Gaudium et spes

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Nach den Anfangsworten Gaudium et spes (Freude und Hoffnung) wird die Pastoralkonstitution des II. Vatikanum zitiert. Erst zur letzten Sitzung des Konzils am 7. Dezember 1965 verabschiedungsreif, prägte das Bemühen um diese pastorale "Ansprache" an die Welt von heute das Profil des ganzen Konzils mit, von den ersten Anfängen an.

Recht früh fiel die Entscheidung, bestärkt durch Papst Johannes XXIII., die modernen Zeitirrtümer nicht in Einzelsätzen durch das Konzil zu verurteilen, nicht einmal explizit den Kommunismus. Das Verhältnis der Kirche zur modernen Welt kam vor dem II. Vatikanum insbesondere in drei Dokumenten der Päpste zum Ausdruck: im mit der Enzyklika Quanta cura verbundenen Syllabus errorum Papst Pius IX. von 1864, in der Enzyklika Pascendi Pius X. und in der Enzyklika Humani generis Pius XII. von 1950. Während der Syllabus eindeutig und eindringlich auf politisch-gesellschaftliche Fragen übergreift, blieben die beiden anderen Mahnworte streng an theologischen Problemen der Moderne orientiert. Denn Leo XIII., der erste Nachfolger Pius IX., hatte bereits die im engeren Sinne sozialen, gesellschaftlichen Fragen genauer von der dogmatischen Lehrverkündigung unterschieden, also die Soziallehre der Kirche begründet. Mittelbar bedeuteten jedoch auch die Lehrverurteilungen durch Pius X. und die Mahnungen (ohne Verurteilungen) Pius XII. eine Maßnahme der Abgrenzung von modernen Daseinsauffassungen.

Obzwar durchweg um einen pastoralen, vielleicht sogar zu werbenden Ton bemüht, fehlt jedoch auch in Gaudium et spes die Distanznahme zu modernen Erscheinungen nicht. Die vehementen Forderungen nach Gerechtigkeit und Frieden, die Bekräftigung der katholischen Ehelehre und die Erinnerung an die Erbsünde sind dafür Beispiele, nämlich einer notwendigen Intransigenz inmitten des pastoralen Dialogs. In der zeitgenössischen Rezeption der Pastoralkonstitution wurde aber vor allem die, auch beabsichtigte, Selbstkorrektur (in Darstellung und Methode) der kirchlichen Botschaft bemerkt. Voreilig wurde diese jedoch in manchen Weltgegenden als "grünes Licht" zur modernen Zivilisation, wie sie gegenwärtig gegeben ist, ausgelegt und über die eigentliche Zielsetzung hinaus so interpretiert, als sei auch dem Christen jetzt alles erlaubt, in Lehre und Moral, solange er nur "guten Willens" bleibe.

In der allgemeinen Interpretation blieb hingegen die Sensation unbemerkt, dass das Konzil sich mit Gaudium et spes überhaupt in größter Breite zu 'weltlichen' Themenkomplexen äußert. Somit bleibt der öffentliche Anspruch der Kirche, der vom Papsttum seit jeher, mit großer Deutlichkeit seit 1075 (dictatus papae), dann wieder in der Gegenreformation und vom I. Vatikanum, gelehrt wurde und ununterbrochen erhoben wurde, feierlich bekräftigt. Die eigentliche Bedeutung der Pastoralkonstitution besteht somit bereits in der Tatsache, dass ein Konzil dem kirchlichen Amt die Zuständigkeit für diese Fragen in solcher Vollständigkeit und Reichweite zuschreibt. Das päpstliche Lehramt, zum Teil durch die Bischofssynode gestützt, hat daran seither wiederholt angeknüpft, zuletzt Benedikt XVI. bereits in seiner Antrittsenzyklika (insb. Nr. 26 ff.). Ungeachtet der partiell veralteten Diktion, die vielleicht schon 1965 nicht ganz auf der Höhe der Zeit war, macht die Kirche in Gaudium et spes geltend, dass sie ein Wort für die ganze Welt zu sagen hat, aber auch von der Welt lernen will. Die gegenseitigen Lernfortschritte im Dialog sind sicherlich bereits in Gang gekommen, wenn auch Episkopat und Klerus, vor allem aber Strömungen der modernen Theologie (vgl. Holländischer Katechismus), teilweise zunächst nur das "Startsignal" für ein "Wir auch" wahrzunehmen schienen. Möglicherweise sind längst verdeckt vorhandene Krisenerscheinungem des kirchlichen Amts seit dem Vatikanum I (1869-70) durch das Pastoralkonzil nicht mehr in kurzer Frist zu heilen gewesen. Seine Zielsetzung war aber die Kräftigung der Wirkungsbreite des kirchlichen Auftrags in der Zivilisation der Gegenwart.

