Evangelica testificatio (Wortlaut)
Evangelica testificatio |
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(Quelle: Nachkonziliare Dokumentation – im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Band 36, lateinisch und deutscher Text, S. 64-125, Paulinus-Verlag Trier 1970; Imprimatur Nr. 3/73 Treveris, die 10.1.1973 Israel d. m. Vicarius Generalis. Die Nummerierung folgt der englischen Fassung [1]).
Allgemeiner Hinweis: Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramstexte, dürfen nicht als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der Vatikanseite [2] können als offiziell angesehen werden (Schreiben der Libreria Editrice Vaticana vom 21. Januar 2008).
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
1 Das evangelische Zeugnis des Ordenslebens offenbart vor den Augen der Menschen deutlich und nachdrücklich, dass die Liebe zu Gott den Vorrang hat. Für diese Tatsache muss man dem Heiligen Geist danken. In aller Einfachheit möchten Wir, wie es auch Unser letzter Vorgänger Johannes XXIII. am Vorabend des II. Ökumenischen Vatikanischen Konzils getan hat (1), Euch versichern, welche Hoffnung in Uns und auch in allen Hirten und Gläubigen der Kirche die geistliche Hochherzigkeit jener Männer und Frauen erweckt, die ihr Leben Gott geweiht haben, indem sie den Geist und die äußere Lebensform der evangelischen Räte verwirklichen. Wir möchten Euch auch helfen, den von Euch eingeschlagenen Weg der Nachfolge Christi in Treue zu den Lehren des II. Vatikanischen Konzils fortzusetzen.
2 Wir möchten so der Unruhe, der inneren Unsicherheit und Unbeständigkeit entgegenwirken, die manche an den Tag legen. Wir möchten aber auch denen Mut machen, die an der wahren Erneuerung des Ordenslebens arbeiten. Gewisse allzu kühn und willkürlich vorgenommene Veränderungen, übertriebenes Misstrauen gegenüber der Vergangenheit, auch wenn sie von der Weisheit und Lebenskraft kirchlicher Traditionen zeugt, eine Geisteshaltung, die allzu sehr geneigt ist, sich eilig den großen Wandlungen anzupassen, von denen unsere Zeit erschüttert wird: all das mag wohl manche bewogen haben, eigentümliche Formen des Ordenslebens für überholt zu halten. Sind nicht manche so weit gegangen, unter ganz und gar ungerechtfertigter Berufung auf das Konzil das Wesen des Ordenslebens selbst zur Diskussion zu stellen? Es steht aber fest, dass das Konzil gerade dieser „besonderen Gnadengabe" einen einzigartigen Platz im Leben der Kirche zuerkannt hat, insofern jene, die diese Gnadengabe empfangen haben, mehr „dem jungfräulichen und armen Leben angeglichen" werden, „das Christus der Herr für sich selbst gewählt und das auch seine jungfräuliche Mutter gelebt hat (2)". Außerdem zeigt das Konzil Wege zur Erneuerung dieser Gnadengabe gemäß den Lehren des Evangeliums (3).
3 Die Überlieferung der Kirche - muss man daran erinnern? - kennt von Anfang an dieses außerordentliche Zeugnis eines unermüdlichen Eifers im Suchen nach Gott, einer einzigartigen und ungeteilten Liebe zu Christus und eines radikalen Einsatzes für das Wachsen seines Reiches. Fehlt dieses sichtbare Zeichen, dann besteht die Gefahr, dass die Liebe erkaltet, von der die ganze Kirche lebt, jene Heilsbotschaft des Evangeliums, die dem normalen menschlichen Denken so entgegengesetzt ist, ihre Kraft verliert, und das Salz des Glaubens in einer heute immer weltlicl1er werdenden Welt schal wird.
Von den ersten Jahrhunderten an erweckte der Heilige Geist neben den Märtyrern, die in heroischer Weise Christus bekannten, die bewundernswürdige Glaubensstärke der Jünger, Jungfrauen und Einsiedler. Das war schon eine erste Andeutung des Ordenslebens, das sich allmählich herausbildete, in einer fortschreitenden Entwicklung aufblühte und sich in die verschiedenen Formen des gemeinsamen oder einsiedlerischen Lebens entfaltete. So erhielt die drängende Einladung Christi eine Antwort: „Niemand verlässt Haus oder Frau, Geschwister oder Eltern oder Kinder um des Reiches Gottes willen, ohne Vielfaches zu empfangen schon in dieser Welt und in der zukünftigen Welt das ewige Leben (4)."
Wer wagte zu behaupten, dass diese Einladung nicht mehr die gleiche Kraft und Lebendigkeit habe? Dass die Kirche solche hervorragenden Zeugen übernatürlicher Christusliebe entbehren könne? Dass die Welt ohne Schaden das Erlöschen solcher Leuchten hinnehmen könne, die das Reich Gottes mit einer Freiheit verkünden, die durch keine Hindernisse belastet und täglich von Tausenden Söhnen und Töchtern der Kirche gelebt wird?
4 Liebe Söhne und Töchter! Ihr lebt nach den evangelischen Räten und wollt so Christus in größerer Freiheit nachfolgen und ihn gänzlich nachahmen. Euer ganzes Leben gehört Gott durch eine besondere Weihe, die in der Taufweihe wurzelt und diese deutlicher zum Ausdruck bringt. Begreift die außerordentliche Hochschätzung und Liebe, die Wir Euch im Namen Christi entgegenbringen! Wir empfehlen Euch unseren geliebten Brüdern im Bischofsamt, die sich zusammen mit den Priestern, ihren Mitarbeitern im Priestertum, dem Ordensleben gegenüber im Gewissen verantwortlich wissen. Wir bitten auch alle Laien, denen „eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, weltliche Aufgaben und Tätigkeiten zustehen (5)", zu begreifen, wie wirksam sie von Euch aufgefordert werden, auch selbst nach der Heiligkeit zu streben, zu der sie selbst durch ihre Taufe in Christus zur Ehre des Vaters berufen sind (6).
5 Sicherlich erweisen sich viele äußere Formen, die die Gründer der Orden und Kongregationen eingeführt haben, heute als überholt. Vieles, was sich im Laufe der Jahrhunderte anhäufte, hat das Ordensleben belastet und erstarren lassen. Davon muss es befreit werden. Anpassung ist nötig. Neue Formen können mit Zustimmung der Kirche gesucht und eingeführt werden. Der größere Teil der Ordensgemeinschaften bemüht sich schon seit mehreren Jahren mit Eifer darum. Neuartige Konstitutionen und Regeln wurden - manchmal allzu kühn - probeweise eingeführt. Wir wissen darum und beobachten aufmerksam diese vom Konzil geforderten Erneuerungsbemühungen (7).
6 Wie können Wir Euch helfen, bei diesem dynamischen Geschehen, bei dem immer die Gefahr besteht, dass der Geist der Welt sich mit dem Wirken des Heiligen Geistes vermischt, mit der notwendigen kritischen Einstellung an die anstehenden Sachfragen heranzugehen? Wie ist das Wesentliche sicherzustellen oder im dauernden Bemühen festzuhalten? Wie soll man die Erfahrungen der Vergangenheit und die Erkenntnisse unserer Zeit ins eigene Leben umsetzen, damit diese Art des evangelischen Lebens gestärkt wird?
Gemäß der besonderen Verantwortung des Amtes, das Gott Uns in der Kirche übertragen hat, nämlich „Unsere Brüder zu stärken (8)", wollen Wir Euch anspornen, mit größerer Zuversicht und froherem Vertrauen den Weg fortzusetzen, den Ihr gewählt habt. Euer Leben wird geprägt vom „Streben nach vollkommener Liebe (9)“. Müsst Ihr Euch dabei nicht von der Bereitschaft leiten lassen, vorbehaltlos dem Heiligen Geist zu gehorchen, der Euch durch sein Wirken in der Kirche zur Freiheit der Kinder Gottes ruft (10)?
DAS ORDENSLEBEN
7 Liebe Söhne und Töchter! In Freiheit habt Ihr auf den Anruf des Heiligen Geistes geantwortet und Euch darauf festgelegt, Christus in Ganzhingabe nachzufolgen. Die evangelischen Räte der gottgeweihten Keuschheit, der Armut und des Gehorsams sind nun Euer Lebensgesetz. Im Blick auf diese evangelischen Räte betont nun das Konzil: „Die Autorität der Kirche selbst hat unter Leitung des Heiligen Geistes für ihre Auslegung, die Regelung ihrer Übung und die Festsetzung entsprechender dauerhafter Lebensformen gesorgt (11)." Auf folgende Weise anerkennt es diese und erklärt die Lebensform für berechtigt, die durch die Profess auf die evangelischen Räte begründet wird: „Durch die Gelübde oder andere heilige Bindungen, die jeweils in ihrer Eigenart den Gelübden ähnlich sind, verpflichtet sich der Christgläubige zu den drei genannten evangelischen Räten und gibt sich dadurch dem über alles geliebten Gott vollständig zu eigen... Er ist zwar durch die Taufe der Sünde gestorben und Gott geweiht; um aber reichere Frucht aus der Taufgnade empfangen zu können, will er durch die Verpflichtung auf die evangelischen Räte in der Kirche von den Hindernissen, die ihn von der Glut der Liebe und der Vollkommenheit der Gottesverehrung zurückhalten könnten, frei werden und wird dem göttlichen Dienst inniger geweiht. Die Weihe ist aber um so vollkommener, je mehr sie durch die Festigkeit und Beständigkeit der Bande die unlösliche Verbindung Christi mit seiner Braut, der Kirche darstellt (12)."
