Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika Humanae vitae

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Die Enzyklika Humanae vitae. Ein Zeichen des Widerspruchs
Dietrich von Hildebrand

Quelle: Dietrich von Hildebrand: Die Enzyklika Humanae vitae. Ein Zeichen des Widerspruchs, Josef Habbel Verlag Regensburg 1968 (40 Seiten, Imprimatur Regensburg, den 12. September 1968, Generalvikar L. Rosner Nr. Exp. 4144. Die Anmerkungen (Zahlen in Klammer im Text) wurden bei der Digitalisierung, nicht wie im Original am Ende der Seite, sondern am Ende der Broschüre, wiedergegeben. Die Rechtschreibung wurde der gegenwärtigen Form angeglichen.

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

Die Reaktion weiter Kreise auf die Enzyklika „Humanae Vitae" verrät eine große Verwirrung und Ahnungslosigkeit in Hinsicht auf das wahre Wesen der Ehe.

Seit Jahren war im ein Vorkämpfer der Auffassung, dass der Sinn der Ehe und auch des ehelichen Aktes nicht nur Mittel zur Zeugung, sondern auch Ausdruck und Erfüllung der tiefen Liebeseinheit ist. Man warf mir früher vor, ich rede der künstlichen Geburtenregelung das Wort durch die Behauptung, der eheliche Akt behalte auch dann einen Sinn und einen hohen Wert, wenn er ohne unser Zutun keine Schwangerschaft zur Folge haben kann. Das aber ist ein völliges Missverständnis meiner Auffassung. In vielen Aufsätzen und Büchern hatte ich ausdrücklich auf die Unerlaubtheit der künstlichen Geburtenregelung hingewiesen. Es kam mir ja gerade darauf an, das große Mysterium herauszustellen, dass Gott der engsten Liebesvereinigung das Entstehen eines neuen Menschen anvertraut hat. Gerade auf dem Hintergrund der Würde und Schönheit des ehelichen Aktes als unwiderruflicher gegenseitiger Selbstschenkung, in der beide Ehegatten „ein Fleisch werden", erstrahlt die geheimnisvolle Beziehung dieses Aktes zur Entstehung des neuen Menschen in erhöhter Würde und Größe.

Heute finden wir bei vielen Katholiken und Priestern - mit umgekehrten Vorzeichen - denselben Irrtum, dass mit der Betonung der Liebe in der Ehe auch die künstliche Geburtenregelung erlaubt werden müsse. Nachdem im II. Vatikanum die Bedeutung des ehelichen Aktes auch als Erfüllung der gegenseitigen Liebe und unwiderruflichen Einheit hervorgehoben wurde, meint man, die logische Schlussfolge daraus sei die Erlaubtheit künstlicher Geburtenregelung, wenn gewichtige Gründe für die Verhütung der Schwangerschaft vorliegen. Dieser Irrtum geht auch Hand in Hand mit dem fehlenden Verständnis dafür, welch ein Abgrund in sittlicher Hinsicht zwischen der Beobachtung des Rhythmus und der künstlichen Geburtenregelung besteht.

Dieser Irrtum - das muss offen gesagt werden - ist durch viele falsche Begründungen der Unerlaubtheit künstlicher Geburtenregelung nahegelegt worden, die man oft in Büchern und von der Kanzel aus vorbrachte und die man auch heute vielfach für die Enzyklika „Humanae Vitae“ anführt.

Bei denen, die heute negativ auf die Enzyklika des Heiligen Vaters reagieren, müssen zwei Gruppen deutlich unterschieden werden:

Die erste Gruppe besteht vor allem aus gläubigen, von der Säkularisierungsbewegung nicht angekränkelten katholischen Eheleuten, die verständlicherweise sehr enttäuscht sind, weil ihnen - trotz der auf dem Zweiten Vatikanum ausdrücklich bekräftigten offiziellen Lehre der Kirche in dieser Frage (1) - nach dem Konzil von vielen Seelenführern und Beichtvätern auf Grund des erwähnten Irrtums der Gebrauch der Pille als sittlich einwandfrei erklärt wurde, wenn ernsthafte Gründe zur Verhütung der Schwangerschaft bestünden. Es ist für sie verständlicherweise viel schwerer, jetzt auf eine Lösung ihrer Schwierigkeiten durch die Pille zu verzichten, nachdem sie sich daran gewöhnt haben, sie als erlaubt zu betrachten. Fern sei es auch von uns, nicht ein tiefes Mitgefühl mit jenen Eheleuten zu haben, denen bei der bis jetzt noch fehlenden vollen Sicherheit der Knaus-Ogino-Methode mehr oder weniger gänzliche Enthaltsamkeit vorgeschrieben ist, da eine Empfängnis für die Gesundheit der Frau schwere, unter Umständen das Leben bedrohende Folgen nach sich zöge.

Auch gehören zu dieser ersten Gruppe jene Seelsorger, die trotz ihres Glaubens an die Kirche aus Mitleid mit solchen Eheleuten die Pille in diesen Fällen für erlaubt erklärten.

Aber auch sie müssen verstehen, dass der Wille Gottes nicht menschlichen Wünschen angepasst werden kann und eine Sünde nicht erlaubt wird, weil sie zu vermeiden mit großen Opfern verbunden ist. Gerade für diese erste Gruppe ist darum die Klarsteilung des gottgewollten Verhaltens von höchster kirchlicher Stelle besonders wichtig. Es ist auch von besonderer Bedeutung, dass sie die wahren Gründe für die Sündigkeit der künstlichen Geburtenregelung verstehen. Denn je klarer ein Mensch sieht, warum etwas sündig ist, desto leichter ist es für ihn, auch unter großen Opfern die Sünde zu vermeiden - wenn es auch für den gläubigen Katholiken genügen muss, dass die Kirche es eindeutig verbietet, denn der Gehorsam gegen ein göttliches Gebot ist nicht davon abhängig, ob man es selbst versteht oder nicht.

Ganz anders aber muss die Auflehnung einer andern Gruppe beurteilt werden, nämlich derer, die durch einen allgemeinen Amoralismus und eine von Ressentiment erfüllte Auflehnung gegen die Heilige Kirche und ihr Lehramt motiviert sind. Leider gehören auch viele Priester zu dieser Gruppe. Für sie bietet gerade diese Enzyklika wegen der Opfer, die sie vielen gläubigen Eheleuten auferlegt, eine willkommene Gelegenheit, nun auch bei denen, die dem Gift der Säkularisierung noch widerstanden, den Respekt vor dem Heiligen Vater, ja den Glauben an das Lehramt der Heiligen Kirche zu untergraben.

Es scheint mir darum im gegenwärtigen Augenblick besonders wichtig für alle, die sich mit Recht gegen eine einseitige Betonung der Ehe als Mittel für die Prokreation wehren, zu verstehen, dass die bedeutsame Ergänzung über Sinn und Wert der Ehe, wie sie im Zweiten Vatikanischen Konzil (2) erfolgte, in keiner Weise die künstliche Geburtenregelung weniger unerlaubt macht, bzw. den Unterschied zwischen ihr und der Knaus-Ogino-Methode in keiner Weise verwischt.

Es ist dabei aber von großer Bedeutung, den wahren Grund für die Sündigkeit der künstlichen Geburtenregelung, der in der Enzyklika „Humanae Vitae" so eindeutig hervorgehoben wurde, nicht durch falsche Begründungen zu verdunkeln, auch von Seiten derer, die die Enzyklika verteidigen.

Ich habe mir daher zur Aufgabe gestellt, den Sinn und Wert der Ehe in ihrer Tiefe und Größe aufleuchten zu lassen, und zugleich den Zusammenhang dieser Liebesgemeinschaft und der Fortpflanzung zu zeigen. Nach der Herausarbeitung der wahren Gründe für die Sünde der künstlichen Geburtenregelung wollen, wir auch auf die Einwände antworten, die man gegen die Enzyklika vorbringt.

DER SINN DER EHE ALS LIEBESGEMEINSCHAFT

Den eigentlichsten Sinn und Wert der Ehe können wir nur erfassen, wenn wir wirklich von der großen und tief bedeutungsvollen Wirklichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau ausgehen. Seien wir ganz offen: hier stoßen wir auf so etwas wie ein Ärgernis in vielen katholischen Schriften über die Ehe. Da hört man so viel über den Willen des Fleisches, das Heilmittel gegen die Begehrlichkeit, die gegenseitige Hilfeleistung, aber äußerst wenig über die Liebe. Wir meinen die Liebe zwischen Mann und Frau, diese tiefste menschliche Glücksquelle im Leben, diese große, strahlende Liebe, von der das Hohelied sagt: „Wenn einer allen Reichtum seines Hauses hingäbe für seine Liebe, als nichts würde er es erachten!" (8. 7.)

Im Gegensatz zum Schweigen über diese Liebe fand Pius XII. beredte Worte für sie: „Der Zauber dieser menschlichen Liebe ist seit Jahrhunderten das anregende Thema bewunderungswürdiger geistiger Schöpfungen in der Literatur, der Musik und den darstellenden Künsten gewesen; ein immer altes und immer neues Thema, das die Zeiten, ohne es je zu erschöpfen, in den erhabensten und dichterischsten Weisen abgewandelt haben."(3)

Es ist kaum zu glauben, dass der wirkliche, gültige Beweggrund für die Ehe und der wesenhafte Zusammenhang dieser Liebe mit der vollen gegenseitigen Selbsthingabe in der körperlichen Vereinigung meistens übersehen wurde. Verglichen mit diesem großen, edlen, aus der Tiefe kommenden inneren Feuer, von dem das Hohelied sagt: „Stark wie der Tod ist die Liebe" (Cant 8, 6), ist das isolierte fleischliche Begehren oberflächlich. Wer könnte bestreiten, dass es diese Liebe ist, die die Seele des Menschen bis in ihre letzte Tiefe erschüttert, dass sie das zentrale menschliche Erlebnis im Leben ist? Gewiss gibt es eine breite Skala der menschlichen Liebesmöglichkeit, der Tiefe und dem Umfang nach. Leonardo da Vinci hat einmal gesagt: „Je größer der Mensch, umso tiefer seine Liebe." Eine große Liebe, wie die zwischen Leonore und Florestan (4), zwischen der heiligen Elisabeth von Ungarn und ihrem Gatten, zwischen dem heiligen Ludwig und seiner Gemahlin mögen selten sein und setzen außergewöhnliche, tiefe Persönlichkeiten voraus. Aber in jedem menschlichen Wesen, das jemals wahre Liebe erlebte, mag sie noch so begrenzt und unvollkommen sein, wird sie das große dynamische menschliche Erlebnis seines Lebens sein.

Wenn wir das Wesen der ehelichen Liebe, dieses kostbaren Erbes des Paradieses und den gottgewollten Aspekt der sexuellen Sphäre verstehen wollen, sollten wir das Hohelied offenen Geistes lesen. Wir sollten zunächst nicht an seinen analogen Sinn denken, sondern es in seinem ursprünglichen Wortsinn nehmen. Dann atmen wir die Atmosphäre dieser Liebe, erfassen die Erhabenheit und den Adel der körperlichen Vereinigung, wenn sie ganz als die letzte, gottgegebene gegenseitige Selbsthingabe erlebt wird. Erst danach, wenn wir die Schönheit des Wortsinnes in uns aufgenommen haben, sollten wir bedenken, wie bedeutungsvoll es ist, dass die Liturgie diese Liebe als Analogie der Beziehung der Seele zu Gott nimmt. Sollten wir daraus nicht ersehen, dass nur etwas schon auf der menschlichen Ebene Edles als Analogie für das übernatürliche Verhältnis der Seele zu Christus dienen kann? Warum wählte der heilige Verfasser diese Beziehung und nicht die Freundschaft, die David und Jonathan verband?

IRRTÜMER ÜBER DIE EHE

1. Puritanisches Misstrauen gegen die eheliche Liebe

Einige katholische Schriftsteller, die die eheliche Liebe preisen wollen, berauben sie ihres ekstatischen Charakters, ihres Glanzes und ihrer einzigartigen intentio unionis (Sehnsucht nach Einheit). Sie lösen sie dabei auch von der sexuellen Sphäre und der körperlichen Vereinigung ab. Andere sprechen nur geringschätzig von ihr und deuten ihr ekstatisches Element und ihren Glanz als eine Illusion. Vor einiger Zeit ging ein berühmter katholischer Philosoph in Amerika sogar soweit zu behaupten, dieser Typus der Liebe sei nichts anderes als ein verkappter Sexualinstinkt; nur insofern als agape zwischen den Ehegatten lebendig sei, verdiene ihre Beziehung wahre Liebe genannt zu werden.

Wie müssen betonen, dass diese gnostische und puritanische Tendenz des Misstrauens gegen die eheliche Liebe, diese Liebe im eigentlichen Sinn, von der das Hohelied so unvergleichlich spricht, ganz überwunden werden muss.

Wir wollen existentiell denken und sehen, dass die Liebe zwischen Mann und Frau eine spezifische Kategorie, ein besonderer Typus der Liebe ist, auch wenn wir von der sexuellen Sphäre absehen. Sie ist eine wunderbare und leuchtende Wirklichkeit und nach Gottes Willen bestimmt, eine entscheidende Rolle im menschlichen Leben zu spielen. Sehen wir doch, dass diese Liebe das klassische Motiv der Ehe und gerade die Ehe die Erfüllung jener Liebe ist.

2. Die sexuelle Sphäre als bloßer Instinkt missverstanden

Noch ein anderer Grundirrtum versperrt das Erfassen des echten Sinnes und Wertes der Ehe: solange man die sexuelle Sphäre im Menschen als bloßes Teilgebiet der Instinkte und biologischen Triebe sieht, die (wie etwa Durst oder Schlafbedürfnis) keine wesenhafte Beziehung zur geistigen Sphäre haben, und deren Sinn in einem äußeren Zweck liegt, dem sie dienen, verschließt man sich den Weg zur Erkenntnis des wahren Wesens des Geschlechtlichen. Hält man diese Sphäre für eine ausschließlich biologische Realität, so bleibt man blind für das in ihr waltende Geheimnis: einerseits für den Sinn und Wert, den sie haben kann, andererseits für das furchtbare sittliche Vergehen der Unreinheit.

Wäre der Sexus wirklich nichts anderes als ein biologischer Instinkt, dann wäre es unverständlich, warum die Befriedigung eines Triebes, den Gott der Menschennatur einpflanzte, außerhalb der Ehe unmoralisch sein sollte, besonders wenn er zur Kindererzeugung führt. Die geschlechtliche Sphäre als einen Instinktbereich unter anderen betrachten heißt die Unsittlichkeit der Unreinheit zu einer bloßen Verletzung eines positiven Gebotes herabmindern. Das in diesem Gebiet verkörperte Mysterium können wir nur begreifen, wenn wir erfassen, dass es der tiefste Sinn dieser Sphäre ist, eine einzigartige Erfüllung der bräutlichen Liebe und ihrer Sehnsucht nach Einheit zu sein. Diese Sphäre ist wesenhaft darauf hingeordnet, eine dauernde, unwiderrufliche Einheit zu errichten, die vom Schöpfer sanktionierte Einheit, nach der die eheliche Liebe verlangt. Nur wenn wir dies verstanden haben, können wir erkennen, worin wirklich die Sünde einer Befriedigung des sexuellen Begehrens außerhalb dieser gottgewollten Einheit liegt. Haben wir einmal eingesehen, dass der geschlechtliche Akt eine gegenseitige, unwiderrufliche Selbsthingabe einschließt und seiner Natur nach berufen und bestimmt ist, eine unauflösliche Einheit zu errichten, so sehen wir auch, welche Entweihung in der sexuellen Befriedigung außerhalb der Ehe liegt.

