Mosso dal vivo desiderio
Mosso dal vivo desiderio |
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Seiner Heiligkeit
Johannes Paul II.
zum 100. Jahrestag des Motu proprios Tra le sollecitudini
22. November 2003
(Offizieller italienischer Text: AAS 96 [2004/5] 256-265).
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
1. Vom lebhaften Wunsch getragen, »die Zierde des Hauses Gottes zu bewahren und zu fördern«, erließ mein Vorgänger, der hl. Pius X., vor 100 Jahren das Motu Proprio Tra le sollecitudini, das die Erneuerung der Kirchenmusik bei den gottesdienstlichen Feiern zum Gegenstand hatte. Er beabsichtigte damit, der Kirche konkrete Hinweise in diesem lebenswichtigen Bereich der Liturgie anzubieten, indem er diese »gleichsam als Rechtsbuch der Kirchenmusik«<ref> Pii X Pontificis Maximi Acta, Bd. I, S. 77. </ref> vorlegte. Auch diese Maßnahme gehörte zum Programm seines Pontifikates, das er in dem Wahlspruch »Instaurare omnia in Christo« (»Alles in Christus erneuern«) zusammengefaßt hatte.
Der 100. Jahrestag der Veröffentlichung des Dokuments bietet mir die Gelegenheit, die wichtige Rolle der Kirchenmusik in Erinnerung zu rufen, die der hl. Pius X. sowohl als Mittel zur Erhebung des Geistes zu Gott darstellt wie auch als wertvolle Hilfe für die Gläubigen in der »aktiven Teilnahme an den hochheiligen Geheimnissen und am öffentlichen und feierlichen Gebet der Kirche«.<ref> Ebd.</ref>
Die besondere Aufmerksamkeit, die es der Kirchenmusik zuzuwenden gilt, ergibt sich, daran erinnert der hl. Papst, aus der Tatsache, dass sie »als integrierender Bestandteil der feierlichen Liturgie an deren grundlegenden Zielsetzung teil hat, die die Verherrlichung Gottes und die Heiligung und geistliche Erbauung der Gläubigen ist«.<ref> Ebd., Nr. 1, S. 78.</ref> Indem sie den tiefen Sinn des heiligen Textes, an den sie engstens gebunden ist, interpretiert und ihm Ausdruck verleiht, vermag sie »dem Text selbst eine höhere Wirksamkeit zu verleihen, damit die Gläubigen … besser disponiert werden, in sich die Früchte der Gnade aufzunehmen, die der Feier der hochheiligen Geheimnisse eigen sind«.<ref> Ebd.</ref>
2. Diese grundlegende Auffassung wurde vom II. Ökumenischen Vatikanischen Konzil im Kapitel VI der Konstitution Sacrosanctum Concilium über die heilige Liturgie aufgegriffen, wo mit Klarheit die kirchliche Funktion der Kirchenmusik in Erinnerung gerufen wird: »Die überlieferte Musik der Gesamtkirche stellt einen Reichtum von unschätzbarem Wert dar, ausgezeichnet unter allen übrigen künstlerischen Ausdrucksformen vor allem deshalb, weil sie als der mit dem Wort verbundene gottesdienstliche Gesang einen notwendigen und integrierenden Bestandteil der feierlichen Liturgie ausmacht«.<ref> N. 112.</ref> Das Konzil erinnert ferner daran, dass »sowohl die Heilige Schrift wie die heiligen Väter den gottesdienstlichen Gesängen hohes Lob gespendet haben, desgleichen die römischen Päpste, die in der neueren Zeit im Gefolge des hl. Pius X. die dienende Aufgabe der Kirchenmusik im Gottesdienst mit größter Eindringlichkeit herausgestellt haben«.<ref> Ebd.</ref>
Tatsächlich hat die Kirche in Fortführung der alten biblischen Tradition, an die der Herr selbst wie auch die Apostel sich hielten (vgl. Mt 26,30; Eph 5,19; Kol 3,16), in ihrer ganzen Geschichte dem Gesang bei den liturgischen Feiern Vorrang gegeben und so entsprechend der Kreativität einer jeden Kultur Beispiele für einen melodischen Kommentar der heiligen Texte in den Riten sowohl des Westens als auch des Ostens geliefert.
