an die allgemeine pastorale Zielsetzung des Petrusdienstes erinnert: » Wir beeilen uns, alles zu verfügen, damit sich der Reichtum Jesu Christi auf geeignetere Weise und in größerer Fülle auf die Christgläubigen ergießt. «

- Mit dem Motu proprio vom 17. August 2016 (Humanam progressionem) wurde das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen errichtet, damit die Entwicklung » durch die Pflege der unermesslichen Güter der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung « verwirklicht wird. In diesem Dikasterium werden ab dem 1. Januar 2017 vier Päpstliche Räte zusammengeführt: Gerechtigkeit und Frieden, Cor Unum, Seelsorge für die Migranten und die Menschen unterwegs sowie Pastoral im Krankendienst. Ich werde mich ad tempus direkt der Sektion für die Seelsorge für die Migranten und Flüchtlinge dieses neuen Dikasteriums widmen.<ref>» Dieses Dikasterium wird besonders für die Fragen zuständig sein, welche die Migrationen, die Bedürftigen, die Kranken und die Ausgeschlossenen, die Ausgegrenzten und die Opfer bewaffneter Konflikte und von Naturkatastrophen, die Gefangenen, die Arbeitslosen und die Opfer jeder Form von Sklaverei und Folter betreffen. «</ref>

- Am 18. Oktober 2016 wurde das Statut der Päpstlichen Akademie für das Leben approbiert.

Zu Beginn unseres Treffens war von der Bedeutung von Weihnachten als Umwälzung unserer menschlichen Kriterien die Rede, um herauszustellen, dass das Herz und die Mitte der Reform Christus ist (Christozentrismus).

Nun möchte ich einfach mit einem Wort und einem Gebet schließen. Das Wort besteht darin zu bekräftigen, dass Weihnachten das Fest der liebenden Demut Gottes ist. Als Gebet habe ich die weihnachtliche Anrufung von P. Matta el Meskin (ein zeitgenössischer Mönch) ausgewählt, der sich an den zu Betlehem geborenen Herrn Jesus mit diesen Worten wendet: » Wenn auch für uns die Erfahrung des Kindseins schwierig ist, so nicht für dich, Sohn Gottes. Wenn wir auf dem Weg straucheln, der in diesem Kleinsein zur Gemeinschaft mit dir führt, dann kannst du alle Hürden wegnehmen, die uns daran hindern. Wir wissen, dass du keine Ruhe hast, bis du uns nicht als dein Ebenbild und in dieser Gestalt des Kleinseins findest. Erlaube uns heute, Sohn Gottes, uns deinem Herzen zu nähern. Gib, dass wir uns in unseren Erfahrungen nicht für groß halten. Lass uns vielmehr klein werden wie du, damit wir dir nahe sein können und von dir Demut und Milde in Überfülle empfangen. Beraube uns nicht deiner Offenbarung, der Epiphanie deines Kindseins in unseren Herzen, auf dass wir damit jeden Stolz und alle Arroganz heilen können. Wir bedürfen es so sehr, […], dass du deine Einfachheit in uns offenbarst, indem du uns, ja die Kirche und die ganze Welt dir näherbringst. Die Welt ist müde und erschöpft, da sie um die Wette läuft, wer der größte ist. Es herrscht ein unerbittlicher Wettstreit zwischen Regierungen, Kirchen, Völkern, innerhalb der Familien, zwischen einer Pfarrei und der anderen: Wer ist der Größte von uns? Die Welt ist von schmerzhaften Wunden verletzt, weil ihre große Krankheit heißt: Wer ist der Größte? Aber heute haben wir in dir unser einziges Heilmittel gefunden, Sohn Gottes. Wir und die ganze Welt werden weder Heil noch Frieden finden, wenn wir nicht umkehren, um dir von neuem in der Krippe von Bethlehem zu begegnen. Amen. «<ref>L’umanità di Dio, Qiqajon, Magnano 2015, 183-184.</ref>

Vielen Dank. Ich wünsche euch ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr 2017!

[frei gesprochene Ergänzung]:

Vor zwei Jahren, als ich über die Krankheiten gesprochen habe, kam einer von euch zu mir und sagte mir: » Wo soll ich hingehen, zur Apotheke oder zur Beichte? « – » Hm, zu beiden «, sagte ich. Und als ich Kardinal Brandmüller begrüßte, hat er mir in die Augen geschaut und gesagt: » Acquaviva! « In diesem Moment habe ich es nicht verstanden, aber als ich dann nachdachte und nachdachte, erinnerte ich mich, dass Acquaviva, der fünfte Ordensgeneral der Gesellschaft Jesu, ein Buch geschrieben hatte, das wir als Studenten auf Latein lasen, das uns die Spirituale lesen ließen. Sein Titel war: Industriae pro Superioribus ejusdem Societatis ad curandos animae morbos, das heißt die Krankheiten der Seele. Vor drei Monaten ist eine sehr gute italienische Ausgabe erschienen. Sie wurde von Pater Giuliano Raffo, der vor kurzem verstorben ist, besorgt und hat ein gutes Vorwort, das Hinweise gibt, wie man es lesen muss, und auch eine gute Einleitung. Es handelt sich nicht um eine kritische Ausgabe, aber die Übersetzung ist sehr schön, gut gemacht, und ich denke, sie ist hilfreich. Gerne möchte ich sie einem jeden von euch als Weihnachtsgeschenk geben. Danke.

[Segen]

Anmerkungen

<references />

2017

am 21. Dezember 2013 im Clementina-Saal; [ Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite]

Weihnachten ist das Fest des Glaubens an den Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, um dem Menschen seine aufgrund der Sünde und des Ungehorsams verlorene Würde der Gotteskindschaft wiederzuschenken. Weihnachten ist das Fest des Glaubens an die Herzen, die zur Krippe werden, um Ihn aufzunehmen, an die Seelen, die Gott erlauben, aus dem Stumpf ihrer Armut den Spross der Hoffnung, der Liebe und des Glaubens hervorwachsen zu lassen.

Die heutige Begegnung gibt uns wieder die Gelegenheit, einander unsere Weihnachtswünsche auszutauschen und euch allen, euren Mitarbeitern, den Päpstlichen Vertretern und allen an der Kurie Tätigen sowie allen euren Lieben ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest und ein glückliches Neues Jahr zu wünschen. Möge dieses Weihnachten uns die Augen öffnen, um Überflüssiges, Falsches, Boshaftes und Vorgetäuschtes hinter uns zu lassen und das Wesentliche, das Wahre, das Gute und das Echte zu sehen. Von Herzen meine besten Wünsche!

Liebe Brüder und Schwestern,

da ich die vorausgehenden Male von der Römischen Kurie ad intra gesprochen habe, möchte ich dieses Jahr mit euch einige Überlegungen über die Wirklichkeit der Kurie ad extra anstellen: die Beziehung der Kurie zu den Ländern, zu den Teilkirchen, den Ostkirchen, dem ökumenischen Dialog, dem Judentum, dem Islam und den anderen Religionen, also zur Außenwelt.

Meine Überlegungen beruhen freilich auf grundlegenden als auch kanonischen Prinzipien der Kurie, auf der Geschichte der Kurie selbst, aber auch auf der persönlichen Sicht, die ich versucht habe, mit euch in den Ansprachen der letzten Jahre im Kontext der Reform, die gegenwärtig im Gange ist, zu teilen.

Wenn ich von der Reform spreche, kommt mir die sympathische und bezeichnende Äußerung von Erzbischof Frédéric-François-Xavier De Mérode in den Sinn: »In Rom Reformen durchzuführen heißt gleichsam die Sphinx von Ägypten mit einer Zahnbürste zu putzen«.<ref>Vgl. Giuseppe Dalla Torre, Sopra una storia della Gendarmeria Pontificia, 19. Oktober 2017.</ref> Dies unterstreicht, wie viel Geduld, Hingabe und Feingefühl nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen, insofern die Kurie eine alte, komplexe, ehrwürdige Institution ist, die sich aus Menschen verschiedener Kulturen, Sprachen und Mentalitäten zusammensetzt und die von ihrer Struktur her immer schon an die Primatialaufgabe des Bischofs von Rom in der Kirche gebunden ist, das heißt an das „heilige“ Amt, das Christus der Herr selbst zum Wohl des ganzen Leibes der Kirche wollte (ad bonum totius corporis).<ref>»Um Gottes Volk zu weiden und immerfort zu mehren, hat Christus der Herr in seiner Kirche verschiedene Dienstämter eingesetzt, die auf das Wohl des ganzen Leibes ausgerichtet sind« (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen Gentium, 18).</ref>

Der universale Charakter des Dienstes der Kurie kommt und entspringt daher aus der Katholizität des Petrusamtes. Eine in sich verschlossene Kurie würde das Ziel ihrer Existenz verraten und in die Selbstbezogenheit fallen und sich so zur Selbstzerstörung verurteilen. Die Kurie ist ex natura ad extra ausgerichtet, insofern und soweit sie an das Petrusamt, an den Dienst am Wort und der Verkündigung der Frohen Botschaft gebunden ist: der Gott Immanuel, der unter den Menschen geboren wird, der Mensch wird, um jedem Menschen seine innigste Nähe zu zeigen, seine grenzenlose Liebe und seine göttliche Sehnsucht, dass alle Menschen gerettet werden und zum Genuss der himmlischen Glückseligkeit gelangen (vgl. 1 Tim 2,4); der Gott, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen lässt (vgl. Mt 5,45); der Gott, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28); der Gott, der die Kirche gegründet hat, damit sie in der Welt, aber nicht von der Welt ist und damit sie Werkzeug des Heiles und des Dienstes ist.

Als ich bei der kürzlich stattgefunden Begrüßung der Väter und Oberhäupter der katholischen Ostkirchen<ref>Vgl. Grußworte an die Patriarchen und Großerzbischöfe, 9. Oktober 2017.</ref> eben an diese petrinische und kuriale Zielsetzung des Dienstes dachte, habe ich den Ausdruck eines „diakonalen Primats“ unter umgehenden Verweis auf das von Gregor dem Großen gern verwendete Bild des Servus servorum Dei gebraucht. Diese Definition ist in ihrer christologischen Dimension vor allem Ausdruck des festen Willens, Christus nachzufolgen, der Knechtsgestalt annahm (vgl. Phil 2,7). Als Benedikt XVI. darüber sprach, sagte er: Dieses Wort »war in seinem [Gregors] Mund keine fromme Formel, sondern die wahre Offenbarung seiner Art zu leben und zu handeln. Er war innerlich tief betroffen von der Demut Gottes, der in Christus zu unserem Diener geworden ist, der uns die schmutzigen Füße gewaschen hat und wäscht.«<ref>Katechese bei der Generalaudienz am 4. Juni 2008.</ref>

Eine entsprechende diakonale Haltung muss diejenigen kennzeichnen, die auf je verschiedene Weise im Bereich der Römischen Kurie tätig sind, welche, wie auch der Codex des kanonischen Rechts in Erinnerung ruft, im Namen und in der Autorität des Papstes handelt und »ihre Aufgabe […] zum Wohl und zum Dienst an den Teilkirchen ausübt« (can. 360; vgl. CCEO can. 46).

Diakonaler Primat gilt „bezüglich des Papstes“;<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Vollversammlung des heiligen Kardinalskollegiums, 21. November 1985, 4.</ref> und ebenso diakonal muss folglich die Arbeit sein, die an der Römischen Kurie ad intra im Inneren und ad extra nach Außen geleistet wird. Dieses Thema der dienstamtlichen und kurialen Diakonie bringt mich auf einen alten Text, der sich in der Didascalia Apostolorum findet. Dort heißt es: Der »Diakon sei das Ohr und der Mund des Bischofs, sein Herz und seine Seele«,<ref> 2, 44: Funk, 138 -166; vgl. W. Rordorf, Liturgie et eschatologie, in Augustinianum 18 (1978), 153-161; ders., Que savons-nous des lieux de culte chrétiens de l'époque préconstantinienne? in L'Orient Syrien 9 (1964), 39-60.</ref> denn an diese Eintracht ist die Gemeinschaft gebunden, die Harmonie und der Frieden in der Kirche, insofern der Diakon der Hüter des Dienstes in der Kirche ist.<ref> Vgl. Begegnung mit den Priestern und Gottgeweihten, Mailänder Dom, 25. März 2017.</ref> Ich denke, dass es kein Zufall ist, dass das Ohr das Hör-, sondern auch das Gleichgewichtsorgan ist; und der Mund das Organ zum Schmecken und Sprechen.

Ein anderer alter Text fügt hinzu, dass die Diakone dazu berufen sind, gleichsam die Augen des Bischofs zu sein.<ref>»Was die Diakone der Kirche betrifft, so seien sie wie die Augen des Bischofs, die alles rings herum im Blick haben und das Handeln aller in der Kirche untersuchen, für den Fall, dass jemand gerade dabei ist, eine Sünde zu begehen. Auf diese Weise wird er durch die frühzeitige Benachrichtigung des Vorstehers sein sündiges Tun vielleicht nicht zu Ende bringen« (Brief des Clemens an Jakobus, 12: Rehm 14-15, in I Ministeri nella Chiesa Antica. Testi patristici dei primi tre secoli, a cura di Enrico Cattaneo, Edizione Paoline, 1997, S. 696).</ref>Das Auge schaut, um die Bilder dann an den Geist zu übertragen und ihm so zu helfen, Entscheidungen zu treffen und den ganzen Leib zu seinem Wohle zu steuern.

Das Verhältnis, das man aus diesen Bildern ableiten kann, ist das einer Gemeinschaft im kindlichen Gehorsam für den Dienst am heiligen Volk Gottes. Zweifellos muss dies dann auch das Verhältnis aller Mitarbeiter an der Römischen Kurie untereinander kennzeichnen: von den Leitern der Dikasterien und den Oberen bis hin zu den Sachbearbeitern und allen anderen. Die Gemeinschaft mit Petrus festigt und stärkt die Gemeinschaft unter allen Gliedern.

So gesehen verhilft der Verweis auf die Sinne des menschlichen Organismus zu einer inneren Haltung der Hinwendung nach Außen, zur Aufmerksamkeit gegenüber dem, was außerhalb ist. Im menschlichen Organismus sind die Sinne in der Tat unsere erste Verbindung zur Welt ad extra, sie sind wie eine Brücke zu ihr; sie sind unsere Möglichkeit, um in Beziehung zu treten. Die Sinne helfen uns, die Wirklichkeit aufzunehmen und ebenso unseren Platz in der Wirklichkeit einzunehmen. Nicht zufällig kam der heilige Ignatius von Loyola bei seiner Betrachtung der Geheimnisse des Lebens Christi und der Wahrheit auf die Sinne zu sprechen.<ref>Vgl. Die Exerzitien, Nr. 121: »Die fünfte Betrachtung wird die Anwendung der fünf Sinne auf die erste und die zweite Betrachtung sein«.</ref>

Dies ist sehr wichtig, um die unausgewogene und verwerfliche Mentalität von Verschwörungen oder kleinen Zirkeln zu überwinden. Diese stellen nämlich in Wirklichkeit trotz aller Rechtfertigungen und guten Absichten ein Krebsgeschwür dar, das zur Selbstbezogenheit führt und auch vor den Organismen der Kirche als solchen und insbesondere vor den Menschen, die dort arbeiten, nicht Halt macht. Wenn dies aber passiert, verliert man die Freude des Evangeliums, die Freude daran, Christus zu verkündigen und in Gemeinschaft mit ihm zu sein; wir verlieren dann die Großherzigkeit unserer Weihe (vgl. Apg 20,35 und 2 Kor 9,7).

Gestattet mir, dass ich hier kurz auf eine andere Gefahr zu sprechen komme, das heißt auf diejenigen, welche Vertrauen missbrauchen oder die Mütterlichkeit der Kirche ausnutzen, bzw. die Personen, die sorgfältig dazu ausgewählt wurden, um dem Leib der Kirche und ihrer Reform mehr Kraft zu geben, die sich aber dadurch, dass sie die Größe ihrer Verantwortung nicht verstehen, von Ambitionen oder Eitelkeiten korrumpieren lassen und sich selbst, wenn sie dann sanft entfernt werden, fälschlicherweise zu Märtyrern des Systems erklären, des nicht „informierten Papstes“, der „alten Garde“ …, anstatt ihr „Mea culpa“ zu sprechen. Neben diesen Personen gibt es dann auch andere, die in der Kurie noch tätig sind, denen man alle Zeit gibt, wieder den rechten Weg aufzunehmen, in der Hoffnung, dass sie in der Geduld der Kirche eine Gelegenheit finden, sich zu bekehren und nicht ums sich einen Vorteil zu verschaffen. Dies sage ich freilich, ohne die überwältigende Mehrheit treuer Personen zu vergessen, die hier mit lobenswertem Einsatz, treu, kompetent, hingebungsvoll und oft auch heiligmäßig arbeiten.

Es ist also entscheidend, um zum Bild des Leibes zurückzukehren, dass diese „institutionellen Sinne“, mit denen man in gewisser Weise die Dikasterien der Römischen Kurie vergleichen kann, ihrer Natur und ihrer Zielsetzung entsprechend handeln: im Namen und mit der Autorität des Papstes und immer zum Wohle und im Dienste der Kirchen.<ref>Im Matthäuskommentar des heiligen Hieronymus findet sich ein kurioser Vergleich zwischen den fünf Sinnen des menschlichen Organismus und den Jungfrauen aus dem Gleichnis im Evangelium, die töricht werden, wenn sie nicht mehr dem ihnen aufgegebenen Ziel entsprechend handeln. (vgl. Comm. in Mt XXV: PL 26,184).</ref> Sie sind dazu berufen, in der Kirche so etwas wie treue sensible Antennen zu sein: Sendeantennen und Empfangsantennen.

Sie müssen Sendeantennen sein, insofern sie befähigt sind, den Willen des Papstes und der Oberen getreu weiterzuleiten. Das Wort „Treue“<ref>Der Begriff der Treue erweist sich als sehr anspruchsvoll und aussagekräftig, weil er auch die zeitliche Dauer des übernommenen Dienstes hervorhebt und auf eine Tugend verweist, die, wie Benedikt XVI. einmal sagte: »gut die ganz besondere Verbindung zum Ausdruck bringt, die sich zwischen dem Papst und seinen unmittelbaren Mitarbeitern bildet, sowohl in der Römischen Kurie als auch in den Päpstlichen Vertretungen« (Ansprache an die Päpstliche Diplomatenakademie, 11. Juni 2012).</ref> nimmt für die am Heiligen Stuhl Tätigen »einen besonderen Charakter an, da sie einen Großteil ihrer Energie, ihrer Zeit und ihres täglichen Einsatzes in den Dienst des Nachfolgers Petri stellen. Das ist eine schwerwiegende Verantwortung, aber auch ein besonderes Geschenk, aus dem sich im Laufe der Zeit eine gefühlsmäßige Bindung innerer Vertrautheit mit dem Papst entwickelt, ein natürliches idem sentire, das gerade in dem Wort „Treue“ gut zum Ausdruck kommt.«<ref> Ebd.</ref>

Das Bild der Antenne verweist dann aber auch auf die andere, entgegengesetzte Bewegung des Empfangens. Es geht darum, die Gesuche, Fragen, Anträge, Hilferufe, Freuden und Tränen der Kirchen und der Welt entgegenzunehmen, um sie dem Bischof von Rom zu übermitteln, damit er seine Aufgabe und seine Sendung als »immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft«<ref>Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 18.</ref> immer fruchtbarer erfüllen kann. Mit diesem Empfangsvermögen, das noch wichtiger ist als der andere Aspekt, Vorschriften zu erlassen, sind die Dikasterien der Römischen Kurie stark eingebunden in jenen Prozess des Zuhörens und der Synodalität, von dem ich schon gesprochen habe.<ref>»Eine synodale Kirche ist eine Kirche des Zuhörens, in dem Bewusstsein, dass das Zuhören „mehr ist als Hören“. Es ist ein wechselseitiges Anhören, bei dem jeder etwas zu lernen hat: das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom – jeder im Hinhören auf die anderen und alle im Hinhören auf den Heiligen Geist, den „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,17), um zu erkennen, was er „den Kirchen sagt“ (vgl. Offb 2,7)« (Ansprache zum 50-Jahr-Jubiläum der Bischofssynode, 17. Oktober 2015).</ref>

Liebe Brüder und Schwestern,

ich habe den Ausdruck „diakonaler Primat“ sowie die Bilder des Leibes, der Sinne und der Antenne verwendet, um zu zeigen, dass es sich zum Erreichen der Räume, wo der Geist zu den Kirchen spricht (das heißt die Geschichte), und zum Erreichen des Ziels allen Tuns (die salus animarum) eben als notwendig, ja unumgänglich erweist, die Unterscheidung der Zeichen der Zeit,<ref>Vgl. Lk 12,54-59; Mt 16,1-4; Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 11: »Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, enthüllt den göttlichen Ratschluss hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin.«</ref> die Gemeinschaft im Dienst, die Liebe in der Wahrheit, die Fügsamkeit gegenüber dem Geist und den vertrauensvollen Gehorsam den Oberen gegenüber zu praktizieren.

Vielleicht ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass schon die Namen der verschiedenen Dikasterien und Ämter der Römischen Kurie verstehen lassen, auf welche Ziele sie hinarbeiten sollen. Genau genommen geht es dabei um wichtige Grundvollzüge für die ganze Kirche und, ich würde sagen, für die ganze Welt.

Da der Wirkungsbereich der Kurie wirklich sehr weit ist, möchte ich mich für dieses Mal darauf beschränken, allgemein von der Kurie ad extra zu sprechen, das heißt von einigen ausgewählten grundlegenden Aspekten, von denen aus man in nächster Zukunft dann ohne Schwierigkeiten die anderen Wirkungsfelder der Kurie aufführen und vertiefen kann.

Die Kurie und die Beziehung zu den Ländern:

In diesem Bereich spielt die vatikanische Diplomatie eine entscheidende Rolle. Es ist ihr aufrichtiges und ständiges Bestreben, den Heiligen Stuhl zum Erbauer von Brücken, Frieden und Dialog zwischen den Völkern zu machen. Und als eine Diplomatie im Dienst der Menschheit und des Menschen, der ausgestreckten Hand und der offenen Tür engagiert sie sich darin, zuzuhören, zu verstehen, zu helfen, zu ermutigen und sich in jeder Situation rasch und respektvoll einzuschalten, um Unterschiede näherzubringen und um Vertrauen zu schaffen. Das einzige Bestreben der vatikanischen Diplomatie besteht darin, frei von weltlichem oder materiellem Interesse zu sein.

Der Heilige Stuhl ist daher auf der Weltbühne präsent, um mit allen Menschen und Nationen guten Willens zusammenzuarbeiten und immer wieder zu betonen, wie wichtig es ist, unser gemeinsames Haus vor jeder zerstörerischen Selbstsucht zu bewahren; zu bekräftigen, dass Kriege nur Tod und Zerstörung bringen; aus der Vergangenheit die notwendigen Lehren zu ziehen, die uns helfen, die Gegenwart besser zu leben, die Zukunft solide aufzubauen und sie für die kommenden Generationen zu bewahren.

Die Treffen mit den Staatsoberhäuptern und mit den verschiedenen Delegationen wie auch die Apostolischen Reisen sind dafür Mittel und Ziel.