Was nun die Welt von "heute" kennzeichnet, an die sich das Konzil wandte, so greift eine Deutung zu kurz, die darin nur die konkrete Nachkriegsepoche seit 1945 sehen will. Sicherlich war teilweise ein Reformstau aufzulösen, auch eine Anpassung notwendig (zur Ökumene, im interreligiösen Dialog, bei ziviler Religionsfreiheit). Doch das "heute" des Konzils meint nicht eine Saison, nicht einmal die Zeit nach der frz. Revolution. Die heutige Zeit zeichnet sich gegenüber allen Zeitaltern dadurch aus, dass die global vereinte Menschheit, die Völkergemeinschaft, sich soweit fortentwickelt hat, dass sie stets von der Vernichtung der gesamten Zivilisation bedroht ist. Der 6. August 1945 ("Hiroshima") bezeichnet somit fast das Datum einer zweiten Ursünde. Nicht mehr nur der einzelnen Mensch ist von Sünde und Tod bedroht, sondern die ganze Menschheit. Diese gänzlich neue Lage hat die Kirche mit einem Kraftakt von beispielloser Stärke beantwortet, mittels einer Hinwendung zur Welt, die einen Dialog vollzieht, um die ganze Menschheit zu Christus zu führen, der ihr einziger Mittler zu Gott ist. Somit stellt nicht zuletzt das Werk des Papstes Johannes Paul II. die fruchtbare Umsetzung des Konzils und insbesondere seines pastoralen Auftrags dar, wie er in Gaudium et spes seinen Ausgangspunkt für die kommenden Jahrhunderte genommen hat.

Kritik

Der Integralismus wie auch, aus nur scheinbar entgegengesetzten Motiven, auch ein verbreiter, diffuser "sozialer Modernismus" (aber nicht zu verwechseln mit dem von naiver Wissenschaftsfrömmigkeit getragenen theologischen Modernismus um 1900), ertragen das Spannungsverhältnis nicht, dass sich aus der Aufgabe ergibt, die das Konzil der Kirche stellte. Zugleich die katholische Identität zu bewahren, die Tradition zukunftsfähig zu machen, aber auch angemessene neue Methoden für einen pastoralen Erfolg zu suchen, das ist eine so anspruchsvolle Arbeit, dass sie mancherorts zu Resignation, Relativismus oder Verbitterung führt.

Der Integralismus, der erst in Folge des Konzils zu einer eigenständigen, lautstarken Bewegung am Rande und außerhalb der Kirche wurde (vgl. Marcel Lefebvre), verknüpft politisch-gesellschaftliche Aussagen, die auf bestimmte Konflikte bezogen waren, mit den zentralen Glaubenswahrheiten der Kirche. Diese Erstarrung eines sich katholisch gerierenden Lebensgefühls, bis in die Ästhetik hinein, hat im Kern das Vertrauen auf die Realpräsenz Christi im konkreten, amtlichen Handeln der Kirche (und auf seine Gegenwart in der amtlichen Liturgie) ebenso verloren wie der subjektivistische Modernismus. Somit ist diese Anschauung, wenn auch im kollektiven Tonfall vorgetragen ("Kirche aller Zeiten"), auch nur eine auf subjektiven Kriterien aufbauende Religionsmeinung, die gerade den öffentlichen Anspruch des Christentums nicht zu erfüllen vermag. Da Gaudium et spes diesen öffentlichen Anspruch unter heutigen Gegebenheiten neu formuliert, ist dieses Dokument (neben der Liturgiekonstitution und der Erklärung zur Religionsfreiheit) das hauptsächliche Ärgernis für die integralistischen Konzilsgegner. Auf dem Konzil selbst hat sich der Integralismus nicht artikuliert, da sämtliche Konzilsväter, insbesondere auch die konservative Minderheit, das katholische Gehorsamprinzip gegenüber Papst und Konzilien nie in Zweifel zogen. Unter vorgeblicher Anknüpfung an ältere Vorbilder wurde diese Religion eines antipäpstlichen Katholizismus "traditioneller Art" (eigentlich eine naturalistische Weltanschauung, die sich das Prädikat "übernatürlich" verleiht) erst nach dem Konzil neu erfunden. Tatsächlich ist dieser neue, absolut falsche Traditionsbegriff die letzte, noch greifbare Erscheinungsform der vom Protestantismus, Liberalismus und Modernismus bereits geforderten Überwindung des kirchlichen Amtes.

Diese Forderung wird von der gesamten Weltöffentlichkeit, fast allen Staaten, Völkern, Religionen und sogar von der Wissenschaft dank des Konzils (das das kirchliche Amt von Begriffen politischer Macht loslöste) nämlich nicht mehr erhoben.