Einsiedeln
Benediktinerabtei und hochberühmter Wallfahrtsort in einem hochgelegenen, von der Sihl durchströmten Tale des Kantons Schwyz.
Maria-Einsiedeln, lateinisch: Deiparae Virginis Eremus, Eremitarum coenobium in Helvetiis. Französisch: Notre-Dame-des-Ermites)
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Heiliger Meinrad
Am jenseitigen Saume der Gebirge, welche das hohe Bergtal umschließen, nordwärts längs des Zürcher Sees, hinauf in die schweizerische March, dann auf der andern Seite gegen den Vierwaldstättersee hatte längst schon das Christentum festen Fuß gefaßt, als hier noch finsterer Wald den Talgrund bis zu den Gebirgshöhen bedeckte. Um eben die Zeit, da Papst Leo III. Karl den Großen als Imperator der abendländischen Christenheit begrüßte, gebar eine Gräfin von Sulgen ihrem Gemahle Berthold einen Sohn, dem die Eltern den Namen Meinrad (Meginrad) gaben. Nach alter Überlieferung soll Berthold aus dem Geschlechte der Grafen von Zollern gewesen sein.
Der Vater übergab den Knaben der Schule in dem kurz vorher gestifteten Kloster Reichenau, der Bildungsstätte vieler gelehrter und frommer Priester. Meinrad, der sich zunächst für den Weltpriesterstand entschied, vollendete seine Studien unter seinem Oheim Erlebald, legte aber, als dieser zum Abt von Reichenau erwählt wurde, in dessen Hände die Klostergelübde ab. Darauf stand er mit treuem Eifer einer kleinen Erziehungsanstalt von Geistlichen zu Oberbollingen, unfern von Rapperswil am Zürcher See, vor. Mitten in seinem segensreichen Wirken sehnte sich Meinrad nach gänzlicher Trennung von der Welt, um einzig Gott und dem Heil seiner Seele zu leben. Nachdem er hierzu von den Obern die Erlaubnis erhalten, zog er sich auf einen kleinen Vorsprung des nahen Etzelberges zurück. Hier versah ihn eine gottesfürchtige Witwe mit dem Wenigen, das er zur Lebensfristung bedurfte.
Wie aber der Ruf seiner Frömmigkeit immer zahlreicheren Besuch hinzuführte, gedachte er an minder zugänglicher Stelle seinem Vorhaben zu leben, und zog sich von da hinein in den tiefen Wald. Hier baute ihm Hildegarde, Karls des Großen Urenkelin, des Fraumünsters zu Zürich Stifterin und erste Äbtissin, eine Zelle und hölzerne Kapelle und schenkte ihm auch das Bild der heiligen Jungfrau, welches jetzt noch die Pilger zu vielen Tausenden dahin führt. Zwei gezähmte Raben waren die Gefährten seiner Einsamkeit, die durch den Besuch reichenauischer Brüder und einzelner Pilger nur selten unterbrochen wurde. Im Jahr 861 (al. 863) erschlugen zwei Räuber den frommen Klausner, und die Sage erzählt, daß durch die beiden Raben, welche sogleich den Flug nach Zürich nahmen, die Tat entdeckt und an den Mördern gerächt worden sei (M. Steinegger, Scholastica stemmatographica idea vitae ac mortis S. Meinradi, Einsidl. 1681).
Benno
Darauf blieb die Zelle unbewohnt, die Stätte aber, an welcher Meinrad sein Leben geführt und beendigt hatte, blieb dem Andenken der um den Saum des Waldes wohnenden Menschen heilig und wurde von ihnen oft besucht. Da hörte, wenige Jahre bevor Karls des Großen Geschlecht ausstarb, der straßburgische Domherr Benno (man glaubt, er sei aus dem Stamme der burgundischen Könige gewesen) von dieser Einsamkeit, und da er längst geneigt war, eine solche aufzusuchen, begab er sich mit einigen Gefährten dorthin, um in gleicher Weise, wie Meinrad, zu leben. Erst wählte er sich die nahe gelegene Anhöhe, welche jetzt noch nach ihm Bennau genannt wird, zur Wohnstatt, bald aber, 44 Jahre nach der an Meinrad verübten Untat, zog er tiefer hinein an die Stätte, wo dieser geweilt hatte (905); freudig überließen ihm die Grafen von Rapperswil dieselbe. Aber nur sparsame Hilfe mochte in so hohem Bergtale der Boden bieten. Da erbat sich Benno von der Äbtissin zu Säckingen die liebliche Insel Ufenau im Zürcher See; dort pflanzte er Fruchtbäume und was sonst unter milderem Himmelsstrich zu einfacher Nahrung gedeihen mag.
