Ansprache 2. Juni 1945 (Wortlaut)

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Ansprache
unseres Heiligen Vaters
Pius XII.
an das Kardinalskollegium
über den Nationalsozialismus
2. Juni 1945
(Lateinischer Text: AAS XXXV [1943] 9-24)

(Quelle: Gerechtigkeit schafft Frieden, Reden und Enzykliken des Heiligen Vaters Pius XII., Herausgegeben von Wilhelm Jussen SJ, Hansa Verlag Josef Toth Hamburg 1946, Kirchliche Druckerlaubnis Osnabrück am 9. Juli 1946 der bischöfliche Generalvikar Dr. Seling. S. 201-216).

Allgemeiner Hinweis: Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramstexte, dürfen nicht als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der Vatikanseite [1] können als offiziell angesehen werden (Schreiben der Libreria Editrice Vaticana vom 21. Januar 2008).

Einleitung: Namenstagsglückwünsche

1 Mit lebhaftem Dank, ehrwürdige Bruder, nehmen Wir die Glückwünsche entgegen, die Uns in euer aller Namen der verehrte und geliebte Dekan des Heiligen Kollegiums entboten hat. Unsere Gedanken gehen dabei zurück in die Zeit vor sechs Jahren, als ihr Uns, bei dem gleichen Anlass wie heute, zum erstenmal nach der Erhebung Unserer unwürdigen Person auf den Stuhl Petri eure Namenstagswünsche darbrachtet.

Der Krieg

2 Die Welt hatte damals noch Frieden, aber was für einen Frieden! Und wie kümmerlich war er! Mit sorgenvollem Herzen, in Bestürzung und Gebet neigten Wir Uns über diesen Frieden, wie man sich über das Lager eines Sterbenden beugt und ihn mit heißer Liebe, hartnäckig und wider alle Hoffnung, dem Zugriff des Todes zu entreißen sucht.

Aus den Worten, die Wir damals an euch richteten, klang schmerzliche Befürchtung vor dem Ausbruch eines Zwistes heraus, der immer bedrohlicher zu werden schien und dessen Ausdehnung und Dauer niemand voraussehen konnte.

Der fernere Verlauf der Ereignisse hat unsere düsteren Vermutungen nur zu sehr bestätigt, ja sie noch weit übertroffen.

Waffenstillstand und Folgen

3 Heute, nach ungefähr sechs Jahren, haben die Bruderkämpfe wenigstens in einem Teil dieser vom Krieg verwüsteten Welt aufgehört. Es ist Friede - wenn man es so nennen kann - freilich ein noch recht zerbrechlicher Friede, der nur um den Preis anhaltender Sorge wird bestehen und sich festigen können; ein Friede, dessen Bewahrung der ganzen Kirche, dem Hirten wie der Herde, - ernste und sehr abgewogene Pflichten auferlegt: Geduld und Klugheit, Mut und Treue, mit viel Opfergeist! Alle sind berufen, hier sich einzusetzen, jeder in seinem Amt und an dem ihm zugewiesenen Platz: Dabei wird niemand je zuviel Sorgfalt oder zuviel Eifer, aufwenden können.

4 Was Uns und Unser Apostolisches Amt betrifft, wissen Wir wohl, ehrwürdige Brüder, dass Wir auf eure weise Mitarbeit, auf euer unablässiges Gebet, auf eure unverbrüchliche Ergebenheit sicher rechnen können.

In Europa ist der Krieg zu Ende; aber welche Wunden, hat er geschlagen! Der göttliche Meister hat gesagt: Alle, die ungerecht zum Schwerte greifen, werden durch das Schwert umkommen (Mt, 26, 52). Und jetzt, was seht ihr?

5 Ihr seht die Hinterlassenschaft eines Staatsbegriffs und einer staatlichen Betätigung, die den heiligsten Gefühlen der Menschlichkeit in keiner Weise Rechnung trägt und die unverletzlichen Grundsätze des christlichen Glaubens mit Füßen tritt. Entsetzt betrachtet heute die ganze Welt den Zusammenbruch, der daraus erwachsen ist. Diesen Zusammenbruch hatten Wir von ferne kommen sehen, und wohl nur sehr wenige haben, mit größerer seelischer Spannung als Wir die unaufhaltsam fortschreitende Entwicklung der Ereignisse bis zum unvermeidlichen Falle verfolgt.

