Martin Luther
Martin Luther (*10. November 1483 in Eisleben, † 18. Februar 1546 ebenda) war ein deutscher Augustinermönch, Priester und Theologe. Seine Theologie löste ab 1517 die Reformation aus, die zu einer Kirchenspaltung führte.
Inhaltsverzeichnis
Leben bis zum Bruch mit der Kirche
Martin Luther wurde am 10. November 1483 als Sohn des Bergmannes Hans Luder geboren, der ihn nach streng christlichen Grundsätzen erzog. 1501 begann Luther das Studium der Artes an der Universität Erfurt, das er 1505 mit dem Magistergrad abschloss. Auf Wunsch seines Vaters begann er darauf mit einem Jurastudium, welches er jedoch im gleichen Jahr jäh abbrach. In ein schweres Gewitter geraten, gelobte Luther der Hl. Anna für den Fall seiner Rettung in ein Kloster einzutreten. Am 17. Juli 1505 trat er bei den Augustinereremiten von Erfurt ein. Am 3. April 1507 wurde er zum Priester geweiht.
1508 schickte der Ordensvikar Johann von Staupitz Luther auf die neugegründete Universität Wittenberg, wo er über die Ethik des Aristoteles las. Später befasste er sich mit den Sentenzen des Petrus Lombardus und den Schriften des hl. Augustinus. 1511 wurde Luther von Staupitz in einer Ordensangelegenheit nach Rom entsandt. Die sehr verweltlichten Zustände, die er dort erlebte, hatten eine schockhafte Wirkung auf ihn und haben unterschwellig seine späteren Weg vielleicht mitbewirkt. Am 18. Oktober 1512 wurde er in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert und übernahm anschließend die Professur für die Auslegung der Heiligen Schrift, die er bis zu seinem Tod innehaben sollte. Von seinen Vorlesungen über die Paulusbriefe (1513-1517) sind Autographien erhalten, in denen manche Theologen seine spätere Abkehr vom Katholizismus vorgezeichnet finden.
Die neue Lehre Luthers: Bruch mit der Kirche
Die Entfremdung von der katholischen Lehre (die anfänglich freilich eher eine Entfremdung vom Katholizismus seiner Zeit war) soll auf das - von Luther ein Jahr vor seinem Tod (1545), im Vorwort zur lateinischen Ausgabe seiner gesammelten Schriften, selbst geschilderte - "Turmerlebnis" zurückgehen, das sich jedoch nicht genau datieren lässt und wohl zwischen 1512 und 1517 stattgefunden hat. Im Südturm des Wittenberger Augustinerklosters hatte Luther über die Rechtfertigung vor Gott meditiert und hierzu den Römerbrief (Röm 1,17) hinzugezogen. Luther kam zu einer Neuinterpretation der paulinischen Rechtfertigungslehre, wonach der Mensch seinerseits nichts zu seiner Annahme durch Gott beitragen kann, sondern Gott den Menschen in einem souveränen Gnadeakt gerecht macht. Nicht durch die Werke, sondern allein durch Gott wird der Mensch gerecht ("sola gratia"). In der 28. These seiner Heidelberger Disputation (1518) hat Luther seine Deutung der Rechtfertigungslehre in eindrucksvoller Verdichtung formuliert: "Amor dei non invenit sed creat suum diligibile. Amor hominis fit a suo diligibili. (...) Ideo enim peccatores sunt pulchri, quia diliguntur, nun ideo diliguntur, quia sunt pulchri" (Gottes Liebe findet das Liebenswerte nicht vor, sondern schafft es erst. Die Liebe des Menschen entsteht von Gott her. Denn Gott liebt die Sünder nicht, weil sie schön sind, sondern die Sünder werden schön, weil sie geliebt sind.) Diese Deutung Luthers geriet mit der kirchliche Lehre seiner Zeit in erhebliche Spannung.
In seiner Vorlesung über den Hebräerbrief folgerte Luther gemäß seiner Lehre, dass nicht das Sakrament als Sakrament rechtfertige ("ex opere operato"), sondern der Glaube, im Sakrament Christus zu empfangen. Dies stellte einen fundamentalen Angriff auf die damalige kirchliche Sakramentenlehre dar. Heute urteilen sowohl katholische wie evangelische Theologen an dieser Stelle vorsichtiger. Man kann vermutlich sagen, daß weniger die Sakramentenlehre als vielmehr die Ablehnung von fünf der sieben Sakramente, die Luther ungenügend biblisch begründet bzw. nicht nachweisbar von Christus selber eingesetzt ansah, den Bruch mit der Kirche unumkehrbar machte.
