Permoti nos

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Apostolischer Brief
Permoti nos

von Papst
Leo XIII.
an Monsignore Gossens, Erzbischof von Mecheln und die übrigen Bischöfe Belgiens
über die Einheit der Katholiken in der sozialen Frage
10. Juli 1895

(Offizieller lateinischer Text: ASS XXVIII [1895-1896] 4-7)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, lateinischer und deutscher Text, Band II, XXIII 19-24, S. 1038-1045, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; in Fraktur in: Leo XIII., Lumen de coelo VI, 128-133, Bezeugt in seinen Allocutionen, Rundschreiben, Constitutionen, öffentlichen Briefen und Akten, Buch und Verlag Rudolf Brzezowsky & Söhne Wien 1903)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Uneinigkeit unter den Katholiken

Bewegt von dem besonderen Wohlwollen für Eure Nation haben Wir Uns auf die Bitte einer großen Zahl Eurer Mitbürger hin in ganz besonderer Weise einer schwerwiegenden Frage zugewandt, die die Katholiken Belgiens bedrängt. Ihr versteht, was Wir meinen: die soziale Frage, die unter ihnen so heftig diskutiert wird und so sehr die Gemüter erregt, daß sie von Uns Klärung und Abhilfe zu fordern scheint. Diese Frage ist in sich schon äußerst schwierig und bei Euch noch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden; Wir können Uns jedoch nicht weigern, Uns mit ihr zu befassen, zumal sie zu einem großen Teil mit der Religion und den Pflichten Unseres Amtes in Zusammenhang steht. Schon früher haben Wir zu dieser Frage die Lehren der christlichen Weisheit in einer den Verhältnissen und Sitten dieser Zeit angepaßten Weise dargelegt. Mit Genugtuung erinnern Wir Uns daran, daß nicht geringe Wohltaten für die Einzelnen und für die Staaten daraus hervorgingen und noch reichere für die Zukunft zu erhoffen sind. Auch für die Katholiken Belgiens, die unter den ersten waren, die mit Eifer soziale Einrichtungen erstellten, sind sie von Nutzen gewesen, wenn auch nicht in dem Maße, wie es der berechtigten Hoffnung im Hinblick auf Land und Leute entsprochen hätte. Was die Sache gehemmt hat, ist zur Genüge bekannt. Da nämlich die Katholiken, wenngleich in guter Absicht, in diesen Fragen auseinandergehende Denk- und Handlungsweisen befolgten und daran auch festhalten, so konnte weder der erwartete Nutzen entstehen, noch die Einheit unter den Katholiken erhalten bleiben. - Nur ungern erwähnen Wir diese Uneinigkeit, die ungewöhnlich und unheilvoll für die belgischen Katholiken ist, die zu allen Zeiten so leuchtende Beispiele einer glücklichen und fruchtbaren Einigkeit gegeben haben. Dies hat sich, um ein noch nicht lang zurückliegendes Ereignis zu erwähnen, klar erwiesen in der sogenannten Schulfrage. Damals nämlich verbanden sich die Katholiken aller Schichten in einer bewundernswerten Einmütigkeit des Willens und großmütiger Tatkraft, und dank dieser Eintracht konnte die Angelegenheit zum Ruhme der Religion und zum Nutzen der Jugend geregelt werden.

Eure Klugheit, Ehrwürdige Brüder, läßt Euch deutlich erkennen, in welch große Gefahren im öffentlichen wie im privaten Bereich Eure Herden durch diese Uneinigkeit geraten können; Ihr seht auch, wie rasch das Übel geheilt werden muß. Wir wissen zur Genüge, von welchem Eifer Ihr entflammt seid, um diese Einigkeit wiederherzustellen und zu festigen, und darum beauftragen Wir Euch in besonderer Weise mit dieser heiligen und für einen Bischof besonders ehrenvollen Aufgabe; für den Erfolg spricht schon die große Ehrfurcht, die Eurer Würde und Eurer Tugend gezollt wird. Deshalb scheint es angebracht und wollen Wir Euch dringend empfehlen, daß Ihr Euch, sobald es irgend möglich ist, zu einer gemeinsamen Besprechung zusammenfindet. Dadurch wird es Euch möglich sein, in gegenseitigem Gedankenaustausch die Angelegenheit gründlicher und genauer zu erforschen und über bessere Maßnahmen zu ihrer Erledigung zu beraten. Richtig betrachtet, zeigt diese Angelegenheit sich unter vielen verschiedenen Aspekten. Sie betrifft die äußeren Güter, vor allem aber die Religion und die Moral, sie ist aber an und für sich auch an die staatliche Gesetzgebung gebunden, sodass sie in die Rechte und Pflichten aller Gesellschaftsschichten hineinreicht. Die von Uns in Erinnerung gebrachten evangelischen Grundsätze der Gerechtigkeit und Liebe erfassen daher notwendigerweise, wenn man sie sachgerecht auf das konkrete Leben anwendet, auch die verschiedenen persönlichen Interessen der Einzelnen. Hierher gehören auch die ganz eigenen Bedingungen von Unternehmen und Industrie, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Belgien.