Deutschland vor dem Pontifikat

6 Mehr als zwölf der besten Jahre Unseres reifen Alters hatten Wir in Ausübung des Uns anvertrauten Amtes inmitten des deutschen Volkes gelebt. Mit der Freiheit, welche die damaligen politischen und sozialen Verhältnisse boten, bemühten Wir Uns in dieser Zeit um die Sicherung der Lage der katholischen Kirche in Deutschland. So hatten Wir Gelegenheit, die hervorragenden Eigenschaften jenes Volkes kennen zu lernen, und Wir standen in persönlichen Beziehungen mit seinen besten Vertretern. Deshalb hegen Wir auch die Zuversicht, dass es sich wieder zu neuer Würde und zu neuem Leben wird erheben können, nachdem es das satanische Gespenst des Nationalsozialismus von sich geworfen und nachdem die Schuldigen (wie Wir schon bei anderen Gelegenheiten ausgeführt haben) ihre begangenen Verbrechen werden gesühnt haben.

7 Solange noch nicht jeder Hoffnungsschimmer geschwunden war, dass jene Bewegung eine andere und weniger verderbliche Richtung einschlagen könnte - sei, es durch Einlenken ihrer gemäßigteren Vertreter, sei es durch tatkräftigen Widerstand des nicht einverstandenen Teiles des deutschen Volkes - solange tat die Kirche, was in ihrer Macht lag, um dem Überhandnehmen jener ebenso zerstörerischen wie gewalttätigen Lehren einen starken Damm entgegenzusetzen.

Konkordat mit dem Heiligen Stuhl

8 Im Frühjahr 1933 ersuchte die deutsche Regierung den Heiligen Stuhl um den Abschluss eines Konkordats mit dem Reich. Der Gedanke fand die Zustimmung auch des Episkopats und wenigstens des größeren Teiles der deutschen Katholiken. Tatsächlich schienen weder die mit einzelnen Ländern bereits abgeschlossenen Sonderkonkordate noch die Weimarer Verfassung ihnen genügend Sicherung und Gewähr zu bieten für die Achtung ihre, Überzeugungen, ihres Glaubens, ihrer Rechte und ihrer Betätigungsfreiheit. Unter solchen Umständen konnten diese Sicherungen nur erreicht werden durch eine Abmachung mit der Reichsregierung in .der feierlichen Form eines Konkordats. Da zudem sie selbst den Vorschlag gemacht hatte, wäre im Falle der Ablehnung die Verantwortung für alle üblen Folgen auf den Heiligen Stuhl zurückgefallen.

9 Nicht als ob die Kirche ihrerseits sich von übertriebenen Hoffnungen hätte täuschen lassen, auch nicht, als ob sie mit Abschluss des Konkordats die Lehre .und die Ziele des Nationalsozialismus irgendwie hätte gutheißen wollen, wie damals ausdrücklich erklärt und dargelegt wurde (Osservatore Romano N. 174 vom 2, Juli 1933). Immerhin muss man zugeben, dass das Konkordat in den folgenden Jahren verschiedene Vorteile brachte oder wenigstens größeres Unheil verhütete. Trotz aller Verletzungen, denen es ausgesetzt war, ließ das Konkordat tatsächlich den Katholiken doch eine rechtliche Verteidigungsgrundlage, eine Stellung, in der sie sich verschanzen konnten, um von da aus, solange es ihnen möglich war, der ständig steigenden Flut der religiösen Verfolgung sich zu erwehren.

10 Tatsächlich hat sich der Kampf gegen die Kirche immer mehr verschärft: Zerstörung der katholischen Organisationen, fortschreitende Auflösung der blühenden öffentlichen und privaten katholischen Schulen, gewaltsame Trennung der Jugend von Familie und Kirche, Vergewaltigung der Gewissen der Staatsbürger, besonders der Beamten, systematische Verleumdung der Kirche, des Klerus, der Gläubigen, ihrer Einrichtungen, ihrer Lehre, ihrer Geschichte durch eine verschlagene und straff aufgebaute Propaganda, Schließung, Aufhebung, Einziehung von Ordenshäusern und anderen christlichen Instituten, Vernichtung der katholischen Presse und Buchproduktion.