Diese Lehre des Konzils stellt die Größe des Geschenkes klar heraus, das Ihr selbst in freier Entscheidung gemacht habt. Dieses Geschenk ist - ähnlich dem Gnadengeschenk Christi an seine Kirche - absolut und unwiderruflich. Um des Himmelreiches willen habt Ihr Christus hochherzig und ohne jeden Vorbehalt Eure Liebeskraft, den Wunsch nach Besitz und die freie Verfügung über Euer Leben geweiht, Güter, die dem Menschen so viel bedeuten. Darin besteht Eure Weihe. Sie wird vollzogen in der Kirche und durch ihre Vermittlung, sei es durch den Dienst derer, die an ihrer Stelle die Ordensprofess entgegennehmen, sei es durch den Dienst der christlichen Gemeinschaft, die diejenigen liebevoll anerkennt, aufnimmt, fördert und schützt, die sich in ihrer Mitte selbst zu einem lebendigen Zeichen machen, „das alle Glieder der Kirche wirksam zur eifrigen Erfüllung der Pflichten ihrer christlichen Berufung hinziehen kann und soll", da der Ordensstand ja „mehr die himmlischen Güter, die schon in dieser Zeit gegenwärtig sind", allen Gläubigen kundmacht (13).
8 Manche von Euch sind zum sogenannten beschaulichen Leben berufen. Eine unwiderstehlich lockende Kraft zieht Euch zum Herrn hin. Von Gott ergriffen, überlasst Ihr Euch seinem allmächtigen Wirken, durch das Ihr zu ihm emporgehoben und in ihn umgewandelt werdet. So werdet Ihr zu der ewigen Schau bereitet, die unsere gemeinsame Berufung ist. Könnt Ihr aber auf diesem Wege voranschreiten und die Euch beseelende Gnadengabe treu bewahren, wenn Ihr nicht aus ganzem Herzen und mit Eurem ganzen Leben, bewegt von der dynamischen Kraft der Liebe, dem Ruf folgt, der Euch beständig auf Gott ausrichtet? Seht daher in jeder anderen Betätigung, der Ihr Euch zu widmen habt - etwa Umgang mit den Mitbrüdern oder Mitschwestern, unbezahlte oder bezahlte Arbeit, die notwendige Entspannung und dergleichen - ein Zeugnis Eurer innigen Verbindung mit Gott. Gebt dieses Zeugnis vor ihm, damit er Euch jene Lauterkeit einer alles in einer Einheit zusammenfassenden inneren Ausrichtung schenkt, die so notwendig ist, wenn man mit ihm zur Zeit des Gebetes verbunden sein will. So tragt Ihr zur Ausbreitung des Gottesreiches bei durch das Zeugnis Eures Lebens und „durch eine geheimnisvolle apostolische Fruchtbarkeit (14)".
9 Andere widmen sich der zentralen Aufgabe des Apostolates. Sie verkünden das Wort Gottes all denen, mit denen sie nach dem Willen Gottes zusammentreffen, und leiten sie zum Glauben an. Diese Gnadengabe verlangt einen vertrauten Umgang mit Gott. Nur aus ihm heraus könnt Ihr die Botschaft vom menschgewordenen Wort verkünden, indem Ihr Euch einer Sprache bedient, die die Menschen verstehen können. Wie notwendig ist es deshalb, dass Euer ganzes Leben Euch zu Schicksalsgenossen seines Leidens, seines Todes und seiner Herrlichkeit macht (15)!
10 Macht nicht auch dann, wenn Euch Eure Berufung andere Bereiche im Dienst an den Menschen zuweist - wie Seelsorge, Mission, Unterricht, karitative Arbeit und ähnliches - vor allem die Kraft eines gottverbundenen Herzens diese Dienste fruchtbar, und zwar im Sinne einer Verbindung mit Gott, die „im Verborgenen geschieht (16)"? Müssen nicht in Treue zur Lehre des Konzils "... die Mitglieder aller Institute..., da sie zuerst und einzig Gott suchen, die Kontemplation, durch die sie ihm im Geist und im Herzen anhangen, mit apostolischer Liebe verbinden, die sie dem Erlösungswerk zugesellt und zur Ausbreitung des Reiches Gottes drängt (17)“?
11 Nur so könnt Ihr je nach dem besonderen Charisma Eurer von Gott in der Kirche berufenen Gründer und Gründerinnen die Menschen zur Annahme der göttlichen Wahrheit und Liebe führen. Das Konzil schärft mit Recht den Ordensmännern und Ordensfrauen die Pflicht ein, den Geist der Gründer und Gründerinnen, ihre am Evangelium ausgerichteten Zielsetzungen und das Beispiel ihrer Heiligkeit treu zu bewahren. Das muss als eine Grundlinie bei der jetzt zu verwirklichenden Erneuerung anerkannt werden; es ist auch eines der sichersten Kriterien für das, was jedes Institut in Angriff nehmen muß (18). Denn das Charisma des Ordenslebens geht ja in keiner Weise auf das „Drängen des Blutes und das Wollen des Fleisches (19)" oder eine Mentalität zurück, die sich „dieser Welt angleicht (20)". Es ist vielmehr Frucht des Heiligen Geistes, der immer in der Kirche wirksam ist.
12 Genau daraus erwächst jeder Ordensgemeinschaft ihre je eigene Dynamik. Denn wenn sich auch die göttliche Berufung je nach Orts- und Zeitumständen erneuert und verschiedene Gestalt annimmt, so fordert sie doch eine gewisse sich durchhaltende Grundrichtung. Die ihr entsprechende innere Begeisterung lässt im Leben der Menschen verschiedene Grundtypen der Verwirklichung erkennen, für die man sich entscheiden muss. Die Treue zu den Forderungen, die sich aus diesen Grundtypen ergeben, ist gewissermaßen der Prüfstein für die Echtheit eines Ordenslebens. Wir dürfen allerdings auch Folgendes nicht vergessen: Jede menschliche Institution ist der Gefahr der Erstarrung und einer unfruchtbaren Observanzentreue ausgesetzt. Die sorgfältige äußere Beobachtung der Gesetze genügt noch nicht, um die Bedeutung eines Lebens und seine kontinuierliche Verwirklichung sicherzustellen. Deshalb müssen alle äußeren Formen immer neu durch jenen inneren Eifer mit Leben erfüllt werden, ohne den sie bald zu einer allzu schweren Last werden.
In der Verschiedenheit der Lebensformen, die jedem Institut sein eigenes Gesicht geben und in der Fülle der Gnade Christi (21) gründen, ist die Nachfolge Christi nach der Lehre des Evangeliums als oberste Regel und sicherste Norm für das Ordensleben anzusehen. Hat sich nicht aus dem Bemühen um diese Nachfolge im Laufe der Jahrhunderte die Forderung nach einem keuschen, armen und gehorsamen Leben ergeben?
DIE EINZELNEN GELÜBDE
13 Nur die Liebe zu Gott - es muss wiederholt werden - drängt die Menschen am stärksten zur Verwirklichung der Keuschheit. Diese Liebe zu Gott verlangt so gebieterisch die Bruderliebe, dass der Ordenschrist in tieferer Weise im Herzen Christi in Verbindung mit den Mitmenschen lebt. Unter dieser Voraussetzung ist die Hingabe, in der sich jemand Gott und den Mitmenschen schenkt, Quelle einer ruhigen Ausgeglichenheit. Die zwischenmenschliche Liebe und die Ehe sollen nicht herabgesetzt werden. Denn letztere ist ja nach dem Glauben Bild und Teilhabe an der Liebesvereinigung Christi mit der Kirche (22). Doch die gottgeweihte Keuschheit bringt diese Einheit unmittelbarer zum Ausdruck und verwirklicht jenes Hinauswachsen über sich selbst, um das sich alle menschliche Liebe bemühen muss. Gerade in unserer Zeit, in der die menschliche Liebe mehr denn je von „zerstörender Erotik (23)" bedroht wird, muss .die Keuschheit in ihrer Bedeutung voll und ganz erfasst und redlich und hochherzig gelebt werden. Die Keuschheit ist eine ganz und gar positive Tugend. Sie gibt Zeugnis für eine Liebe, die Gott den ersten Platz einräumt. Sie ist ein erhabenes und eindeutiges Zeichen für das Geheimnis der Verbindung des Mystischen Leibes mit seinem Haupt, der Braut mit ihrem ewigen Bräutigam. Schließlich wirkt sie auf den Menschen zurück, prägt ihn tiefinnerlich und wandelt ihn zu einer gewissen geheimnisvollen Ähnlichkeit mit Christus.
