Gravi de (Wortlaut)

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Weihnachtsansprache
Gravi de

von Papst
Pius XII.
an das Kardinalskollegium
24. Dezember 1948

(Offizielle italienische Fassung AAS 41 [1949] 5-15)

(Quelle: Herder-Korrespondenz, Herder Verlag, 3. Jahrgang 1948/49; Viertes Heft, Januar 1949, S. 162-166)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


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"Confirma Fratres tuos"

Ernst und mild zugleich, wie der letzte Wille und der Abschiedsgruß eines geliebten Vaters, erklingen die Worte des göttlichen Erlösers an seinen ersten Stellvertreter auf Erden: "Confirma fratres tuos" (Luk. 22,32): "Stärke deine Brüder" immerfort in Unserem Geist und in Unserem Herzen, seit dem Tage, da er in seinem unerforschlichen Ratschluss Unseren schwachen Händen das Steuer des Schiffleins Petri anvertrauen wollte.

Unsterbliche, tief Unserem Innersten eingeprägte Worte - und sie machen sich mit noch größerer Eindringlichkeit geltend jedes Mal dann, wenn Wir in Ausübung des apostolischen Amtes dem Episkopat und den Gläubigen in aller Welt die Lehren, Richtlinien und Ermahnungen zu vermitteln haben, die die volle Ausführung der heilbringenden Sendung der Kirche erheischt, und die ohne Abstrich von ihrer wesentlichen Unveränderlichkeit sich doch stets den immer wechselnden Umständen und Verhältnissen von Zeit und Ort zweckmäßig anpassen müssen.

Mit einzigartig tiefer Ergriffenheit jedoch erfahren Wir in Uns die Wucht jenes göttlichen Befehes in diesem Augenblick, da Wir zum zehnten Mal Unsere Weihnachtsbotschaft an euch, geliebte Söhne und Töchter auf dem ganzen Erdenrund richten, - am Ende eines Jahrzehnts, das an Ereignissen und Umwälzungen, an Prüfungen und Aufgaben, an Bitternissen und Leiden nicht seinesgleichen in den Jahrhunderten der menschlichen Geschichte hat.

Als Wir zur letzten Weihnacht bei demselben Anlass euch zu Gebet und Mitarbeit aufriefen, gaben Wir dem Wunsche Ausdruck, das damals anhebende 1948 möchte für Europa und die gesamte, von so viel Zerrissenheit gequälte Völkergemeinschaft ein Jahr eifrigen Wiederaufbaus, der Beginn eines raschen Anstiegs zu einen wahren Frieden sein.

Heute, am Schlüsse eines Jahres, das sich mit so viel Hoffnung aufgetan, ladet euch, die aufrechten und nachdenklichen Geister, die ehrlichen Christen, Unsere väterliche Stimme aufs neue ein zu erwägen, welches gegenwärtig die Lage der Menschheit und der Christenheit sei und was das Mittel, um freien und festen Schritts vorwärtszuschreiten auf dem Pfad, den die Härte und Not der Zeit ebenso wie das Gewissen euch weisen.

Wer immer den klaren Blick, die sittliche Kraft und den Mut besitzt, der Wahrheit, auch wenn sie unangenehm und demütigend ist, Aug in Aug gegenüberzutreten, muss unumwunden zugeben, dass das Jahr 1948, welches an seinem Beginn Gegenstand hoher und durchaus begreiflicher Erwartungen war, heute, bei seinem Abklingen, als einer jener Kreuzungspunkte erscheint, wo der Weg, der bereits verheißungsvoll anhub, statt dessen an den Rand eines Abgrunds auszumünden scheint, dessen Tücken und Gefahren alle edelgesinnten und großmütigen Völker mit steigender Besorgnis erfüllen.