11 Um diesen Angriffen Widerstand zu leisten, scharten sich immer noch Millionen tapferer Katholiken, Männer und Frauen, um ihre Bischöfe, die es nie unterlassen haben, auch in den letzten Kriegsjahren nicht, mutig und ernst ihre Stimme zu erheben. Sie scharten sich um ihre Priester, denen sie halfen, die Seelsorge den veränderten Notwendigkeiten und Verhältnissen anzupassen, und bis zuletzt stellten sie in zäher Geduld der Front der Gottlosigkeit und des Stolzes die Front des Glaubens, des Gebetes, der bewusst katholischen Lebenshaltung und Erziehung entgegen.

12 Inzwischen vervielfachte der Heilige Stuhl seinerseits ohne Zögern bei der deutschen Regierung seine Vorstellungen und seine Einsprüche, indem er nachdrücklich und klar sie auf die Achtung und Einhaltung der schon aus dem Naturrecht sich ergebenden und durch das Konkordat bekräftigten Pflichten hinwies. Die wache Aufmerksamkeit des Hirten mit der geduldigen Langmut des Vaters vereinend, erfüllte Unser großer Vorgänger Pius XI. in jenen kritischen Jahren mit Kraft und Unerschrockenheit seine Sendung als Haupt der Kirche.

Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“

13 Als dann aber alle Versuche gütlicher Vermittlung erfolglos blieben und er sich mit voller Klarheit überlegten Verletzungen eines feierlichen Vertrags sowie einer schleichenden oder offenen, aber stets hartnäckig geführten religiösen Verfolgung gegenüber sah, enthüllte er am Passionssonntag 1937 in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge" vor aller Welt, was der Nationalsozialismus in Wirklichkeit war: der hochmütige Abfall von Jesus Christus, die Verneinung seiner Lehre und seines Erlösungswerks, der Kult der Gewalt, die Vergötzung von Rasse und Blut, die Unterdrückung der menschlichen Freiheit und Würde.

14 Wie ein Trompetenstoß, der das Zeichen zum Alarm gibt, weckte das kraftvolle päpstliche Dokument - zu kraftvoll dachte damals mehr als einer - die Geister und Herzen.

Viele - auch außerhalb Deutschlands -, die bis dahin vor der Unverträglichkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung mit der christlichen Lehre die Augen geschlossen hatten, mussten jetzt ihren Irrtum erkennen und bekennen. Viele, aber nicht alle! Andere, selbst in den Reihen der Gläubigen, waren zu sehr durch Vorurteile verblendet oder durch die Hoffnung auf politische Vorteile verführt. Die von Unserem Vorgänger aufgezeigte Augenscheinlichkeit der Tatsachen vermochte sie nicht zu überzeugen und noch weniger sie zu einen anderen Haltung zu bringen. Ist es vielleicht ein reiner Zufall, dass gewisse. Gebiete, die dann vom nationalsozialistischen System besonders hart getroffen, wurden, ausgerechnet jene waren, wo die Enzyklika „Mit brennender Sorge" wenig oder gar kein Gehör fand? Wäre es damals noch möglich gewesen, durch geeignete und rechtzeitige politische Vorbeugungsmaßnahmen ein für allemal den Ausbruch der brutalen Gewalt zu verhindern und das deutsche Volk in die Lage zu: versetzen, sich von den es umstrickenden Banden freizumachen? Wäre es möglich gewesen, auf solche Weise Europa und der Welt den Einbruch dieser blutigen unermesslichen Flut zu ersparen? Niemand wird wagen, hier ein sicheres Urteil zu fällen. Jedenfalls aber konnte niemand der Kirche den Vorwurf machen, sie habe nicht rechtzeitig den wahren Charakter der nationalsozialistischen Bewegung und die Gefahr, der sie die christliche Kultur aussetzte, klar aufgezeigt.