14 Liebe Söhne und Töchter! Deshalb müsst Ihr der christlichen geistlichen Praxis der gottgeweihten Keuschheit ihre ganze wirksame Kraft zurückgeben. Wenn diese Tugend um des Himmelreiches willen wirklich gelebt wird, macht sie das Herz des Menschen frei und wird so „zu einem Zeichen und einem Antrieb der Liebe und einer besonderen Quelle geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt (24)". Auch wenn sie von dieser Welt nicht immer anerkannt wird, wird sie in ihr doch geheimnisvoll wirksam.
15 Es muss unsere unerschütterliche Überzeugung sein: Bedeutung und Fruchtbarkeit der aus Liebe zu Gott in der religiösen Ehelosigkeit bewahrten Keuschheit gründen letztlich im Worte Gottes, in der Lehre Christi, im Leben seiner jungfräulichen Mutter und in der von der Kirche immer wieder betonten apostolischen Tradition. Es geht bei dieser Keuschheit um eine kostbare Gnadengabe, die der Vater einzelnen gewährt. Infolge der menschlichen Schwäche ist es eine zerbrechliche und leicht verwundbare Gnadengabe. Deshalb ist sie dem Widerspruch eines rein natürlichen Denkens ausgesetzt und kann teilweise von denen nicht begriffen werden, denen im Licht des menschgewordenen Wortes noch nicht bewusst geworden ist, dass „wer sein Leben verliert" um seinetwillen, „es finden wird (25).
16 Keusch in der Nachfolge Christi, bemüht Ihr Euch nach seinem Beispiel auch um ein Leben in Armut, was den Gebrauch der zum täglichen Lebensunterhalt notwendigen Güter dieser Welt angeht. Gerade zu diesem Punkt stellen Euch die Menschen unserer Zeit besonders dringliche Fragen. Sicherlich haben die Ordensgemeinschaften eine besonders wichtige Aufgabe überall dort zu erfüllen, wo es um die Werke der Barmherzigkeit, die Hilfe für die Notleidenden und die soziale Gerechtigkeit geht. Die in diesen Bereichen tätigen Institute müssen immer die Forderungen des Evangeliums im Auge behalten. Das wird dazu führen, dass sie sich der heutigen Nöte annehmen.
17 Der „Notschrei der Armen (26)" war niemals drängender als heute. Ihr hört ihn von Menschen, die selbst arm sind und von gemeinsamer Not niedergedrückt werden. Ist Christus nicht gekommen, um auf den Hilferuf dieser gleichsam bevorrechtigten Kinder Gottes zu antworten (27)? Ist er nicht so weit gegangen, ihnen gleich zu werden (28)? In einer mit großer Schnelligkeit sich entwickelnden Welt gibt es weiterhin das Massenelend und die Not der einzelnen. Diese Tatsache fordert nachdrücklich eine „Umstellung der Gesinnung und Haltung (29)“. Das gilt besonders für Euch, die Ihr Christus in größerer Angleichung in seiner irdischen Entäußerung nachfolgt (30). Wie Wir wissen, hat diese Aufforderung ein so aufrüttelndes und starkes Echo gefunden, dass einige von Euch sich hier und da zu einem gewaltsamen Vorgehen aufgerufen fühlen. Aber könnt Ihr als Jünger Christi einen anderen Weg einschlagen als den, den er selbst gegangen ist? Ihr wisst, dass dieser Weg nicht in der Verkündigung politischer oder rein innerweltlicher Meinungen und deren Verwirklichung besteht; er ist vielmehr Aufruf zur Herzensumkehr, zur Befreiung von jeder Art irdischer Hindernisse, zur Liebe.
18 Wie antwortet Ihr nun in Eurem Leben auf diesen Notschrei der Armen? Vor allem verbietet er Euch, dass Ihr Euch da, wo es um soziale Ungerechtigkeit geht, neutral verhaltet. Er verpflichtet Euch dazu, das Gewissen der Menschen wachzurütteln angesichts des tiefen Elends und der von Evangelium und Kirche verkündeten Forderungen der sozialen Gerechtigkeit. Einige drängt er dazu, die Lebensbedingungen der Armen und ihre bittere Not zu teilen. Ebenso ruft er viele Institute dazu auf, bestimmte Tätigkeitsbereiche so umzustrukturieren, dass sie den Armen dienen, was übrigens schon von vielen großzügig geschehen ist. Schließlich fordert er von Euch einen Gebrauch der materiellen Güter, der sich nach den Erfordernissen der von Euch zu erfüllenden Aufgaben richtet. Ihr müsst auch in Eurem täglichen Leben innere und äußere Beweise einer echten Armut geben.
19 Welches Zeugnis aber gibt ein Ordenschrist, der sich inmitten einer Welt und Zivilisation, die durch ein Staunen erregendes und fast unbegrenztes Wachstum im Bereich der materiellen Güter gekennzeichnet ist, von der Sorge um die eigene Bequemlichkeit leiten lässt und es für richtig findet, unterschiedslos und maßlos alles zu gebrauchen, was ihm zur Verfügung steht? Heute befinden sich viele in der erhöhten Gefahr, sich von der verlockenden Sicherheit des Besitzes, des Wissens und der Macht blenden zu lassen. Da sollt Ihr nach Gottes Ruf in besonderer Weise das christliche Gewissen in der Welt sein. Ihr sollt die Menschen daran erinnern, dass ihr wahrer und echter Fortschritt im Eingehen auf ihre Berufung besteht, „als Kinder am Leben des lebendigen Gottes, des Vaters aller Menschen, teilzunehmen (31)".
20 Ihr kennt auch die beklagenswerte Lage so vieler Menschen, die unter dem erbarmungslosen Joch einer Arbeit stehen, die nur auf Gewinn aus ist, um sich Genuss und Konsum leisten zu können, die dann manchmal wiederum eine unmenschliche Anspannung der Lebenskräfte fordern. Es ist eine zentrale Aufgabe Eurer Armut, den tiefmenschlichen Sinn einer Arbeit zu bezeugen, die in innerer Freiheit geleistet wird und ihre natürliche Bedeutung darin hat, Hilfe zum Lebensunterhalt und Dienst zu sein. Hat nicht das Konzil sehr zutreffend gesagt, dass Ihr notwendigerweise dem „gemeinsamen Gesetz der Arbeit (32)" verpflichtet seid? Es ist Eure Aufgabe, durch Eure Arbeit für Euren eigenen Lebensunterhalt und den Eurer Brüder und Schwestern zu sorgen und die Armen zu unterstützen. Doch darf Eure Tätigkeit nicht im Widerspruch stehen zur besonderen Berufung Eurer verschiedenen Institute. Auch dürfen die Euch eigenen Tätigkeiten nicht auf Dauer durch andere Arbeiten ersetzt werden. Das hätte notwendigerweise zur Folge, dass Ihr zum Schaden des Ordenslebens auf irgendeine Art eine weltliche Lebensweise annehmen würdet. Achtet deshalb sorgfältig auf den Geist, der Euch bewegt. Wie groß wäre der Zusammenbruch, wenn Ihr meinen würdet, Eure Beliebtheit würde sich nur nach dem Lohn richten, den Ihr bei einer profanen Tätigkeit verdient?
21 Die heute so nachdrücklich betonte Notwendigkeit einer brüderlichen Gemeinschaft muss ihre ganze evangelische Kraft behalten. In der „Zwölfapostellehre" heißt es: „Wenn ihr an den ewigen Gütern gemeinsam Anteil habt, um wie viel mehr müsst ihr dann die vergänglichen teilen (33)." Soweit die Armut als Gütergemeinschaft, die auch den Lohn umfasst, im Leben verwirklicht wird, bezeugt sie die geistliche Gemeinschaft, in der Ihr untereinander verbunden seid. Diese Gütergemeinschaft ist eine deutliche Mahnung an alle Reichen und erleichtert auch das Los Eurer notleidenden Brüder und Schwestern. Das berechtigte Anliegen, Entscheidungen im materiellen Bereich selbstverantwortlich zu fällen, bekundet sich nicht im Verfügen über die eigenen Einkünfte, sondern im brüderlichen Teilen des gemeinsamen Besitzes. Die konkreten Verwirklichungsformen der Armut des einzelnen und jeder Gemeinschaft hängen aber von der Art des Institutes und der jeweiligen Gehorsamspraxis ab. So wird auch je nach dem besonderen Charakter der einzelnen Berufung die Unterordnung verwirklicht, die zu jeder Form der Armut dazugehört.
