Ilya deux ans

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Ansprache
Ilya deux ans

von Papst
Leo XIII.
an einen Pilgerzug französischer Arbeiter in der Audienz
über die Verantwortung inder Lösung der Arbeiterfrage
20. Oktober 1889

(Offizieller französischer Text: AL IX [1890] 297-303)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, mit italienischen Original, Band II, VI 1-13, S. 1022-1031, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; in Fraktur in: Leo XIII., Lumen de coelo IV. 135-140, - Bezeugt in seinen Allocutionen, Rundschreiben, Constitutionen, öffentlichen Briefen und Akten, Buch und Verlag Rudolf Brzezowsky & Söhne Wien 1895)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung

Vor zwei Jahren hat sich eine zahlreiche Schar von Arbeitern aus Frankreich hier um Uns versammelt. Mit ihnen wurde damals unter den glücklichsten Umständen Unser Jubiläumsjahr eröffnet, zu dem sie Uns sozusagen die Erstlingsgaben der katholischen Welt überbrachten. Dieser Tag hinterließ in Uns einen wohltuenden und starken Eindruck, den eure Anwesenheit, geliebte Söhne, und die gehaltvollen Worte, die der Herr Kardinal in eurem Namen an Uns richtete, nun in Uns wiederaufleben lassen und für immer unvergesslich machen. - Seid willkommen! Die Ehre, die ihr in diesem Augenblick dem Haupt der Katholischen Kirche erweist, enthüllt den tiefsten Grund eurer Gedanken. Ihr habt verstanden - und es sind zugleich euer Herz und euer Verstand, die es euch eingegeben haben - ihr habt verstanden, dass ihr nur in der Religion Kraft und Trost findet inmitten eurer unaufhörlichen Anstrengungen und des Elends dieser Welt. In der Tat, die Religion allein öffnet eure Seelen für unsterbliche Hoffnungen; sie allein adelt eure Arbeit, indem sie sie auf die Höhe der menschlichen Freiheit und Würde hebt. Ihr konntet daher keinen größeren Beweis echter Weisheit erbringen, als der Religion euer gegenwärtiges und zukünftiges Leben anzuvertrauen. In dieser Hinsicht freuen Wir Uns, hier die Worte bestätigen zu können, die Wir bei anderer Gelegenheit gesagt haben und die ihr soeben wiederholt habt. Wir wollen sogar hier nochmals auf diese Wahrheiten mit Nachdruck hinweisen, da Wir überzeugt sind, daß auch euer Wohl das Werk der Kirche und ihrer in der Gesellschaft verwirklichten Lehren sein wird.

1. Die Lösung der Arbeiter/rage

Das Heidentum unfähig zur Lösung des Problems

Das Heidentum hat, wie ihr wisst, die soziale Frage lösen wollen, indem es den schwächsten Teil der Menschheit all seiner Rechte beraubte, all seine Forderungen erstickte, seine intellektuellen und moralischen Kräfte lähmte, ihn in einen Zustand absoluter Ohnmacht versetzte. Das war die Sklaverei. - Das Christentum lehrte die Welt, dass die ganze Menschheitsfamilie, ohne Unterschied zwischen Patriziern und Plebejern, berufen sei, Teilhaber des göttlichen Erbes zu werden; es lehrte, dass alle in gleicher Weise die Söhne des himmlischen Vaters und zum gleichen Preis losgekauft seien; es lehrte, dass die Arbeit die natürliche Lebensbedingung des Menschen auf dieser Erde sei, dass es eine Ehre und ein Zeichen von Weisheit sei, sie mutig auf sich zu nehmen, dass es Feigheit und Verrat an einer heiligen und grundlegenden Pflicht sei, sich ihr entziehen zu wollen.

Christus, das Vorbild der Arbeiter

Um den Arbeitern und den Armen noch wirkungsvoller beizustehen, hat der göttliche Stifter des Christentums zu den Worten auch das Beispiel gegeben: er hatte nichts, wohin er sein Haupt legen konnte; er litt unter Hunger und Durst; er verbrachte sein öffentliches wie sein privates Leben in Anstrengung, Ängsten und Leiden. Nach seiner Lehre wurde der Reiche geschaffen, um, wie Tertullian es ausdrückt, der Schatzmeister Gottes auf Erden zu sein; ihm gelten die Gebote über den richtigen Gebrauch der zeitlichen Güter, gegen ihn richten sich die scharfen Drohungen des Erlösers, wenn er sein Herz vor dem Unglück und der Armut verschließen sollte!

Liebe, das Band zwischen den Klassen

Jedoch, selbst das genügt noch nicht. Die beiden Klassen mußten einander angenähert werden, es mußte zwischen ihnen eine gewissermaßen religiöse unauflösliche Bindung geschaffen werden. Dies war die Rolle der Nächstenliebe: sie schuf eine soziale Bindung und gab ihr eine bis dahin nie gekannte Kraft und Milde; sie erfand, indem sie sich vervielfältigte, ein Mittel gegen alle übel, einen Trost in allen Leiden; und sie verstand es, durch unzählige Werke und Institutionen zugunsten der Notleidenden einen edlen Wettstreit der Hilfsbereitschaft, der Großmut und der Selbstlosigkeit zu entfachen.