15 „Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung ... zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschliffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge (Acta Apost. Sedis, Band 29, 1937, S. 149 und 171). In diesem Satz der Enzyklika gipfelt der aufs letzte gehende Widerstreit zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der katholischen Kirche. Wo es so weit gekommen war, konnte die Kirche, ohne ihrer Sendung untreu zu werden, nicht länger darauf verzichten, vor der ganzen Welt Stellung zu nehmen. Durch ihre Tat wurde sie jedoch ein weiteres Mal zum Zeichen des Widerspruchs (Luk 2, 34) in dem sich die Geister in, zwei entgegengesetzte Kampflager schieden. Die deutschen Katholiken anerkannten soviel wie einmütig, dass die Enzyklika „Mit brennender Sorge" Licht, Führung, Trost und Stärkung gebracht habe für alle, welche die christliche Religion ernst nahmen und folgerichtig in die Tat umsetzten. Es konnte indessen der Gegenstoß von Seiten der Betroffenen nicht ausbleiben. Tatsächlich war gerade das Jahr 1937 für die Katholische Kirche in Deutschland ein Jahr unsagbarer Bitternisse und furchtbarer Stürme.

Feindseligkeiten des Nationalsozialismus gegen die Kirche

16 Die großen politischen Ereignisse, welche die beiden folgenden Jahre kennzeichneten, und dann der Krieg, verminderten in keiner Weise die Feindseligkeit des Nationalsozialismus gegenüber der Kirche; eine Feindseligkeit, die sich bis in diese letzten Monate hinein offenbarte, solange nämlich seine Anhänger sich noch schmeichelten, sofort nach errungenem Waffensiege für immer auch mit der Kirche fertig werden zu können. Glaubwürdige und unwiderlegliche Zeugnisse hielten Uns auf dem laufenden über diese Pläne, die sich übrigens auch von selbst enthüllten durch wiederholtes und immer bösartigeres Vorgehen gegen die katholische Kirche in Österreich, in Elsass-Lothringen und vor allem in den Gebieten Polens, die schon während des Krieges dem Altreich eingegliedert worden waren. Alles wurde dort getroffen und vernichtet, alles, was der äußeren Gewalt erreichbar war.

In Fortsetzung der Tätigkeit Unseres Vorgängers haben Wir selbst während des Krieges nicht nachgelassen, vor allem in unseren Botschaften, der verderblichen und unerbittlichen Anwendung der nationalsozialistischen Lehre, die sich sogar die raffiniertesten wissenschaftlichen Methoden nutzbar machte, um oft genug schuldlose Menschen zu quälen und auszumerzen; die Forderungen und Unverbrüchlichen Normen der Menschlichkeit und des christlichen Glaubens entgegenzusetzen. Es war dies für Uns der geeignetste, und Wir können sogar sagen, auch der einzig wirksame Weg, um vor der ganzen Welt die unveränderlichen Grundsätze des moralischen Gesetzes zu verkünden, und um inmitten von so vielen Irrtümern und so vielen Gewalttätigkeiten Geist und Herz der deutschen Katholiken in den hohen Idealen der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu bestärken. Diese Bemühungen blieben auch nicht ohne Erfolg. Wir wissen tatsächlich, dass Unsere Botschaften, vor allem die Weihnachtsbotschaft von 1942, trotz aller Verbote und Hindernisse in den Diözesankonferenzen des deutschen Klerus zum Gegenstand des Studiums gemacht und dann dem katholischen Volke dargelegt und erklärt wurden.

17 Aber wenn die leitenden Männer in Deutschland geplant hatten, die Katholische Kirche auch im Altreich zu vernichten, so hatte die Vorsehung es anders bestimmt. Die Drangsale der Kirche von Seiten des Nationalsozialismus haben mit dem plötzlichen und tragischen Ende des Verfolgers ihren Abschluss gefunden!

18 Aus den Gefängnissen, aus den Konzentrationslagern, aus den Zuchthäusern strömen jetzt zusammen mit den politischen Gefangenen auch die Scharen von Priestern und Laien, deren einziges Vergehen in der Treue zu Christus und zum Glauben der Väter oder in der mutigen Erfüllung der priesterlichen Pflichten bestand. Für sie alle haben Wir innig gebetet und jede sich bietende Möglichkeit eifrig benutzt, um ihnen Unser tröstendes Wort und den Segen aus väterlichem Herzen zukommen zu lassen.