22 Liebe Söhne und Töchter! Wenn Ihr die heutige Welt in Verbindung mit Christus erlebt, ist Euch klar, wie sehr ihre Nöte Eure Armut fordern und auf ihre bessere Verwirklichung drängen. Wenn Ihr nun selbstverständlich auch auf die Menschen, unter denen Ihr lebt, Rücksicht nehmen und Euch in Eurem Lebensstil ihnen anpassen müsst, so darf Eure Armut dennoch nicht einfach hin Angleichung an diese Umgebung sein. Ihre zeugnisgebende Kraft gewinnt sie –i n Treue zu Eurer eigenen Berufung - aus dem großherzigen Eingehen auf die Forderung des Evangeliums und nicht aus einem gewissen allzu bequemen und oberflächlichen Bestreben, Armut zu demonstrieren. Jedoch ist in der äußeren Lebensgestaltung alles zu vermeiden, was nach Überkultivierung und Eitelkeit aussieht. Unter Umständen kann das Ablegen des Ordenskleides sinnvoll sein - das erkennen Wir an. Doch können Wir nicht verschweigen, wie sehr es angebracht ist, dass das Gewand der Ordensmänner und Ordensfrauen, wie das Konzil es gewollt hat, ein Zeichen ihrer Weihe ist (34) und sich von offensichtlich weltlichen Formen der Kleidung irgendwie unterscheidet.
23 Die gleiche Treue wird auch im Lichte des Glaubens und entsprechend der einladenden Kraft der Liebe Christi in Eurem Gehorsamsgelübde wirksam. Durch dieses Gelübde opfert Ihr Euren Willen ganz und gar und fügt Euch entschlossener und sicherer dem Heilsplan ein. Ihr folgt dabei dem Beispiel Christi, der gekommen ist, den Willen des Vaters zu erfüllen. Ihr seid ihm verbunden, der „durch sein Leiden Gehorsam gelernt und den Brüdern gedient hat". So „verpflichtet ihr euch noch enger dem Dienst an der Kirche" und an den Brüdern (35).
24 Der evangelische Zug zur Brüderlichkeit wurde vom Konzil deutlich herausgestellt. Auf ihm hat sich die Kirche als „Volk Gottes" beschrieben, in welchem die Hierarchie den Gliedern Christi dient, die in gleicher Liebe miteinander verbunden sind (36). Im Ordensstand wird, wie in der ganzen Kirche, das gleiche österliche Geheimnis Christi gelebt. Der tiefste Sinn des Gehorsams wird deutlich in der Fülle dieses Geheimnisses von Tod und Auferstehung, in dem sich die übernatürliche Bestimmung des Menschen voll verwirklicht. Denn der Mensch kommt durch Opfer, Leid und Tod zum wahren Leben.
Unter den Brüdern oder Schwestern die Autorität ausüben, bedeutet deshalb, ihnen zu dienen (37) nach dem Beispiel dessen, der „sein Leben hingab als Lösepreis für die vielen (38)".
25 Die Ausübung der Autorität und der Gehorsam, die beide dem allgemeinen Wohl dienen, haben auf ihre je besondere und einander ergänzende Weise Anteil am Opfer Christi. Die Träger der Autorität müssen in den Brüdern oder Schwestern dem liebevollen Heilsplan des Vaters dienen. Die einzelnen Ordensleute, die sich ihren Weisungen unterordnen, folgen dem Beispiel unseres Meisters (39) und haben so teil am Heilswerk. Deshalb stehen sich Autorität und Freiheit des einzelnen nicht im Wege. Sie bemühen sich gemeinsam um die Erfüllung des Willens Gottes. Diesen suchen sie zu erkennen im vertrauensvollen brüderlichen Gespräch zwischen dem Oberen und seinem Mitbruder, soweit es um persönliche Angelegenheiten geht, oder durch eine Besprechung allgemeiner Art, wenn die anstehenden Fragen die gesamte Kommunität berühren. Dabei sollen sich die Teilnehmer vor hitziger Erregung hüten und auch nicht versuchen, interessante Tagesmeinungen auf Kosten des tieferen Sinnes des Ordenslebens durchzusetzen. Alle, vor allem aber die Oberen und diejenigen, die ein besonderes Amt im Kreise ihrer Brüder oder Schwestern innehaben, haben die Pflicht, die für unsere Kommunitäten so notwendige Glaubenssicherheit zu stärken. Ziel solcher Besprechungen ist es ja nicht, die Glaubenssicherheit in Frage zu stellen, sondern tiefer in sie hineinzuwachsen und sie nach den Erfordernissen unserer Zeit ins tägliche Leben umzusetzen. Die gemeinsamen Überlegungen müssen gegebenenfalls ihren Abschluss finden mit der Entscheidung der Oberen, deren Gegenwart und Anerkennung in jeder Kommunität unbedingt notwendig ist.
26 Die heutigen Verhältnisse beeinflussen selbstverständlich auch Eure Gehorsamspraxis. Viele arbeiten teilweise außerhalb des Klosters und übernehmen Aufgaben, für die sie auf Grund einer Spezialausbildung befähigt sind. Andere schließen sich Teams an, die sich einer bestimmten Aufgabe widmen und sich selbst leiten. Damit sind Gefahren gegeben. Sind diese Umstände dazu angetan, den Sinn für den Gehorsam zu vertiefen und zu seiner Übung anzuspornen? Damit all das wirklich Nutzen bringt, müssen verschiedene Bedingungen beachtet werden. Vor allem muss geklärt werden, ob die übernommene Aufgabe mit dem Zweck des Institutes vereinbar ist. Es ist auch angebracht, die einzelnen Bereiche genau abzugrenzen. Vor allem aber geht es darum, von der Arbeit außerhalb zum Gemeinschaftsleben mit seinen Forderungen zurückzukehren. Dabei ist dafür zu sorgen, dass die volle Wirksamkeit all der Elemente sichergestellt wird, die zu einem echten Ordensleben gehören. Es gehört zu den vornehmlichen Pflichten der Oberen, den Brüdern und Schwestern in der Ordensgemeinschaft die Voraussetzungen für ihr spirituelles Leben zu schaffen. Diese Aufgabe können sie nur erfüllen, wenn die gesamte Gemeinschaft vertrauensvoll mitarbeitet.
27 Das sei noch gesagt: Je mehr Ihr Euch Euren Aufgaben widmet, desto notwendiger ist es, Eure Ganzhingabe in ihrer vollen Bedeutung zu erneuern. Der Herr verlangt von jedem, „sein Leben zu verlieren", wenn er ihm nachfolgen wiIl (40). Ihr geht auf diese Forderung ein, wenn Ihr die Weisungen Eurer Oberen annehmt und in ihnen einen Schutz für Eure Ordensprofess seht, welche „die Ganzhingabe Eures Willens gleichsam als Opfer Eurer selbst an Gott ist (41)". Der christliche Gehorsam ist vollkommene und bedingungslose Unterwerfung unter den göttlichen Willen. Euer Gehorsam ist noch strenger, weil Ihr Euch durch ihn in besonderer Weise Gott geweiht habt und weil die von Euch übernommenen Pflichten Eure Wahlmöglichkeit begrenzen. Euer jetziges Leben gründet in einem in voller Freiheit vollzogenen Akt. Ihn müsst Ihr durch Entfaltung von Eigeninitiative oder im Eingehen auf die Weisungen der Oberen immer wieder neu beleben. Das Konzil zählt zu den Segensgütern des Ordensstandes „eine Freiheit, die durch den Gehorsam gefestigt wird (42)" und betont, dass „der klösterliche Gehorsam, weit entfernt davon, die Würde der menschlichen Person zu mindern, diese durch die größer gewordene Freiheit der Kinder Gottes zur Reife führt (43)".
28 Es ist nun möglich, dass die Autorität eines Oberen und das Gewissen eines Ordenschristen, „dieses Heiligtum, in dem der Mensch allein mit Gott ist und wo sich Gottes Stimme vernehmen lässt (44)", miteinander in Konflikt geraten. Hier muss daran erinnert werden, dass das Gewissen nicht die einzige und alleinige Norm für den sittlichen Wert der Handlungen ist, die es anregt. Es muss sich nämlich an objektiven Normen ausrichten, und wenn es nötig ist, muss es korrigiert und richtig gebildet werden. Abgesehen davon, dass etwas verlangt wird, was den Gesetzen Gottes oder den Konstitutionen des Institutes deutlich widerspricht oder mit Sicherheit zu einem schweren Nachteil führt - in solchen Fällen erlischt nämlich die Gehorsamspflicht -, betreffen die Entscheidungen eines Oberen ein Gebiet, in dem das Urteil über das, was das größere Gut ist, je nach dem Gesichtspunkt verschieden sein kann. Aus der Tatsache, dass das Befohlene wirklich das geringere Gut zu sein scheint, zu folgern, es sei nicht berechtigt und gegen das Gewissen, hieße wirklichkeitsfremd sein und nicht begreifen, dass es im menschlichen Leben viel Dunkelheit gibt und viele Dinge zwei Seiten haben. Außerdem fügt die Verweigerung des Gehorsams dem Gemeinwohl häufig schweren Schaden zu. Deshalb soll der Ordenschrist nicht leichtfertig behaupten, das Urteil seines Gewissens stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Oberen. Ein solcher Ausnahmefall wird zuweilen nach dem Vorbild Christi, „der aus seinem Leiden Gehorsam gelernt hat (45)", echtes inneres Leid mit sich bringen.
