Spiritus Paraclitus (Wortlaut)
Spiritus paraclitus |
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(Quelle: Herder und &. Co. G.m.b.H. Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau 1921, Lateinischer und deutscher Text, Imprimatur Friburgi Brisgoviae, die 28 Iulii 1921 † Carolus, Apps. Die Nummerierung folgt der englischen Fassung [1])
Allgemeiner Hinweis: Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramstexte, dürfen nicht als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der Vatikanseite [2] können als offiziell angesehen werden (Schreiben der Libreria Editrice Vaticana vom 21. Januar 2008).
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Inspiration und Irrtum in der Heilige Schrift
- 3 Die Auslegung der Heiligen Schrift
- 3.1 Innerkatholisches, stolzes Selbstvertrauen auf das eigene Urteil
- 3.2 Außerhalb der Grenzen bewegen sich die Neuerer
- 3.3 Die historische Wahrheit der Heiligen Schrift
- 3.4 Untergrabung der überlieferten katholischen Lehre über die Heiligen Schrift
- 3.5 Eine ungesunde Freiheit der Meinungen
- 3.6 Weitere Vorteile dem großen Lehrer als Führer und Meister zu folgen
- 3.7 Der Stuhl Petri
- 3.8 Weltförmige Neuerungen die Heilige Schrift auszulegen
- 4 Die Kleriker und die Heilige Schrift
- 4.1 Tägliche Lesung des göttlichen Wortes
- 4.2 Aufforderung an die Bischöfe, den Klerikern diese Erklärungen einzupflanzen
- 4.3 Grundlage des Wortsinns
- 4.4 Die Ausleger der Heiligen Schrift und die Prediger
- 4.5 Die süßen Früchte der Betrachtung und des Studiums der Heiligen Schrift
- 4.6 Die Liebe zur Kirche und zu Christus
- 4.7 Nachfolge Christi
- 5 Schluss
- 6 Anmerkungen
Einleitung
Das Jubiläum des Heimganges des heiligen Hieronymus
1 Während der Heilige Geist, der Beistand, das Menschengeschlecht mit den Heiligen Schriften ausstattete, um es in die göttlichen Geheimnisse einzuweihen, hat er auch im Verlauf der Jahrhunderte nicht wenige heilige und gelehrte Männer mit seiner Vorsehung erweckt, welche nicht nur verhüten sollten, dass jener himmlische Schatz ohne Frucht bleibe (1), sondern auch durch ihre Studien und Arbeiten den Christgläubigen den reichsten Trost aus den Schriften verschaffen sollten. Unter diesen nimmt nach dem übereinstimmenden Urteil aller wahrlich den ersten Platz der heilige Hieronymus ein, den die katholische Kirche als den größten, von Gott ihr geschenkten Lehrer zu Auslegung der Heiligen Schrift anerkennt und verehrt. Da wir demnächst die Vollendung des fünfzehnhundertsten Jahres seit dem Tage des Heimganges begehen, möchten Wir, ehrwürdige Brüder, diese einzigartige Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne dass Wir über den Ruhm und die Verdienste des Hieronymus in der biblischen Wissenschaft eigens ein Wort an euch richten. Wir erachten es als eine Pflicht Unseres apostolischen Amtes, dass Wir zur Förderung dieser edlen Wissenschaft das leuchtende Beispiel dieses großen Mannes als Vorbild hinstellen und die Mahnungen und Vorschriften, welche Unser Vorgänger seligen Angedenkens, Leo XIII. und Pius X., in dieser Angelegenheit zu großem Segen aufgestellt haben, mit Unserem apostolischen Ansehen bestätigen und den gegenwärtigen Zeitverhältnissen der Kirche näher anpassen. Denn der heilige Hieronymus, dieser wahrhaft katholische und im heiligen Gesetz reichbewanderte Mann (2), der Lehrmeister der Katholiken (3), zugleich ein Vorbild im Wandel und ein Lehrer der Welt (4), hat die katholische Lehre über die Heilige Schrift wunderbar erklärt und scharf verteidigt und bietet Uns so die zahlreichsten und schwerwiegendsten Gründe dar, die Wir ergreifen müssen, um die Kinder der Kirche, vor allem die Geistlichen, zu jener Ehrerbietigkeit gegen die Heilige Schrift zu ermahnen, welche mit frommer Lesung und anhaltendem Studium sich vereinigt.
Leben und Wirken des größten Auslegers der Heiligen Schrift
2 Ihr wisst, ehrwürdige Brüder, dass der heilige Hieronymus zu Stridon, einem Städtchen, das ehemals an Dalmatien und Pannonien grenzte (5), geboren, von der Wiege auf mit katholischer Milch ernährt wurde (6), und dass er, nachdem er das Kleid Christi bei der heiligen Taufe in dieser heiligen Stadt empfangen hatte (7), während seines ganzen langen Lebens alle seine Kraft in den Dienst der Durchforschung, Auslegung und Sicherung der heiligen Bücher stellte. Zu Rom in lateinischer und griechischer Literatur unterrichtet, hatte er kaum die Schule der Rhetoren durchlaufen, als er, noch im Jünglingsalter stehend, es unternahm, den Propheten Abdias (Obadja) zu erklären. Bei dieser Übung des „jugendlichen Geistes“ (8) wuchs in ihm die Liebe zur Schrift dermaßen, dass er, als hätte er nach dem Gleichnis im Evangelium einen Schatz gefunden, alle Reichtümer dieser Welt (9) dagegen glaubte gering schätzen zu sollen. Daher schreckten ihn keine Härten, die sein Entschluss mit sich brachte, ab; Haus, Eltern, Schwester und Verwandte verließ er, ja selbst auf den gewohnten feineren Tisch leistete er Verzicht und siedelte in die heiligen Gegenden des Orients über, um die Reichtümer Christi und die Weisheit des Erlösers in ausgedehnterem Maße durch Lesung und Studium der Bibel sich zu verschaffen (10). Mehr als einmal beschreibt er selbst, wie viel Schweiß diese Bemühung ihn gekostet hat: „Von außergewöhnlichem Drang wurde ich hingerissen, aber ich enthielt mich von der Vermessenheit gewisser Leute, mich selbst zu belehren. Den Apollinaris von Laodizäa hörte ich zu Antiochia häufig und verehrte ihn, und obgleich er mich in der Heiligen Schrift unterrichtete, nahm ich doch seine strittige Lehre über den Sinn nicht an“ (11)
3 Von dort zog er sich in die abgelegene Gegend von Chalzis im östlichen Syrien zurück, sowohl um den Sinn des göttlichen Wortes vollkommener zu erkennen als auch zugleich, um die Triebe seines damaligen Lebensalters durch nachhaltiges Studium zu bemeistern. Dort schloss er sich an einen aus dem Judentum bekehrten christlichen Mitbruder als Schüler an, um die hebräische und aramäische Sprache zu erlernen. „Welche Mühsal ich dort auf mich genommen, welche Schwierigkeiten ich überstanden habe, wie oft ich hoffnungslos, wie oft ich aufhörte und im Lerneifer wieder begann, davon ist sowohl mein Gewissen Zeuge, der ich das durchmachte, als auch derjenigen, die meine Lebensweise teilten. Und ich danke Gott, dass ich aus dem bitteren Samen der Wissenschaft süße Früchte pflückte.“ (12)
4 Da aber das Gedränge der Häretiker nicht einmal in dieser Einsamkeit ihm Ruhe gönnte, begab er sich nach Konstantinopel, wo er den heiligen Gregor, den Gottesgelehrten, den Bischof jener Stadt, dessen Ruhm als Lehrer in voller Blüte stand, in der Erklärung der Heiligen Schrift fast drei Jahre lang zum Führer und Lehrer hatte; in dieser Zeit übertrug er die Homilien des Origenes zu den Propheten und das Chronikon des Eusebius ins Lateinische und verfasste eine Abhandlung über die Vision des Isaias von den Seraphim. Dringende Bedürfnisse der Kirche führten ihn aber dann nach Rom zurück. Da wurde er von Papst Damasus freundlich aufgenommen und bei der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten beigezogen (13). Diese Aufgaben belasteten ihn sehr schwer; dennoch ließ er unter keinen Umständen davon ab, sowohl die heiligen Bücher zu studieren (14), Kodizes und miteinander zu vergleichen (15), als auch ihm vorgelegte Fragen zu lösen und Schüler beiderlei Geschlechts in der Kenntnis der Bibel einzuführen (16).
5 Das mühevollste Arbeitsgebiet aber, das ihm vom Papste übertragen wurde, war die Verbesserung der lateinischen Übersetzung des Neuen Testamentes. Diese hat er mit soviel Scharfsinn und Genauigkeit durchgeführt, dass gerade die neueren fachmännischen Beurteiler dieses Wissenszweiges das Werk des heiligen Hieronymus täglich mehr bewundern und höher schätzen. Während ihn aber all sein Denken und Sehnen an die heiligen Stätten Palästinas trug, zog Hieronymus sich von Damasus´ Tod nach Bethlehem zurück. Dort gründete er an der Geburtsstätte Christi ein Kloster, weihte sich ganz Gott und verwandte die ganze Zeit, die ihm vom Gebet übrig blieb, auf das Lernen und Lehren über die Heilige Schrift. „Denn ich reiste noch“, wie er von sich selbst bezeugt, „obwohl schon die grauen Haare über mein Haupt sich streuten und eher zum Lehrer als zum Schüler passten, doch noch nach Alexandrien und hörte den Didymus. Für vieles bin ich ihm dankbar. Ich lernte, was ich noch nicht wusste; was ich wusste, habe ich nicht verloren, auch wo jener eine abweichende Lehre vortrug. Die Leute glaubten, ich sei endlich mit dem Lernen am Ende; ich aber hatte wiederum in Jerusalem und Jericho, und zwar mit welcher Mühe und um welchen Preis, den Baraninas (17) nächtlicherweise als Lehrer bei mir. Denn er fürchtete sich vor den Juden und zeigte sich mir wie ein zweiter Nikodemus.“
6 Aber auch mit dem Unterricht und den Unterweisungen dieser und anderer Lehrer ließ er sich nicht begnügen, sondern benutzte außerdem alle Hilfsmittel, welche zum Fortschritt nützlich waren. Nicht nur, dass er von Anfang an die besten Kodizes und Erklärungen der Heiligen Schrift sich verschafft hatte, auch die Bücher er Synagogen und die Schriftwerke der Bibliothek zu Cäsarea, welche Origenes und Eusebius gesammelt hatten, durchging er, um durch Vergleichung der Kodizes derselben mit den seinigen die echte Gestalt des biblischen Wortlautes und den wahren Sinn feststellen. Diesen vollständiger zu gewinnen, durchwanderte er Palästina in seiner ganzen Ausdehnung, da er fest davon überzeugt war, was er an Domino und Rogatianus schrieb: „In die Heilige Schrift wird klareren Einblick gewinnen, wer Judäa mit eigenen Augen gesehen hat und die Berichte der alten Städte und die alten Namen der Orte oder die abgeänderten kennen gelernt hat. Daher war es auch meine Sorge, dass ich mit gut gebildeten Hebräern mich der Mühe unterzog, das Land zu bereisen, dessen Name durch alle Kirchen Christi hallt.“ (18)
7 Hieronymus nährte daher mit jener lieblichen Speise die Seele ohne Unterlass, erklärte die Briefe Pauli, verbesserte die lateinischen Kodizes des Alten Testamentes nach dem griechischen Wortlaut, übersetzte fast alle Bücher aus dem hebräischen Text in die lateinische Sprache, täglich erörterte er vor den versammelten Mitbrüdern die heiligen Schriften, beantwortete die Briefe, welche von allen Seiten mit Anfragen über die Schrift bei ihm eintrafen, wies scharf die Kämpfer der katholischen Einheit und Lehre zurück, und – solche Gewalt hatte die Liebe zur Bibel über ihn – ließ vom Schreiben und Diktieren nicht eher ab, als bis seine Hände erstarrten und der Tod seine Stimme verstummen machte. So sparte er keine Mühe, weder Nachtwachen noch Kosten, und fuhr bis zum höchsten Greisenalter fort, im Gesetze des Herrn Tag und Nacht bei der Krippe zu betrachten. So ergoss er aus jener Einsamkeit auf die katholische Sache durch das Beispiel seines Lebens und seine Schriften größeren Segen, als wenn er zu Rom, in der Hauptstadt des Erdkreises, sein Leben verbracht hätte.