3. Die eheliche Liebe als „forma" der sexuellen Sphäre und der freudianische Irrtum der Umkehrung dieser Wahrheit

Freud behandelt die sexuelle Sphäre als die primäre Wirklichkeit, die aus sich selbst ohne Rückgriff auf die eheliche Liebe zu verstehen sei und die uns den Schlüssel zum Verständnis des Wesens der Liebe biete. Darin liegt einer seiner großen Irrtümer. Trotz seiner wertvollen Beiträge zur Psychopathologie wage ich daher zu sagen: er war nicht nur blind für das Wesen der Liebe - das kann auch ein Kind einsehen -, sondern auch für die wahre Natur des Sexuellen: Diese Sphäre enthüllt ihren wahren Charakter und ihren Sinn, ihre Tiefe und ihr Geheimnis nur im Licht der bräutlichen Liebe, nur als ein Erfüllungsbereich der bleibenden, unwiderruflichen Einheit, in der „zwei ein Fleisch werden". Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Freud das eigentliche Wesen des Geschlechtlichen nicht erfasst hat, obgleich er versuchte, alles auf das Sexuelle zurückzuführen. Unglücklicherweise vertritt aber nicht nur Freud die hier genannten Fehldeutungen. Denselben Irrtum finden wir in ganz anderer Umkleidung überall da wieder, wo der Geschlechtstrieb primär als Ausdruck der Begehrlichkeit, als Fleischeslust gesehen wird, die, in sich selbst schlecht, noch am ehesten geduldet werden könne, wenn sie dem Zweck der Kinderzeugung dient und in der Ehe legitimiert wird. Auch hier wird der Sinn dei sexuellen Sphäre und ihr echter Wert völlig übersehen, weil sie von ihrer Bestimmung gelöst wird, jene einzigartige, unwiderrufliche Einheit zu bewirken, nach der die Liebe zwischen Mann und Frau verlangt und in der sie ihre Erfüllung findet.

Wiederum führe ich Papst Pius XII. an: „Der eheliche Akt ist in seinem natürlichen Gefüge ein personaler Akt, ein gleichzeitiges unmittelbares Zusammenwirken der Gatten, das durch die Natur der Handelnden und die Eigenheit der Handlung der Ausdruck des gegenseitigen Sichschenkens ist und dem Wort der Schrift gemäß das Einswerden ,in einem Fleisch' bewirkt."(5) Wir können die schönen Worte des heiligen Ambrosius über den Kuss auf den ehelichen Akt anwenden: „Den Menschen, die einander küssen, genügt es nicht, dem anderen ihre Lippen zu schenken, sie wollen sich gegenseitig ihre ganze Seele einhauchen."(6)

DER WERT DER SEXUELLEN SPHÄRE ALS AUSDRUCK UND ERFÜLLUNG DER EHELICHEN LIEBE UND DIE SÜNDE IHRER ISOLIERUNG

Wir müssen uns von der Vorstellung frei machen, die körperliche Vereinigung von Mann und Frau sei etwas Schlechtes, und man müsse verzweifelt nach einer Entschuldigung für ihre Verwirklichung in der Ehe suchen, deretwegen man dieses Übel in der Ehe dulden könne. Wir müssen sehen, dass die körperliche Vereinigung, dazu bestimmt, die Erfüllung der ehelichen Liebe und eine letzte gegenseitige Selbsthingabe zu sein, etwas in sich Edles ist, ein großes Geheimnis, ein Bereich, dem wir uns nur mit tiefer Ehrfurcht nähern sollten, niemals aber ohne besondere Sanktion Gottes. Gerade weil diese Sphäre an sich edel und geheimnisvoll, gerade weil sie bestimmt ist, einen so großen Wert zu verwirklichen, ist jeder Missbrauch eine furchtbare Sünde, etwas Sakrilegisches.

Wenn wir den schweren Irrtum herausstellen, in der sexuellen Sphäre und im Geschlechtsakt etwas in sich Schlechtes zu sehen, so leugnen wir dabei keineswegs, dass die Isolierung dieser Sphäre nicht nur ein theoretischer Irrtum, sondern eine starke Tendenz unserer gefallenen Natur ist. Auch losgelöst von der ehelichen Liebe und der gegenseitigen Selbsthingabe in der Ehe geht von dem sexuellen Gebiet eine faszinierende Anziehungskraft aus. Die Gefahr, von diesem Aspekt gefangen und verführt zu werden, ist groß und lauert in der Mehrzahl der Menschen. In meinem Buch „Reinheit und Jungfräulichkeit" (3. Auflage, Einsiedeln 1950) habe im ausführlich darüber gesprochen. Wann immer jemand dieser Faszination nachgibt und ein isoliertes sexuelles Begehren befriedigen will, geschieht die schwere Sünde der Unreinheit, die ein Auswuchs der Begehrlichkeit, eine Entweihung ist. Diese Sünde enthält einen geheimnisvollen Verrat an unserer geistigen Natur. Aber nichts berechtigt uns dazu, deswegen den Akt der körperlichen Vereinigung selbst als etwas Schlechtes zu betrachten. Schlecht wird er nur durch seine Isolierung. Eben weil er in seiner von Gott gefügten Beziehung zu der sublimen Liebeseinheit der Ehe etwas so Edles, Tiefes und Geheimnisvolles ist, wird sein Missbrauch zu einer furchtbaren Entweihung. Es ist aber offenbar völlig illegitim, etwas für in sich schlecht zu halten, weil sein Missbrauch eine furchtbare Sünde darstellt und weil unsere gefallene Natur eine starke Neigung zu diesem Missbrauch in sich trägt. Sollten wir etwa geistige Arbeit und Gelehrsamkeit für in sich schlecht halten, weil sie zweifellos in vielen Menschen den Hochmut nährt? Sollte uns die Vernunft schlecht erscheinen, weil sie zum Rationalismus ausarten kann?

Nein: So groß und furchtbar die Gefahr der Unreinheit ist, so sehr auch unsere Natur dazu neigt, der Verlockung einer isolierten Geschlechtlichkeit zu folgen, so ändert dies alles nichts an der Tatsache, dass es der wahre und wirkliche Sinn dieser Sphäre ist, ein Feld der Erfüllung für die eheliche Liebe zu sein. Der ursprüngliche, gültige Aspekt des ehelichen Aktes ist der Vollzug jener gegenseitigen Selbsthingabe innerhalb des heiligen Bandes der Ehe, das Begründen einer unwiderruflichen Einheit. Daher ist er keineswegs etwas Schlechtes, sondern im Gegenteil groß, edel und rein. Anstatt zu erklären, die sündige Befriedigung des sexuellen Begehrens werde durch die Ehe legitimiert, sollten wir vielmehr umgekehrt sagen: weil der eheliche Akt dazu bestimmt ist, der Vollzug dieser hohen, sublimen Einheit und die Erfüllung der ehelichen Liebe zu sein, wird er sündig, sobald er von dieser isoliert wird.

DIE EHE ALS „REMEDIUM CONCUPISCENTIAE"

Das Gesagte widerspricht auch nicht den Worten des heiligen Paulus, der die Ehe als Heilmittel gegen (die Begehrlichkeit (remedium concupiscentiae) bezeichnet. Da das isolierte sexuelle Begehren tatsächlich viele Menschen zur Sünde zu verleiten, also die leibliche Vereinigung zu entweihen droht, gemäß den Worten desselben heiligen Paulus: „Oder wisst ihr nicht, dass der, der einer Buhlerin anhängt, ein Leib mit ihr wird?" (1 Kor 6, 16), ist die Ehe, in der die körperliche Vereinigung bewirkt, dass zwei „ein Fleisch werden", zugleich auch ein Heilmittel gegen die Begehrlichkeit. Aber die Begründung: „damit die Sünde abgewendet werde" (ut avertetur peccatum) ist kein Ersatz für die eheliche Liebe. Sie will nur sagen: jemand, der von Versuchungen dieses isolierten sexuellen Begehrens gequält wird, sollte besser heiraten als unvermählt bleiben. Doch dies bedeutet nicht, es sei überflüssig, einen Menschen zu finden, den er liebt; denn es gehört ja gerade zu diesem „Heilmittel", dass der eheliche Akt, soweit nur irgend möglich, der Ausdruck ehelicher Liebe und die Begründung eines dauernden, unwiderruflichen Bandes sei.

FALSCHE REAKTION AUF PURITANISCHES MISSTRAUEN GEGEN DIE EHE. VERGÖTZUNG DER SEXUELLEN LUST

Viele betrachten die heute auch bei Katholiken weit verbreitete positive Einstellung zu der sexuellen Sphäre als einen großen Fortschritt gegenüber der puritanischen Prüderie und Hypokrisie des viktorianischen Zeitalters im 19. Jahrhundert. Aber ungleich schlimmer als die puritanische Haltung, in der der Geschlechtsakt als solcher als etwas Niedriges, Böses betrachtet wird, ist die heute weit verbreitete Auffassung, das Erleben geschlechtlicher Lust gehöre zur „Selbsterfüllung", diese Lust sei ein Gottesgeschenk, das wir ungehindert genießen sollen. Diese Auffassung verkennt den Sinn und das Wesen der sexuellen Sphäre so radikal, dass sie es unmöglich macht, die Bedeutung des ehelichen Aktes als Ausdruck und Erfüllung der ehelichen Liebe, der gegenseitigen Selbstschenkung und Liebesvereinigung zu verstehen. Der eheliche Akt wird noch mehr entwürdigt als in der puritanischen Auffassung, wo sein Mysteriumcharakter wenigstens soweit anerkannt wurde, dass man ihn als eine Quelle des Mysteriums der Bosheit betrachtete, während man ihn in der heutigen Auffassung als ein bloßes Mittel zur Wollust ansieht. Die puritanische Auffassung hat einseitig die bei den negativen Aspekte dieser Sphäre, die ich in „Reinheit und Jungfräulichkeit" neben ihrem gottgewollten Sinn herausgearbeitet habe, gesehen und ihren positiven Aspekt übersehen, der sich nur im Licht der ehelichen Liebe erschließt. In der heute verbreiteten Auffassung aber wird die Lust losgelöst von ihrer dienenden Funktion für die Liebesvereinigung und zum Selbstzweck gemacht, wodurch sie aller Tiefe beraubt und noch mehr verkannt wird als von den Puritanern.

Darüber hinaus wird aber der Terminus „Liebe" auch von vielen Katholiken völlig missbraucht. Sie sind für das Wesen der ehelichen Liebe blind und versuchen, diese auf einen „sex-appeal" zurückzuführen. Wenn manche auch zugeben, dass der Geschlechtsverkehr ohne Liebe etwas Negatives sei, so meinen sie mit Liebe etwas ganz Peripheres, im Grunde ein sinnliches Begehren, - dem alle Merkmale der ehelichen Liebe fehlen - sowohl die Merkmale der Liebe Im allgemeinen als auch der spezifischen ehelichen Liebe. Und es ist von größter Wichtigkeit, zu betonen, dass die Frage der Geburtenregelung im Lichte des Mysteriums wahrer Liebe und der sie erfüllenden körperlichen Hingabe gesehen werden muss und nie im Lichte der heute oft „Liebe" genannten sexuellen Angezogenheit verstanden werden darf. Denn vielfach wird - wie etwa in dem mehrfach veröffentlichten Beitrag zur Enzyklika „Humanae vitae" von Professor Fritz Leist - die isolierte sexuelle Lust als Motiv der Ehe betrachtet (was konsequenterweise dazu führt, dass Promiskuität mit dem Namen „vorehelicher Geschlechtsverkehr" oder „Probeehe", und dass Homosexualität als Quelle selbsterfüllender Lust verteidigt werden). Dies wird noch klarer werden, wenn wir uns nun kurz auf die Merkmale der bräutlichen Liebe, der Liebe zwischen Mann und Frau besinnen.

WESENSUNTERSCHIEDE ZWISCHEN WAHRER EHELICHER LIEBE UND ISOLIERTEM SEXUELLEM BEGEHREN

Viele sagen: Natürlich ist das Charakteristikum dieser Liebe der Geschlechtstrieb, denn sie setzt ja die Verschiedenheit beider Geschlechter voraus. Darauf möchte ich antworten: Gewiss, aber der Unterschied zwischen Mann und Frau ist nicht ein rein biologischer, sondern schon auf geistigem Gebiet ein komplementärer Unterschied; ich habe in meinem Buch „Die Menschheit am Scheideweg" einen Aufsatz über „die Bedeutung von Mann und Frau füreinander außerhalb der Ehe" veröffentlicht, in dem ich auf diese geistige Zuordnung eingehe, auf dieses besondere einander auch rein geistig Befruchten, diese Ergänzung von Mann und Frau, die eine besondere Situation schafft; es ist ja kein Zufall, dass wir in der Geschichte sehen, wie oft große männliche Heilige in Frauen ihre treuesten und verständnisvollsten Nachfolger finden und umgekehrt.

Die bräutliche Liebe ist noch durch ein anderes Merkmal gekennzeichnet, nämlich dadurch, dass die in jeder Liebe enthaltene intentio unionis, die Sehnsucht nach der Teilnahme am Leben des Geliebten, die Sehnsucht nach einer irgendwie gearteten Gemeinschaft, hier ihren Höhepunkt erreicht. In jeder Liebe eilen wir geistig zum anderen hin, in jeder Liebe wenden wir uns ihm zu, um ihm voll als Person zu begegnen und ersehnen eine Erwiderung der Liebe; denn eine wirkliche Gemeinschaft unter personalen Wesen ist nur möglich im Ineinanderblick der Liebe. Wir wenden ja nur in der Liebe dem anderen voll unser Antlitz zu und erschließen uns ihm wirklich. Das aber erreicht in der bräutlichen Liebe einen ganz neuen Charakter. Es liegt in dieser Liebe eine Intention auf die Ehe, und ich denke jetzt noch nicht an die körperliche Vereinigung, sondern an die Verbindung der Eigenleben. Es ist doch etwas Ungeheures, dass zwei Menschen ein Leben führen wollen, dass sie zusammen leben wollen, einen Namen tragen, dass sie ihre Leben vereinen und alles miteinander teilen! Die bräutliche Liebe ist auch dadurch charakterisiert, dass sie die reinste Ich-Du-Gemeinschaft ist. Ich habe in meinem Buch „Metaphysik der Gemeinschaft" diese zwei Urdimensionen der Gemeinschaft unterschieden – die Ich-Du-Gemeinschaft, wo man sich gleichsam gegenübersteht und die Wir Gemeinschaft, wo man nebeneinander steht und sich einer dritten Sache zuwendet. Diese zwei Dimensionen der Gemeinschaft sind normalerweise in jeder Beziehung bis zu einem gewissen Grad vorhanden, aber es ist für die Beziehung charakteristisch, welche von ihnen vorherrscht; ich würde sagen, dass die Freundschaft im allgemeinen eine besondere Wir-Gemeinschaft ist, wo man gleichsam Hand in Hand auf gemeinsame Güter und Werte hinblickt, sich in gemeinsamen Interessen versteht. In der bräutlichen Liebe hingegen ist die Liebe selbst in besonderer Weise thematisch. Es herrscht in ihr die ausgesprochene Ich-Du-Situation, immer mit der Sehnsucht, im Ineinanderblick der Liebe zu dieser letzten Einheit zu gelangen. Und natürlich schließt das ein, dass sowohl der geliebte Mensch als auch die gegenseitige Liebe in einzigartiger Weise thematisch werden.