Die grundlegenden Prinzipien

Es sind gewiß schwerwiegende Probleme, mit denen Ihr Euch, Ehrwürdige Brüder, mit Klugheit und Eifer befassen müßt; und darum sollen Euch in dieser Sache Unsere Ratschläge nicht fehlen. - So werdet Ihr, nach Abschluss der gemeinsamen Besprechung, weniger Schwierigkeiten und mehr Möglichkeiten haben, in Euren Diözesen die Hilfsmittel und geeigneten Maßnahmen zu erkennen, die den Menschen und den örtlichen Verhältnissen angemessen sind. Doch sollten diese Maßnahmen von Euch unter Hinzuziehung geeigneter Persönlichkeiten aus dem Laienstand so ersonnen werden, daß sie soweit wie möglich für die Katholiken der ganzen Nation Gültigkeit haben können und daß die Aktion der Katholiken, die aus einheitlichen Prinzipien stammt, soweit wie möglich auch nach einheitlichen Methoden vorgeht, sodass sie überall als eine in Erscheinung tritt und dadurch Ansehen und Durchschlagskraft gewinnt und dauerhaften Nutzen schafft. Doch kann dies nur dann erwartungsgemäß gelingen, wenn die Katholiken ihre unterschiedlichen Meinungen und Wünsche hintansetzen und ausschließlich das dem allgemeinen Wohle zuträglich Erscheinende erstreben. Das bedeutet, dahin zu wirken, daß die Religion in höchster Achtung steht und so die ihr innewohnende wunderbar heilsame Kraft im staatlichen, häuslichen und wirtschaftlichen Bereich auswirken kann; dass die öffentliche Autorität und die bürgerlichen Freiheiten in christlichem Geiste miteinander in Einklang gebracht und damit dem Lande Aufruhr und Unsicherheit erspart werden; dass die guten öffentlichen Einrichtungen, vor allem die Schulen, noch ausgestaltet werden; dass Handel und Gewerbe verbessert werden, insbesondere durch die Mitwirkung der Verbände, die in Eurem Lande entsprechend den jeweiligen Zielen schon so zahlreich sind und die, sofern die Religion dabei die führende Rolle übernimmt, noch weiter vermehrt werden sollten. Das bedeutet nicht zuletzt auch, dahin zu wirken, dass den Geboten Gottes die gebührende Achtung gezollt wird, der angeordnet hat, dass es in der menschlichen Gesellschaft Ungleichheit der sozialen Schichten, zugleich aber in freundschaftlicher Zusammenarbeit Gleichheit unter ihnen geben soll. So sollen die Arbeitnehmer nicht nachlassen in Ehrerbietung und Treue gegenüber ihren Arbeitgebern, noch sollen die Arbeitgeber es an Wohlwollen und Fürsorge für ihre Arbeitnehmer fehlen lassen. - Hierin vor allem liegt die allgemeine Wohlfahrt, um deren Erlangung man sich bemühen muß; hier liegen in Fülle die wahren Heilmittel für die Leiden dieses sterblichen Lebens: hier werden die Verdienste erworben für d&s ewjge Leben. Wenn die Katholiken diese Lehren der christlichen Weisheit mit Eifer annehmen und durch ihr Beispiel bekräftigen, dann wird sich auch Unsere Hoffnung erfüllen, dass die von falschen Lehren und trügerischem Augenschein Getäuschten und die vom Rechten und Wahren Abgeirrten eine bessere Meinung von der Kirche erlangen und Rat und Führung bei ihr suchen.

