Leib Christi
Inhaltsverzeichnis
Der „Leib Christi“ - in den paulinischen Schriften
Im Verständnis von „Leib Christi“ bei Paulus verbindet sich das Verständnis von einem Leben der Kirche in Christus mit dem Dienst an den Ortsgemeinden, deren Wesen und Verflochtenheit untereinander er damit zum Ausdruck bringen will.
Im Vergleich zu Paulus gibt es in den synoptischen Evangelien Passagen, die ähnliche Gedankengänge aufweisen, z.B. in Mt 22,8f, wo Jesus die Jünger ermahnt, dass nur einer ihr Meister ist, alle anderen aber Geschwister sind. Johannes führt in seinem Evangelium theologische Aussagen des Herrn über die Verbundenheit des Auferstandenen mit jedem Christen in der Allegorie vom Weinstock und den Reben (Joh 15,1-5) aus.
Es kann auch festgehalten werden, dass weder Paulus noch die Deuteropaulinen vom „mystischen“ „Leib Christi“ sprechen! Das ist wichtig hinsichtlich der Ausdrucksweise des christlichen Altertums und frühen Mittelalters, die den „Leib Christi“ – Begriff fortentwickelte, und in dieser Fortentwicklung das ursprünglich paulinische Verständnis vom „Leib Christi“ vertieft hat.
Im paulinischen Bild des „Leib Christi“ werden zwei Erfahrungen verbunden. Zum einen ist die Kirche vom Geist Gottes (pneumatisch) konzipiert und geleitet, zum Anderen sieht Paulus die Ortsgemeinde, die sich durch die Teilhabe an dem einen eucharistischen Leib zu einer Gemeinschaft (sakramental) konstituiert.
Der charismatische Aspekt
In vielen Briefen spricht Paulus davon, dass sich die Christen, das neue Volk Gottes, in den „Leib Christi“ verwandeln. Joseph Ratzinger sagt: „Für Paulus ist das Wort vom Leib Christi, der die Christen sind, nicht bloß ein Vergleich, sondern er drückt eine entscheidende Wirklichkeit des Wesens der Kirche aus.“ (Joseph Ratzinger, Das neue Volk Gottes, 83.)
Paulus denkt dabei an die Realität der Einheit, die dadurch gegeben ist, dass die Gläubigen in Christus sind. Für diese Einheit gibt es zwei miteinander verbundene Elemente. Zum Einen ist es die Einheit, die Jesus im letzten Abendmahl in Brot und Wein, seinem Leib und Blut, in Anlehnung an das heilsgeschichtlich bedeutsame Passahmahl des Exodus als seine Erlösungstat, für uns, gestiftet hat. Dieses Wirken ist immer begleitet durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Durch die Taufe sind wir in Christus, in seinen Leib „hineingepfropft“ worden
An vielen verschiedenen Textstellen wird deutlich, dass Paulus in Christus die Welt neu wahrnimmt. Er, der als strenggläubiger Jude das Volk Israel bislang allein als Bundesvolk Gottes gesehen hatte, entdeckt: In Christus ist eine neue, mystische Wirklichkeit angebrochen. Das Bild des Bundesvolkes reicht allein nicht mehr aus, um die Wirklichkeit der Kirche und ihr Verhältnis zu ihrem Herrn und Stifter angemessen auszudrücken. Paulus greift, nach Ratzinger, drei Motive auf, die in der Benennung der Kirche als „Leib Christi“ zusammenströmen:
a) Das Brautmotiv.
Im Alten Testament, v.a. im Buch Hosea wird Israel als Braut dargestellt, die allein Jahwe gehört. Der Bundesbruch gilt daher als Hurerei, Israel ist wie eine Dirne, die Ehebruch begeht, weil sie anderen Göttern nachläuft. In 1 Kor 6,12-20 greift Paulus das Brautmotiv auf und überträgt es auf die Christen, die in Jesus Christus ein neues Leben begonnen haben. Er sagt:
„Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen? Auf keinen Fall! Oder wisst ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt: Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst, denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in euerem Leib.“ (1 Kor 6,15-20)
Schon hier weist Paulus darauf hin, dass der menschliche Leib nicht mehr dem Einzelnen gehört, sondern dass jeder (durch die Taufe) Christus gehört (vgl. 1 Kor 3,23; 6,19), ein Glied seines Leibes ist (vgl. 1 Kor 6,15) und deshalb teilhat an seiner Würde und so weder von anderen noch sich selbst degradiert werden darf. (1 Kor 6,15-18). Ratzinger sagt: „Wie nach Gen 2,24 Mann und Weib im Vollzug der ehelichen Liebesgemeinschaft ‚ein Fleisch‘ werden, so sind Christus und der Christ zusammen ‚ein Pneuma‘, d.h. eine einzige neue ‚geistliche‘ Existenz.“
Wenn die ganze Gemeinde (nicht der einzelne Christ, die Kirche) als „Braut Christi“ erscheint, so weist das auf ein neues Selbstbewußtsein der Gemeinde als Volk Gottes hin, nämlich als die Braut, die mit dem Sohn Gottes zu einer neuen, ganz realen Einheit mit ihm verschmolzen ist in seinem Geist.