So wurde die Dritte Sektion des Staatssekretariats mit dem Ziel geschaffen, die Aufmerksamkeit und die Nähe des Papstes und der Oberen des Staatssekretariats gegenüber dem diplomatischen Personal sowie den Ordensleuten und Laien, die in den Nuntiaturen arbeiten, zu bekunden. Es handelt sich um eine Abteilung, die in enger Zusammenarbeit mit der Sektion für Allgemeine Angelegenheiten und der Sektion für die Beziehungen mit Staaten sich mit Fragen befasst, welche die Personen betreffen, die im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls arbeiten oder sich darauf vorbereiten.<ref>Vgl. Päpstliches Schreiben, 18. Oktober 2017; Mitteilung des Staatssekretariats, 21. November 2017.</ref>

Diese besondere Aufmerksamkeit basiert auf der zweifachen Dimension des Dienstes des diplomatischen Personals: eben als Hirten und als Diplomaten, im Dienst der Teilkirchen und im Dienst der Nationen, wo sie tätig sind.

Die Kurie und die Teilkirchen:

Die Beziehung, welche die Kurie mit den Diözesen und den Eparchien verbindet, ist von vorrangiger Bedeutung. Sie finden in der Römischen Kurie die notwendige Hilfe und Unterstützung, die sie brauchen. Es ist eine Beziehung, die sich auf Zusammenarbeit, Vertrauen und niemals auf Überlegenheit oder Gegnerschaft gründet. Die Quelle dieser Beziehung ist im Konzilsdekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe zu finden, wo ausführlicher erklärt wird, dass es die Aufgabe der Kurie ist, eine Arbeit »zum Wohle der Kirchen und als Dienst für die geweihten Hirten«<ref>Vgl. Christus Dominus, 9.</ref> zu leisten.

Die Römische Kurie hat als Bezugspunkt also nicht nur den Bischof von Rom, von dem sich ihre Autorität bezieht, sondern auch die Teilkirchen und ihre Hirten in der ganzen Welt, für deren Wohl sie wirkt und handelt.

Dieses Merkmal des »Dienst[es] für den Papst und die Bischöfe, für die Weltkirche und für die Teilkirchen« sowie für ganze Welt rief ich beim ersten dieser unserer jährlichen Treffen in Erinnerung, als ich betonte, dass man »in der Römischen Kurie in besonderer Weise diese zweifache Dimension der Kirche, diese gegenseitige Durchdringung von Universalem und Teilbezogenem erfährt und „atmet“« und hinzufügte: »Ich denke, es ist eine der schönsten Erfahrungen derer, die in Rom leben und arbeiten«.<ref> Vgl. Ansprache an die Römische Kurie beim Weihnachtsempfang, 21. Dezember 2013; vgl. Paul VI., Predigt anlässlich seines 80. Geburtstags, 16. Oktober 1977: »Ja, ich habe Rom geliebt und ich war und bin auch heute noch leidenschaftlich darum bemüht, das Geheimnis zu bedenken und zu begreifen, das sich nur schwer verstehen und leben lässt, wie und warum „Christus ein Römer“ ist (vgl. Dante, Göttliche Komödie, Purgatorium, XXXII, 102). […] Euer „Rombewusstsein“, ob ihr nun gebürtige Römer seid oder euch nur für einige Zeit hier aufhaltet und Gastfreundschaft genießt. Das „Rombewusstsein“ hat die Kraft, in allen, die es sich aneignen, den Sinn für einen universalen Humanismus zu wecken, der nicht einfach Ausfluss klassischer Überlieferung ist, sondern noch mehr christlicher und katholischer Lebenskraft.« (Insegnamenti di Paolo VI, XV 1977, 1957; L’Osservatore Romano [dt.], Jg. 7, Nr. 43 [28. Oktober 1977], S. 2).</ref>

In diesem Sinne stellen die Besuche ad limina Apostolorum eine große Möglichkeit für Begegnung, Dialog und gegenseitige Bereicherung dar. Deshalb habe ich es vorgezogen, bei den Treffen mit den Bischöfen einen Dialog des gegenseitigen Zuhörens zu führen, frei, vertraulich und aufrichtig, der über protokollarische Gepflogenheiten und den üblichen Austausch von Ansprachen und Empfehlungen hinausgeht. Der Dialog zwischen den Bischöfen und den verschiedenen Dikasterien ist ebenfalls wichtig. Dieses Jahr, als die Ad-limina-Besuche nach dem Heiligen Jahr wieder aufgenommen wurden, vertrauten mir die Bischöfe an, dass sie von allen Dikasterien gut aufgenommen und angehört wurden. Das freut mich sehr, und ich danke den anwesenden Leitern der Dikasterien.

Erlaubt mir auch an dieser Stelle, in diesem besonderen Augenblick im Leben der Kirche unsere Aufmerksamkeit auch auf die nächste XV. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode zu lenken, die zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ einberufen wurde. Die Kurie, die Bischöfe und die ganze Kirche aufzurufen, den jungen Menschen besondere Beachtung zu schenken, bedeutet nicht, nur auf sie zu schauen, sondern sich auch auf ein Kernthema für eine Reihe von Beziehungen und Dringlichkeiten zu konzentrieren: die Beziehungen zwischen den Generationen, die Familie, die Bereiche der Seelsorge, das gesellschaftliche Leben ... Das Vorbereitungsdokument kündet dies in seiner Einleitung klar an: »Die Kirche hat entschieden, […] sich die Frage zu stellen, wie die Jugendlichen begleitet werden können, um die Berufung zur Liebe und zum Leben in Fülle zu erkennen und anzunehmen. Auch die Jugendlichen selbst sollen gebeten werden, ihr dabei zu helfen, die Art und Weise zu erkennen, die heute am wirksamsten ist, um die Frohe Botschaft zu verkünden. Durch die Jugendlichen kann die Kirche die Stimme des Herrn vernehmen, der auch heute noch spricht. Wie früher Samuel (vgl. 1 Sam 3,1-21) und Jeremia (vgl. Jer 1,4-10), so gibt es auch heute Jugendliche, die in der Lage sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die der Geist unserer Zeit schenkt. Indem wir auf ihre Erwartungen hören, können wir die Welt von morgen erkennen, die auf uns zukommt, und die Wege entdecken, welche die Kirche zu beschreiten berufen ist.«<ref>XV. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode: Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung, Einleitung.</ref>

Die Kurie und die Ostkirchen:

Die Einheit und die Gemeinschaft, welche die Beziehung der Kirche von Rom mit den Ostkirchen bestimmen, stellen für die ganze Kirche ein konkretes Beispiel des Reichtums in der Verschiedenheit dar. In der Treue zu ihren zweitausendjährigen Traditionen und in der ecclesiastica communio erfahren und verwirklichen sie das hohepriesterliche Gebet Christi (vgl. Joh 17).<ref>Einerseits findet die Einheit, die der Gabe des Heiligen Geistes entspricht, ihren natürlichen und vollen Ausdruck in der »unverbrüchliche[n] Einheit mit dem Bischof von Rom« (Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Medio Oriente, 40). In die Gemeinschaft des ganzen Leibes Christi eingegliedert zu sein, macht uns andererseits die Pflicht bewusst, die Einheit und Solidarität innerhalb der verschiedenen Patriarchalsynoden zu stärken und dabei »im Hinblick auf ein kollegiales und einheitliches Handeln in Fragen von großer Wichtigkeit für die Kirche stets vorrangig das Einvernehmen [zu] suchen« (ebd.).</ref>

In diesem Sinne habe ich beim letzten Treffen mit den Patriarchen und den Großerzbischöfen der Ostkirchen, als ich vom diakonalen Primat gesprochen haben, auch hervorgehoben, wie wichtig es ist, die delikate Frage der Wahl neuer Bischöfe und Eparchen einer Vertiefung und Überprüfung zu unterziehen. Einerseits muss sie der Autonomie der Ostkirchen entsprechen, zugleich aber dem Geist evangeliumsgemäßer Verantwortung und dem Wunsch, die Einheit mit der Katholischen Kirche immer mehr zu stärken – »dies alles in der vollkommenen überzeugten Umsetzung jener authentischen synodalen Praxis, die die Ostkirchen auszeichnet«.<ref>Grußworte an die Patriarchen und Großerzbischöfe der Ostkirchen, 21. November 2013.</ref> Die Wahl jedes Bischofs muss die Einheit und die Gemeinschaft zwischen dem Nachfolger Petri und dem ganzen Bischofskollegium widerspiegeln und stärken.<ref>Gemeinsam mit den Oberhäuptern und Vätern, den Erzbischöfen und Bischöfen der Ostkirchen, in Gemeinschaft mit dem Papst, der Kurie und untereinander, sind wir alle aufgerufen, »immer nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut zu streben (vgl. 1 Tim 6,11); [...] zu einem einfachen Lebensstil nach dem Vorbild Christi, der arm wurde, um uns durch seine Armut reich zu machen (vgl. 2 Kor 8,9); [...] [zu einer] Transparenz in der Verwaltung der Kirchengüter und Fürsorge bei jeder Schwäche und Not« (Grußworte an die Patriarchen und Großerzbischöfe der Ostkirchen, 21. November 2013).</ref>

Die Beziehung zwischen Rom und dem Osten stellt eine gegenseitige spirituelle und liturgische Bereicherung dar. Die Kirche von Rom wäre in der Tat nicht wirklich katholisch ohne die unschätzbaren Reichtümer der Ostkirchen und ohne das heroische Zeugnis vieler unserer Brüder und Schwestern in den Ostkirchen, welche die Kirche reinigen dadurch, dass sie das Martyrium auf sich nehmen und ihr Leben hingeben, um Christus nicht zu verleugnen.<ref>Wir »sehen, wie viele unserer christlichen Brüder und Schwestern der orientalischen Kirchen dramatische Verfolgungen und eine immer beunruhigendere Diaspora erfahren (Homelie beim Gottesdienst zum 100. Gründungsjubiläum der Kongregation für die Orientalischen Kirchen und des Päpstlichen Orientalischen Instituts, Basilika S. Maria Maggiore, 12. Oktober 2017). »Vor diesen Situationen darf niemand die Augen verschließen« (Botschaft zum 100. Gründungsjubiläum des Päpstlichen Orientalischen Instituts, 12. Oktober 2017).</ref>

Die Kurie und der ökumenische Dialog:

Es gibt auch Bereiche, in denen sich die Kirche vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil besonders engagiert, darunter die Einheit der Christen. Diese ist »ein wesentliches Erfordernis unseres Glaubens, ein Erfordernis, das dem Innersten unseres Seins als an Jesus Christus Glaubende entspringt«.<ref>Ansprache an die Vollversammlung der Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, 10. November 2016.</ref> Es handelt sich zwar um einen „Weg“, doch ist es, wie auch meine Vorgänger mehrmals wiederholt haben, ein unumkehrbarer Weg, ohne Rückwärtsgang. »Die Einheit [wird] auf dem Weg gemacht […], um daran zu erinnern, dass wir bereits vereint sind, wenn wir einen gemeinsamen Weg gehen, das heißt wenn wir einander als Brüder begegnen, gemeinsam beten, in der Verkündigung des Evangeliums und im Dienst an den Letzten zusammenarbeiten. Alle theologischen und ekklesiologischen Streitfragen, die die Christen noch trennen, werden nur auf diesem Weg gelöst werden, ohne dass wir wissen wie und wann, aber dies wird geschehen dem folgend, was der Heilige Geist zum Wohl der Kirche eingeben wird.«<ref>Ebd.</ref>

Die Kurie arbeitet auf diesem Gebiet, um die Begegnung mit dem Bruder und der Schwester zu fördern, um die Knoten des Nichtverstehens und der Feindseligkeiten zu lösen und um den Vorurteilen und der Angst vor dem anderen entgegenzuwirken, die hinderlich waren, um den Reichtum der bzw. in der Verschiedenheit zu sehen als auch die Tiefe des Geheimnisses Christi und der Kirche, das immer größer ist als jeglicher menschliche Ausdruck davon.

Die Begegnungen mit den Päpsten, den Patriarchen und den Oberhäuptern der verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften haben mich stets mit Freude und Dankbarkeit erfüllt.

Die Kurie und das Judentum, der Islam, die anderen Religionen

Die Beziehung der Römischen Kurie zu den anderen Religionen gründet auf der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils und auf der Notwendigkeit des Dialogs. »Denn die einzige Alternative zur Kultur der Begegnung ist die Unkultur des Streits.«<ref>Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Friedenskonferenz, Al-Azhar Conference Centre, Kairo, 28. April 2017.</ref> Der Dialog baut auf drei grundlegenden Ausrichtungen auf: »die Verpflichtung zur Wahrung der Identität, der Mut zur Andersheit und die Aufrichtigkeit der Absichten. Verpflichtung zur Wahrung der Identität, weil ein echter Dialog nicht auf der Basis von Zweideutigkeiten oder der Preisgabe des Guten geführt werden kann, um dem anderen zu gefallen; Mut zur Andersheit, weil derjenige, der sich – kulturell oder religiös – von mir unterscheidet, nicht als Feind angesehen und behandelt werden darf, sondern als Weggefährte aufgenommen werden soll in der echten Überzeugung, dass das Wohl eines jeden im Wohl aller besteht; die Aufrichtigkeit der Absichten, weil der Dialog als authentischer Ausdruck des Humanen nicht eine Strategie ist, um Hintergedanken zu verwirklichen, sondern ein Weg der Wahrheit, und diesen geduldig zu gehen lohnt sich, um Konkurrenz in Zusammenarbeit zu verwandeln.«<ref>Ebd.</ref>

Die Begegnungen mit den religiösen Autoritäten auf den verschiedenen apostolischen Reisen und bei ihren Besuchen im Vatikan sind ein konkreter Beweis dafür.

Dies sind nur einige wichtige, jedoch nicht erschöpfende Aspekte des Wirkens der Kurie ad extra. Heute habe ich diese Aspekte ausgewählt in Bezug auf die Themen „diakonaler Primat“, „institutioneller Sinn“ und „treue Sendeantennen und Empfangsantennen“.

Liebe Brüder und Schwestern,

wie ich zu Beginn unserer Begegnung von Weihnachten als dem Fest des Glaubens gesprochen haben, so möchte ich zum Schluss dies hervorheben: Weihnachten erinnert uns daran, dass ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ein Glaube in Krise ist; ein Glaube, der uns nicht wachsen lässt, ist ein Glaube, der wachsen muss; ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ein Glaube, der uns nicht belebt, ist ein Glaube, der belebt werden muss; ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss. Ein rein intellektueller oder lauer Glaube ist in der Tat bloß ein vorgegebener Glaube, der sich eventuell dann verwirklicht, wenn er es schafft, das Herz, die Seele, den Geist und unser ganzes Sein miteinzubeziehen, wenn man es Gott erlaubt, in der Krippe des Herzens geboren und neu geboren zu werden, wenn wir dem Stern von Bethlehem erlauben, uns zu dem Ort zu führen, wo der Sohn Gottes liegt, nämlich nicht bei den Königen und im Luxus, sondern bei den Armen und Demütigen.

Angelus Silesius schrieb in seinem Cherubinischen Wandersmann: »Es mangelt nur an dir. Ach könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden / Gott würde noch einmal ein Kind auf dieser Erden.«<ref>Andertes Buch, Nr. 53. (Kritische Ausgabe, hg. von Louise Gnädinger, Reclam, Stuttgart, 2000).</ref>

Mit diesen Gedanken entbiete ich euch und allen euren Lieben nochmals meine herzlichsten Weihnachtswünsche.

Danke!

Als Weihnachtsgeschenk möchte ich euch die italienische Ausgabe des Werks des seligen P. Marie-Eugène de l’Efant Jésus Je veux voir Dieu – Voglio vedere Dio [Ich möchte Gott sehen] überreichen. Es ist ein Werk spiritueller Theologie und wird uns allen gut tun. Vielleicht liest man nicht das ganze Werk, sondern sucht im Inhaltsverzeichnis die Stelle, die mehr interessiert oder man mehr braucht. Ich hoffe, es ist euch allen nützlich.

Dann war auch Kardinal Piacenza sehr großzügig, der mit Hilfe der Pönitentiarie und auch von Prälat Nykiel dieses Buch La festa del perdono [Das Fest der Vergebung] herausgebracht hat. Es ist eine Frucht des Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit, und er möchte es ebenso schenken. Ein Dankeschön an Kardinal Piacenza und die Apostolischen Pönitentiarie. Beim Ausgang wird es euch allen gegeben.

Danke! [Segen]

Und bitte, betet für mich.

Anmerkungen

<references />

2018

am 21. Dezember 2013 im Clementina-Saal; Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

»Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts« (Röm 13,12)
Liebe Brüder und Schwestern,

umfangen von der Freude und der Hoffnung, die vom Antlitz des göttlichen Kindes ausstrahlen, kommen wir auch dieses Jahr wieder zusammen, um Weihnachtswünsche auszutauschen. Dabei tragen wir auch die Mühen und Freuden der Welt und der Kirche in unseren Herzen.

Aufrichtigen Herzens wünsche ich euch, euren Mitarbeitern und all denen, die in der Kurie Dienst tun, sowie den päpstlichen Repräsentanten und den Mitarbeitern der Nuntiaturen ein gnadenreiches Weihnachtsfest. Und ich möchte euch danken für eure tägliche Hingabe im Dienste des Heiligen Stuhls, der Kirche und des Nachfolgers Petri. Vielen Dank!

Gestattet mir auch, den neuen Substituten des Staatssekretariats, Seine Exzellenz Erzbischof Edgar Peña Parra, herzlich willkommen zu heißen, der seinen anspruchsvollen und wichtigen Dienst am 15. Oktober angetreten hat. Seine venezolanische Herkunft spiegelt die Katholizität der Kirche wider wie auch die Notwendigkeit, den Blick immer mehr zu weiten bis hin zu den Enden der Erde. Willkommen, liebe Exzellenz, und gutes Schaffen!

Das Weihnachtsfest erfüllt uns mit Freude und gibt uns die Gewissheit, dass keine Sünde jemals größer sein wird als die Barmherzigkeit Gottes und kein menschliches Tun je verhindern kann, dass die Morgenröte des göttlichen Lichts in den Herzen der Menschen anbricht und immer neu aufscheint. Dieses Fest lädt uns ein, den Auftrag des Evangeliums aufs Neue anzunehmen, Christus, den Retter der Welt und das Licht des Universums, zu verkünden. Wenn Christus »heilig ist, frei vom Bösen, makellos« (Hebr 7,26) und keine Sünde kannte (vgl. 2 Kor 5,21) und nur kam, um die Sünden des Volkes zu sühnen (vgl. Hebr 2,17), so schreitet die Kirche, die auch Sünder in ihrem Schoß trägt, die deshalb heilig und makellos ist, doch zugleich immer der Reinigung bedarf, fortwährend auf dem Weg der Buße und Erneuerung voran. »Die Kirche schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin – zwischen den Verfolgungen des Weltgeistes und den Tröstungen des Geistes Gottes – und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26). Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird« (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 8).

Ausgehend von der festen Überzeugung, dass das Licht immer stärker ist als die Finsternis, möchte ich also mit euch über das Licht nachdenken, das Weihnachten – also das erste demütige Kommen – mit der Parusie – dem zweiten Kommen in Herrlichkeit – verbindet und uns in der Hoffnung stärkt, die nie enttäuscht. In jener Hoffnung, von der das Leben eines jeden von uns sowie die ganze Geschichte der Kirche und der Welt abhängen. Eine Kirche ohne Hoffnung wäre schlimm!

Jesus wurde in der Tat in einer gesellschaftspolitischen und religiösen Situation voller Spannung, Aufruhr und Dunkelheit geboren. Seine Geburt, die einerseits erwartet wurde, andererseits auf Ablehnung stieß, steht unter dem Vorzeichen der göttlichen Logik, die nicht vor dem Bösen zurückweicht, sondern es zutiefst und stufenweise zum Guten wandelt, und ebenso unter dem Vorzeichen jener bösartigen Logik, die sogar Gutes in Böses verwandelt, um die Menschheit dazu zu bringen, in Verzweiflung und Finsternis zu verharren: »das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst« (Joh 1,5).

Jedes Jahr erinnert uns Weihnachten jedoch daran, dass Gottes Heil, das der ganzen Menschheit, der Kirche und insbesondere auch uns gottgeweihten Personen unentgeltlich zuteilwird, nicht ohne unseren Willen, ohne unser Zutun, ohne unsere Freiheit, ohne unser tägliches Mühen am Werk ist. Das Heil ist eine Gabe, – das ist wahr – , aber eine Gabe, die angenommen, gehütet und zum Fruchttragen gebracht werden muss (vgl. Mt 25,14-30). Christsein im Allgemeinen und, in unserem Fall, vom Herrn gesalbt und ihm geweiht zu sein, bedeutet nicht, dass wir uns wie ein privilegierter Kreis von Menschen verhalten sollen, die glauben, Gott „in der Tasche“ zu haben, sondern wie Menschen, die wissen, dass sie vom Herrn geliebt werden, obwohl wir unwürdige Sünder sind. Gottgeweihte sind nämlich nichts anderes als Diener im Weinberg des Herrn, die dem Herrn des Weinbergs zur rechten Zeit die Ernte und den Erlös übergeben müssen (vgl. Mt 20,1-16).

Die Bibel und die Geschichte der Kirche zeigen uns, dass oft selbst die von Gott Auserwählten irgendwann anfangen, zu denken und zu glauben und sich so zu verhalten, als seien sie Herren über das Heil und nicht dessen Empfänger, Kontrolleure der Geheimnisse Gottes und nicht ihre demütigen Ausspender, Zollbeamte Gottes und nicht Diener der ihnen anvertrauten Herde.

Oftmals – aus übermäßigem und fehlgeleitetem Eifer – stellt man sich Gott in den Weg, anstatt ihm zu folgen, so wie Petrus, der den Meister kritisierte und sich den heftigsten Tadel einhandelte, den Christus je einem Menschen erteilte: »Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen« (Mk 8,33).

Liebe Brüder und Schwestern,

in unserer turbulenten Welt hat das Boot der Kirche in diesem Jahr schwierige Zeiten erlebt und erlebt sie weiterhin und ist von Stürmen, ja Orkanen erfasst worden. Viele haben den scheinbar schlafenden Herrn gefragt: »Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?« (Mk 4,38). Andere begannen, verunsichert durch die Nachrichten, das Vertrauen in die Kirche zu verlieren und sie zu verlassen. Wieder andere haben aus Angst, aus Eigeninteresse oder mit irgendwelchen Hintergedanken versucht, auf den Leib der Kirche einzuprügeln, und haben so ihre Wunden noch vermehrt; andere freuen sich ganz offen, sie solchermaßen angegriffen zu sehen; sehr viele jedoch halten weiterhin treu an ihr fest in der Gewissheit, dass »die Pforten der Unterwelt sie nicht überwältigen werden« (vgl. Mt 16,18).

Währenddessen setzt die Braut Christi ihren Pilgerweg durch Freuden und Leiden, durch Erfolge und äußere wie innere Schwierigkeiten hindurch fort. Gewiss bleiben die inneren Schwierigkeiten immer die schmerzhaftesten und destruktivsten.