Noch ein Merkmal der bräutlichen Liebe möchte ich besonders unterstreichen: das, was man Verliebtheit nennt. Leider wird dieser Ausdruck sehr oft missbraucht und manche glauben, das sei ja nun wirklich nichts anderes, als dass der andere einen eben in sexueller Hinsicht anzöge. Das ist jedoch ein verhängnisvoller Irrtum. Es handelt sich hier um zwei radikal verschiedene Phänomene. Gewiss gehört zu dieser Verliebtheit, dass im geliebten Menschen sich auch der Zauber des anderen Geschlechtes in einzigartiger Weise offenbart. Es gehört zur Verliebtheit, dass all das Schöne, Geheimnisvolle des Weiblichen als solches dem Mann und des Männlichen als solches der Frau aufleuchtet, ja, sich in dem geliebten Wesen verkörpert - exklusiv verkörpert! Das ist hier das Entscheidende, dass in der wahren Verliebtheit der Zauber des anderen Geschlechtes im geliebten Menschen exklusiv verkörpert ist, wie Petrarca so herrlich von Laura sagt: „che sola a me par donna", „die allein mir Frau zu sein scheint". Dieses Merkmal der Verliebtheit ist das reinste Gegenteil des sogenannten sex-appeals, des bloßen sexuellen Angezogenwerdens. Wenn jemand den anderen nur als sinnlich reizvoll ansieht und dadurch ein isoliertes sinnliches Begehren in ihm erweckt wird, dann haben wir ein von der wahren Verliebtheit radikal verschiedenes Phänomen vor uns. In der wahren Verliebtheit steht der Geliebte als etwas ungeheuer Kostbares, in seiner Schönheit Ehrfurcht Erweckendes vor uns. Dabei ist noch gar nicht von einer besonders tiefen Verliebtheit die Rede, sondern nur vom Phänomen der Verliebtheit als solcher. Jeder wirklich Verliebte blickt zu dem anderen auf mit dem Bewusstsein: „Ich bin ja seiner nicht würdig", obgleich er mit ganzem Herzen hofft, seine Liebe möge erwidert werden. Solange ich jemanden nur sexuell anziehend finde und er ein isoliertes sinnliches Begehren erweckt, blicke ich durchaus nicht auf zu ihm. Im Falle echter Verliebtheit werde ich in die Tiefe gezogen, ich werde feinfühliger, ehrfürchtiger. Im Falle eines isolierten sinnlichen Begehrens, weil ich jemanden reizvoll finde, werde ich in die Peripherie gezogen. Ich werde sogar weniger feinfühlig, weniger ehrfürchtig. Im Falle echter Verliebtheit steht der Geliebte in einzigartiger Weise als Person vor mir, ich nehme ihn ganz ernst in seinem Personsein. Im Falle bloß sinnlichen Angezogenseins ist der Partner ein Objekt für meine Befriedigung. Im Falle echter Verliebtheit ist aller Reiz des anderen Geschlechtes in diesem einen geliebten Menschen verkörpert; im Fall bloßen sinnlichen Begehrens ist der andere ein guter Vertreter des anderen Geschlechtes unter vielen anderen. Er ist ein „Exemplar", das ich hier finde. Die echte Verliebtheit besitzt - solange sie wirklich andauert - eine absolute Ausschließlichkeit. Es ist einfach psychologisch nicht möglich, in zwei Menschen gleichzeitig verliebt zu sein. Diese psychologische Ausschließlichkeit - es handelt sich hier noch nicht um eine moralische Frage – gründet im Wesen der Verliebtheit, nämlich darin, dass sie einem Menschen gilt. Im bloß sexuellen Angezogensein vom sinnlichen Reiz eines Menschen liegt nicht die geringste Exklusivität. Im Gegenteil: sie geht sogar mit dem Bewusstsein Hand in Hand: heute diese, morgen eine andere, variatio delectat. Dies kommt in typischer Weise in der Gestalt des Don Giovanni in Mozarts einzigartiger Oper zum Ausdruck, wo er zu Leporello sagt: Ich wäre ja dem weiblichen Geschlecht untreu, wenn ich mich auf eine festlegen würde. Das ist die reinste Antithese zur Verliebtheit. Hier ist die spezies der Weiblichkeit, und zwar nur in ihrer rein sexuellen Anziehendheit das eigentliche Thema. Jede einzelne Frau ist ein bloßes Exemplar dieser Spezies. Für den Verliebten kann sich der Zauber des anderen Geschlechtes überhaupt nur in der individuellen Persönlichkeit des Geliebten voll entfalten, nur auf dem Hintergrund dieses ganzen Menschen fängt dieser Zauber an zu leuchten, in seinem geheimnisvollen Glanz zu sprechen, nur auf dem Hintergrund all der anderen persönlichen Werte dieses Menschen, den ich liebe. Unnötig zu sagen, dass die Qualität des Sinnlichen (und wenn ich hier von sinnlichem Reiz spreche, meine ich die Sphäre des Sexuellen und alles, was mit ihr auch psychologisch-geistig zusammenhängt) in diesen beiden Fällen gänzlich verschieden ist. Im Falle des wahrhaft Verliebten ist es das wahre Antlitz des Geschlechtsgeheimnisses, in all seiner Tiefe, in seinem ehrfurchtgebietenden Geheimnischarakter, in seiner Qualität des Rührenden, weil es von der Liebe geformt ist; im anderen Fall ist es ein verzerrtes Bild des Geschlechtsgeheimnisses, weil isoliert und von der geistigen Person getrennt. Und damit Hand in Hand geht unausweichlich ein Element der Depersonalisierung. Derjenige, der von diesem nackten sinnlichen Begehren erfasst wird, wird selbst depersonalisiert, er agiert nicht als Person in diesem Moment; aber auch die andere Person, auf die er hinblickt, wird nicht als Person gesehen; sie wird depersonalisiert.

Wie viel schöner und ehrfürchtiger, wie viel erwachter macht die Liebe! Wie weitet sich in ihr der Kosmos und führt uns in eine größere religiöse Tiefe! In der wahren Verliebtheit leuchtet die Sonne noch mehr, die Natur wird noch schöner; das ganze Leben wird auf eine höhere Stufe gehoben. Der Mensch wird dann befreit von den Fesseln der Gewohnheit, die uns so beherrschen, von den Gefahren der Konvention, er erwacht viel mehr für die wahre Hierarchie der Werte, wie sie das Hohelied ausdrückt, wenn es sagt, dass der Mensch, der die ganze Habe seines Hauses für seine Liebe gäbe, dies als nichts erachten würde.

Wir sehen also, wie falsch es ist, wahre Verliebtheit und isoliertes sexuelles Angezogensein zu verwechseln. Und es ist wichtig zu erkennen, dass heute oft mit den Worten Liebe und Verliebtheit zwei ganz entgegengesetzte Einstellungen gemeint werden. Man hört heute so leicht Einwände, wie: Gewiss, ich gebe zu, es gibt außergewöhnliche Menschen mit einem großen Liebespotential, das ist gewiss sehr schön, aber ich habe das nicht und für mich ist eben Verliebtheit, wenn mich jemand sexuell anzieht. Dagegen ist zu sagen: Es ist gar nicht von einer außergewöhnlichen Verliebtheit die Rede, nicht von dem Liebespotential eines Romeo. Auch in einem ganz einfachen, undifferenzierten Menschen, der in keiner Weise außergewöhnlich ist, wird, wenn er sich einmal in seinem Leben verliebt, etwas von dem zu finden sein, was die Verliebtheit wesensmäßig charakterisiert und von allem bloßen sexuellen Verlangen trennt. Auch bei ihm wird sich ein isoliertes sexuelles Verlangen als ein völlig anderes Erlebnis von seiner Verliebtheit unterscheiden. In diesem Fall wird er gar nicht daran denken, sein Leben mit dem des anderen zu verbinden, er wird an gar keine Ehe denken.

In dieser bräutlichen Liebe ist noch ein anderes Element hervorzuheben, nämlich das einzigartige Glück, das diese Liebe gewährt. Schon das Liebenkönnen in sich spendet ein einzigartiges Glück. Und dann das große Glück in der Erwiderung dieser Liebe und der aus ihr hervorgehenden Einheit. Das darf aber nicht verführen zu glauben, dass ich dieses Glück in der Liebe als Ziel suche und der Partner mir nur ein Mittel dazu sei. Das wahre Glück der Liebe ist in Wirklichkeit ein Geschenk, das nur superabundant (als überfließendes) gegeben wird. Sobald ich den anderen nur als Mittel dazu sehe, kann ich ihn nicht mehr lieben und in dem Augenblick kommt es auch nicht zum Glück der Liebe.

Es gibt viele Dinge, die von vorneherein zerstört sind, wenn ich sie in einen Mittel-Zweck-Zusammenhang zu etwas anderem setze. Ich muss sie in sich ernst nehmen; wenn ich eine Beethoven-Symphonie nur deswegen anhöre, weil ich ein schönes Gefühl erleben möchte, dann werde im nichts erleben. Ich muss an die Symphonie denken und mich ihrer Schönheit hingeben, muss mich vergessen – und so ist es auch bei der Liebe. Man darf nicht das Glück, das eine Folge der Liebe ist, mit ihrem Motiv verwechseln. Ihr Motiv ist die Kostbarkeit, die Schönheit, die Güte, die der andere in sich besitzt, der Wert dieser einzigartigen Persönlichkeit in ihrer Gesamtschönheit. Liebe ist Wertantwort. Für das sinnliche Begehren allerdings stimmt es, dass dieses Scheinglück, diese Lust direkt angestrebt werden und der andere lediglich ein Mittel dazu sein kann.

Es ist diese bräutliche Liebe, die eine organische Brücke zur sinnlichen Sphäre bildet. Jede andere Liebe, eine Freundesliebe, eine Mutterliebe, eine Kindesliebe würde zu dieser Sphäre absolut nicht passen. Die bräutliche Liebe hingegen verbindet sich organisch mit ihr und findet in dieser Sphäre in besonderer Weise ihren Ausdruck und ihre Erfüllung. Das Mysterium, das in dieser Sphäre beschlossen liegt und das ich in meinem Buch „Reinheit und Jungfräulichkeit" herauszuarbeiten gesucht habe, besitzt eine unvergleichliche Tiefe. In gewissem Sinn ist das Sexuelle in jedem Menschen „sein persönliches Geheimnis". Ein tiefes Wort ist darum das biblische Wort des „Erkennens" für den ehelichen Akt. Und darum ist in dieser Liebe der eheliche Akt eine letzte Selbsthingabe, eine Schenkung meiner selbst. Darum, weil diese Sphäre dieses merkwürdig-einzigartig-geheimnisvolle besitzt, kann sie Vehikel und Ausdruck und Erfüllung der von der Liebe ersehnten unio werden, aber nicht nur der Liebe, sondern auch der vollen, unwiderruflichen Einswerdung des Konsensus, d. h. des klaren, ausdrücklichen Willens zur unlöslichen Einigung und Bindung, der organisch aus der Liebe herauswächst und gar nicht von ihr zu trennen ist, wenn diese Liebe da ist. Er kann ohne sie auftreten in den (aus finanziellen oder ähnlichen Gründen geschlossenen) und mit dem irreführenden Ausdruck „Vernunftehen" bezeichneten Ehen. Der Konsensus kann also von der Liebe, aber die echte bräutliche Liebe kann nicht von der Sehnsucht nach diesem Konsensus losgelöst werden, nach der ausdrücklichen, dauernden Bindung.

Wir müssen uns also scharf dagegen verwahren, wenn man heute oft als Liebe oder Verliebtheit eine „Hingabe" anspricht, die aus einer isolierten sexuellen Angezogenheit ohne den vollen Konsensus vollzogen wird, die also eine Unreinheit, ein Sich-Wegwerfen, eine Entweihung dieses Mysteriums darstellt. Ein solches isoliertes sexuelles Begehren ist das genaue Gegenteil der wahren Liebe.

FALSCHE SCHICHTENTHEORIE

Der schwere Irrtum, das Sexuelle als eine Schicht bloßer Instinkte zu betrachten, ist auch dann nicht richtiggestellt, wenn man es heute zwar oft positiv bewertet, sich dabei sogar von einer Vergötzung der sexuellen Lust fern hält, aber nach wie vor den wesentlichen Sinn des Sexuellen, die Erfüllung der bräutlichen Liebe, übersieht. Es ist nicht der entscheidende Punkt, ob man das sexuelle Begehren positiv oder negativ sieht; vielmehr kommt es darauf an zu verstehen, dass es nicht dazu bestimmt ist, ein Instinkt wie andere Instinkte zu bleiben, sondern ein Ausdruck ehelicher Liebe zu werden.

Hält man das Sexuelle bloß für irgendeine Parallele oder Analogie zur geistigen Einheit auf körperlicher Ebene, so bleibt man immer noch blind für das Geheimnis dieser Sphäre, für den hohen Wert des mysterium unionis (das Geheimnis der Vereinigung), wie auch für das mysterium iniquitatis (das Geheimnis des Bösen), das ihr Missbrauch darstellt.

PRÜDERIE, NEUTRALISIERUNG ODER EHRFURCHT UND SCHAM?

Gerade der Geheimnischarakter der sexuellen Sphäre wird heute vielfach verkannt. Viele erklären, es sei ein großer Fortschritt, dass man offen und neutral von diesem Gebiet spreche und dass das puritanische Vertuschen aufgehört habe. In Wirklichkeit ist dies kein Fortschritt: die Neutralisierung wird dieser Sphäre noch weniger gerecht als die Prüderie.

Die wahre Antithese zur puritanischen ist die ehrfürchtige Haltung dem Geheimnischarakter dieser Sphäre gegenüber, die ihrem Wesen nach jede Neutralisierung ausschließt. Es ist ein Irrtum zu glauben, Scham könne nur die Antwort auf etwas Negatives sein, denn es gibt verschiedene Typen des Schamgefühls. Es gibt auch eine edle Scheu, die auf das Intime und Geheimnisvolle antwortet. So schämt sich auch ein edler Mensch, wenn man seine guten Taten vor anderen lobt. Die Scheu und zarte Zurückhaltung, die die sexuelle Sphäre erheischt, für Prüderie zu halten, ist ein trauriges Beispiel für jene Oberflächlichkeit, die auch Demut mit Servilität oder Reinheit mit Frigidität verwechselt. Die Neutralisierung dieser Sphäre zeigt tatsächlich ein verhängnisvolles Missverstehen ihres ekstatischen Geheimnischarakters und ihrer wesenhaften Intimität.