Inspiration und Irrtum in der Heilige Schrift
Gott als oberster Urheber des gesamten Sinnes und aller Urteile der Heiligen Schrift
8 Nachdem wir Leben und Wirken des Hieronymus knapp berührt haben, ehrwürdige Brüder, wollen wir zur Betrachtung seiner Lehre über die Würde und absolute Wahrheit der Heiligen Schrift gelangen. In dieser Sache wirst du fürwahr in den Schriften des größten Lehrers keine Seite finden, aus welcher nicht erhellte, dass er mit der gesamten katholischen Kirche fest und beständig an der Lehre hielt, dass die heiligen Bücher unter Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben sind, Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche selbst übergeben worden sind (19). Ja, er versichert, dass die Bücher der Heiligen Schrift unter Eingebung, Darbietung oder Einprägung oder auch unter dem Vortrag des Heiligen Geistes verfasst worden, ja sogar von ihm geschrieben und herausgegeben worden sind. Aber er zweifelt daneben keineswegs daran, dass die einzelnen Schriftsteller derselben, jeder nach seiner Naturanlage und Geistesart, der Einsprechung Gottes frei gedient haben, denn er betont nicht bloß allgemein, was allen heiligen Schriftstellern gemeinsam ist, dass sie beim Schreiben dem Geist Gottes folgten, so dass Gott als oberster Urheber des gesamten Sinnes und aller Urteile der Heiligen Schrift anzusehen ist, sondern er unterscheidet auch genau, was einem jedem Schriftsteller eigentümlich ist. Denn er zeigt im einzelnen, wie ein jeder in der Anordnung des Stoffes, in der Sprache, in der Art und Weise, sich auszudrücken, seine eigenen Anlagen und Kräfte anwendet, so zwar, dass er einer jeden Eigenart und sozusagen die einzelnen Merkmale und Umrisse insbesondere bei den Propheten und beim Apostel Paulus zusammengefasst herausstellt. Diese Arbeitsgemeinschaft Gottes mit den Menschen zur Herstellung eines und desselben Werkes erläutert Hieronymus durch den Vergleich mit dem Künstler, der zur Fertigstellung einer Sache sich eines Gerätes oder Werkzeugs bedient. Alles, was die heiligen Schriftsteller aussprechen, sind Worte des Herrn, nicht ihre eigenen, und was er durch ihren Mund sagt, das hat der Herr gleichsam durch ein Werkzeug gesprochen.“ (20)
Die Einwirkung Gottes auf den heiligen Schriftsteller
9 Wenn wir weiter untersuchen, wie diese Tat Gottes als der Hauptursache und seine Einwirkung auf den heiligen Schriftsteller zu verstehen sei, so dürfen wir erkennen, dass zwischen den Worten des heiligen Hieronymus und der gewöhnlichen Lehre der Kirche über die Eingebung (der heiligen Schrift durch den Heiligen Geist) gar kein Unterschied besteht, da er festhält, dass Gott durch Verleihung seiner Gnade dem Geiste des Schriftstellers die Erleuchtung darbiete, um an der Stelle Gottes die Wahrheit, um die es sich handelt, dem Volke vorzulegen; dass er außerdem den Willen bewege und zum Schreiben antreibe und ihm endlich in außerordentlicher und dauernder Weise zur Seite stehe, bis er das buch vollendet hat. Von diesem Standpunkt aus hauptsächlich leitet der heilige Mann die höchste Wertfülle und Würde der Schrift ab, deren Wissenschaft er einem kostbaren Schatze (21) und einer edlen Perle (22) vergleicht, und er erklärt, dass man in ihnen die Reichtümer Christi (23) und das Silber, womit das Haus Gottes geschmückt wird (24), finde.
Irrtümer
10 Das alles überragende Ansehen derselben hielt er durch Wort und Beispiel derart hoch, dass er bei jeder Streitfrage, die auftauchte, zur Bibel als stets vollgültiger Waffenkammer seine Zuflucht nahm und die von dort erhobenen Zeugnisse als sicherste Beweisgründe, gegen die ein Aufkommen ausgeschlossen sei, verwandte, um die Irrtümer der Gegner zu widerlegen. So (schrieb) er gegen Helvidius, der die immerwährende Jungfrauschaft der Gottesmutter leugnete, klar und einfach: „Wie wir das, was geschrieben steht, nicht leugnen, so weisen wir das zurück, was nicht geschrieben steht. Wir glauben, dass Gott von der Jungfrau geboren wurde, weil wir es lesen. Dass Maria nach der Geburt (Jesu) die Ehe vollzogen habe, glauben wir nicht, weil wir es nicht lesen.“ (25)
11 Er gelobt, mit den gleichen Waffen gegen Jovinian für die katholische Lehre über den jungfräulichen Stand, die Beharrlichkeit, die Enthaltsamkeit und die Verdienstlichkeit der guten Werke aufs schärfste zu kämpfen: „Gegen seine einzelnen Aufstellungen werde ich mich zumeist mit Zeugnissen der Schrift erheben, damit der Beschwerdesüchtige nicht das Gerede aufbringen kann, er sei mehr durch die Beredsamkeit als durch die Kraft der Wahrheit überwunden worden.“ (26)
12 Und bei der Verteidigung seiner Bücher gegen denselben Häretiker schreibt er, „gleichsam als ob er anzugehen gewesen wäre, mir zu weichen, und nicht widerwillig und sich sträubend in die Bande der Wahrheit zu führen gewesen“ (27). Von der gesamten Heiligen Schrift sagt er im Kommentar zu Jeremias, an dessen Vollendung ihn der Tod hinderte: „Nicht dem Irrtum der Eltern und Vorfahren müssen wir folgen, sondern dem Ansehen der Heiligen Schrift und dem Befehl des lehrenden Gottes.“ (28) Weg und Art, gegen die Feinde zu kämpfen, lehrt er Fabiola so: „Wenn du in der Heiligen Schrift unterrichtet bist und ihre Gesetze und Zeugnisse als den Anschluss an die Wahrheit erkannt hast, dann wirst du mit den Gegnern kämpfen, wirst sie fesseln und gebunden in die Gefangenschaft führen, und aus den ehemaligen Feinden und Gefangenen wirst du Freie Gottes machen.“ (29)
Freiheit von Irrtum in der Heiligen Schrift
13 Mit der göttlichen Eingebung der heiligen Bücher und ihrem höchsten Ansehen lehrt Hieronymus weiter auch deren Unversehrtheit und Freiheit von jedem Irrtum und jeder Täuschung als notwendige Folge, also so, wie er es als Überlieferung der Väter und allgemeinen Glauben in den berühmtesten Schulen des Morgen- und Abendlandes gelernt hatte. Und wirklich, als nach Beginn der ihm von Papst Damasus übertragenen Verbesserung des Neuen Testamentes einige Kleingeister ihn geflissentlich mit Vorwürfen überhäuften, weil er entgegen dem Ansehen der Vorfahren und der Meinung der ganzen Welt in den Evangelien etwas zu verbessern gesucht hätte, da antwortete er kurz, er sei nicht so stumpfsinnig und nicht so ganz ungebildet gewesen, dass er geglaubt hätte, dass an den Worten des Herrn etwas zu verbessern oder nicht von Gott eingegeben gewesen sei (30). Indem er aber die erste Vision des Ezechiel von den vier Evangelien auslegte, bemerkt er: „Dass der ganze Leib und auch der Rücken voll Augen war, das wird derjenige für gut heißen, der erkannt hat, dass in den Evangelien nichts ist, was nicht leuchtet und mit seinem Glanze die Welt erhellt, so dass selbst das, was klein und unbedeutend scheint, von der Hoheit des Heiligen Geistes umstrahlt ist.“ (31)
14 Und was er dort von den Evangelien behauptet, das bekennt er von allen andern Worten des Herrn in seinen Kommentaren als Grundgesetz der katholischen Auslegung. An diesem Merkmal der Wahrheit wird gerade nach dem Mahnwort des Hieronymus der echte Prophet vom falschen unterschieden (32). Denn „die Worte des Herrn sind wahr, sein Reden ist Tat“ (33). Daher „kann die Schrift nicht lügen“ (34), und es ist Sünde, zu sagen, dass die Schrift lüge“ (35), ja dass sie nur einen Irrtum in der Benennung in ihren Worten zulasse (36). Der heilige Lehrer fügt überdies bei: Die Apostel verhielten sich anders als die übrigen Schriftsteller, nämlich die profanen; jene sagten immer nur Wahrheit, diese würden als Menschen in gewissen Dingen irren (37); und möge vieles, was in der Schrift gesagt wird, unglaublich scheinen, es sei dennoch wahr (38); in diesem Wort der Wahrheit könnten keine Berichte, keine Urteile vorkommen, die Miteinander in Widerspruch (39) ständen, nichts Zwiespältiges, nichts Abweichendes. Daher sei, was in der heiligen Schrift gegensätzlich scheine, beides wahr, obwohl es verschiedenartig sei (40).
15 Da er diesem Grundsatz mutig treu blieb, wandte Hieronymus, wenn in der Heiligen Schrift etwas mit anderem nicht zu stimmen schien, alle Sorgfalt und Überlegung an, um die Frage zu enträtseln; wenn er die Sache nicht für genügend gelöst betrachtete, stellte er über dieselbe, wo sich Gelegenheit bot, wiederholt Untersuchungen an, bisweilen mit nicht gerade glücklichem Ausgang. Niemals jedoch beschuldigt er die heiligen Schriftsteller auch nur der geringsten Täuschung, „das freilich ist die Art der Gottlosen, des Celsus, Porphyrius, des Julianus“ (41). Hierin stimmt er völlig mit Augustinus überein. Dieser schrieb gerade an Hieronymus, dass er allein den heiligen Büchern diese Ehrfurcht und Achtung zolle, fest zu glauben, dass keinem ihrer Verfasser beim Schreiben irgendein Fehler eingeflossen sei; wenn daher er in diesen Schriften auf etwas stoße, was der Wahrheit zu widersprechen scheine, dann vermute er nicht dies, sondern dass entweder der Kodex fehlerhaft sei, oder dass der Übersetzer geirrt habe, oder dass er selbst die Sache nicht richtig verstehe. Dem fügt er das Folgende bei: „Ich glaube, dass auch Du, mein Mitbruder, nicht anders urteilst. Ich glaube durchaus nicht, dass Du Deine Bücher, sage ich, so gelesen sehen willst wie die der Propheten und der Apostel, bezüglich deren Schriften es frevelhaft wäre, zu zweifeln, dass sie von jedem Irrtum frei sind.“ (42)
16 Durch diese Lehre des Hieronymus werden die Worte Unseres hochseligen Vorgängers Leo XIII. vortrefflich bekräftigt und beleuchtet, durch welche er den alten und beständigen Glauben der Kirche von der vollkommenen Freiheit der Heiligen Schrift von allen Irrtümern feierlich erklärt hat. „Die göttliche Eingebung ist von der Möglichkeit, dass in sie ein Irrtum sich einschleiche, so weit entfernt, dass sie nicht nur an sich jeden Irrtum ausschließt, sondern ihn mit solcher Notwendigkeit völlig ausschließt, als es nötig ist, dass Gott, die höchste Wahrheit, der Urheber keines Irrtums sein kann.“ (43)
17 Mit Berufung auf die Erklärungen der Konzilien von Florenz und Trient, die auf der Kirchenversammlung vom Vatikan bekräftigt wurden, bemerkt er außerdem folgendes: „Daher ist es ganz ohne Bedeutung, dass der Heilige Geist Menschen gleichsam als Werkzeuge zum Schreiben beigezogen hat, wie wenn zwar nicht von dem ersten Urheber, wohl aber von den gotterleuchteten Schriftstellern etwas Irrtümliches hätte ausgehen können. Denn durch übernatürliche Kraft hat er sie so zum Schreiben angeregt und bewegt und ist ihnen beim Schreiben so beigestanden, dass sie alles das und nur das, was er aufgab, sowohl im Geiste richtig erfassten und treu niederschreiben wollten und passend mit unfehlbarer Richtigkeit ausdrückten; andernfalls wäre nicht er selber der Urheber der gesamten Heiligen Schrift.“ (44)
Die Auslegung der Heiligen Schrift
Innerkatholisches, stolzes Selbstvertrauen auf das eigene Urteil
18 Es ist zu beklagen, ehrwürdige Brüder, dass obwohl diese Worte Unseres Vorgängers keinen Raum für Zweifel und Ausflüchte lassen, doch nicht nur Außenstehende, sondern auch Angehörige der katholischen Kirche, ja, was uns noch schwerere Seelennot zufügt, selbst geistliche und Professoren der theologischen Wissenschaften sich gefunden haben, welche im stolzen Selbstvertrauen auf das eigene Urteil das Lehramt der Kirche auf diesem Gebiete entweder offen abgelehnt oder heimlich bekämpft haben. Gewiss heißen Wir den Entschluss jener für gut, welche um sich und andern aus den Schwierigkeiten, die das heilige Buch darbietet, herauszuhelfen, zu deren Entkräftung voll Vertrauen auf alle Hilfsmittel des Studiums und der Kritik neue Wege und Gründe zu finden suchen; sie werden jedoch bedauerlich vom Ziele abirren, wenn sie die Vorschriften Unseres Vorgängers vernachlässigen und gewisse Grenzen und die von den Vätern aufgestellten Schranken überschreiten.
Außerhalb der Grenzen bewegen sich die Neuerer
19 Innerhalb dieser Vorschriften und Grenzen bewegt sich keineswegs mehr die Meinung jener Neuerer, welche einen Unterschied zwischen einem der Heiligen Schrift in erster Linie zugehörigen Inhaltsteil oder dem religiösen und einer ihr in zweiter Linie zugehörigen oder profanen Teil machen und die göttliche Eingebung auf alle Aussagen der Heiligen Schrift, selbst auf die einzelnen Worte der Bibel sich beziehen lassen wollen, oder deren Wirkung und vor allem die Freiheit vom Irrtum und die vollkommene Wahrheit bloß auf den in erster Linie zugehörigen Teil, den religiösen, beschränken und einengen. Sie hegen die Meinung, dass nur das allein, was auf die Religion Bezug habe, von Gott in der Heiligen Schrift beabsichtigt und gelehrt werde; das übrige aber, was der weltlichen Wissenschaft zugehöre und der Offenbarungslehre nur wie ein äußeres Gewand diene, nur zugelassen werde und der Schwachheit des Schriftstellers unterworfen bleibe. Daher sei es kein Wunder, wenn man im physischen, geschichtlichen und ähnlichen Dingen in der Bibel auf recht vieles stoße, was mit dem Fortschritt unserer Zeit in den Wissenschaften durchaus nicht vereinbart werden könne.
20 Manche behaupten, dass diese so aufgebrachten Meinungen mit den Vorschriften Unseres Vorgängers nicht in Widerspruch ständen, da dieser erklärt habe, der heilige Schriftsteller rede in natürlichen Dingen nach dem äußeren Schein, der ja täuschen könne. Wie gewagt, ja wie falsch diese Behauptung ist, geht klar aus den Worten des Papstes selbst hervor. Denn vom äußeren Schein der Dinge, dem nach dem Vorbild Augustins und Thomas´ von Aquin Leo XIII. mit größter Weisheit Rechnung zu tragen anwies, wird der Heiligen Schrift keinerlei Makel des Irrtums angetan, da ja der Sinn bei Erkenntnis jener Dinge, deren Erfassung ihm eigentümlich ist, keineswegs sich täuscht, das ist ein Lehrsatz der gesunden Philosophie.