19 Je mehr sich tatsächlich die Schleier lüften, die bisher den schmerzvollen Leidensweg der Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft verdeckten, um so mehr offenbart sich die oft, bis zum Tode unverbrüchliche Festigkeit ungezählter Katholiken und der ruhmvolle Anteil, den in diesem edlen Wettkampf der Klerus gehabt hat. - Wiewohl Wir noch nicht im Besitze erschöpfender statistischer Angaben sind, können Wir doch nicht umhin, die eine oder andere Mitteilung zu machen. Sie sind uns reichlich zugegangen von Priestern und Laien, die als Internierte im Lager Dachau gewürdigt wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu dulden (Apg. 5, 41)

20 An erster Stelle stehen der Zahl und harten Behandlung nach die polnischen Priester. Von. 1940 bis 1945 wurden in dem angegebenen Lager 2800 Geistliche und Ordensleute jener Nationalität gefangengesetzt, unter ihnen der Weihbischof von Wladislavia, der dort an Typhus gestorben ist. Im vergangenen April waren davon nur noch 816 übrig, während alle anderen gestorben sind mit Ausnahme von zwei oder drei in andere Lager überführten. Für Sommer 1942 wurden als dort eingebracht 480 Kultdiener deutscher Zunge angegeben, von denen 45 Protestanten und alle anderen katholische Priester waren. Trotz des ständigen Zugangs von neuen Internierten, besonders aus einigen Diözesen Bayerns, des Rheinlands und Westfalens, war ihre Zahl infolge der starken Sterblichkeit zu Beginn dieses Jahres nicht über 350. Es können auch nicht mit Stillschweigen die Geistlichen übergangen werden, die den besetzten Ländern angehören: Holland, Belgien, Frankreich (unter den französischen Priestern der Bischof von Clermont), Luxemburg, Slowenien, Italien. Viele von diesen Priestern und Laien haben um ihres Glaubens und ihres Berufes willen unsägliche Leiden erduldet. in einem Falle ging der Hass der Gottlosen gegen Christus so weit, dass sie an einem internierten Priester mit Stacheldraht die Geißelung und Dornenkrönung unseres Herrn nachgeäfft haben. Die hochherzigen Menschen, die zwölf Jahre hindurch, von 1933 an, in Deutschland für Christus und Seine Kirche das Opfer des persönlichen Besitzes, der persönlichen Freiheit und des eigenen Lebens gebracht haben, erheben zur Sühne ihre Hände zu Gott. Möge der gerechte Richter sie annehmen zur Wiedergutmachung so vieler Verbrechen, die Gleicherweise gegen die Menschheit wie zum Schaden der Gegenwart und Zukunft des eigenen Volkes, besonders seiner unglücklichen Jugend, begangen wurden, und möge auf Sein Geheiß hin der Würgeengel endlich den Arm sinken lassen.

Der Nationalsozialismus prangert die Kirche als Feindin des deutschen Volkes an

21 Mit stets wachsendem Nachdruck hat der Nationalsozialismus die Kirche als Feindin des deutschen Volkes anprangern wollen. Die offenbare Ungerechtigkeit der Anklage würde die Gefühle der deutschen Katholiken wie auch Unsere eigenen zutiefst verletzt haben, wenn sie aus anderem Munde gekommen wäre. Aber auf den Lippen solcher Ankläger ist sie weit davon entfernt, eine Belastung zu sein. Sie ist vielmehr das glänzendste und ehrenvollste Zeugnis des entschlossenen, dauernden, von der Kirche getragenen Widerstandes gegen solch zerstörerische Lehren und Methoden, zum Wohl der wahren Kultur und des deutschen Volkes selbst, dem Wir wünschen, dass es nach der Befreiung aus dem Irrtum, der es in den Abgrund gestürzt hat, sein Heil wiederfinden möge an den reinen Quellen des wahren Friedens und des wahren Glückes, an den Quellen der Wahrheit, der Demut und der Liebe, die mit der Kirche aus dem Herzen Christi hervorgeströmt sind.

