Fin dalla prima nostra (Wortlaut)

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Motu proprio
Fin dalla prima nostra

unseres Heiligen Vaters
Pius X.
an die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe und die anderen Oberhirten,
die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben
über die Grundnormen der Christlichen Volksaktion| (Sozialsyllabus)

18. Dezember 1903
(Offizieller lateinischer Text: ASS XXXVI [1903-1904] 539-545)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Utz + Birgitta Gräfin von Galen, XXIII 12-38, Scientia humana Institut Aachen 1976, Band 3: Nr. XXIII, 12-38, S. 2230-2245; Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung:

Pius X. und die Katholische Aktion

1 Schon in Unserer ersten Enzyklika an den Episkopat der ganzen Welt, in der Wir wiederholten, was Unsere hochgeachteten Vorgänger bezüglich der katholischen Aktion der Laien vorgeschrieben hatten, haben Wir diese Bewegung höchst lobenswert und sogar notwendig in der gegenwärtigen Lage der Kirche und der Staatsgemeinschaft genannt (1). Und Wir können es nicht unterlassen, den Eifer so vieler hervorragender Persönlichkeiten, die sich schon seit langem dieser edlen Aufgabe widmen, und die Begeisterungsfähigkeit einer so erlesenen Jugend, die freudig bereit war, ihren Beitrag dazu zu leisten, öffentlich und vernehmlich zu loben. Der XIX. Katholikenkongress, der kürzlich in Bologna abgehalten wurde und den Wir gefördert und ermutigt haben (2), hat allen die Stärke der Katholischen Kräfte hinlänglich bewiesen und die nützlichen und heilsamen Resultate gezeigt, die aus der Mitte des gläubigen Volkes überall dort erbracht werden, wo diese Aktion gut geleitet und diszipliniert ist und wo Eintracht im Denken, Fühlen und Handeln bei allen, die dabei mitwirken, herrscht,

2 Wir bedauern es jedoch zutiefst, dass gewisse Meinungsverschiedenheiten zu allzu heftigen Polemiken geführt haben, die, wenn sie nicht in angemessener Weise unterdrückt werden, die genannten Kräfte entzweien und ihre Wirkung mindern können. Wir können dazu nicht schweigen, denn Wir haben schon vor dem Kongress vor allem zur Einigkeit und Eintracht gemahnt, damit alles, was die Normen für die Praxis der Katholischen Aktion betrifft, in gemeinsamer Übereinkunft geregelt werden kann. Und da die Meinungsverschiedenheiten im Bereich der Praxis nur allzu leicht auf den theoretischen Bereich übergreifen, in welchem sie notwendigerweise ihren Stützpunkt haben müssen, ist es unerlässlich, die Prinzipien zu festigen, von denen jede Katholische Aktion geprägt sein muss.

Die Quellen und die Formulierung der Normen

3 Leo XIII. seligen Angedenkens, Unser hervorragender Vorgänger, hat die Normen der christlichen Volksaktion in den berühmten Enzykliken Quod Apostolici muneris vom 28, Dezember 1878 (3), Rerum novarum vom 15, Mai 1891 (4) und Graves de communi vom 18. Januar 1901 (5) glänzend umschrieben und darüber hinaus noch in einer besonderen Instruktion, die über die Heilige Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten am 27. Januar 1902 (6) erlassen wurde.

4 Da Wir nicht weniger als Unser Vorgänger die Notwendigkeit erkennen, dass die christliche Volksaktion in richtiger Weise gelenkt und geleitet wird, so wünschen Wir, dass diese klugen Normen genau und vollständig befolgt werden und dass niemand es wagt, auch nur im geringsten davon abzuweichen. - Damit sie leichter lebendig und in der Erinnerung bewahrt werden, haben Wir beschlossen, sie in den nachstehenden Artikeln wie in einem Auszug aus den vorgenannten Dokumenten zusammenzufassen als ein Grundgesetzt der christlichen Volksaktion. Dieses soll die ständige Verhaltensregel für alle Katholiken sein.

