Weihnachtsansprachen Papst Johannes Pauls II.: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. Februar 2020, 09:20 Uhr
von Papst
Johannes Paul II.
an die Kardinäle und an alle Mitarbeiter der Römischen Kurie
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
1978
Weihnachtsansprache an die Kardinäle, 22. Dezember
BETET, BRüDER, UND WACHSET IN GLAUBE UND LIEBE!
Liebe Brüder des Heiligen Kollegiums! Liebe Söhne der Kirche von Rom!
Auf die Grußadresse, die soeben im Namen von euch hier Versammelten an mich gerichtet wurde, kann ich nur mit einem ganz kurzen Wort voll Ergriffenheit antworten: Herzlichen Dank! Ja, Dank, denn euer Besuch vor Weihnachten ist nicht einfach eine protokollarische Geste, die zu einer traditionellen, wenn auch freundlichen Gewohnheit gehört, sondern die ausdrucksvolle Gebärde eines herzlichen Empfindens. Für mich bedeutet er einen weiteren Beweis, falls es - was nicht der Fall ist - eines solchen bedarf, dass ich, vor kaum zwei Monaten zum Papst gewählt, für meine geliebte polnische Heimat und meine Diözese Krakau hier in Rom eine neue Heimat gefunden habe und eine Kirche, die so weit ist wie die Welt.
Weihnachten ist das Fest familiärer Empfindungen: neben der Rückbesinnung auf das Kommen des göttlichen Kindes auch Rückbesinnung auf unsere eigene Geburt. Wir verfolgen innerlich unseren Weg zurück auf die ursprünglichen Wurzeln unserer Existenz, umgeben von den lieben Gestalten unserer Eltern, Verwandten und Landsleute. Weihnachten ist somit eine Einladung, in der konkreten Lage jedes einzelnen wieder über unsere Geburt nachzudenken. Wie es für mich natürlich ist, dass liebe Erinnerungen an mein Haus und mein Wadowice in mir wach werden, so ist es für jeden von euch natürlich, zur Wärme eures häuslichen Herdes zurückzukehren.
Aber da flicht sich heute morgen in diese persönlichen und privaten Gedanken eure ehrerbietige Anwesenheit ein, löst gleichsam die nicht zu leugnende innere Bewegung auf und führt mich zurück zu einer anderen und höheren Realität: Ich meine die neue Wirklichkeit, die sich für mich durch die Wahl ergeben hat, die Sie, meine Herren Kardinäle, mit ihren Mitbrüdern in aller Welt an jenem für mich so zukunftsschweren 16. Oktober getroffen haben. "Ihr seid meine Krone", wiederhole ich mit dem Apostel (Phil 4, 1); ihr habt den Rahmen meiner Familie erweitert und seid die mir mit besonderem Recht "Verbundenen" im Sinn jener transzendenten, aber durchaus wirklichen Gemeinschaft und jener überaus festen Bande, welche eine Menschheitsfamilie hervorbringt, die sich "kirchliches Leben" nennt und das auch ist.
Meinen herzlichen Dank also für den gemeinsamen Ausdruck der Glückwünsche, die ihr mir darbringt, und mit euch alle, die ihr hier vertretet. Ich erwidere sie von ganzem Herzen und wünsche euch und allen, mit denen ihr verbunden seid, das reiche Geschenk der übernatürlichen Gnade und der menschlichen Güte unseres Heilandes Jesus Christus (vgl. Tit 2, 11).
2. Ich weiß wohl, wie mein Vorgänger Paul VI. seligen Andenkens im Verlauf ähnlicher Begegnungen hier in dieser Aula mit Vorliebe in die arbeitsreiche und glanzvolle Spannweite seines fünfzehn jährigen Pontifikats den Blick auf die Pflichten seiner pastoralen Mission miteinbezog. Gewöhnlich erinnerte er an die wichtigsten Geschehnisse in Kirche und Welt, nicht nur, damit sich dieses Gespräch mit seinen engsten Mitarbeitern um einen fest umrissenen Gegenstand drehte, sondern auch, um die Situation in einer aufmerksamen Prüfung der jüngsten Ereignisse darzulegen.