Die Betrübnisse

Es gibt viele Anlässe zur Betrübnis: Wie viele Einwanderer – die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und ihr Leben zu riskieren – finden den Tod, oder stehen, wenn sie überleben, vor verschlossenen Türen und vor Mitmenschen, denen es nur um politische Erfolge und Macht geht. Wie viel Angst und wie viele Vorurteile! Wie viele Menschen und wie viele Kinder sterben täglich wegen Wasser- und Nahrungsmangel und aufgrund fehlender Medikamente! Wie viel Armut und Elend! Wie viel Gewalt gegen die Schwachen und gegen Frauen! Wie viele Situationen von erklärten und nicht erklärten Kriegen! Wie viel unschuldiges Blut wird jeden Tag vergossen! Wie viel Unmenschlichkeit und Brutalität umgeben uns von allen Seiten! Wie viele Menschen werden auch heute noch in Polizeiwachen, Gefängnissen und Flüchtlingslagern in verschiedenen Teilen der Welt systematisch gefoltert!

Wir erleben tatsächlich auch eine neue Epoche der Märtyrer. Es scheint, dass die grausame und schreckliche Verfolgung des Römischen Reiches kein Ende kennt. Ständig tauchen neue Neros auf, die Gläubige unterdrücken, nur wegen ihres Glaubens an Christus. Neue extremistische Gruppen vermehren sich und nehmen Kirchen, Andachtsstätten, Amtsträger und einfache Gläubige ins Visier. Neue und alte Zirkel und Gruppierungen leben vom Hass und der Feindseligkeit gegenüber Christus, der Kirche und den Gläubigen. Wie viele Christen leben heute noch unter der Bürde von Verfolgung, Ausgrenzung, Diskriminierung und Ungerechtigkeit in weiten Teilen der Welt. Um Christus nicht zu verleugnen, nehmen sie jedoch weiterhin mutig den Tod in Kauf. Wie schwierig ist es auch heute noch in vielen Teilen der Welt, den Glauben frei zu leben, wenn es an Religions- und Gewissensfreiheit fehlt.

Andererseits lässt uns das heroische Beispiel der Märtyrer und der vielen guten Samariter, d.h. der jungen Menschen, der Familien, der karitativ und ehrenamtlich tätigen Vereinigungen sowie der vielen Gläubigen und Gottgeweihten jedenfalls nicht die negativen Zeugnisse und die Skandale einiger Gläubiger und Amtsträger der Kirche vergessen.

Ich beschränke mich hier nur auf die zwei Plagen des Missbrauchs und der Untreue.

Seit einigen Jahren bemüht sich die Kirche ernsthaft um die Beseitigung des Übels des Missbrauchs, das zum Herrn nach Vergeltung schreit, zu Gott, der nie das Leid vergessen wird, das viele Minderjährige durch Geistliche und Gottgeweihte erfahren haben: Missbrauch von Macht, Missbrauch des Gewissens und sexueller Missbrauch.

Als ich an dieses schmerzliche Thema dachte, kam mir die Gestalt des Königs David in den Sinn – der ein »Gesalbter des Herrn« war (vgl. 1 Sam 16,13; 2 Sam 11-12). Er, von dessen Nachkommenschaft das Göttliche Kind –auch „Sohn Davids“ genannt – abstammt, beging, obwohl er der Auserwählte, König und Gesalbte des Herrn war, eine dreifache Sünde, d.h. einen dreifachen schweren Missbrauch: sexuellen Missbrauch, Missbrauch von Macht und Missbrauch des Gewissens. Drei verschiedene Arten von Missbrauch, die jedoch gemeinsam auftreten und sich überschneiden.

Die Geschichte beginnt, wie wir wissen, als der König, ein erfahrener Kriegsherr, müßig zu Hause bleibt, anstatt mit dem Volk Gottes in die Schlacht zu ziehen. David nützt sein Königsein für seine Bequemlichkeit und seine Interessen aus (Machtmissbrauch). Für den Gesalbten, der sich der Trägheit hingibt, beginnt ein unaufhaltsamer Verfall der Moral und des Gewissens. Und nicht zufällig sieht er in dieser Situation von der Terrasse seines Palastes aus Batseba, die Frau des Hetiters Urija, wie sie badet, und er fühlt sich zu ihr hingezogen (vgl. 2 Sam 11). Er schickt nach ihr und schläft mit ihr (ein weiterer Machtmissbrauch und dazu auch sexueller Missbrauch). So missbraucht er eine verheiratete Frau, die allein ist. Um seine Sünde zu vertuschen, ruft er Urija nach Hause zurück und versucht vergeblich, ihn zu überreden, die Nacht mit seiner Frau zu verbringen. Danach befiehlt er dem Heerführer, Urija in der Schlacht dem sicheren Tod auszuliefern (nochmals Machtmissbrauch und Missbrauch des Gewissens). Die Kette der Sünden breitet sich wie ein Ölfleck aus und wird schnell zu einem Netz des Verderbens. Er ist zu Hause geblieben, um dem Müßiggang zu frönen.

Von den kleinen Funken der Trägheit und der Unzucht und vom „Nachlassen der Wachsamkeit“ nimmt die teuflische Kette der schweren Sünden ihren Ausgang: Ehebruch, Lüge und Mord. Sich anmaßend, dass er als König alles tun und alles haben könne, versucht David, den Mann Batsebas, das Volk, sich selbst und sogar Gott zu täuschen. Der König vernachlässigt seine Beziehung zu Gott, übertritt die göttlichen Gebote und verletzt seine eigene moralische Integrität, ohne sich überhaupt schuldig zu fühlen. Der Gesalbte übte seine Funktion weiter aus, als wäre nichts passiert. Es ging ihm nur darum, sein Image und den Schein zu wahren. »Denn wer meint, keine schweren Fehler gegen das Gesetz Gottes zu begehen, kann in einer Art Verblödung oder Schläfrigkeit nachlässig werden. Da er nichts Schlimmes findet, das er sich vorwerfen müsste, bemerkt er die Lauheit nicht, die sich allmählich in seinem geistlichen Leben breitmacht, und am Ende ist er aufgerieben und verdorben« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 164). Als Sünder endet er schließlich im Verderben.

Auch heute gibt es viele „Gesalbte des Herrn“, Gottgeweihte, die die Schwachen missbrauchen und ihre moralische Macht und Überredungskunst ausnutzen. Sie begehen abscheuliche Taten und üben weiter ihren Dienst aus, als ob nichts wäre; sie fürchten weder Gott noch sein Gericht, sondern haben einzig davor Angst, entdeckt und entlarvt zu werden. Amtsträger, die den Leib der Kirche verletzen, indem sie Skandale verursachen und den Heilsauftrag der Kirche und die aufopferungsvolle Hingabe vieler ihrer Mitbrüder und -schwestern in Misskredit bringen.

Auch heute, liebe Brüder und Schwestern, begeben sich viele Davids ohne mit der Wimper zucken in das Netz des Verderbens und verraten Gott, seine Gebote, die eigene Berufung, die Kirche, das Volk Gottes und das Vertrauen der Kleinen und ihrer Familien. Oft verbirgt sich hinter ihrer übertriebenen Höflichkeit, ihrem tadellosen Eifer und ihrem Engelsgesicht schamlos ein grausamer Wolf, der darauf wartet, unschuldige Seelen zu verschlingen.

Die Sünden und Verbrechen gottgeweihter Personen erhalten eine noch dunklere Färbung von Untreue und Schande und entstellen das Antlitz der Kirche, indem sie ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Tatsächlich ist die Kirche zusammen mit ihren treuen Söhnen und Töchtern auch ein Opfer dieser Untreue und dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Verbrechen der Veruntreuung“.

Liebe Brüder und Schwestern,

es muss klar sein, dass angesichts dieser Abscheulichkeiten die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstellen. Die Kirche wird nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten. Es ist unbestreitbar, dass einige Verantwortungsträger in der Vergangenheit aus Leichtfertigkeit, ungläubiger Fassungslosigkeit, mangelnder Qualifikation, Unerfahrenheit – wir müssen die Vergangenheit mit der Hermeneutik der Vergangenheit beurteilen – oder wegen geistlicher und menschlicher Oberflächlichkeit viele Fälle ohne die gebotene Ernsthaftigkeit und nicht schnell genug behandelt haben. Das darf nie wieder vorkommen. Das ist der Wille und die Entscheidung der ganzen Kirche.

Im kommenden Februar wird die Kirche ihren festen Willen bekräftigen, den Weg der Reinigung mit all ihrer Kraft fortzusetzen. Die Kirche wird sich, auch unter Hinzuziehung von Experten, darüber beraten, wie die Kinder zu schützen sind; wie solche Katastrophen vermieden werden können, auf welche Weise man sich der Opfer annehmen und sie reintegrieren kann; wie man die Ausbildung in den Seminaren verbessert. Man wird versuchen, die begangenen Fehler in Chancen zu verwandeln, um dieses Übel nicht nur aus dem Leib der Kirche, sondern auch aus dem der Gesellschaft zu beseitigen. In der Tat, wenn etliche geweihte Amtsträger von dieser schweren Plage befallen sind, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß unsere Gesellschaften und unsere Familien betroffen sein könnten. Die Kirche wird sich daher nicht darauf beschränken, sich um sich selbst zu kümmern, sondern versuchen, dieses Übel, das so viele Menschen langsam zugrunde gehen lässt, auf moralischer, psychologischer und menschlicher Ebene anzugehen.

Liebe Brüder und Schwestern,

wenn über diese Plage gesprochen wird, ereifern sich manche innerhalb der Kirche gegen gewisse Medienschaffende und beschuldigen sie, die überwältigende Mehrheit der Missbrauchsfälle zu ignorieren, die nicht von Geistlichen der Kirche begangen wurden – die Statistiken sprechen von mehr als 95 % - und beschuldigen sie, absichtlich ein falsches Bild verbreiten zu wollen, als ob dieses Übel einzig die katholische Kirche getroffen hätte. Ich hingegen möchte jenen Medienschaffenden ausdrücklich danken, die sachlich und objektiv waren und versucht haben, die Wölfe zu entlarven und den Opfern eine Stimme zu verleihen. Auch wenn es sich um nur einen einzigen Missbrauchsfall handeln würde – dieser stellt an sich schon eine Ungeheuerlichkeit dar –, bittet die Kirche darum, nicht zu schweigen und ihn objektiv ans Licht zu bringen, denn der größere Skandal in dieser Angelegenheit besteht darin, die Wahrheit zu vertuschen.

Denken wir alle daran, dass David nur dank der Begegnung mit dem Propheten Natan die Schwere seiner Sünde begreift. Wir brauchen heute neue Natans, die den vielen Davids helfen, von einem heuchlerischen und perversen Leben aufgerüttelt zu werden. Bitte, helfen wir der heiligen Mutter Kirche bei ihrer schwierigen Aufgabe, nämlich die echten Fälle zu erkennen und sie von den falschen zu unterscheiden, die Anschuldigungen von den Verleumdungen, den Groll von den Unterstellungen, das Gerede von der üblen Nachrede. Es ist eine ziemlich schwierige Aufgabe, da sich die wahren Schuldigen sorgfältig zu verstecken wissen, sodass sogar viele Ehefrauen, Mütter und Schwestern es nicht vermögen, sie unter den ganz Nahestehenden auszumachen: Ehemänner, Paten, Großväter, Onkel, Nachbarn, Lehrer … Auch die Opfer, die von den Tätern genau ausgesucht werden, ziehen es oft vor zu schweigen; sie sind der Angst preisgegeben und werden gefügig aus Scham und aus Furcht, verlassen zu werden.

Und denen, die Minderjährige missbrauchen, möchte ich sagen: Bekehrt euch, stellt euch der menschlichen Justiz und bereitet euch auf die göttliche Gerechtigkeit vor. Erinnert euch dabei an die Worte Christi: »Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!« (Mt 18,6-7).

Liebe Brüder und Schwestern,

lasst mich nun über eine andere Betrübnis sprechen, d.h. über die Untreue derer, die ihre Berufung verraten, ihren Eid, ihre Sendung, ihre Weihe an Gott und an die Kirche; die sich hinter guten Absichten verstecken, um ihren Brüdern und Schwestern in den Rücken zu fallen und Unkraut, Spaltung und Befremden zu säen; Menschen, die immer Rechtfertigungen finden, selbst logischer, selbst spiritueller Art, um auf dem Weg des Verderbens ungestört weiterzugehen.

Und dies ist nichts Neues in der Geschichte der Kirche. Der heilige Augustinus sagt, als er vom guten Weizen und dem Unkraut spricht: »Meint ihr etwa, meine Brüder, dass das Unkraut nicht bis zu den Bischofssitzen gelangen könne? Meint ihr, es sei nur unten und nicht auch oben? O dass wir es doch nicht wären! […] Auch auf den Bischofssitzen gibt es Weizen und Unkraut; auch im Volk gibt es Weizen und Unkraut« (Sermo 73,4: PL 38,472).

Diese Worte des heiligen Augustinus mahnen uns, an das Sprichwort zu denken: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Sie helfen uns zu verstehen, dass es nämlich der Versucher, der große Ankläger ist, der spaltet, Zwietracht sät, Feindschaft unterstellt, die Söhne und Töchter überredet und dazu bringt zu zweifeln.

In Wirklichkeit, tatsächlich stehen hinter diesen Leuten, die Unkraut säen, fast immer die dreißig Silberlinge. Hier kommen wir also von der Gestalt des David zu der des Judas Iskariot, eines anderen vom Herrn Erwählten, der seinen Meister verkauft und dem Tod überliefert. Den Sünder David und Judas Iskariot wird es in der Kirche immer geben, da sie die Schwäche darstellen, die zu unserem Menschsein gehört. Sie stehen als Bilder für die Sünden und Verbrechen, die von erwählten und geweihten Personen begangen werden. Die Schwere der Sünde ist ihnen gemeinsam, sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Bekehrung. David bereute und vertraute sich der Barmherzigkeit Gottes an, Judas aber brachte sich um.

Wir alle haben also, um das Licht Christi erstrahlen zu lassen, die Pflicht, jede geistliche Korruption zu bekämpfen. Sie ist »schlimmer als der Fall eines Sünders, weil es sich um eine bequeme und selbstgefällige Blindheit handelt, wo schließlich alles zulässig erscheint: Unwahrheit, üble Nachrede, Egoismus und viele subtile Formen von Selbstbezogenheit – denn schon „der Satan tarnt sich als Engel des Lichts“ (2 Kor 11,14). So passierte es seinerzeit Salomon, während der große Sünder David sein Elend zu überwinden wusste« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 165).

Die Freuden

Kommen wir nun zu den Freuden. Dieses Jahr gab es zahlreiche Freuden, zum Beispiel das gute Gelingen der Synode für die Jugend, über die der Kardinaldekan vorhin gesprochen hat. Dann die bisherigen Schritte bei der Reform der Kurie. Viele fragen sich: Wann wird sie enden? Sie wird nie zu Ende sein, aber die gemachten Schritte sind gut. Zum Beispiel die Schaffung von mehr Klarheit und Transparenz im Bereich der Finanzen; die lobenswerten Anstrengungen seitens des Amtes des Generalrevisors und des AIF [Finanzaufsichtsbehörde]; die guten Ergebnisse, die das IOR [Institut für die Werke der Religion] erzielt hat; das neue Gesetz des Staates der Vatikanstadt; das Dekret über die Arbeit im Vatikan und vieles andere, was verwirklicht wurde und weniger sichtbar ist. Denken wir unter den Freuden an die neuen Seligen und Heiligen; sie sind die „Edelsteine“, die das Antlitz der Kirche schmücken und in der Welt Hoffnung, Glauben und Licht ausstrahlen. Hier müssen die neunzehn Märtyrer Algeriens erwähnt werden: »Neunzehn Leben hingegeben für Christus, für sein Evangelium und für das algerische Volk […] Beispiele der allgemeinen Heiligkeit, der Heiligkeit „von nebenan“« (Thomas Georgeon, „Im Zeichen der Brüderlichkeit“, L’Osservatore Romano, 8. Dezember 2018, S. 6); die hohe Zahl an Gläubigen, die jedes Jahr durch den Empfang der Taufe die Jugend der Kirche, der stets fruchtbaren Mutter, erneuern; die sehr zahlreichen Söhne und Töchter, die zurückkehren und sich wieder zum Glauben bekennen und ein christliches Leben führen; die Familien und Eltern, die den Glauben ernsthaft leben und ihn Tag für Tag den eigenen Kindern durch die Freude ihrer Liebe weitergeben (vgl. Apostolisches Schreiben Amoris laetitia, 259-290); das Zeugnis vieler junger Menschen, die den Mut haben und sich für das geweihte Leben oder das Priestertum entscheiden.

Ein echter Grund zur Freude ist auch die große Zahl an gottgeweihten Männern und Frauen, an Bischöfen und Priestern, die täglich ihre Berufung in Treue, Stille, Heiligkeit und Selbstverleugnung leben. Es sind Menschen, die das Dunkel der Menschheit mit ihrem Zeugnis des Glaubens, der Liebe und der Hingabe an den Nächsten erhellen. Menschen, die aus Liebe zu Christus und zu seinem Evangelium geduldig arbeiten zum Wohl der Armen, der Unterdrückten, der Geringsten, ohne danach zu trachten, auf den ersten Seiten der Zeitungen zu erscheinen oder die ersten Plätze einzunehmen. Menschen, die alles zurücklassen und ihr Leben aufopfern und so das Licht des Glaubens dorthin bringen, wo Christus verlassen, durstig, hungrig, im Gefängnis oder nackt ist (vgl. Mt 25,31-46). Und ich denke besonders an die vielen Pfarrer, die jeden Tag dem Volk Gottes ein gutes Beispiel geben, Priester, die den Familien nahe sind, die Namen aller kennen und ihr Leben in Einfachheit, Glauben, Hingabe, Heiligkeit und Nächstenliebe führen. Es sind Menschen, die von den Massenmedien vergessen werden, aber ohne die Dunkelheit herrschen würde.

Liebe Brüder und Schwestern,

wenn ich vom Licht, vom Leid, von David und Judas gesprochen habe, so wollte ich die Bedeutung des Bewusstseins hervorheben, das zu einer Pflicht zur Wachsamkeit und Aufsicht werden muss auf Seiten derer, die innerhalb der Strukturen des kirchlichen und geweihten Lebens den Dienst der Leitung ausüben. Tatsächlich liegt die Stärke jeder Institution nicht darin, dass sie aus perfekten Menschen zusammengesetzt ist (dies ist unmöglich), sondern dass sie den Willen dazu hat, sich beständig zu reinigen; dass sie die Fähigkeit besitzt, demütig Fehler einzugestehen und zu korrigieren; dass sie in der Lage ist, wieder aufzustehen, wenn sie gefallen ist; dass sie das Licht von Weihnachten sieht, das von der Krippe in Betlehem kommt, die Geschichte durchläuft und bis zur Parusie reicht.

Es ist also notwendig, dass wir unser Herz dem wahren Licht öffnen, Jesus Christus: Er ist das Licht, das unser Leben hell machen und unsere Finsternis in Licht verwandeln kann; das Licht des Guten, das das Böse besiegt; das Licht der Liebe, dass den Hass überwindet; das Licht des Lebens, dass den Tod bezwingt; das göttliche Licht, dass alles und alle in Licht verwandelt; das Licht unseres Gottes: arm und reich, barmherzig und gerecht, anwesend und verborgen, klein und groß.

Erinnern wir uns an die wunderbaren Worte eines ägyptischen Wüstenvaters aus dem vierten Jahrhundert, des heiligen Makarios des Großen, der über Weihnachten sagt: »Gott macht sich klein! Der unzugängliche und unerschaffene Gott hat aus grenzenloser und unbegreiflicher Huld einen Leib angenommen und sich klein gemacht. In seiner Huld ist er von seiner Herrlichkeit herabgestiegen. Niemand im Himmel und auf Erden vermag die Größe Gottes zu fassen, ebenso vermag niemand im Himmel und auf Erden zu begreifen, wie Gott sich arm und klein macht für die Armen und Kleinen. Denn wie seine Größe, so ist auch seine Erniedrigung unfassbar« (vgl. Homilien IV,9-10; XXXII,7).

Denken wir daran: Weihnachten ist das Fest des »große[n] Gott[es], der klein wird und in seiner Kleinheit nicht aufhört, groß zu sein. Und in dieser Dialektik ist der Kleine groß. Das ist die Zärtlichkeit Gottes. Dieses Wort „Zärtlichkeit“ will die weltliche Gesinnung immer aus dem Wörterbuch streichen. Der große Gott, der klein wird; der groß ist und sich immer wieder klein macht« (vgl. Homilie in S. Marta, 14. Dezember 2017; Homilie in S. Marta, 25. April 2013).

Weihnachten schenkt uns jedes Jahr die Gewissheit, dass das Licht Gottes weiter leuchten wird trotz unserer menschlichen Schwäche; die Gewissheit, dass die Kirche aus diesen Plagen herauskommen wird, noch schöner, reiner und strahlender. Denn alle Sünden, die Stürze und das von einigen Söhnen und Töchtern der Kirche begangene Böse werden die Schönheit ihres Antlitzes nie verdunkeln können, vielmehr werden sie sogar der sichere Beweis dafür sein, dass ihre Kraft nicht von uns kommt, sondern vor allem von Jesus Christus, dem Retter der Welt und Licht des Universums, der die Kirche liebt und sein Leben für sie, seine Braut, hingegeben hat. Weihnachten gibt uns den Beweis, dass die schweren Übel, die von einigen begangenen wurden, all das Gute, das die Kirche unentgeltlich in der Welt wirkt, nie verdunkeln können. Weihnachten gibt uns die Gewissheit, dass die wahre Kraft der Kirche und unseres täglichen Arbeitens, das oft im Verborgenen geschieht, im Heiligen Geist liegt. – So ist es auch bei der Römischen Kurie, wo es Heilige gibt. – Der Heilige Geist leitet und beschützt die Kirche durch die Jahrhunderte und verwandelt dabei selbst die Sünden in Gelegenheiten zur Vergebung, die Stürze in Gelegenheiten zur Erneuerung, das Böse in Gelegenheit zur Reinigung und zum Sieg.

Vielen Dank und allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Auch in diesem Jahr möchte ich Ihnen ein Andenken mitgeben. Es ist ein Klassiker: Das Kompendium der aszetischen und mystischen Theologie von Tanquerey, hier in der kürzlich erschienen Ausgabe, die von Weihbischof Libanori aus Rom und von Pater Forlai erarbeitet worden ist. Ich glaube, dass sie gut ist. Man lese nicht alles in einem Zug durch, sondern suche im Inhaltsverzeichnis nach einzelnen Themen: diese Tugend, jene Haltung oder eine andere Sache … Es wird gut tun für die innere Reform eines jeden von uns und für die Reform der Kirche. Es ist für Sie!

2019

am 21. Dezember 2019 im Clementina-Saal; Der deutsche Text bei Kath.net am 21. Dezember 2019; auch in: OR 10. Januar 2020, S. 6+7.

»Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« ({{#ifeq: Evangelium nach Johannes | Weihnachtsansprachen Papst Franziskus' |{{#if: Joh|Joh|Evangelium nach Johannes}}|{{#if: Joh |Joh|Evangelium nach Johannes}}}} 1{{#if:14|,14}} EU

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Liebe Brüder und Schwestern,

euch allen ein herzliches Willkommen. Ich danke Kardinal Angelo Sodano für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Vor allem möchte ich ihm, auch im Namen der Mitglieder des Kardinalskollegiums, meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für den wertvollen und sorgfältigen Dienst, den er als Dekan über lange Jahre bereitwillig, hingebungsvoll, wirksam und mit großem Organisations- und Koordinationstalent ausgeübt hat. Danke von Herzen, Eminenz!