Die Grundordnung der Christlichen Volksaktion

Die Struktur der Gesellschaft

5 I. Die menschliche Gesellschaft, wie Gott sie eingerichtet hat, ist aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, so wie der menschliche Körper aus verschiedenen Gliedern besteht; sie alle gleich zu machen, ist unmöglich und würde die Destruktion der Gesellschaft selbst bedeuten (Enzykl. Quod Apostolici muneris).

6 II. Die Gleichheit aller Gesellschaftsglieder besteht einzig darin, dass alle Menschen ihren Ursprung in Gott dem Schöpfer haben, dass sie durch Jesus Christus erlöst sind und genau nach dem Maß ihrer Verdienste und Vergehen von Gott gerichtet und belohnt oder bestraft werden (Enzykl. Quod Apostolici muneris).

7 III. Daher kommt es, dass es den Anordnungen Gottes entspricht, wenn es in der menschlichen Gesellschaft Herrscher und Untertanen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Reiche und Arme, Gelehrte und Unwissende, Adelige und Nichtadelige gibt, die alle, durch das Band der Liebe geeint, einander beistehen, ihr letztes Ziel im Himmel und ihr leibliches und seelisches Wohlergehen hier auf Erden zu erlangen (Enzykl. Quod Apostolici muneris).

Der Mensch und die materiellen Güter

8 IV. Der Mensch hat die Güter dieser Welt nicht nur zum Gebrauch wie die Tiere; er hat das Recht auf ihren dauernden Besitz, und nicht nur bezüglich jener Dinge, die im Gebrauch konsumiert werden, sondern auch bezüglich der dauerhaften (Enzykl. Rerum novarum).

9 V. Das Privateigentum, die Frucht der Arbeit und des Fleißes, oder auch aus Erbe oder Schenkung, ist einwandfrei ein natürliches Recht, und jeder kann in vernünftiger Weise darüber verfugen, wie es ihm gut scheint (Enzykl. Rerum novarum).

Rechte und Pflichten der Reichen und der Armen

10 VI. Um den Streit zwischen Reichen und Besitzlosen beizulegen, muss man vor allem Gerechtigkeit und Liebe unterscheiden. Ein Recht auf Forderung besteht nur dann, wenn die Gerechtigkeit verletzt wurde (Enzykl. Rerum novarum).

11 VII. Die Pflicht der Gerechtigkeit verlangt von den Besitzlosen und Arbeitern: vollständig und gewissenhaft die Leistung zu erbringen, die frei und rechtmäßig vereinbart wurde; dem Arbeitgeber weder in seinen Sachen noch an seiner Person Schaden zuzufügen; bei der Verteidigung der eigenen Rechte jede Gewaltanwendung zu vermeiden, vor allem sie nicht in offene Meuterei ausarten zu lassen (Enzykl. Rerum novarum).

12 VIII. Die Pflicht der Gerechtigkeit verlangt von den Kapitaleigentümern und Arbeitgebern: den Arbeitern den gerechten Lohn zu geben; ihre legitim erworbenen Ersparnisse weder durch Gewalt, noch durch Betrug, noch durch offenen oder versteckten Wucher zu beeinträchtigen; ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen; sie nicht verderblichen Versuchungen und der Gefahr von Skandalen auszusetzen; sie nicht vom Familiengeist und Sparwillen abzubringen; ihnen keine Arbeiten aufzutragen, die in keinem Verhältnis zu ihren Kräften stehen oder ihrem Alter oder ihrem Geschlecht nicht angemessen sind (Enzykl. Rerum novarum).

13 IX. Die Pflicht der Nächstenliebe verlangt von den Reichen und Besitzenden, den Armen und Bedürftigen zu Hilfe zu kommen, gemäß dem Gebot des Evangeliums. Dieses Gebot ist eine so strenge Verpflichtung, dass über seine Erfüllung am Tage des Gerichts in besonderer Weise Rechenschaft abgelegt werden muss, wie Christus selbst gesagt hat (Mt 25) (Enzykl. Rerum novarum).