Lösung in der Rückkehr zu den christlichen Prinzipien

Dies war die einzige Lösung, um in der unvermeidlichen Ungleichheit der menschlichen Daseinsbedingungen allen ein erträgliches Leben zu schaffen. Durch Jahrhunderte hindurch war diese Lösung allgemein anerkannt und hatte sich bei allen durchgesetzt. Zweifellos, es gab auch da Akte der Rebellion und des Ungehorsams, aber sie waren immer nur partiell und begrenzt; der Glaube war noch zu tief in den Seelen verwurzelt, als dass eine allgemeine und endgültige Verfinsterung möglich gewesen wäre. Niemand hätte es sich erlaubt, die Rechtmäßigkeit dieser sozialen Basis zu bestreiten; niemand hätte es gewagt, einen so weitgehenden Plan zu entwerfen, um den Geist und das Herz des Volkes zu verführen und den totalen Zusammenbruch der Gesellschaft anzustreben. Welche verderblichen Lehren und welche Ereignisse später das von der Kirche so geduldig errichtete soziale Gebäude erschütterten, haben Wir anderswo schon gesagt; Wir wollen hier nicht darauf zurückkommen. - Was Wir fordern ist, dass man das Gebäude neu zementiere durch die Rückkehr zu den Lehren und zum Geist des Christentums; dadurch, dass man wenigstens dem Grundgehalt nach die nützlichen und vielfältig auszugestaltenden Korporationen wieder aufleben lässt unter Formen, wie sie die neuen Zeitumstände gestatten, jene Korporationen, die früher, vom christlichen Gedanken durchdrungen und von der mütterlichen Sorge. der Kirche beseelt, für die materiellen und religiösen Bedürfnisse der Arbeiter sorgten, ihnen die Arbeiter erleichterten, ihre Ersparnisse verwalteten, ihre Rechte verteidigten und ihre legitimen Forderungen angemessen unterstützten. - Was Wir fordern ist, dass man durch eine aufrichtige Rückkehr zu den christlichen Prinzipien zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Kapital und Arbeit, jene Harmonie, jene Einigkeit wiederherstelle und verfestige, die der einzige Schutz ihrer beiderseitigen Interessen sind und von denen gleichermaßen das Wohl des Einzelnen, der Frieden und die öffentliche Ordnung abhängen.

2. Die Pflichten der Verantwortlichen

Um euch her, geliebte Söhne, werden Tausende von Arbeitern unruhig, die, von falschen Doktrinen verführt, meinen, das Heilmittel gegen ihr Unglück im Umsturz alles dessen, was sozusagen das Wesen der politischen und bürgerlichen Gesellschaft ausmacht, in der Zerstörung und Vernichtung des Eigentums, gefunden zu haben. Falsche Illusionen! Sie werden sich an unabänderlichen Gesetzen stoßen, die niemand beseitigen kann. Sie werden die Wege, auf denen sie marschieren, mit Blut tränken, sie werden Ruinen anhäufen und Zwietracht und Unordnung säen; aber damit werden sie nur ihr eigenes Unglück noch vermehren und sich die Verwünschungen der rechtlich Denkenden zuziehen. Nein, das Heilmittel ist weder in den verderbten und umstürzlerischen Plänen und Umtrieben der einen, noch in verlockenden, aber falschen Theorien der andern zu finden; es liegt ganz einfach in der treuen Erfüllung der Pflichten, die allen Klassen der Gesellschaft auferlegt sind, in der Beachtung und Erhaltung der Funktionen und Befugnisse einer jeden einzelnen von ihnen. Die Kirche hat den Auftrag, diese Wahrheiten und diese Pflichten laut zu verkünden und sie allen einzuprägen.

Die führenden sozialen Schichten

Die führenden sozialen Schichten müssen ein Herz haben nur diejenigen, die im Schweiß ihres Angesichts ihr Brot verdienen; sie müssen die unersättliche Gier nach Reichtümern, Luxus und Vergnügen zügeln, die sich unten wie oben immer weiter ausbreitet. In der Tat, auf allen Stufen empfindet man das Verlangen nach Genuss, und da es nicht allen gegeben ist, es zu stillen, so entsteht daraus ein ungeheures Unbehagen und eine Unzufriedenheit, die permanente Revolten und Aufstände zur Folge haben.