21 Außerdem hat Unser Vorgänger jede Unterscheidung zwischen Dingen, die in erster Linie, und solchen, die in zweiter Linie, wie sie sagen, zur Heiligen Schrift gehören, abgewiesen, jede Zweideutigkeit ausgeschlossen und gehörig gezeigt, dass die Meinung jener, welche glauben, „wenn es sich um die Wahrheit von Aussagen handelt, sei nicht so sehr zu untersuchen, was Gott gesagt hat, dass nicht eher abgewogen werde, aus welchem Grunde er es gesagt hat“, von der Wahrheit sich aufs weiteste entferne. Er lehrt, dass die göttliche Eingebung auf alle Teile der Bibel ohne Ausnahme und ohne Unterschied sich erstrecke und kein Irrtum dieses von Gott eingegebenen Wortlautes vorkommen könne. „Unrecht wird es in jedem Falle sein, die göttliche Eingebung nur auf einzelne Teile der Heiligen Schrift zu beschränken und zuzugeben, dass der heilige Verfasser selbst geirrt habe.“
Die historische Wahrheit der Heiligen Schrift
22 Nicht weniger weichen diejenigen von der Lehre der Kirche ab, die durch das Zeugnis der Hieronymus und der anderen Väter bestätigt ist, ab, welche glauben, dass die historischen Teil der Heiligen Schrift nicht auf vollkommener Wahrheit beruhen, sondern nur auf einer beziehungsweisen (relativen), wie sie dieselbe nennen, und mit dem Volksglauben übereinstimmenden. Sie scheuen sich nicht, das gerade aus den Worten des Papstes Leo erheben zu wollen, weil er gesagt hat, dass die Grundssätze über die Beschreibung der Naturdinge auf die geschichtlichen Disziplinen übertragen werden können. Daher behaupten sie, dass die heiligen Schriftsteller, wie sie im Gebiet der Natur nach dem Augenscheine sich ausgesprochen hätten, so hätten sie die Geschehnisse ohne eigene Kunde erzählt, so wie sie nach allgemeinem Volksglauben oder falschen Zeugnissen anderer festzustehen schienen, und hätten weder die Quellen ihrer Wissenschaft angegeben noch die Erzählungen der andern zu den ihrigen gemacht. Warum sollten Wir eine gegen Unsern Vorgänger ganz ungerechte, falsche und irrtumsvolle Annahme weitläufig widerlegen? Wo ist denn die Ähnlichkeit der Naturdinge mit der Geschichte, wenn die Physik sich mit dem befasst, was sinnlich erscheint und daher mit den Erscheinungen übereinstimmen muss, während im Gegensatz das oberste Gesetz der Geschichte das ist, dass die Beschreibungen mit den Tatsachen, so wie sie sich wirklich zugetragen haben, übereinstimmen müssen? Würde man einmal die Meinung dieser annehmen, wie stände dann, noch von allem Falschen frei, jene Wahrheit der heiligen Erzählung unerschütterlich fest, von der Unser Vorgänger im ganzen Fortlauf des Wortlautes seines Rundschreibens erklärt, dass sie festgehalten werden müsse?
23 Wenn er feststellt, dass auf die Geschichte und die verwandten Wissenschaften die gleichen Grundsätze mit Nutzen übertragen werden können, welche in den naturwissenschaftlichen Dingen statthaft sind, so hat er das nicht allgemein festgestellt, sondern gibt nur dazu Veranlassung, dass wir mit ähnlichem Verfahren an die Widerlegung der Täuschungen unserer Gegner uns machen und an die Verteidigung der geschichtlichen Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift gegen die Angriffe derselben.
24 Möchten nur die Freunde der Neuerungen hierbei Halt machen; aber diese gehen soweit, dass sie den Gelehrten von Stridon zur Verteidigung ihres Standpunktes anrufen, als hätte er die Ansicht vertreten, dass die geschichtliche Zuverlässigkeit und Anordnung in der Bibel nicht gemäß dem gewahrt würde, was war, sondern gemäß dem, was zu jener Zeit geglaubt wurde, und als hätte er das für das eigentliche Gesetz der Geschichte hingestellt (45). Man muss sich wundern, bis zu welchem Grade sie die Worte des Hieronymus zugunsten ihrer Aufstellungen verdrehen. Denn wer sollte nicht sehen, dass Hieronymus das lehrt, dass der heilige Schriftsteller sich nicht beim Bericht über die Geschehnisse als der Wahrheit unkundig einer falschen Volksmeinung anpasse, sondern bei Bezeichnung der Personen und Sache die die gemeinübliche Art sich auszudrücken befolge? Wie, wenn er den heiligen Joseph Vater Jesu nennt und den Sinn, den er mit dem Namen Vater verbindet, selbst im ganzen Verlauf der Erzählung nicht unklar zu erkennen gibt. Dies ist nach dem Geist des Hieronymus das wahre Gesetz der Geschichte, dass der Schriftsteller, wenn es sich um solche Benennungen handelt, unter Beseitigung jeder Gefahr des Irrtums die gewohnte Art des Irrtums, sich auszudrücken, einhalte, weil der Gebrauch Richtschnur und Regel des Ausdruckes ist. Wie, wenn unser Gewährsmann die Dinge, welche die Bibel als Geschehnisse erzählt, gleichwie die heilsnotwendigem Glauben anzunehmenden Lehren zu glauben verlangt? Und wirklich schreibt er im Kommentar zum Brief an Philemon das Folgende: „Was ich aber sage, ist dies: Es glaubt jemand an Gott, den Schöpfer; er kann nicht glauben, wenn er nicht zuvor geglaubt hat, das das wahr ist, was über seine Heiligen geschrieben ist.“ Er führt dann möglichst viele Beispiele aus dem Alten Testamente an und schließt so: „Wenn jemand dies und das übrige, was über die Heiligen geschrieben ist, nicht glaubt, so kann er an den Gott der Heiligen nicht glauben.“ (46)
25 Hieronymus bekennt also überhaupt ganz dasselbe, was Augustinus, das Verständnis des ganzen christlichen Altertums zusammenfassend, schrieb: Was die Heilige Schrift von Henoch, Elias und Moses mit den sicheren und starken Beweisgründen ihres Glaubens zu höchster Stelle des Ansehens erhoben bezeugt, das glauben wir ... Wir glauben also nicht deshalb an die Geburt aus der Jungfrau Maria, weil (Christus) anders nicht im wahren Fleische sein und den Menschen erscheinen konnte (wie Faustus wollte), sondern weil es in der Schrift geschrieben steht, und wir weder Christen sein noch das Heil erlangen könnten, wenn wir ihr nicht glaubten (47).
Untergrabung der überlieferten katholischen Lehre über die Heiligen Schrift
26 Der Heiligen Schrift fehlt es nicht an andern, die sie herabsetzen. Wir verstehen darunter jene, welche zwar innerhalb bestimmter Grenzen richtige Grundsätze so missbrauchen, dass sie die Grundlage der Wahrheit der Bibel erschüttern, die von den Vätern gemeinsam überlieferte katholische Lehre untergraben. Wenn Hieronymus noch lebte, so würde er sie mit jenem allerdings recht scharfen Geschosse seiner Beredsamkeit überschütten, weil sie mit Hintansetzung des Geistes und des Urteils der Kirche zu den sogenannten einschlussweisen Zitationen oder zu den Erzählungen, die nur dem Scheine nach geschichtlich sind, ihre Zuflucht nehmen, oder weil sie in den heiligen Büchern gewisse schriftstellerische Kunstformen des Schrifttums zu finden suchen, mit denen die Wahrheit des göttlichen Wortes sich nicht restlos und vollkommen vereinigen lässt, oder über den Ursprung der biblischen Bücher Meinungen aufstellen, dass deren Ansehen schwankt oder gänzlich untergeht.
27 Was soll man doch nur von jenen halten, die bei Erklärung der Evangelien schon die menschliche Glaubwürdigkeit herabdrücken, die ihnen zukommt, die göttliche zerstören? Denn was Jesus Christus gesprochen und getan hat, das, meinen sie, sei nicht unverderbt und unverändert auf uns gekommen durch das Zeugnis derer, welche selbst Augen- und Ohrenzeugen waren es gewissenhaft beschrieben haben; sondern, zumal soweit es sich um das vierte Evangelium handelt, sei es zum Teil nur aus den Evangelisten hervorgegangen, welche vieles selbst ausgedacht und hinzugefügt hätten, teils sei es aus der Erzählung der Gläubigen einer anderen Zeit zusammengetragen. Daher seien aus zwei Quellen die Wasser in ein Bett zusammengeflossen und in ihm so enthalten, dass sie heute an keinem sichern Merkmal mehr zu unterscheiden sein. Hieronymus, Augustinus und die andern Lehrer der Kirche, haben die geschichtliche Zuverlässigkeit der Evangelien nicht so verstanden, von der jener, „der Augenzeuge war, Zeugnis abgelegt hat, und sein Zeugnis ist wahr. Und jener weiß, dass er Wahres berichtet, dass auch ihr glaubt“ (48). Nachdem Hieronymus die Häretiker, welche apokryphe Evangelien zusammengeschmiedet hatten, dafür getadelt hatte, dass sie es gewagt hatten, „mehr eine Erzählung zuzurichten als die geschichtliche Wahrheit darzulegen“ (49), schreibt er insbesondere wenigstens über die kanonischen Schriften im Gegensatz zu jenen: „Niemand zweifelt, dass geschehen sei, was geschrieben worden ist“ (50), immer wieder Augustinus beipflichtend, der von den Evangelien vortrefflich sagt: „Das ist wahr und über jenen treu und wahrhaft geschrieben, so dass jeder, der seinem Evangelium glaubt, von der Wahrheit unterrichtet, nicht von Lügen getäuscht wird.“ (51)
28 Ihr seht nun, ehrwürdige Brüder, wie sehr ihr danach streben müsst, dass die ungesunde Freiheit der Meinungen, welche die Väter aufs sorgsamste geflohen haben, auch heute die Kinder der Kirche mit nicht geringer Achtsamkeit meiden. Das werdet ihr umso leichter erreichen, wenn ihr die Geistlichen und Laien, die euch der Heilige Geist zur Leitung unterstellt hat, davon überzeugt, dass Hieronymus und die anderen Kirchenväter diese Lehre von der Heiligen Schrift nirgendwo anders als in der Schule des göttlichen Meisters Jesus Christus gelernt haben. Denn was lesen wir anders von der Gesinnung des Herrn über die heilige Schrift? Unter seinen Worten bildet das „Es ist geschrieben“ und das „Es muss die Schrift erfüllt werden“ schon einen über jeden Einwand erhabenen Beweis, der allen Streitigkeiten ein Ende macht.
Eine ungesunde Freiheit der Meinungen
29 Doch wir wollen bei dem Gegenstande einen Augenblick verweilen. Wer wüsste nicht oder hätte es vergessen, dass der Herr Jesus in den Reden an das Volk, sowohl am See Genezareth als in der Synagoge zu Nazareth und in der Stadt Kapharnaum, die Lehrstücke und die Beweisgründe für sie aus der heiligen Schrift nahm? Nahm er nicht im Streit mit den Pharisäern und Sadduzäern ebenfalls von dort her seine unbesiegten Waffen? Mochte er lehren oder Auseinandersetzungen halten, nahm er aus jedem beliebigen Teil der Schrift Lehrsprüche und Beispiele und führt sie als solche an, denen man notwendig glauben muss; hierbei beruft er sich, ohne Unterschiede zu machen, auf Jonas, die Niniviten, die Könige von Saba und Salomon, auf Elias und Elisäus, auf David, Noach, Lot und die Sodomiten und selbst auf die Frau des Lot (52). Für die Wahrheit der Heiligen Schrift legt er aber so nachdrücklich Zeugnis ab, dass er feierlich erklärt: „Kein Jota und kein Strichelchen vom Gesetz wird vergehen, bis alles geschieht“ (53), und: „Es kann die Schrift nicht aufgelöst werden“ (54), deshalb: „Wer eines von den kleinsten Geboten hier aufhebt und die Menschen so belehrt, der wird der geringste im Himmelreich genannt werden.“ (55) Damit die Apostel diese Lehre völlig in sich aufnehmen, „eröffnete“ er ihnen, die er bald auf Erden zurücklassen wollte, bevor er zum Vater im Himmel aufstieg, „den Sinn (derselben), damit sie die Schrift verständen, und sagte zu ihnen: So steht geschrieben, und so musste Christus leiden und am dritten Tage auferstehen.“ (56)
30 Die Lehre des Hieronymus über den Wert und die Wahrheit der Heiligen Schrift ist also, um es mit einem Worte zu sagen, die Lehre Christi. Daher ermahnen wir alle Kinder der Kirche, insbesondere aber diejenigen, welche den geistlichen Nachwuchs in diesem Willenszweig ausbilden, nachdrücklich, dass sie die Wege des Lehrers von Stridon standhaften Geistes einhalten, dann werden sie ohne Zweifel diesen Schatz der heiligen Schrift selbst so hoch ehren, wie jener ihn gestellt hat, und aus seinem Besitz die erfreulichsten Früchte des Heiles gewinnen.