Pius XII. führt in seiner Enzyklika Mystici corporis weiterführend aus, dass nur die zu den Gliedern der Kirche zuzuzählen sind, die die Taufe empfangen haben und den wahren Glauben bekennen; zu den dazu zugehörigen Fragen äußert sich dann Lumen gentium, die Konzilskonstitution über die Kirche (1964).
b) Das Stammvatermotiv (vgl. dazu Röm 4. 5; 1 Kor 15; Gal 3).
Christus wird als der neue Stammvater bezeichnet, sei es als neuer Adam oder als Same Abrahams. Nach dem hebräischen Denken ist der Stammvater derjenige, der alle Menschen seiner Herkunft innerlich miteinander vereint. Er trägt alle in sich. Das Volk trägt sodann den Namen seines Stammvaters. Wenn nun Christus als neuer Stammvater bezeichnet wird, so soll das die radikale Einheit aller Menschen mit ihm zum Ausdruck bringen. Übertragen auf die Christen kann man sagen, dass sie das neue Gottesvolk sind, da sie in Christus ein einziger Leib geworden sind.
c) Einpfropfung in Christus durch die Taufe (vgl. 1Kor 10,14-22; 12,13; Röm 6,1-11; Röm 11,16-19).
Paulus verwendet gerne das Bild der Veredelung von Pflanzen für die Weise, wie wir in der Taufe nachträglich in die Geistwirklichkeit Christi hinein-gepfropft wurden. Denn wir entstammen von unserem menschlichen Körper her dem Leib des Adam. In der Taufe werden wir durch den Heiligen Geist in die Verbundenheit zwischen Vater und Sohn mit hineingenommen und in den Leib der Kirche aufgenommen. In Christus erhalten wir Anteil am neuen Adam und bilden alle gemeinsam den einen „Leib Christi“. In dieser „Neugeburt“ werden wir mit Christus in seinem Leiden und Sterben vereint und haben Anteil an seiner Auferstehung.
Paulus schreibt:
„Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein“ (Röm 6,4-5).
Gnadengaben des Heiligen Geistes
In 1 Kor 12,1-11 und Röm 12,4-8 streicht Paulus besonders die Gnadengaben des Heiligen Geistes heraus. Gnade bezeichnet nach der Definition eines theologischen Wörterbuchs „die sich aktiv, frei und absolut ungeschuldet dem Menschen zuwendende Zuneigung Gottes sowie die Wirkung dieser Zuneigung, in der Gott sich dem Menschen selber mitteilt.“ Jedem, der auf den Namen Jesu Christi getauft wurde, sind durch die Gnade Gottes besondere Gaben geschenkt worden. Sie sind bewirkt durch den einen Geist (vgl. 1 Kor 12,11; Eph 4,4). Sind die Glieder auch sehr verschieden, so bilden sie doch miteinander eine Einheit in Jesus Christus. Paulus betont immer wieder in seinen Bildern die Einheit in der Vielheit und die Vielheit in der Einheit. Dabei scheint ihm ein wichtiges Anliegen zu sein, dass kein einziges Glied in dem großen Leib untergeht, sondern seinen besonderen und ganz eigenen Platz einnimmt, den nur er ausfüllen kann und der ihm aufgrund der Gnade Gottes zugewiesen wurde.
In 1 Kor 12,7-11 und Röm 12,4-8 weist Paulus auf die Dienste hin, die jedem zukommen. Gnadengaben, Dienste und Kräfte sind Offenbarungen des einen Gottes und sollen der Gemeinschaft nützen (vgl. 1 Kor 12,4-7).