14 X. Die Armen sollen sich daher ihrer Armut nicht schämen und die Wohltätigkeit der Reichen nicht verachten, sie sollen vor allem den Blick auf Christus, den Erlöser, richten, der, obgleich er in Reichtum hätte geboren werden können, arm sein wollte, um die Armut zu adeln und sie mit unvergleichlichen Verdiensten für den Himmel zu bereichern (Enzykl. Rerum novarum).

Die Ziele der Christlichen Volksaktion

15 XI. Zur Lösung der Arbeiterfrage können die Kapitaleigentümer wie die Arbeiter selbst viel beitragen durch Institutionen, die dazu bestimmt sind, den Bedürftigen die angemessene Hilfe zukommen zu lassen und die beiden Klassen einander näher zu bringen und zu vereinigen. Derartige Institutionen sind die Versicherungsgenossenschaften, die verschiedenen privaten Versicherungen, die Patronate für die Kinder und vor allem die Körperschaften der Handwerker und Gewerbetreibenden (Enzykl. Rerum novarum).

16 XII. Diesem Ziel dient in besonderer Weise die Christliche Volksaktion oder Christliche Demokratie mit ihren zahlreichen und verschiedenartigen Institutionen. Diese Christliche Demokratie muss aber so verstanden werden, wie sie von autorisierter Seite bereits erläutert wurde; sie hat, im Unterschied zur Sozialen Demokratie, zur Basis die Prinzipien der katholischen Religion und Moral, vor allem jenes, unter keinem Vorwand das unverletzliche Recht des Privateigentums anzutasten (Enzykl. Graves de communi).

Die Christliche Volksaktion und die Politik

17 XIII. Im übrigen soll sich die Christliche Demokratie nicht in die Politik einmischen; sie soll nicht irgendwelchen Parteien und politischen Zielen dienen, das ist nicht ihr Aufgabenbereich; sie soll eine wohltätige Aktion zugunsten des Volkes auf der Grundlage des Naturrechts und der Gebote des Evangeliums sein (Enzykl. Graves de communi; Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

18 Die Christlichen Demokraten sollen sich vollständig der politischen Aktion enthalten, die unter den gegebenen Umständen aus Gründen höherer Ordnung jedem Katholiken untersagt ist (Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

Die Struktur der Christlichen Volksaktion

19 XIV. Bei der Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Christliche Demokratie die strenge Pflicht, sich der kirchlichen Autorität unterzuordnen und den Bischöfen und ihren Repräsentanten in allem Ergebenheit und Gehorsam zu erweisen. Es ist kein verdienstvoller Eifer und keine echte Frömmigkeit, Dinge zu unternehmen, die, mögen sie an sich noch so gut und schön sein, nicht vom eigenen Oberhirten gutgeheißen sind (Enzykl. Graves de communi).

20 XV. Damit derartige christlich-demokratische Aktionen in Italien eine einheitliche Ausrichtung erhalten, müssen sie vom Werk der Katholischen Kongresse und Komitees geleitet werden, das sich in so vielen Jahren anerkennenswerter Bemühungen viele Verdienste um die Heiligen Kirche erworben hat und dem Pius IX. und Leo XIII. seligen Angedenkens die Aufgabe anvertraut haben, die ganze katholische Bewegung zu leiten, immer allerdings unter dem Patronat und der Führung der Bischöfe (Enzykl. Graves de communi).

Die Rolle und die Pflichten der katholischen Schriftsteller

21 XVI. Die katholischen Schriftsteller sollen sich in allem, was die Interessen der Religion und das Wirken der Kirche in der Gesellschaft angeht, wie alle übrigen Gläubigen, mit Verstand und Willen ihren Bischöfen und dem Papst in Rom vollständig unterwerfen. Sie sollen sich vor allem davor hüten, in irgendeiner wichtigen Angelegenheit den Entscheidungen des Apostolischen Stuhles zuvorzukommen (Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

22 XVII. Die christlich-demokratischen Journalisten müssen, wie alle katholischen Schriftsteller, alle Schriften, die die Religion, die christliche Moral und die natürliche Ethik betreffen, der vorgängigen Zensur des Ordinarius unterbreiten gemäß ,der Konstitution Officiorum et munerum (Art. 41) (7). Die Kleriker aber müssen gemäß der gleichen Konstitution (Art. 42), auch wenn sie Schriften rein technischen Charakters veröffentlichen wollen, vorher die Genehmigung des Ordinarius einholen (Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