Weitere Vorteile dem großen Lehrer als Führer und Meister zu folgen
31 Denn dass wir dem großen Lehrer als Führer und Meister folgen, das bringt nicht nur die obenerwähnten Vorteile, sondern dazu noch weitere, und zwar weder wenige noch unerhebliche. Wir möchten dieselben mit euch, ehrwürdige Brüder, kurz durchgehen. Da steht vor Unserem geistigen Auge, um mit dem Vorhaben zu beginnen, vor allem jene glühende Liebe zur Heiligen Schrift, die Hieronymus das ganze Leben hindurch durch sein Beispiel und mit dem Geiste Gottes erfüllten Worten gezeigt und in den Herzen der Gläubigen täglich mehr zu entfachen gesucht hat. „Liebe die Heilige Schrift“, so mahnt er in der Jungfrau Demestrias ersichtlich alle, „und die Weisheit wird dich lieben; liebe sie, und sie behütet dich; ehre sie, und sie umfängt dich. Dieses Geschmeide möge dir am Herzen und Ohr haften.“ (57)
32 Wirklich hatte er durch die fortdauernde Lesung der Schrift und die Erforschung der Lehrsprüche und Worte eine solche Vertrautheit mit dem heiligen Buch erlangt wie kein anderer Schriftsteller im kirchlichen Altertum. Diesem biblischen Wissen, verbunden mit feinem Urteil, ist es zu verdanken, dass die von unserem Lehrer hergestellte Übersetzung der Vulgata nach dem Urteil aller unvoreingenommenen Richter alle andern alten Übersetzungen bei weitem überragt, da sie sichtlich den Urtyp sorgfältiger und eleganter wiedergibt. Die Vulgata selbst aber, welche das Konzil von Trient für authentisch erklärt und beim Lehren und beten anzuwenden vorschreibt, wünschen Wir herzlich, wenn Uns Gott in seiner Güte den Genuss dieses Lichtes so lange gewährt, auf Grund der Handschriften verbessert und wiederhergestellt zu sehen. Wir zweifeln nicht, dass aus diesem schwierigen und mühreichen Werk, das von Unserem hochseligen Vorgänger Pius X. den Mitgliedern des Benediktinerordens weise übertragen worden ist, für das Verständnis der Heiligen Schrift neue Sicherungen sich ergeben.
33 Die Liebe zur Heiligen Schrift zeigt sich besonders auch in den Briefen des heiligen Hieronymus so augenfällig, dass dieselben wie Gewebe aus den göttlichen Worten selbst erscheine; und wie für den heiligen Bernhard nichts Wohlgeschmack besaß, was dem süßen Namen Jesu fern war, so hatte unser Gewährsmann an keinen Schriften Freude, welche des Lichtes der Heiligen Schrift entbehrten. Daher schrieb er an den heiligen Paulinus, einen Mann von einst senatorischen Rang und konsularischer Würde, der sich nicht lange vorher zum christlichen Glauben bekehrt hatte, das Folgende ganz offen: „Hättest Du diese Grundlage (nämlich die Kenntnis der Heiligen Schrift), ja würde sie als letzte Hand über Dein Werk geführt werden, dann hätten wir nichts Schöneres, nichts Gelehrteres, nichts in besserem Latein als Deine Bücher, ... Würde mit dieser Klugheit und Beredsamkeit das Studium oder das Verständnis der Heiligen Schrift sich vereinigen, dann würdest Du in Kürze die Höhe der Unsrigen besitzen.“ (58)
34 Auf welche Weise aber dieser große Schatz, den der himmlische Vater seinen Kindern auf die Pilgerfahrt zum Troste mitgegeben hat, mit froher Hoffnung auf einen guten Ausgang zu suchen ist, das zeigt uns durch sein Beispiel gerade Hieronymus an. Er mahnt zuerst, dass wir mit sorgfältiger Vorbereitung und guter Willensstimmung uns an dieses Studium machen sollen. Denn um alle äußeren Hindernisse zu entfernen, welche ihn von seinem heiligen Vorsatze zurückhalten vermocht hätten, hat er selbst, nachdem er die Taufe empfangen hatte, jenen Mann nachgeahmt, der einen Schatz gefunden hatte und vor der Freude darüber hingibt, alles verkauft, was er hat, und jenen Acker kauft (59); er verzichtet auf die hinfälligen und eitlen Genüsse dieser Welt, suchte die Einsamkeit auf und ergab sich umso eifriger einer strengen Lebensweise, je mehr er erkannt hatte, dass er früher unter den Lockungen der Laster sein Heil gefährdet hatte. Doch nachdem diese Hindernisse beseitigt waren, erübrigte sicherlich noch, dass er sich nach der Wissenschaft Jesu Christi gestaltete und anzog, der sanftmütig und von Herzen demütig ist; hat er doch in sich selbst erfahren, was Augustinus nach eigenem Zeugnis im Beginne seiner Studien erlebt hat. Nachdem dieser als Jüngling in den Schriften Ciceros und anderer Autoren sich vertieft hatte und dann der Heiligen Schrift seine Aufmerksamkeit zuwenden wollte, „da schien sie mir“, wie er sagt, „nicht würdig, um der vornehmen Schreibart des Tullius an die Seite gestellt zu werden. Denn mein aufgeblasener Geist schreckte vor ihrem Äußeren zurück, und mein Scharfsinn drang noch nicht in ihr Inneres ein. Sie wollte mit den Kleinen wachsen. Ich jedoch verschmähte es, klein zu sein, und in aufgeblähtem Hochmut kam ich mir groß vor“ (60). Nicht anders ging es Hieronymus. Wenn er auch in die Einsamkeit zurückgezogen hatte, so fand er an den weltlichen Wissenschaften doch eine solche Freude, dass er den demütigen Christus in der Demut der Schrift noch nicht erkannte. „So fastete ich Armer“, sagt er, „in der Erwartung der Lesung Ciceros“. Nach vielen Nachtwachen, nach Tränenbächen, die die Erinnerung an die vergangenen Sünden aus dem innersten Herzen hervorbrechen ließ, wurde wieder Plautus zur Hand genommen. War ich dann einmal zu mir zurückgekehrt und hatte die Propheten zu lesen begonnen, da widerstand mir die kunstlose Redeweise, und weil ich mit meinen verblendeten Augen das Licht nicht sah, meinte ich, die Schuld liege nicht an meinen Augen, sondern an der Sonne.“ (61)
35 Aber bald gewann er die Torheit des Kreuzes so lieb, dass er ein Beweis ist, wie viel eine demütige und fromme Geistesverfassung zum Verständnis der Bibel beiträgt. Da er sich bewusst war, dass wir zur Erklärung der Heiligen Schrift immer der Ankunft des heiligen Geistes bedürfen (62), und dass die Heilige Schrift nicht anders zu lesen und zu versehen ist, als wie der Sinn des Heiligen Geistes es erfordert, in dem sie geschrieben ist (63), so ruft der heilige Mann Gottes Hilfe und die Erleuchtung des Beistandes von oben flehentlich an und weiß dazu auch die Fürbitte der Freunde zu gewinnen; und wir lesen, da er Gottes Hilfe und dem Gebet der Brüder sowohl die Auslegungen der heiligen Bücher empfiehlt, die er begann, als bei denen, die er glücklich vollendet hatte, die Ausführung zuschrieb.
36 Wie der Gnade Gottes, so überlässt er sich außerdem dem Ansehen der Väter, dass er sagen kann, er habe, was er gelernt, nicht von sich selber, d.h. vom Selbstvertrauen, dem schlechtesten Lehrer, sondern von den berühmten Männern in der Kirche gelernt (64); denn er gesteht, er habe, was die göttlichen Schriften angeht, niemals auf die eigene Kraft sich verlassen (65), und Theophilus, dem Bischof von Alexandrien, nennt er das Gesetz, nach welchem er sein leben und seine Studien eingerichtet habe, mit folgenden Worten: „Dennoch sollst du wissen, dass uns nichts mehr am Herzen gelegen gewesen sei, als die Rechte des Christen zu wahren und die Grenzen der Väter nicht zu überschreiten, und immer habe er daran sich erinnert, dass der Glaube der Römer vom Apostel und gelobt worden sei (66).
Der Stuhl Petri
37 Der Kirche, der obersten, durch die römischen Päpste sprechenden Lehrerin, folgt er im Gehorsam von ganzem Herzen. Aus der abgelegenen Gegend Syriens, wo er vom Parteistreit der Häretiker bedrängt wurde, schreibt er, um die Streitfrage der Morgenländer über das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit zur Entscheidung dem Römischen Stuhle vorzulegen, an Papst Damasus folgendermaßen: „Ich glaube daher, den Stuhl Petri und den vom Apostel, und gelobten Glauben befragen zu sollen und von dort für meine Seele jetzt Nahrung zu erbitten, wo ich einst das Kleid Christi empfangen habe. ... Ich folge keinem als erstem denn Christus, und so verbinde ich mich mit Deiner Seligkeit, d.h. mit dem Stuhl Petri in Gemeinschaft. Ich weiß, dass auf diesem Felsen die Kirche auferbaut ist. ... Entscheidet, so bitte ich; wenn es gefällt, trage ich keine Scheu, drei Hypostasen zu erkennen; wenn Ihr befehlt, so soll nach dem Nizänum ein neues Bekenntnis aufgestellt werden, und mit ähnlichen Worten wie die Arianer wollen wir als Rechtgläubige das Bekenntnis aussprechen.“ (67)
38 Endlich wiederholt er das herrliche Bekenntnis seines Glaubens in dem nächsten Briefe: „Ich inzwischen rufe: Wenn einer mit dem Stuhl Petri verbunden ist, so ist er auf meiner Seite.“ (68) Indem er diese Regel des Glaubens beim Studium der Schrift fortwährend einhielt, weist er eine gewisse falsche Erklärung der Heiligen Schrift mit diesem Beweisgrund allein schon zurück: „Aber das nimmt die Kirche Gottes nicht an“ (69); und das apokryphe Buch, das Vigilantius, der Häretiker, ihm entgegenheilt, verwirft er mit den kurzen Worten: „Dieses Buch habe ich niemals gelesen; wozu wäre es auch nötig, etwas zur Hand zu nehmen, das die Kirche nicht anerkennt?“ (70) Während er also für unversehrte Bewahrung des Glaubens so sorgsam war, kämpfte er auf entschiedenste mit denjenigen, welche von der Kirche abgefallen waren und die er wie seine eigenen Gegner betrachtete. „Ich will kurz antworten, dass ich niemals die Irrgläubigen geschont habe und allen Eifer daransetzte, dass die Feinde der Kirche auch seine Feinde würden“ (71) ; und als er an Rufinus schrieb, bemerkte er: „In einem kann ich mit Dir nicht übereinstimmen, nämlich, dass ich die Irrgläubigen schone, dass ich mich nicht als Katholiken erweise.“ (72) Dabei beklagte er dennoch ihren Abfall und betete, dass sie zu ihrer trauernden Mutter, der einzigen Bringerin des Heiles, zurückkehren möchten (73), und für diejenigen, welche die Kirche verlassen hatten und mit Preisgabe der Lehre des Heiligen Geistes dem eigenen Sinne folgten, betete er, dass sie doch mit ganzem Herzen sich zu Gott bekehren sollten (74).
Weltförmige Neuerungen die Heilige Schrift auszulegen
39 Wenn jemals sonst, ehrwürdige Brüder, so müssen sie in unserer gegenwärtigen Zeit ganz besonders, wo nicht wenige das Ansehen und die Obergewalt Gottes in der Offenbarung und der Kirche im Lehramt hartnäckig herabsetzen, vom Geiste des großen Lehrers alle Mitglieder des geistlichen Standes und des christlichen Volkes erfüllt werden. Denn ihr wisst – wie schon Leo XIII. zum voraus gemahnt hatte-, „welches Geschlecht unter den Menschen zum Widerspruch erhebt und vordrängt, welchen Künsten und Waffen es vertraut“. Daher erweckt möglichst viele und geschickte Verteidiger der hochheiligen Sache überhaupt, die nicht nur gegen jene kämpfen, welche die ganze übernatürliche Ordnung leugnen und für die keine göttliche Offenbarung und Schrifteingebung besteht, sondern die auch mit jenen den Kampf aufnehmen, welche voll Begierde nach weltförmigen Neuerungen die Heilige Schrift ganz wie ein menschliches Buch auslegen sich erkühnen oder von den in der Kirche seit uralter Vorzeit festgehaltenen Lehrsätzen abweichen oder das kirchliche Lehramt dermaßen vernachlässigen, dass sie die Konstitutionen des Apostolischen Stuhles und die Dekrete der päpstlichen Bibelkommission gering schätzen oder stillschweigend übergehen oder sogar dieselben nach ihren eigenen Gunsten schlau oder mutwillig verdrehen. Möchten doch alle Katholiken die goldene Regel des großen Lehrers befolgen und dem Wort ihrer Mutter gehorsam innerhalb der alten Grenzen, die von den Vätern festgesetzt und von der Kirche bestätigt sind, bescheiden sich halten.