Trotzdem, ja gerade deshalb, geliebte Söhne und Töchter, fühlen Wir Uns inmitten des beginnenden Umsichgreifens von Verzagtheit auch bei Mutigen und des Aufsteigens von Zweifeln bei den Klarblickendsten und Entschlossensten, mehr denn je verpflichtet, dem göttlichen Auftrag: "Confirma fratres tuos" zu entsprechen und Wir richten an euch alle bis zu den äußersten Grenzen der Welt als Unseren Weihnachtsgruß die Worte, mit denen der Prophet das Werk der Erlösung und den endgültigen Sieg des Reiches Christi ankündigte: "Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: Mut, fürchtet euch nicht! Seht da euer Gott ... er selbst wird kommen, euch zu erlösen" (Is 35, 3-4).

Zweifache heilige Pflicht

Als Nachfolger dessen, dem die göttliche Verheißung zuteil wurde: "Ich habe für dich gebetet" (Luk. 22,32), wissen Wir wohl, dass dann, wenn der Kampf mit den Mächten der Finsternis härter wird, wenn er in entscheidende und menschlich gesehen beunruhigende Entwicklungsstufen eintritt, der Herr seiner Kirche und seinen Gläubigen um so näher ist. Tief überzeugt und durchdrungen von diesem göttlichen Beistand, rufen Wir allen, die sich des katholischen Christennamens rühmen, eine zweifache heilige, für die Besserung der gegenwärtigen Lage der menschlichen Gesellschaft unabdingliche Pflicht in Erinnerung.

1. Unerschütterliche Treue zum Wahrheitsgut, das der Erlöser der Welt gebracht.

2. Gewissenhafte Erfüllung des Gebots der Gerechligkeit und Liebe, notwendige Voraussetzung für den Triumph einer des göttlichen Friedenskönigs würdigen sozialen Ordnung auf Erden.

I. Leuchtende Zeichen des Lebens

Wir würden es an Dankbarkeit gegen den Allmächtigen, den Spender und Vollender aller Güter und Gnaden, fehlen lassen, erkännten Wir nicht an, dass das nunmehr verflossene Jahr trotz aller Sorgen und Leiden auch reich an heiligen Freuden und Tröstungen, glücklichen Erfahrungen und ermüdenden Erfolgen war. Es war ein Jahr, in dem die Kirche allen Völkern und Nationen in allen Ländern und Erdteilen unbezweifelbare und glänzende Zeichen des Lebens, der Kraft, der Wirksamkeit, des Widerstandes und raschen Fortschritts gegeben hat, die nicht nur zu den strahlendsten Hoffnungen auf geistigem Gebiet berechtigen, sondern auch greifbare Früchte in den gigantischen Auseinandersetzungen zeitigen, in die die Menschheit im Ringen um ihre Wiedergenesung und Befriedung verwickelt ist.

Eine glanzvolle Reihe von religiösen Feierlichkeiten, eucharistischen und marianischen Kongressen, bedeutsamen Jahrhundertfeiern und großartigen Tagungen haben jedem unvoreingenommenen Beobachter gezeigt, dass weder der Krieg, noch die Nachkriegszeit, noch die Zähigkeit der Feinde Christi mit ihren Spaltungs- und Zerstörungstendenzen in der Lage gewesen sind, die reinen Quellen, aus denen die Kirche seit bald zwanzig Jahrhunderten ihre Lebenskraft schöpft, zum Versiegen zu bringen oder zu trüben. Überall wächst und blüht neues Leben, das vor allem bei der katholischen Jugend bestrebt ist, die Wahrheit des Evangeliums und die heilbringende Kraft seiner Lehre in alle menschlichen Lebensgebiete hineinzutragen, zum Nutzen und Heil auch jener, die bis jetzt zu ihrem großen eigenen Schaden einem solch wohltuenden Werk ihre Herzen verschlossen hielten.