Eine solche Gelegenheit bietet sich heute in ähnlicher Form und zugleich verschieden, wenn nicht einfacher- auch mir. Was ist dieses Jahr alles geschehen? Oder genauer gesagt: Was ist seit jenem Abend des 6. August geschehen, an dem jener hervorragende Papst über dem Treiben der Welt die Augen schloss, um sie im Licht des Himmels wieder zu öffnen, um den Lohn eines guten und getreuen Dieners zu empfangen (vgl. Mt 25, 21)? Die Ereignisse sind allen vertraut, und ich muss sie gewiss nicht in Erinnerung rufen, am wenigsten vor euch, die ihr sie nicht als Außenstehende, sondern als handelnde Personen und großenteils als Hauptpersonen erlebt habt. Keiner von uns - möchte ich mit dem Jünger von Emmaus sagen - ist in Rom so fremd, dass er nicht wüsste, was sich in diesen Tagen hier ereignet hat (vgl. Lk 24, 18).
Unter Journalisten und in Verwaltungsämtern war von einem Wechsel, genauer gesagt, von einem zweifachen Wechsel an der Spitze der Kirche die Rede, so dass es in einem Jahr - so wurde bemerkt - drei Päpste gab. Das ist objektiv richtig, aber das Gespräch über das, was in der Nachfolge am Apostolischen Stuhl geschehen ist, und über das, was diesen in seiner Substanz bestimmend ausmacht, wird damit sicher nicht erschöpfend ausgedrückt: Ich meine das außerordentliche Erbe eben dieses Petrusamtes, so wie es in konkreter Weise während dieser entscheidenden Jahre des Pontifikats Pauls VI. zum Ausdruck gekommen ist. Gleichzeitig wurde dieses Erbe bereichert an Keimen, an Erneuerungsbestrebungen und programmatischen Leitlinien aus der Zeit des Konzils.
Man muss auch hinzufügen, dass Papst Johannes Paul I. während seines kurzen, aber so eindringlichen Dienstamtes dem ohnehin schon so komplexen Erbe Konturen verliehen hat, indem er die pastoralen Züge stärker unterstrich. Von daher gesehen spüre ich, der dazu berufen wurde, das Erbe anzutreten, tagtäglich die wahrhaft enorme Last so hoher Verantwortung.
Ist es also angebracht, von großen Entscheidungen und Amtsbefugnis zu sprechen? Nein, meine Brüder: Der Petrusdienst ist, wie ich am Morgen nach meiner Wahl in der Sixtinischen Kapelle erklärte, wesentlich eine Verpflichtung zu Hingabe und Liebe. Eben das soll mein demütiges Dienstamt sein.
Darin bestärkt mich vor allem die Gewissheit, oder besser gesagt, der unerschütterliche Glaube an die Macht Jesu Christi, der seiner Kirche ewigen Beistand versprochen hat (vgl. Mt 28,20) und der seinem Stellvertreter ebenso wie allen anderen Seelenhirten, und sogar noch eindringlicher, Vertrauen einflößt: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" (Mt 14,31). Mich bestärkt aber auch die mir von eurer Seite angebotene Unterstützung, die sich vom ersten Augenblick meiner Amtseinführung an auf verschiedene Art und Weise täglich so wirksam bestätigt hat. An dieser Stelle möchte ich das Gespräch nochmals auf die guten Wünsche lenken, um mit der nochmaligen Aufforderung zu schließen, für mich zu beten. Möge die Gemeinschaft im Gebet und in der Liebe, selbst wenn sie nur gedacht ist, erster Ausdruck eurer geschätzten Mitarbeit sein.
3. Nach der Betrachtung über die Kirche denkt man - wie es Papst Paul VI. gewöhnlich tat - aufgrund eines gegebenen Zusammenhangs an die Welt, die uns umgibt. Wie steht es in diesem Jahr, das nun zu Ende geht, um die menschliche Gesellschaft? Wie steht es um sie in diesen Tagen? Mehr als auf Tatsachen, die allen bekannt sind, müssen wir auf ihre Zusammenhänge achten, um soweit als möglich ihren Sinn und ihre Ausrichtung zu erkennen. Da kann man sich beispielsweise fragen: kommt bei den Menschen die Sache des Friedens voran oder stagniert sie? Und eine Antwort fällt bang und ungewiss aus, wenn man feststellt, dass in vielen Ländern nachhaltig übelträchtige Spannungen bestehen, die nicht selten Anlass zu heftigen Gewaltausbrüchen sind.
