Unam sanctam
Mit der Bulle Unam sanctam von 1302 hat Papst Bonifaz VIII. die Ansprüche des Papsttums im weltlichen Bereich "auf die Spitze getrieben". Gipfelnd im Schlussatz, der, damaligen Begriffen nach, ex cathedra erging (vgl. Denzinger-Hünermann, Nr. 875), dass es für alle Geschöpfe heilsnotwendig sei, dem Papste untertan zu sein, markiert die Bulle eine nahezu theatralische "Papsttumsdämmerung". Denn schon wenige Jahre später, im Exil von Avignon, dann, einmündend in das Große Abendländische Schisma, wurde das spätmittelalterliche Papsttum real immer schwächer und schwächer, noch schwächer in der Neuzeit.
Eine Bulle ist ein päpstliches Dokument, dass mit einem Bleisiegel beglaubigt wird und früher auch in einer Kapsel („bulla“) verwahrt wurde. Damit ist fast immer eine rechtliche Regelung verbunden, aber auch manche Lehrschreiben heißen „Bulle“.
Zitiert werden diese Dokumente, wie auch Enzykliken, nach dem Textanfang, dem Incipit. Nur wenige Bullen sind heute noch von allgemeinem Interesse. Das gilt aber für „Unam sanctam“ von 1302. Denn die ältere Theologie hielt deren Schluss-Satz für unfehlbar erlassen. Nach den Kriterien des I. Vatikanums ist das aber nicht mehr völlig eindeutig.
Diese Bulle hat Papst Bonifaz VIII. erlassen. Nie zuvor wurde der päpstliche Anspruch so umfassend formuliert. Dieser blitzgescheite und machtbewusste Papst, der das erste offizielle „Heilige Jahr“ 1300 in Rom ausrief, ahnte einen schweren Konflikt mit den Staatsgewalten voraus. Denn zu seiner Zeit begann das heftige Ringen mit dem französischen Königreich, das bald zum Exil der Päpste in Avignon führte, mit allen Folgen.
Derart in der Defensive verfügt Bonifaz: Es ist für jeden Menschen zum Heil notwendig, dem römischen Papst anzugehören. Der Ausspruch wirft Fragen auf. Sind auch die Fürsten, heute die Völker, dem Papsttum zu unterwerfen? Wenigstens in geistlichen Dingen? Auch das Mittelalter hat die Bereiche unterschieden. Der Papst adressierte seinen zugespitzten Anspruch an die Könige seiner Zeit, aber er nahm nicht deren Autorität für sich in Anspruch. Die Kirche traf allmählich genauere Unterscheidungen: Es gibt nicht nur verschiedene Kompetenzen, es gibt auch eine echte, wenn auch relative Autonomie der weltlichen Bereiche.
Aber die vernünftige Bestimmung der Grenze steht nach katholischer Auffassung der Kirche zu. Die Bischöfe und der Papst sagen: Bis hierher und nicht weiter. Ein Gesetz zum Lebensschutz ist nur dann christlich, wenn es das ganze Leben schützt. Die Gesetzgebung selber beansprucht die Kirche aber nicht, die beanspruchte nicht einmal Bonifaz VIII.
„Unam sanctam“ verbietet also, insoweit noch heute beachtlich, die Unterwerfung der Kirche unter die Politik. Denn nur dann kann sie, wie der Name der Bulle sagt, die eine und heilige Kirche bleiben. Das führt immer und überall, immer wieder zu Konflikten. Aber diesen Sorgen muss sich die Kirche Christi aussetzen, um die ihr von Christus gegebene, ihre eigene Verfassung als Hierarchie heiligen Ursprungs inmitten aller veränderlichen Staatsverfassungen dieser Welt praktizieren zu können. Anders kann die Religion den Menschen überall auf Erden keine Zukunft auftun.
Also stellt die Konzeption von Unam sanctam sehr wichtige Unterscheidungsmerksmake von geistlicher und weltlicher Autorität zur Verfügung, die auch heute nich nicht einfach belanglos sind (und seit Luther in der Reformation quasi umgekehrt wurden). Im Kern vertritt das Papsttum noch immer den höheren Rang der geistlichen Gewalt vor der weltlichen. Allerdings wurden die Ansprüche, dass das "weltliche Schwert" für die Kirche streiten müsse, in mehreren Stufen abgeschwächt. Heute beansprucht die kirchliche Hierarchie auch keine indirekte zeitliche Gewalt mehr. Beibehalten wird aber der Anspruch des Katholizismus, dass die Kirche auch in den Dingen dieser Welt ihre Wegweisung auszusprechen hat (vgl. Gaudium et spes). Bewähren muss sie sich jedoch im Glaubensleben des Gottesvolkes und so überzeugen. Die Reichweite der "Königsherrschaft Christi" hängt mithin von der Treue seiner Getauften ab, nicht von absolutistischen Staatsmodellen, die der Religion stets mehr schadeten als nützten (etwa im Gallikanismus oder Josephinismus).
In diesem, geläuterten Sinne ist der Schluss-Satz aus Unam sanctam auch heute noch ein "Stein des Anstosses", der Respekt verdient. Die heutige Deutung dieses Satzes lautet nämlich sinngemäß: Die Würde des Menschen ist unantastbar.