Erhabenes Heldentum

Die harten Prüfungen, die die Kirche infolge des Kriegs und in der Nachkriegszeit erlitten hat, die schmerzlichen Verluste und die schweren Schäden, die sie getroffen, haben ihre Tatkraft und ihren Widerstand nur noch mehr gestählt und ermutigt. Sie hat mitten im Sturm und Wogengang ihre Lebenssubstanz unversehrt und unverletzt bewahrt und unter allen Völkern, bei denen das Bekenntnis zum katholischen Glauben in Wirklichkeit gleichbedeutend ist mit Erleiden von Verfolgungen, fanden und finden sich immer tausende von Tapferen, die ohne Furcht inmitten der Opfer, der Ächtung und der Qualen, unerschrocken angesichts der Ketten und des Todes, ihre Knie vor dem Baal der Macht und Gewalt nicht beugen (vgl. 3. Könige, 19, 18). Die weite Öffentlichkeit kennt ihre Namen in den meisten Fällen nicht; aber in den Annalen der Kirche stehen sie mit unaustilgbaren Lettern geschrieben.

Es ist für Uns eine Pflicht, jene Treuen und Starken, Unermüdlichen und Tapferen, von Gott Auserwählten und Gesegneten zu verherrlichen, denen die Bedrängnisse der gegenwärtigen Zeit, die Leiden und mütterlichen Tränen der Braut Christi weder Ärgernis noch Torheit sind, vielmehr Anlass und wirksamer Ansporn, nicht mit Worten, sondern durch Taten die Aufrichtigkeit und Selbstlosigkeit ihrer Gesinnungen, ihre unbedingte Treue, die erhabene Großmut ihrer Herzen kundzutun. Es fehlen die Worte, um den Heroismus dieser Treuesten unter den Getreuen würdig anzuerkennen und nach Verdienst zu erheben. An jeden von ihnen ergehe Unser Lob und Unser Dank. Der Herr, der verheißen hat, vor dem himmlischen Vater jener eingedenk zu sein, die ihn vor den Menschen bekannt haben (cf. Matth 10,32), wird ihr ewiger Lohn sein.

Schmerzlicher Schiffbruch

Immerhin, ist die Ausdauer und Festigkeit so vieler Brüder im Glauben für Uns Quelle der Freude und heiligen Stolzes, so können Wir uns doch nicht der Pflicht entziehen, auch jene zu erwähnen, deren Gedanken und Gefühle das Gepräge des Geistes und der Schwierigkeiten der Zeit widerspiegeln. Wie viele haben Schaden, ja Schiffbruch gelitten am Glauben, selbst am Glauben an Gott! Wie viele, angesteckt vom Geist des Laizismus oder der Feindseligkeit gegen die Kirche, haben die Frische und ruhige Sicherheit des Glaubens verloren, der bis dahin ihrem Leben Licht und Halt gewesen war. Andere, ihrem Heimatboden rücksichtslos entwurzelt und entführt, irren ziellos umher, religiösem und sittlichem Verfall ausgesetzt, besonders wenn es Jugendliche sind, einem Verfall, dessen Gefahr nicht ernst genug eingeschätzt werden kann.

Das mütterliche Auge der Kirche folgt jenen vorübergehend verlorenen oder gefährdeten Seelen mit wacher Liebe und verdoppelter Sorge. Sie wird nicht bitter. Sie betet. Sie wartet: - wartet auf die Rückkehr jener Kinder, bestrebt, die geeigneten Mittel zu finden, um die Stunde dafür zu beschleunigen. Deshalb schreckt sie vor keinem Opfer zurück; keine Mühe ist ihr für dieses Ziel zu schwer. Se ist zu allem bereit zu allem, ausgenommen eines: dass man von ihr nicht verlange, die Rückkehr der von ihr - früher oder kürzlich - getrennten Söhne um den Preis irgendwelcher Schmälerung oder Trübung des ihr zum Schutze anvertrauten Glaubensgutes zu erreichen.

Bittere Trennung

Eine kurze Klarstellung scheint Uns angebracht hinsichtlich bestimmter unguter Äußerungen, die aus dem Mund von Getrennten gegen die Katholische Kirche und das Papsttum getan worden sind.