DIE BRÄUTLICHE LIEBE UND DIE UNWIDERRUFLICHE VERBINDUNG IN DER EHE

Die Einheit in der Ehe konstituiert sich durch den Konsensus der Gatten, der eine gegenseitige Hingabe für das ganze Leben ist. Er wird bewirkt durch den ausdrücklichen Willen der beiden Partner, den sie feierlich vor Gott aussprechen, wobei sie diese Verbindung gleichsam Gott selbst anvertrauen. Die intentio unionis (Sehnsucht nach Einheit) der ehelichen Liebe findet im Konsensus ihren gültigen Ausdruck und ihre Erfüllung in der unwiderruflichen Einheit, die der Konsensus konstituiert. Im ehelichen Akt erreicht sie eine neue Erfüllung, denn er ist der Vollzug der Selbsthingabe, die der Konsensus einleitete und versprach. Mit diesem Vollzug der Ehe, mit der vollbrachten Selbsthingabe, beginnt ihre Unauflöslichkeit. Wird nicht jeder, der die Worte des Herrn über ihre Unauflöslichkeit ohne Vorurteil betrachtet, die Größe und Schönheit der Ehe und der wesenhaft in ihr enthaltenen körperlichen Vereinigung erfassen? Am Anfang der Schöpfung hat Gott einen Mann und ein Weib geschaffen. „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen. Und sie werden zwei in einem Fleische sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen" (Mark 10, 5-9). Diese Worte enthalten nicht den leisesten Hinweis, der ein Misstrauen gegen die Liebe oder die körperliche Vereinigung rechtfertigen könnte. Aus der Betonung des Einswerdens und der gegenseitigen Hingabe geht klar hervor, dass die leibliche Vereinigung als Erfüllung der Liebe betrachtet wird. Die Kinderzeugung ist überhaupt nicht erwähnt. Die Worte der Genesis weisen eindeutig auf die Liebe hin: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen" (Gen 2, 24), und das ausdrückliche: „sie werden ein „Fleisch" zeigt deutlich, dass dieses Einswerden die Erfüllung der Liebe ist. Die sublimen Worte über die Unauflöslichkeit der Ehe: „Was daher Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen", lassen die Tiefe und Größe dieser im ehelichen Akt gegründeten Einheit aufleuchten, einer Liebeseinheit, von der gesagt wird, Gott habe sie gestiftet und darum könne ein Mensch sie nicht auflösen. Kein vorurteilsfreier Geist kann diese Worte lesen und verstehen, sie in ihrer ganzen Feierlichkeit in seine Seele aufnehmen, ohne zugleich den Abgrund zu erfassen, der diese Schau von der gnostischen und puritanischen Einstellung trennt, die man oft unter Christen trifft.

DIE ÜBERNATÜRLICHE UMGESTALTUNG DER EHE

Was zeigt den hohen Sinn und Wert der Ehe eindringlicher als die Tatsache, dass Christus ihr die Würde eines Sakramentes verlieh, sie also nicht nur selbst zu etwas Heiligem machte, sondern darüber hinaus noch zu einer Quelle besonderer Gnaden!

In diesem Rahmen ist es nicht möglich, den sublimsten Aspekt der Ehe als Sakrament darzulegen. Aber es muss hervorgehoben werden, dass auch die eheliche Liebe dazu berufen ist, in Christus umgestaltet zu werden. Wahrhaftig, nur in Christus und durch Christus können die Gatten der vollen Schönheit und Tiefe nachstreben, auf die diese Liebe ihrem eigensten Wesen nach angelegt ist. „Aber zu welcher neuen und unsagbaren Schönheit steigert sich diese Liebe zweier menschlicher Herzen, wenn mit dem Loblied menschlicher Liebe der Hymnus zweier Seelen sich innig verbindet, die erfüllt sind von übernatürlichem Leben. Auch hier vollzieht sich ein gegenseitiger Austausch von Gaben; und mit der sinnlichen Liebe und ihren gesunden Freuden, mit der natürlichen Zuneigung und ihrem Schwung, mit der geistigen Einigung und ihren Wonnen werden dann die beiden Wesen, die sich lieben, in allem gleich, was sie Persönlichstes haben, von der unerschütterlichen Tiefe ihrer Glaubensüberzeugungen bis zu dem unübersteigbaren Gipfel ihrer Hoffnungen."(7)

In der Umgestaltung der ehelichen Liebe durch Christus verliert sie jedoch nicht ihren besonderen Charakter als eheliche Liebe:

„Gott zerstört und ändert mit seiner Liebe die Natur nicht, sondern macht sie vollkommen. Und der heilige Franz von Sales, der das Herz der Menschen wohl kannte, schloss seine herrliche Seite über die eheliche Liebe mit dem doppelten Rat: ,Bewahret, o Gatten, eine zärtliche, beständige und herzliche Liebe zu euren Frauen! Und ihr Gattinnen, liebt zärtlich und herzlich, aber mit einer Liebe voll Ehrfurcht und Ergebenheit die Gatten, die Gott euch gegeben hat ...' Herzlichkeit und Zärtlichkeit von der einen wie von der anderen Seite also! ,Liebe und Treue', bemerkt Franz von Sales, ,erzeugen immer Geborgenheit und Vertrauen. Darum pflegen die Heiligen in ihrer Ehe recht viele Zeichen der Zuneigung zu geben. Wirkliche Liebeserweise, aber auch keusch, zart und aufrichtig'.,"(8)

DER SINN DER EHE UND DAS PRINZIP DER SUPERABUNDANTEN FINALITÄT

Dieser sublimen Liebeseinheit hat Gott eine Mitwirkung mit seiner Schöpferkraft anvertraut: das Entstehen eines neuen Menschen. Können wir uns etwas Schöneres denken als diese Verbindung zwischen der tiefsten Liebesgemeinschaft, der letzten Selbsthingabe aus Liebe und der Erschaffung eines neuen Menschen? Hier ist uns ein tiefes Geheimnis geschenkt, das Ehrfurcht und heilige Scheu erheischt. Seine Größe und Hoheit können wir nur erfassen, wenn wir zuvor den Sinn und Wert der Ehe als Liebesgemeinschaft und des ehelichen Aktes als Vollzug dieser letzten Einheit verstanden haben, nach dem die Gattenliebe verlangt. Die tiefe, geheimnisvolle Verbindung zwischen ihr und der Empfängnis eines neuen Menschen lässt sich nur dann voll würdigen, wenn wir den hier vorliegenden Zusammenhang als ein Prinzip der Superabundanz, d. h. der überfließenden Fülle erkennen und nicht als bloßen Instrumentalzusammenhang; denn dann würde man im ehelichen Akt ein bloßes Mittel für die Kinderzeugung sehen. Wir müssen hier betonen: das Hervortreten des Sinnes und Wertes der Ehe als Liebeseinheit setzt die Verbindung zwischen Ehe und Zeugung nicht herab, sondern zeigt sie in einem höheren Licht.

Dies wird klarer werden, wenn wir nun das Prinzip der Superabundanz in seinem Wesen und in seinem Unterschied zur bloßen Instrumentalursache untersuchen: Zweifellos ist es ein Zweck des Erkennens, den Menschen zum Handeln zu befähigen. Unser ganzes praktisches Leben, von den einfachsten bis zu den kompliziertesten Tätigkeiten setzt Erkenntnis voraus. Darüber hinaus hat sie den noch höheren Zweck, uns zu ermöglichen, die sittliche Vollkommenheit und Heiligung zu erreichen, die unser ewiges Heil erfordert. Wenn auch beide zu Recht als Zwecke der Erkenntnis bezeichnet werden, auf die diese hingeordnet ist, so hat sie zweifellos noch einen Sinn und Wert in sich. Die Beziehung zu den Zwecken, denen sie dient, trägt den Charakter überfließender Fülle. Hier haben wir einen typischen Fall von Finalität, in dem der Zweck nicht der ausschließliche Daseinssinn eines Etwas ist. Diese Finalität unterscheidet sich offenbar von der instrumentalen. So ist etwa ein chirurgisches Instrument ein Mittel für eine Operation, oder Geld ein Mittel, uns ein Gut zu verschaffen, oder die Zähne das Mittel zum Kauen der Nahrung. Der Hauptunterschied zwischen beiden Arten der Finalität liegt in folgendem: bei der Instrumentalverknüpfung ist Sinn und Wert des als Mittel dienenden Seienden vollständig von seinem Zweck abhängig. In der Finalität der überfließenden Fülle hat jedoch das jeweilige Seiende seinen Sinn und Wert auch schon unabhängig von dem Zweck, zu dem es führt.(9)

Das ganze Wesen des Messers ist durch seinen Zweck, das Schneiden, bestimmt. Sein Sinn erschöpft sich darin, diesem Zweck zu dienen, und sein Wert hängt von seiner Funktion als Mittel ab. Hier haben wir ein Seiendes mit typisch instrumentaler Finalität vor uns, dessen einziger Daseinssinn ist, ein Mittel zum Schneiden zu sein. Das Gut aber, das der Finalität der überfließenden Fülle dient, hat außer dieser noch einen Daseinssinn in sich.

Wie wir vorher sahen, ist es der wesenhafte Sinn und Wert der Ehe, die tiefste und engste Liebeseinheit unter Menschen zu sein. Der eheliche Akt bedeutet eine einzigartige Erfüllung dieser Liebe in gegenseitiger Selbsthingabe und begründet eine unvergleichliche Einheit. Doch diesem schon in sich wert- und sinntragenden hohen Gut ist zugleich die Erzeugung der Nachkommen anvertraut. Derselbe Akt, dessen Sinn es ist, die Einheit zu vollziehen, wurde zugleich, in überströmender Fülle, zur Quelle der Fortpflanzung. Sein Zweck ist also die Zeugung, jedoch nicht im Sinn einer bloßen Instrumentalfunktion. Während wir den Geschlechtstrieb der Tiere als pures Mittel zur Erhaltung der Arten im Sinn eines Instrumentalzusammenhanges ansehen können, ist dies offenbar unmöglich in Hinblick auf die Liebe von Mann und Frau und ihre Vereinigung in der Ehe.

Hin und wieder hat man wenigstens zugestanden, die Gatten brauchten in ihrer subjektiven Einstellung die Ehe und die leibliche Vereinigung nicht als ein bloßes Mittel im Instrumentalsinn zu betrachten, aber man blieb doch bei der Behauptung, objektiv habe diese Beziehung einen Instrumentalcharakter. Man erklärte also, Gott habe die Liebe zwischen Mann und Frau, die Sehnsucht nach ehelicher Vereinigung in die Herzen eingepflanzt als ein bloßes Mittel zur Kinderzeugung. Aber damit hat man den wahren Charakter der Verbindung zwischen Ehe und Zeugung nicht verstanden.

Wir stoßen hier auf eine allgemeinere, gefährliche Tendenz, das wahre Wesen der Person zu verkennen und zu meinen, die im biologischen Bereich wirksame Instrumentalität ließe sich auf die geistige Schicht im Menschen übertragen. Wir dürfen nicht vergessen: die innere Logik und Ratio der Triebe geht sozusagen über den Kopf der Person hinweg. Tatsächlich legt weder die Vernunft des Menschen noch sein freier Wille die sinnvolle Richtung eines Instinktes wie Durst oder Schlafbedürfnis fest. Diesen Instinkten hat Gott ihren Sinn gegeben, ohne die menschliche Vernunft mit einzubeziehen. Ihre Finalität ähnelt jener in den ausschließlich unbewussten Vorgängen. Wir können daher mit Recht sagen, es sei der Daseinssinn des von uns erlebten Durstes, unseren Körper mit der nötigen Flüssigkeit zu versorgen und Gott habe ihn als Mittel zu diesem Zweck geschaffen.

Bei den geistigen Akten der Person wie Wollen, Lieben oder Reue können wir nicht mehr annehmen, sie hätten in Gottes Augen keine Eigenbedeutung, sondern seien nur Mittel, die durch eine ähnliche Finalität wie Triebe und Instinkte an einen Zweck geknüpft sind. Hier gilt es zu bedenken: Gott nimmt den Menschen als Person so ernst, dass Er selbst zu ihm gesprochen hat und es von der freien Antwort des Menschen abhängt, ob er seine ewige Bestimmung erreicht oder nicht. Die geistigen Haltungen des Menschen haben ihren Sinn und ihre ratio in sich und können niemals so eingeschätzt werden, als hätten sie ihre Bedeutung unabhängig von der Person. Die Vernunft, die Freiheit eines Menschen, seine Fähigkeit, sinnvoll zu antworten, ist in die Person eingegangen, nicht aber eine apersonale, automatische Zweckgerichtetheit, die über den Kopf der Person hinweggeht. Folglich kann ihre wahre Bedeutung unmöglich außer halb der bewussten Erlebnissphäre liegen und unabhängig von ihr sein. Der Mensch ist für Gott keine Marionette, sondern ein personales Wesen, zu dem Er spricht und von dem Er eine sinnvolle Antwort erwartet.

Jede Abwertung und Entwürdigung der geistigen Haltungen ist unvereinbar mit dem Wesen des Menschen als Person und als imago Dei. Sie würde verkennen, dass Gott sich dem Menschen geoffenbart hat; sie würde vergessen, in welcher Weise sich die Erlösung vollzog. Man wird vielleicht einwenden: Bedient Gott sich nicht oft einer bösen Haltung, um etwas Gutes daraus zu wirken, im Leben Einzelner und vor allem in der Geschichte der Menschheit? Kann nicht ein in sich schlechtes Verhalten zum Mittel für etwas Gutes werden? Zweifellos. Doch die felix culpa entkleidet den Fehler keineswegs seines sittlich negativen Charakters und berechtigt uns nicht anzunehmen, die sittliche Entscheidung erhielte ihre wahre Bedeutung erst in ihrer positiven Funktion als felix culpa, während tatsächlich ihr primärer Sinn in ihrem eigenen sittlichen Wert oder Unwert liegt.

Wenn wir sagen, Gottes Vorsehung wirke noch aus dem Schlechten etwas Gutes, so denken wir offensichtlich an eine grundlegend andere Form von Finalität als eine instrumentale Zweckgerichtetheit, wie wir sie im biologischen Bereich vorfanden. Die erste Art wurzelt nicht im Wesen eines Seienden, sondern stellt ein freies Eingreifen der göttlichen Vorsehung dar, die etwas sogar in einer Richtung benützt, die dessen eigentlichem Wesen und Sinn entgegengesetzt ist. Es wäre offenbar widersinnig, zu sagen, es sei der Zweck des sittlich Bösen, zu etwas Gutem zu führen. Das hieße behaupten, das wirkliche Wesen eines sittlichen Fehlers mache ihn zum Mittel für etwas Gutes. Die culpa ist in sich infelix. Dass aus ihr eine felix werden kann, ist einem Eingreifen Gottes zu verdanken. Damit sind wir aber niemals berechtigt zu sagen, dies sei in Gottes Augen der objektive gültige Sinn der sittlichen Schuld. Gott richtet den Menschen ja nicht danach, ob seine Sünden sich nachher als felix culpa erweisen, sondern nach diesen Sünden selbst. Das barmherzige Eingreifen Gottes, der selbst aus Bösem Gutes erwachsen lässt, löst also durchaus nicht die Eigenbedeutung der geistigen Haltung auf, mindert die Rolle des Menschen in keinem Fall zu der einer Marionette herab.