Jede Gemeinde ist vom Geist mit allen wichtigen Charismen und Diensten ausgestattet worden, die für das Zusammenleben als christliche Gemeinschaft notwendig sind und die sich ergänzen. Paulus hebt keine Gabe besonders hervor. Vielmehr nennt er sie in einem Atemzug. Man könnte sich darüber Gedanken machen, warum er prophetische Rede bzw. die Mitteilung von Weisheit an erster Stelle nennt und Barmherzigkeit zu üben und Zungenrede zu deuten jeweils an letzter. Aber über den Grund der Reihenfolge nachzudenken wäre in diesem Zusammenhang müßig, denn Paulus geht es um die Einheit in der Verschiedenheit. Alle Dienste sind gleich wichtig und gleichwertig und sollen verantwortungsbewußt in der Gemeinde eingebracht und ausgeführt werden. Darauf weist Paulus in 1 Kor 12,12-27 deutlich hin, wo er genauer auf den Aufbau des Leibes zu sprechen kommt.
Durch die Taufe ist jeder Christ Teil des Leibes Christi geworden. Jeder ist in seiner ausgeprägten Andersartigkeit gleichwertig. Es gibt vor Gott keine Ränge, Privilegien, oder sonstige Unterschiede mehr (vgl. 1 Kor 12,13 ). Jeder Christ ist ein Glied am Leib, den die anderen Glieder weder ignorieren dürfen, noch sich selber aus dem Zu-sammenhang von füreinander dasein und gegenseitiger Förderung herausnehmen darf (vgl. 1 Kor 12,14-16 ). Gerade in aller Einheit ist die Verschiedenheit elementar wichtig, denn der Leib soll ja nicht nur aus einer Sorte von Gliedern bestehen. Paulus sagt in dem Zusammenhang:
„Wenn der ganze Leib bloß Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? [...] Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib? So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib.“ (1 Kor 12,17.19-20)
Cerfaux weist darauf hin, dass in der Einheit der Kirche wir alle die Glieder eines einzigen Leibes sind, der Christus ist und so folglich zwischen uns der gleiche Zusammenhang besteht, der die Glieder eines menschlichen Leibes untereinander verbindet, nämlich die positive Ausstrahlung sich ergänzender Christen. Die Möglichkeit einander in der Entfaltung von Gaben zu fördern. Seinen eigenen Platz finden können. Deshalb gibt es keinen Grund, sich selbst nicht ernstzunehmen, die eigene Begabung mit anderen zu vergleichen, andere nicht zu fördern und ihren Gemeindeleitern die ganze Arbeit zu überlassen.
Ein weiterer wichtiger Gedanke ist, dass die Glieder des Leibes die Zugehörigkeit zum Leib angeboten bekommen: Gott bietet die Teilhabe durch die Einsenkung des Heiligen Geistes in der Taufe an (vgl. 1 Kor 12,13).
Dieses Entgegenkommen Gottes begleitet schon die frühe Kirche im Katechumenat. Die Aufnahme in die Kirche ist die Zusage einer lebenslangen Weggemeinschaft: Jeder ist auf den Anderen angewiesen, d.h. jeder ist für das Wohlergehen des Anderen mitverantwortlich. Paulus verweist hier besonders auf die schwächeren, weniger edlen und geringgeachteten Glieder, die von Gott in besonderem Maße geehrt werden. Gott ist es, der die Gleichrangigkeit der Glieder herstellt und vertraut sie den Gliedern an, dass sie füreinander sorgen ( vgl. 1 Kor 12,21-27).
Paulus sagt: „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm.“ (1 Kor 12,27) Ihm liegen die Gemeinden sehr am Herzen, dass sie im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes wachsen können, immer mehr Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen (vgl. Gal 4,19 und Eph 4,13). Daher plädiert er eindringlich auf die Verantwortlichkeit und Bevollmächtigung jedes einzelnen Christen, dass jeder sich nach der ihm eigens verliehenen Gnade entfalten kann. Die Glieder sollen einander fördern, denn die Gemeinde lebt vom Zusammenspiel der Gnadengaben. Kein Glied ist ausgenommen, keines ist überflüssig, jeder hat seinen ihm zugewiesenen Platz. Jeder einzelne ist Zeuge Gottes, Träger der Offenbarung und seines Heilshandelns.
Literatur
- Constantin Noppel, Adificatio Corporis Christi, Herder & Co. G.m.b.H. Verlagsbuchhandlung Freiburg im Breisgau 1937; Imprimatur Friburgi Brisgoviae, die 2. Decembris 1936 Rösch, Vic. Gen; Empfehlung des Freiburger Erzbischofes Konrad vom 30.11.1936;
- Pius XII., Enzyklika Mystici corporis über den Geheimnisvollen Leib Christi vom 29. Juni 1943.
- Ferdinand Holböck, Der eucharistische und der mystische Leib Christi in ihren Beziehungen zu einander nach der Lehre der Frühscholastik, Verlag "Officium Libri Catholici" Rom 1941.