Stets war ferner die Aufmerksamkeit meiner Vorgänger auf diesen anspruchsvollen Bereich gerichtet, für den sie die grundlegenden Prinzipien betonten, die die Schaffung von Kirchenmusik beseelen müssen, besonders dann, wenn sie für die Liturgie bestimmt ist. Abgesehen vom heiligen Papst Pius X. muss unter anderem an die Päpste Benedikt XIV. mit seiner Enzyklika Annus qui (19. Februar 1749), Pius XII. mit den Enzykliken Mediator Dei (20. November 1947) und Musicae sacrae disciplina (25. Dezember 1955) erinnert werden, und schließlich auch an Paul VI. mit den erhellenden Aussagen, die er in vielfältigen Ansprachen verkündet hat.
Die Väter des II. Vatikanischen Konzils ließen es nicht daran fehlen, diese Prinzipien neu herauszustellen, und zwar im Blick auf ihre Anwendung auf die veränderten Zeitumstände. Dies taten sie in einem eigenen Kapitel, nämlich dem sechsten, der Konstitution Sacrosanctum Concilium. Papst Paul VI. trug dann Sorge für die Umsetzung dieser Prinzipien in konkrete Normen, vor allem mittels der Instruktion Musicam sacram, die mit seiner Genehmigung am 5. März 1967 von der damaligen Ritenkongregation erlassen wurde. Auf diese am Konzil inspirierten Prinzipien muss man sich beständig beziehen, um im Einklang mit den Erfordernissen der liturgischen Reform eine Entwicklung zu fördern, die auch in dieser Hinsicht auf der Höhe der liturgisch- musikalischen Tradition der Kirche ist. Der Text der Konstitution Sacrosanctum Concilium, in dem es heißt, dass die Kirche »alle Formen wahrer Kunst, welche die erforderlichen Eigenschaften besitzen, billigt und sie zur Liturgie zuläßt«.<ref> Ebd.</ref> findet die geeigneten Anwendungskriterien in den Nummern 50 bis 53 der eben erwähnten Instruktion Musicam sacram.<ref> Vgl. AAS 59 (1967) 314–316.</ref>
3. Bei verschiedenen Gelegenheiten habe auch ich die wertvolle Rolle und die große Bedeutung der Musik und des Gesanges für eine aktivere und intensivere Teilnahme an den liturgischen Feiern in Erinnerung gerufen<ref> Vgl. z.B. die Ansprache bei der Sonderaudienz für das Päpstliche Institut für Kirchenmusik anläßlich des 90. Jahrestages seiner Gründung (19. Januar 2001); in O.R. dt. Nr. 6, 9.2.2001, S.10).</ref> und die Notwendigkeit unterstrichen, »den Gottesdienst von Mißständen des Stils, von nachlässigen Ausdrucksformen, von banalen Musikstücken und Texten zu reinigen, die der Größe des Aktes, der gefeiert wird, wenig entsprechen«,<ref> Ansprache bei der Generalaudienz am 26. Februar 2003, Nr. 3; in O.R. dt., Nr. 9, 7.3.2003, S. 2.</ref> um für die Kirchenmusik Würde und die Güte der Form zu gewährleisten.
In dieser Perspektive möchte ich im Lichte der lehramtlichen Aussagen des hl. Pius X. und meiner anderen Vorgänger und unter besonderer Berücksichtigung der Verlautbarungen des II. Vatikanischen Konzils erneut einige grundlegende Prinzipien für diesen wichtigen Bereich des Lebens der Kirche vorlegen, in der Absicht, sicherzustellen, dass die liturgische Musik immer mehr ihrer spezifischen Funktion entspreche.