Lasst euch belehren, ihr Herrscher der Erde

22 Welch harte Lehre und Mahnung geben nicht die letzten Jahre! Möchten sie doch wenigstens verstanden werden und den anderen Völkern heilsam sein! „Erudimini, qui gubernatis terram!" Lasst euch belehren, ihr Herrscher der Erde (Ps 2, 10)! Das ist der heißeste Wunsch eines jeden, der die Menschheit aufrichtig liebt. Als Opfer einer unmenschlichen Ausbeutung, einer schamlosen Verachtung des Menschenlebens und der Menschenrechte, hat sie nur einen einzigen Wunsch, begehrt sie nur dieses eine: ein ruhiges und friedsames Leben führen zu dürfen in Würde und redlicher Arbeit.

23 Darum ist es ihr sehnlichster Wunsch, dass Schluss gemacht werde mit der Rücksichtslosigkeit, mit der die Familie und das Heim in den Kriegsjahren misshandelt und entweiht worden sind; eine Rücksichtslosigkeit, die zum Himmel schreit und die sich zu einer der schwersten Gefahren nicht allein für die Religion und die Sittlichkeit, sondern auch für das geordnete Zusammenleben ausgewirkt hat; eine Schuld, die vor allem die gewaltigen Scharen von Verarmten, Enttäuschten und Verzweifelten geschaffen hat, die nur die Massen der Revolution und Unordnung vermehren, und das im Sold einer Gewaltherrschaft, die nicht weniger willkürlich ist als jene die man niederkämpfen wollte.

24 Die Völker, vornehmlich die mittleren und kleinen, stellen die Forderung, dass, es ihnen freistehe, selbst ihr Geschick in die Hand zu nehmen. Sie können sich veranlasst sehen, zum besten des gemeinsamen Fortschrittes Bindungen einzugehen, die ihre Hoheitsrechte einschränken. Nachdem sie aber ihren Anteil, ihren großen Anteil an den Opfern gebracht haben, um das System der brutalen Gewalt zu zerstören, können sie sich mit Recht verbitten, dass ihnen ein neues politisches oder kulturelles System aufgedrängt werde, das die große Mehrheit ihrer Bevölkerung entschieden ablehnt.

25 Sie halten dafür, und zwar mit Recht, dass die Hauptaufgabe der Gestalter des Friedens darin besteht, dem verbrecherischen Spiel mit dem Krieg ein Ende zu setzen und die Lebensrechte und gegenseitigen Pflichten zwischen Großen und Kleinen, Mächtigen und Schwachen zu schützen.

26 Im Grunde ihres Gewissens fühlen die Völker, dass ihre Lenker sich um jegliche Achtung bringen würden, wenn sie dem tollen Wahn einer Herrschaft der Gewalt nicht den Sieg des Rechtes folgen ließen. Der Gedanke einer neuen Friedensorganisation ist - daran dürfte wohl kein Zweifel sein - ehrlichstem und redlichstem Wollen entsprungen. Die ganze Menschheit verfolgt mit banger Sorge den Fortgang des edlen Werkes. Welch bittere Enttäuschung würde es sein, wenn es zum Scheitern käme; wenn so viele leid- und entsagungsvolle Jahre dadurch sinnlos gemacht würden, dass man den Geist der Unterdrückung von dem die Welt endlich für immer befreit zu sein hoffte, von neuem triumphieren ließe! Arme Welt, auf die man dann das Wort Jesu anwenden könnte, dass ihre letzten Dinge schlimmer geworden sind als die, denen sie sich mühsam entwunden hatte! (VgI. Luk. 11,24.25.26)

27 Die politische und soziale Gesamtlage drängt Uns diese Warnung auf die Lippen. Leider haben Wir in mehr als einer Gegend Priestermorde, Verschleppungen von Volkszugehörigen, Hinmetzelung von friedlichen Bürgern ohne Prozess oder aus Privatrache beklagen müssen. Nicht weniger traurig sind die Nachrichten, die uns aus Slowenien und Kroatien zugekommen sind.

28 Aber wir wollen den Mut nicht sinken lassen. Die im Verlauf der letzten Wochen von zuständigen und verantwortlichen Männern gehaltenen Reden lassen verstehen, dass die den Sieg des Rechtes nicht ,nur als politisches Ziel, sondern noch mehr als sittliche Pflicht vor Augen haben.