Dringender Appell zur Einigkeit im Hinblick auf gemeinsame Aktionen

Jeder wahre Katholik, der seine Religion und sein Vaterland gleichermaßen liebt, wird Euren klugen Maßnahmen willig zustimmen und sie voll und ganz unterstützen; er wird zutiefst davon überzeugt sein, dass die Veränderung der Verhältnisse nur dann wahrhaft von Dauer sein und eine Verbesserung bedeuten wird, wenn sie allmählich und maßvoll vorangetrieben wird. - Da aber das Übel, das Wir beklagen, so schwerwiegend ist, dass seine Bekämpfung keinen Aufschub mehr duldet, so scheint es Uns inzwischen vor allem wichtig, die Gemüter zu beruhigen. Ermahnt und beschwört daher die Katholiken in Unserem Namen, Ehrwürdige Brüder, dass sie sich von nun an jeder Kontroverse und Diskussion über diese Fragen, sei es in Reden, sei es in Zeitungen oder ähnlichen Schriften, enthalten; dass sie sich vor allem nicht gegenseitig angreifen und sich den Anordnungen der rechtmäßigen Gewalt nicht widersetzen. Zu dem erwünschten Erfolg dieser Sache sollen alle einmütig und in brüderlicher Liebe, eifrig und tatkräftig mit Euch zusammenarbeiten, soweit es ihnen möglich ist; der Klerus soll hierin vorangehen, denn ihm obliegt es vor allem, vor neuen Ideen auf der Hut zu sein, durch die Religion die Gemüter zu besänftigen und zu versöhnen und die Pflichten des christlichen Staatsbürgers in Erinnerung zu bringen.

Schon immer haben Wir das edle belgische Volk mit Liebe und Fürsorge umgeben; dafür hat es Uns, da seine Seele für die von den Vätern ererbte Religion entflammt ist, schon viele Male seine Anghänglichkeit und Treue bewiesen. Wie zweifeln daher nicht, daß Unsere katholischen Söhne diese Unsere Ermahnungen und Anordnungen, durch die Wir ihnen die gleiche Gesinnung erneut beweisen wollten, mit dem gleichen guten Willen aufnehmen und gewissenhaft befolgen werden. Sie mögen es niemals dahin kommen lassen, dass die aufgrund ihrer langwährenden Einigkeit so günstige Stellung der Religion in ihrem Staate, um die mehr als eine Nation sie beneidet, durch ihre Uneinigkeit leichtfertig erschüttert oder gar zunichte gemacht wird. Vielmehr sollen sie mit vereinten Kräften dahin wirken, dass alle Gedanken und alle Kräfte sich gegen die Irrlehre des Sozialismus wenden, von dem offensichtlich die größten Übel und Schäden drohen. Denn er hört nicht auf, zum Aufruhr gegen die Religion und den Staat zu hetzen; täglich aufs neue versucht er, menschliches und göttliches Recht umzustoßen und die wohltuenden Wirkungen der christlichen Weisheit zu zerstören. Schon mehrmals und mit Nachdruck haben Wir dieses übel angeprangert; das zeigen schon zur Genüge die in Unserem Schreiben "Rerum novarum" enthaltenen Ermahnungen und Vorschriften. Darauf sollten sich alle Rechtgesinnten, ohne Unterschied der Gruppen, ausrichten; denn wenn sie für die christliche Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe kämpfen, verteidigen sie zugleich die heilige Sache Gottes und des Vaterlandes, aus der das Heil und die öffentliche Wohlfahrt erblühen.

Segen

In allen diesen Dingen setzen Wir Unsere Hoffnung und Unsere Erwartungen auf Eure Klugheit und Geschicklichkeit; daher erbitten Wir für Euch den mächtigen göttlichen Beistand und erteilen Euch sowie dem Klerus und den Gläubigen eines jeden von Euch in wohlwollender Liebe den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei St. Peter am 10. Juli 1895,

im 18. Jahr Unseres Pontifikats.

Leo XIII. Papst