DER SINN DER EHE UND IHR PRIMÄRER ZWECK

Zu unserem Thema können wir nunmehr feststellen: es ist unvereinbar mit dem Wesen der menschlichen Person, ihre tiefsten geistigen Erlebnisse als bloß subjektive Aspekte eines Mittels anzusehen, das in Gottes Augen einem äußeren Zweck dienen soll. Wir würden den Menschen von einem ausschließlich biologischen Gesichtpunkt aus betrachten, wollten wir annehmen, das höchste irdische Gut, die Liebe zwischen Mann und Frau, sei ein pures Mittel für die Erhaltung der Art; ihr objektiver Daseinssinn sei ausschließlich, eine Vereinigung herbeizuführen, die der Kinderzeugung dient. Das gottgegebene Band zwischen der Liebe von Mann und Frau und ihrer Erfüllung in der ehelichen Vereinigung einerseits und der Erschaffung einer neuen Person andererseits hat gerade den Charakter der überfließenden Fülle, die eine viel tiefere Verbindung ist als die nackte instrumentale Zweckrichtung.

Sagen wir es noch einmal mit allem Nachdruck: Wenn wir den Sinn und Wert der Ehe als der intimsten, unauflöslichen Liebeseinheit hervorheben, so ist damit der Lehre von der Kinderzeugung als primärem Zweck der Ehe durchaus nicht widersprochen. Die Unterscheidung zwischen Sinn und Zweck und die Betonung des Eigenwertes der Ehe noch abgesehen von ihrem hohen Wert als Quelle der Fortpflanzung, mindert keineswegs die Bedeutung des Bandes zwischen Ehe und Kinderzeugung. Dieses wird vielmehr in ein helleres Licht und in die richtige Perspektive gestellt.

WARUM IST DIE KÜNSTLICHE GEBURTENREGELUNG SÜNDHAFT, DIE ZEITWAHL ABER NICHT?

Im Lichte des bisher Gesagten ergibt sich ein Zugang zum Problem des Unterschiedes zwischen natürlicher und künstlicher Geburtenregelung. Die Sünde der künstlichen Geburtenbeschränkung liegt darin, dass man sich selbst das Recht anmaßt, die verwirklichte Liebesvereinigung in der Ehe von der möglichen Zeugung, zu trennen. In unehrfürchtiger Haltung dieses Geheimnis antastend will man vermessentlich das wunderbare, tief geheimnisvolle Band durchschneiden, das Gott selbst geknüpft hat. Hier stehen wir vor der Grundsünde der Ehrfurchtslosigkeit gegen Gott, die unsere Geschöpflichkeit leugnet, die handelt, als seien wir die Herren unserer selbst. Es ist die grundsätzliche Ablehnung der religio, unseres Gebundenseins an Gott; Es ist die Missachtung der Geheimnisse der Schöpfung, die umso sündiger wird, je höher der Rang des verkannten Mysteriums ist. Es ist dieselbe Sündenwurzel, die dem Selbstmord oder der Euthanasie zugrunde liegt; denn in beiden Fällen tun wir, als seien wir die Herren des Lebens.

Jedes aktive Dazwischentreten der Gatten, das die Möglichkeit der Empfängnis im ehelichen Akt beseitigt, ist unvereinbar mit dem heiligen Geheimnis dieser Verbindung der Überfülle, diesem einzigartigen Geschenk Gottes. Jene Ehrfurchtslosigkeit beeinträchtigt auch die Reinheit des ehelichen Aktes; denn die Vereinigung kann nur dann die wahre Erfüllung der Liebe sein, wenn die Gatten ihr mit Ehrfurcht nahen und wenn sie eingebettet ist in die religio, die das Bewusstsein unserer Urbindung an Gott ist. Die Worte Christi: „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen!" gelten auch für die Verknüpfung von Ehe und Zeugung.

Dies tritt noch deutlicher hervor, wenn wir bedenken, dass das Geheimnis des Hervorgehens eines Menschen nicht nur mit der ehelichen Liebe wesenhaft verbunden sein soll(10), bzw. mit dem ehelichen Akt verbunden ist, der die Bestimmung hat, Ausdruck und Erfüllung dieser Liebe zu sein, - sondern dass es auch immer mit einem schöpferischen Eingreifen Gottes verbunden ist. Weder die eheliche Liebe, und noch viel weniger die für die Zeugung vorausgesetzten physiologischen Vorgänge sind ja von sich aus imstande, einen Menschen mit unsterblicher Seele zu schaffen. Paul VI. zitiert in diesem Zusammenhang die Enzyklika „Mater et Magistra": „Das menschliche Leben ist heilig", erinnert Johannes XXIII., „von seinem Aufkeimen an verlangt es das unmittelbare Eingreifen Gottes(11)". Der Mensch geht immer direkt aus Gottes Hand hervor und deshalb liegt in der Zeugung eine einzigartige intime Berührung der Gatten mit Gott. In einem fruchtbaren ehelichen Akt nehmen die Gatten gleichsam teil am Schöpfungsakt Gottes; der eheliche Akt der Gatten wird dann in den Schöpfungsakt Gottes einbezogen und gewinnt ihm gegenüber eine dienende Funktion. Und auch auf Grund dieser Mitwirkung mit Gott bei der Zeugung ist es dem Menschen absolut verboten, bei einem ehelichen Akt, der zur Zeugung führen würde, gleichsam künstlich das schöpferische Eingreifen Gottes auszuschalten, oder besser: einen zur Kooperation mit dem Schöpfungsakt Gottes angelegten ehelichen Akt künstlich von dieser seiner Bestimmung zu lösen, und sich damit, wie Paul VI. formuliert, nicht als Diener Gottes, sondern als „Herrn über den Ursprung des menschlichen Lebens zu betrachten" (Humanae Vitae 13).

Die Ehrfurchtslosigkeit zeigt sich jedoch ausschließlich in einem aktiven Dazwischentreten, das die Verbindung zerreißt. Der eheliche Akt verliert aber in keiner Weise seinen vollen Sinn und Wert, wenn die Gatten wissen, dass eine Empfängnis nicht in Frage kommt, etwa des Alters, einer gesundheitlich unvermeidbaren Operation oder einer Schwangerschaft wegen. Dieses Wissen befleckt den ehelichen Akt durchaus nicht durch Ehrfurchtslosigkeit. Ist er in einer solchen Ehe der Ausdruck einer tiefen, in Christus verankerten Liebe, so wird er in seiner Qualität und Reinheit sogar viel höher stehen, als in einer Ehe, in der die Liebe weniger tief und nicht von Christus geformt ist, jedoch zur Empfängnis führt. Selbst wenn die Empfängnis aus legitimen Gründen vermieden werden sollte, verliert der eheliche Akt, dessen Sinn und Wert die Verwirklichung einer letzten Einheit ist, in keiner Weise seinen Daseinssinn und seine hohe Würde(12).

Die Absicht der Empfängnisvermeidung ist solange frei von Ehrfurchtslosigkeit als man nicht aktiv eingreift, um die Verbindung des ehelichen Aktes mit einer möglichen Empfängnis unwirksam zu machen. Sich des natürlichen Rhythmus' zu bedienen, um die Empfängnis zu vermeiden, widerstreitet der Ehrfurcht nicht, weil das Vorhandensein dieses Rhythmus', d. h. der Beschränkung der Empfängnis auf eine kurze Zeitspanne, ihrerseits eine gottgegebene Einrichtung darstellt. Auch sie hat ihren Sinn, und es ist eine ausgesprochen ehrfürchtige Haltung, wenn die Gatten die ihnen von Gott gegebene Möglichkeit annehmen, falls sie vermeiden müssen, Kinder zu bekommen. Auch in der Begrenzung der Empfängnis auf eine kurze Periode ist ein Wort Gottes enthalten. Es bestätigt einmal, dass die körperliche Vereinigung der Gatten einen Sinn und Wert in sich hat, abgesehen von der Zeugung. Es lässt weiter die Möglichkeit offen, die Empfängnis auszuschließen, wenn schwerwiegende Gründe dies erfordern. Gott selbst hat ja bestimmt, dass die geheimnisvolle Verbindung zwischen ehelichem Akt und Entstehen eines Menschen, die zu zerreißen Sünde ist, überhaupt nur an wenigen Tagen besteht. Sich dieses Rhythmus' zu bedienen bedeutet also nicht die leiseste Ehrfurchtslosigkeit oder Auflehnung gegen Gottes Ordnung, gegen die wunderbare Verbindung zwischen Liebeseinheit und Zeugung. Es liegt keine leere Ausflucht darin, wie viele Katholiken zu meinen geneigt sind. Im Gegenteil, es ist ein dankbares Annehmen der von Gott gewährten Möglichkeit, ohne dass der Ausdruck und Vollzug der ehelichen Liebe in der körperlichen Vereinigung abgeschnitten würde.

UNTERSCHEIDUNG ZWEIER BEGRIFFE VON NATUR ZUR KLARSTELLUNG DES NATURBEGRIFFS IN „HUMANAE VITAE"

Um den entscheidenden Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Geburtenregelung zu verstehen, müssen wir uns bewusst sein, dass der Begriff „Natur" verschiedene Bedeutungen haben kann.

Einmal meint man mit „Natur" die rein tatsächliche Ordnung der Schöpfung - vor allem die des Materiellen und Biologischen. Zweitens aber zielt man mit demselben Wort auch auf das Wesen tief sinnvoller Zusammenhänge ab, die einen hohen Wert besitzen.

Die Tatsache, dass die Zeit zwischen Zeugung und Geburt beim Menschen 9 Monate und nicht 8 oder 10 Monate umfasst, ist eine rein faktische Gegebenheit. Es könnte ebenso gut anders sein und diese Tatsache ist kein Träger eines ausgesprochenen Wertes. Die Tatsache, dass die Eingänge der Speise- und Luftröhre beim Menschen so nahe beieinander liegen, dass man sich leicht verschlucken kann, ist zwar ein Faktum, aber kein tief sinnvoller Wesenszusammenhang, der Träger eines Wertes wäre. Im Gegenteil, es würden sogar Übel verhütet werden, wäre es anders. Die Tatsache hingegen, dass Liebe beglückend ist, ist etwas tief Sinnvolles, im Wesen der Liebe Gegründetes und Träger eines hohen Wertes. Dies gilt ebenso für die Tatsache, dass sich in der gegenseitigen Liebe eine tiefe Einheit der beiden Personen konstituiert, ja, dass die gegenseitige Liebe der einzige Weg ist, der zu einer geistigen Unio von Personen führt, die viel tiefer und eigentlicher ist als alle Amalgamierung in der impersonalen Welt, als alle Fusion. Diese in der Natur der Liebe und der personalen Ich-Du-Gemeinschaft wesenhaft gegründete Tatsache ist Träger eines hohen Wertes. Hier kann niemand sinnvoller Weise sagen, die erwähnte Tatsache könnte auch anders sein, da es sich um einen sinnvollen, einsichtigen, notwendigen Zusammenhang handelt. Ebenso wäre es ein Zeichen ausgesprochener Wertblindheit, wenn jemand die Schönheit und Tiefe dieses Zusammenhanges nicht sähe, sondern ihn als etwas Gleichgültiges betrachtete.

Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Begriffen von Natur liegt aber nicht darin, dass der Mensch im einen Fall die natürlichen Fakten ändern könnte, im anderen dagegen nicht, sondern darin, dass es sich einmal um bloße Tatsächlichkeit handelt, das andere Mal jedoch um etwas tief Sinnvolles und Wertvolles.

Nun ist es gewiss richtig, dass für den gläubigen Christen beide Arten von „Natur" von Gott stammen und daher ehrfürchtig angenommen werden. Während aber die Natur im rein faktischen Sinn in keiner Weise etwas darstellt, in das der Mensch nicht ändernd eingreifen darf, wenn vernünftige Gründe dafür vorliegen (unter Umständen soll er sogar eingreifen), gewinnt das verändernde Eingreifen überall da, wo ein im Wesen der Sache gegründeter Sinn und Wert vorliegt, einen völlig anderen Charakter. Alle diese Dinge enthalten nämlich in ihrem Sinn und Wert eine besondere Botschaft Gottes und legen uns die Forderung auf, sie zu respektieren.

Dies gilt vor allem für die Zusammenhänge, die ein tiefes Mysterium darstellen. Sich an ihnen zu vergreifen, ist eine ausgesprochene Überhebung der menschlichen Kreatur, ein sich Anmaßen eines Rechtes, das der Mensch nicht besitzt, ein Gott und Vorsehung Spielenwollen.

Das Verwechseln dieser beiden Begriffe von Natur unterbindet bei vielen das wahre Verstehen der Enzyklika „Humanae vitae". Sie verstehen nicht, dass es kein bloß faktischer, nur biologischer Zusammenhang ist, sondern ein großes, wunderbares Geheimnis, dass Gott der innigen Vereinigung von Mann und Frau, die sich gegenseitig mit ehelicher Liebe lieben, die Entstehung eines Menschen anvertraut hat, dass sie, indem sie „zwei in einem Fleisch" werden, an der Schöpfung eines neuen Menschen teilhaben können. In herrlicher Weise bringt dies ein Gebet in einem alten Fuldaer Rituale zum Ausdruck: „Gott, unser Herr, der du den Menschen rein und fleckenlos erschaffen und es so geordnet hast, dass in der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes eine Generation aus der anderen durch das Geheimnis süßer Liebe hervorgeht ... „Der hier ausgedrückte Zusammenhang ist also kein bloß tatsächlicher, sondern ein unerhörtes Mysterium, eine unaussprechlich tiefe und glorreiche Tatsache. Es ist daher ein falsches Argument zu sagen: „Warum sollte es dem Menschen nicht erlaubt sein, die Geburten durch ein künstliches Eingreifen zu regeln, wenn Gott doch dem Menschen die Regelung und Beherrschung der Natur anvertraut und ihn im Alten Testament zum Herrn der Schöpfung erklärt hat? Warum soll es dem Menschen in der Medizin erlaubt sein, in die Natur ändernd einzugreifen, den Uterus zu verpflanzen, Herzen zu transplantieren und Operationen aller Art durchzuführen, aber verboten sein, bei der Geburtenregelung ändernd in die Natur einzugreifen?" Alle, die so argumentieren, verstehen den radikalen Unterschied nicht, der beide Fälle trennt, weil sie die beiden Begriffe von Natur verwechseln. Solange es sich um die rein „faktische" Natur handelt, liegt kein sittliches Gebot vor, das uns ein Eingreifen verbietet. Aber wenn es sich um sinnvolle Zusammenhänge handelt, die einen hohen Wert in sich bergen, ja, in diesem Fall sogar um ein Mysterium, über das wir nur in tiefster Ehrfurcht staunen können, dann ist jeder künstliche Eingriff ein ausgesprochenes sittliches Unrecht.

Ein „statischer“ und ein „dynamischer“ Naturbegriff?

Mehr als bedauerlich ist es aber, wenn bei der Polemik gegen die Enzyklika und den dort vorliegenden Naturbegriff die Ausdrücke „dynamisch“ und „statisch" verwendet werden. Diese typischen Schlagworte, die in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion einen ausgesprochen demagogischen Charakter erhalten haben, appellieren nur an irrationale Emotionen und vernebeln den objektiven Tatbestand. Ich habe die verschiedenen Verwechslungen, die diesen Begriffen zu Grunde liegen, ausführlich in meinem Buch „Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes"(13) behandelt.

DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN BIOLOGISCHER NATUR UND PERSON

Man könnte einwenden: Das Mitwirken an der Schöpfung des neuen Menschen ist aber doch dem physischen Akt anvertraut; es findet ja auch statt, wenn keinerlei Liebesunio vorliegt. Daher ist es doch ein rein biologisches Faktum. Es ist ja weder an die gegenseitige Liebe, noch an den Konsensus in der Ehe gebunden und kann sogar die Folge eines Verbrechens der Vergewaltigung sein.