Die Lehren Luthers werden von vielen prägnant durch die vier sola-Prinzipien - auch "particula exclusiva" genannt - zusammengefaßt: sola scriptura (allein die Schrift als Quelle - ohne die Tradition und das Lehramt); sola fide (allein der Glaube als Grund für die Rechtfertigung - ohne Berücksichtigung der Taten); sola gratia (allein die Gnade als Ursache der Rettung - ohne Mitwirkung der Natur); solus Christus (allein Jesus Christus als Quelle der Offenbarung - nicht die Natur).
Der Ablassstreit
1514 wurde Albrecht von Brandenburg (1490 - 1545), bislang Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt, auch noch Erzbischof von Mainz. Für eine derartige Ämterhäufung hatte der Fürst dem Papst große Gebühren zu entrichten. Diese ließ Albrecht vor allem durch den berühmten Dominikanermönch und Ablassprediger Johann Tetzel eintreiben. Hieran nahm Luther schon früh Anstoß, insbesondere weil Tetzel für die Austellung eines Ablassbriefes nicht den Stand der Gnade forderte. Am 31. Oktober 1517 schlug Luther ein Papier mit 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schloßkirche, in denen er gegen die Praxis des Ablasshandels und die fehlende Bußgesinnung, keineswegs aber gegen den Ablass als solchen protestierte. Die Historizität dieses Thesenanschlages wird jedoch heute bezweifelt. Es spricht vieles dafür, daß der Thesen"anschlag" so nicht stattgefunden hat. Gleichwohl hat er den "Gründungsmythos" der Reformation bewirkt. Unstrittig ist lediglich, daß es die 95 Thesen gab und sie auf Luther zurückgehen. Die berühmte erste These lautet: "Wenn unser Herr und Heiland Jesus Christus spricht: 'Tut Buße!', dann will er, daß unser ganzes Leben eine Buße sei." Damals war das eine kritische Spitze gegen die allzu vordergründig-rationalistische Ablasstheologie Tetzels (der gleichwohl, einem lange gezeichneten Zerrbild zum Trotz, ein zu seiner Zeit zu Recht berühmter, als begnadet geltender Prediger war). Heute würde diese These keine Kirchenspaltung mehr begründen können.
Die Thesen Luthers fanden - auch mit Hilfe des gerade beginnenden Buchdrucks - schnell weite Verbreitung. Die Gewinnung von mehreren Anhängern (Martin Bucer, Philipp Melanchton, Johannes Brenz), die seine Theologie der Rechtfertigung verbreiteten, löste die Reformation aus, die bald zur Kirchenspaltung führte.
Prozeß und Verurteilung
Albrecht von Brandenburg und die Dominikaner zeigten Luther schon 1518 in Rom an. Im Juli wurde er nach Rom zitiert. Noch ehe der dortige Prozess zu Ende geführt werden konnte, wurde Luther vom 12. bis zum 14. Oktober 1518 von Kardinal Cajetan, einem der besten Theologen der Kurie, der als Apostolischer Legat am Augsburger Reichstag teilgenommen hatte, verhört. Luther weigerte sich, seine Lehren zurückzunehmen, falls er nicht mit Hilfe der Schrift oder aus Vernunftgründen widerlegt werden könne. Kurz darauf floh er aus der Stadt, da er mit seiner Verhaftung rechnen mußte. Luthers Landesherr, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, der mit den neuen Lehren sympathisierte, verhinderte forthin die Auslieferung Luthers an die Kurie.
Im Jahr 1519 beauftragte der Papst den päpstlichen Nuntius Karl von Miltitz mit Luther über eine Verfahrenspause zu verhandeln, in welcher Luther schweigen sollte. Während dieser Verfahrenspause ereignete sich jedoch ein Disput zwischen dem bedeutenden Dominikanertheologen Johannes Eck und dem der Lutherlehre nahestehenden Andreas Karlstadt. Luther brach daraufhin sein Schweigen und nahm an der sog. Leipziger Disputation teil. Dort leugnete er die Irrtumslosigkeit der Konzilien und somit die Existenz eines höchsten kirchlichen Lehramts. Im Frühjahr 1520 wurde sein Prozess wiederaufgenommen. Die am 15. Juni 1520 erschienene Bulle Exsurge Domine verurteilte 41 Sätze aus Luthers Schriften als irrig und häretisch und drohte mit dem Bann, falls Luther nicht innerhalb von 60 Tagen widerriefe.