4. In der Linie der Lehraussagen des hl. Pius X. und des II. Vatikanischen Konzils muss vor allem hervorgehoben werden, dass die für die heiligen Riten bestimmte Musik als Bezugspunkt die Heiligkeit haben muss: Sie wird in der Tat »umso heiliger sein, je enger sie mit der liturgischen Handlung verbunden ist«.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 112.</ref> Eben deshalb »ist nicht unterschiedslos alles das, was außerhalb des Tempels (profanum) ist, geeignet, dessen Schwelle zu überschreiten«, sagte weise mein verehrter Vorgänger Paul VI., als er ein Dekret des Trienter Konzils<ref> Ansprache an die Teilnehmer bei der Generalversammlung der »Associazione Italiana Santa Cecilia« (18. September 1968); ital. in Insegnamenti VI (1968), 479.</ref> kommentierte, und er präzisierte, dass »die – instrumentale und vokale – Musik, wenn sie nicht zur selben Zeit den Sinn fürs Gebet, für die Würde und Schönheit besitzt, sich von selbst ausschließt vom Eintritt in die Sphäre des Heiligen und Religiösen«.<ref> Ebd.</ref> Andererseits hat ebendiese Kategorie »Kirchenmusik« heute eine Bedeutungserweiterung derart erfahren, dass sie auch ein Repertoire umfaßt, das nicht in die Liturgie eingehen kann, ohne den Geist und die Normen der Liturgie selbst zu verletzen.
Die vom hl. Pius X. geleistete Reform zielte ganz spezifisch darauf ab, die Musik der Kirche von der Befleckung durch profane Theater-Musik zu reinigen, die in vielen Ländern das Repertoire und die musikalisch-liturgische Praxis befallen hatte. Auch in unseren Zeiten ist, wie ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia deutlich machte, aufmerksam darauf zu achten, dass nicht alle Ausdrucksweisen der darstellenden Künste und der Musik fähig sind, »das Mysterium angemessen zum Ausdruck zu bringen, und zwar in Übereinstimmung mit dem ganzen Glauben der Kirche«.<ref> Nr. 50: AAS 95 (2003), 467.</ref> Folglich können nicht alle musikalischen Formen als geeignet für liturgische Feiern gelten.
5. Ein anderes, vom hl. Pius X. im Motu Proprio Tra le sollecitudini angesprochenes Prinzip, eines, das im übrigen engstens mit dem vorherigen verbunden ist, ist jenes der Qualität der Formen. Es kann keine für die Feier der heiligen Riten bestimmte Musik geben, die nicht zuerst »wahre Kunst« ist, fähig, jene Wirksamkeit zu entfalten, »die die Kirche zu erhalten beabsichtigt, wenn sie in ihre Liturgie die Kunst der Töne aufnimmt«.<ref> Nr. 2. in: Pii X Pontificis Maximi Acta, Bd. I, S. 78.</ref>
Und dennoch genügt diese Qualität für sich alleine nicht. Denn die liturgische Musik muss ihren spezifischen Anforderungen entsprechen: die vollständige Treue zum Text, den sie vorstellt, der Einklang mit der Zeit und dem liturgischen Moment, wofür sie bestimmt ist, die rechte Übereinstimmung mit den Gesten, die der Ritus verlangt. Die verschiedenen liturgischen Momente verlangen nämlich einen je eigenen musikalischen Ausdruck, der von Mal zu Mal geeignet ist, die je eigene Natur eines bestimmten Ritus hervortreten zu lassen, einmal, indem die Wundertaten Gottes verkündet werden, und einmal, indem Gefühle des Lobes, der Bitte oder auch der Traurigkeit aufgrund der Erfahrung menschlichen Schmerzes kundgetan werden, einer Erfahrung freilich, die der Glaube auf die Perspektive christlicher Hoffnung hin öffnet.