29 Diese Darlegungen sollen erkennen lassen, welchen Grad an Selbstverleugnung das Ordensleben erfordert. Deshalb müsst Ihr etwas von dem inneren Drang spüren, der den Herrn dem Kreuz entgegengehen ließ, zu jener „Taufe, mit der er getauft werden musste", wo jenes Feuer sich entzündete, das auch Euch ergreift (46). Ihr müsst Euch sehnen nach jener „Torheit", die uns allen der heilige Paulus wünscht, weil sie allein uns weise macht (47). Möge das Kreuz für Euch dasselbe bedeuten, was es für Christus bedeutete: das Ja zur höchsten Liebe. Besteht nicht eine gewisse geheimnisvoll notwendige Verbindung zwischen Verzicht und Freude, Opfer und Größe, Zucht und geistlicher Freiheit?
FESTE LEBENSORDNUNGEN UND GEMEINSCHAFTSLEBEN
30 Söhne und Töchter in Christus Jesus! Es ist heutzutage tatsächlich schwierig, eine Lebensform zu finden, die mit diesen Forderungen vereinbar ist. Zuviel Gegenteiliges zieht Euch an und drängt Euch, eine vor allem nach menschlichirdischem Denken erfolgreiche Tätigkeit zu suchen. Es ist aber gerade Euch aufgetragen, bei allem ein frohes und ausgeglichenes ernsthaftes Wesen zu zeigen, indem Ihr die Schwierigkeiten, die Eure Tätigkeit und die gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich bringen, annehmt und die Härten des Lebens mit all seiner beängstigenden Unsicherheit ertragt. Seht darin Akte der Selbstverleugnung, die für die Fülle des christlichen Lebens so notwendig sind. Denn die Ordensleute „streben auf dem engeren Wege nach Heiligkeit (48)". Euer religiöser Eifer lässt inmitten aller großen und kleinen Sorgen und Beschwernisse des Lebens das Kreuz Christi erkennen und hilft Euch, es in Glaube und Liebe anzunehmen.
31 Unter dieser Voraussetzung werdet Ihr auch das Zeugnis geben, das das Volk Gottes von Euch erwartet. Es kann dann in Euch Männer und Frauen sehen, die ein Leben in Armut mit seinen unbekannten Lebensumständen wagen können, denen Schlichtheit und Demut etwas bedeuten, die den Frieden lieben und sich auf keine Kompromisse einlassen, die sich um volle Selbstverleugnung und Loslösung von den irdischen Dingen bemühen, Männer und Frauen, die zugleich frei und gehorsam, eifrig und beharrlich, sanftmütig und stark in der Festigkeit ihres Glaubens sind. Diese Gnade gewährt Euch Christus in dem Maße, als Ihr Euch selbst ihm in unwiderruflicher Hingabe voll und ganz schenkt. Das wird Euch durch viele Ordensmänner und Ordensfrauen bezeugt, die in unserer Zeit großmütig und bereitwillig für Christus gelitten haben. Wir bewundern sie in aller Öffentlichkeit und empfehlen ihr Beispiel allen zur Nachahmung.
32 Dabei werden Euch feste äußere Lebensformen sehr hilfreich sein. Sie wurden auf Grund der Erfahrung eingeführt, die jedes Institut entsprechend seiner besonderen Berufung gemacht hat. Die gleiche Erfahrung hat zu ihrer verschiedenen Ausformung geführt und legt eine kontinuierliche Weiterentwicklung nahe. Auch wenn diese Lebensformen sehr verschieden sind, so haben sie dennoch alle die Formung des inneren Menschen zum Ziel. Die Sorge um die Stärkung dieses inneren Menschen hilft Euch auch, zu erkennen, welche Lebensformen bei der Vielfalt der heutigen Anregungen die geeignetsten sind. Allzu großes Verlangen nach flexibler Beweglichkeit und schöpferischer Freiheit kann dazu führen, dass auch das kleinste Stückchen fester Ordnung in den Lebensgewohnheiten, wie es das Leben in der Gemeinschaft und der geistliche Fortschritt ihrer Glieder normalerweise fordern, als Unbeweglichkeit angeprangert wird. Unüberlegter Eifer, der sich auf die Bruderliebe und die angeblichen Anstöße des Heiligen Geistes beruft, kann Institute in den Untergang führen.
33 Deshalb ist - wie Ihr aus Erfahrung wisst - I die große Bedeutung des gemeinsamen Lebens nicht zu unterschätzen, wenn es um das tägliche Bemühen geht, den gespaltenen und in sich zerrissenen Menschen auf dem Weg seiner Berufung zu leiten und seine verschiedenen Strebungen spirituell zu integrieren. Lässt sich das Herz nicht oft von vergänglichen Dingen gefangen nehmen? Viele von Euch müssen ihr Leben, wenigstens teilweise, in einer Welt verbringen, die die Tendenz hat, den Menschen sich selbst zu entfremden und seine Verbundenheit mit Gott und zugleich auch seine innere geistliche Einheit zu gefährden. Ihr müsst Gott auch in einem Leben zu finden lernen, das von einem immer schneller werdenden Rhythmus, vom Lärm und der Geschäftigkeit und dem Reiz vergänglicher Güter geprägt ist.
34 Wer sieht nicht deutlich, welche große Hilfe bei der Erlangung der Verbindung mit Gott eine brüderliche oder schwesterliche Gemeinschaft in der Gleichmäßigkeit eines Lebens nach einer freiwillig übernommenen festen Ordnung bietet? Auf diese Hilfe scheint mehr und mehr jeder angewiesen zu sein, der im biblischen Sinne „zu seinem Herzen zurückkehrt (49)". In diesem Ausdruck liegt etwas von der Tiefe unserer Empfindungen, Gedanken und Überlegungen. Er ist erfüllt vom Gespür für das Unendliche, Absolute und unsere ewige Berufung. In der heutigen Verwirrung müssen die Ordensleute einen Menschen verkörpern, der in kraftvoller Ausrichtung auf Gott als sein eigentliches Ziel durch die Konzentration seiner Fähigkeiten, die Läuterung des Herzens und die Entwicklung geistlicher Sinne in echter Weise Tiefe und Zielstrebigkeit seines Lebens in Gott miteinander verbunden hat und deutlich zum Ausdruck bringt.
35 In dem Maße, wie Ihr Euch äußeren Tätigkeiten widmet, müsst Ihr Euch auch zu einem Leben im Verborgenen zurückziehen, in dem Ihr Euch den göttlichen Dingen widmet. Dadurch werdet Ihr innerlich gestärkt. Wenn Ihr Euch wirklich um Gottes willen Eurer Aufgabe widmet, spürt Ihr die Notwendigkeit, eine bestimmte Zeit zurückgezogen zu leben, die Ihr dann gemeinsam mit Euren Brüdern und Schwestern zu einer Zeit geistlicher Fülle machen werdet. Angesichts der im heutigen Leben unverhältnismäßig hohen Arbeitsbelastung und geistigen Anspannung sollte man über die täglichen Gebetszeiten hinaus solchen längeren Zeiten der Zurückgezogenheit eine besondere Bedeutung beimessen. Diese Zeiten kann man je nach Umständen und Art Eurer Berufung verschieden festlegen. Falls Eure Niederlassungen großzügig brüderliche Gastfreundschaft üben, müsst Ihr deren Art und Umfang so regeln, dass alle sinnleere Betriebsamkeit vermieden wird und Eure Gäste leichter zu einer tiefen Verbindung mit Gott gelangen können.
36 Das ist der Wert und die Bedeutung der Lebensgewohnheiten, die die Ordnung Eures alltäglichen Lebens bestimmen. Ein waches und lebendiges Gewissen wird sie nicht nur von der Verpflichtung der Regel her sehen. Es wird sie vielmehr nach ihrem Nutzen für ein echtes geistliches Leben beurteilen. Es ist allerdings notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Lebensformen des Ordenslebens über eine intellektuelle Unterweisung und eine bloße Willensschulung hinaus eine echte Einführung und Einübung verlangen. Nur dann wächst der Mensch in seinem Herzen in ein christliches Leben nach den Seligpreisungen des Evangeliums hinein.