Bei diesem Einwand wird aber die tiefe Verbindung zwischen biologischer Natur und Person übersehen, und zwar vor allem in zweifacher Richtung:

Erstens wird dadurch, dass in der menschlichen Natur de facto vieles die Folge physischer Vorgänge ist, keineswegs die Tatsache aufgehoben, dass diese physischen Vorgänge, bzw. dieses physische Tun der Ausdruck geistiger Haltungen sein sollte. Zweitens ist in keiner Weise alles biologischer Natur, was an biologische Voraussetzungen geknüpft ist.

1. Faktische Seinsordnung und Sollensordnung in der Ehe

Der Sinn des ehelichen Aktes ist, wie wir gesagt haben, eine letzte Erfüllung der in der bräutlichen Liebe ersehnten Unio. Er stellt dann eine einzigartige Schenkung seiner selbst dar, die nicht nur die Liebe, sondern auch den Konsensus voraussetzt, einen aus der echten bräutlichen Liebe organisch erwachsenden Willensakt, die sanktionierte, unwiderrufliche gegenseitige Bindung.

Wir haben gesehen, welch schwere Sünde daher jede Entweihung dieses Aktes darstellt, die ihn als bloßes Mittel der Lust von der gegenseitigen Liebe und dem Konsensus trennt. Hier liegt die Quelle aller Unreinheit, während die aktive, künstliche Isolierung dieses Aktes von der möglichen Zeugung eines Menschen eine Sünde der Ehrfurchtslosigkeit Gott gegenüber ist. Es handelt sich um die Anmaßung eines Rechtes, das dem Geschöpf nicht zusteht. Sowohl die Sünde der Unreinheit, als auch die Sünde der künstlichen Geburtenregelung liegt also darin, dass man den ehelichen Akt im Widerspruch zu der gesollten, gottgewollten Ordnung vollzieht.

Die Tatsache, dass die Zeugung auch stattfinden kann, wenn die sanktionierte Liebesvereinigung fehlt, ist somit kein Einwand dagegen, dass Gott dem ehelichen Akt, der eine im Konsensus sanktionierte Liebesvereinigung sein soll, die Zeugung des Menschen anvertraut hat.

Wir rühren hier an einen tief geheimnisvollen Punkt der Schöpfung, wo die objektive Sollens- und Seinsordnung einerseits ineinander greifen und andererseits von einander getrennt werden können. Dies kommt ja am deutlichsten in der menschlicher Freiheit zum Ausdruck: Der Mensch kann tun, was er nicht tun sollte. Dass er frei eine Kausalreihe auslösen kann, ist unabhängig davon, ob er es tun sollte oder nicht. Er kann von seiner Freiheit einen Gebrauch machen, der dem entgegengesetzt ist, wozu diese Freiheit bestimmt ist. Die Kausalität, die einem Ziel sinnvoll zugeordnet ist, hört nicht auf, wenn der Mensch sie dem Ziel zuwider gebraucht, zu dem sie objektiv bestimmt ist. Aber ebenso wenig wird dadurch die sinnvolle Zuordnung dieser Kausalität einem wertvollen Ziel gegenüber aufgehoben. Sie bleibt also als Sollensbeziehung unverändert und in voller Realität bestehen, weshalb gerade jede Abweichung von ihr Sünde ist.

Wenn deshalb jemand eine Ehe ohne Liebe etwa aus rein finanziellen Gründen eingeht, und dabei den Konsensus aus seinem gesollten Zusammenhang herauslöst, so ist die Ehe zwar gültig, aber es ist das kein Einwand dagegen, dass die Ehe objektiv die engste Liebesvereinigung sein sollte, dass dies ihr Sinn ist und dass Gott sie als solche dem Menschen geschenkt hat.

Ebenso bleibt auch die superabundante Finalität dieser Liebesvereinigung als gottgewollter Sollenszusammenhang von Liebesvereinigung und Entstehung des neuen Menschen erhalten, auch wenn der Geschlechtsverkehr ohne alle Liebe oder sogar außerhalb der Ehe zur Zeugung führen kann.

Wir müssen diese geheimnisvolle Struktur der Welt tiefer zu verstehen suchen: Weder hebt die Verletzung der Sollensordnung eo ipso die faktische Seinsordnung auf - die den physischen und physiologischen Vorgängen anvertraute Kausalität wird also nicht zerstört, wenn die objektive Sollensordnung nicht erfüllt wird - noch wird der objektive Sollenszusammenhang aufgehoben, wenn er faktisch nicht erfüllt wird.

Wir müssen das große Geschenk anerkennen, das Gott dem Menschen damit gibt, dass Er ihm anvertraut, mit seinem freien Willen die Harmonie zwischen Seinsordnung und Sollensordnung herzustellen: es ist die große Würde und die unerhörte Verantwortung des Menschen, dass er dazu berufen ist, die auf vielen Gebieten über die faktische Seinsordnung hinausgehende Sollensordnung zu verwirklichen.

2. Physiologische Vorgänge und Schöpfung des Menschen - Ist künstliche Geburtenregelung jemals ein bloß „biologischer Eingriff“?

Überdies ist die Zeugung eines Menschen auch dann, wenn sie außerhalb des gesollten Zusammenhangs mit der ehelichen Liebe stattfindet, kein bloß biologisches Faktum. Auch unser gesamtes geistig-personales Leben ist ja - in verschiedener Weise - an physiologische Voraussetzungen geknüpft, aber deshalb ist es doch nicht selbst eine biologische Realität. Ja sogar die Taufgnade oder die reale Präsenz Christi im Altarssakrament ist an äußere Zeichen geknüpft. Im ganzen Kosmos finden wir also immer wieder diese Fügung, dass viel höhere Wirklichkeiten an niedrigere Bedingungen geknüpft sind. Es wäre jedoch absurd, deshalb beide miteinander zu verwechseln.

Die Schöpfung einer unsterblichen, menschlichen Person durch Gott, an der die Gatten mitwirken, ist deshalb niemals selbst ein biologisches Faktum, auch wenn sie an rein biologische Zusammenhänge gebunden ist. Die Tatsache, dass es rein biologische Gesetze sind, die jene Verbindung herstellen, die den ehelichen Akt in die Schöpfung eines Menschen einbezieht, darf uns nicht dazu verführen, eine Unterbrechung dieser Verbindung für einen rein biologischen Eingriff zu halten. So ist ja auch ein Schuss durch den Kopf eines Menschen kein biologischer Eingriff, sondern ein Mord, weil das Leben des Menschen an die dabei zerstörten physiologischen Vorgänge geknüpft ist.

Künstliche Geburtenregelung ist also kein biologischer Eingriff, sondern vielmehr ein Zerreißen der Gott allein unterstehenden Verbindung, die Er durch biologische Vorgänge zwischen ehelichem Akt, der Ausdruck und Erfüllung der engsten Liebesvereinigung sein soll, und Schöpfung eines Menschen geknüpft hat.

WARUM IST DIE ZEITWAHL ERLAUBT, DIE KÜNSTLICHE GEBURTENREGELUNG ABER NICHT?

Die nun getroffenen Unterscheidungen (zwischen zwei Bedeutungen des Begriffs „Natur", zwischen Seins- und Sollensordnung usw.) werfen auf das gesamte Problem der Geburtenregelung neues Licht. Vor allem sind wir jetzt in der Lage, den entscheidenden Unterschied zwischen Zeitwahl und künstlicher Geburtenregelung noch klarer zu sehen. Wir können dem Einwand: „Ist es nicht auch ehrfurchtslos, wenn wir die ausdrückliche Intention haben, die Zeugung eines neuen Menschen zu vermeiden, ohne uns des ehelichen Aktes zu enthalten?" jetzt noch klarer begegnen: Erstens wird der Wert und Sinn des ehelichen Aktes in keiner Weise angetastet, wenn beide Ehegatten genau wissen, dass dieser Akt zu keiner Zeugung führen kann. Nachdem wir gesehen haben, dass dieser Akt seinem Sinne nach ein einzigartiger Ausdruck der gegenseitigen ehelichen Liebe und eine im Konsensus begründete gegenseitige Selbstschenkung ist, ist es klar, dass dieser Akt nicht nur erlaubt ist, sondern einen hohen Wert behält(14), wenn eine Zeugung aus objektiven Gründen nicht in Frage kommt - sei es, dass die Frau schwanger ist oder dass sie wegen therapeutisch unvermeidlicher Operationen der Organe beraubt ist, oder dass sie die Altersgrenze der Fruchtbarkeit überschritten hat.

Zweitens ist es auch durchaus erlaubt, eine Zeugung ausdrücklich zu vermeiden, indem man den ehelichen Akt nur in der nach gottgewollter Ordnung vorliegenden „unfruchtbaren Zeit" vollzieht, also die Knaus-Ogino-Methode anwendet, wenn legitime Gründe vorliegen.

Dass die völlige Enthaltung sittlich verpflichtend wäre, wenn aus legitimen Gründen eine Zeugung vermieden werden soll, kann nur der behaupten, der den Sinn und Wert des ehelichen Aktes als engste Liebesvereinigung und gegenseitig Schenkung ignoriert. Dieser Sinn und Wert wird jedoch in den Ansprachen Pius XII., in dem Konzilsdekret „Gaudium et Spes", sowie in der Enzyklika „Humanae Vitae" ausdrücklich anerkannt.

Darum ist es klar, dass keinerlei Ehrfurchtslosigkeit gegenüber dem Mysterium, dass Gott dieser Liebesvereinigung das Entstehen eines neuen Menschen anvertraut hat, in der Intention liegt, aus ernsten Gründen eine Geburt zu vermeiden, indem man an den natürlich „unfruchtbaren Tagen" den ehelichen Akt vollzieht. Nicht zu jeder Zeit, sondern nur an wenigen Tagen, so sehen wir, hat Gott den ehelichen Akt mit der Schöpfung eines neuen Menschen verbunden, daher besteht die Verbindung, die zu zerreißen Sünde ist, nur kurze Zeit in der von Gott selbst bestimmten Ordnung. Darin allein aber liegt die Sünde, dass der Mensch trennt, was Gott verbunden hat, dass er das Geheimnis der körperlichen Vereinigung vollzieht und sie dabei aktiv loslöst von jenem Schöpfungsakt, mit dem sie zu dieser Zeit verbunden ist. Nur der künstliche Eingriff, bei dem ich gegen dieses Mysterium der superabundanten Finalität handle, ist eine Sünde der Ehrfurchtslosigkeit, bzw. des anmaßenden Überschreitens der geschöpflichen Rechte des Menschen.

Ich kann ja auch - um ein ähnliches Beispiel anzuführen - wünschen und beten. dass ein unheilbar Kranker, der furchtbare Qualen leidet, sterben möge - aber ich darf ihn nicht töten! Die Euthanasie liegt ja sogar dann nicht vor, wenn im mich enthalte, sein Leben künstlich um Stunden und Tage zu verlängern. Ein Abgrund gähnt zwischen diesem Fall und der Euthanasie, d. h. dem Töten des Leidenden. Die Intention ist in beiden Fällen dieselbe: Ich möchte aus Mitleid, dass er von seinen Leiden erlöst werde. Aber im einen Fall tue ich nichts, was seine Leiden verlängern würde, im andern Fall hingegen greife ich aktiv ein und maße mir damit ein Recht über Leben und Tod an, das Gott allein zusteht.

Nur wenn man die gottgegebenen Grenzen unseres aktiven Eingreifens sieht, die Grenzen der Erlaubtheit eines aktiven Eingreifens, die in der ganzen sittlichen Sphäre eine große Rolle spielen, kann man verstehen, welcher Abgrund die Knaus-Ogino-Methode von der Pille trennt.(15)

Es ist darum zu hoffen, dass die Wissenschaft möglichst bald eine Methode finde, die „unfruchtbaren Tage" eindeutig festzustellen, wodurch dann die Zeitwahl eine sichere Gewähr gäbe, dass durch den ehelichen Akt keine Schwangerschaft eintritt. Dafür hat auch Pius XII. gebetet, wie er ausdrücklich gesagt hat - und alle Christen sollten dafür beten und dies hoffen, wie es auch Paul VI. in „Humanae Vitae“ (24) ausgesprochen hat.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Sobald man sieht, welcher Abgrund die Anwendung der Knaus-Ogino-Methode von der künstlichen Geburtenbeschränkung trennt, ist die Frage schon beantwortet: „Warum ist die künstliche Geburtenkontrolle sündhaft und der Gebrauch des natürlichen Rhythmus' erlaubt?" Wenn wir aber die Sündhaftigkeit der künstlichen Geburtenregelung klar erkennen, müssen wir sie als angeblich richtiges Mittel gegen drohende Übel eindeutig ablehnen - seien es Übel privater Natur oder sei es die Gefahr der Überbevölkerung. Kein Übel in der Welt, und wäre es auch noch so groß, berechtigt uns, ein sündhaftes Mittel zu gebrauchen, um es abzuwenden. Eine Sünde zu begehen, um ein Unglück zu verhindern, hieße dem schändlichen Prinzip folgen: der Zweck rechtfertigt die Mittel.

WEITERE EINWÄNDE GEGEN DIE ENZYKLIKA „HUMANAE VITAE"

1. Biologische Werte - personale Werte

Ein analoger Irrtum liegt auch bei denen vor, die die Überlegenheit personaler über biologische Werte als Grund für die Berechtigung künstlicher Geburtenregelung anführen. Dass personale Werte höher stehen als biologische, ist ohne Zweifel richtig. Das Entstehen eines neuen Menschen, einer geistigen Person, die imago Die ist, ist aber offenbar nicht Träger biologischer, sondern personaler Werte. Wer das nicht sieht, kann sinnvoller Weise überhaupt nicht von personalen Werten sprechen. Auch das große Mysterium, dass dem Ausdruck innigster Liebesvereinigung das Werden eines neuen Menschen von Gott anvertraut wurde, kann offenbar nicht nur als Träger eines biologischen Wertes angesehen werden. Wenn mit dieser Argumentation nichts anderes gemeint wäre, als dass der eheliche Akt seinen vollen Sinn und Wert als Ausdruck und Aktualisierung einer einzigartigen Liebesvereinigung besitzt, auch wenn ohne unser Zutun eine Prokreatio ausgeschlossen ist, so wäre nichts dagegen einzuwenden, wie wir früher gezeigt haben. Aber dies wird ja in der Enzyklika ausdrücklich anerkannt und steht in keiner Weise zur Diskussion. Das Mysterium der superabundanten Finalität hat aber nichts mit „biologischen Werten" zu tun - es ist im Gegenteil ein großes Geheimnis, das jeden, der es als solches versteht, in besonderer Weise in conspectu Dei führt. Das Geheimnis der Kooperation des Menschen mit Gott im Akt der Zeugung ist erst recht kein „biologischer Wert".

2. Ist das Gebot, künstliche Geburtenregelung zu unterlassen, unerfüllbar?

Man kann Stimmen hören, die sagen, es sei ein zu großes Opfer, sich während der fruchtbaren Tage der Frau des ehelichen Aktes zu enthalten. Man sagt, das Errechnen der Tage störe die Spontaneität des ehelichen Aktes und beeinträchtige die Liebe. Andere sagen, gerade in den Tagen, in denen die Empfängnis möglich sei, sei das Verlangen der Frau nach dem ehelichen Verkehr am stärksten. Auf dies ist zu antworten, dass alle diese Einwände eine Biologisierung des Menschen und des ehelichen Aktes darstellen.