Unsere Pflicht zu Caritas und persönlicher Liebe wird gewiss nicht verringert weder durch Angriffe noch durch Schmähungen. Wir wissen zu unterscheiden zwischen den Völkern, die oft der Freiheit beraubt sind, und den Regierungssystemen. Wir kennen die servile Abhängigkeit, die einige Vertreter des so genannten "orthodoxen" Bekenntnisses gegenüber einer Weltanschauung an den Tag legen, deren wiederholt ausgesprochenes Endziel kein anderes ist als der Ausschluss jeglicher christlichen Religion. Nicht unbekannt ist Uns der bittere Weg, den viele Unserer geliebten Söhne und Töchter gehen müssen, die ein offenes Gewaltsystem vermocht hat, sich formell von der Mutterkirche, mit der sie ihre innersten Überzeugungen verbanden, zu trennen. Bewegten Herzens bewundern Wir die heldenhafte Festigkeit der einen, mit tiefem Schmerz und ungeschmälerter väterlicher Liebe sehen Wir den seelischen Kummer der anderen, deren äußere Widerstandskraft dem Überrnaß eines ungerechten Druckes gewichen ist und nach außen eine Trennung erfahren hat, die ihr Herz verabscheut und ihr Gewissen verurteilt.

II. Der katholische Christ im Wirbel der modernen Welt

Die Treue des katholischen Christen zu dem göttlichen, von Christus dem Lehramt der Kirche hinterlassenen Glaubensgut, verurteilt ihn in keiner Weise - wie nicht wenige glauben oder zu glauben vorgeben - zu misstrauischer Zurückhaltung oder kalter Gleichgültigkeit gegenüber den schweren und drängenden Aufgaben der gegenwärtig·en Stunde.

Im Gegenteil: der Geist und das Vorbild des Herrn, der gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren war; das Liebesgebot und der Sinn für das Soziale, der von der Frohbotschaft ausstrahlt; die Geschichte der Kirche, die zeigt, dass sie stets die stärkste und festeste Stütze aller Kräfte des Guten und des Friedens war; die Lehren und Weisungen der Rörnischen Päpste vor allem im Verlauf der letzten Jahrzehnte, über das Verhalten der Christen gegen ihresgleichen, gegen die Gesellschaft und den Staat: - all das verkündet die Pflicht des Gläubigen, seinen Verhältnissen und Möglichkeiten entsprechend selbstlos und mutig sich mit den Fragen zu beschäftigen, die eine gequälte und gehetzte Welt auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit wie der internationalen Rechts- und Friedensordnung zu lösen hat.

Ein überzeugter Christ darf sich nicht in einem bequemen und eigennützigen "Isolationismus" abkapsen, wenn er Zeuge der Not und des Elends seiner Brüder ist; wenn die Hilferufe der wirtschaftlich Schwachen an sein Ohr dringen; wenn er das Streben der Arbeiterklassen nach geregelteren und gerechteren Lebensbedingungen kennt; wenn er sich der Missbräuche einer Wirtschaftsordnung bewusst ist, die das Geld über die soziale Verantwortung stellt; wenn er die Abirrungen eines sturen Nationalismus genau kennt, der die Verbundenheit der einzelnen Völker leugnet oder mit Füßen tritt, eine Verbundenheit, die jedwedem vielfältige Pflichten gegenüber der großen Völkerfamilie auferlegt.