Beginn der Reformation
Luther wies die Androhung des Bannes als ungültig zurück und verbrannte öffentlich ein Exemplar der Bulle. Dieser Akt des "öffentlichen Ungehorsams" wird historisch als der eigentliche Bruch mit der Kirche angesehen. Theologisch gesehen wird der Bruch durch die berühmten drei "Reformatorischen Hauptschriften" im Jahr 1520 markiert: "Von der Freiheit eines Christenmenschen", "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" sowie "An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung". In diesen Schriften bestritt Luther u.a. die Legitimität des Papsttumes, forderte ein antikuriales Reformprogramm, verwarf fünf der sieben Sakramente und bestritt den Opfercharakter der Messe . Am 3. Januar 1521 wurde er durch die Bulle Decet Romanum Pontificem von Leo X. exkommuniziert. Im gleichen Monat bekräftigte Luther die verurteilten Thesen.
Luther entwickelte ein Kirchenbild, nach dem die Kirche keine Hierarchie göttlichen Rechtes besitzt, aber Wort und Sakrament als Heilsmittel verwaltet. Die Gemeinschaft der Gläubigen hat geistliche Schlüsselgewalt, nicht aber im Gewissen verpflichtende Leitungsgewalt. Das Kirchenverständnis, das für die reformatorischen Kirchen (mindestens den lutherischen Teil davon) bis heute maßgebend werden sollte, gründet sich v.a. auf den berühmten Art. VII "Von der Kirche" der vom "Cheftheologen der Reformation", Philipp Melanchthon formulierten "Confessio Augustana", des Augsburger Bekenntnisses von 1530. Dort heißt es: "Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muß, die die Versammung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, daß das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente göttlichem Wort gemäß gereicht werden müssen. Und es ist nicht zur wahren Einheit der Kirche nötig, daß über alldie gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden, wie St. Paulus sagt: 'Ein Leib und ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe' (Eph 4,4.5)" Was damals viele als befreiende Elementarisierung und Konzentration ansahen, wird heute auch von lutherischen Theologen zunehmend als ein unzureichender Kirchenbegriff erkannt.
Der Reichstag zu Worms
Der neugewählte Kaiser Karl V. zitierte Luther im April 1521 schließlich vor den Wormser Reichstag, wo er abermals gefragt wurde, ob er seinen Lehren abschwöre. Luther erbat sich einen Tag Bedenkzeit, dann verweigerte er am 18. April 1521 endgültig die Rücknahme seiner Lehre und am 24. April auch die Unterordnung unter ein Konzil. Die berühmten Worte, mit denen er seine Weigerung, abzuschwören, beendete: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen" sind ein Musterbeispiel für die Entstehung eines Mythos. Ob Luther sie tatsächlich gesagt hat, gilt als äußerst unsicher. Gleichwohl werden sie bis heute mit Pathos zur Geburtsstunde der "neuzeitlichen Gewissensfreiheit" hochstilisiert. Jedenfalls verhängte dann das Wormser Edikt vom 26. Mai 1521 die Reichsacht über Luther und ordnete die Verbrennung seiner Schriften an. Luther war nun "vogelfrei" und an Leib und Leben bedroht.
Exil auf der Wartburg
Luthers Landesherr Friedrich der Weise kam der drohenden Vollstreckung der Reichsacht zuvor, indem er Luther nach einem Scheinüberfall auf die Wartburg entführen und dort in Sicherheit bringen ließ. Unter dem Decknamen "Junker Jörg" übersetzte Luther dort innert 13 Wochen das Neue Testament ins Deutsche (Sprache der sächsisch-böhmischen Staatskanzlei). Die Bibelübersetzung, die - in diesem Fall zu Recht - als Geburtsstunde einer einheitlichen deutschen Sprache gilt, war eine kulturelle Großtat, deren geistesgeschichtliche Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Mithilfe des neu erfundenen Buchdrucks kam die Bibel schnell in Umlauf und wurde ein echtes "Hausbuch". 1534 folgte das Alte Testament. Er verfasste aber auch Schriften gegen das Mönchsgelübde, was anschließend eine Anzahl von Klöstern veröden ließ.