Euch hier Anwesenden, euren Mitarbeitern und allen, die in der Kurie Dienst tun, wie auch den Päpstlichen Repräsentanten und allen, die ihnen zur Seite stehen, wünsche ich ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest. Und neben den Glückwünschen spreche ich meine Anerkennung für die tägliche Hingabe aus, mit der ihr den Dienst an der Kirche leistet. Vielen Dank!

Auch dieses Jahr gibt uns der Herr die Gelegenheit, für diese Geste der Gemeinschaft zusammenzukommen, die unsere brüderliche Verbundenheit stärkt und in der Betrachtung der Liebe Gottes wurzelt, die sich an Weihnachten geoffenbart hat. Tatsächlich, so hat ein Mystiker unserer Zeit geschrieben, »ist die Geburt Christi das stärkste und aussagekräftigste Zeugnis dafür, wie sehr Gott den Menschen geliebt hat. Er hat ihn mit einer persönlichen Liebe geliebt. Deshalb hat er einen menschlichen Leib angenommen, hat sich mit ihm vereint und für immer angeeignet. Die Geburt Christi ist selbst ein „Liebesbund“, der für immer zwischen Gott und dem Menschen geschlossen wurde«.<ref> Matta el Meskin, L’umanità di Dio, Qiqajon-Bose, Magnano 2015, 170-171.</ref> Und der heilige Clemens von Alexandrien schreibt: »Deshalb ist er [Christus] auch selbst herabgekommen, deshalb hat er menschliche Gestalt angenommen, deshalb hat er aus freiem Willen Menschenschicksal ertragen, damit er, nachdem er aus Liebe zu uns sich dem Maß unserer Schwachheit hat angleichen lassen, umgekehrt uns dem Maß seiner eigenen Macht angleiche«.<ref> Quis dives salvetur 37, 1-6.</ref>

In Anbetracht von so viel Wohlwollen und Liebe ist der Austausch der Weihnachtsglückwünsche ebenso eine Gelegenheit, um sein Gebot neu aufzunehmen: »Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt« (Joh 13,34-35). Hier bittet uns Jesus nämlich nicht, ihn in Antwort auf seine Liebe zu uns zu lieben; er verlangt von uns vielmehr, einander mit eben seiner Liebe zu lieben. Mit anderen Worten, er ersucht uns, ihm ähnlich zu sein, weil er selbst sich uns ähnlich gemacht hat. Weihnachten, so ruft uns der heilige Kardinal Newman auf, möge also »uns ihm, der zu dieser Zeit um unseretwillen ein kleines Kind wurde, mehr und mehr ähnlich finden, schlichter also und demütiger, heiliger, liebevoller, ergebener, glücklicher, gotterfüllter«.<ref> Sermon „The Mystery of Godliness“: Parochial and Plain Sermons V, 7.</ref> Und er fügt hinzu: »[Weihnachten] ist eine Zeit der Unschuld, der Reinheit, der Sanftmut, der Milde, der Genügsamkeit und des Friedens.«<ref> Ebd.</ref>

Der Name Newman erinnert uns auch an eine wohlbekannte Aussage von ihm, fast einen Sinnspruch, aus seinem Werk Über die Entwicklung der christlichen Lehre, das zeitlich und geistlich an der Wegkreuzung seines Eintritts in die katholische Kirche steht. Er sagt dies: »Hier auf der Erde bedeutet leben sich verändern, und die Vollkommenheit ist das Ergebnis vieler Veränderungen.«<ref> Essay on the Development of Christian Doctrine, I, 1, 7.</ref> Es geht freilich nicht darum, die Veränderung um der Veränderung willen zu suchen, oder dem Zeitgeschmack zu folgen, sondern überzeugt davon zu sein, dass Entwicklung und Wachstum das Wesensmerkmal des irdischen und menschlichen Lebens sind, während in der Perspektive des Glaubenden im Mittelpunkt von allem die Beständigkeit Gottes steht.<ref> In einem seiner Gebete erklärte Newman: »Nichts hat Bestand, außer dir, o mein Gott! Du bist der Mittelpunkt und das Leben all derer, die sich ändern, die dir als Vater vertrauen, zu dir aufschauen und zufrieden sind, sich in deiner Hand zu wissen« (Meditations and Devotions, XI, „God Alone Unchangeable“).</ref>

Für Newman war die Veränderung eine Bekehrung, also eine innere Verwandlung.<ref> Newman beschreibt sie folgendermaßen: »Dass mein Übertritt irgendeine intellektuelle oder moralische Änderung in meinem Geist bewirkt hätte, kann ich nicht sagen ... aber es schien mir, als hätte ich nach stürmischer Fahrt den sicheren Hafen erreicht: und das Glück, das ich darüber empfand, hat bis heute ununterbrochen angehalten« (Apologia pro vita sua, 1865, Kap. 5, 238; vgl. J. Honoré, Gli aforismi di Newman, Città del Vaticano, 2010, 167).</ref> Das christliche Leben ist in Wirklichkeit ein Weg, eine Pilgerschaft. Die biblische Geschichte ist insgesamt ein Weg, der von Anfängen und erneuten Aufbrüchen gezeichnet ist; so wie für Abram; wie für diejenigen, die sich vor zweitausend Jahren in Galiläa auf den Weg machten, um Jesus zu folgen: »Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach« (Lk 5,11). Von da an ist die Geschichte des Volkes Gottes – die Geschichte der Kirche – immer von Aufbrüchen, Umzügen, Veränderungen gekennzeichnet. Der Weg ist natürlich nicht rein geografisch, sondern vor allem symbolisch: Er ist eine Einladung, die Bewegung des Herzens zu entdecken, die es paradoxerweise nötig hat, aufzubrechen, um zu bleiben, sich zu ändern, um treu zu sein.<ref> Vgl. J. M. Bergoglio, Mesaje de Cuaresma a los sacerdotes y consagrados, 21. Februar 2007.</ref>

All dies hat eine besondere Bedeutung in unserer Zeit, denn die Epoche, in der wir leben, ist nicht nur eine Epoche der Veränderungen, sondern die eines Epochenwandels. Wir stehen also an einem der Momente, in denen die Veränderungen nicht mehr linear sind, sondern vielmehr epochal; sie stellen Weichenstellungen dar, die die Art des Lebens, der Beziehungen, der Formung und Kommunikation des Denkens, des Verhältnisses zwischen den menschlichen Generationen und dem Verständnis und der Ausübung von Glauben und Wissenschaft schnell verwandeln. Es geschieht oft, dass man die Veränderung lebt, indem man sich darauf beschränkt, ein neues Kleid zu tragen, aber in Wirklichkeit so bleibt, wie man vorher war. Ich erinnere mich an den rätselhaften Ausdruck, der in einem berühmten italienischen Roman zu lesen ist: »Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern« (Der Leopard von Giuseppe Tomasi di Lampedusa).

Die gesunde Haltung ist vielmehr jene, sich von den Herausforderungen der heutigen Zeit befragen zu lassen und sie mit den Tugenden der Unterscheidung, der parrhesia und der hypomoné aufzugreifen. Die Veränderung würde in diesem Fall ganz anders aussehen: Statt Beiwerk, Kontext oder Vorwand, statt äußerliche Landschaft … würde sie immer menschlicher und auch christlicher. Es wäre immer noch eine äußerliche Veränderung, die aber vom Mittelpunkt des Menschen selbst aus vollzogen wird, also eine anthropologische Umkehr.<ref> Vgl. Apostolische Konstitution Veritatis gaudium (27. Dezember 2019), 3: »Es geht schließlich darum, das Modell globaler Entwicklung in eine [andere] Richtung [zu] lenken und den Fortschritt neu zu definieren: Das Problem ist, dass wir noch nicht über die Kultur verfügen, die es braucht, um dieser Krise entgegenzutreten. Es ist notwendig, leaderships zu bilden, die Wege aufzeigen.«</ref>

Wir müssen Prozesse anstoßen und nicht Räume besetzen: »Gott zeigt sich in einer geschichtsgebundenen Offenbarung, in der Zeit. Die Zeit stößt Prozesse an, der Raum kristallisiert sie. Gott findet sich in der Zeit, in den laufenden Prozessen. Wir brauchen Räume der Machtausübung nicht zu bevorzugen gegenüber Zeiten der Prozesse, selbst wenn sie lange dauern. Wir müssen eher Prozesse in Gang bringen als Räume besetzen. Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte. Das erlaubt, Handlungen zu priorisieren, die neue Dynamiken hervorrufen. Es verlangt auch Geduld und Warten«.<ref> A. Spadaro SJ, Das Interview mit Papst Franziskus (19. September 2013), Freiburg i. Br., 59.</ref> Von daher werden wir angeregt, die Zeichen der Zeit mit den Augen des Glaubens zu lesen, damit die Richtung dieser Veränderung »neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist«.<ref> Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, 29 Juni 2019.</ref>

Wenn ich heute auf das Thema der Veränderung eingehe, die vor allem auf die Treue zum depositum fidei und zur Tradition gründet, möchte ich auf die Umsetzung der Reform der römischen Kurie zurückkehren und dabei bekräftigen, dass sich diese Reform niemals angemaßt hat, so zu tun, also ob vorher nichts existiert hätte; im Gegenteil, man hat darauf abgezielt, all das Gute zu würdigen, das in der komplexen Geschichte der Kurie getan worden ist. Wir müssen ihre Geschichte würdigen, um eine Zukunft aufzubauen, die feste Grundlagen hat, die Wurzeln besitzt und deshalb Frucht tragen kann.

Sich auf die Erinnerung berufen heißt nicht, sich an der Selbstbewahrung festzuklammern, sondern auf das Leben und die Lebendigkeit eines Weges in ständiger Entwicklung hinzuweisen. Die Erinnerung ist nicht statisch, sie ist dynamisch. Sie bringt von Natur aus Bewegung mit sich. (...)

Liebe Brüder und Schwestern,

bei unseren letzten vorweihnachtlichen Begegnungen habe ich zu euch über die Kriterien gesprochen, die diese Reformbemühungen inspiriert haben. Ich habe auch einige Maßnahmen angeregt, die bereits entweder endgültig oder auch ad experimentum<ref> Vgl. Ansprache an die Kurie, 22. Dezember 2016.</ref> umgesetzt wurden. Im Jahr 2017 habe ich einige Neuigkeiten bezüglich der Organisation der Kurie hervorgehoben, wie z.B. die Dritte Sektion des Staatssekretariats oder die Beziehungen zwischen der Römischen Kurie und den Teilkirchen, auch im Blick auf die übliche Praxis der Ad-limina-Besuche oder auf die Struktur einiger Dikasterien, vor allem der Dikasterien für die Orientalischen Kirchen, für den ökumenischen und interreligiösen Dialog, insbesondere mit dem Judentum.

Bei der heutigen Begegnung möchte ich auf einige andere Dikasterien näher eingehen und dabei vom Kern der Reform ausgehen, das heißt von der ersten und wichtigsten Aufgabe der Kirche: die Evangelisierung. Der heilige Paul VI. sagte: »Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren.«<ref> Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 14. Der heilige Johannes Paul II. schrieb, dass die missionarische Verkündigung »vorrangig den Dienst ausmacht, den die Kirche jedem Menschen und der ganzen Menschheit von heute erweisen kann. Die Menschheit hat zwar erstaunliche Errungenschaften aufzuweisen, aber sie scheint den Sinn für letzte Wirklichkeiten und für das Dasein selbst verloren zu haben« (Enzyklika Redemptoris missio, 2).</ref>

Tatsächlich besteht das Ziel der gegenwärtigen Reform darin, dass »die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient. Die Reform der Strukturen, die für eine pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinne verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 27). Und so kam es, in Anlehnung gerade an das Lehramt der Nachfolger Petri vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis heute, zu dem vorgeschlagenen Titel Praedicate Evangelium für die zu erstellende neue Apostolische Konstitution über die Reform der Römischen Kurie.

Deshalb also richte ich meine Gedanken heute auf einige der Dikasterien der Römischen Kurie, die schon von ihrer Bezeichnung her einen ausdrücklichen Bezug dazu haben: die Kongregation für die Glaubenslehre und die Kongregation für die Evangelisierung der Völker; ich denke aber auch an das Dikasterium für die Kommunikation und das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen.

Die beiden erstgenannten Kongregationen wurden zu einer Zeit gegründet, in der es einfacher war, zwischen zwei ziemlich klar abgegrenzten Bereichen zu unterscheiden: einer christlichen Welt auf der einen Seite und einer noch zu evangelisierenden Welt auf der anderen. Diese Situation gehört jedoch der Vergangenheit an.

Menschen, denen das Evangelium noch nicht verkündigt worden ist, leben keineswegs nur in den nicht-westlichen Kontinenten, sondern überall, vor allem in den riesigen städtischen Ballungszentren, die ihrerseits eine besondere Seelsorge erfordern. In den Großstädten brauchen wir andere „Landkarten“, andere Paradigmen, die uns helfen, unsere Denkweisen und Grundeinstellungen neu auszurichten: Wir haben keine christliche Leitkultur, es gibt keine mehr! Wir sind heute nicht mehr die Einzigen, die Kultur prägen, und wir sind weder die ersten noch die, denen am meisten Gehör geschenkt wird.<ref> Vgl. Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für die Großstadtpastoral, 27. November 2014.</ref>

Wir brauchen daher einen Wandel im pastoralen Denken, was freilich nicht heißt, zu einer relativistischen Pastoral überzugehen. Das Christentum ist keine dominante Größe mehr, denn der Glaube – vor allem in Europa, aber auch im Großteil des Westens – stellt keine selbstverständliche Voraussetzung des allgemeinen Lebens mehr dar, sondern wird oft sogar geleugnet, belächelt, an den Rand gedrängt und lächerlich gemacht.

Dies hat Benedikt XVI. hervorgehoben, als er zur Ausrufung des Jahres des Glaubens (2012) schrieb: »Während es in der Vergangenheit möglich war, ein einheitliches kulturelles Gewebe zu erkennen, das in seinem Verweis auf die Glaubensinhalte und die von ihnen inspirierten Werte weithin angenommen wurde, scheint es heute in großen Teilen der Gesellschaft aufgrund einer tiefen Glaubenskrise, die viele Menschen befallen hat, nicht mehr so zu sein.«<ref> Apostolisches Schreiben in Form eines Motu proprio Porta fidei, 2.</ref>

Deshalb wurde im Jahr 2010 der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung gegründet, um »in jenen Ländern eine neue Evangelisierung voranzutreiben, wo zwar schon eine erste Verkündigung des Glaubens erfolgte und es Kirchen alter Gründung gibt, die aber eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und eine Art „Finsternis des Sinnes für Gott“ erleben. Diese Herausforderung drängt uns, geeignete Mittel zu finden, um die immerwährende Wahrheit des Evangeliums Christi erneut vorschlagen zu können.«<ref> Benedikt XVI., Homilie, 28. Juni 2010; vgl. Apostolisches Schreiben in Form eines Motu proprio Ubicumque et semper, 17. Oktober 2010.</ref> (...)

Die Wahrnehmung, dass der Epochenwandel ernsthafte Fragen hinsichtlich der Identität unseres Glaubens aufwirft, ist, offen gestanden, nicht plötzlich eingetreten.<ref> Der Epochenwandel wurde in Frankreich bereits von Kardinal Suhard (man denke an seinen Hirtenbrief Essor ou déclin de l’Église, 1947) und auch vom damaligen Erzbischof Montini von Mailand erkannt. Auch er fragte sich, ob Italien noch ein katholisches Land sei (vgl. Prolusione alla VIII Settimana nazionale di aggiornamento pastorale, 22. September 1958, in: Discorsi e Scritti milanesi 1954-1963, Vol. II, Brescia-Roma 1997, 2328).</ref> In diesen Rahmen fügt sich auch der vom heiligen Johannes Paul II. übernommene Begriff „Neuevangelisierung“ ein. In seiner Enzyklika Redemptoris missio schrieb er: »Heute sieht die Kirche sich mit anderen Herausforderungen konfrontiert; sie muss zu neuen Ufern aufbrechen, sei es in ihrer Erstmission ad gentes, sei es in der Neuevangelisierung von Völkern, die die Botschaft von Christus schon erhalten haben« (Nr. 30). Es braucht eine neue Evangelisierung oder eine Wieder-Evangelisierung (vgl. Nr. 33).

All dies führt zwangsläufig zu Veränderungen und neuen Schwerpunkten in den oben genannten Dikasterien sowie in der gesamten Kurie.<ref> Der heilige Paul VI. erinnerte vor fast fünfzig Jahren anlässlich der Vorstellung des neuen Messbuches an den Zusammenhang zwischen dem Gesetz des Betens (lex orandi) und dem Gesetz des Glaubens (lex credendi) und beschrieb dabei das Messbuch als einen „Beweis der Treue und Lebendigkeit“. Zum Abschluss seiner Überlegungen stellte er fest: »Sprechen wir also nicht von einer „neuen Messe“, sondern eher von einer „neuen Epoche“ im Leben der Kirche« (Generalaudienz vom 19. November 1969). Und so könnte man analog dazu auch in unserem Fall sagen: nicht eine neue Römische Kurie, sondern eher eine neue Epoche.</ref>

Ich möchte nun auch einige Überlegungen bezüglich des kürzlich errichteten Dikasteriums für die Kommunikation anstellen. Wir erleben einen Epochenwandel, denn »für breite Schichten der Menschheit ist es normal, ständig in die digitale Welt abzutauchen. Hier geht es nicht mehr nur darum, Kommunikationsmittel zu „nutzen“, sondern man lebt in einer durch und durch digitalisierten Kultur, die sich stark auf die Vorstellung von Zeit und Raum auswirkt sowie auf die Wahrnehmung von sich selbst, von anderen und der Welt, auf die Art zu kommunizieren, zu lernen, sich zu informieren und Beziehungen zu anderen zu knüpfen. Eine Einstellung gegenüber der Realität, bei der tendenziell Bilder wichtiger sind als das Zuhören und Lesen und die beeinflusst, wie wir lernen und kritisches Denken entwickeln« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, 86).

Das Dikasterium für die Kommunikation wurde daher mit der Aufgabe betraut, die neun Einrichtungen, die sich bisher auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Aufgaben mit der Kommunikation befassten, in einer neuen Institution zusammenzuführen. Es sind dies der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel, das Presseamt des Heiligen Stuhls, die Vatikanische Druckerei, die Vatikanische Verlagsbuchhandlung, der L’Osservatore Romano, Radio Vatikan, das Vatikanische Fernsehzentrum, der Vatikanische Internetdienst und der Fotodienst.

Im Sinne des Gesagten ging es bei dieser Zusammenlegung jedoch nicht um eine einfache „koordinierende“ Umgestaltung, sondern darum, die verschiedenen Komponenten aufeinander abzustimmen, um ein besseres Dienstleistungsangebot zu erzielen.

Die neue Kultur, die von Konvergenz und multimedialen Faktoren geprägt ist, erfordert von Seiten des Apostolischen Stuhls eine angemessene Antwort im Bereich der Kommunikation. Im Vergleich zu spezialisierten Diensten überwiegt heute die multimediale Form, und das prägt auch die Art und Weise, wie diese dann konzipiert, gedacht und umgesetzt werden. All dies impliziert, zusammen mit dem kulturellen Wandel, eine institutionelle und personelle Neuausrichtung von einer Arbeit in getrennten Abteilungen – die bestenfalls ein wenig koordiniert war – zu einer Arbeit, die wesentlich und synergetisch miteinander verbunden ist.

Liebe Brüder und Schwestern,

vieles des bisher Gesagten gilt grundsätzlich auch für das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Auch dieses wurde kürzlich errichtet, um auf die Veränderungen auf globaler Ebene zu reagieren. Dabei wurden vier frühere Päpstliche Räte zusammengelegt: die Räte für Gerechtigkeit und Frieden, Cor Unum, für die Seelsorge für die Migranten sowie für die Pastoral im Krankendienst. Der Zusammenhang der diesem Dikasterium übertragenen Aufgaben wird zu Beginn des Motu proprio Humanam progressionem, mit dem es errichtet wurde, kurz erwähnt: »Mit ihrem ganzen Sein und in all ihrem Handeln ist die Kirche gerufen, die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Licht des Evangeliums zu fördern.

Diese Entwicklung wird durch die Pflege der unermesslichen Güter der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung verwirklicht.« Sie wird im Dienst an den Schwächsten und den Ausgegrenzten verwirklicht, besonders an den unfreiwilligen Migranten, die gegenwärtig einen Schrei in der Wüste unserer Menschheit darstellen. Die Kirche ist daher gerufen, alle daran zu erinnern, dass es nicht bloß um soziale Fragen oder Migrationsthematiken geht, sondern um Personen, um Brüder und Schwestern, die heute für alle Menschen stehen, die von der globalisierten Gesellschaft ausgesondert werden. Sie ist gerufen, Zeugnis dafür zu geben, dass es für Gott niemanden gibt, der „fremd“ oder „ausgeschlossen“ ist. Sie ist gerufen, die eingeschlafenen Gewissen derer zu wecken, die der Wirklichkeit des Mittelmeers, das für viele, zu viele zu einem Friedhof geworden ist, gleichgültig gegenüberstehen.

Ich möchte an die Bedeutung der ganzheitlichen Natur der Entwicklung erinnern. Der heilige Paul VI. sagte: »Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben« (Enzyklika Populorum progressio, 14).

In anderen Worten: Aus ihrer Glaubenstradition heraus und in den letzten Jahrzehnten auch aufgrund der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils hat die Kirche stets die Größe der Berufung aller Menschen betont, die Gott nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat, damit sie eine einzige Familie bilden; gleichzeitig hat sie versucht, das Menschliche in all seinen Dimensionen zu erfassen.

Eben dieses Erfordernis der Ganzheitlichkeit stellt uns heute die Menschheit neu vor Augen, die uns als Kinder des einen Vaters verbindet. »Mit ihrem ganzen Sein und in all ihrem Handeln ist die Kirche gerufen, die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Licht des Evangeliums zu fördern« (Motu proprio Humanam progressionem).

Das Evangelium führt die Kirche immer zur Logik der Menschwerdung, zu Christus, der unsere Geschichte, die Geschichte eines jeden von uns angenommen hat. Daran erinnert uns Weihnachten. Die Menschheit also ist der besondere Schlüssel, mit dem die Reform zu lesen ist. Die Menschheit ruft auf, fragt an und ruft hervor, das heißt sie ruft dazu auf, hinauszugehen und die Veränderung nicht zu fürchten.

Vergessen wir nicht, dass das Kind in der Krippe das Gesicht unserer Brüder und Schwestern hat, die am meisten bedürftig sind. »Gerade die Armen stehen diesem Geheimnis besonders nahe und sind oft diejenigen, die am besten in der Lage sind, die Gegenwart Gottes in unserer Mitte zu erkennen« (Apostolisches Schreiben Admirabile signum, 6).