37 Das Konzil sieht in der „erprobten Lehre zur Erlangung der Vollkommenheit (50)“ ein Erbe der Ordensgemeinschaften und einen sehr wichtigen Besitz, den sie auch weitergeben müssen. Da diese Vollkommenheit in einem dauernden Wachstum in der Liebe zu Gott und unseren Brüdern besteht, muss diese Lehre eindeutig eine Lebenslehre sein, die in die Praxis des Lebens umzusetzen ist. Deshalb dürfen sich die Überlegungen und Experimente der Institute nicht allein auf gewisse Anpassungen beschränken, die angesichts der gewandelten Welt durchzuführen sind, sie müssen vielmehr auch dazu beitragen, die so notwendigen wirksamen Hilfsmittel für ein Leben wiederzuentdecken, das ganz von der Liebe zu Gott und den Mitmenschen geprägt wird.
38 Darum obliegt es sowohl den Gemeinschaften wie auch ihren einzelnen Mitgliedern, mehr und mehr einen sogenannten „psychischen" Zustand hinter sich zu lassen und in ein echt „geistliches" Leben hineinzuwachsen (51). Der „neue Mensch", von dem der heilige Paulus spricht, ist gleichsam die volle Gestalt Christi in der Kirche und zugleich Teilnahme an jener Fülle, die jedem einzelnen Christen zukommt. Euer Bemühen um dieses Leben schafft in Euren Ordensgemeinschaften die Voraussetzungen dafür, dass der Same des göttlichen Lebens, der durch die Taufe in Euch eingesenkt wurde, aufblüht, und durch Eure im Leben verwirklichte Weihe reiche Früchte heranreifen können.
39 Auch wenn Ihr wie jeder Christ an menschlicher Unvollkommenheit leidet, bemüht Ihr Euch doch, die geeigneten Lebensbedingungen für den geistlichen Fortschritt eines jeden Mitgliedes zu schaffen. Das gelingt nur, wenn die Beziehungen zu Euren Brüdern, auch in ihren gewöhnlichen und alltäglichen Äußerungen, im Herrn vertieft werden. Die Bruderliebe muss gleichsam eine Hoffnung sein, die überall da wirksam wird, wo wir die anderen mit unserer brüderlichen Hilfeleistung fördern. Ihre Echtheit zeigt sich in der Freude und Schlichtheit, mit der sich alle zu erkennen bemühen, was jedem einzelnen am Herzen liegt (52). Liegt es nicht am Mangel an Güte und Freundlichkeit, wenn gewisse Ordensleute offensichtlich ihr Gemeinschaftsleben, das sie doch fördern sollte, als Last empfinden? Der einer bestimmten Gemeinschaft eigene Geist, freundschaftliche Beziehungen, brüderliche Zusammenarbeit im gleichen Apostolat und die gegenseitige Unterstützung in einem gemeinsamen Leben, zu dem man sich entschlossen hat, um Christus besser zu dienen, haben zweifellos eine große Bedeutung für die Art des täglichen Umgangs miteinander.
40 Aus diesen Überlegungen gehen heute manche Tendenzen auf die Errichtung kleinerer Kommunitäten. Eine gewisse spontane Reaktion gegen die Zusammenballung einander unbekannter Menschen in den Städten, die Notwendigkeit, die Wohnverhältnisse der Gemeinschaft den kleinen Wohnungen in den heutigen Städten anzugleichen, der Wille, den Menschen, denen das Evangelium verkündet werden soll, auch in ihren Lebensbedingungen näher zu stehen, all das führt bestimmte Institute dazu, die Errichtung zahlenmäßig kleiner Kommunitäten ins Auge zu fassen. Diese können tatsächlich engere Beziehungen unter den Ordensleuten und eine wechselseitige und brüderliche Übernahme von Verantwortung fördern. Aber wenn auch ein gewisses, noch etwas unklares Lebensmodell die Bildung eines religiösen Klimas begünstigen kann, so soll man doch nicht fälschlicherweise glauben, das würde genügen, um dieses spirituelle Klima zu fördern und wachsen zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass kleine Gemeinschaften kein leichtes Leben ermöglichen, sondern eher größere Anforderungen an die Mitglieder stellen.
41 Außerdem entsprechen zahlenmäßig große Kommunitäten in besonderer Weise den Bedürfnissen vieler Ordenschristen. Ihre Errichtung kann auch gefordert werden von der Art eines Dienstes im karitativen Bereich, von bestimmten wissenschaftlichen Aufgaben, oder auch von der Eigenart des kontemplativen oder monastischen Lebens. In ihnen sollte aber immer die Einheit des Herzens und des Geistes herrschen, die dem geistlichen und übernatürlichen Ziel entspricht, nach dem man strebt. Unabhängig davon, ob die Kommunitäten groß oder klein sind, werden übrigens nur diejenigen für ihre Mitglieder eine Hilfe bedeuten, in denen der Geist des Evangeliums beständig lebendig ist, die sich im Gebet stärken und sich auszeichnen durch eine großzügige Abtötung des alten Menschen, durch die für das Wachstum des neuen Menschen so notwendige Zucht und die Fruchtbarkeit, die sich aus dem Kreuzesopfer ergibt.
DAS GEBETSLEBEN
42 Liebe Ordensmänner und Ordensfrauen! Ihr möchtet doch den von ganzem Herzen kennen lernen, den Ihr liebt und den Menschen bringen wollt. Das Gebet verbindet Euch mit ihm! Wenn Ihr im Augenblick keinen Geschmack mehr daran findet, dann weckt in Euch die Sehnsucht, Euch wieder demütig dem Gebet zuzuwenden. Vergesst nicht die Lehre der Geschichte, nach der sich an der Treue zum Gebet oder seiner Vernachlässigung die lebendige Kraft des Ordenslebens oder sein Untergang ablesen lassen.
43 Das Gebet ist Bemühen um einen vertrauten Umgang mit Gott. Es ist Eifer für die Anbetung und Bereitschaft zur Fürbitte. Die Geschichte der christlichen Heiligkeit zeigt deutlich die Fruchtbarkeit des Gebetes, in dem sich Gott dem Herzen und dem Geist seiner Diener offenbart. Die vielfältigen Gaben des Geistes bewirken alle jene vertraute und echte Erfahrung Gottes, ohne die wir die große Bedeutung des christlichen Lebens und des Ordenslebens nicht erfassen können und auch nicht die Kraft besitzen, durchdrungen von einer frohen, niemals enttäuschenden Hoffnung, in ihm zu wachsen.
44 Der Heilige Geist schenkt Euch auch die Gnade, Gott in den Herzen der Mitmenschen zu finden, die er Euch wie Brüder zu lieben lehrt. Der gleiche Heilige Geist hilft Euch auch, die Zeichen seiner Liebe in den Ereignissen des Lebens zu erkennen. Wenn wir nur vom Geist des Gebetes durchdrungen sind, erleuchtet uns der Geist Jesu und erfüllt uns mit seiner Weisheit, wenn wir demütig die Menschen und die Dinge dieser Welt betrachten.
45 Das gestörte Gleichgewicht „zwischen den kollektiven Lebensbedingungen und den Voraussetzungen für ein persönliches Denken oder sogar eines besinnlichen Lebens (53)" ist eines der Übel unserer Zeit. Viele Menschen, unter ihnen auch viele Jugendliche, sehen keinen Sinn mehr in ihrem Leben und suchen sehnsuchtsvoll, die kontemplative Dimension in ihrem Leben zu entdecken. Sie wissen nicht, dass Christus in der Kirche auf ihre Sehnsucht antworten kann. Angesichts dieser Lage müsst Ihr Euch Rechenschaft darüber geben, was die Menschen mit Recht von Euch erwarten, die Ihr Euch ausdrücklich dazu verpflichtet habt, mit Eurem Leben dem göttlichen Wort zu dienen, „dem wahren Licht, das jeden Menschen erleuchtet (54)".
Seid Euch deshalb der Bedeutung des Gebetes für Euer Leben bewusst. Lernt es, Euch ihm mit Eifer zu widmen. Das treue tägliche Beten muss für jeden und jede von Euch oberste Pflicht sein. Deshalb müsst Ihr ihm in Euren Konstitutionen und in der Praxis Eures Lebens den ersten Platz einräumen.
46 Der innerliche Mensch spürt, dass die Liebe zu Gott geradezu Zeiten des Schweigens fordert. Er braucht normalerweise die Einsamkeit, um Gott zu hören, „der zu seinem Herzen spricht (55)". Man muss allerdings vor einem Schweigen warnen, das nur im Fehlen von Lärm und Gerede besteht. Daraus kann der Mensch keine Kraft schöpfen, da es keinen geistlichen Wert hat. Es kann sogar der Bruderliebe Abbruch tun, wenn sich zur gleichen Zeit der Kontakt mit anderen als notwendig herausstellen würde. Echtes Suchen nach inniger Gottverbundenheit fordert notwendig das Schweigen des ganzen Menschen. Das gilt für die, die in Lärm und Getriebe Gott finden müssen und auch für die kontemplativ Lebenden (56). Diese Stille ist notwendige Voraussetzung für eine Haltung, die sich in Glaube, Hoffnung und Liebe zu Gott für die Gaben des Heiligen Geistes öffnet, wie auch für eine Bruderliebe, die für das Geheimnis des anderen offen ist.