6. Gesang und Musik, wie sie die liturgische Reform verlangt – und es ist gut, dies zu unterstreichen –, müssen auch auf die legitimen Erfordernisse der Anpassung und der Inkulturation Antwort finden. Doch ist klar, dass jede Neuerung in dieser anspruchsvollen Materie besondere Kriterien beachten muss wie etwa die Suche nach musikalischen Ausdrucksformen, welche der notwendigen Beteiligung der gesamten Gemeinde an der Feier entsprechen und die gleichzeitig jegliches Nachgeben gegenüber einer Seichtheit und Oberflächlichkeit vermeiden. Ebenso sind soweit wie möglich jene Formen der »Inkulturation« elitären Charakters zu vermeiden, die in die Liturgie antike und zeitgenössische Kompositionen einführen wollen, die vielleicht durchaus künstlerischen Wert haben, doch einer äußerst unverständlichen Sprache huldigen.
In diesem Sinne wies der hl. Pius X. – indem er den Begriff Universalität verwendete – auf ein weiteres Erfordernis der für den Gottesdienst bestimmten Musik hin: »[…] auch wenn man jeder Nation zugesteht« – so merkte er an –, »in den Kompositionen für kirchlichen Gebrauch jene besonderen Formen zuzulassen, welche in gewisser Weise den spezifischen Charakter der ihnen eigenen Musik darstellen, so müssen diese doch den allgemeinen Charakterzügen der Kirchenmusik derart untergeordnet sein, dass niemand aus einer anderen Nation beim Hören einen unguten Eindruck hat«.<ref> Ebd., S. 78-79.</ref> In anderen Worten, das dem Heiligen zugeordnete Feld der liturgischen Feier darf nie zu einem Laboratorium für Experimente oder Kompositions- und Aufführungspraktiken werden, die ohne aufmerksame Prüfung eingeführt wurden.
7. Unter den musikalischen Ausdrucksformen, die am besten den Qualitätsansprüchen dessen entsprechen, was man unter Kirchenmusik, und speziell der liturgischen, versteht, nimmt der Gregorianische Gesang eine Sonderstellung ein. Das II. Vatikanische Konzil anerkennt ihn »als den der römischen Liturgie eigenen Gesang«,<ref> Konst. Sacrosanctum Concilium, 116.</ref> dem bei den gesungenen liturgischen Handlungen, die in lateinischer Sprache gefeiert werden,<ref> Vgl. Hl. Ritenkongregation, Instruktion über die Musik in der heiligen Liturgie Musicam sacram (5. März 1967), 50: AAS 59 (1967) 314.</ref> wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, der erste Platz einzuräumen ist. Der hl. Pius X. hob hervor, dass die Kirche ihn »von den Vätern der Antike ererbt« hat, ihn »mit großem Bedacht durch die Jahrhunderte hindurch in seinen liturgischen Büchern gehütet« hat und ihn bis heute »den Gläubigen vorstellt« als ihr Eigentum, indem sie ihn »als das höchste Modell der Kirchenmusik«<ref> Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 3, in: Pii X Pontificis Maximi Acta, Bd. I, S. 79.</ref> betrachtet. Der Gregorianische Gesang ist darum bis heute ein Element der Einheit in der römischen Liturgie.