Der Friede bleibt leider eine heikle Sache; die Ursachen, deretwegen er bedroht ist, sind hingegen leicht einzusehen. Wo es keine Gerechtigkeit gibt - wer wüsste das nicht? -, kann kein Friede herrschen, denn Ungerechtigkeit bedeutet bereits Unruhe, und so bleibt das Wort des Propheten immer noch gültig: "Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein" (Jes 32, 17). Ebensowenig kann es Frieden geben, wo die Menschenrechte nicht geachtet werden - ich meine die unveräußerlichen Rechte, die dem Menschen als Menschen zukommen -, weil jegliche Verletzung der personalen Würde feindselige Gefühle und den Geist der Rache begünstigt. Friede kann schließlich auch da nicht sein, wo die sittliche Haltung fehlt, die das Gute gedeihen lässt, weil man stets wachsam sein und die Versuchungen im Zaum halten muss, die sich im Herzen einnisten.
Liebe Brüder, ich möchte diese Gedanken nicht weiter ausführen, es liegt mir jedoch daran, all dem einen Hinweis zu entnehmen: Je mehr man sich mit dieser Thematik beschäftigt, um so nötiger erscheint es, die geistigen Grundlagen des Friedens zu festigen, indem man mutig und ausdauernd auch weiterhin zum Frieden erzieht, eine Aufgabe, in der Paul VI. ein anerkannter Lehrmeister war. In der Botschaft zum Weltfriedenstag, die gestern veröffentlicht wurde, habe ich sein Thema über die Erziehung zum Frieden aufgegriffen und fordere auch euch - wie alle Menschen, die mir Brüder sind - dazu auf, es zu vertiefen und euch zu eigen zu machen.
Wie dringend es ist, dass man sich für den Frieden einsetzt, das bestätigen die traurigen Nachrichten, die uns neuerdings aus dem südamerikanischen Kontinent erreichen.
Der Streit zwischen Argentinien und Chile hat sich trotz der eindringlichen Friedensappelle, die der Episkopat jener zwei Länder an die Verantwortlichen gerichtet hatte und die von meinem Vorgänger Papst Johannes Paul I. persönlich unterstützt wurden, in der letzten Zeit zunehmend verschärft. Diese Entwicklung ist Anlass zu tiefem Schmerz und stärkster Besorgnis.
Aus väterlicher Zuneigung für diese beiden Nationen habe auch ich am Vorabend jener Begegnung, die zwischen den Außenministern beider Staaten am 12. Dezember in Buenos Aires stattfand, und auf die man so große Hoffnungen gesetzt hatte, unmittelbar gegenüber den beiden Präsidenten meiner Besorgnis und meiner Hoffnung Ausdruck gegeben und sie dazu ermutigt, die Lage sachlich und verantwortungsbewusst zu untersuchen, um den von beiden Völkern so lebhaft ersehnten Frieden zu erhalten.
Die Antworten, die ich erhielt, zeugen von Respekt und gutem Willen. Obgleich die Inanspruchnahme der Vermittlung des Apostolischen Stuhls grundsätzlich von beiden streitenden Parteien akzeptiert worden ist, konnte der gemeinsame Vorschlag wegen bestimmter Schwierigkeiten, die sich dann ergeben haben, nicht verwirklicht werden. Selbst im Bewusstsein der heiklen Vielschichtigkeit des Problems hätte sich der Heilige Stuhl einer Anrufung nicht entzogen, da er die höheren Interessen des Friedens gegenüber den politischen und technischen Aspekten der Streitfrage als vorrangig betrachtet.
Im Verlauf des gestrigen Tages, der immer beunruhigendere Nachrichten über die sich verschärfende Lage und einer möglichen, ja von vielen sogar als kurz bevorstehend beurteilten Krise brachte, habe ich beide Parteien von meiner Bereitschaft bzw. von meinem Wunsch in Kenntnis gesetzt, einen Sonderbeauftragten in beide Hauptstädte zu entsenden, um direktere und genauere Informationen über die jeweils bezogene Haltung zu erhalten und gemeinsam die Möglichkeiten einer ehrenvollen, friedlichen Beilegung des Konflikts zu überprüfen und zu suchen.
Am Abend traf die Nachricht ein, dass dieser Vorschlag von beiden Regierungen wohlwollend und vertrauensvoll angenommen worden ist, was über eine Ermunterung hinaus mich noch stärker die Verantwortung spüren lässt, die eine solche Intervention mit sich bringt, der sich der Heilige Stuhl seiner Auffassung nach jedoch nicht entziehen darf. Und da beide Parteien übereinstimmend die Dringlichkeit einer solchen Intervention hervorheben, wird der Heilige Stuhl mit der gebotenen Eile vorgehen.