Liebe Brüder und Schwestern,

es geht also um große Herausforderungen und um notwendige Ausgewogenheit. Diese ist oft nicht leicht zu verwirklichen, aus dem einfachen Grund, dass in der Spannung zwischen einer glorreichen Vergangenheit und einer gestalterischen Zukunft, die in Bewegung ist, die Gegenwart liegt, in der es Menschen gibt, die notwendigerweise Zeit zum Reifen brauchen; es gibt historische Umstände, die im Alltag zu bewältigen sind, da während der Reform die Welt und die Ereignisse nicht stillstehen; es gibt rechtliche und institutionelle Fragen, die Schritt für Schritt gelöst werden müssen, ohne magische Formeln oder Abkürzungen.

Schließlich gibt es die Dimension der Zeit und den menschlichen Irrtum. Nicht damit zu rechnen ist weder möglich noch gerecht, weil sie zur Geschichte jedes Einzelnen gehören. Sie nicht zu berücksichtigen bedeutet, die Dinge unter Ausblendung der Geschichte der Menschen zu tun. In Verbindung mit diesem schwierigen geschichtlichen Prozess besteht immer die Versuchung, sich auf die Vergangenheit zurückzuziehen (selbst unter Verwendung neuer Formulierungen), weil diese beruhigender, vertrauter und sicherlich weniger konfliktgeladen ist. Auch dies gehört jedoch zum Prozess und zum Risiko, bedeutende Veränderungen einzuleiten.<ref> Evangelii gaudium stellt die Regel auf, »Handlungen zu fördern, die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt. Dies geschehe ohne Ängstlichkeit, sondern mit klaren Überzeugungen und mit Entschlossenheit« (Nr. 223).</ref>

Hier muss man vor der Versuchung warnen, eine Haltung der Starrheit anzunehmen. Die Starrheit kommt von der Angst vor Veränderung und übersät am Ende den Boden des Gemeinwohls mit Pflöcken und Hindernissen und macht ihn so zu einem Minenfeld der Kontaktunfähigkeit und des Hasses. Denken wir immer daran, dass hinter jeder Starrheit irgendeine Unausgeglichenheit liegt. Die Starrheit und die Unausgeglichenheit nähren sich gegenseitig in einem Teufelskreis. (...)

Liebe Brüder und Schwestern,

die Römische Kurie ist nicht ein von der Wirklichkeit losgelöster Körper – auch wenn diese Gefahr immer besteht. Vielmehr muss sie im Heute des von den Männern und Frauen zurückgelegten Weges, in der Logik des Epochenwandels verstanden und erfahren werden.

Die Römische Kurie ist nicht ein Gebäude oder ein Schrank voller Kleider, die angezogen werden, um eine Veränderung zu rechtfertigen. Die Römische Kurie ist ein lebendiger Körper, und sie ist es umso mehr, je mehr sie das Evangelium in seiner Vollständigkeit lebt.

In seinem letzten Interview wenige Tage vor seinem Tod sprach Kardinal Martini Worte, die uns nachdenken lassen: »Die Kirche ist zweihundert Jahre lang stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? Haben wir Angst? Angst statt Mut? Wo doch der Glaube das Fundament der Kirche ist. Der Glaube, das Vertrauen, der Mut. […] Nur die Liebe überwindet die Müdigkeit.«<ref> Interview mit Georg Sporschill SJ und Federica Radice Fossati Confalonieri in: „Corriere della Sera“, 1. September 2012.</ref>

Weihnachten ist das Fest der Liebe Gottes zu uns – der göttlichen Liebe, welche die Veränderung inspiriert, leitet und korrigiert und die menschliche Angst, das „Sichere“ aufzugeben, besiegt, um uns neu auf das „Mysterium“ einzulassen. Gesegnete Weihnachten euch allen!

Anmerkungen

<references />

2020

am 21. Dezember 2020 in der Audienzhalle Pauls VI.; Der deutsche Text bei Kath.net am 21. Dezember 2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

1. Die Geburt Jesu von Nazaret, das Geheimnis seiner Geburt, erinnert uns daran, dass wir »nicht geboren werden, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen«,<ref> Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1996, 316.</ref> wie die jüdische Philosophin Hanna Arendt eindrucksvoll und prägnant bemerkt, und damit das Denken ihres Lehrers Heidegger umkehrt, wonach der Mensch geboren wird, um in den Tod geworfen zu werden. Auf dem Hintergrund der Trümmer der Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts erkennt Arendt diese lichte Wahrheit: »Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und von dem Verderben rettet, das als Keim in ihm sitzt und als „Gesetz“ seine Bewegung bestimmt, ist schließlich die Tatsache der Natalität, das Geborensein [...]. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien „die frohe Botschaft“ verkünden: „Uns ist ein Kind geboren“«.<ref> Ebd. 317.</ref>

2. Dem Geheimnis der Menschwerdung, dem Kind, das in einer Krippe liegt (vgl. Lk 2,16), wie auch dem Ostergeheimnis, der Gegenwart des Gekreuzigten, begegnen wir nur dann in rechter Weise, wenn wir unsere Waffen ablegen und demütig und wesentlich sind; nur dann, wenn wir in der Umgebung, in der wir leben – auch in der römischen Kurie –, das vom heiligen Paulus vorgeschlagene Lebensprogramm verwirklicht haben: »Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat (Eph 4,31-32); nur dann, wenn wir einander in Demut begegnen (vgl. 1 Petr 5,5) und Jesus nachahmen, der »gütig und von Herzen demütig« ist (Mt 11,29); nur dann, wenn wir »den untersten Platz« eingenommen haben (Lk 14,10) und »Diener aller« geworden sind (vgl. Mk 10,44). Der heilige Ignatius geht dabei in seinen Exerzitien so weit, dass er uns auffordert, uns in die Krippenszene hineinzuversetzen. Er schreibt: »Ich mache mich zu einem kleinen Armen und einem unwürdigen Knechtlein, indem ich sie anschaue, sie betrachte und ihnen in ihren Nöten diene« (114,2).

3. Dieses Weihnachtsfest ist das Weihnachtsfest in der Pandemie, der gesundheitlichen, sozialökonomischen aber auch kirchlichen Krise, die die ganze Welt unterschiedslos getroffen hat. Die Krise ist nicht mehr nur ein Allgemeinplatz des Diskurses und des intellektuellen Establishments, sie ist zu einer Realität geworden, die alle betrifft.

Diese Geißel war eine beachtliche Bewährungsprobe und zugleich eine große Chance, uns zu bekehren und wieder authentisch zu werden.

Als ich am 27. März diesen Jahres auf dem leeren Petersplatz – der dennoch erfüllt war von einer allgemeinen Zusammengehörigkeit, die bis in den letzten Winkel der Erde reicht und uns alle vereint – für alle und mit allen beten wollte, hatte ich Gelegenheit, die mögliche Bedeutung des „Sturms“ (vgl. Mk 4,35-41), der die Welt heimgesucht hatte, laut auszusprechen: »Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen. Der Sturm entlarvt all unsere Vorhaben, was die Seele unserer Völker ernährt hat, „wegzupacken“ und zu vergessen; all die Betäubungsversuche mit scheinbar „heilbringenden“ Angewohnheiten, die jedoch nicht in der Lage sind, sich auf unsere Wurzeln zu berufen und die Erinnerung unserer älteren Generation wachzurufen, und uns so der Immunität berauben, die notwendig ist, um den Schwierigkeiten zu trotzen.

Mit dem Sturm sind auch die stereotypen Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um unser eigenes Image verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene (gesegnete) gemeinsame Zugehörigkeit offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind.«

4. Die Vorsehung wollte es, dass ich gerade in dieser schwierigen Zeit die Enzyklika „Fratelli tutti“ schreiben konnte, die dem Thema der Geschwisterlichkeit und der sozialen Freundschaft gewidmet ist. Und eine wichtige Lehre aus den Kindheitsevangelien, in denen die Geburt Jesu erzählt wird, ist die eines neuen Zusammenwirkens und einer neu entstehenden Einheit zwischen den Hauptpersonen: Maria, Josef, die Hirten, die Sterndeuter und all jene, die auf die eine oder andere Weise ihre geschwisterliche Verbundenheit, ihre Freundschaft angeboten haben, damit das fleischgewordene Wort im Dunkel der Geschichte Aufnahme finden konnte (vgl. Joh 1,14).

Am Anfang dieser Enzyklika habe ich geschrieben: »Ich habe den großen Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes Menschen anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken. Bei allen: „Dies ist ein schönes Geheimnis, das es ermöglicht, zu träumen und das Leben zu einem schönen Abenteuer zu machen. Niemand kann auf sich allein gestellt das Leben meistern [...]. Es braucht eine Gemeinschaft, die uns unterstützt, die uns hilft und in der wir uns gegenseitig helfen, nach vorne zu schauen. Wie wichtig ist es, gemeinsam zu träumen! [...] Allein steht man in der Gefahr der Illusion, die einen etwas sehen lässt, das gar nicht da ist; zusammen jedoch entwickelt man Träume.“<ref> Ansprache beim Ökumenischen und Interreligiösen Treffen mit den Jugendlichen, Skopje - Nordmazedonien (7. Mai 2019): L'Osservatore Romano (dt.), Jg. 49 (2019), Nr. 20/21 (17. Mai 2019), S. 10.</ref> Träumen wir als eine einzige Menschheit, als Weggefährten vom gleichen menschlichen Fleisch, als Kinder der gleichen Erde, die uns alle beherbergt, jeden mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jeden mit seiner eigenen Stimme, alle Brüder und Schwestern!« (Nr. 8).

5. Die Krise der Pandemie ist eine gute Gelegenheit für eine kurze und allgemein hilfreiche Reflexion über die Bedeutung von Krisen.

Die Krise ist ein Phänomen, das alles und jeden angeht. Sie kommt überall und in jeder Epoche der Geschichte vor und betrifft Ideologien, Politik, Wirtschaft, Technologie, Ökologie und Religion. Sie ist eine unumgängliche Phase der individuellen und sozialen Geschichte. Sie manifestiert sich als ein außerordentliches Ereignis, das immer ein Gefühl von Beklemmung, Angst, Unausgewogenheit und Unsicherheit bei den zu treffenden Entscheidungen hervorruft. Daran erinnert auch die etymologische Wurzel des Verbs krino: Die Krise ist das Sieben, das das Weizenkorn nach der Ernte reinigt.

Auch die Bibel ist voll von Menschen, die solch einen „Sieb“ durchlaufen haben, von „Krisengestalten“, die aber gerade dadurch Heilsgeschichte schrieben.

Die Krise Abrahams, der sein Land verlässt (Gen 12,1-2) und vor der schweren Prüfung steht, seinen einzigen Sohn Isaak Gott opfern zu müssen (Gen 22,1-19), findet in heilsgeschichtlicher Perspektive in der Geburt eines neuen Volkes ihre Auflösung. Diese Verheißung bewahrt Abraham jedoch nicht vor jenem Drama, in dem Verwirrung und Fassungslosigkeit nur aufgrund seines starken Glaubens nicht die Oberhand gewannen.

Die Krise des Mose wird an seinem mangelnden Selbstvertrauen sichtbar: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?« (Ex 3,11); »Ich bin keiner, der gut reden kann, [...]. Mein Mund und meine Zunge sind nämlich schwerfällig« (Ex 4,10); ich bin »ungeschickt im Reden« (Ex 6,12.30). Aus diesem Grund versucht er, sich der ihm von Gott übertragenen Aufgabe zu entziehen: Herr, sende andere (vgl. Ex 4,13). Aber durch diese Krise machte Gott Moses zu seinem Diener, der das Volk aus Ägypten herausführte.

Elia, der Prophet, der so stark war, dass er mit dem Feuer verglichen wurde (vgl. Sir 48,1), sehnte sich in einer tiefen Krise sogar nach dem Tod. Dann aber erfuhr er Gottes Gegenwart nicht im stürmischen Wind, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, sondern in »einem sanften leisen Säuseln (vgl. 1 Könige 19,11-12). Die Stimme Gottes ist niemals das Toben der Krise, sondern die ruhige Stimme, die gerade in der Krise zu uns spricht.

Johannes den Täufer plagen Zweifel, ob Jesus der Messias sei (vgl. Mt 11,2-6), weil er nicht als der Rächer auftrat, den er vielleicht erwartet hatte (vgl. Mt 3,11-12); aber gerade die Gefangennahme des Johannes führt Jesus dazu, aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit hinauszutreten.

Und schließlich ist da die religiöse Krise des Paulus von Tarsus: Erschüttert durch die umwerfende Begegnung mit Christus auf dem Weg nach Damaskus (vgl. Apg 9,1-19; Gal 1,15-16), gibt er seine Gewissheiten auf und folgt Jesus nach (vgl. Phil 3,4-10). Der heilige Paulus war in der Tat ein Mann, der sich von der Krise verwandeln ließ, und aus diesem Grund wurde er zum Architekten jener Krise, welche die Kirche über die Grenzen Israels hinausdrängte und bis an die Enden der Erde gelangen ließ.

Wir könnten die Liste der biblischen Gestalten noch fortführen, und jeder von uns könnte darin seinen eigenen Platz finden.

Am aussagekräftigsten jedoch ist die Krise Jesu. Die synoptischen Evangelien machen deutlich, dass er sein öffentliches Leben mit der Krisenerfahrung der Versuchungen beginnt. Auch wenn es den Anschein haben mag, dass bei dieser Begebenheit der Teufel mit seinen falschen Versprechungen die Hauptrolle spielt, so ist in Wirklichkeit der Heilige Geist der eigentliche Protagonist; er ist es nämlich, der Jesus in dieser für sein Leben entscheidenden Zeit geleitet: »Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt; dort sollte er vom Teufel versucht zu werden« (Mt 4,1).

Die Evangelisten betonen, dass die vierzig Tage, die Jesus in der Wüste lebte, von Hunger und Schwäche geprägt waren (vgl. Mt 4,2; Lk 4,2). Und auf eben diesem Hintergrund des Hungers und der Schwäche versucht der Böse seine Trümpfe auszuspielen, indem er bei der erschöpften menschlichen Natur Jesu ansetzt. Aber in diesem Menschen, der durch das Fasten geprüft war, erfährt der Versucher die Gegenwart des Sohnes Gottes, der die Versuchung durch das Wort Gottes zu überwinden weiß. Jesus hält nie Zwiesprache mit dem Teufel: entweder treibt er ihn aus oder er zwingt ihn, zu sagen, wer er ist; mit dem Teufel sollte man sich nie unterhalten.

Später, in Gethsemane, befand sich Jesus in einer unbeschreiblichen Krise: Einsamkeit, Angst, Qualen, der Verrat des Judas und die Erfahrung, von den Aposteln verlassen worden zu sein (vgl. Mt 26,36-50). Schließlich dann die äußerste Krise am Kreuz: Solidarität mit den Sündern bis hin zu dem Gefühl, vom Vater verlassen worden zu sein (vgl. Mt 27,46). Trotzdem legte er seinen Geist voll Vertrauen in die Hände des Vaters (vgl. Lk 23,46). Und diese vollständige und vertrauensvolle Hingabe eröffnete den Weg zur Auferstehung (vgl. Hebr 5,7).

6. Diese Reflexion über die Krise warnt uns davor, die Kirche vorschnell nach den Krisen zu beurteilen, die durch die Skandale von gestern und heute verursacht wurden. Das tat der Prophet Elija, als er dem Herrn gegenüber sein Herz ausschüttete und dabei ein hoffnungsloses Bild der Wirklichkeit zeichnet: »Mit Leidenschaft bin ich für den Herrn, den Gott der Heerscharen, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übriggeblieben und nun trachten sie auch mir nach dem Leben« (1 Kön 19,14).

Wie oft scheint auch unseren kirchlichen Analysen die Hoffnung zu fehlen. Ein hoffnungsloser Blick auf die Wirklichkeit kann nicht als realistisch bezeichnet werden. Die Hoffnung gibt unseren Analysen das, was unsere kurzsichtigen Augen so oft nicht wahrnehmen können. Gott antwortet Elija, dass die Wirklichkeit nicht so ist, wie er sie wahrgenommen hat: »Geh deinen Weg durch die Wüste zurück und begib dich nach Damaskus; [...] Ich werde in Israel siebentausend übrig lassen, alle, deren Knie sich vor dem Baal nicht gebeugt und deren Mund ihn nicht geküsst hat« (1 Kön 19,15.18). Es ist nicht wahr, dass Elija allein ist. Gott lässt auch weiterhin den Samen seines Reiches in unserer Mitte gedeihen. Hier in der Kurie gibt es viele, die mit ihrer bescheidenen, diskreten, stillen, loyalen, professionellen und ehrlichen Arbeit Zeugnis ablegen. Auch unsere Zeit hat ihre Probleme, aber ebenso gibt es das lebendige Zeugnis dafür, dass der Herr sein Volk nicht im Stich gelassen hat. Der einzige Unterschied ist, dass die Probleme sofort in den Zeitungen landen, während die Zeichen der Hoffnung erst nach langer Zeit Schlagzeilen machen und das auch nicht immer.

Wer die Krise nicht im Licht des Evangeliums betrachtet, beschränkt sich darauf, die Autopsie einer Leiche durchzuführen. Die Krise ist nicht nur deswegen so erschreckend für uns, weil wir verlernt haben, sie so zu sehen, wie das Evangelium es uns nahelegt, sondern weil wir vergessen haben, dass allem voran das Evangelium selbst uns in eine Krise bringt.<ref> »Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Diese Rede ist hart! Wer kann sie hören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß?« (Joh 6,60-61). Aber erst aus dieser Krise entstand dann das gläubige Bekenntnis: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Joh 6,68)</ref> Wenn wir aber wieder den Mut und die Demut finden, laut auszusprechen, dass die Zeit der Krise eine Zeit des Heiligen Geistes ist, dann werden wir uns auch angesichts der Erfahrung von Dunkelheit, Schwäche, Zerbrechlichkeit, Widersprüchen und Verwirrung nicht mehr niedergeschlagen fühlen, sondern immer ein inniges Vertrauen darauf bewahren, dass die Dinge gerade eine neue Form annehmen, die allein aus der Erfahrung einer im Dunklen verborgenen Gnade entsprang. »Denn im Feuer wird Gold geprüft, und die anerkannten Menschen im Schmelzofen der Erniedrigung« (Sir 2,5).

7. Schließlich möchte ich euch dringend bitten, eine Krise nicht mit einem Konflikt zu verwechseln. Die Krise hat im Allgemeinen einen positiven Ausgang, während ein Konflikt immer Auseinandersetzung, Wettstreit und einen scheinbar unlösbaren Antagonismus hervorbringt, bei dem die Menschen in liebenswerte Freunde und zu bekämpfende Feinden eingeteilt werden, wobei am Schluss nur eine der Parteien als Siegerin hervorgehen kann.

Die Logik des Konflikts sucht immer nach „Schuldigen“, die man stigmatisiert und verachtet, und nach „Gerechten“, über die man nichts kommen lässt, um das – oft magische – Bewusstsein zu schaffen, dass man mit dieser oder jener Situation nichts zu tun hat. Dieser Verlust eines Zusammengehörigkeitsgefühls begünstigt das Wachsen oder die Verhärtung bestimmter elitärer Haltungen und „geschlossener Gruppen“, die begrenzende und partielle Denkweisen fördern, die die Universalität unserer Mission verarmen lassen. »Wenn wir im Auf und Ab der Konflikte verharren, verlieren wir den Sinn für die tiefe Einheit der Wirklichkeit« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 226).

Interpretiert man die Kirche nach den Kategorien des Konflikts – rechts und links, progressiv und traditionalistisch – fragmentiert, polarisiert, pervertiert und verrät man ihr wahres Wesen: Sie ist ein Leib, der fortwährend in der Krise ist, gerade weil er lebendig ist, aber sie darf niemals zu einem Leib werden, der in einem Konflikt mit Siegern und Besiegten steht. In der Tat wird sie auf diese Weise Angst verbreiten; sie wird starrer und weniger synodal werden und eine einheitliche und vereinheitlichende Logik durchsetzen, die so weit von dem Reichtum und der Pluralität entfernt ist, die der Geist seiner Kirche geschenkt hat.

Die Neuheit, die durch die vom Geist gewollte Krise eingeführt wurde, ist niemals eine Neuheit, die im Widerspruch zum Alten steht, sondern eine Neuheit, die aus dem Alten hervorgeht und es fortwährend fruchtbar macht. Jesus verwendet einen Ausdruck, der diesen Übergang auf einfache und klare Weise ausdrückt: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,24). Das Absterben des Samens ist ein ambivalenter Akt, denn er markiert gleichzeitig das Ende von etwas und den Anfang von etwas Anderem. Wir nennen den gleichen Moment Tod/Vergehen Geburt/Aufkeimen, weil beide ein und dasselbe sind: wir sehen mit unseren Augen ein Ende und zugleich zeigt sich in diesem Ende ein neuer Anfang.

In diesem Sinne führen alle Widerstände, die wir leisten, wenn wir eine Krise geraten, indem wir uns in der Zeit der Prüfung vom Geist leiten lassen, dazu, dass wir allein und steril bleiben. Indem wir uns gegen die Krise wehren, behindern wir das Werk der Gnade Gottes, die sich in uns und durch uns manifestieren will. Wenn uns also ein gewisser Realismus unsere jüngste Geschichte nur als die Summe von nicht immer geglückten Versuchen, Skandalen, Stürzen, Sünden, Widersprüchen und Kurzschlüssen beim Zeugnisgeben darstellt, sollten wir weder erschrecken, noch sollten wir die Evidenz all dessen leugnen, was in uns und in unseren Gemeinschaften vom Tod betroffen ist und der Bekehrung bedarf. Alles, was böse, widersprüchlich, schwach und zerbrechlich ist und sich offen zeigt, erinnert uns noch stärker an die Notwendigkeit, alles Denken und Tun, das dem Evangelium nicht entspricht, in uns absterben zu lassen. Nur wenn wir eine bestimmte Mentalität absterben lassen, wird es uns auch gelingen, Platz für das Neue zu schaffen, das der Geist ständig im Herzen der Kirche weckt.<ref> Die Kirchenväter waren sich dessen sehr bewusst, wie an ihrem beständigen Aufruf zur metanoia sichtbar wird, von der schon der heilige Paulus zu uns sprach: »Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene« (Röm 12,2).</ref>

8. In jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem aggiornamento. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben; wir müssen aufhören, die Reform der Kirche als das Flicken eines alten Kleides zu betrachten oder als schlichte Abfassung einer neuen Apostolischen Konstitution.

Es geht nicht darum, „ein Gewand zu flicken“, denn die Kirche ist kein einfaches „Gewand“ Christi, sondern sein Leib, der die ganze Geschichte umfasst (vgl. 1 Kor 12,27). Wir sind nicht aufgerufen, den Leib Christi zu verändern oder zu reformieren – »Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit«! (Hebr 13,8) – aber wir sind aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden, damit klar ersichtlich wird, dass die Gnade, die wir besitzen, nicht von uns, sondern von Gott kommt; denn »diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt« (2 Kor 4,7).

Die Kirche ist immer ein zerbrechliches Gefäß, wertvoll aufgrund ihres Inhaltes, und nicht aufgrund dessen, was sie manchmal von sich zeigt. Dies ist eine Zeit, in der es evident erscheint, dass der Ton, aus dem wir gebildet sind, angeschlagen, rissig und zerbrochen ist. Wir müssen uns darum bemühen, dass unsere Zerbrechlichkeit nicht zu einem Hindernis für die Verkündigung des Evangeliums wird, sondern zu einem Ort, an dem sich die große Liebe offenbart, mit der Gott, reich an Barmherzigkeit, uns geliebt hat und weiterhin liebt (vgl. Eph 2,4).