Wie schon der hl. Pius X., so anerkennt auch das II. Vatikanische Konzil, dass »die anderen Arten der Kirchenmusik, besonders die Mehrstimmigkeit (Polyphonie), für die Feier der Liturgie keineswegs ausgeschlossen werden«<ref> Konst. Sacrosanctum Concilium, 116.</ref> sollen. Es sind deshalb die neuen musikalischen Ausdrucksformen mit aufmerksamer Sorgfalt abzuwägen, um die Möglichkeit zu erproben, inwieweit auch mit ihnen die unerschöpflichen Reichtümer des in der Liturgie vorgestellten Mysteriums ausgedrückt werden können und wie so die tätige Teilnahme der Gläubigen an den Feiern begünstigt werden kann.<ref> Vgl. ebd., 30.</ref>
8. Die Wichtigkeit, das jahrhundertealte Erbe der Kirche zu bewahren und zu mehren, veranlaßt dazu, einer spezifischen Mahnung der Konstitution Sacrosanctum Concilium besonderes Augenmerk zu schenken: »Die Sängerchöre sollen nachdrücklich gefördert werden, besonders an den Kathedralkirchen.«<ref> Ebd., 114.</ref> Die Instruktion Musicam sacram ihrerseits präzisiert die Dienstfunktion des Chores: »Besonderer Beachtung würdig ist wegen des geleisteten liturgischen Dienstes der Chor oder die Musikgruppe oder die Schola. Im Gefolge der Konzilsnormen, die die liturgische Reform betreffen, ist deren Aufgabe von noch größerer Bedeutung und Gewicht geworden: ein Chor muss nämlich auf die exakte Ausführung der ihm eigenen Teile achten, entsprechend den verschiedenen Arten von Gesängen, und muss die aktive Teilnahme der Gläubigen beim Gesang begünstigen. Deshalb […] halte und fördere man mit Sorgfalt besonders an den Kathedralen und anderen bedeutenderen Kirchen, in den Seminaren und Ordensstudienhäusern einen Chor oder eine Musikgruppe oder eine Schola.«<ref> Nr. 19: AAS 59 (1967), 306. </ref> Die Aufgabe der Schola ist nicht geringer geworden: Sie übt in der Versammlung die Rolle eines Führers und Unterstützers (beim Gesang) aus und übernimmt in bestimmten Momenten der Liturgie eine eigene Rolle.
Von der guten Koordination aller – des zelebrierenden Priesters und des Diakons, der Akolythen, der Ministranten, der Lektoren, des Psalmisten, der Sängerschola, der Musiker, des Kantors und der Gemeinde – geht jene rechte geistliche Atmosphäre aus, die den Augenblick der Liturgie wirklich intensiv, alle einschließend und fruchtbar macht. Der musikalische Aspekt der liturgischen Feiern darf darum weder der Improvisation oder der Willkür einzelner überantwortet werden, sondern muss einer wohl abgestimmten Leitung unter Wahrung der Normen und Zuständigkeiten anvertraut werden als kennzeichnende Frucht einer geeigneten liturgischen Ausbildung.
9. Auch auf diesem Gebiet bestätigt sich darum die Dringlichkeit der Förderung einer soliden Ausbildung der Hirten wie der gläubigen Laien. Der hl. Pius X. bestand ganz besonders auf der musikalischen Ausbildung der Kleriker. Eine Ermahnung in diesem Sinne wurde auch vom II. Vatikanischen Konzil ausgesprochen: »In den Seminarien, in den Noviziaten und Studienhäusern der Ordensleute beiderlei Geschlechts sowie auch in den übrigen katholischen Instituten und Schulen soll auf die musikalische Ausbildung und Praxis großes Gewicht gelegt werden.«<ref> Konst. Sacrosanctum Concilium, 115.</ref> Diese Anweisung wartet darauf, voll verwirklicht zu werden. Ich halte es darum für angebracht, sie in Erinnerung zu rufen, damit die künftigen Seelsorger eine entsprechende Sensibilität auch auf diesem Gebiet erwerben können.