In Wittenberg hatte sich unter Führung Melanchtons und Karlstadts inzwischen eine lutherische Abendmahlsgemeinschaft gebildet, deren radikale Elemente bald Unruhen hervorriefen. Es kam zu "Bilderstürmen". Luther sah sich zum Eingreifen gezwungen und erschien am 6. März 1522 in Wittenberg, wo er durch die sog. "Invokavitpredigten" die öffentliche Ordnung widerherstellen konnte.
Spätzeit
In seinen letzten Jahren bekräftigte Luther seine Kritik am Papsttum und entwickelte in den Schmalkaldischen Artikeln eine scharfe Abgrenzung zur katholischen Lehre. Am 18. Februar 1546 starb er in Eisleben. Seine letzten Worte, die er nur noch auf einen Zettel notieren konnte, sind wie eine Summe seiner Theologie: "Wir sind Bettler, hoc est verum."
Person - Kritik und Würdigung
War Luther mehr eine Person des ausgehenden Mittelalters oder ein frühes Kind der anbrechenden Neuzeit? Diese Frage ist so alt wie die Forschung über die Reformation. Sie kann hier nicht erörtert werden. Unstreitig ist: Luther war die zentrale Person der Reformation. Sein Charisma und seine Sprachgewalt erzeugten großen Eindruck und Wirkung bei seinen Zeitgenossen. Er war zwar ein originärer, aber kein systematischer theologischer Denker. Eine Gesamtdarstellung der christlichen Glaubensinhalte (Dogmatik) hat er, anders als Melanchthon und später Johannes Calvin, nicht vorgelegt. Er war mehr ein Meister der "kleinen Form", und darin auch nach dem Urteil vieler Kritiker ein begnadeter Seelsorger. Wie bei allen "Großen" der Geschichte ist seine Person nicht frei von Schattenseiten, liegen Größe und Begrenzungen eng beieinander. "Simul iustus et peccator": was Luther über den Stand des Menschen coram deo lehrte, gilt in eminentem Sinn auch für ihn selbst. Neben bewegenden Zeugnissen tiefer Christlichkeit (etwa sein "Sermon von der Bereitung zum Sterben"), die auch für den treuen Katholiken erbaulich und nützlich zu lesen sind, treten in seinem Werk und Wirken auch Anfälle von Maßlosigkeit und mangelnde Demut zu Tage. Den Papst bezeichnete er gerne als "Antichrist", und in seiner Spätzeit ließ er sich zu schlimmen antisemitischen Ausfällen hinreißen, die eine fatale Langzeitwirkung entbanden. Luther wollte keineswegs das Schisma, und er wollte keine "neue Kirche" gründen. Er strebte, wie viele Menschen seiner Zeit, eine "Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern" an. Dies Vorhaben konnte wohl v.a. aus zwei Gründen nicht gelingen: zum einen gelangte Luthers Theologie zu einer veränderten Lehrgrundlage, die den bisherigen Weg der Kirche durch die Zeit als Irrweg darstellte. Zum anderen war der Katholizismus in seiner Zeit in einer mehr als schlechten Verfassung und äußerlich vielfach depraviert. Die Kirche war nicht imstande, auf die Herausforderungen des Wittenberger Theologen produktiv zu reagieren. Nach Jahrhunderten einer vehementen Anti-Luther-Apologetik auf katholischer Seite, die ihren Höhepunkt in den Schriften des dominikanischen Kirchenhistorikers Heinrich Denifle Ende des 19. Jahrhunderts hatte, hat sich im Lauf des 20. Jahrhunderts eine differenzierte katholische Sicht auf Luther und die Reformation durchgesetzt. Hierfür waren von allem die Arbeiten des großen Mainzer Reformationshistorikers Joseph Lortz wegbereitend. Papst Johannes Paul II. hat bei seiner Begegnung mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) während seines ersten Deutschlandbesuchs im November 1980 in Mainz Luther denn auch als einen "Lehrer im Glauben" gewürdigt. Diese Sichtweise hat sich heute im katholischen Bereich weitgehend durchgesetzt und wird wohl nur noch innerhalb des Traditionalismus) bestritten, für den Luther ein verdammungswürdiger Häretiker geblieben ist. Erst das Konzil von Trient (Tridentinum), mit dem die weitgehend erfolgreiche Gegenreformation eingeleitet wurde, brachte eine Wende - leider zu spät, um das Schisma und mit ihm das Entstehen des Protestantismus zu verhindern.