Einladung zum Gebet um den Frieden

29 Darum richten Wir aus innerstem Herzen an Unsere Söhne und Töchter auf der ganzen Welt eine dringende Einladung zum Gebet. Möge sie allen zu Ohren kommen, die in Gott den geliebten Vater aller nach Seinem Bild und Gleichnis erschaffenen Menschen erkennen; die wissen, dass in der Brust Christi ein göttliches Herz schlägt, reich an Erbarmen, die tiefe und unerschöpfliche Quelle alles Guten und jeglicher Liebe, allen Friedens und aller Versöhnung.

30 Vom Waffenstillstand bis zum wahren und ehrlichen Frieden wird, wie Wir kürzlich mahnend in Erinnerung brachten, der Weg recht mühsam und lang sein, allzu lang für das bange Sehnen und Harren einer Menschheit, die nach Ordnung und Ruhe geradezu hungert. Es ist aber unvermeidlich, dass es so ist. Und vielleicht ist es auch besser so. Man muss zuerst den Sturm der übererregten Leidenschaften zur Ruhe kommen lassen: „Motos praestat, componere fluctus" - Besser ist's, die erregten Wogen zu glätten (Aen. 1,135). Es ist notwendig, dass der Hass, das Misstrauen, übertriebene nationale Hetze Platz machen dem Reifen weiser Entschlüsse, dem Erblühen friedlicher Pläne, der Sachlichkeit in der Auseinandersetzung und gegenseitigem brüderlichem Verstehen.

31 Möge der Heilige Geist, der Erleuchter des Verstandes und milde Herr der Herzen sich würdigen, die Gebete einer Kirche zu erhören und in ihrer schwierigen Arbeit die zu leiten, die sich ihrer hohen Sendung getreu aufrichtig bemühen, trotz aller Hindernisse und Widersprüche zu dem von allen so heiß ersehnten Ziel zu gelangen: dies Ziel ist der Friede, der wahre Friede, der dieses Namens würdig ist; ein Friede, der gegründet und gesichert ist in Aufrichtigkeit und Rechtlichkeit, in Gerechtigkeit und Wirklichkeitssinn, ein Friede ehrlichen und entschlossenen Einsatzes, um jene wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu meistern oder ihnen vorzubeugen, die, wie sie es schon in der Vergangenheit taten, so auch in der Zukunft leicht zu neuen bewaffneten Konflikten führen könnten; ein Friede, der von allen Rechtlichgesinnten jedes Volkes und jeder Nation gebilligt werden kann; ein Friede, den die kommenden Geschlechter mit Dankbarkeit als die glückliche Frucht einer unglücklichen Zeit ansehen können; ein Friede, der einen säkularen entscheidenden Wendepunkt in der Bejahung der Menschenwürde und geordneten Freiheit darstellt; ein Friede, der wie eine „Charta Magna" ist, welche die dunkle Epoche der Gewalt abgeschlossen hat; ein Friede, der uns unter der barmherzigen Führung Gottes durch die zeitlichen Güter so hindurchgehen lässt, dass wir die ewige Seligkeit nicht verlieren (Oration vom 3. Sonntag nach Pfingsten).

32 Doch ehe dieser Friede Wirklichkeit wird, bleibt ebenso wahr, dass Millionen von Menschen am häuslichen Herde oder im Krieg, in der Gefangenschaft oder in der Verbannung noch einen bitteren Kelch verkosten müssen. Wie sehr verlangt es Uns, das Ende ihrer Leiden und Ängste, die Erfüllung ihrer Sehnsucht zu sehen. Auch für sie, für die ganze Menschheit, die mit ihnen und in ihnen leidet, steige unser demütiges und inbrünstiges Beten zum Allmächtigen empor.

Segen

Inzwischen, ehrwürdige Brüder, gereicht Uns zu großer Stärkung der Gedanke, dass ihr an Unseren Sorgen, an Unseren Gebeten, an Unseren Hoffnungen teilnehmt, und dass in der ganzen Welt Bischöfe, Priester und Gläubige ihre Gebete mit den Unsrigen vereinen zum starken Flehruf der gesamten Kirche. Zum Zeugnis Unserer tiefen Dankbarkeit und als Unterpfand der unendlichen Erbarmungen und Gnaden Gottes erteilen Wir euch, den Eurigen, allen, die mit Uns einig gehen im Streben und Suchen nach dem Frieden, aus der Tiefe des Herzen

Unseren apostolischen Segen.
Papst Pius XI.