Bei diesem Bildungsauftrag wird eine wichtige Rolle von den Kirchenmusikschulen übernommen, zu deren Unterhalt und Förderung der hl. Pius X. aufrief,<ref> Vgl. Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 28, S. 86.</ref> und bezüglich derer das II. Vatikanische Konzil empfiehlt, sie zu errichten, wo es nur möglich ist.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum Concilium, 115.</ref> Konkrete Frucht der Reform des hl. Pius X. war die Errichtung der »Päpstlichen Hochschule für Kirchenmusik« in Rom im Jahre 1911, acht Jahre nach dem Motu Proprio, aus der dann das »Päpstliche Institut für Kirchenmusik« entstand. Neben dieser akademischen, fast 100 Jahre alten Institution, die der Kirche einen qualifizierten Dienst leistete und leistet, gibt es zahlreiche andere in den Teilkirchen errichtete Schulen, die es verdienen, unterhalten und noch verstärkt zu werden im Blick auf eine immer bessere Kenntnis und Ausübung einer guten liturgischen Musik.
10. Da die Kirche den Fortschritt der Künste immer anerkannt und gefördert hat, muss es nicht verwundern, dass sie über den Gregorianischen Gesang und die Polyphonie hinaus bei den Feiern auch die modernere Musik zuläßt, wenn sie nur den liturgischen Geist und die wahren Werte der Kunst beachtet. Den Kirchen in den verschiedenen Nationen ist es deshalb gestattet, unter den für den Gottesdienst bestimmten Kompositionen »jene besonderen Formen, die in gewisser Weise den spezifischen Charakter der ihnen eigenen Musik ausmachen«,<ref> Pius X., Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 2, p. 79.</ref> zu verwerten. In der Linie meines heiligen Vorgängers und auch dessen, was in neuerer Zeit von der Konstitution Sacrosanctum Concilium<ref> Vgl. Nr. 119.</ref> festgelegt wurde, habe auch ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia die Absicht gehabt, neuen musikalischen Beiträgen Raum zu geben, indem ich neben den inspirierten gregorianischen Melodien »die vielen und oft großen Komponisten …, die sich von den liturgischen Texten der heiligen Messe herausfordern ließen«, erwähnte.<ref> Nr. 49.</ref>
11. Das vergangene Jahrhundert hat mit der vom II. Vatikanischen Konzil geleisteten Erneuerung eine spezielle Entwicklung des religiösen Volksgesangs gezeitigt, von dem die Konstitution Sacrosanctum Concilium sagt: »Der religiöse Volksgesang soll eifrig gepflegt werden, so dass die Stimmen der Gläubigen bei Andachtsübungen […] und auch bei den liturgischen Handlungen selbst […] erklingen können.«<ref> Nr. 118.</ref> Dieser Gesang zeigt sich als besonders geeignet für die Beteiligung der Gläubigen nicht nur für Andachtsübungen »gemäß den Richtlinien und Vorschriften der Rubriken«,<ref> Ebd.</ref> sondern auch für die Liturgie selbst. Denn der »Volksgesang, der ein Band der Einheit und ein freudvoller Ausdruck der betenden Gemeinschaft ist, fördert die Verkündigung des einen Glaubens und verleiht den großen liturgischen Versammlungen unvergleichliche Feierlichkeit«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache beim Internationalen Kongreß für Kirchenmusik am 27. Januar 2001, Nr. 4; in O.R. dt., Nr. 7, 16.2.2001, S. 12.</ref>