Die öffentliche Gewalt

Die Träger der öffentlichen Gewalt sollen vor allem von der Wahrheit durchdrungen sein, dass zur Abwehr der gesellschaftsbedrohenden Gefahren weder menschliche Gesetze noch gerichtliche Strafen noch Waffengewalt genügen; was vor allem wichtig, was unentbehrlich ist, das ist, dass man der Kirche die Freiheit lässt, in den Seelen die göttlichen Gebote wieder aufleben zu lassen und ihren heilsamen Einfluss auf alle Klassen der Gesellschaft auszuüben; das ist, dass man durch weise und gerechte Regelungen und Maßnahmen die Interessen der Arbeiterklasse absichert, dass man die Jugend, die schwächer gestellte Frau in ihrer ausschließlich häuslichen Aufgabe, das Recht und die Pflicht der Sonntagsruhe schützt und dadurch in den Familien wie im Einzelnen Sittenreinheit und die Gewohnheiten eines geordneten christlichen Lebens fördert. Das öffentliche Wohl, die Gerechtigkeit und das Naturrecht verlangen, daß es so sei.

Die Arbeitgeber

Den Arbeitgebern ist geboten, den Arbeiter wie einen Bruder zu betrachten, sein Los, soweit es möglich ist, durch gerechte Bedingungen zu erleichtern, für seine geistigen wie körperlichen Bedürfnisse zu sorgen, ihn durch das Beispiel eines christlichen Lebens zu erbauen und insbesondere in allem, was den Arbeiter betrifft und ihm zum Schaden gereichen könnte, nie von den Regeln der Billigkeit und der Gerechtigkeit abzuweichen, nur um auf kurzen Wegen Profite und unangemessene Gewinne zu erzielen.

Die Arbeitnehmer

Euch, geliebte Söhne, und allen, die in eurer Lage sind, gebührt es, durch die treue Erfüllung der religiösen, häuslichen und sozialen Pflichten stets ein untadeliges Verhalten zu zeigen. Ihr habt Uns erklärt, und das hat Uns sehr erfreut, daß es euer ausdrücklicher Wille ist, mit Ergebung eure Arbeit und die damit verbundenen Mühen auf euch zu nehmen, stets friedfertig zu sein und ehrerbietig gegen eure Arbeitgeber, deren Aufgabe es ist, euch Arbeit zu beschaffen und sie zu organisieren, euch aller Aktionen zu enthalten, die Ruhe und Ordnung stören können, schließlich in euren Herzen die Gefühle der Dankbarkeit und des kindlichen Vertrauens gegenüber der heiligen Kirche zu bewahren und zu erhalten, die euch vom alten Joch der Sklaverei und Unterdrückung befreit hat, und gegenüber dem Stellvertreter Jesu Christi, der nicht aufhört und niemals aufhören wird, wie ein Vater über euch zu wachen, sich nach euren Interessen zu erkundigen und sie zu fördern., indem er alle an ihre entsprechenden Pflichten erinnert und in der Sprache der Liebe zu ihnen spricht.

Schlussworte und Segen

Möge dieses Gefühl der Dankbarkeit und Ergebenheit gegenüber der Kirche und ihrem Oberhaupt unerschütterlich in euch bleiben und immer mehr wachsen. - Unsere Lage wird von Jahr zu Jahr schwieriger, und die Notwendigkeit echter Unabhängigkeit und wahrer Freiheit in der Ausübung Unseres apostolischen Amtes wird von Tag zu Tag evidenter. Als gute Katholiken bleibt, geliebte Söhne, dieser so edlen Sache treu. Macht sie zu eurer eigenen, und jeder von euch möge es sich in seinem Milieu zur Pflicht machen, sie zu verteidigen und ihren Sieg zu beschleunigen.

Und nun, geliebte Söhne, kehrt in euer Vaterland zurück, nach Frankreich, wo trotz einzelner vorübergehender Verirrungen nie der Eifer für das Gute abgenommen hat, nie die Flamme der Großmut und der Opferbereitschaft erloschen ist. Kehrt in euer Heim zurück und beweist durch euer Verhalten, dass in den Verbänden, in denen die religiösen Grundsätze geachtet werden, zugleich auch brüderliche Liebe, Frieden, Disziplin, Nüchternheit, Vorsorge und Sparsamkeit für die Familie herrschen. So geht denn, die Gnade des Herrn begleite euch überall, sie stehe euch bei, behüte euch, stütze euch in euren Mühen, ermutige euch, indem sie euch schon jetzt die unaussprechlichen Freuden empfinden läßt, die aus dem sittlich guten Leben erwachsen und die die Hoffnung auf ein besseres Leben im Vaterland der Gläubigen verleiht. •

Den Blick und die Hände zum Himmel erhoben, lassen Wir für euch, geliebte Söhne, Unsere Wünsche, Bitten und Gebete hinaufsteigen, und Wir werden sie täglich hinaufsteigen lassen. Inzwischen und als Unterpfand dieser himmlischen Gaben spenden Wir euch den Apostolischen Segen. Wir segnen euch alle, die ihr hier anwesend seid, mit der ganzen überströmenden

Liebe Unseres Vaterherzens. Wir segnen eure Frauen, eure Kinder und eure Familien. Wir segnen eure Vorgesetzten, eure Arbeitgeber und eure Wohltäter sowie alle religiösen Vereine, denen ihr angehört.