Für die Zeit der Krise warnt uns Jesus vor einigen Lösungsversuchen, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. »Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Gewand ab und setzt es auf ein altes Gewand.« Das Ergebnis wäre absehbar: Das Neue wäre zerschnitten, denn »zum dem alten würde das Stück von dem neuen nicht passen«. Entsprechend »füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche. Sonst würde ja der junge Wein die Schläuche zerreißen; er läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. [...] Jungen Wein muss man in neue Schläuche füllen« (Lk 5,36-38).

Das richtige Verhalten hingegen ist das des »Schriftgelehrten, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist«, und der »einem Hausherrn [gleicht], der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt« (Mt 13,52). Der Schatz ist die Tradition, wie Benedikt XVI. in Erinnerung rief, sie ist »der lebendige Fluss, der uns mit den Ursprüngen verbindet, der lebendige Fluss, in dem die Ursprünge stets gegenwärtig sind, der große Fluss, der uns zum Hafen der Ewigkeit führt« (Katechese, 26. April 2006).

Das „Alte“ ist die Wahrheit und Gnade, die wir bereits besitzen. Das Neue sind die verschiedenen Aspekte der Wahrheit, die wir allmählich verstehen. Keine geschichtliche Weise, das Evangelium zu leben, gelangt je zu einem erschöpfenden Verständnis desselben. Wenn wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen, werden wir »der ganzen Wahrheit« (Joh 16,13) Tag für Tag näherkommen. Ohne die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Allein die Gegenwart des Heiligen Geistes macht den Unterschied.

9. Was ist in der Krise zu tun? Zunächst einmal sollte man sie als eine Zeit der Gnade annehmen, die uns gegeben ist, um Gottes Willen für jeden von uns und für die ganze Kirche zu verstehen. Wir müssen uns auf diese scheinbar widersprüchliche Logik einlassen, die uns sagt: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12,10). Wir müssen uns an die Zusicherung erinnern, die der heilige Paulus den Korinthern gegeben hat: »Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt« (1 Kor 10,13).

Von grundlegender Bedeutung ist es, den Dialog mit Gott nicht zu unterbrechen, auch dann nicht, wenn es mühsam ist. Wir dürfen nicht müde werden, allezeit zu beten (vgl. Lk 21,36; 1 Thess 5,17). Wir kennen keine andere Lösung für die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, als mehr zu beten und gleichzeitig mit mehr Vertrauen alles zu tun, was uns möglich ist. Das Gebet wird uns befähigen, entgegen aller Erwartungen dennoch zu hoffen (vgl. Röm 4,18).

10. Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns großen Frieden und Gelassenheit bewahren, in dem vollen Bewusstsein, dass wir alle, ich zuerst, nur »unnütze Knechte« (Lk 17,10) sind, denen der Herr Barmherzigkeit erwiesen hat. Aus diesem Grund wäre es schön, wenn wir aufhören würden, im Konflikt zu leben, und uns stattdessen wieder bewusst würden, dass wir unterwegs sind. Der Weg hat immer mit Verben der Bewegung zu tun. Die Krise ist Bewegung, sie ist Teil des Weges. Der Konflikt hingegen ist ein scheinbarer Weg, ein Herumbummeln ohne Ziel und Zweck, ein Verweilen im Labyrinth, eine reine Energieverschwendung und eine Gelegenheit für das Böse. Und das erste Übel, zu dem der Konflikt uns führt und von dem wir versuchen sollten uns fernzuhalten, ist eben das Geschwätz, der Klatsch, der uns in der traurigsten, unangenehmsten und erstickendsten Selbstbezogenheit verschließt und jede Krise in einen Konflikt verwandelt. Das Evangelium sagt uns, dass die Hirten der Verkündigung des Engels glaubten und sich auf den Weg zu Jesus machten (vgl. Lk 2,15-16). Herodes hingegen verschloss sich der Erzählung der Sterndeuter und seine Verschlossenheit verwandelte sich in Lüge und Gewalt (vgl. Mt 2,1-16).

Jeder von uns, unabhängig von seinem Platz in der Kirche, möge sich fragen, ob er Jesus mit der Folgsamkeit der Hirten oder mit der Selbstbehauptung des Herodes folgen will, ob er ihm in die Krise folgen oder sich im Konflikt vor ihm verteidigen will.

Erlaubt mir, euch alle, die ihr mit mir im Dienst des Evangeliums steht, ausdrücklich um ein Weihnachtsgeschenk zu bitten: Eure großzügige und leidenschaftliche Mitarbeit bei der Verkündigung der Frohen Botschaft vor allem an die Armen (vgl. Mt 11,5). Denken wir daran, dass nur der Gott wirklich kennt, der den Armen aufnimmt, der von unten mit seinem Elend zu uns kommt, und der gerade in diesem Gewand von oben gesandt ist; wir können das Antlitz Gottes nicht sehen, aber wir können ihn in seiner Hinwendung zu uns erfahren, wenn wir das Antlitz unseres Nächsten ehren, des anderen, der uns mit seinen Nöten in Anspruch nimmt.<ref> Vgl.: Emanuel Levinas, Totalité et infini, Paris 2000, 76.</ref>

Niemand möge das Werk, das der Herr in diesem Augenblick tut, aus freien Stücken behindern. Bitten wir um die Gabe dienender Demut, auf dass er wachse, wir aber abnehmen (vgl. Joh 3,30).

Ich wünsche jedem einzelnen von euch, euren Familien und Freunden frohe und gesegnete Weihnachten! Und bitte, betet für mich.

Anmerkungen

<references />

2021

Segnungsaula, Donnerstag, 23. Dezember 2021 Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!

Wie jedes Jahr haben wir die Gelegenheit, einige Tage vor dem Weihnachtsfest zusammenzukommen. Auf diese Weise können wir durch den Austausch von guten Wünschen unsere Geschwisterlichkeit sichtbar zum Ausdruck zu bringen; aber es ist auch eine Zeit des Nachdenkens und der Gewissenserforschung für jeden von uns, damit das Licht des fleischgewordenen Wortes uns immer besser zeigen kann, wer wir sind und was unsere Sendung ist.

Wir alle wissen es: das Weihnachtsgeheimnis ist das Geheimnis Gottes, der auf dem Weg der Demut in die Welt kommt. Es ist Fleisch geworden: jene große synkatabasis. Diese unsere Zeit scheint die Demut vergessen zu haben oder sie einfach zu einer Form von Moralismus degradiert zu haben, und hat ihr damit ihre eigentliche Sprengkraft genommen.

Aber wenn wir das ganze Geheimnis von Weihnachten in einem Wort ausdrücken müssten, dann glaube ich, dass das Wort Demut uns am meisten helfen kann. In den Evangelien wird von einer ärmlichen, einfachen Umgebung berichtet, die für eine Frau, die gebären soll, nicht geeignet ist. Doch der König der Könige kommt nicht in die Welt, indem er Aufmerksamkeit erregt, sondern indem er eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf die Herzen derer ausübt, die die überwältigende Gegenwart einer Neuheit spüren, die im Begriff ist, die Geschichte zu verändern. Daher gefällt es mir, mir vorzustellen und auch zu sagen, dass die Demut sein Eingangstor war, und er uns einlädt, uns alle, es zu durchschreiten. Mir kommt dabei jener Abschnitt der Exerzitien in den Sinn: man kommt nicht vorwärts ohne Demut, und man kann in der Demut nicht vorankommen ohne Demütigungen. Und der heilige Ignatius rät uns, um Demütigungen zu bitten.

Es ist nicht leicht zu verstehen, was Demut ist. Sie ist das Ergebnis einer Veränderung, die der Geist selbst in uns durch die Geschichte, die wir leben, bewirkt, wie es zum Beispiel bei Naaman, dem Syrer, der Fall war (vgl. 2 Kön 5). Zur Zeit des Propheten Elischa genoss diese Persönlichkeit ein hohes Ansehen. Er war ein tapferer General des aramäischen Heeres, der bei mehreren Gelegenheiten seine Tapferkeit und seinen Mut bewiesen hatte. Doch neben Ansehen, Stärke, Wertschätzung, Ehren und Ruhm muss dieser Mann auch mit einem schrecklichen Drama leben: Er ist aussätzig. Seine Rüstung, dieselbe Rüstung, die ihn berühmt macht, bedeckt in Wirklichkeit eine zerbrechliche, verwundete, kranke Menschennatur. Diesen Widerspruch finden wir oft in unserem eigenen Leben: Manchmal sind große Gaben der Panzer, der große Schwächen verdeckt.

Naaman begreift eine grundlegende Wahrheit: Man kann sich nicht sein Leben lang hinter einer Rüstung, einer Rolle, einer gesellschaftlichen Anerkennung verstecken: das schadet am Ende. Es kommt eine Zeit im Leben eines jeden Menschen, in der er den Wunsch verspürt, nicht mehr hinter dem Deckmantel des Ruhmes dieser Welt zu leben, sondern in der Fülle eines ehrlichen Lebens, das keine Rüstungen und Masken mehr benötigt. Dieser Wunsch treibt den tapferen Heerführer Naaman dazu an, sich auf die Suche nach jemandem zu machen, der ihm helfen kann, und er tut dies auf Anraten einer Sklavin, einer jüdischen Kriegsgefangenen, die von einem Gott erzählt, der in der Lage ist, solche Widersprüche zu heilen.

Nachdem er sich mit Silber und Gold eingedeckt hat, macht sich Naaman auf die Reise und kommt zu dem Propheten Elischa. Der Prophet verlangt von Naaman als einzige Bedingung für seine Genesung, dass er sich entkleidet und sieben Mal im Jordan wäscht. Kein Ansehen, keine Ehre, kein Gold und kein Silber! Die Gnade, die rettet, ist umsonst und kann nicht auf den Preis der Dinge dieser Welt reduziert werden.

Naaman wehrt sich gegen diese Bitte, sie erscheint ihm zu banal, zu einfach, zu leicht erfüllbar. Es scheint, dass die Kraft der Einfachheit keinen Platz in seiner Vorstellungswelt hatte. Aber die Worte seiner Diener bringen ihn dazu, seine Meinung zu ändern: »Wenn der Prophet etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst rein« (2 Kön 5,13). Naaman ergibt sich, und mit einer Geste der Demut „steigt er herab“, legt seine Rüstung ab und steigt in das Wasser des Jordans, und »da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes und er war rein« (2 Kön 5,14). Die Lehre daraus ist großartig! Die Demut, das eigene Menschsein zu entblößen, bringt Naaman nach dem Wort des Herrn Heilung.

Die Geschichte von Naaman erinnert uns daran, dass Weihnachten eine Zeit ist, in der jeder von uns den Mut haben muss, seine Rüstung abzulegen, die Kleider seiner Rolle, seiner gesellschaftlichen Anerkennung, des Glanzes dieser Welt abzulegen und die Haltung der Demut und Bescheidenheit einzunehmen. Wir können dabei von einem stärkeren, überzeugenderen und verbindlicheren Beispiel ausgehen: dem des Gottessohnes, der sich nicht der Demut entzieht, in die Geschichte „hinabzusteigen“, indem er Mensch wird, indem er ein Kind wird, zerbrechlich, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt (vgl. Lk 2,16). Ohne unsere Kleider, unsere Vorrechte, ohne die Rollen und Titel sind wir alle Aussätzige, wir alle, die der Heilung bedürfen. Weihnachten ist die lebendige Erinnerung an dieses Bewusstsein. Es hilft uns, das tiefer zu verstehen.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir unsere Menschlichkeit vergessen, leben wir nur von den Ehren unserer Rüstung, aber Jesus erinnert uns an eine unbequeme und verstörende Wahrheit: „Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen, wenn du dich dabei selber verlierst?“ (vgl. Mk 8,36).

Das ist die gefährliche Versuchung - ich habe sie bei anderen Gelegenheiten in Erinnerung gerufen - der spirituellen Weltlichkeit, die im Gegensatz zu allen anderen Versuchungen schwer zu entlarven ist, weil sie von allem verdeckt wird, was uns normalerweise beruhigt: unsere Rolle, die Liturgie, die Lehre, die Religiosität. In Evangelii gaudium habe ich geschrieben: »In diesem Kontext wird die Ruhmsucht derer gefördert, die sich damit zufrieden geben, eine gewisse Macht zu besitzen, und lieber Generäle von geschlagenen Heeren sein wollen, als einfache Soldaten einer Schwadron, die weiterkämpft. Wie oft erträumen wir peinlich genaue und gut entworfene apostolische Expansionsprojekte, typisch für besiegte Generäle! So verleugnen wir unsere Kirchengeschichte, die ruhmreich ist, insofern sie eine Geschichte der Opfer, der Hoffnung, des täglichen Ringens, des im Dienst aufgeriebenen Lebens, der Beständigkeit in mühevoller Arbeit ist, denn jede Arbeit geschieht „im Schweiß unseres Angesichts“. Stattdessen unterhalten wir uns eitel und sprechen über „das, was man tun müsste“ – die Sünde des „man müsste tun“ – wie spirituelle Lehrer und Experten der Seelsorge, die einen Weg weisen, ihn selber aber nicht gehen. Wir pflegen unsere grenzenlose Fantasie und verlieren den Kontakt zu der durchlittenen Wirklichkeit unseres gläubigen Volkes« (Nr. 96).

Demut ist die Fähigkeit, unser Menschsein ohne Verzweiflung, mit Realismus, Freude und Hoffnung auszufüllen; dieses Menschsein, das vom Herrn geliebt und gesegnet wird. Demut bedeutet zu verstehen, dass wir uns unserer Schwäche nicht schämen müssen. Jesus lehrt uns, unser Elend mit der gleichen Liebe und Zärtlichkeit zu betrachten, mit der man ein kleines, zerbrechliches Kind ansieht, das alles braucht. Ohne Demut werden wir nach Bestätigungen suchen und sie vielleicht auch finden, aber wir werden gewiss nicht das finden, was uns rettet, was uns heilen kann. Die Bestätigungen sind die verdorbenste Frucht der spirituellen Weltlichkeit, die einen Mangel an Glauben, Hoffnung und Liebe offenbaren und zu einer Unfähigkeit werden, die Wahrheit der Dinge richtig zu erkennen und einzuordnen. Hätte Naaman nur weiter Medaillen für seine Rüstung gesammelt, wäre er schließlich von der Lepra verzehrt worden: scheinbar lebendig, ja, aber verschlossen und isoliert in seiner Krankheit. Er sucht mutig nach dem, was ihn retten kann, und nicht nach dem, was ihn unmittelbar zufriedenstellt.

Wir alle wissen, dass das Gegenteil der Demut der Stolz ist. Ein Vers des Propheten Maleachi, der mich sehr berührt; dieser Vers hilft uns, den Unterschied zwischen dem Weg der Demut und dem Weg des Stolzes zu verstehen: »Da werden alle Überheblichen und alle Frevler zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der Herr der Heerscharen. Weder Wurzel noch Zweig wird ihnen dann bleiben« (3,19).

Der Prophet verwendet ein anschauliches Bild, das den Stolz gut beschreibt: Stolz, sagt er, ist wie Stroh. Wenn dann das Feuer kommt, wird das Stroh zu Asche, es verbrennt, es verschwindet. Und er sagt uns auch, dass diejenigen, die sich auf ihren Stolz verlassen, des Wichtigsten beraubt werden, was wir haben: die Wurzeln und die Sprosse. Die Wurzeln erzählen von unserer lebendigen Verbindung mit der Vergangenheit, aus der wir schöpfen, um in der Gegenwart zu leben. Die Sprosse sind die Gegenwart, die nicht stirbt, sondern zum Morgen, zur Zukunft wird. In einer Gegenwart zu sein, die keine Wurzeln und keine Sprosse mehr hat, bedeutet, das Ende zu erleben. So hat der Stolze, eingeschlossen in seiner eigenen kleinen Welt, keine Vergangenheit und keine Zukunft, keine Wurzeln und keine Sprosse mehr und lebt mit dem bitteren Geschmack der unfruchtbaren Traurigkeit, die sich des Herzens bemächtigt als »der köstlichste von des Teufels Tränken«.<ref>G. Bernanos, Tagebuch eines Landpfarrers, Einsiedeln 2007, S. 131.</ref> Im Gegenteil dazu lässt sich der demütige Mensch in seinem Leben beständig von zwei Worten leiten: sich erinnern – die Wurzeln – und Neues hervorbringen, Frucht aus den Wurzeln und aus den Sprossen, und so erlebt er die freudige Öffnung für die Fruchtbarkeit.

Erinnern bedeutet etymologisch „ins Innere zurückholen“, „er – innern“. Die lebendige Erinnerung an die Tradition, an unsere Wurzeln, ist kein Kult der Vergangenheit, sondern eine innere Geste, durch die wir uns beständig das zu Herzen nehmen, was uns vorausgegangen ist, was unsere Geschichte durchschritten hat, was uns bis hierher gebracht hat. Erinnern heißt nicht wiederholen, sondern etwas beherzigen, aufleben lassen und in Dankbarkeit der Kraft des Heiligen Geistes erlauben, dass unsere Herzen entbrennen, wie bei den ersten Jüngern (vgl. Lk 24,32).

Damit das Erinnern aber nicht zu einem Gefängnis der Vergangenheit wird, brauchen wir ein weiteres Wort: Neues hervorbringen. Der demütige Mensch – der demütige Mann, die demütige Frau – sorgt sich auch um die Zukunft, nicht nur um die Vergangenheit, denn er weiß, wie man in die Zukunft blickt, wie man auf die Sprossen schaut, mit einem Gedächtnis voller Dankbarkeit. Der bescheidene Mensch bringt hervor, lädt ein und drängt auf das Unbekannte zu. Der Stolze hingegen wiederholt, verhärtet sich – die Verhärtung ist eine Perversion, eine Perversion dieser Zeit – und verschließt sich in seiner Wiederholung, er fühlt sich sicher in dem, was er kennt, und fürchtet das Neue, weil er es nicht kontrollieren kann, er fühlt sich dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht ... denn er hat sein Gedächtnis verloren.

Der demütige Mensch lässt sich in Frage stellen, öffnet sich dem Neuen und tut dies, weil er sich stark fühlt durch das, was ihm vorausgeht, durch seine Wurzeln, durch seine Zugehörigkeit. Seine Gegenwart ist von einer Vergangenheit durchdrungen, die ihn hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Im Gegensatz zu den Stolzen weiß er, dass weder seine Verdienste noch seine „guten Gewohnheiten“ der Anfang und die Grundlage seiner Existenz sind; deshalb ist er fähig zu vertrauen. Der Stolze kann das nicht.

Wir alle sind zur Demut aufgerufen, denn wir sind aufgerufen, uns zu erinnern und Neues hervorzubringen, wir sind aufgerufen, die richtige Beziehung zu den Wurzeln und den Sprossen wiederzuentdecken. Ohne sie sind wir krank und dem Untergang geweiht.

Jesus, der auf dem Weg der Demut in die Welt kommt, eröffnet uns eine Spur, zeigt uns einen Stil, zeigt uns ein Ziel.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn es wahr ist, dass man ohne Demut Gott nicht begegnen und das Heil nicht erfahren kann, dann ist es ebenso wahr, dass man ohne Demut seinem Nächsten, dem Bruder und der Schwester, die an unserer Seite leben, nicht begegnen kann.

Am vergangenen 17. Oktober haben wir den synodalen Prozess eröffnet, der uns für die nächsten zwei Jahre beschäftigen wird. Auch hier kann uns nur die Demut in die Lage versetzen, uns zu begegnen und zuzuhören, Dialog zu führen und zu unterscheiden. Um gemeinsam zu beten, wie der Kardinaldekan aufgezeigt hat. Wenn jeder in seinen eigenen Überzeugungen, in seinen eigenen Erfahrungen, in der Schale seiner eigenen Gefühle und Gedanken verschlossen bleibt, ist es schwierig, jener Erfahrung des Geistes Raum zu geben, die, wie der Apostel sagt, mit der Überzeugung verbunden ist, dass wir alle Kinder sind von demeinen »Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist« (Eph 4,6).

„Alle“ ist kein missverständliches Wort! Der Klerikalismus, der sich als – perverse – Versuchung täglich unter uns schleicht, lässt uns immer an einen Gott denken, der nur zu einigen wenigen spricht, während die anderen nur zuhören und ausführen müssen. Die Synode sucht die Erfahrung zu machen, dass wir uns alle als Glieder eines größeren Volkes empfinden: das heilige, gläubige Volk Gottes und somit Jünger, die zuhören und gerade durch dieses Zuhören auch den Willen Gottes verstehen können, der sich immer auf unvorhersehbare Weise zeigt. Es wäre jedoch falsch zu denken, dass die Synode ein Ereignis ist, das der Kirche als abstrakter Größe vorbehalten ist, die weit von uns entfernt ist. Synodalität ist ein Stil, zu dem vor allem wir, die wir hier sind und durch unsere Arbeit in der Römischen Kurie einen Dienst an der Weltkirche leben, uns bekehren müssen.

Und die Kurie – vergessen wir es nicht – ist nicht nur ein logistisches und bürokratisches Werkzeug für die Bedürfnisse der Weltkirche, sondern sie ist der erste Organismus, der zum Zeugnis berufen ist, und gerade deshalb gewinnt sie immer mehr an Maßgeblichkeit und Wirksamkeit, wenn sie die Herausforderungen der synodalen Umkehr, zu der auch sie berufen ist, selbst annimmt. Die Organisation, die wir umsetzen müssen, ist nicht betrieblicher Art, sondern folgt einer dem Evangelium gemäßen Art. Wenn also das Wort Gottes die ganze Welt an den Wert der Armut erinnert, müssen wir, die Mitglieder der Kurie, die Ersten sein, die sich zu einer Umkehr zur Nüchternheit verpflichten. Wenn das Evangelium Gerechtigkeit verkündet, müssen wir als Erste versuchen, transparent zu leben, ohne Begünstigungen und Seilschaften. Wenn die Kirche den Weg der Synodalität einschlägt, müssen wir die Ersten sein, die sich auf einen anderen Arbeitsstil, auf Zusammenarbeit, auf Gemeinschaft umstellen. Und dies ist nur über den Weg der Demut möglich. Ohne Demut können wir das nicht tun.

Bei der Eröffnung der Synodenversammlung habe ich drei Schlüsselbegriffe verwendet: Teilhabe, Gemeinschaft und Sendung. Sie entspringen aus einem demütigen Herzen. Ohne Demut kann man weder Teilhabe, noch Gemeinschaft oder Sendung erreichen. Diese Begriffe geben die drei Anforderungen wieder, die ich als einen Stil der Demut bezeichnen möchte, den wir hier in der Kurie anstreben sollten. Drei Weisen, den Weg der Demut konkret in die Praxis umzusetzen.