Die Kleriker und die Heilige Schrift
Tägliche Lesung des göttlichen Wortes
40 Doch kehren wir zu unserem Gegenstand zurück. Die durch Frömmigkeit und Demut vorbereiteten Seelen lädt Hieronymus zum Studium der Bibel ein. Allen empfiehlt er fürs erste immer wieder die tägliche Lesung des göttlichen Wortes. „wenn unser Leib nicht der Sünde ergeben ist, so wird in uns die Weisheit eingehen: man übe den Sinn, man nähre täglich den Geist mit göttlicher Lesung.“ (75) Und zum Brief an die Epheser: „Mit allem Eifer sind daher die heiligen Schriften von uns zu lesen, und im Geiste des Herrn müssen wir Tag und Nacht betrachten, damit wir als erprobte Bankhalter wissen, welch Münze echt ist, welche unecht.“ (76)
41 Von diesem allgemeinen Gesetz nimmt er auch die Frauen und Jungfrauen nicht aus. Lätaa, einer römischen Mutter, gibt er unter anderem die Erziehung ihrer Tochter folgende Vorschriften: Täglich soll sie dir ein bestimmtes Stoffmaß aus der Heiligen Schrift als gelernt nachweisen. ... Statt Geschmeide und Seide soll sie die heiligen Schriften lieben. ... Zuerst lerne sie das Psalterium, mit diesen Gesängen soll sie sich unterhalten, und mit den Sprichwörtern Salomons soll sie für das Leben unterrichtet werden. Am Prediger (Buch Kohelet) gewöhne sie sich daran, die Welt zu verachten, bei Job befolge sie die Beispiele der Tugend und Geduld. Dann mag sie zu den Evangelien übergehen, ohne sie je wieder aus den Händen zu legen. Die Geschichte der Apostel und Briefe der letzteren soll sie mit ganzer Hingebung des Herzens in sich aufnehmen. Hat sie dann ihr Herz mit diesen Schätzen erfüllt, dann nehme sie die Propheten in ihr Gedächtnis auf, die Bücher Moses´ und Josue mit den Richtern, die Bücher der Könige und der Chronik, die Esdras- und Estherrolle, als letztes lerne sie ohne Gefahr das Hohelied.“ (77)
42 Nicht anders mahnt er die Jungfrau Eustochium: Lies recht häufig und lerne soviel als möglich. Wenn der Schlaf über dich kommt, sollst du noch das Buch in der Hand haben, und das ermüdete Angesicht sinke auf die heiligen Blätter nieder.“ (78) Als er dieser die Leichenrede für die Mutter Paula sandte, lobt er die heilige Frau gerade aus dem Grunde, weil sie zugleich mit ihrer Tochter sich im Studium der Heiligen Schrift so ausbildete, dass sie dieselbe durch und durch kannte und ihrem Gedächtnis eingeprägt hatte. Dazu fügt er bei: „Ich will noch etwas anderes sagen, was vielleicht den Nacheiferern unglaublich scheint. Die hebräische Sprache, welche ich von Jugend an mit vieler Mühe und vielem Schweiß teilweise gelernt habe und nicht aufhöre, unermüdlich zu durchdenken, damit ich nicht von ihr verlassen werde, wollte sie erlernen und hat es soweit gebracht, dass sie die Psalmen hebräisch sang und die Sprache frei von jeder Beimischung lateinischer Eigenart wiedergab. Bis heute sehen wir dies auch bei ihrer Tochter Eustochium.“ (79)
43 Die heilige Marzella übergeht er ebenfalls nicht, welche gleichfalls die heilige Schrift sehr gut verstand (80). Wem aber entging es, welch großer Segen und Genuss aus der frommen Lesung der heiligen Bücher in die Seelen strömt? Denn jeder, der mit frommem Sinn, festem Glauben, demütigem Herzen und dem Willen zum (geistigen) Fortschritt an die Bibel herantritt, der wird dort jenes Brot finden und genießen, das vom Himmel herabgekommen ist. Er wird an sich selbst erfahren, was David mit den Worten aussprach: „Die verborgenen und geheimen Schätze deiner Weisheit hast du mir geoffenbart“ (81); denn dieser Tisch des göttlichen Wortes „enthält wahrlich die heilige Lehre, welche den rechten Glauben bildet und fest hineinführt bis zum Innern des Vorhanges, wo das Allerheiligste ist“ (82). Was an uns liegt, ehrwürdige Brüder, so werden wir unaufhörlich alle Christgläubigen, gestützt auf Hieronymus, ermahnen, dass sie insbesondere die heiligen Evangelien und ebenso die Apostelgeschichte und die Apostelbriefe in täglicher Lesung immer wieder durchgehen und in Fleisch und Blut aufzunehmen sich bemühen mögen.
44 Daher wendet sich unser Denken bei dieser erhabenen Jahrhundertfeier mit Freude der Gesellschaft zu, welche den Namen des heiligen Hieronymus trägt. Wir tun es umso lieber, als Wir selbst am Beginn und Ausbau des Werkes Anteil genommen haben. Wie Wir die Fortschritte desselben in den vergangenen Tagen freudig mitangesehen haben, so wissen Wir auch, dass die kommenden nicht ausbleiben werden. Denn ihr wisst, ehrwürdige Brüder, dass diese Gesellschaft sich die Aufgabe gestellt hat, die vier Evangelien und die Apostelgeschichte möglichst weit zu verbreiten, so dass es keine christliche Familie mehr geben soll, die sie nicht besäße, und dass alle es sich zur Gewohnheit machen, täglich sie zu lesen und zu betrachten. Dieses Werk liegt uns wegen seines erprobten Segens warm am Herzen, und Wir wünschen dringend, dass Gesellschaften dieses Namens und dieser Bestrebung überall gegründet und an die römische angeschlossen werden, und dass sie in euren Diözesen sich überall ausbreiten. Auf dem gleichen Gebiete werden diejenigen um die katholische Sache sich sehr verdient machen, welche alle Bücher des Neuen Testamentes und ausgewählte Bücher aus dem Alten in passender und schöner Form herausgegeben und zu verbreiten besorgt waren und gegenwärtig besorgt sind. Sicher ist aus diesem Werk eine große Fülle des Segens in die Kirche Gottes ausgeströmt, da man nun schon in weit größerer Menge zu diesem Tische der himmlischen Lehre hinzutritt, den unser Herr durch seine Propheten, Apostel und Lehrer dem christlichen Erdkreis bereitet hat (83).
45 Da Hieronymus das Studium der Heiligen Schrift von allen Christgläubigen verlangt, so fordert er es aber nunmehr mit größtem Nachdruck von denen, die das Joch Christi auf ihren Nacken geladen und zur Predigt des göttlichen Wortes von Gott berufen sind. Denn im Mönche Rustikus spricht er zu allen Geistlichen also: „Solange du in deinem Vaterland weilst, so halte deine Zelle für ein Paradies, pflücke die mannigfaltigen Früchte der Heiligen Schrift, das seien deine Genüsse, in sie versenke dich ... Nie soll von deiner Hand und deinen Augen das Buch fern sein, die Psalmen sollen wörtlich erlernt werden, das Gebet erleide keine Unterbrechung, der Geist sei wach und gehe sich keinen eitlen Gedanken preis.“ (84) Dem Priester Nepotian aber widmet er die Mahnung: „Lies häufig die Heilige Schrift, ja die heilige Lesung soll niemals aus deinen Händen gelegt werden. Lerne, was du lehren sollst. Bewahre den echten Vortrag, welcher der Lehre gemäß ist, dass du in der religiösen Lehre ermahnen und die Widersprechenden widerlegen kannst.“ (85) Als er aber zum Andenken des heiligen Paulinus die von Paulus seinen Schülern Timotheus und Titus über die Wissenschaft der Schrift überlieferten Gebote dargestellt hatte, fügte er das bei: „Ein heiliger Verzicht auf Bildung nützt nur sich selbst, und soviel er durch verdienstliches Leben zur Erbauung der Kirche Christi beiträgt, ebensoviel schadet sie, wenn sie auf Einreden keinen Widerstand leistet. Malachias (Maleachi) der Prophet oder vielmehr durch Malachias spricht der Herr: „Frage die Priester nach dem Gesetz. So sehr ist es Pflicht des Priesters, wenn gefragt wird, über das Gesetz Bescheid zu geben. Und im Deuteronomium lesen wir: Frage deinen Vater, und er wird es dir kundtun, deine Priester, und sie werden es dir sagen. ... Am Ende seiner heiligen Vision sagt Daniel, dass die Gerechten wie Sterne glänzen und die mit Verständnis begabten, d.h. die Gelehrten, wie das Firmament. Siehst du, was für ein großer Unterschied zwischen dem Ungebildetsein bei Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit mit Gelehrsamkeit besteht? Die einen werden mit Sternen, die andern mit dem Himmel verglichen.“ (86) Den Bildungsmangel anderer Kleriker tadelt er auch in dem Brief an Marzella ironischerweise: „Im Bildungsmangel allein sehen jene die Heiligkeit, indem sie sich als Schüler der Fischer hinstellen, als ob sie deswegen gerecht wären, weil sie nicht wissen.“ (87) Doch nicht allein bei solchen Bildungsfremden, sondern auch bei Gelehrten Geistlichen gewahrte er, dass sie durch Unwissenheit in der Schrift sich versündigen, und schärft den Priestern mit ernstesten Worten ein, dass sie beständig in den heiligen Büchern sich üben müssen.
Aufforderung an die Bischöfe, den Klerikern diese Erklärungen einzupflanzen
46 Wirkt, ehrwürdige Brüder, mit Eifer darauf hin, dass diese Erklärungen des heiligen Exegeten euren Klerikern und Priestern tief in Herz sich pflanzen. Denn eure Pflicht ist es in erster Linie, mit Sorgfalt sie zur Beachtung dessen zurückzurufen, was von ihnen der Geist des göttlichen Amtes, mit dem sie betraut sind, fordert, wenn anders sie sich dessen nicht unwürdig zeigen wollen. „Denn die Lippen des Priesters sollen die Wissenschaft hüten, man suche das Gesetz aus seinem Munde, weil er der Bote des Herrn der Heerscharen ist.“ (88) Sie sollen daher wissen, dass das Studium der Schrift weder vernachlässigt werden darf, noch auf anderem Wege in Angriff zu nehmen ist, als es Leo XIII. in dem Rundschreiben über das Bibelstudium mit Aufgebot größter Sorgfalt beschreibt. Diejenigen werden es hierin zu größerer Vollendung bringen, welche das Bibelinstitut besuchen, das nach dem Wunsche Leos XIII. unser letzter Vorgänger zum großen Segen der heiligen Kirche begründet hat. Die Erfahrung dieser zehn Jahre führt dafür den vollsten Beweis. Da indes die meisten diese nicht tun können, so bleibt es zu wünschen, dass ausgewählte Männer aus dem Welt- und Ordensklerus unter euren Anregung, ehrwürdige Brüder, und mit euerer Begünstigung von allen Seiten in dieser Stadt zusammenkommen, um sich der Beschäftigung mit dem Bibelstudium an Unserem Institut hinzugeben. Die Alumnen, die sich da sammeln, werden nicht alle aus einem und demselben Grund das Institut besuchen sollen. Die einen werden gemäß dem Zweck dieses großen Lyzeums die biblischen Studien so durchlaufen, dass sie hernach dieselben sowohl privatim als öffentlich als Schriftsteller oder Lehrer zu vertreten wissen, mögen sie als Lehrer an katholischen Schulen oder im Amt eines Schriftstellers auf dem Gebiet der katholischen Glaubenwahrheit deren Würde zu schützen in der Lage sein (89). Andere, die sich schon dem heiligen Dienst gewidmet haben, werden Gelegenheit finden, ein erweitertes Wissen über die Heilige Schrift, als der theologische Lehrkurs es bot, desgleichen über die großen Exegeten, die biblische Zeitgeschichte und Geographie sich zu verschaffen. Dieses Wissen zielt besonders auf die Praxis ab, dass sie nämlich tüchtige Diener des göttlichen Wortes werden, welche zu jedem guten Werk geübt sind (90).
47 Ihr wisst, ehrwürdige Brüder, aus dem Beispiel und der Bedeutung des heiligen Hieronymus, mit welchen Tugenden ein jeder ausgerüstet sein muss, der sich an die Lesung und das Studium der Bibel heranmacht. Hören wir jetzt selbst als Lehrer, worauf die Erkenntnis der Heiligen Schrift abheben und was sie erstreben soll. In erster Linie ist in diesen Blättern das Brot zu suchen, aus welchem das Leben des Geistes Nahrung zur Vollkommenheit findet. Daher pflegte Hieronymus im Gesetze des Herrn Tag und Nacht zu betrachten und in der Heiligen Schrift Brot vom Himmel, himmlisches Manna, das alle Süßigkeit in sich enthält, zu verkosten (91). Wie könnte unser Geist diese Speise entbehren? Und wie könnte ein Geistlicher andere den Weg des Lebens lehren, wenn er die Betrachtung der Heiligen Schrift vernachlässigt und sich selbst nicht belehrt? Oder welche Art könnte jemand vertreten, dass er bei der Spendung der Gnadenmittel „ein Führer der Blinden, ein Licht für die, die in der Finsternis sind, ein Unterrichter der Unwissenden, ein Lehrer der Kinder im Besitz der ausgeprägten Wissenschaft und Wahrheit im Gesetze sei“ (92), wenn er diese Lehre des Gesetzes nicht reiflich erwägen wollte und dem Licht von oben den Zutritt verschließt? Ach, wie viele Diener des Heiligtums gehen, da sie die Lesung der Bibel hintansetzen, am Hunger zugrunde und lassen allzu viele andere zugrunde gehen, während geschrieben steht: „Die Kinder baten um Brot, und niemand war da, es ihnen zu brechen.“ (93) „Verödet ist das ganze Land, weil keiner ist, der in seinem Herzen nachdachte.“ (94)
48 Dann muss man sachgemäß aus der Heiligen Schrift die Beweisgründe schöpfen, mit denen wir die Glaubenssätze erklären, bekräftigen und verteidigen. Wunderbar hat jener das geleistet im Kampfe gegen die Irrgläubigen seiner Zeit. Alle seine Werke zeigen reichlich, welche scharfen und kräftigen Waffen er den Stellen der Heiligen Schrift entnommen hat. Wenn unsere Schriftausleger ihm hierin nachahmen, dann wird sicher zutreffen, was Unser Vorgänger in dem Rundschreiben über das Studium der Heiligen Schrift als höchst wünschenswert und notwendig bezeichnet hat, nämlich da der Gebrauch der Heiligen Schrift auf den ganzen Betrieb der Theologie seine Wirkung übt und nahezu dessen Seele sei.