Engelweihe
Zur bleibenden Stätte für Männer, die aus dem Treiben und den wandelbaren Dingen der Welt an einen Ort der Ruhe und Sammlung sich zurückziehen wollten, wurde St. Meinrads Zelle erst, als der straßburgische Dompropst Eberhard, aus vornehmem Geschlechte in Franken entstammt, im J. 934 sich dahin begab. Dieser verwendete, was ihm vom väterlichen Gute angefallen war, zum Bau einer Kirche von U. L. Frauen, in welche er Meinrads Kapelle einschloß, und einer Behausung für Brüder, die nach St. Benedikts Regel leben sollten. Kaiser Otto I. erklärte die Niederlassung durch einen Bestätigungsbrief vom Jahre 946 als Kloster, erteilte dessen Bewohnern das Recht der freien Abtswahl und ließ schon nach zwei Jahren der Stiftung solche Anerkennung widerfahren, als wäre sie bereits eine mit Grund und Boden, Nutzungen und Rechten reich ausgestattete Abtei. Er mochte dies aber unbedenklich im Vertrauen auf die Gesinnung jener Zeit tun, unter welcher jeder von gläubigem Sinn gepflanzte Keim rasch zum lebenskräftigen Baume heranwuchs, und die Entwicklung Einsiedelns zeigte, daß er seine Zeit verstanden hatte. Im J. 948 hatte Eberhard seinen Bau vollendet und konnte im September den Bischof Konrad von Konstanz zu dessen Weihe einladen. Dieser hörte in der Nacht vor dem Weihungstage (14. Sept.) wunderliebliche Stimmen und erhielt am folgenden Tage, nachdem er sich unter langem Zaudern zur feierlichen Handlung in die Kirche begeben, über deren Bedeutung Aufschluß durch das Wort: "Halt ein, Bruder, Gott selbst hat die Kapelle geweiht!", so daß er die oberhirtliche Weihe nicht mehr vorzunehmen wagte. Nicht auf dunkler Sage beruht die Nachricht dieser himmlischen Einweihung, sondern der Bischof erstattete sechszehn Jahre später mündllichen Bericht an Papst Leo VIII. Nachdem dieser viele deutsche Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte beraten hatte, war auch er von der vollkommenen Glaubwürdigkeit des Vernommenen überzeugt, und erteilte denjenigen, welche die Kirche besuchen würden, Ablässe, welche nach einem halben Jahrtausend Pius II. bestätigte. Daher wird noch in heutiger Zeit am Tage von Kreuzerhöhung zu Einsiedeln das Fest der Engelweihe begangen, welches immer die Pilger zu Tausenden herbeizieht.
Gnadenbild
Hierzu kam das Gnadenbild der allerseligsten Jungfrau, an welches sofort der Ruf besonderer Gebetserhörung sich knüpfte. Mehr bedurfte es nicht, um St. Meinrads Zelle, die bald ihre Benennung mit dem Namen der Einsiedelei Unserer Lieben Frauen vertauschte, weit und breit bekannt zu machen und ihr die Gunst aller Stände und Geschlechter zu erwerben, welche durch reiche Vergabungen und durch den Eintritt von Sprößlingen hoher Geschlechter in die Gemeinschaft der Brüder sich betätigte. Von ihren Schirmvögten, den Grafen von Rapperswil, übergab einer die alte Stammburg seines Hauses an das Kloster; eine der ältesten Besitzungen desselben, St. Gerold in Vorarlberg, war eine Vergabung des rätischen Hauses derer von Sax (woraus die spätere Zeit einen Herzog von Sachsen gemacht hat); diese ging in der allgemeinen Säkularisation verloren, wurde aber 1839 durch den Abt Cölestin Müller von dem Kaiserhause wieder angekauft.