47 Müssen Wir endlich noch an die einzigartige Bedeutung der Liturgie der Kirche für das Leben in Euren Gemeinschaften erinnern, deren Mittelpunkt das eucharistische Opfer ist, bei dem inneres Gebet und äußerer Kult sich vereinen (57)? In Eurer I eigenen Ordensprofess seid Ihr von der Kirche in enger Verbindung mit dem Eucharistischen Opfer Gott geweiht worden (58). Diese Hingabe Eurer selbst muss Tag für Tag verwirklicht und dauernd erneuert werden. Eine wichtige Quelle dafür ist die Teilnahme am Leib und Blut Christi, durch die Euer Verlangen nach einer wahren und echten Liebe, die bis zum Opfer des Lebens geht, genährt werden soll (59).
48 Ihr habt Euch im Namen Christi zusammengefunden. Die Eucharistie, „das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe (60)", ist selbstverständlicher Mittelpunkt Eurer Gemeinschaften. Es ist deshalb sinnvoll, dass sie sich sichtbar um eine Kapelle scharen, in der die Gegenwart der Heiligsten Eucharistie das zum Ausdruck bringt und zugleich bewirkt, was vornehmste Aufgabe jeder Ordensgemeinschaft und überhaupt jeder christlichen Gemeinschaft ist. Die Eucharistie, in der wir unaufhörlich den Tod und die Auferstehung des Herrn verkünden und uns auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit vorbereiten, erinnert Euch immer wieder neu an die leiblichen und seelischen Schmerzen, von denen Christus gequält wurde, die er aber freiwillig auf sich nahm bis hinein in den Todeskampf und den Tod am Kreuz. Seht in den Drangsalen Eures Lebens eine Gelegenheit, zusammen mit Christus all die Not und die ungerechten Qualen, die man Euren Brüdern zufügt, und deren Sinn man nur im Licht des Glaubens aus dem Opfer Christi erkennen kann, zusammen mit Christus zu tragen und dem Vater aufzuopfern.
49 So ist die heutige Welt mitten in Eurem dem Gebet und dem Opfer geweihten Leben gegenwärtig. Das Konzil erklärt nachdrücklich: „Keiner darf meinen, die Ordensleute würden durch ihre Weihe den Menschen fremd oder für die irdische Gesellschaft nutzlos. Denn wenn sie auch zuweilen ihren Zeitgenossen nicht unmittelbar hilfreich sind, haben sie diese doch auf tiefere Weise in der innersten Liebe Christi gegenwärtig und wirken geistlich mit ihnen zusammen, dass der Bau der irdischen Gesellschaft immer in Gott gründe und auf ihn ausgerichtet sei und seine Erbauer nicht vergeblich arbeiten (61)."
50 Die Ordensleute nehmen allerdings nur dann an der Erfüllung des Auftrages der Kirche teil, wenn sie, wie das Konzil dringend mahnt, die Erneuerungsbestrebungen auf biblischem, liturgischem, dogmatischem, pastoralem, ökumenischem, missionarischem und sozialem Gebiet (62)" bejahen und fördern. Widmet Euch mit Interesse den Fragen der Pastoral und der praktischen Seelsorge, immer freilich „unter Wahrung der Eigenart jedes Institutes". Bleibt Euch bewusst, dass die Exemtion vornehmlich den inner klösterlichen Bereich betrifft und Euch nicht von der zuständigen Jurisdiktion der Bischöfe befreit, der Ihr unterstellt seid, „soweit die Ausübung ihres Hirtenauftrages und eine geordnete Seelsorge dies verlangen (63)". Im übrigen müsst Ihr Euch mehr als andere ständig bewusst sein, dass sich im Tun der Kirche das Heilswerk Christi für die Menschen fortsetzt, wenn Ihr nur Christus auf seinem Lebensweg
folgt, der alles dem Vater zuführt: „Alles gehört euch... Ihr aber gehört Christus und Christus Gott (64)." Der Ruf Gottes führt Euch ja auf eine sehr unmittelbare und wirksame Art auf den Weg zum ewigen Reich. Durch Eure geistlichen Kämpfe, die in keinem echten Ordensleben vermieden werden können, legt Ihr „ein deutliches und hervorragendes Zeugnis dafür ab, dass die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen verwandelt und Gott dargebracht werden kann (65)".
ABSCHLIESSENDE MAHNUNGEN
51 Liebe Söhne und Töchter in Christus! Es gehört zur Erneuerung des Ordenslebens, Formen, die nicht seine Substanz berühren, den Veränderungen anzupassen, die mit wachsender Schnelligkeit und immer größer werdendem Umfang die Lebensbedingungen jedes Menschen beeinflussen. Dabei können die von der Kirche anerkannten „dauerhaften Lebensformen" nur bewahrt werden(66), wenn Ihr Euch im Geiste der echten und unverkürzten besonderen Berufung Eurer Institute erneuert. Für jedes Lebewesen besteht die Anpassung an seine Umwelt nicht in der Aufgabe seiner Identität, sondern darin, dass es sich selbst aus seiner eigenen Lebenskraft heraus stärkt. In tiefer Kenntnis der Strebungen und Anliegen der heutigen Menschen müsst Ihr darauf hinarbeiten, dass Euch aus Euren eigenen Wurzeln heraus neue und frische Kraft zufließt. Auch gerade im Blick auf die vorhandenen Schwierigkeiten ist das eine Aufgabe, die einen Menschen begeistern kann.
52 Uns beunruhigt sehr stark die Frage, wie man die evangelische Botschaft in der profanen Welt heimisch machen kann, in der die Menschenmassen leben, und wie man in den Ordnungen und Bereichen sich verhalten muss, wo eine neue Kultur des Geistes entsteht und Menschen heranwachsen, die der Überzeugung sind, sie bedürften der Erlösung nicht. Da aber alle zur Schau des Heilsgeheimnisses berufen sind, begreift Ihr, welche Verantwortung auf dem Leben jedes einzelnen von Euch ruht und welcher Anstoß für Euren apostolischen Eifer von diesen Problemen ausgeht! Liebe Ordensmänner und Ordensfrauen! Entsprechend der göttlichen Berufung Eurer geistlichen Gemeinschaften müsst Ihr wachen Geistes die Nöte der heutigen Menschen, ihre Schwierigkeiten und Anstrengungen ins Auge fassen und in ihrer Mitte in Gebet und Arbeit die Wirksamkeit der Frohbotschaft der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens bezeugen. Das Bemühen der gesamten Menschheitsfamilie um die Verwirklichung einer größeren Brüderlichkeit im Zusammenleben der einzelnen und der Völker erfordert vor allem eine Wandlung im Bereich der Lebensweise, der Gesinnung und des Gewissens. Darum muss sich das gesamte Volk Gottes, Ihr aber in besonderer Weise bemühen. Könnt Ihr aber diesen Auftrag richtig erfüllen, wenn es in Euch nicht die Freude am übernatürlichen gibt, die aus einer gewissen Gotteserfahrung kommt? Daraus wird deutlich, dass die echte Erneuerung des Ordenslebens eine große Bedeutung für die Erneuerung in Kirche und Welt hat.
53 Gerade heute braucht die Welt Männer und Frauen, die so an das Wort des Herrn, seine Auferstehung und das ewige Leben glauben, dass sie ihr ganzes irdisches Leben darauf verwenden, die Wirklichkeit jener Liebe zu bezeugen, die allen Menschen angeboten wird. Die Kirche wurde im Laufe ihrer Geschichte immer wieder gestärkt und erneuert durch das heilige Leben so vieler Ordensmänner und Ordensfrauen, die auf je verschiedene Art die evangelische Vollkommenheit verwirklichten und durch ihr Leben die unendliche Liebe und Christus unseren Herrn bezeugten. Ist in dieser Gnadengabe nicht auch für die Menschen unserer Zeit so etwas wie ein belebender göttlicher Hauch und eine Art Selbstbefreiung zu sehen, die die ewige und vollkommene Seligkeit andeuten? Haltet nach der göttlichen Freude dieser Seligkeit Ausschau, bekennt Euch von neuem zu den Wahrheiten des Glaubens, sucht die Nöte dieser Welt aus dem Glauben heraus in christlicher Weise zu verstehen und verwirklicht so großmütig die Anforderungen Eurer Berufung in Eurem Leben. Es ist Zeit, soweit nötig mit aller Sorgfalt Euer Gewissen zu korrigieren und Euer ganzes Leben zu überprüfen, um zu einer größeren Treue zu Eurer Berufung zu gelangen.