Die Völkergemeinschaft

Die katholische Lehre vom Staat und der bürgerlichen Gesellschaft beruhte stets auf dem Grundsatz, dass nach Gottes Willen die Völker insgesamt eine Gemeinschaft bilden mit gemeinsamem Ziel und gemeinsamen Aufgaben. Auch zu einer Zeit, da die Verkündigung dieses Grundsatzes und seiner praktischen Folgerungen auf heftigen Widerstand stieß, hat die Kirche der irrigen Auffassung von einer absolut autonomen, der sozialen Pflichten enthobenen Oberhoheit ihre Zustimmung versagt. Der katholische Christ, der überzeugt ist, dass jeder Mensch sein Nächster und jedes Volk gleichberechtigtes Glied der Völkerfamilie ist, schließt sich hochherzig jenen edlen Bemühungen an, deren erste Ergebnisse sehr bescheiden sein können, deren Äußerungen auf zähe Gegnerschaft und starke Hindernisse stoßen, die aber darauf abzielen, die einzelnen Staaten aus der Enge einer egozentrischen Haltung herauszuheben, einer Haltung, die einen überwiegenden Anteil an der Verantwortung für die Zusammenstöße der Vergangenheit hatte und die, würde sie nicht endlich überwunden oder wenigstens eingedämmt, zu neuen, für die menschliche Kultur vielleicht tödlichen Kriegen führen könnte.

Der Alpdruck eines neuen Krieges

Nie seit Beendigung der Feindseligkeiten fühlten sich die Menschen derart beklemrnt von dem Alpdruck eines neuen Krieges und der angstvollen Sehnsucht nach dem Frieden wie heute. Sie bewegen sich zwischen zwei entgegengesetzten Polen. Da sind die, welche das alte, nicht ganz falsche, jedoch zu Missverständnissen Anlass gebende und oft missbrauchte Wort wiederaufnehmen: Si vis pacem, para bellum: Willst du den Frieden, rüste zum Krieg! Andere glauben das Heil in der Formel zu finden: Frieden um jeden Preis! Beide Teile wollen den Frieden, aber beide gefährden ihn: die einen, weil sie das Misstrauen wecken, die anderen, weil sie die Sicherheit dessen ermutigen, der den Angriff vorbereitet. Beide also setzen, ohne es zu wollen, die Sache des Friedens aufs Spiel, ausgerechnet zu einer Zeit, da die Menschheit, erdrückt vom Gewicht der Aufrüstungen, geängstigt vom Ausblick auf neue und noch schwerere Konflikte, schon beim Gedanken an eine kommende Katastrophe erzittert. Deshalb möchten Wir kurz aufzeigen, welches die Merkmale des wahren christlichen Friedenswillens sind.

Der wahre christliche Friedenswille

1) Er kommt von Gott

Der christliche Friedenswille stammt von Gott. Gott ist der "Gott des Friedens" (Röm. 15,33); er hat die Welt geschaffen, dass sie eine Stätte des Friedens sei; er hat sein Gebot des Friedens gegeben, jener "Ruhe in der Ordnung", von der der heilige Augustinus spricht.

Auch der christliche Friedenswille hat seine Waffen. An erster Stelle erster Stelle sind jedoch das Gebet und die Liebe: das beharrliche Gebet zum himmlischen Vater, dem Vater unser aller; die Bruderliebe, unter allen Menschen und Völkern, da sie ja alle Kinder desselben Vaters im Himmel sind, die, Liebe, der es mit Geduld gelingt , immer allen, gegenüber Verstehen und Verständigung bereit zu halten.

Diese beiIden Waffen stammen von Gott, und da wo sie fehlen, wo man nur die materiellen Waffen zu handhaben weiß, kann kein wahrer Friedenswille herrschen. Denn die rein materiellen, Rüstungen wecken notwendig Misstrauen und schaffen eine, Atmosphäre des Krieges. Wer sieht deshalb nicht, wie wie·wichtig es für die Völker ist, das christliche Leben zu erhalten und zu stärken, und wie schwer ihre Verantwortung ist für die Auswahl und Kontrolle jener, die sie unmittelbar mit dem Rüstungswesen betrauen?

2) ist leicht erkennbar,

Der christliche Friedenswille ist leicht erkennbar. Dem göttlichen Friedensgebot gehorsam, macht er nie aus einer Frage des Prestiges oder der nationalen Ehre einen Kriegsfall oder auch nur eine Kriegsdrohung. Er hütet sich wohl, mit Waffengewalt Recht geltend zu machen, die, so sehr sie ihm zustehen mögen, die Gefahr eines Kriegsbrandes mit allen seinen entsetzlichen seelischen und materiellen Folgen nicht aufwiegen.