49 Vorzüglich aber gehört die Anwendung der Heiligen Schrift dazu, das Amt der Verkündigung des Wortes Gottes heilig und fruchtbar zu verwalten. An dieser Stelle bekräftigen Wir sehr gerne mit den Worten des großen Lehrers die Vorschriften, die Wir in dem Rundschreiben Humani generis über die Predigt des Wortes Gottes erlassen haben. Wahrlich, der ausgezeichnete Ausleger empfiehlt so ernst und so häufig die tägliche Lesung der Heiligen Schrift allermeist dazu den Priestern, dass sie das Amt zu lehren und zu predigen würdig verwalten. Denn ihre Rede wird nichts an Bedeutung und Gewicht in sich tragen, noch auch Kraft zur Umwandlung der Seelen, wen sie nicht von der Heiligen Schrift gebildet und von ihr die Kraft und den Nachdruck hernimmt. „Die Predigt des Priesters sei mit der Lesung gewürzt.“ (95) „Denn was von der heiligen Schrift gesagt wir, das ist alles wie eine drohende Posaune und durchdringt mit starkem Schall das Ohr des Gläubigen.“ (96) „Nichts erschüttert ja so wie ein Beispiel aus der Heiligen Schrift.“ (97)
Grundlage des Wortsinns
50 Was aber der Heilige über die Gesetze mitteilt, welche bei der Anwendung der Heiligen Schrift einzuhalten sind, das sollen die Priester, obwohl es zum größten Teil auch die Ausleger angeht, bei der Predigt des Wortes Gottes vor Augen haben. In erster Linie mahnt er, dass wir die Worte der Heiligen Schrift selbst sehr sorgfältig ins Auge fassen sollen, damit sicher feststeht, was der heilige Schriftsteller geschrieben hat. Denn jedermann weiß, dass Hieronymus, wenn es einmal nötig wurde, gewohnt war, an die älteste Handschrift heranzutreten, Auslegung mit Auslegung zu vergleichen, die Bedeutung der Worte zu prüfen, und wenn ein Irrtum sich eingeschlichen hatte, die Ursachen des Irrtums bloßzulegen, auf dass jeder Zweifel über die Lesart selbst beseitigt wurde. Darauf aber, lehrt er, seien Sinn und Inhalt, die den Worten zugrunde liegen, zu erforschen, „denn für den, welcher über die Heilige Schrift handelt, sind nicht so sehr die Worte als der Sinn das Wichtige“ (98). Bei Erforschung dieser Bedeutung ist gewiss Hieronymus, indem er die lateinischen Schriftsteller und auch manche von den Griechen der früheren Zeit nachahmte, wir Wir nicht in Abrede stellen, vielleicht mehr als gerechtfertigt anfangs der allegorischen Auslegeweise zugetan gewesen. Aber die Liebe zu den heiligen Büchern, die beständige Arbeit, die er aufbot, um sie durchzugeben und völlig zu erfassen, brachte es mit sich, dass er täglich in richtiger Schätzung des Wortsinns voranschritt und die gesunden Grundsätze auf diesem Gebiet vorlegte. Noch heute bereiten sie allen den sichern Weg, den vollen Sinn der heiligen Bücher herauszustellen. Daher wollen Wir sie kurz darlegen. Auf die wörtliche und geschichtliche Auslegung müssen wir zuerst unsere Aufmerksamkeit richten. „Ich halte den klugen Leser immer dazu an, dass er nicht sich mit überschwänglichen Auslegungen und solchen, welche abgerissen nach dem Geschmack derer, die sie bildeten, zurechtgemacht sind, zufrieden geben solle, sondern dass er das Vorangehende, das in der Mitte Stehende und das darauf Folgende beachte und alles in Verbindung setze, was geschrieben steht.“ (99)
51 Dem fügt er bei, dass jede Auslegungsweise auf dem Wortsinn als seinem Fundament sich erheben müsse (100). „Selbst dann, wenn etwas in übertragenem Sinne herausgehoben wird, darf man nicht glauben, dass jener fehle. Denn häufig wird die Geschichte selbst im bildlichem Sinne vorgeführt und unter einem Bilde (die Wahrheit) verkündigt.“ (101) Diejenigen, welche meinen, unser Lehrer habe bei manchen Schriftstellern zugestanden, dass sie des Wortsinnes entbehrten, weist er selbst zurück: „Wir leugnen nicht den geschichtlichen Hergang, sondern ziehen nur den geistlichen Sinn vor.“ (102) Wenn aber der Wortsinn oder die geschichtliche Bedeutung festgestellt ist, durchforscht er die tieferen und höheren Sinne, um den Geist mit ausgesuchtem Mahle zu erquicken. Denn er lehrt vom Buche der Sprichwörter und erinnert oft an das gleiche bezüglich der übrigen Teile der Schrift, dass man nicht beim bloßen Wortsinn stehen bleiben soll, „sondern wie man in der Erde Gold, in der Nuss den Kern, in den rauen Schalen der Kastanien die verborgene Frucht sucht, so sei in ihnen tiefer nach dem göttlichen Sinn zu forschen“ (103).
52 In der Belehrung an den heiligen Paulinus, „welche Wege in der Heiligen Schrift gehen solle“, sagt er deshalb: „Alles, was wir in den göttlichen Büchern lesen, strahlt und glänzt auch schon an seiner Rinde, aber süßer ist es im Mark. Wer den Kern essen will, muss die Nuss aufbrechen.“ (104) Immerhin unterlässt er es nicht, auch darauf hinzuweisen, welches Verfahren anzuwenden sei, wenn es um die Auffindung dieses inneren Sinnes handelt, „damit wir nicht beim Erstreben der geistlichen Reichtümer als Verächter der Armut des Geschichtlichen erscheinen“ (105). Daher missbilligt er nicht wenige mystische Auslegungen älterer Schriftsteller zumeist aus dem Grunde, weil sie gar nicht auf die Grundlage des Wortsinnes sich bewegen. „Alle seine Versprechungen, welche die heiligen Propheten mit ihrem Mund verkündigt haben, sollen nicht ein leerer Schall sein oder nur kräftige figürliche Bezeichnungen, sondern sie sollen auf festen Boden gestellt werden, und wenn sie von ihrem geschicklichen Boden aus erfasst sind, dann werden sie zum Höhepunkt des geistlichen Verständnisses gelangen.“ (106)
53 Weise bemerkt er dabei, man dürfe vom Wege Christi und der Apostel nicht abweichen; obwohl diese das Alte Testament als die Vorbereitung des Neunen und dessen Schattenbild betrachten und daher viele Stellen vorbildlich (typisch) auslegen, so unterwerfen sie doch nicht alles einer vorbildlichen Auslegung. Zur Bekräftigung beruft er sich oft auf den Apostel Paulus, der zum Beispiel bei Auslegung der Geheimnisse in Adam und Eva ihre Schöpfung nicht leugnet, aber auf der Grundlage des geschichtlichen Vorganges das geistliche Verständnis auferbaut und sagt: „Deshalb wird der Mensch verlassen usw. (107)
Die Ausleger der Heiligen Schrift und die Prediger
54 Mögen die Ausleger der Heiligen Schrift und die Prediger des Gotteswortes das Beispiel Christi und der Apostel befolgen und den Vorschriften Leos XIII. gehorchen, mögen sie das nicht vernachlässigen, was von den Vätern in die allegorische oder eine ähnliche Auffassung gedeutet wurde, besonders dann, wenn sie vom Wortsinn ausgehen und durch das Gewicht vieler Zeugen gestützt sind, mögen sie maßvoll und zurückhaltend von der wörtlichen Auslegung zur höheren sich erheben , dann werden sie mit Hieronymus erfahren, wie wahr das Wort des heiligen Paulus ist: „Die ganze von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung, zur Rüge, zur Zurechtweisung, zur Zucht in der Gerechtigkeit“ (108), und aus dem unendlichen Schatz der Schrift werden sie reichliche Hilfsmittel an Beispielen und Lehren gewinnen, mit welchen sie fest und gewinnend Leben und Sitten der Gläubigen heilig zu gestalten vermögen.
55 Mit Bezug auf das Verfahren bei der Auslegung und der Predigt stellte Hieronymus, da von den Ausspendern der Geheimnisse Gottes gefordert wird, dass jeder treu erfunden werde, als Hauptregel die auf, dass man an der „Wahrheit der Auslegung“ festhalten müsse, und „dass es die Pflicht des Auslegers sei, nicht das darzustellen, was er selbst wünschte, sondern was jener im Sinne hat, den er auslegt.“ (109) Er fügt aber bei, „es sei in der Kirche zu reden mit großer Gefahr verbunden, es möchte etwa durch verkehrte Auslegung aus dem Evangelium Christi das Evangelium eines Menschen werden“ (110). Ferner „wird bei der Erklärung der Heiligen Schrift nicht nach gewählten und rhetorischen Blumen geschmückten Worten gefragt, sondern nach Belehrung und nach der Einfalt der Wahrheit“ (111) Als er nach diesem Grundsatz seine Schriften abfasste, sprach er es offen aus, „dass er in seinen Kommentaren das Ziel verfolge, dass nicht seine Worte Lob ernten, sondern dass das, was von einem andern gut ausgesprochen ist, so verstanden werde, wie es ausgesprochen ist“ (112). Bei der Auslegung des göttlichen Wortes bedürfe es einer Sprache, welche, ohne viel Mühe zu verraten, „die Sache auseinandersetze, den Sinn erläutere, das Dunkle aufhelle, nicht aber einer solchen, welche durch den Schmuck der Worte prangt“ (113)
56 Wir wollen hier mehrere Stellen des Hieronymus anführen, aus welchen hervorgeht, wie sehr ihm jene den Schönrednern eigene Beredsamkeit zuwider war, welche mit leerem Wortschwall und der Geläufigkeit im Sprechen eitlen Beifall zu erringen sucht. „Ich wünsche nicht“, mahnet er den Priester Nepotianus, dass du ein Schönredner seiest, ein Sprüchemacher und Schwätzer, sondern erfahren im Heilsgeheimnis und wohlunterrichtet in den Gnadengaben deines Gottes. Worte vorbringen und durch die Geläufigkeit im Sprechen beim ungebildeten Volke Bewunderung für sich erregen, ist Sache ungelehrter Leute.“ (114) „Alle, welche heute aus dem Kreise der wissenschaftlich Gebildeten zur Anstellung kommen, sorgen sich darum, nicht wie sie den Saft der Heiligen Schrift einschlürfen, sondern wie sie das Ohr des Volkes mit den Redeblumen der Schönredner ergötzen.“ (115) „Ich schweige von meinesgleichen, welche vielleicht nach dem Studium der weltlichen Wissenschaften an das Studium der Heiligen Schrift gelangt sind, mit kraftvoller Rede das Ohr des Volkes ergötzen und nun, was sie alles gesagt haben, für Gottes Gesetz halten und nicht wissen wollen, was die Propheten und Apostel gemeint haben, sondern ungeeignete Zeugnisse ihrer eigenen Meinung anpassen, als ob etwas großes wäre und nicht eine durchaus verwerfliche Art zu reden ist, die Aussprüche zu entstellen, und die Heilige Schrift, obwohl sie widerspricht, seiner Neigung anzupassen.“ (116)
57 „Denn ohne das Gewicht der Heiligen Schrift würde die Geschwätzigkeit keinen Glauben finden, wenn es nicht den Anschein hätte, als ob solche ihre verkehrte Lehre mit göttlichen Zeugnissen erhärteten.“ (117) „Jedoch diese geschwätzige Beredsamkeit und wortreiche Unbildung weiß nichts Scharfes, nichts Kräftiges, nichts Belebendes auf, sondern ganz schlaff, ganz matt und weich wächst sie in Kohl und Kraut aus, die rasch verdorren und zusammenschrumpfen“ (118); die einfache Lehre des Evangeliums dagegen, ähnlich dem so kleinen Senfkörnlein, schießt nicht ins Kraut auf, sondern wächst zum Baum heran, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen wohnen. Daher strebte er selbst in allem nach dieser heiligen, mit Klarheit und ganz ungesuchter Anmut verbundenen Einfachheit der Rede. „Mögen andere bestrebt sein, Lob nach Wunsch zu ernten und mit aufgeblasenen Backen dröhnende Worte ausspielen, mir genügt es, so zu sprechen, dass ich verstanden werde, und dass ich in der Erörterung über die Heilige Schrift die Einfachheit der Heiligen Schrift nachahme.“ (119) Denn „wenn die kirchliche Erklärung auch die Anmut der Rede an sich trägt, so soll sie doch dieselbe verbergen und sie fliehen, damit sie nicht zu müßigen Philosophenschulen und wenigen Schülern, sondern zum gesamten Menschengeschlechte rede“ (120). Wahrlich, wenn die jüngeren Priester diese Ratschläge und Vorschriften zur Tat machen und die älteren sie beständig vor Augen haben, dann werden sie, wie Wir vertrauen, den Seelen der Christgläubigen durch den heiligen Dienst den größten Segen bringen.