54 Wir blicken auf Euch mit der gleichen Güte und Liebe wie Christus, der seine Jünger „eine kleine Herde" nannte und ihnen verhieß, dem Vater habe es gefallen, ihnen das Reich zu geben (67). Wir bitten Euch nachdrücklich: Bewahrt Euch die „Einfalt der Kleinen", von denen das Evangelium spricht. Bemüht Euch um sie in der verborgenen und vertrauten Begegnung mit Christus und im Umgang mit Euren Brüdern. Ihr erfahrt dann, wie Euer Herz „aufjubelt im Heiligen Geist" in einer Freude, die denen eigen ist, die in die Geheimnisse des Reiches eingeweiht sind. Strebt nicht danach, zu den „Weisen und Klugen" zu zählen, zu deren Vermehrung heute alles beiträgt, denen aber diese Geheimnisse verborgen bleiben (68). Seid in Wahrheit arm und sanftmütig, dürstet nach der Heiligkeit, seid barmherzig und bewahrt Euch ein reines Herz, seid schließlich Menschen, durch die die Welt den Frieden Gottes erkennt (69).
55 Die Freude darüber, dass Ihr für immer dem Herrn gehört, ist eine unvergleichliche Frucht des Heiligen Geistes. Ihr kostet jetzt schon davon. Schaut, durchdrungen von dieser Freude, die Euch Christus auch in Anfechtungen bewahren wird, vertrauensvoll in die Zukunft. Die Art, wie diese Freude von Euren Kommunitäten ausstrahlt, wird allen beweisen, dass der von Euch übernommene Lebensstand Euch hilft, durch den dreifachen Verzicht, der zur Ordensprofess gehört, die ganze Fülle des Lebens in Christus zu finden. Wenn dann die Jugendlichen auf Euch und Euer Leben schauen, werden sie die Einladung verstehen können, die Jesus auch unter ihnen unaufhörlich ergehen lässt (70). Das Konzil sagt in diesem Zusammenhang: „Die Ordensleute sollen sich bewusst sein, dass das Beispiel ihres eigenen Lebens die beste Empfehlung ihres Instituts und eine Einladung zum Ordensieben ist (71)."
Sicherlich werden auch die Bischöfe, die Priester, die Eltern und christlichen Erzieher, die Euch mit Hochachtung und Liebe begegnen, viele dafür begeistern, sich Euch anzuschließen und so auf den Anruf Christi zu antworten, der nie in den Herzen seiner Jünger verstummt.
56 Die liebevolle Mutter unseres Herrn, nach deren Vorbild Ihr Euch Gott geweiht habt, möge Euch für Euer tägliches Leben jene unvergängliche Freude erflehen, die nur Jesus schenken kann. Möge Euer nach ihrem Vorbild gestaltetes Leben Zeugnis geben „von jener mütterlichen Liebe, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken (72)". Liebe Söhne und Töchter! Die Freude des Herrn präge Euer gottgeweihtes Leben, und seine Liebe mache es fruchtbar. In seinem Namen erteilen Wir Euch von ganzem Herzen den Apostolischen Segen.
Anmerkungen
(1) Aufruf des Heiligen Vaters, OK 4 (1963) 1-10; Herder-Korrespondenz 16 (196112) 549-552.
(2) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ über die KIRCHE 21.11.1964 (AAS LVII [1965] 5-67, Nr. 46).
(3) Vgl. Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965 (AAS LVIII [1966] 702-712).
(4) Lk 18, 29-30.
(5) Pastorale Konstitution „GAUDIUM ET SPES“ über die KIRCHE in der Welt von heute Nr. 43.; 7.12.1965.
(6) Vgl. Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“, Kapitel V.
(7) Vgl. Motu proprio „ECCLESIAE SANCTAE“ Ausführungsbestimmungen zu den Dekreten Hirtenamt der Bischöfe, Dienst und Leben der Priester, Zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens, Missionstätigkeit in der Kirche. 6.8.1966 (AAS LVIII [1966] 757-787; Nachkonziliare Dokumentation (lat.+dt.) Band 36, Nr. 3; Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, Instruktion „RENOVATIONIS CAUSAM“ über die zeitgemäße Erneuerung der Ausbildung zum Ordensleben 6.1.1969 (AAS LXI [1969] 108 ff; Nachkonziliare Dokumentation [lat.+dt.] Band 17
(8) Lk 22,32.
(9) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 1.
(10) Vgl. Gal 5, 13; 2 Kor 3, 17.
(11) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 43.
(12) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 44.
(13) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 44.
(14) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 7.
(15) Vgl. Phil 3,10-11.
(16) Mt 6, 6.
(17) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 5.
(18) Vgl. Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 45; PC Nr. 2b.
(19) Joh 1, 13.
(20) Röm 12, 2.
(21) Vgl. 1 Kor 12, 12-30.
(22) Vgl. Pastorale Konstitution „GAUDIUM ET SPES“ über die KIRCHE in der Welt von heute, Nr. 48; vgl. Eph 5,25.32.
(23) Vgl. Allocutio ad sodales consociationum v. d. “Equipes Notre-Dame" e variis nationibus, habita die 4 mensis Maii, anno 1970, n. 4: A.A.S. 62 (1970), p. 429.
(24) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 42.
(25) Vgl. Mt 10, 39; 16, 25; Mk 8, 35; Lk 9, 24; Joh 12, 25.
(26) Vgl. Ps 9, 13; Job 34,28; Koh 21,13.
(27) Vgl. Lk 4, 18; 6, 20.
(28) Vgl. Mt 25, 35-40.
(29) Pastorale Konstitution „GAUDIUM ET SPES“ über die KIRCHE in der Welt von heute, Nr. 63.
(30) Vgl. Mt 19,21; 2 Kor 8, 9.
(31) Enzyklika „POPULORUM PROGRESSIO“ an die Bischöfe, Priester, Ordensleute, die Gläubigen der katholischen Welt und an alle Menschen guten Willens über den Fortschritt der Völker 26.3.1967 (AAS LIX [1967] 257-299; Nachkonziliare Dokumentation [lat.+dt.] Band 4).
(32) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 13.
(33) IV, 8, Patres Apostolici, I, rec. Fr. X. Funk, Tübingen 19012.
(34) Vgl. Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 17.
(35) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 14; vgl. Joh 4,34; 5,30; 10,15-18; Hebr 5,8; 10,7; Ps 40 (39) 8-9.
(36) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“, Kapitel I-III.
(37) Vgl. Lk 22,26-27; Joh 13,14.
(38) Vgl. Mt 20,28; Phil 2,8.
(39) Vgl. Lk 2, 51.
(40) Lk 9, 23-24.
(41) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 14.
(42) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 43.
(43) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 14.
(44) Pastorale Konstitution „GAUDIUM ET SPES“ über die KIRCHE in der Welt von heute, Nr. 16.
(45) Hebr 5, 8.
(46) Lk 12, 49-50.
(47) 1 Kor 3, 18-19.
(48) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 13.
(49) Is 46, 8.
(50) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 43.
(51) Vgl. 1 Kor 2, 14-15.
(52) Vgl. Gal 6,2.
(53) Pastorale Konstitution „GAUDIUM ET SPES“ über die KIRCHE in der Welt von heute, Nr. 8.
(54) Joh 1,9.
(55) Hos 2, 14.
(56) VgI. die Instruktion Venite seorsum, Nachkonziliare Dokumentation (lat.+dt.) Band 23. Hat das kontemplative Leben heute noch Sinn und Bedeutung? Ein Brief, GuL 40 (1967) 459--462.
(57) Vgl. Konstitution „SACROSANCTUM CONCILIUM“ (SC) über die heilige Liturgie 4.12.1963 (AAS LV I [1964] 97-138).
(58) VgI. Ordo Professionis Religiosae.
(59) VgI. 71 Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 15.
(60) Konstitution „SACROSANCTUM CONCILIUM“ über die heilige Liturgie 4.12.1963 (AAS LV I [1964] 97-138) Nr. 47.
(61) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 46.
(62) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 2c.
(63) Dekret „CHRISTUS DOMINUS“ über die Hirtenaufgabe der Bischöfe 28.10.1965 (AAS LVII [1966] p. 691, Nr. 35,3).
(64) 1 Kor 3,22-23.
(65) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 31.
(66) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 43.
(67) Lk 12,32.
(68) Vgl. Lk 10.21.
(69) Vgl. Mt 5, 3-11.
(70) Vgl. Mt 19,11-12; 1 Kor 7,34.
(71) Dekret „PERFECTAE CARITATIS“ über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens 28.10.1965, Nr. 24.
(72) Dogmatische Konstitution „LUMEN GENTIUM“ Nr. 65.