Hier offenbart sich wiederum die Verantwortlichkeit der Völker in den entscheidenden Fragen der Jugenderziehung und der Bildung der öffentlichen Meinung, welche die modernen Methoden und Mittel so beeinflussbar und wandelbar machen, in allen Bereichen des nationalen Lebens. Und diese Tätigkeit muss immer in Gang gehalten werden, um die Solidarität aller Staaten für die Verteidigung des Friedens zu festigen. Jeder Rechtsbrecher muss als Friedensstörer in eine diffamierende Isolierung ausserhalb der gesitteten Welt verwiesen werden. Möge es der Organisation der Vereinten Nationen (UN) gelingen, der volle und reine Ausdruck dieser internationalen Friedenssolidarität zu werden, indem sie aus ihrer Grundverfassung und ihren Statuten jede Spur ihrer Herkunft beseitigt, die nun einmaI notwendig eine Kriegssolidarität gewesen war.

3) ist praktisch und realistisch

Der christliche Friedenswille ist praktisch und reaIistisch. Sein unmittelbares Ziel ist es, die Ursachen der Spannungen, die seelisch und materiell die Kriegsgefahr erhöhen, zu beseitigen oder wenigstens zu mildern. Diese Ursachen sind neben anderen hauptsächlich der im Verhältnis zur Bevölkerung zu enge nationale Raum und der Mangel an Rohstoffen. Anstatt daher mit riesigen Ausgaben die Nahrungsmittel an die flüchtigen, irgendwo schlecht und recht zusammengepferchten Bevölkerungen heranzubringen, warum nicht die Auswanderung und Einwanderung der Familien erleichtern und sie dabei in Gebiete lenken, wo sie müheloser die nötige Nahrung finden? Und anstatt, oft ohne gerechten Grund, die Erzeugung zu drosseln, war, um nicht dem Volk die Möglichkeit lassen, seiner normalen Kapazität entsprechend zu erzeugen und so das tägliche Brot vielmehr als Frucht seiner Arbeit zu erwerben, anstatt es als Gabe zu empfangen? Anstatt schließlich Schranken zu errichten, um sich gegenseitig den Zugang zu den Rohstoffen zu sperren, warum nicht deren Nutzung und Austausch von allen unnötigen FesseIn befreien, von denen vor allem, die eine schädliche Ungleichheit der wirtschaftlichen Lage schaffen?

4) bedeutet Kraft - Der Zusammenschluss der Völker gegen den Angriffsgeist

Der wahre christliche Friedenswille, ist Stärke, nicht Schwäche oder müde Resignation. Er ist ganz eins mit dem Friedenswillen des ewigen und allmächtigen Gottes. Jeder kriegerische Angriff auf jene Güter, welche die göttliche Friedensordnung unbedingt zu achten und zu gewährleisten, deshalb aber auch zu schützen und zu verteidigen verpflichtet, ist Sünde, ist Verbrechen, ist Anschlag auf die Majestät Gottes, des Schöpfers und Ordners der Welt. Ein VoIk, das von einem ungerechten Angriff bedroht oder schon dessen Opfer ist, kann, wenn es christlich handeln will, nicht in passiver Gleichgültigkeit verharren, und noch mehr verbietet die Solidarität der Völkerfamilie den anderen, sich in gefühlloser Neutralität als einfacher Zuschauer zu verhalten. Wer wird je die Schäden ermessen können, die bereits in der Vergangenheit durch eine, solche, vom christlichen Empfinden weit entfernte Gleichgültigkeit gegenüber dem Angriffskrieg angerichtet worden sind? Wie hat sie das Gefühl mangelnder Sicherheit gesteigert bei den "Großen" und vor allem bei den "Kleinen"? Hat sie dafür vielleicht irgend einen Vorteil eingebracht? Im Gegenteil: sie hat die Anstifter und Begünstiger des Angriffs nur beruhigt und die einzelnen, sich selbst überlassenen Völker in die Notwendigkeit versetzt, ihre Rüstungen ins Unbegrenzte zu vermehren.