Eberhards Nachfolger, durch diesen bei seiner Berufung an das Bistum Metz den Brüdern vorgesetzt, war Thietland (958-964) aus den Herzogen von Schwaben. Als dritten Abt erwählten die Klosterleute Gregor, des englischen Königs Eduard Sohn und Schwager Kaiser Otto's, der bis nahe an den Schluß des Jahrtausends 33 Jahre seine Würde bekleidete. - Unter Abt Gero, aus dem Hause der Grafen von Froburg, vernahm die damalige Welt zum ersten Male, daß es eine Landschaft gebe, welche Schwyz heiße. Die Bewohner derselben zogen sich von den Ufern des Vierwaldstättersees über die Berge hinauf, an deren jenseitigen Abhang die Einöde grenzte, welche Kaiser Heinrich II. ohne weitere Bestimmung der Marken dem Kloster zu Anbau und Nutzung verliehen hatte. Da begegneten sich seine und derer von Schwyz Herden, und jeder Teil behauptete, auf seinem Eigen zu weiden. Die Landleute wollten weder vor geistliches Recht sich laden lassen, noch das weltliche der schwäbischen Großen anerkennen, ebenso wenig dem Spruch des Kaisers sich fügen und ließen nicht mehr durch des Kaisers Acht als der Kirche Bann sich schrecken. Fast zwei Jahrhunderte dauerte der Streit, zwischenein mit tätlichem Friedensbruch und verübter Gewalttat, in welcher zu verschiedener Zeit einzelne Konventherren durch die auf ihr Recht trotzenden Landleute weggeschleppt wurden. Erst im J. 1350 gelang es dem Abte Thüring von Disentis, aus dem uralten und vielverdienten Geschlechte der Freiherren von Attinghausen, durch einen Schiedsspruch beide Parteien zu begütigen. Das Kloster zog seine Marken tiefer in das Tal zurück. Inzwischen hatte das Kloster seine guten und seine bösen Tage, seine regelgemäß fürsorglichen und seine mehr weltlich gesinnten Äbte; es litt durch Feuersbrünste und nahm zu durch Vergabungen und erworbene Rechte. Nachdem es bis auf Anshelm von Schwanden siebenzehn Äbte gezählt hatte, erhob Kaiser Rudolf den achtzehnten, Ulrich II., Baron von Winneden, in den Reichsfürstenstand. Schon hatte sich auch dessen Besitz und äußerer Glanz dergestalt gehoben, daß es, damaliger Gewohnheit ansehnlicher Abteien gemäß, die sechs großen Hofämter eines Oberhofmeisters, Marschalls, Truchsessen, Schenken, Sesselträgers und Küchenmeisters aus ebenso vielen reichsfreien Geschlechtern bestellen und aus Dienstmannen jedem für minder solenne Gelegenheiten einen Stellvertreter beigeben konnte. Auf dem Konzil in Konstanz wurde unter allen Äbten Hugo von Einsiedeln als der zweite im Range geachtet. Dieses Ansehen suchte sein vierter Nachfolger, Abt Gerold, aus den Freiherren von Hohensax, noch zu erweitern; als ihm aber zum Wiederaufbau des niedergebrannten Klosters das erforderliche Geld mangelte, trat er die Verwaltung des Stiftes an Konrad Freiherrn von Hohenrechberg ab, welcher nach Gerolds Tod zum Abt gewählt wurde. In 45jähriger Bekleidung seiner Würde, die er im J. 1526 hochbetagt niederlegte, achtete derselbe wenig auf das Wohl seines Klosters und legte dessen Leitung ganz in die Hände Theobalds von Geroldseck, indes er selbst meistens in der Propstei St. Gerold weilte. Theobald berief Zwingli zum Leutpriester nach Einsiedeln und mochte an den wider die Kirche sich auflehnenden Lehren, die schon damals in demselben sich regten, ein solches Gefallen gefunden haben, daß er selbst zehn Jahre später nach Zürich zog und später mit ihm in dem unseligen Waffenkampf gegen eine Institution, welche durch Wort und Schrift nicht sich vertilgen ließ, den Tod fand. Der Ausgang der Schlacht von Cappel sicherte auch Einsiedelns Bestehen wieder. Der