Die süßen Früchte der Betrachtung und des Studiums der Heiligen Schrift
58 Es bleiben Uns nun noch, ehrwürdige Brüder, die „süßen Früchte“ zu erwähnen, welche Hieronymus „aus der bitteren Saat der Wissenschaft“ gepflückt hat; Wir hegen dabei die Hoffnung, dass die eurer Fürsorge unterstellten Priester und Gläubigen von seinem Beispiele zur Erprobung und Aneignung der Kraft der Heiligen Schrift sich aneifern lassen. Aber ihr sollt die großen und süßen geistigen Freuden, von denen der fromme Einsiedler überströmte, lieber aus seinem Munde als aus unsern Worten entnehmen. Hört daher, wie er über diese heilige Wissenschaft zu Paulinus, seinem Mitpriester, Genossen und Freund, spricht: „Ich bitte dich, teuerster Bruder, scheint es dir nicht, dass in diesen Beschäftigungen leben, diese Dinge betrachten, nichts anderes kennen, nichts anderes suchen schon hier auf Erden schon eine andere Wohnstätte des himmlischen Reiches sei?“ (121)
59 An seine Schülerin Paula aber richtet er diese Frage: „Ich bitte dich, was ist heiliger als dieses Heiligtum? Was ist erfreulicher als diese Wonne? Welche Speise, welcher Honig ist ihr süßer als der, Gottes Weisheit zu erkennen, in sein Heiligtum einzutreten, in den Sinn des Schöpfers hineinzuschauen und die Reden deines Herrn, welche von den weisen dieser Welt verlacht werden, den mit geistlicher Weisheit Erfüllten dazulegen? Andere mögen ihre Schätze besitzen, aus Edelstein trinken, von Seide glänzen, am Beifall des Volkes sich ergötzen und durch mannigfaltige Vergnügungen ihre Reichtümer nicht erschöpfen können. Unsere Wonne soll es sein, im Gesetze des Herrn Tag und Nacht zu betrachten, anzuklopfen am Tore, das noch nicht offen steht, das Brot der Dreifaltigkeit empfangen und die Wogen der Welt, dem Herrn nachzuwandeln, mit Füßen treten.“ (122) An dieselbe Paula und ihre Tochter Eustochium richtet er im Kommentar zum Briefe an die Epheser die Worte: „Wenn es etwas gibt, Paula und Eustochium, was in diesem Leben den Weisen hält und inmitten der Bedrängnisse und Wirrsale des Lebens ihn den Gleichmut bewahren heißt, so glaube ich, dass dies in erster Linie die Betrachtung und das Studium der Heiligen Schrift ist.“ (123)
60 Er selbst machte davon Gebrauch, und in den schweren Betrübnissen seiner Seele und harten körperlichen Erkrankungen genoss er dennoch den Trost des Friedens und inneren Freude. Diese Freude schöpfte er jedoch nicht in eitler und müßiger Vergnügung, sondern sie ging aus der Liebe hervor und gestaltete sich zur tätigen Liebe gegen die Kirche Gottes aus, welcher die Hut des göttlichen Wortes vom Herrn übertragen ist. Denn in den heiligen Schriften beider Testamente las er allenthalben das Lob der Kirche Gottes verkündet. Boten nicht die einzelnen glänzenden und heiligen Frauengestalten, welche im Alten Testamen eine ehrenvolle Stelle einnehmen, ein Abbild dieser Braut Christi dar? Dienten nicht das Priestertum und die Opfer, die Einrichtungen und Feierlichkeiten, ja fast alle Geschehnisse des Alten Testamentes noch mehr dazu, sie (schattenhaft) vorzubilden? Ja, sah er nicht die Weissagungen so vieler Psalmen und Propheten an der Kirche durch Gott erfüllt? Waren endlich die von Christus den Herrn und seinen Aposteln verkündeten, so großen Privilegien derselben Kirche ihm etwa nicht bekannt geworden? Sollte also in Hieronymus´ Seele das Studium der Heiligen Schrift die Liebe gegen die Braut Christi nicht täglich mehr entfacht haben? Wir haben bereits gesehen, ehrwürdige Brüder, mit welcher Ehrerbietung und mit welch feuriger Liebe er die römische Kirche und den Stuhl Petri ehrte; wir haben gesehen, wie scharf er die Gegner der Kirche bekämpfte. Als er seinem jüngeren Mitkämpfer, Augustinus, im gleichen Kampfe Beifall spendete und sich freute, dass er gemeinsam mit ihm den Neid der Häretiker auf sich geladen habe, redet er ihn so an: „Glück auf! Du wirst auf dem Erdkreis gefeiert. Die Katholiken verehren und begrüßen dich als den Wiederhersteller des alten Glaubens und, was ein Zeichen noch höheren Ruhmes ist, alle Häretiker verabscheuen sich und verfolgen mich mit gleichem Hass, um doch im Wunsch zu töten, die sie mit dem Schwert nicht töten können.“ (124) Trefflich bekräftigt dies Postumianus, der bei Sulpicius Severus über Hieronymus das Zeugnis ausspricht: „Der stete Kampf und der fortdauernde Streit gegen die Bösen rief den Hass der Verkehrten nach. Es hassen ihn die Häretiker, weil er nicht aufhört, sie zu bekämpfen, es hassen ihn Geistliche, weil er ihr Leben und ihre Vergehen tadelt. Aber alle Guten bewundern ihn durchaus und lieben ihn.“ (125) Unter diesem Hass der Häretiker und verkehrten Menschen hatte Hieronymus vieles und hart zu Tragendes auf sich geladen, am meisten damals, als die Pelagianer im Aufruhr das Kloster zu Bethlehem stürmten und verwüsteten. Aber alle Unannehmlickeiten und Beschimpfungen ertrug er gelassen und ließ den Mut nicht sinken, hätte er doch nicht gezögert, zum Schutz des christlichen Glaubens zu sterben. An Apronius schreibt er: „Das ist meine Freude, wenn ich höre, dass meine Söhne in Christus kämpfen; möge er selbst diesen Eifer in uns bestärken. Wir glauben ja an ihn, um für den Glauben an ihn selbst unser Blut freiwillig zu vergießen. Unser Haus ist, was die weltlichen Hilfsmittel angeht, durch die Verfolgungen der Häretiker gänzlich ausgeleert, durch Christi Gnade aber ist es voll von geistlichen Reichtümern. Denn es ist besser, Brot zu essen, als den Glauben zu verlieren.“ (126)
61 Wie er nirgends dem Irrtum gestattete, ungestraft sich einzuschleichen, so bot er seine kraftvolle Beredsamkeit nicht minder eifrig gegen die Sittenverderbnis auf, um, soviel an ihm lag, „Christus eine herrliche Kirche ohne Makel und Runzel und solche Mängel darzubieten, damit sie heilig und fleckenlos sei“ (127). Wie heftig trat er gegen diejenigen auf, welche die priesterliche Würde durch einen schlechten Lebenswandel verletzen! Wie beredt erhob sich kein Tadel gegen die heidnischen Sitten, welche Rom selbst zum großen Teile ansteckten! Um diese Schwemmflut aller Laster und Untaten mit jedem Mittel einzudämmen, stellte er die Vortrefflichkeit und Schönheit der christlichen Tugenden entgegen, indem er ganz richtig annahm, dass nichts gegen das Böse so viel vermöge als die Liebe zu den besten Dingen; er drang darauf, dass die Jugend fromm und richtig unterrichtet werde; mit eindringlichem Zuraten ermahnte er die Verehelichten zur Reinheit und Heiligkeit des Lebens; den reineren Seelen träufelte er die Liebe zur Jungfräulichkeit ein; die mühsame, aber süße Strengheit eines innerlichen Lebens erhob er mit lautem Lobpreis; jenes erste Gesetz der christlichen Religion, nämlich das der Liebe, die mit Arbeit verbunden ist, mit dessen Beobachtung sich die menschliche Gesellschaft aus den Umwälzungen zur Ruhe und Ordnung glücklich zurückfinden sollte, schärfte er mit allem Eifer ein. Vortrefflich sind seine Worte über die Liebe an den heiligen Paulinus: „Der wahre Tempel Christi ist die Seele des Gläubigen, sie schmücke, sie kleide aus, ihr bringe deine Gaben, in sie nimm Christus auf. Was nützt es, wenn die Wände von Edelgestein glänzen und Christus im Armen Hungers stirbt!“ (128)
Die Liebe zur Kirche und zu Christus
62 Das Gesetz der Arbeit empfahl er aber nicht nur in den Schriften, sondern durch das Beispiel seines Lebens allen so angelegentlich, dass Postumianus, der sechs Monate mit Hieronymus in der Stadt Bethlehem geweilt hatte, bei Sulpicius Severus bezeugt hat: „Er ist immer ganz in der Lesung, ganz in seine Bücher vertieft, nicht tags, nicht nachts ruht er, entweder liest er etwas, oder er schreibt.“ (129) Wie sehr er übrigens die Kirche liebte, ergibt sich aus seinen Kommentaren, in denen er keine Gelegenheit vorbeigehen lässt, die Braut Christi zu loben. So lesen wir z.B. in der Erklärung des Propheten Aggäus (Haggai): „Es ist gekommen das Auserwählte aus allen Völkern, und erfüllt ist mit Ehre das Haus des Herrn, das da ist die Kirche des lebendigen Gottes, die Säule und Grundfeste der Wahrheit. ... Durch diese Metalle wird die Kirche des Erlösers herrlicher, als einst die Synagoge war: aus diesen lebendigen Steinen wird das Haus Christi erbaut und ihm ewiger Friede gewährt.“ (130) Und bei Michäas (Micha): „Kommet, steigen wir hinauf zum Berg des Herrn. Der Aufstieg ist notwendig, damit man zum Hause des Gottes Jakobs gelangen könne, zur Kirche, welche das Haus des Herrn ist, die Säule und Grundfeste der Wahrheit.“ (131) Im Vorwort zum Kommentar in das Matthäusevangelium (heißt es): „Die Kirche ... isst durch das Wort des Herrn auf den Felsen gegründet. Sie hat der König hineingeführt in sein Gemach, zu ihr hat er durch die Öffnung eines verborgenen Abstiegs die Hand ausgestreckt.“ (132)
63 Wie in den eben angeführten Stellen, so feiert meistenteils unser Lehrer Jesus den Herrn als aufs innigste mit der Kirche vereinigt. Da nämlich das Haupt vom geistlichen Leibe nicht getrennt werden kann, so vereint sich mit dem Eifer für die Kirche die Liebe zu Christus, der für die vorzügliche und allersüßeste Frucht der Wissenschaft von der Heiligen Schrift zu halten ist. Hieronymus hielt die Wissenschaft dieses heiligen Buches wahrlich mit solcher Überzeugung für den gewöhnlichen Weg, auf welchem es zur Erkenntnis und Liebe Christi geht, dass er sich nicht scheute, zu versichern: „Die Unwissenheit über die Heilige Schrift ist Unwissenheit über Christus.“ (133) Gleiches schreibt er an den heilige Paulina: „Was anderes könnte denn noch das Leben sein ohne die Wissenschaft von der Heiligen Schrift, durch welche eben Christus erkannt wird, der das Leben der Gläubigen ist?“ (134) Auf Christus nämlich wie auf ihr Zentrum zielen alle Blätter beider Testamente; und wo Hieronymus die Worte der Geheimen Offenbarung auslegt, welche vom Fluss und vom Holz des Lebens handeln, da ergeht er sich unter anderem in folgenden Worten: „Ein Strom geht aus vom Throne Gottes, das ist die Gnade des Heiligen Geistes, und diese Gnade des Heiligen Geistes ist in den heiligen Schriften (geborgen)., d.h. diesem Strom der Schriften. Dennoch hat dieser Fluss zwei Ufer, das Alte und das Neue Testament, und auf den beiden Seiten ist der Baum Christus gepflanzt.“ (135)
64 Daher ist es kein Wunder, dass er alles, was in der Heiligen Schrift zu lesen steht, in frommer Betrachtung auf Christus zu beziehen pflegte: „Wenn ich das Evangelium lese und dort die Zeugnisse für das Gesetz sehe, die Zeugnisse für die Propheten, da betrachte ich allein Christus; Moses sehe ich so, die Propheten sehe ich so, dass ich einsehe, wie sie von Christus sprechen. Endlich, wenn ich an den Glanz Christi komme und ihn als strahlendes Licht hellen Sonnenglanzes ansehe, dann kann ich das Licht der Laterne nicht mehr sehen. Wenn du am Tag eine Laterne anzündest, kann sie leuchten? Wenn die Sonne leuchtet, dringt das Laternenlicht nicht hervor, so treten in der Gegenwart Christi Gesetz und Propheten nicht ins Licht. Ich tue dem Gesetz und den Propheten nicht Eintrag, lobe sie vielmehr, weil sie Christus predigen. Aber ich lese Gesetz und Propheten so, dass ich nicht bei Gesetz und Propheten stehen bleibe, sondern durch Gesetz und Propheten zu Christus vordringe.“ (136)
Nachfolge Christi