23 XVIII. Sie sollen darüber hinaus jede Anstrengung machen und jedes Opfer bringen, damit unter ihnen Liebe und Eintracht herrschen, und alle Schmähungen und Vorwürfe vermeiden. Wenn ein Grund zu Auseinandersetzungen besteht, sollen sie sich, bevor sie darüber etwas in ihren Zeitungen veröffentlichen, an die kirchliche Autorität. wenden, die nach Gerechtigkeit entscheiden wird. Wenn dieselbe sie zurechtweist, sollen sie ohne Zögern, ohne Ausflüchte und ohne Protest in der Öffentlichkeit gehorchen; doch können sie in angemessener Weise, wo es die Sache erfordert, die höhere Autorität anrufen (Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

24 XIX. Schließlich sollen die katholischen Schriftsteller in der Verteidigung der Sache der Besitzlosen und der Armen es vermeiden, eine Redeweise zu gebrauchen, die im Volke Feindseligkeit gegenüber den oberen Schichten der Gesellschaft hervorrufen kann. Sie sollen nicht von Forderungen und Gerechtigkeit sprechen, wo es sich um reine Nächstenliebe handelt, wie oben dargelegt. Sie mögen bedenken, dass Jesus Christus alle Menschen einen wollte durch das Band gegenseitiger Liebe, das die Vollendung der Gerechtigkeit ist und das die Pflicht einschließt, einander Gutes zu tun (Instruktion der Heiligen Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten).

Schlusswort

25 Die vorerwähnten Grundnormen erneuern Wir aus eigenem Antrieb und in sicherer Kenntnis mit Unserer Apostolischen Autorität in jedem Teil, und Wir ordnen an, dass sie den katholischen Komitees, Zirkeln und Vereinigungen jeder Art und Form übermittelt werden. Alle diese Vereinigungen sollen sie in ihren Amtssitzen anschlagen und sie oft bei ihren Versammlungen lesen. Wir ordnen darüber hinaus an, dass die katholischen Zeitungen sie in vollem Umfang veröffentlichen, dass sie erklären, sie zu befolgen, und dass sie sie tatsächlich auch gewissenhaft befolgen; andernfalls sollen sie ernsthaft gemahnt und, sofern sie der Mahnung nicht Folge leisten, von der kirchlichen Autorität verboten werden.

26 Da aber alle Worte und noch so kraftvollen Aktionen nichts nutzen, wenn nicht das Beispiel ihnen ständig vorangeht, sie begleitet und ihnen nachfolgt, muss es notwendigerweise das hervorstechende Merkmal aller Mitglieder eines jeden katholischen Vereins sein, dass sie durch Heiligkeit des Lebens, Reinheit der Sitten und gewissenhafte Befolgung der Gebote Gottes und der Kirche ihren Glauben offen bezeugen, und zwar, weil es die Pflicht eines jeden Christen ist, und auch "damit der Gegner beschämt werde, wenn er nichts Böses über uns zu sagen weiß" (Tit 11 8).

27 Von dieser Unserer Sorge um das allgemeine Wohl der Katholischen Aktion, besonders in Italien, erhoffen Wir mit dem Segen Gottes gute Früchte in Fülle.

Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 18. Dezember 1903,

im ersten Jahr Unseres Pontifikats.

Pius X. Papst

Anmerkungen

1 Vgl. die erste Enzyklika Pius' X. E supremi apostolatus Cathedra vom 4. Oktober 1903, ASS XXXVI (1903-1904) 129 u. 138.

2 Vgl. a. a. O. 285.

3 ASS XI (1878) 369 ff.

4 ASS XXIII (1890-1891) 641 ff.

5 ASS XXXIII (1900-1901) 385 ff.

6 ASS XXXIV (1901-1902) 401 ff.

7 Vgl. ASS XXIX (1896-1897) 388 ff.