Auf Gott und die von ihm festgesetzte Ordnung sich stützend, ist der christliche Friedenswille deshalb hart wie Stahl. Er ist von eirner ganz anderen Prägung aIs das gewöhnliche Gefühl für Menschlichkeit, das, zu oft nur reine Sentimentalität ist und den Krieg lediglich verabscheut wegen seiner Schrecken und Grausamkeiten, seiner Zerstörungen und Folgen und nicht auch wegen seiner Ungerechtigkeit. Einem solchen Gefühl eudämonistischer und utilitaristischer Art und materialistischer Herkunft fehlt die feste Grundlage einer strengen und unbedingten Verpflichtung. Es schafft jenen Boden, auf dem der Betrug des unfruchtbaren Kompromisses, der Versuch, sich auf Kosten anderer zu retten, und auf alle Fälle das Glück des Angreifers gedeihen.

Dies ist so sehr wahr, dass weder die ausschlieche Erwägung der vom Krieg verursachten Leiden und Übel, noch die genaue Berechnung von Einsatz und Vorteil letztlich zu bestimmen vermögen, ob es sittlich erlaubt, oder auch unter bestimmten konkreten Umständen verpflichtend sei (immer eine begründete Wahrscheinlichkeit des Erfolgs vorausgesetzt), den Angreifer mit Gewalt abzuwehren.

Das göttliche Friedensgebot

Eines aber ist sicher: das Friedensgebot ist göttlichen Rechtes. Sein Zweck ist der Schutz der Menschheitsgüter, insofern sie Güter des Schöpfers sind. Nun aber sind unter diesen Gütern manche von solcher Wichtigkeit für das menschliche Zusammenleben, dass ihre Verteidigung gegen den ungerechten Angriff zweifellos vollkommen gerechtfertigt ist. Zu dieser Verteidigung ist auch die Solidarität der Völker gehalten: sie hat die Pflicht, den Angegriffenen nicht im Stich zu lassen. Die Gewissheit, dass diese Pflicht nicht unerfüllt bleiben wird, wird dazu dienen, den Angreifer zu entmutigen und so den Krieg zu vermeiden, oder wenigstens, im schlimmsten Fall, seine Leiden zu verkürzen.

So wird das Wort: "Si vis pacem, para belud", und auch die Losung "Frieden um jeden Preis" verbessert. Worauf es ankommt, ist der ehrliche, christliche Friedenswille. Ihn zu haben, dazu bewegen uns zweifelsohne der Blick auf die Zerstörungen des letzten Krieges, die stumme Anklage, die sich von den weiten Totenfeldern erhebt, wo in endlosen Zügen die Gräber seiner Toten sich aneinanderreihen, das noch nicht gestillte Heimweh der Gefangenen und Flüchtlinge, die Not und Verlassenheit nicht weniger politischer Häftlinge, die es müde sind, ungerecht verfolgt zu werden. Aber noch mehr muss uns anspornen die machtvolle Stimme des göttlichen Friedensgebots und der liebevoll durchdringende Blick des göttlichen Kindes in der Krippe.

Hört die wie Weihnachtsglocken in der Heiligen Nacht anmutenden, wunderbaren Worte des Völkerapostels - auch er zuvor Sklave der kleinlichen Vorurteile des nationalistischen Dünkels und Rassenstolzes, die auf dem Weg nach Damaskus mit ihm zu Boden geworfen wurden: "Er, Jesus Christus, ist unser Friede, er der aus zwei Völkern ein einziges gemacht hat …, der die Feindschaft in sich hinweg nahm ... Er kam., den Frieden zu verkünden euch, die ihr ferne waret, und denen, die nahe waren (Eph. 2,14.16.17).