12. Was nun die liturgischen Musikkompositionen angeht, so mache ich mir das »allgemeine Gesetz« zu eigen, das der hl. Pius X. folgendermaßen formulierte: »Eine Komposition für die Kirche ist in dem Maße dem Heiligen angemessener und liturgischer, als sie sich in Rhythmus und Aufbau und Klang dem gregorianischen Gesang nähert, und sie ist umso weniger für das Gotteshaus geeignet, als sie sich von jenem obersten Modell entfernt.«<ref> Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 3, S. 79.</ref> Selbstverständlich geht es nicht darum, den gregorianischen Gesang einfach zu kopieren, sondern vielmehr darum, sicherzustellen, dass die neuen Kompositionen von demselben Geist durchdrungen sind, der jenen Gesang hervorbrachte und nach und nach Gestalt gab. Nur ein zutiefst vom »sensus Ecclesiae« erfaßter Künstler kann den Versuch unternehmen, die Wahrheit des Mysteriums, das in der Liturgie gefeiert wird, zu verstehen und in Melodie zu übersetzen.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 112.</ref> In diesem Sinne schrieb ich im Brief an die Künstler: »Wie viele Kirchenkompositionen sind im Laufe der Jahrhunderte von Menschen geschaffen worden, die zutiefst vom Sinn des Geheimnisses erfüllt waren! Unzählige Gläubige haben ihren Glauben von Melodien genährt, die im Herzen anderer Glaubender entstanden und Teil der Liturgie oder zumindest eine äußerst wirksame Hilfe für ihre würdevolle Gestaltung geworden sind. Im Gesang erfährt sich der Glaube als überschwengliche Freude, Liebe und zuversichtliche Erwartung des rettenden Eingreifens Gottes.«<ref> N. 12.</ref>
Es ist also eine erneuerte und vertieftere Beachtung der Prinzipien notwendig, die der Schaffung und Verbreitung eines qualitätvollen Repertoires zugrunde liegen müssen. Nur so wird man dem musikalischen Ausdruck zugestehen können, dass er in geeigneter Weise seinem letzten Ziel diene, das da »ist die Verherrlichung Gottes und die Heiligung der Gläubigen«.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 112.</ref>
Ich weiß wohl, dass es auch heute nicht an Komponisten fehlt, die in der Lage sind, in diesem Geiste ihren unverzichtbaren Beitrag und ihre kompetenten Mitarbeit anzubieten, um das Erbe der Musik im Dienste einer immer intensiver erlebten Liturgie zu mehren. Ihnen gilt der Ausdruck meines Vertrauens, verbunden mit der herzlichen Aufforderung, dass sie alle Kräfte darauf verwenden, das Repertoire jener Kompositionen wachsen zu lassen, die der Erhabenheit der gefeierten Mysterien würdig sind und gleichzeitig dem heutigen Geschmack entgegenkommen.
13. Abschließend möchte ich an das erinnern, was der hl. Pius X. auf praktischer Ebene verfügte, um die wirksame Umsetzung der im Motu Proprio gegebenen Vorschriften zu begünstigen. Sich an die Bischöfe wendend, forderte er, dass sie in ihren Diözesen »eine eigene Kommission von in Sachen Kirchenmusik wirklich kompetenten Personen«<ref> Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 24, S. 85.</ref> einrichten sollten. Wo diese päpstliche Verfügung in die Praxis umgesetzt wurde, fehlte es nicht an Früchten. Im Augenblick gibt es zahlreiche nationale, diözesane und überdiözesane Kommissionen, die ihren wertvollen Beitrag leisten bei der Vorbereitung örtlicher Repertoires, indem sie einen Kriterienkatalog anwenden, der die Qualität der Texte und der Musik berücksichtigt. Ich wünsche, dass die Bischöfe auch weiterhin den Einsatz dieser Kommissionen unterstützen und deren Wirksamkeit im Bereich der Seelsorge fördern.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus, 4. Dezember 1988, 20; in O.R. dt., Nr. 21, 26.5.1989, S. 9.</ref>
Im Licht der in diesen Jahren gereiften Erfahrung und um noch besser die Erfüllung der wichtigen Aufgabe zu gewährleisten, die heilige Liturgie zu ordnen und zu fördern, bitte ich die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, gemäß ihren Zielsetzungen als Institution<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor bonus, 28. Juni 1988, 65.