A. Ein zu großes Opfer?

Kein Gläubiger kann bestreiten, dass zum wahren Leben des Christen die Bereitschaft für Opfer gehört, und zwar nicht nur das ergebene Annehmen der Opfer, deren Vermeidung jenseits unserer Freiheit liegt, sondern auch die Bereitschaft, alle Opfer freudig anzunehmen, die wir auch umgehen könnten, deren Umgehung aber sittlich unerlaubt ist. (Dies geht soweit, dass man verpflichtet ist, sogar den Tod auf sich zu nehmen, wenn man ihn nur durch eine Sünde, wie die Ermordung eines Unschuldigen, abwenden könnte.) Wer dies nicht versteht, ist kein Christ. Darüber hinaus ist aber das gemeinsame Opfer, sich für eine kurze Zeit zu enthalten, das Gegenteil von einer Beeinträchtigung der Liebe. Es ist vielmehr durch die gemeinsame Ehrfurcht und den gemeinsamen Gehorsam gegenüber Gottes Gebot eine besondere Stärkung der Unio, ein Ineinanderblick der Liebe im gemeinsamen Erleben dieses zeitweiligen sich Enthaltens als Opfer. Zugleich ist es psychologisch ein Mittel gegen die abstumpfende Macht der Gewohnheit: das gemeinsame Opfer macht die Eheleute wacher für das große Geschenk des ehelichen Aktes und fähiger, ihn ganz als Erfüllung der liebenden Unio zu sehen. Solch ein Opfer hilft den Ehegatten, die Gefahr zu überwinden, aus diesem Akt eine rein geschlechtliche Befriedigung zu machen. Selbstverständlich ist hier nur von den Eheleuten die Rede, die nur während einiger Tage zum Opfer der Enthaltsamkeit verpflichtet sind, nicht aber von denen, die auf Grund irgendwelcher besonders schwerwiegender Umstände völlig enthaltsam leben müssen.

Obendrein ist es falsch zu behaupten, die Beobachtung der Knaus-Ogino-Methode lege unerträgliche Opfer auf: wie viele Menschen sind bereit, das Opfer zeitweiliger Enthaltsamkeit aus beruflichen Gründen zu bringen, wenn sie etwa viel reisen müssen. Ich möchte nicht untersuchen, wie viele Menschen um eines materiellen Gewinnes willen zu zeitweiliger Enthaltsamkeit bereit wären!

B. Beeinträchtigung der Spontaneität

Was die Behauptung betrifft, durch die Ogino-Knaus-Methode leide die Spontaneität des ehelichen Aktes, so muss zunächst betont werden, dass diese Methode ja nur dann erlaubt ist, wenn gewichtige Gründe vorliegen, eine Schwangerschaft bzw. Geburt zu vermeiden. Die Lebensgefahr der Frau, ein unvermeidliches finanzielles Elend, das aus weiteren Kindern erwachsen und ihr Aufbringen unmöglich machen würde und andere Gründe verpflichten die Gatten sogar zur Vermeidung der Empfängnis. Wenn eine wirkliche Liebe vorliegt und der eheliche Akt als Erfüllung der Unio angestrebt wird, dann kann die Spontaneität dieses Aktes nicht darunter leiden, dass man aus schwerwiegenden Gründen die für die Knaus-Ogino-Methode notwendigen Berechnungen vornimmt.

Denjenigen, die behaupten, an den fruchtbaren Tagen sei das Verlangen der Frau nach diesem Akt besonders groß und deshalb sei es widernatürlich, gerade an diesen Tagen sich zu enthalten, ist entgegenzuhalten: Wer in seinem Verlangen nach dem ehelichen Akt dieses besonderen physiologischen Antriebes bedarf, besitzt weder die normale Sinnlichkeit, noch die wahre Sehnsucht nach der geistig-seelischen Einheit. Obendrein ist dieses Argument unverträglich mit der Anwendung der Pille. Denn wenn die Pille die Fruchtbarkeit auch in dieser begrenzten Zeit aufhebt, würde ja die hier als wesentlich angesehene Disposition durch Empfänglichkeit erst recht wegfallen.

Vor allem aber verraten all diese Argumente eine völlige Verständnislosigkeit für die Rolle, die der eheliche Akt in der Ehe spielen soll. Man versteht nicht, dass die in der ehelichen Liebe ersehnte Vereinigung viele Erfüllungen finden kann und soll - von dem gegenseitigen sich An-der-Hand-Halten bis zu dem Kuss auf den Mund und der zärtlichen Umarmung - und dass der eheliche Akt nur den Höhepunkt dieser ersehnten Vereinigung darstellt. Bis zu welchem Grad diese personale Vereinigung, dieser Ineinanderblick der Liebe stattfindet, hängt von der Wachheit der Liebenden, von der Tiefe ihrer Liebe, und von vielen anderen physischen, psychischen und geistigen Bedingungen ab. Ein Kuss kann, wie der heiligen Ambrosius sagt, ein Ineinandertauchen der Seelen sein, das eine tiefere Liebesvereinigung darstellt, als ein weniger wach vollzogener und von der gegenseitigen Liebe weniger durchformter ehelicher Akt. Gewiss soll nicht geleugnet werden, dass der eheliche Akt eine objektiv unvergleichliche Vereinigung durch das „Einfleischwerden" darstellt; die Schenkung seiner selbst ist objektiv etwas ganz Neues und Unvergleichbares, eine „Enthüllung seines Geheimnisses", wie ich in meinem Buch „Reinheit und Jungfräulichkeit" ausgeführt habe.

Aber es ist ein sehr trauriges Zeichen für das Vorhandensein der echten gegenseitigen ehelichen Liebe, wenn sich diese nicht in vielen edlen Zärtlichkeiten äußert, und die Bekundung der ehelichen Liebe und die Sehnsucht nach Vereinigung sich nur auf den ehelichen Akt beschränkt. Ein solches Verhalten legt den Verdacht nahe, dass dieser Akt weniger wegen der gegenseitigen Selbstschenkung der Liebe erstrebt wird, als um der Befriedigung des isolierten Geschlechtstriebes und einer isolierten Sinnlichkeit willen.

Die Tatsache, dass man sich, wenn die Vermeidung der Schwangerschaft sittlich geboten ist, während der fruchtbaren Tage enthalten muss, legt den Eheleuten in keiner Weise die Verpflichtung auf, sich all der andern Arten von Aktualisierungen des Ineinanderblicks der Liebe zu enthalten. Dieses Opfer wird sie vielmehr darin stärken, den Primat der geistigen Unio in der Ehe wie auch im ehelichen Akt zu erleben und zu verstehen, dass alles wahre Glück ja nur aus dieser Liebeseinheit fließen kann, die im ehelichen Akt objektiv ihren Höhepunkt erreicht, bzw. ihren letzten Ausdruck gewinnt.

DIE ENZYKLIKA „HUMANAE VITAE" UND UNSERE STELLUNG IHR GEGENÜBER

1. Dankbarkeit

Auf dem Hintergrund all dieser Erwägungen müssen wir die Tiefe und Schönheit der Enzyklika „Humanae Vitae" würdigen und sie nicht nur im Gehorsam gegen den Stellvertreter Christi auf Erden ehrfürchtig, sondern auch in dankbarer Freude, aufnehmen. Denn hier ist - im Unterschied zu der früher oft einseitigen Betonung der Fortpflanzung - der volle Sinn des ehelichen Aktes als Liebesvereinigung und gegenseitige unwiderrufliche Schenkung betont. Das enthält aber keinerlei Widerspruch zu der früheren Lehre der Kirche, sondern ist eine organische Ergänzung: Was schon im Tridentinischen Konzil (Denz. 1797-99) betont, was von Pius XII. wunderbar ausgeführt und in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes" (48-51) klar dargelegt wurde, wird hier ausdrücklich als ergänzende und vervollständigende Wahrheit über die Ehe aufgenommen. Im Zusammenhang damit wird auch die Begründung für die Sündhaftigkeit der künstlichen Geburtenregelung klar gegeben: der ehrfurchtslose Eingriff in das Geheimnis der Verbindung von höchster Liebesvereinigung und Entstehen des neuen Menschen, das Heraustreten des Menschen aus seiner dienenden Rolle Gott gegenüber und das sich Anmaßen eines Rechtes, das nur Gott zusteht. Auch der Abgrund, der dieses künstliche Eingreifen von der Anwendung der Knaus-Ogino-Methode bei Vorliegen zwingender Gründe trennt, wird klar hervorgehoben.

2. Setzt Gehorsam Unfehlbarkeit voraus?

Man hört heute oft, eine Enzyklika sei nicht unfehlbar. Dazu ist erstens zu sagen, dass sich die Gabe der Unfehlbarkeit nicht ausschließlich auf die ex cathedra und ausdrücklich als solche formulierten Dogmen erstreckt, sondern auch auf .die offizielle Lehre der Kirche in allen wichtigen Glaubens- und Sittenfragen. (VgI. dazu „Lumen Gentium" 3, 25). Das traditionelle, von den letzten Päpsten feierlich verkündete und auch in „Gaudium et Spes" (51) wiederholte Verbot künstlicher Geburtenregelung ist aber offenbar die offizielle Lehre der Kirche und die Tradition des Lehramts.

Vor allem aber wird in „Lumen Gentium" (25) klar dargelegt, dass jeder Katholik auch gegenüber der Auslegung des Sittengesetzes durch das nicht ex cathedra verkündete, aber authentische Lehramt zu vollem „innerem und äußerem Gehorsam" verpflichtet ist; gegenüber der Enzyklika „Humanae Vitae", die – wie allgemein anerkannt - eine Äußerung des „authentischen Lehramts" der Kirche ist, ist also für jeden Katholiken dieser Gehorsam sittlich verpflichtend auch unabhängig von der Frage der Unfehlbarkeit.

Angesichts dieser Tatsache ist es offenbar ein dummes Geschwätz, wenn man die Enzyklika „Humanae Vitae“ gar als eine Privatmeinung des Papstes hinstellt, der die entgegengesetzten Meinungen einzelner Theologen oder sogar Laien als ebenso berechtigte Meinungen entgegengestellt werden könnten. An den Papst mit dem Ansinnen heranzutreten, er möge die der Lehre der Kirche entsprechende Verurteilung der künstlichen Geburtenregelung „zurücknehmen", verrät eine völlige Unkenntnis des Wesens der Kirche und einen Verlust des Glaubens, dessen Besitz jemand berechtigt, sich einen Katholiken zu nennen.

3. Natürliches Sittengesetz und Bibel

Man hört oft den Einwand, die Kirche sei nur für das geoffenbarte Sittengesetz zuständig, das in der Bibel niedergelegt ist - nicht aber für das natürliche Sittengesetz. Dieser Einwand verrät ein gänzliches Missverständnis des Verhältnisses von natürlichem und übernatürlichem Sittengesetz. Ich habe in meinem Buch „Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes" (Kap. 6 u. 7) aufgezeigt, dass gewisse natürliche Grundwahrheiten wesenhaft von der christlichen Offenbarung vorausgesetzt sind. Daher ist jeder Relativismus, jeder Determinismus, Subjektivismus, Naturalismus oder Immanentismus mit der christlichen Offenbarung völlig unvereinbar.

Diese natürlichen Grundwahrheiten, die der christliche Glaube implicite voraussetzt, gegen alle Zeitirrtümer zu schützen, gehört wesentlich zum unfehlbaren Lehramt der Kirche.

Das wahre natürliche Sittengesetz auszulegen ist darum auch Aufgabe der Kirche, denn die übernatürliche Sittlichkeit, die im Evangelium geoffenbart ist, setzt das wahre natürliche Sittengesetz voraus. Deshalb ist der Einwand, der Papst gehe in der Enzyklika über die Auslegung des geoffenbarten Sittengesetzes hinaus und der Enzyklika fehle die biblische Grundlage, auf alle Fälle hinfällig.

4. Opfer und der absolute Primat des Sittlichen

So sehr wir verstehen, dass von vielen Ehegatten ein großes Opfer verlangt wird, solange kein eindeutiges Feststellen der nichtempfänglichen Tage möglich ist - kein Opfer kann den wahren Christen davon abhalten, dem heiligen Gesetz Gottes zu gehorchen. Wir dürfen und sollen beten, dass die Zeitwahl von der Wissenschaft absolut sicher gemacht und auf diese Weise manchen Eheleuten ein schweres Kreuz genommen wird, aber wir wollen noch einmal ausdrücklich wiederholen: Jeder wahre Christ ist sich der Urbedeutung der Opfer im irdischen Leben bewusst. Das Bewusstsein unserer Geschöpflichkeit, das Verständnis dafür, dass wir in Dankbarkeit alle beglückenden Geschenke aus Gottes Hand empfangen, aber auch alle Kreuze, die Er uns auferlegt, in Ergebenheit annehmen sollen, gehört zu den wesentlichsten Elementen der christlichen Haltung. Die Anerkennung des absoluten Primats des Gehorsams gegen Gott und Seine heiligen Gebote über alle unsere Wünsche, die Erkenntnis, dass unser irdisches Dasein eine Pilgerschaft und dass die Erde ein „vallis lacrimarum", ein Tal der Tränen ist, sind unlöslich mit dem christlichen Glauben verbunden. Nur im Lichte der Worte Christi: „Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!", können wir auf alle Kreuze und Opfer in unserm Leben die richtige, gottgewollte Antwort geben - und zu diesen Kreuzen gehören auch die Opfer, die eine christliche Ehe uns auferlegen kann. Die Frage der Geburtenregelung kann nur in diesem Lichte richtig verstanden und beurteilt werden. Jeder Mensch, der glaubt, er habe unbekümmert um alle heiligen Gebote Gottes auf alle Fälle das Recht, sich zu verschaffen, was er als zu seinem Glück gehörig betrachtet, hat sich außerhalb des christlichen Raumes gestellt.

LEHRAMT UND GEWISSEN

1. Gewissen und Erkenntnis des Sittengesetzes

Weit verbreitet ist auch die These, dass es dem Gewissen des Einzelnen überlassen werden müsse, ob er die Pille zur Verhütung der Empfängnis anwende oder nicht. Eine verhängnisvolle Verwirrung kommt in dieser These zum Ausdruck, eine völlig irrige Verwendung des Terminus Gewissen.

Die Frage, ob etwas an sich gut oder böse ist, kann nie vom Gewissen beantwortet werden; sie ist für das Sprechen des Gewissens immer schon vorausgesetzt. Es ist ein ganz anderes geistiges Organ, mit dem wir sittliche Werte und Unwerte erfassen. Das Gewissen spricht erstens immer nur dann, wenn es sich um unser eigenes Tun und Lassen handelt; es sagt uns nicht, ob das Verhalten eines anderen sittlich richtig ist. Wenn wir einsehen, dass jemand ungerecht gehandelt hat oder wenn uns die Güte und Reinheit eines Menschen tief beeindruckt, so ist es nicht unser Gewissen, das uns den Wert oder Unwert der fremden Person erschließt. Dasselbe gilt für die prinzipielle Einsicht, dass Morden böse ist, dass Stehlen sittlich schlecht ist, dass Gerechtigkeit gut ist usw. Über all dies belehrt uns die Fähigkeit, sittliche Werte und Unwerte zu erfassen - unsere Wertsichtigkeit. Zweitens spricht die geheimnisvolle Stimme des Gewissens primär, indem sie uns warnt, in einer konkreten Situation das sittlich Schlechte zu tun, von dem wir bereits prinzipiell wissen, dass es sittlich schlecht und unerlaubt ist. Es bezieht sich mehr auf die Vermeidung eines sittlichen Übels als auf das rein sittlich Positive, das zu tun wir nicht verpflichtet sind.