Zunächst einmal die Teilhabe. Diese sollte durch einen Stil der Mitverantwortung zum Ausdruck gebracht werden. Natürlich sind die Zuständigkeiten bei der Vielfalt der Rollen und Ämter unterschiedlich, aber es wäre wichtig, dass jeder spüren kann, an der Arbeit teilzuhaben und dafür mitverantwortlich zu sein, und nicht nur die entpersönlichende Erfahrung zu machen, ein von jemand anderem aufgestelltes Programm auszuführen. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich in der Kurie auf Kreativität stoße – ich finde sie, und das gefällt mir –, und nicht selten zeigt sie sich vor allem dort, wo Raum für alle gelassen und gefunden wird, auch für diejenigen, die hierarchisch einen Platz am Rand einzunehmen scheinen. Ich danke für diese Vorbilder und ermutige euch, daran zu arbeiten, dass wir eine konkrete Dynamik entwickeln können, bei der jeder wahrnimmt, dass er aktiv an der Sendung beteiligt ist, die er zu erfüllen hat. Die Autorität wird zum Dienst, wenn sie teilt, einbezieht und hilft zu wachsen.

Das zweite Wort ist Gemeinschaft. Sie drückt sich nicht durch Mehrheiten oder Minderheiten aus, sondern entsteht im Wesentlichen aus einer Beziehung zu Christus. Wir werden nie einen dem Evangelium gemäßen Stil in unserem Umfeld erreichen, wenn wir nicht Christus wieder in den Mittelpunkt stellen, und nicht diese Gruppierung oder jene andere, nicht diese Meinung und nicht jene andere: Christus im Mittelpunkt. Viele von uns arbeiten zusammen, aber was die Gemeinschaft stärkt, ist auch die Möglichkeit, gemeinsam zu beten, dem Wort Gottes zuzuhören, Beziehungen aufzubauen, die über die bloße Arbeit hinausgehen, und die Bande des Guten zu stärken – Bande des Guten unter uns –, indem man sich gegenseitig hilft. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir nur Fremde sind, die zusammenarbeiten, Konkurrenten, die versuchen, eine bessere Stellung für sich zu erlangen, oder, schlimmer noch, dass dort, wo Beziehungen entstehen, diese eher in Richtung Komplizenschaft zugunsten persönlicher Interessen gehen, wobei die gemeinsame Sache, die uns zusammenhält, in Vergessenheit gerät. Komplizenschaft schafft Spaltungen, schafft Parteiungen und schafft Feinde; Zusammenarbeit erfordert die Größe, die eigene Unvollständigkeit zu akzeptieren und offen zu sein für Teamarbeit, auch mit denen, die nicht so denken wie wir. In der Komplizenschaft steht man zusammen, um ein äußeres Ergebnis zu erzielen. In der Zusammenarbeit steht man zusammen, weil einem das Wohl des anderen am Herzen liegt und damit das Wohl des ganzen Volkes Gottes, dem zu dienen wir berufen sind: Vergessen wir nicht das konkrete Gesicht der Menschen, vergessen wir nicht unsere Wurzeln, das konkrete Gesicht derer, die unsere ersten Lehrer im Glauben waren. Paulus sagte zu Timotheus: „Erinnere dich an deine Mutter, erinnere dich an deine Großmutter“.

Die Perspektive der Gemeinschaft bringt gleichzeitig die Anerkennung der Vielfalt mit sich, die uns als Gabe des Heiligen Geistes innewohnt. Wann immer wir von diesem Weg abkommen und Gemeinschaft und Gleichförmigkeit als Synonyme leben, schwächen wir die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes unter uns und bringen sie zum Schweigen. Die Haltung des Dienens verlangt und, ich würde sagen, sie fordert von uns den Großmut und die Großzügigkeit, den vielgestaltigen Reichtum des Volkes Gottes anzuerkennen und freudig zu leben; und ohne Demut ist dies nicht möglich. Mir tut es gut, den Anfang von Lumen gentium zu lesen, jene Nummern 8, 12 …: das heilige Volk, das Gott treu ist. Diese Wahrheiten durchzulesen ist Sauerstoff für die Seele.

Das dritte Wort ist Sendung. Sie bewahrt uns davor, uns in uns selbst zurückzuziehen. Wer sich in sich selbst zurückzieht, »schaut von oben herab und aus der Ferne, weist die Prophetie der Brüder ab, bringt den, der ihn in Frage stellt, in Misskredit, hebt ständig die Fehler der anderen hervor und ist besessen vom Anschein. Er hat den Bezugspunkt des Herzens verkrümmt auf den geschlossenen Horizont seiner Immanenz und seiner Interessen, mit der Konsequenz, dass er nicht aus seinen Sünden lernt, noch wirklich offen ist für Vergebung. Das sind die Zeichen einer verschlossenen Persönlichkeit: sie lernt nichts aus ihren Sünden und ist nicht offen für die Vergebung. Es ist eine schreckliche Korruption mit dem Anschein des Guten. Man muss sie vermeiden, indem man die Kirche in Bewegung setzt, dass sie aus sich herausgeht, in eine auf Jesus Christus ausgerichtete Mission, in den Einsatz für die Armen» (Evangelii Gaudium, 97). Nur ein für die Mission offenes Herz gewährleistet, dass alles, was wir ad intra und ad extra tun, immer von der regenerierenden Kraft des Rufes des Herrn geprägt ist. Und die Mission bringt immer eine Leidenschaft für die Armen mit sich, d.h. für die, die bedürftig sind: diejenigen, die nicht nur in materieller Hinsicht bedürftig sind, sondern auch in geistlicher, emotionaler und moralischer Hinsicht. Diejenigen, die nach Brot hungern, und diejenigen, die nach Sinn hungern, sind gleichermaßen arm. Die Kirche ist aufgefordert, allen Armen entgegenzugehen und allen das Evangelium zu verkünden, weil wir alle auf die eine oder andere Weise arm sind, weil wir bedürftig sind. Aber auch die Kirche geht ihnen entgegen, weil wir ihrer bedürfen: Uns fehlt ihre Stimme, ihre Anwesenheit, ihre Fragen und Diskussionen. Derjenige, der ein missionarisches Herz hat, spürt, dass sein Bruder ihm fehlt, und macht sich in der Haltung eines Bettlers auf den Weg, um ihm zu begegnen. Die Sendung macht uns verwundbar – das ist schön, die Sendung macht uns verwundbar –, sie hilft uns, uns daran zu erinnern, dass wir Jünger sind und ermöglicht uns, die Freude des Evangeliums immer wieder neu zu entdecken.

Teilhabe, Mission und Gemeinschaft sind die Merkmale einer demütigen Kirche, die auf den Geist hört und ihren Mittelpunkt außerhalb ihrer selbst setzt. Henri de Lubac sagte: »Wie ihr Herr erscheint die Kirche der Welt als Sklavin. Hienieden lebt sie „in Sklavengestalt“. […] So wenig wie eine Gelehrtenakademie ist sie ein Kreis von durchaus Vergeistigten oder eine Versammlung von Übermenschen. Sie ist sogar ganz das Gegenteil. Hinkende, Krüppel und allerlei Armselige wimmeln da umher, dazu die Menge der Mittelmäßigen […] Dagegen ist es schwierig – für den naturgemäßen Menschen vor der Umkehr seines innersten Denkens sogar unmöglich –, in einem solchen Umstand die Vollendung der Heilskenose und die anbetungswürdige Spur der „Demut Gottes“ zu entdecken«.<ref>Betrachtung über die Kirche, Graz 1954, 211.</ref>

Abschließend möchte ich euch und allen voran mir wünschen, dass wir uns von der Demut der Weihnacht, von der Demut der Krippe, der Armut und der Besinnung auf das Wesentliche, mit der der Sohn Gottes in die Welt gekommen ist, evangelisieren lassen. Selbst die Sterndeuter, von denen wir mit Gewissheit annehmen können, dass sie aus wohlhabenderen Verhältnissen stammten als Maria und Josef oder die Hirten von Betlehem, werfen sich angesichts des Kindes nieder (vgl. Mt 2,11). Sie werfen sich nieder. Es ist nicht nur eine Geste der Anbetung, es ist eine Geste der Demut. Die Sterndeuter stellen sich auf eine Stufe mit Gott, indem sie sich auf die bloße Erde niederwerfen. Und diese Kenosis, dieser Abstieg, diese synkatabasis ist dieselbe, die Jesus am letzten Abend seines irdischen Lebens vollziehen wird: »Er stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war« (vgl. Joh 13,4-5). Die Bestürzung, die diese Geste auslöst, ruft die Reaktion des Petrus hervor, aber schließlich gibt Jesus selbst seinen Jüngern den richtigen Verständnisschlüssel: »Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe« (Joh 13,13-15).

Liebe Brüder und Schwestern, erinnern wir uns an unseren Aussatz, meiden wir die Logik der Weltlichkeit, die uns die Wurzeln und Sprosse raubt, und lassen wir uns von der Demut des Jesuskindes evangelisieren. Nur wenn wir dienen und unsere Arbeit als Dienst verstehen, können wir wirklich für alle nützlich sein. Wir sind hier - ich als Erster - um zu lernen, niederzuknien und den Herrn in seiner Demut anzubeten und nicht andere Herren in ihrem leeren Prunk. Wir sind wie die Hirten, wir sind wie die Heiligen Drei Könige, wir sind wie Jesus. Das ist die Lehre von Weihnachten: Die Demut ist die große Voraussetzung für den Glauben, für das geistliche Leben, für die Heiligkeit. Möge der Herr uns diese Gabe geben, ausgehend vom anfänglichen Zeichen des Geistes in uns: dem Verlangen. Was wir nicht haben, können wir zumindest anfangen zu verlangen. Und den Herrn um die Gnade bitten, verlangen zu können, Männer und Frauen zu werden mit großem Verlangen. Und das Verlangen ist bereits der Geist, der in jedem von uns wirkt.

Frohe Weihnachten an alle! Und bitte, betet für mich. Danke!

Als Erinnerung an dieses Weihnachtsfest möchte ich euch ein paar Bücher zurücklassen … Um sie zu lesen, nicht um sie in die Bibliothek zu stellen für unsere Angehörigen, die einmal unser Erbe erhalten! Als Erstes ist da ein Buch eines großen Theologen, der unbekannt ist, weil er viel zu demütig ist, ein Untersekretär der Glaubenskongregation, Monsignore Armando Matteo, der ein wenig über ein soziales Phänomen nachdenkt und wie man die Seelsorgetätigkeit anstoßen kann. Das Buch heißt Convertire Peter Pan. Sul destino della fede in questa società dell’eterna giovinezza („Peter Pan bekehren. Über das Schicksal des Glaubens in dieser Gesellschaft der ewigen Jugend“). Es ist provokativ, aber das tut gut. Das zweite Buch handelt von biblischen Personen, die als zweitrangig oder vergessen gelten. Es ist von Pater Luigi Maria Epicoco geschrieben und trägt den Titel La pietra scartata („Der verworfene Stein“) mit dem Untertitel Quando i dimenticati si salvano („Wann die Vergessenen erlöst werden“). Ein schönes Buch. Es eignet sich zum Meditieren und zum Beten. Als ich es las, kam mir die Geschichte von Naaman, dem Syrer, in den Sinn, die ich vorhin erwähnt habe. Und das dritte Buch ist von einem Apostolischen Nuntius, Erzbischof Fortunatus Nwachukwu, den ihr gut kennt. Er hat eine Reflexion über den „Klatsch und Tratsch“ geschrieben. Es gefällt mir das Bild, das er dabei zeichnet: dass das Gerede dazu führt, dass sich die Identität der Person „auflöst“. Ich lasse euch diese drei Bücher und hoffe, dass sie allen hilfreich sind, den Horizont zu erweitern. Danke! Danke für euren Einsatz und eure Mitarbeit. Danke.

Und bitten wir die Mutter der Demut, uns zu lehren, wie man demütig ist: „Gegrüßet seist Du Maria …“

[Segen]

2022

Segnungsaula, Donnerstag, 22. Dezember 2021 Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Herr schenkt uns einmal mehr die Gnade, das Geheimnis seiner Geburt zu feiern. Jedes Jahr können wir zu Füßen des Kindes in der Krippe (vgl. Lk 2,12) unser Leben in diesem besonderen Licht betrachten. Es ist nicht das Licht der Herrlichkeit dieser Welt, sondern »das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1,9). Die Demut des Gottessohnes, der in unser menschliches Dasein eintritt, ist uns eine Schule für unseren Bezug zur Wirklichkeit. So wie er die Armut wählt, die nicht einfach die Abwesenheit von Gütern ist, sondern Wesentlichkeit, so ist auch jeder von uns aufgerufen, sich auf das Wesentliche in seinem Leben zu besinnen, alles Überflüssige abzuwerfen, das auf dem Weg der Heiligkeit zum Hindernis werden kann. Und um diesen Weg der Heiligkeit wird nicht gefeilscht.

2. Es ist jedoch wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass wir beim Überdenken unseres Lebens oder der verbrachten Zeit immer von der Erinnerung an das Gute ausgehen müssen. Denn nur wenn wir uns des Guten bewusst sind, das der Herr an uns getan hat, können wir auch das Böse benennen, das wir getan oder erlitten haben. Wenn wir uns unserer Armut bewusst wären, ohne uns zugleich auch der Liebe Gottes bewusst zu sein, würde uns das erdrücken. In diesem Sinne ist die innere Haltung, der wir mehr Bedeutung beimessen sollten, die Dankbarkeit.

Um uns zu erklären, worum es dabei geht, erzählt uns das Evangelium die Geschichte der zehn Aussätzigen, die alle von Jesus geheilt wurden; nur einer kehrte jedoch zurück, um zu danken, und zwar ein Samariter (vgl. Lk 17,11-19). Das Danksagen ermöglicht diesem Mann neben der körperlichen Genesung auch das vollständige Heil (vgl. V. 19). Das heißt, die Begegnung mit dem Guten, das Gott ihm gewährt hat, bleibt nicht an der Oberfläche, sondern berührt das Herz. Genauso ist es: Ohne eine ständige Übung der Dankbarkeit würden wir nur eine Liste unserer Schwächen erstellen und das Wichtigste übersehen, nämlich die Gnaden, die der Herr uns jeden Tag gewährt.

3. Im vergangenen Jahr ist vieles geschehen, und wir möchten vor allem Gott für all die Wohltaten danken, die er uns gewährt hat. Aber wir hoffen, dass sich unter all diesen Wohltaten auch unsere Bekehrung befindet. Sie ist nie eine abgeschlossene Sache. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist der Gedanke, dass wir keine Bekehrung mehr brauchen, sowohl auf persönlicher als auch auf gemeinschaftlicher Ebene.

Bekehrung bedeutet, zu lernen, die Botschaft des Evangeliums immer ernster zu nehmen und zu versuchen, sie in unserem Leben in die Tat umzusetzen. Es geht nicht bloß darum, vom Bösen Abstand zu nehmen, sondern so viel Gutes wie möglich zu tun: das bedeutet, sich zu bekehren. Angesichts des Evangeliums bleiben wir immer wie lernbedürftige Kinder. Wenn wir glauben, alles gelernt zu haben, verfallen wir in geistlichen Hochmut.

Dieses Jahr sind es sechzig Jahre seit dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils. Was war das Ereignis des Konzils anderes als eine große Gelegenheit zur Umkehr für die ganze Kirche? Der heilige Johannes XXIII. sagte in diesem Zusammenhang: »Nicht das Evangelium verändert sich, sondern wir beginnen, es besser zu verstehen«. Die Umkehr, die uns das Konzil geschenkt hat, war der Versuch, das Evangelium besser zu verstehen, es in diesem historischen Augenblick aktuell, lebendig und wirksam werden zu lassen.

So fühlten wir uns, wie schon mehrfach in der Kirchengeschichte geschehen, auch in unserer Zeit als Gemeinschaft der Gläubigen zur Umkehr aufgerufen. Und dieser Weg ist keineswegs abgeschlossen. Das gegenwärtige Nachdenken über die Synodalität der Kirche entspringt gerade der Überzeugung, dass der Weg zum Verständnis der Botschaft Christi nie zu Ende ist und uns ständig herausfordert.

Das Gegenteil von Bekehrung ist die Fixierung, d.h. die versteckte Überzeugung, dass wir kein tieferes Verständnis des Evangeliums benötigen. Es ist der Fehler, die Botschaft Jesu auf eine einzige, allzeit gültige Form festlegen zu wollen. Die Form jedoch muss sich immer wieder verändern können, damit die Substanz dieselbe bleibt. Die wahre Häresie besteht nicht nur darin, ein anderes Evangelium zu predigen (vgl. Gal 1,9), wie Paulus sagt, sondern auch darin, es nicht mehr in die jeweils aktuelle Sprache und Kultur zu übersetzen, und der Apostel der Völker hat gerade das getan. Bewahren bedeutet, die Botschaft Christi lebendig zu halten und nicht, sie einzusperren.

4. Das eigentliche Problem, das wir oft vergessen, besteht jedoch darin, dass die Bekehrung uns nicht nur das Böse vor Augen führt, damit wir uns für das Gute entscheiden, sondern das sie gleichzeitig das Böse antreibt, sich weiterzuentwickeln, immer heimtückischer zu werden und sich auf neue Art und Weise zu tarnen, damit es uns schwerfällt, es zu erkennen. Es ist ein wirklicher Kampf. Der Versucher kehrt immer wieder zurück, und er kommt verkleidet.

Jesus verwendet im Evangelium einen Vergleich, der uns hilft, dieses Muster zu verstehen, das zeitlich wie auch von seiner Art her immer verschieden ist: »Solange ein bewaffneter starker Mann seinen Hof bewacht, ist sein Besitz sicher; wenn ihn aber ein Stärkerer angreift und besiegt, dann nimmt ihm der Stärkere seine ganze Rüstung, auf die er sich verlassen hat, und verteilt seine Beute« (Lk11,21-22). Unser erstes großes Problem ist, dass wir zu sehr auf uns selbst, auf unsere Strategien und Programme vertrauen. Das ist die pelagianische Geisteshaltung, von der ich schon oft gesprochen habe. Dann sind manche Misserfolge eine Gnade, weil sie uns daran erinnern, dass wir nicht auf uns selbst vertrauen dürfen, sondern nur auf den Herrn. Manches Scheitern, auch als Kirche, ist eine gute Erinnerung daran, Christus wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Denn »wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut« (Lk 11,23). So einfach ist das.

Liebe Brüder und liebe Schwestern, es ist zu wenig, das Böse anzuprangern, auch das, welches sich unter uns breitmacht. Es ist an uns, uns angesichts des Bösen für die Umkehr zu entscheiden. Das bloße Anprangern mag uns die Illusion vermitteln, dass wir das Problem gelöst haben, doch in Wirklichkeit geht es darum, Veränderungen zu bewirken, die uns erlauben, uns nicht länger von der Logik des Bösen, die sehr oft eine weltliche Logik ist, gefangen halten zu lassen. In diesem Sinne ist eine der nützlichsten Tugenden, die es zu üben gilt, die der Wachsamkeit. Jesus beschreibt die Notwendigkeit dieser Aufmerksamkeit uns selbst und der Kirche gegenüber – die Notwendigkeit der Wachsamkeit – durch ein wirkungsvolles Beispiel. Er sagt: »Wenn ein unreiner Geist aus dem Menschen ausfährt, durchwandert er wasserlose Gegenden, um eine Ruhestätte zu suchen, findet aber keine. Dann sagt er: Ich will in mein Haus zurückkehren, das ich verlassen habe. Und er kommt und findet es sauber und geschmückt. Dann geht er und holt sieben andere Geister, die noch schlimmer sind als er selbst. Sie ziehen dort ein und lassen sich nieder. Und die letzten Dinge jenes Menschen werden schlimmer sein als die ersten« (Lk 11,24-26). Unsere erste Bekehrung bringt eine gewisse Ordnung mit sich: Das Böse, das wir erkannt und versucht haben, aus unserem Leben auszurotten, geht tatsächlich von uns weg; aber es ist naiv zu glauben, dass es für lange Zeit fernbleibt. In Wirklichkeit kehrt es nach einer Weile in einem neuen Gewand wieder. Wirkte es früher grob und gewalttätig, so verhält es sich jetzt eleganter und höflicher. Dann müssen wir es erneut erkennen und entlarven. Erlaubt mir diesen Ausdruck: das sind die „gut erzogenen Dämonen“: Sie kommen höflich herein, ohne dass ich es bemerke. Nur die tägliche Praxis der Gewissenserforschung kann uns dies bewusstmachen. Daran sieht man die Bedeutung der Gewissenserforschung, um unser Haus zu bewachen.

Im 17. Jahrhundert zum Beispiel gab es den berühmten Fall der Nonnen von Port-Royal. Eine ihrer Äbtissinnen, Mutter Angélique, hatte gut begonnen: Sie hatte sich und das Kloster „charismatisch“ reformiert und sogar die Eltern aus der Klausur verwiesen. Sie war eine begabte Frau, geboren, um zu leiten, doch dann sie wurde zur Seele des jansenistischen Widerstands und zeigte eine unnachgiebige Härte auch gegenüber der kirchlichen Autorität. Von ihr und ihren Nonnen wurde gesagt: „Rein wie Engel, stolz wie Dämonen“. Sie hatten den Teufel ausgetrieben, aber er war dann siebenmal stärker zurückgekehrt und hatte unter dem Deckmantel von Entsagung und Strenge Starrheit und die Anmaßung mitgebracht, besser zu sein als andere. Er kehrt immer wieder zurück: der ausgetriebene Teufel kehrt zurück; zwar verkleidet, aber er kehrt zurück. Seien wir wachsam!

5. Jesus erzählt im Evangelium viele Gleichnisse, die sich vor allem an die Mustergültigen, an die Schriftgelehrten und Pharisäer richten, um die Täuschung aufzudecken, der man erliegt, wenn man sich selbst für gerecht hält und andere verachtet (vgl. Lk 18,9). So erzählt er in den sogenannten Gleichnissen des Erbarmens (vgl. Lk 15) nicht nur die Geschichten vom verlorenen Schaf oder vom jüngeren Sohn jenes armen Vaters, der von seinem Sohn behandelt wird als sei er gestorben. All das erinnert uns daran, dass die erste Art der Sünde darin besteht, wegzugehen, in die Irre zu gehen, Dinge zu tun, die offensichtlich falsch sind; er spricht in diesen Gleichnissen aber auch von der verlorenen Drachme und dem älteren Sohn. Der Vergleich ist treffend: Man kann auch zu Hause verlieren, wie im Fall der Münze dieser Frau; und man kann unglücklich leben, auch wenn man formal innerhalb der Grenzen seiner Pflicht bleibt, wie es dem älteren Sohn des barmherzigen Vaters ergeht. Während es für diejenigen, die weggehen, leicht ist, den Abstand wahrzunehmen, ist es für diejenigen, die zu Hause bleiben, schwierig zu erkennen, wie sehr man in der Hölle lebt, weil man davon überzeugt ist, dass man nur ein Opfer ist, das von der vorgesetzten Autorität und letztlich von Gott selbst ungerecht behandelt wird. Und wie oft passiert uns das hier, zu Hause!

Liebe Brüder und Schwestern, es wird uns allen schon passiert sein, dass wir uns wie dieses Schaf verirrt haben oder dass wir uns von Gott abgewandt haben wie der jüngere Sohn. Es sind Sünden, die uns gedemütigt haben, und gerade deshalb konnten wir uns ihnen durch Gottes Gnade direkt stellen. Doch die große Vorsicht, die wir in diesem Augenblick unserer Existenz walten lassen müssen, rührt daher, dass unser gegenwärtiges Leben formell zu Hause stattfindet, innerhalb der Mauern der Institution, im Dienst des Heiligen Stuhls, im Herzen der Kirche; und gerade deshalb könnten wir der Versuchung erliegen, zu denken, dass wir in Sicherheit sind, dass wir besser sind, dass wir uns nicht mehr bekehren müssen.