65 So sehen wir, dass derjenige, der überall Christus fromm suchte, durch die Erklärung der heiligen Schriften wunderbar zur Liebe und zum Verständnis Jesu des Herrn erhoben wurde, worin er jene kostbare Perle des Evangeliums fand: „Eine ist aber die kostbare Perle, das Wissen vom Erlöser und das verborgene Geheimnis seines Leidens und seiner Auferstehung.“ (137) Da er von dieser Liebe Christi entbrannt war, so geschah es, dass er arm und demütig mit Christus, im Geiste von aller irdischen Sorge frei und losgelöst, einzig Christus suchte, von seinem Geiste sich leiten ließ, mit ihm in innigster Vereinigung lebte, ihn in seinen Leiden an sich durch die Nachfolge abbildete und nichts sich mehr angelegen sein ließ, als mit Christus und für Christus zu leiden. Daher schrieb er, als er, durch die Beschwernisse und den Hass gottloser Menschen gereizt, nach dem Tod des Papstes Damasus Rom verlassen hatte und im Begriffe war, das Schiff zu befestigen: „Mögen mich einige für einen verbrecherischen Menschen halten, ganz von Lastern bedeckt, und möge das für meine Sünden noch etwas geringes sein, so tust Du doch gut, dass Du in deinem Geiste auch Böse für gut hältst. ... Ich danke meinem Gott, dass ich des Hasses der Welt würdig bin. Welches Maß von Bedrängnissen habe ich erduldet, der ich dem Kreuze diene! Man hat mit falscher Anklage den Verruf bewirkt; aber ich weiß durch schlechten und guten Ruf zum Himmelreich zu gelangen.“ (138)
66 Die heilige Jungfrau Eustochium ermunterte er zur Ertragung ähnlicher Beschwerden des Lebens für Christus so: „Groß ist die Mühe, aber groß auch der Lohn, wenn man das ist, was die Märtyrer waren, was die Apostel, ja was Christus war. ... Alles das, was wir ausgeführt haben, wird dem hart vorkommen, der Christus nicht liebt. Wer aber allen Glanz der Welt für Schmutz hält und alles unter der Sonne für eitel betrachtet, um Christus zu gewinnen, wer mit seinem Herrn gestorben und auferstanden ist und sein Fleisch mit seinen Lastern und Lüsten gekreuzigt hat, der wird gern ausrufen: Wer wird uns trennen von der Liebe Christi?“ (139)
67 Hieronymus gewann also aus der Lesung der heiligen Bücher die reichsten Früchte; daher strahlte ihm jenes innere Licht, durch welches er mehr und mehr zur Erkenntnis und Liebe Christi hingezogen wurde; daher gewann er jenen Geist des Gebetes, über welchen er so Schönes niedergeschrieben hat, daher jenen bewunderungswürdigen Umgang mit Christus, dessen Wonnen ihn ermutigten, den steilen Kreuzweg zur Erlangung der Siegespalme ohne Unterbrechung zu durchlaufen. Ebenso brannte seine Seele unaufhörlich von Liebesglut gegen das Allerheiligste Sakrament, da „niemand reicher ist als derjenige, welcher den Leib des Herrn im geflochtenen Korb, das Blut im Glase trägt“ (140); mit nicht geringerer Ehrerbietung und Zartheit verehrte er die Mutter Gottes, deren immerwährende Jungfräulichkeit er nach Kräften verteidigte; er war auch gewohnt, die Mutter Gottes als das edelste Beispiel aller Tugenden den Bräuten Christi zur Nachahmung vorzustellen (141). Daher wird sich niemand wundern, dass Hieronymus so sehr von jenen Orten Palästinas angezogen und gefesselt wurde, welche unser Erlöser und seine heiligste Mutter geweiht haben. Man kann seine Ansicht aus den Worten entnehmen, welche seine Schülerinnen Paula und Eustochium aus der Stadt Bethlehem an Marzella geschrieben haben: „Wo ist der Ausdruck, wo das Wort, mit welchem wir Dir die Geburtsgrotte des Erlösers darstellen können? Auch jene Krippe, in welcher er als Kindlein weinte, muss man eher mit Schweigen als mit schwachen Worten ehren. Wird also jener Tag kommen, wo wir in die Geburtsgrotte des Erlösers eintreten, am Grabe des Herrn mit der Schwester weinen dürfen, weinen mit der Mutter? Wo wir dann das Kreuzholz küssen und im Ölgarten mit dem auffahrenden Herrn uns in Wunsch und Geist erheben dürfen?“ (142) In der Erwägung dieser heiligen Erinnerungen führte Hieronymus fern von Rom für den Körper zwar ein recht hartes, für den Geist aber angenehmes Leben, so dass er ausrief: „Möchte Rom erhalten, was das die Stadt Rom an Heiligkeit übertreffende Bethlehem besitzt!“ (143)
Schluss
68 Dass der Wunsch des heiligen Mannes erfüllt worden ist in anderer Weise, als er selbst es verstand, erfüllt Uns und die Bürger Roms mit Uns mit Freude; denn die Reliquien des heiligen Lehrers, die in jener Höhle geborgen waren, die er so lange bewohnt hatte und deren Besitz ein Ruhm der edlen Stadt Davids waren, diese besitzt jetzt das glückliche Rom, geborgen in der Basilika von Maria Maggiore bei der Krippe des Herrn selbst. Die Stimme ist verklungen, deren Hall einst aus der Einsamkeit hervordrang und vom ganzen katholischen Erdkreis gehört wurde, aber durch seine Schriften, die durch die ganze Welt die göttlichen Lichtquellen leuchten (144), spricht Hieronymus noch heute laut. Laut verkündet er die Wertgröße der Heiligen Schrift, ihre Unversehrtheit und geschichtliche Treue, die Süßigkeit der Früchte ihrer Lesung und Betrachtung. Laut erhebt er seine Stimme, auf dass die Kinder der Kirche alle zu einer des christlichen Namens würdigen Lebenshaltung zurückkehren uns sich vor dem Rückfall in heidnische Sitten, die in unseren Tagen fast wieder aufgelebt zu sein scheinen, rein und unversehrt bewahren. Laut verlangt er, dass der Stuhl Petri, zumal durch die Ergebenheit und den Eifer der Italiener, in deren Gebiet er nach Gottes Ratschluss gestellt ist, so in Ehren stehe und jene Freiheit genieße, welche die Würde des apostolischen Amtes und seine Ausübung selbst durchaus verlangen. Laut ruft er, dass jene christlichen Völker, welche von ihrer Mutter, der Kirche, in bedauernswerter Weise abgefallen sind, wiederum zu ihr die Zuflucht nehmen möchten, in der alle Hoffnung auf das ewige Heil hinterlegt ist. Möchten diesem Mahnruf vor allem die orientalischen Kirchen folgen, die schon allzu lange vom Stuhl Petri sich abgewandt haben. Denn als Hieronymus in jenen Gegenden lebte und Gregor von Nazianz und Didymus von Alexandrien zu Lehrern hatte, hat er die Lehre der morgenländischen Völker seiner Zeit mit dem bekannten Ausspruch umfasst: „Wenn jemand nicht in der Arche Noachs ist, wird er unter der Herrschaft der Sündflut untergehen.“ (145) Bedrohen heute die Wogen dieser Flut nicht alle menschlichen Einrichtungen, wenn nicht Gott sie abwehrt, mit Zerstörung? Denn was sollte fürwahr, wenn man Gott, den Urheber und Erhalter aller Dinge, hinwegnimmt, nicht zusammenstürzen? Was sollte dem Untergang entgehen, das Christus, der das Leben ist, von sich ausgeschlossen hat? Doch er, der einstens auf das Gebet der Jünger dem stürmischen Meere Ruhe gebot, kann das gleiche so schöne Geschenk des Friedens der durchwühlten menschlichen Gesellschaft wiedergeben. Dabei möge Hieronymus der Kirche Gottes zu Hilfe kommen, die er, weil er ihr mit größter Liebe zugetan war, gegen alle Angriffe der Gegner tatkräftig verteidigte; er möge durch seinen Schutz es erreichen, dass die Entzweiungen dem Willen Jesu Christi entsprechend beigelegt und „eine Herde und ein Hirt werden mögen“.
69 Was wir nun, ehrwürdige Brüder, am Ausgang des 15. Jahrhunderts seit dem Heimgang des großen Lehrers euch vorgelegt haben, das bringt ohne Zögern euerer Geistlichkeit und dem gläubigen Volk zur Kenntnis, damit sie nicht nur an der katholischen Lehre von der göttlichen Eingebung der Heiligen Schrift festhalten und sie verteidigen, sondern auch, damit sie mit größtem Eifer an den Grundsätzen festhalten, welche in dem Rundschreiben über das biblische Studium und in Unserem gegenwärtigen Rundschreiben vorgeschrieben sind. Inzwischen hegen Wir für alle Kinder der Kirche den Wunsch, dass sie, von der Süßigkeit der Heiligen Schrift durchdrungen und gekräftigt, die hochüberragende Weisheit Christi gewinnen. Als deren Unterpfand und zum Zeugnis Unseres Wohlwollens erteilen Wir euch, ehrwürdige Brüder, eurer gesamten Geistlichkeit und dem anvertrauten Volk in aller Liebe im Herrn den apostolischen Segen.
Anmerkungen
(1) Konzil von Trient, 5. Sitzung. Dekret über die Erbsünde Kap. 1.
(2) Sulpitius Severus, Dialog 1,7.
(3) Kassian, Über die Menschwerdung 7,26.
(4) Prosper von Aquitanien, Gesang von den Undankbaren, Vers 57.
(5) Hieronymus, Über die berühmten Männer 135.
(6) Briefe 82, 2, 2.
(7) Ebd. 15, 1, 1; 16, 2, 1.
(8) Vorrede zum Proph Abdias (Obadja).
(9) Zu Mt 13, 44.
(10) Briefe 22, 30, 1.
(11) Ebd. 84, 3, 1.
(12) Ebd. 125, 12.
(13) 123, 9 (10); 127, 7, 1.
(14) Ebd. 127, 1f.
(15) Briefe 36, 1; 32, 1.
(16) Ebd. 45, 2; 126, 3; 127, 7.
(17) Ebd. 84, 3, 1f.
(18) Vorwort zum 1. Buch der Chronik.
(19) Konzil vom Vatikan III. Konstitution vom katholischen Glauben Kap. 2.
(20) Abhandlung zu Ps 88.
(21 Zu Mt 13, 44. Abhandl. Zu Ps 77.
(22) Zu Mt 13, 45ff.
(23) Untersuchungen zum 1. Buch Moses, Vorrede.
(24) Zum Proph. Aggäus (Haggai) 2,1 ff., zu Gal 2,10.
(25) Gegen Helvidius 19.
(26) Gegen Jovinian 1, 4.
(27) Briefe 49 (48), 14, 1.
(28) Zu Jr 9, 12ff.
(29) Briefe 78, 30 (28).
(30) Ebd. 27, 1, 1f.
(31) Zu Ez 1,15ff.
(32) Zu Mich 2,11f; 3,5ff.
(33) Ebd. 4,1ff.
(34) Zu Jr 31, 35ff.
(35) Zu Nah 1,9.
(36) Briefe 57, 7, 4.
(37) Briefe 82,7, 2.
(38) Ebd. 72, 2, 2.
(39) Ebd. 18, 7, 4; vgl. ebd. 46, 6, 2.
(40) Ebd. 36, 11, 2.
(41) Ebd. 57, 9, 1.
(42) Augustinus an Hieronymus s. Briefe des Hieronymus 116, 3.
(43) Rundschreiben über das Bibelstudium (Sammlung Herder IV S. 92-155)
(44) Ebd.
(45) Zu Jr 23, 15 ff.; Mt 14,8; Gegen Helvidius 4.
(46) Zu Phm 4.
(47) Augustinus, Gegen Faustus 26, 3 f. 6 f.
(48) Jo 19,35.
(49) Zu Mt, Vorwort.
(50) Briefe 78, 1, 1,; vgl. Zu Mk 1, 13-31.
(51) Augustinus, Gegen Faustus 26,8.
(52) Vgl. Mt 12, 3.39-42; Lk 17,26-29.32ff.
(53) Mt 5,18.
(54) Jo 10,35.
(55) Mt 5,19.
(56) Lk 24, 45 f.
(57) Briefe 130, 20.
(58) Briefe 58, 9, 2; 11, 2.
(59) Mt 13,44.
(60) Augustinus, Bekenntnisse 3,5; vgl. 8,12.
(61) Briefe 22, 30, 2.
(62) Zu Mich 1, 10, 15.
(63) Zu Gal 5,19 ff.
(64) Briefe 108, 26, 2.
(65) An Domnio und Rogatian, Vorwort zu 1. Buch der Chronik.
(66) Briefe 63,2.
(67) Ebd. 15,1 1 2 4.
(68) Ebd. 16, 2, 2.
(69) Zu Dn 3,27.
(70) Gegen Vigilantius 6.
(71) Dialog mit Pelag., Vorrede 2.
(72) Gegen Rufinus 3,43.
(73) Zu Mich 1, 10 ff.
(74) Zu Is 1, 6 Kap. 16, 1-5.
(75) Zu Tit 3,9.
(76) Zu Eph 4,31.
(77) Briefe 107, 9 12.
(78) Ebd. 22, 17, 2; vgl. 29, 2.
(79) Briefe 108, 26.
(80) Ebd. 127,7.
(81) Ps 50,8.
(82) Nachfolge Christi 4, 11, 4.
(83) Nachfolge Christi 4, 11, 4.
(84) Briefe 125, 7, 3; 11, 1.
(85) Ebd. 52, 7, 1.
(86) Briefe 53, 3 ff.
(87) Ebd. 27, 1, 2.
(88) Mal 2,7.
(89) Pius X. im Rundschreiben Vinea electa vom 7. Mai 1909.
(90) Vgl. 2 Tim. 3,17.
(91) Abhandl. zu Ps 147.
(92) Röm 2,19 f.
(93) Klgl. 4,4.
(94) Jr 12,11.
(95) Briefe 52, 8, 1.
(96) Zu Am 8, 3 ff.
(97) Zu Zach 9, 15 f.
(98) Briefe 29, 1, 3.
(99) Zu Mt 25,13.
(100) Zu Ez 38, 1 ff.; 41, 23 ff.; 42, 23 ff.; Zu Mk 1m 13-31. Briefe 129, 6 usw.
(101) Zu Hab 3, 14.
(102) Zu Mk 9, 1-7; Zu Ez 40, 24-27.
(103) Zu Prd (Kohelet) 12, 9 f.
(104) Briefe 58, 9, 1.
(105) Zu Prd 2, 24 ff.
(106) Zu Am 9, 6.
(107) Zu Is 6, 1-7.
(108) 2 Tim 3, 16.
(109) Briefe 49 (48), 17, 7.
(110) Zu Gal 1, 11 ff.
(111) Zu Am, Vorwort zu 1, 3.
(112) Zu Gal, Vorrede zu 1, 3.
(113) Briefe 36, 14, 2; vgl. 140, 1, 2.
(114) Briefe 52, 8, 1.
(115) Dialog mit Luzifer 11.
(116) Briefe 53, 7, 2.
(117) Zu Tit 1, 10.
(118) Zu Mt 13, 32.
(119) Briefe 36, 14, 2.
(120) Ebd. 48 (49), 4, 3.
(121) Briefe 53, 10, 1.
(122) Ebd. 30, 13.
(123) Vorrede zum Brief an die Epheser.
(124) Briefe 141, 2; vgl. 134, 1.
(125) Postumianus bei Sulpicius Severus, Dialog 1, 9.
(126 Briefe 139.
(127) Eph 5, 27.
(128) Briefe 58, 7, 1.
(129) Postumianus bei Sulp. Sev., Dial. 1, 9.
(130) Zu Agg 2,1 ff.
(131) Zu Mich 4, 1 ff.
(132) Zu Mt, Vorrede.
(133) Vorrede zu Isaias; vgl. Abhandl. zu Ps 77.
(134) Briefe 30, 7.
(135) Abhandl. zu Ps 1.
(136) Abhandl. zu Mk 9, 1-7.
(137) Zu Mt 13, 45 f.
(138) Briefe 45, ^1, 6.
(139) Ebd. 22, 38 f.
(140) Briefe 125, 20, 4.
(141) Ebd. 22, 38, 3.
(142) Ebd. 46, 11, 13.
(143) Ebd. 54, 13, 6.
(144) Kassian, Über die Menschwerdung 7, 26.
(145) Briefe 15, 2, 1.