Das Gewissen ist der advocatus Dei in der Seele des Menschen - es spricht warnend, wenn wir in einer bestimmten Situation in Versuchung sind, etwas Schlechtes zu tun oder wenn jemand uns zu überreden sucht, in etwas sittlich Schlechtes einzuwilligen. Es ist die geheimnisvolle Stimme, die uns den einzigartigen Ernst der sittlichen Frage zu Bewusstsein bringt, die uns allen üblen Wünschen, allem schwachen Nachgeben gegenüber die Forderung, Gott nicht durch eine sittlich unrechte Tat zu beleidigen, in ihrer ganzen Majestät vor Augen stellt. Es setzt aber immer ein Wissen um den prinzipiellen sittlichen oder vermeintlich sittlichen Charakter eines Verhaltens voraus. Es sagt uns: Tu das nicht, weil es böse ist - es fordert uns auf, genau zu prüfen, ob unser Verhalten in diesem konkreten Fall mit dem Sittengesetz übereinstimmt. Die Gewissenserforschung über Vergangenes sowie die Prüfung vor dem Gewissen, die einem Handeln vorausgeht, bezieht sich immer auf das Verhalten der eigenen Person und auf die konkrete Anwendung auf den Einzelfall und primär auf das Vermeiden des sittlich Negativen oder auf begangene sittliche Verfehlungen. Es setzt aber immer eine nicht vom Gewissen stammende Überzeugung über den prinzipiellen sittlichen Wert oder Unwert eines Verhaltens voraus. Nun dürfen wir nicht vergessen, dass der Mensch in seiner sittlichen Wertsichtigkeit durch viele Faktoren bedroht ist. Es gibt viele Formen sittlicher Wertblindheit. Omnis homo mendax (jeder Mensch ist ein Lügner) gilt hier in besonderer Weise.

2. Auslegung des objektiven Sittengesetzes durch das Lehramt der Kirche und die Aufgabe des Gewissens des Einzelnen

Wer seine subjektive Auffassung des sittlich Erlaubten für unfehlbar hält, fällt einer großen Selbsttäuschung zum Opfer. Jeder gläubige Katholik ist aber überzeugt, dass über seiner subjektiven Auffassung in allen sittlichen Dingen die der Offenbarung Gottes entstammende Sittenlehre steht, die vom unfehlbaren Lehramt der Kirche auf detailliertere Probleme angewandt wird und so seinem Gewissen die notwendige Unterlage bietet. Die Behauptung, über die Frage, ob die künstliche Geburtenkontrolle sittlich erlaubt sei, solle das Gewissen des Einzelnen entscheiden, ist also irreführend, weil sie vom Gewissen etwas verlangt, was dieses niemals leisten kann. Diese Behauptung heißt in Wirklichkeit: Nicht die Kirche weiß, was sittlich gut und böse ist, sondern der Einzelne kann dies allein entscheiden - eine Auffassung, die sowohl die Offenbarung als auch das Lehramt der Kirche leugnet, was aber letzten Endes überhaupt jede objektiv gültige Moral auflöst und zu einem völligen Amoralismus führt.

3. Gewissen und Willkür

Darum ist die Behauptung, die Kirche solle es dem Gewissen des einzelnen Christen überlassen zu entscheiden, ob ihm künstliche Geburtenregelung erlaubt sei, in Wirklichkeit gleichbedeutend mit der Behauptung, er könne es halten wie er wolle. Newman charakterisiert eine solche Auffassung mit den Worten: „Das Gewissen ist ein strenger Mahner; aber in diesem Jahrhundert ist es durch ein falsches Bild ersetzt worden, von dem die voraufgehenden achtzehn Jahrhunderte niemals gehört hatten und das sie auch nie mit dem Gewissen hätten verwechseln können, wenn sie davon gehört hätten. Es ist das Recht auf Willkür.“ Die Behauptung, in der Frage der künstlichen Geburtenregelung könne es jeder halten, wie er wolle, setzt die Auffassung voraus, es handle sich hier um etwas im Licht der christlichen Offenbarung vom moralischen Standpunkt in sich Neutrales.

4. Die wirkliche Aufgabe des Gewissens in der Frage der Geburtenregelung

Wenn man in der Frage der künstlichen Geburtenregelung sagt, diese bleibe dem Gewissen im wahren Sinn überlassen, so kann man berechtigterweise nur meinen, dass wir im Gewissen prüfen müssen, ob im einzelnen Fall eine künstliche Geburtenregelung vorliegt, ob wir z. B. bei Verwendung der Pille aus rein therapeutischen Gründen, die nichts mit der Vermeidung der Empfängnis zu tun haben, nicht doch eine künstliche Verhinderung der möglichen Schwangerschaft zum versteckten Motiv haben.

Bei der natürlichen Geburtenregelung durch Zeitwahl ist es dem Gewissen des Einzelnen überlassen, vor Gott zu prüfen, ob die Gründe dafür, die Geburt eines Kindes zu vermeiden, genügend Gewicht besitzen. Anderseits müssen wir auch jene Gründe in Rechnung setzen, die uns unter Umständen sogar verpflichten können, die Geburt eines Kindes zu vermeiden. Die zahlreichen Umstände, die für diese verantwortungsvolle Entscheidung eine Rolle spielen, „im Angesicht Gottes" zu prüfen, ist die Aufgabe der „verantworteten Elternschaft", in der die Stimme des Gewissens des Einzelnen entscheidend ist. Aber auch diese von vielen jeweils verschiedenen Umständen abhängige Entscheidung, soll sie nicht „verantwortungslose Elternschaft" sein, muss sich nach objektiven Gründen und nicht nach Willkür und egoistischen Rücksichten richten.

Doch auch dann, wenn es um objektiv und immer schlechte Handlungen geht, - deren Unsittlichkeit in ihnen selbst und nicht nur in den Motiven gründet – wie Ehebruch, Fluch, oder - in unserem Fall - um künstliche Geburtenregelung, wird das Gewissen in keiner Weise ausgeschaltet. Das Gewissen des Einzelnen muss in allen sittlichen Fragen mitwirken, es hat die Aufgabe, uns ebenso vor dem Begehen einer Lieblosigkeit, einer Unehrlichkeit zu warnen, wie vor der Sünde der künstlichen Geburtenregelung. Es bleibt ihm immer ein ungeheuer Wichtiges überlassen - nämlich uns den vollen Ernst aller sittlichen Gebote im konkreten Handeln zu vergegenwärtigen, uns zur sittlichen Wachheit aufzurufen, uns vor Selbsttäuschungen zu warnen.

5. Gewissenlosigkeit, Gewissen des Einzelnen und Lehramt

Das Gegenteil vom Gewissen ist die Gewissenlosigkeit. Gewissenlos ist der Mensch, der bezüglich der Frage, ob etwas gut oder böse, ob es Sünde oder erlaubt sei, gleichgültig ist. Gewissenlos ist der Mensch, der für den letzten Ernst des Sittlichen, für die Beleidigung Gottes durch die Sünde blind ist. Gewissenlos ist derjenige, der sich der Stimme des Gewissens ausdrücklich verschließt, der leichtsinnig, ohne zu prüfen, ob etwas gut oder böse ist, seinem Impuls im Handeln folgt. Aber die wahre Kooperation des Gewissens, seine zur vollen Verantwortlichkeit aufrufende Stimme setzt die Kenntnis dessen voraus, was prinzipiell gut oder böse, gottgefällig oder Sünde, erlaubt oder unerlaubt ist, und derjenige, der sich der Täuschungsmöglichkeit des Menschen, der Gefahr der sittlichen Wertblindheit nicht bewusst ist, ist auch gewissenlos und handelt unverantwortlich. Nur derjenige, der das von Gott geoffenbarte Sittengesetz, die von der Kirche eindeutig proklamierte sittliche Erlaubtheit und Unerlaubtheit einer Sache demütig und dankbar aufnimmt, ist der wahrhaft Gewissenhafte, der wahrhaft Verantwortliche. Die Stimme der heiligen Kirche tritt nicht an die Stelle des Gewissens, sie erstickt unser Gewissen nicht, sie ruft uns nicht auf, die Verantwortlichkeit abzuschieben, sondern sie bietet dem Gewissen die notwendige Unterlage dessen, was gut und böse ist. Sie behütet und stützt unser Gewissen gegenüber all den Tendenzen unserer gefallenen Natur, die es zu übertönen versuchen.

DAS CREDO DES GOTTESVOLKES UND DIE ENZYKLIKA „HUMANAE VITAE“ ==

Vor allem aber muss man sich darüber klar sein, dass die Enzyklika „Humanae Vitae" nur auf dem Hintergrund des herrlichen Credo des Heiligen Vaters verstanden werden kann. Es ist kein Zufall, dass kurz vor „Humanae Vitae" der Heilige Vater zum Abschluss des Glaubensjahres feierlich an die Grundwahrheiten der christlichen Offenbarung erinnerte, an die zu glauben das entscheidende Kriterium dafür ist, ob jemand sich noch sinnvoller und ehrlicher Weise einen Katholiken nennen kann.

In der Stellung zu diesem Credo liegt die wahre Scheidung der Geister. Das Verständnis dafür, dass die künstliche Geburtenregelung ein Heraustreten aus der „religio", der ehrfürchtigen Bindung an Gott, eine Überschreitung der Grenzen unserer Kreatürlichkeit, ein Widerspruch zu unserem ehrfürchtigen Wandeln vor Gott ist, - setzt voraus, dass man nicht vom Anthropozentrismus, der Säkularisierung, dem „Progressismus" angekränkelt ist.

Was deshalb Theologen, Priester oder Laien, die nicht mehr eindeutig auf dem Boden des vom Papste verkündeten Credo stehen, über „Humanae Vitae" sagen, kann für den gläubigen Katholiken von keinerlei Gewicht sein.

OPPORTUNE - IMPORTUNE

Und zugleich muss jeder wahre Katholik jubeln, wenn er klar sehen darf, wie die Lehre der Kirche sich nicht nach der Majorität der Wünsche richtet, sondern einzig nach Gottes Wort und wie der Heilige Vater auch dann die Wahrheit verkünden muss, wenn diese gegen den Strom der Zeittendenzen steht. Der übernatürliche Charakter der Heiligen Kirche dokumentiert sich in beglückender Weise darin, dass sie - im Gegensatz zu allen rein menschlichen Institutionen - opportune-importune spricht.

Die Enzyklika „Humanae Vitae", in der der Heilige Vater den wahren sittlichen Charakter der künstlichen Geburtenregelung (und damit auch der Pille) uns deutlich vor Augen rückt, ermöglicht dem Einzelnen genau zu wissen, was Gott von uns erwartet und appelliert an unser Gewissen, Gott nicht zu beleidigen. Jeder Christ, der nicht über sich selbst und die Gefahr der Selbsttäuschung in sittlichen Belangen in Illusionen lebt, muss - wie große Opfer es ihm auch auferlegen möge - dankbar sein zu erfahren, wie er sich verhalten soll ohne Gott zu beleidigen. Denn daran muss, wie schon gesagt, jedem unvergleichlich mehr gelegen sein als ob etwas seinen persönlichen Wünschen entspricht - Christus hat gesagt: „Suchet zuerst das Reich Gottes!" und: „Eines nur ist notwendig."

Anmerkungen

1 VgI. „Gaudium et Spes" 51: „Von diesen (im Wesen der menschlichen Person und ihrer Akte gründenden, objektiven) Prinzipien her ist es den Kindern der Kirche nicht erlaubt, in der Geburtenregelung Wege zu beschreiten, die das Lehramt in Auslegung des göttlichen Gesetzes verwirft. - (Hier findet sich ein ausdrücklicher Hinweis auf „Casti Connubii - Pius' XI. und auf Ansprachen Pius' XII. und Pauls VI.). Vgl. „Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes", Kap. 21 „Amoralismus", 2. Auflage (Habbel), Regensburg 1968.

2 Pastoralenzyklika „Gaudium et spes", 48 ff. Diese Betonung der Liebe in der Ehe ist nicht nur in der Heiligen Schrift, sondern auch in vielen offiziellen kirchlichen Lehrdokumenten, so im Tridentinischem Konzil (Denz. 1797-1799), grundgelegt. Vor allem ist diese Ergänzung über Sinn und Wert der Ehe von Pius XII. in seinen Allocutionen wunderbar herausgearbeitet worden. Vgl. S. 5 und Seite 9.

3 Ansprache an Neuvermählte vom 23. Oktober 1940. Aus: Ansprachen Pius XII. an Neuvermählte, übersetzt von DDr. Friedr. Zimmermann, Regensburg 1950, Habbel.

4 Gestalten aus Beethovens Fidelio.

5 Anspr, an die Mitglieder des Verb. katholischer Hebammen Italiens 29. X. 1951. übers. nach A. F. Utz und I. F. Groner O. P.: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, soziale Summe Pius' XII. Freiburg/Schw. 1954, S. 528.

6 „De Isaac et anima", C. III.

7 Papst Pius XII. Ansprache an Neuvermählte vom 23.10.1940. Aus: Ansprachen Pius' XII. an Neuvermählte. Übers. von F. Zimmermann. Regensburg, Habbel, 1950.

8 Pius XII: Anspr. an Neuvermählte vom 23.10.1940. Zit. nach A. E. Utz, a. a. O. 436.

9 Beim Instrumentalzweck bestimmt die causa finalis die causa formalis, während im Prinzip der überfließenden Fülle die causa formalis von der causa finalis abweicht.

10 Vgl. dazu weiter unten den Abschnitt: „Faktische Seinsordnung und Sollensordnung in der Ehe."

11 Vgl. dazu .Humanae Vitae" 13.

12 Sogar wenn die eheliche Liebe erkaltet ist, bleibt er sittlich erlaubt, solange er würdig vollzogen und nicht durch eine ausgesprochen unreine Haltung entweiht wird, da im Konsensus dem Partner das Recht über den eigenen Leib eingeräumt wurde.

13 2. Auflage, Regensburg 1968 (Habbel). Vgl. besonders Kap. 11 „Historischer Relativismus", Kap. 12 „Evolutionismus, Progressismus und echter Fortschritt", Kap. 20 „Die Untergrabung der Wahrheit".

14 Das Zitat von „Gaudium et Spes", das der Papst in diesem Zusammenhang in „Humanae Vitae" zitiert (11), wird in der offiziellen deutschen Übersetzung mit „sittlich erlaubt" falsch übersetzt. In Wirklichkeit heißt es im Konzilstext (49), dass die ehelichen Akte, wenn sie angemessen vollzogen werden, „von sittlicher Würde sind" (honesti ac digni). 15 Dieser Unterschied zwischen einem eigenen aktiven Eingreifen und einem Geschehenlassen tritt auch darin hervor, dass zwar kein katholischer Ehegatte selbst ein empfängnisverhütendes Mittel anwenden darf, aber dass er den ehelichen Akt auch dann nicht verweigern darf, wenn der Ehepartner ein empfängnisverhütendes Mittel anwendet. Auch hier ist der Unterschied zwischen aktivem Handeln und Erleiden sittlich entscheidend.