Wir sind in größerer Gefahr als alle anderen, weil wir vom „gut erzogenen Dämon“ versucht werden, der nicht lärmend daherkommt, sondern Blumen mitbringt. Entschuldigt, liebe Brüder und Schwestern, wenn ich manchmal Dinge sage, die hart und streng klingen; es ist nicht so, dass ich nicht an den Wert von Sanftheit und Zärtlichkeit glaube, sondern weil es gut ist, Zärtlichkeiten für die Müden und Bedrängten zu reservieren und den Mut zu finden, „die Getrösteten zu betrüben“, wie der Diener Gottes Don Tonino Bello zu sagen pflegte, denn manchmal ist ihr Trost nur eine Täuschung des Teufels und keine Gabe des Geistes.

6. Ein letztes Wort möchte ich dem Thema Frieden widmen. Der Prophet Jesaja gibt dem Messias unter anderem den Titel »Fürst des Friedens« (9,5). Niemals verspüren wir eine so große Sehnsucht nach Frieden wie in diesem Augenblick. Ich denke dabei an die leidgeprüfte Ukraine, aber auch an die vielen Konflikte, die in verschiedenen Teilen der Welt stattfinden. Krieg und Gewalt sind immer eine Niederlage. Die Religion darf nicht dazu dienen, Konflikte zu schüren. Das Evangelium ist immer das Evangelium des Friedens, und im Namen keines Gottes kann ein Krieg für „heilig“ erklärt werden.

Wo Tod, Spaltung, Konflikt und Leid von Unschuldigen herrschen, da können wir nur den gekreuzigten Jesus erkennen. Und in diesem Moment wünsche ich mir, dass wir gerade an die denken, die am meisten leiden. Dabei helfen uns die Worte Dietrich Bonhoeffers, der aus dem Gefängnis, in dem er inhaftiert war, schrieb: »Vom Christlichen her gesehen, kann ein Weihnachten in der Gefängniszelle ja kein besonderes Problem sein. Wahrscheinlich wird in diesem Haus hier von Vielen ein sinnvolleres und echteres Weihnachten gefeiert werden als dort, wo man nur noch den Namen dieses Festes hat. Dass Elend, Leid, Armut, Einsamkeit, Hilfslosigkeit und Schuld vor den Augen Gottes etwas ganz andere bedeuten als im Urteil der Menschen, dass Gott sich gerade dorthin wendet, wo die Menschen sich abzuwenden pflegen, dass Christus im Stall geboren wurde, weil er sonst keinen Raum in der Herberge fand, - das begreift ein Gefangener besser als ein anderer und das ist für ihn wirklich eine frohe Botschaft« (Widerstand und Ergebung, Kaiser Verlag, München 1985, 186).

7. Liebe Brüder und Schwestern, die Kultur des Friedens wird nicht nur zwischen Völkern und Nationen aufgebaut. Sie beginnt im Herzen eines jeden von uns. Während wir unter dem Wüten der Kriege und der Gewalt leiden, können und müssen wir unseren Beitrag zum Frieden leisten, indem wir versuchen, jede Wurzel des Hasses und des Grolls gegenüber unseren Brüdern und Schwestern, die unsere Nachbarn sind, aus unseren Herzen auszureißen. Im Epheserbrief lesen wir diese Worte, die wir auch in der Komplet wiederfinden: »Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat« (4,31-32). Wir können uns fragen: Wie viel Bitterkeit ist in unserem Herzen? Wovon wird sie genährt? Was ist die Quelle der Wut, die oft Distanz zwischen uns schafft und Zorn und Groll schürt? Warum wird die Lästerei in all ihren Ausprägungen zur einzigen Art und Weise, wie wir über die Wirklichkeit sprechen?

Wenn wir wirklich wollen, dass das Kriegsgeschrei aufhört und dem Frieden Platz macht, dann müssen wir bei uns selbst anfangen. Der heilige Paulus sagt uns deutlich, dass Güte, Barmherzigkeit und Vergebung die Medizin sind, die wir haben, um Frieden zu schaffen.

Wohlwollen bedeutet, immer eine gute Weise im Umgang miteinander zu wählen. Es gibt nicht nur Waffengewalt, sondern auch verbale Gewalt, psychologische Gewalt, die Gewalt des Machtmissbrauchs, die versteckte Gewalt des Geschwätzes, die so weh tun und so viel zerstören. Vor dem Friedensfürsten, der in die Welt kommt, lasst uns jedwede Waffe ablegen. Niemand soll seine Position und seine Rolle ausnutzen, um den anderen vor den Kopf zu stoßen.

Barmherzigkeit bedeutet zu akzeptieren, dass der andere auch seine Grenzen hat. Auch hier ist es richtig, einzuräumen, dass Menschen und Institutionen, gerade weil sie menschlich sind, auch begrenzt sind. Eine reine Kirche für die Reinen ist nur eine Wiederauflage der katharischen Häresie. Wäre dem nicht so, hätten uns das Evangelium und allgemein die Bibel nicht von den Grenzen und Schwächen vieler Menschen erzählt, die wir heute als Heilige verehren.

Vergebung bedeutet schließlich immer, eine weitere Chance zu gewähren, d.h. zu verstehen, dass man heilig wird, indem man es immer wieder neu versucht. Gott geht so mit jedem von uns vor, er vergibt uns immer wieder, stellt uns immer wieder auf die Beine und gibt uns eine weitere Chance. Unter uns muss es genauso sein. Liebe Brüder und Schwestern, Gott wird nie müde, zu verzeihen, wir sind es, die müde werden, um Verzeihung zu bitten.

Jeder Krieg hat, wenn er beendet werden soll, Vergebung nötig, sonst wird die Gerechtigkeit zur Rache, und die Liebe wird nur als eine Form der Schwäche gesehen.

Gott wurde ein Kind, und dieses Kind ließ sich, erwachsen geworden, an das Kreuz nageln. Es gibt nichts Schwächeres als einen gekreuzigten Menschen, und doch hat sich in dieser Schwäche die Allmacht Gottes offenbart. In der Vergebung wirkt immer Gottes Allmacht. Lasst also Dankbarkeit, Umkehr und Frieden die Geschenke dieses Weihnachtsfestes sein.

Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten! Und ich bitte euch noch einmal, nicht zu vergessen, für mich zu beten. Danke!

2023

Segnungsaula Donnerstag, 21. Dezember 2023 Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite auch in: OR 5. Januar 2024, S. 6+7.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Zunächst einmal möchte ich Kardinal Re für seine Worte danken; und auch für die Energie: ein 90-Jähriger mit dieser Energie! Weiter so, Kopf hoch! Danke, Kardinal.

Das Weihnachtsgeheimnis weckt in unseren Herzen erneut das Staunen – ein Schlüsselwort – über eine unerwartete Botschaft: Gott kommt, Gott ist hier mitten unter uns und sein Licht hat die Finsternis der Welt für immer durchbrochen. Wir haben es dringend nötig, diese Kunde immer wieder zu hören und zu empfangen, vor allem in einer Zeit, die traurigerweise immer noch von der Gewalt der Kriege, von epochalen Gefahren, denen wir durch den Klimawandel ausgesetzt sind, von Armut, von Leid, von Hunger – es herrscht viel Hunger in der Welt – und von manch anderen Wunden unserer Geschichte geprägt ist. Es ist tröstlich zu entdecken, dass Gott selbst an diesen „Orten“ des Schmerzes, wie an allen Orten unseres schwachen Menschseins, in dieser Wiege gegenwärtig wird, in der Krippe, die er heute wählt, um geboren zu werden und allen die Liebe des Vaters zu bringen; und er tut dies in der Art Gottes: mit Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit.

Meine Lieben, wir müssen auf die Verkündigung des Gottes, der kommt, hören, die Zeichen seiner Gegenwart erkennen und uns für sein Wort entscheiden, indem wir ihm folgen. Hören, unterscheiden, sich bewegen: drei Verben für unseren Glaubensweg und für den Dienst, den wir hier in der Kurie tun. Ich möchte sie euch durch einige der Hauptfiguren der Weihnachtsgeschichte nahebringen.

Da ist vor allem Maria, die uns an das Zuhören erinnert. Das Mädchen aus Nazaret, das denjenigen in den Armen hält, der gekommen ist, um die Welt zu umarmen, ist die hörende Jungfrau, weil sie der Botschaft des Engels Gehör geschenkt und ihr Herz für den Plan Gottes geöffnet hat. Sie erinnert uns daran, dass das erste große Gebot lautet: »Höre Israel« (Dtn 6,4), denn vor jedem weiteren Gebot ist es wichtig, in Beziehung zu Gott zu treten und das Geschenk seiner entgegenkommenden Liebe anzunehmen. Hören ist in der Tat ein biblisches Wort, das sich nicht nur auf das Hörvermögen bezieht, sondern die Miteinbeziehung des Herzens und damit des Lebens selbst beinhaltet. Der heilige Benedikt beginnt seine Regel so: »Höre, mein Sohn« (Regel, Prolog, 1). Mit dem Herzen hören ist viel mehr als das Hören einer Nachricht oder der Austausch von Informationen; es geht um ein inneres Hören, das imstande ist, die Wünsche und Bedürfnisse des anderen wahrzunehmen, und fähig zu einer Beziehung, die von uns verlangt, die Schablonen und Vorurteile zu überwinden, mit denen wir das Leben unserer Mitmenschen manchmal in Schubladen stecken. Das Hören ist immer der Beginn eines Weges. Der Herr verlangt von seinem Volk dieses Hören des Herzens, eine Beziehung zu ihm, dem lebendigen Gott.

Und von dieser Art ist das Hören der Jungfrau Maria, die die Botschaft des Engels in Offenheit, in völliger Offenheit aufnimmt und die gerade deshalb die Verwirrung und die Fragen, die sie in ihr auslöst, nicht verbirgt, sondern sich bereitwillig auf die Beziehung zu Gott, der sie erwählt hat, einlässt, indem sie seinem Plan zustimmt. Es gibt einen Dialog und es gibt Gehorsam. Maria begreift, dass sie Empfängerin eines unschätzbaren Geschenks ist, und auf Knien, d.h. demütig und staunend hört sie zu. „Auf Knien“ zuhören ist die beste Art und Weise, wirklich zuzuhören, denn es bedeutet, dass wir den anderen nicht mit der Haltung derer begegnen, die meinen, schon alles zu wissen, derer, für die schon alles klar ist, bevor sie überhaupt zugehört haben, derer, die von oben herabblicken; vielmehr bedeutet es, sich für das Geheimnis des anderen zu öffnen, bereit, demütig das zu empfangen, was er uns anvertrauen will. Vergessen wir nicht, dass es nur eine einzige Gelegenheit gibt, bei der es erlaubt ist, auf eine Person herabzuschauen: nur um ihr zu helfen sich zu erheben. Das ist die einzige Gelegenheit, bei der es erlaubt ist, auf eine Person herabzuschauen.

Manchmal laufen wir auch in der Kommunikation untereinander Gefahr, uns wie reißende Wölfe zu verhalten: Wir versuchen sofort, die Worte des anderen zu verschlingen, ohne wirklich zuzuhören, und stülpen ihm sofort unsere Eindrücke und Urteile über. Einander zuzuhören erfordert stattdessen eine innere Stille, aber auch einen Raum der Stille zwischen dem Hören und dem Antworten. Das ist kein „Pingpong“. Zuerst hören wir zu, dann nehmen wir in Stille auf, reflektieren, interpretieren und erst dann können wir eine Antwort geben. All das lernen wir im Gebet, denn es weitet das Herz, holt unseren Egozentrismus von seinem Sockel, erzieht uns dem anderen zuzuhören und bewirkt in uns die Stille der Kontemplation. Wir lernen die Kontemplation im Gebet, kniend vor dem Herrn, aber nicht nur mit den Beinen kniend, sondern mit dem Herzen kniend! Auch in unserer Arbeit als Kurie »müssen [wir] ihn jeden Tag anflehen, seine Gnade erbitten, dass er unser kaltes Herz aufbreche und unser laues und oberflächliches Leben aufrüttle. [...] Dazu ist es notwendig, einen kontemplativen Geist wiederzuerlangen, der uns jeden Tag neu entdecken lässt, dass wir Träger eines Gutes sind, das menschlicher macht und hilft, ein neues Leben zu führen. Es gibt nichts Besseres, das man an die anderen weitergeben kann« (Evangelii gaudium, 264).

Brüder und Schwestern, auch in der Kurie muss man die Kunst des Hörens lernen. Noch vor unseren täglichen Pflichten und Tätigkeiten, vor allem noch vor den Positionen, die wir bekleiden, müssen wir den Wert der Beziehungen wiederentdecken und versuchen, sie von Formalismen zu befreien und sie mit dem Geist des Evangeliums zu beleben, vor allem indem wir einander zuhören. Mit dem Herzen und kniend. Hören wir aufeinander, ohne Vorurteile, mit Offenheit und Aufrichtigkeit; mit einem geneigten Herzen. Hören wir einander zu und versuchen wir, das, was unser Bruder sagt, sowie seine Bedürfnisse und in gewisser Weise sein Leben zu verstehen, das sich hinter jenen Worten verbirgt – ohne zu urteilen. So, wie es der heilige Ignatius weise rät: »[Es] ist vorauszusetzen, dass jeder gute Christ bereitwilliger sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht; und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie gut versteht, gerettet werde« (Geistliche Übungen, 22). Es ist eine anstrengende Arbeit, den anderen gut zu verstehen. Und ich wiederhole: Zuhören ist etwas anderes als nur hören. Wenn wir durch die Straßen unserer Städte gehen, können wir viele Stimmen und viele Geräusche hören, aber wir hören im Allgemeinen nicht auf sie, wir verinnerlichen sie nicht, und sie verbleiben nicht in uns. Es ist eine Sache, einfach nur etwas zu hören und es ist eine andere Sache, zuzuhören, was auch bedeutet, etwas „in sich aufzunehmen“.

Das gegenseitige Zuhören hilft uns, die Unterscheidung zur Methode unseres Handelns zu machen. Und hier können wir bezugnehmen auf Johannes den Täufer. Erst die Gottesmutter, die zuhört, jetzt Johannes, der unterscheidet. Wir kennen die Bedeutung dieses Propheten, die Strenge und Eindringlichkeit seiner Predigt. Doch als Jesus kommt und sein Wirken beginnt, macht Johannes eine dramatische Glaubenskrise durch; er hatte das baldige Kommen des Herrn als das eines mächtigen Gottes angekündigt, der die Sünder endlich richten würde, indem er jeden Baum, der keine Früchte hervorbringt, ins Feuer wirft und die Spreu in einem nie erlöschenden Feuer verbrennt (vgl. Mt 3,10-12). Doch dieses Bild des Messias zerbricht angesichts der Gesten, der Worte und der Haltung Jesu, angesichts des Mitgefühls und der Barmherzigkeit, die er allen entgegenbringt. Da spürt der Täufer, dass er unterscheiden muss, um mit neuen Augen sehen zu können. Im Evangelium heißt es nämlich: »Johannes hörte im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?« (Mt 11,2-3). Kurz gesagt, Jesus war nicht so, wie er es erwartete, und deshalb muss sich auch der Vorläufer zur neuen Wirklichkeit des Reiches Gottes bekehren und die Demut und den Mut aufbringen zu unterscheiden.

Für uns alle ist also die Unterscheidung wichtig, diese Kunst des geistlichen Lebens, die uns von der Anmaßung befreit, schon alles zu wissen; von der Gefahr, zu glauben, es reiche aus, die Regeln anzuwenden; von der Versuchung, auch im Leben der Kurie, einfach nach den immer selben Mustern vorzugehen, ohne zu bedenken, dass das Geheimnis Gottes uns immer übersteigt und dass das Leben der Menschen und die Wirklichkeit, die uns umgibt, den Ideen und Theorien immer überlegen sind und bleiben. Das Leben ist den Ideen überlegen, immer. Wir müssen uns in der geistlichen Unterscheidung üben, den Willen Gottes erforschen, die inneren Regungen unseres Herzens hinterfragen, um dann die zu treffenden Entscheidungen abzuwägen. Kardinal Martini schrieb: »Unterscheidung ist etwas ganz anderes als die penible Genauigkeit derer, die in legalistischer Verflachung oder mit einem Anspruch auf Perfektionismus leben. Sie ist ein Impuls der Liebe, der zwischen dem Guten und dem Besseren unterscheidet, zwischen dem an sich Nützlichen und dem jetzt Nützlichen, zwischen dem, was im Allgemeinen gut sein kann, und dem, wofür man sich jetzt einsetzen muss«. Und er ergänzte: »Der Mangel an Anstrengung, das Bessere zu erkennen, macht das pastorale Leben oft eintönig und repetitiv: religiöse Aktivitäten werden vervielfacht, traditionelle Riten werden wiederholt, ohne dass man ihre Bedeutung recht erkennt« (Il Vangelo di Maria, Mailand 2008, 21). Die Unterscheidung muss uns auch bei der Arbeit an der Kurie dabei helfen, dem Heiligen Geist zu folgen, so dass wir in der Lage sind, Wege zu wählen und Entscheidungen zu treffen, die nicht weltlichen Kriterien folgen oder einfach nur auf der Anwendung von Vorschriften beruhen, sondern dem Evangelium entsprechen.

Zuhören: Maria. Unterscheiden: Johannes der Täufer. Und jetzt das dritte Wort: sich bewegen. Und hier denken wir natürlich an die Sterndeuter. Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, sich auf den Weg zu machen. Wenn wir die Freude des Evangeliums wirklich annehmen, löst sie in uns die Bewegung der Nachfolge aus, indem sie ein echtes Herausgehen aus uns selbst bewirkt und uns aufbrechen lässt zur Begegnung mit dem Herrn und zur Fülle des Lebens. Das Herausgehen aus uns selbst: Eine Haltung in unserem geistlichen Leben, die wir immer wieder überprüfen müssen. Der christliche Glaube – denken wir daran – möchte uns nicht in unseren Sicherheiten bestärken; er möchte nicht, dass wir es uns in oberflächlichen religiösen Gewissheiten bequem machen; und er möchte uns auch keine schnellen Antworten auf die komplexen Probleme des Lebens geben. Im Gegenteil, wenn Gott ruft, setzt er immer in Bewegung, so wie es bei Abraham, bei Mose, bei den Propheten und bei allen Jüngern des Herrn der Fall war. Er schickt uns auf eine Reise, er holt uns aus unseren Sicherheiten heraus, er stellt unsere Errungenschaften in Frage, und genau so befreit er uns, verwandelt er uns, erleuchtet er die Augen unseres Herzens, damit wir verstehen, zu welcher Hoffnung er uns berufen hat (vgl. Eph 1,18). Wie Michel de Certeau sagt, »ist derjenige ein Mystiker, der unterwegs nicht anhalten kann. [...] Die Sehnsucht bewirkt ein Überschreiten. Sie übersteigt, sie geht weiter und kennt keine festen Orte. Sie bringt dazu, immer weiter zu gehen, anderswohin« (Fabula Mistica. XVI-XVII secolo, Mailand 2008, 353).

Auch im Dienst hier in der Kurie ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben; nicht aufzuhören, die Wahrheit zu suchen und zu vertiefen; die Versuchung zu überwinden, stehen zu bleiben und innerhalb unserer umhegten Bereiche und Ängste „herumzuirren“. Ängste, Starrheit und schablonenhafte Wiederholung erzeugen eine Unbeweglichkeit, die den scheinbaren Vorteil hat keine Probleme zu schaffen – quieta non movere –, sie führen dazu, dass wir uns in unseren Labyrinthen im Kreis drehen, worunter dann der Dienst für die Kirche und die ganze Welt leidet, zu dem wir berufen sind. Und bleiben wir wachsam gegenüber einer ideologischen Fixiertheit, die uns oft unter dem Deckmantel guter Absichten von der Wirklichkeit trennt und an der Bewegung hindert. Stattdessen sind wir gerufen, wie die Sterndeuter aufzubrechen und uns auf den Weg zu begeben, dem Licht zu folgen, das uns immer weiterführen will und uns manchmal dazu bringt, unerforschte Pfade zu suchen und neue Wege zu beschreiten. Und vergessen wir nicht, dass die Reise der Sterndeuter – wie jeder Weg, von dem uns die Bibel erzählt – immer „von oben“ beginnt, auf einen Ruf des Herrn hin, auf ein Zeichen hin, das vom Himmel kommt, oder weil Gott selbst die Führung übernimmt und die Schritte seiner Kinder erleuchtet. Wenn also der Dienst, den wir tun, Gefahr läuft, zu verflachen, sich in Starrheit oder Mittelmäßigkeit zu verlieren, wenn wir uns in den Netzen der Bürokratie verfangen haben und uns so durchs Leben schlagen, sollten wir uns daran erinnern, nach oben zu schauen, von Gott her neu anzufangen, uns von seinem Wort erleuchten zu lassen, um immer wieder den Mut zum Neuanfang zu finden. Vergessen wir nicht, dass man aus Labyrinthen nur „von oben“ herausfindet.

Das Gehen, das Weitergehen erfordert Mut. Es ist eine Frage der Liebe. Es erfordert Mut, um zu lieben. Ich erinnere gern an die Gedanken eines eifrigen Priesters zu diesem Thema, die auch uns bei unserer Arbeit als Kurie helfen können. Er sagt, dass es schwierig ist, die Glut unter der Asche der Kirche wieder zu entfachen. Heute besteht die Schwierigkeit darin, die Leidenschaft an diejenigen weiterzuvermitteln, die sie schon lange verloren haben. Sechzig Jahre nach dem Konzil wird immer noch über die Unterscheidung zwischen „Progressiven“ und „Konservativen“ debattiert, aber das ist nicht der Unterschied: Tatsächlich ist der zentrale Unterschied der zwischen „Verliebten“ und „Gewöhnten“ besteht. Dies ist der Unterschied. Nur wer liebt, kann weitergehen.

Brüder und Schwestern, ich danke euch für eure Arbeit und euer Engagement. Lasst uns bei unserer Arbeit das Hören des Herzens pflegen und uns so in den Dienst des Herrn stellen, indem wir lernen, einander anzunehmen und einander zuzuhören; üben wir uns in der Unterscheidung, damit wir eine Kirche sind, die die Zeichen der Geschichte im Licht des Evangeliums zu deuten sucht, indem sie nach Lösungen sucht, die die Liebe des Vaters zum Ausdruck bringen; und lasst uns immer in Bewegung bleiben, mit Demut und Staunen, damit wir uns nicht einbilden bereits angekommen zu sein und damit die Sehnsucht nach Gott in uns nicht erlischt. Und ich danke euch sehr, vor allem für eure Arbeit, die ihr im Stillen verrichtet. Lasst uns nicht vergessen: zuhören, unterscheiden, sich bewegen. Maria, Johannes der Täufer und die Sterndeuter.

Der Herr Jesus, das fleischgewordene Wort, schenke uns die Gnade der Freude im demütigen und großherzigen Dienst. Und verlieren wir keinesfalls den Sinn für Humor, der ist gesund.

Ich wünsche euch gesegnete Weihnachten, auch für eure Lieben! Und sprecht vor der Krippe ein Gebet für mich. Danke vielmals!