zweite Abt nach derselben, Joachim Eichhorn (1544-1569) aus Wil im Kanton St. Gallen, wird der zweite Stifter desselben genannt, und zwar nach bieder Beziehung, sowohl der disziplinarischen als der ökonomischen. Das Wohl seiner Abtei höher setzend als persönliche Auszeichnung, vereitelte er mit klarem Blick und unerschütterlicher Festigkeit jedes Bemühen, Einsiedeln zum Bischofssitze für die innere Schweiz zu erheben, ungeachtet gerade seine Persönlichkeit, welche am Konzil zu Trient die Achtung und das Vertrauen der päpstlichen Legaten sich erworben hatte, demselben zu besonderer Unterstützung hätte dienen sollen. Ihm folgten in ununterbrochener Reihe ausgezeichnete Männer, welche in jeder Weise um das Wohl der ehrwürdigen Stiftung bemüht waren. Zwar litten unter dem ersten derselben, Adam Heer, Archiv und Bibliothek schweren Verlust durch Einäscherung des Klosters (1577); allein Ulrich III. wußte diesen Schaden zu ersetzen; Augustin I. (1600-1629) wurde der Stifter der schweizerischen Benediktiner-Kongregation und baute das in der Nähe gelegene Frauenkloster in der Au; Placidus (1629-1670) veranstaltete den Druck der Einsiedelischen Urkunden (Documenta Archivii Einsidl., 3 voll.), von denen aber der dritte Band, St. Gerold betreffend, nie vollendet worden ist. Die Sammlung gehört zu den größten literarischen Seltenheiten, weil die meisten Exemplare bei einem bald nachher ausgebrochenen Brande zu Grunde gingen. Augustin Reding (s. d. Art.) beteiligte sein Stift an der Benediktiner-Universität zu Salzburg und übernahm die Unterrichtsanstalt in Bellinzona. Raphael von Gottrau aus Freiburg baute die schöne Meinradskapelle auf dem Etzel. Sein Nachfolger, Maurus von Roll aus Solothurn, errichtete das jetzige Kloster mit seiner prachtvollen Fassade, in deren Mitte Abt Thomas die Kirche, an St. Johann von Lateran erinnernd, einfügte; aber erst Nicolaus II. vollendete das Werk zur Verherrlichung "der Veste der wahren Religion", wie Benedict XIV. Einsiedeln nannte. Der Abt Marianus war ein Kenner und schöpferischer Förderer wahrer Kirchenmusik. Seinen Nachfolger Beat (1780-1808) traf das bittere Mißgeschick, samt seinen Konventualen durch die Revolution vertrieben zu werden. Nach vier Jahren konnten sie jedoch in das verwüstete Kloster zurückkehren und am 29. September 1803 das nach St. Gerold geflüchtete Gnadenbild der Gottesmutter in feierlichem Empfange an seine vorige Stätte begleiten. Nach Beats Tod stand bis zum Jahre 1825 dem zahlreichen Konvente Konrad Tanner vor, ein geistreicher, willenskräftiger Mann und ein nach jeder Beziehung würdiger und treu besorgter Vorsteher. Er bleibt der christlichen Welt bekannt durch sein vortreffliches Werk "Die Bildung des Geistlichen" und das andere "Von dem kostbaren Tod", sowie durch Predigtentwürfe, welche sein Nachfolger Cölestin herausgab; dem Stifte wird er im steten Andenken bleiben, weil dasselbe seiner Tätigkeit die Heilung so mancher Wunden verdankt, welche ihm durch die Revolution geschlagen worden. Gleich seinem Vorfahren Joachim, dritthalb Jahrhunderte früher, zog er es vor, die segensreiche Wirksamkeit des Stifts in einfacher Stille zu sichern, statt durch den Glanz bischöflicher Würde dieselbe zu gefährden. Obgleich ein päpstliches Breve ihn im J. 1818 zum Bischof der vier Waldstädte bereits ernannt hatte, machte er in Rom so kräftige Gründe geltend, daß dasselbe nicht exequiert wurde. Es folgten Cölestin Müller (1825-1846), Heinrich Schmid (1846-1874) und Basilius Oberholzer (seit 1875), der 51. Abt.
(Fortsetzung folgt!)