Deshalb beschwören Wir in, dieser Stunde mit der ganzen Kraft unserer Stimme euch, geliebte Söhne und Töchter in der ganzen Welt: Arbeitet für den Frieden nach dem Herzen des Erlösers. Zusammen mit allen Rechtdenkenden, die, wenn sie auch nicht in euren Reihen stehen, mit euch in der Gemeinsamkeit dieses Ideals verbunden sind, macht euch daran, den christlichen Friedenswillen zu verbreiten und zum Sieg zu führen.

Aufruf an die katholische Jugend

Mit besonderem Vertrauen jedoch wendet sich Unser Ruf an die katholische Jugend. Die unvergesslichen Kundgebungen des verflossenen Monats September in Rom vereingten in bisher nie erreichter Zahl Vertreter der katholischen Jugend aus den verschiedensten Nationen. Sie haben mit lichtvoller Klarheit die Einmütigkeit ihres Friedenswillens kundgetan.

Damals haben Wir von den Stufen Unserer vatikanischen Patriarchalbasilika in Gegenwart einer begeisterten Jugend den Grundstein der zu errichtenden "Domus Pacis" gesegnet: Haus des Friedens, dazu bestimmt, der Jugend der katholischen Welt im Angesicht der Kuppel von St. Peter das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur einen großen Familie zu geben, die alle ihre Söhne, mit gleicher Liebe umfängt. Euch, der Jugend, die in der Blüte der Jahre die Verantwortung für ein noch ungewisses Morgen trägt, sagen Wir: Gebt euch nicht zufrieden damit, die Domus Packs an der Via Aurelia zu bauen! Sie wird ein Symbol eures Fniedenswillens sein; doch nunmehr gilt es, alle eure Hingabekraft und Zähigkeit einzusetzen, um aus der Welt siebst eine Domus Pacis zu machen, über der der Geist und die Verheißung von Bethlehem licht und froh sich ausbreiten, und wo die gequälte Menschheit endlich den Frieden finden möge.

Palästina

In dieser Hoffnung rufen Wir den Schutz des, Allmächtigen auf alle Völker und Nationen herab, besonders auf jene, die mehr als die andern der Kriegsgefahr, Unruhen und Verwüstungen ausgesetzt sind. Und wie sollte am Heiligen Abend Unser Gedanke nicht noch einmal Palästina sich zuwenden, wo der menschgewordene Gottessohn sein irdisches Leben durchlief; Palästtina, wo auch bei Unterbrechung der Feindseligkeiten, eine sichere Friedensgrundlage noch nicht sichtbar wird. Möge sich endlich eine glückliche Lösung finden, die neben der Hilfe für die Nöte vieler tausender von armen Flüchtlingen gleichzeitig der Sehnsucht der gesamten, um den Schutz der Heilligen Orte, besorgten Christenheit Genüge leistet, Indern man freien Zugang zu ihnen gewährt und sie durch Bildung einer internationalen Verwaltung schützt.

Wir rufen gleicherweise den göttlichen Beistand herab auf alle die sich der Sicherung und Vervollkommnung des Friedens durch ihr Gebet und ihre tätige Mitarbeit widmen wollen: auf die Lenker der Völker, auf jene, die einen wirksamen Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben imstande sind, wie überhaupt auf alle jene, von denen die Völker ehrliche Friedensangebote entgegenzunehmen leichter geneigt sind; auf die unzähligen Scharen der Kriegsopfer und auf die vielen anderen, deren Nottage sich täglich um so schmerzlicher zeigt, je, länger sich das unerträglich werdende Harren auf einen endgültigen, sittlich zu rechtfertigenden und dauerhaften, jedes Vorurteils oder Rasse- und Blutwahns ledigen Frieden hinzieht.

Indessen erteilen Wir, von der göttlichen, Gnade die Verwirklichung dieser heißen Wünsche erhoffend, euch allen, geliebte, mit Uns durch das, Band des Glaubens und der Liebe verbundene Söhne und Töchter von Herzen Unseren väterlichen Apostolischen Segen.

Pius XI. PP.