</ref> ihre Aufmerksamkeit für den Bereich der liturgischen Kirchenmusik zu intensivieren und sich dabei der Kompetenzen der verschiedenen auf diesem Gebiete spezialisierten Kommissionen und Institutionen wie auch des Beitrags des Päpstlichen Instituts für Kirchenmusik zu bedienen. Es ist in der Tat wichtig, dass die bei den liturgischen Feiern verwendeten Musikkompositionen den Kriterien entsprechen, wie sie in ganz geeigneter Form vom hl. Pius X. angegeben und in kluger Weise sowohl vom II. Vatikanischen Konzil wie in Folge davon vom Lehramt der Kirche weiterentwickelt wurden. In dieser Hinsicht vertraue ich darauf, dass auch die Bischofskonferenzen ganz genau die Prüfung der für den liturgischen Gesang bestimmten Texte durchführen<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dies Domini, 31. Mai 1998, 50; Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion Liturgiam authenticam, 28. März 2001, 108.</ref> und besonderes Augenmerk auf die Bewertung und Förderung von Melodien legen, die wirklich für den gottesdienstlichen Gebrauch geeignet sind.<ref> Vgl. Allgemeine Einführung ins Römische Messbuch, Editio typica III, 393.</ref>
14. Ferner befaßt sich, ebenfalls auf praktischer Ebene, das Motu Proprio, dessen 100. Jahrestag begangen wird, mit der Frage der Musikinstrumente, die in der lateinischen Liturgie Verwendung finden. Unter diesem anerkennt es ohne Zögern den Vorrang der Pfeifenorgel, für deren Gebrauch es geeignete Normen festsetzt.<ref> Vgl. Motu proprio Tra le sollecitudini, Nr. 15–18, S. 84.</ref> Das II. Vatikanische Konzil hat die Orientierung meines heiligen Vorgängers voll übernommen, wenn es festlegte: »Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden; denn ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzuheben «.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Konst. Sacrosanctum Concilium, 120.</ref>
Dennoch muss man die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass neuere Kompositionen sich oft unterschiedlichster Klangkörper bedienen, die durchaus ihre Würde haben. In dem Maße wie diese für das Gebet der Kirche hilfreich sind, können sie sich als wertvolle Bereicherung erweisen. Doch gilt es darüber zu wachen, dass die Instrumente für den gottesdienstlichen Gebrauch geeignet sind, der Würde des Gotteshauses entsprechen, den Gesang der Gläubigen zu unterstützen in der Lage sind und deren geistliche Erbauung begünstigen.
15. Ich wünsche, dass der 100. Jahrestag der Veröffentlichung des Motu Proprio Tra le sollecitudini auf die Fürsprache seines heiligen Verfassers, vereint mit jener der hl. Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, Anlaß zur Ermutigung und Anregung für all jene sei, die sich mit diesem wichtigen Aspekt der liturgischen Feiern befassen. Diejenigen, die die Kirchenmusik pflegen, indem sie sich mit erneuertem Elan einem Gebiet von so lebenswichtiger Bedeutung widmen, werden zur Reifung des geistlichen Lebens des Volkes Gottes beitragen. Die Gläubigen ihrerseits, die in harmonischer und feierlicher Weise den eigenen Glauben durch den Gesang zum Ausdruck bringen, werden immer tiefer dessen Reichtum erfahren und sich in ihrem Bemühen darauf ausrichten, dessen Impulse in die Haltungen des täglichen Lebens zu übertragen. So wird man dank des gemeinsamen Bemühens der Seelsorger, Musiker und Gläubigen erreichen können, was die Konstitution Sacrosanctum Concilium als das wahre »Ziel der Kirchenmusik« qualifiziert, nämlich »die Ehre Gottes und die Heiligung der Gläubigen«.<ref> Ebd., 112.</ref>
Möge auch darin die Jungfrau Maria Beispiel und Urbild sein, die in einzigartiger Weise im »Magnificat« die Wundertaten zu preisen wußte, die Gott in der Geschichte des Menschen wirkt. Mit diesem Wunsch erteile ich allen von Herzen meinen Segen.
dem Gedenktag der hl. Cäcilia, im Jahr 2003, dem 26. meines Pontifikates.
Anmerkungen
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