Einstweilen möchte ich nochmals tief besorgt an die Verantwortlichen appellieren, damit sie alle Schritte vermeiden, deren Folgen unvorhersehbare - oder allzu vorhersehbare - Not und Leiden über die Bevölkerung beider Bruderländer bringen könnten. Ich fordere daher alle auf, inständig zum Herrn zu beten, damit die Waffengewalt nicht die Oberhand über den Frieden gewmne.
4. Und jetzt habe ich einige erfreuliche Mitteilungen für euch, die Erstlingsfrüchte verschiedener Anregungen und Ereignisse. Sie beweisen je für sich die Präsenz und Aktivität der heiligen Kirche.
a) Die erste Mitteilung bezieht sich auf meinen Entschluss, so Gott will, zur Teilnahme an der 3. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats, die bekanntlich in Puebla de los Angeles stattfindet, nach Mexiko zu reisen. Sie ist ein Ereignis von höchster kirchlicher Bedeutung, nicht nur, weil der gewaltige lateinamerikanische Kontinent, der auch der Kontinent der Hoffnung heißt, in eindeutiger Mehrheit katholische Gläubige zählt, sondern auch wegen des besonderen Interesses und, noch mehr, der großen Erwartungen, die auf diese Versammlung gesetzt werden. Es wird ein echtes historisches Verdienst der Bischöfe sein, die diese alten und neuen Kirchen leiten, diese Erwartungen in tröstliche Wirklichkeit umzusetzen. Ehe ich aber den Tagungsort aufsuche, will ich zunächst Station machen bei dem berühmten Heiligtum Unserer Lieben Frau von Guadalupe. Hier hoffe ich, die Kraft von oben und die notwendige Anregung zu erhalten, also sozusagen die "guten Auspizien", die ich für meinen Auftrag als Hirt der Kirche brauche und, ein gutes Zeichen, für meinen ersten Kontakt mit der Kirche Lateinamerikas. Der entscheidende Punkt meiner Begegnung mit dieser Kirche wird gerade diese Pilgerfahrt zur heiligen Jungfrau sein, die ich verehren, zu der ich beten will, um sie um Inspiration und Rat für die Mitbrüder auf dem ganzen Kontinent zu bitten.
Ich bin froh, das gerade vor Weihnachten sagen zu können, wo wir uns alle - Hirten und Gläubige - um die Mutter versammeln. Wie sie eines Tages in der Grotte von Bethlehem der Welt Jesus, den Heiland, geboren hat, so schenke sie ihn jetzt auch uns in der unerschöpflichen Fruchtbarkeit ihrer jungfräulichen und geistlichen Mutterschaft. Möge mein Besuch in ihrem schönen mexikanischen Marienheiligtum dazu beitragen, dass Christus durch sie, durch ihre Mutterschaft, nicht nur für das mexikanische Volk, sondern für alle Nationen Lateinamerikas wieder geboren wird.
Das für die Tagung in Puebla vorgesehene Thema ist euch allen schon in den Grundlinien durch das von CELAM vorbereitete Dokument bekannt, nämlich "Die Evangelisierung in der Gegenwart und Zukunft Lateinamerikas" . Das Gewicht dieses Gegenstands, seine theologischen, ekklesiologischen und pastoralen, seine theoretischen wie praktischen Implikationen, aber auch die Weite des Raumes, in dem jeder Beschluss zur konkreten Anwendung kommen muss, sind so erheblich, dass ich den Grund für meine Entscheidung nicht erst erklären muss. Wie schon Paul VI. es für richtig hielt, an der 2. Generalversammlung anlässlich des Internationalen Eucharistischen Kongresses von Bogotá teilzunehmen, so werde auch ich unter den Brüdern anwesend sein, die zur neuen Generalversammlung nach Puebla kommen, um ihnen, ihren Priestern und Gläubigen die Wertschätzung, das Vertrauen und die Hoffnung der ganzen Kirche zu bezeugen und ihnen Mut zu ihrem gemeinsamen Engagement zu geben. Irgend jemand hat gesagt, in Lateinamerika stehe die Zukunft der Kirche auf dem Spiel. Auch wenn diese Zukunft, ganz allgemein, in Gottes Heilsplan verborgen ist, der weiter reicht als alle menschlichen Pläne und sozialgeschichtlichen Bedingungen (vgl. Röm 11,33; Apg 16,6-9), enthält diese Redeweise schon eine Wahrheit, weil sie deutlich macht, dass das Schicksal der Kirche auf dem mittel- und südamerikanischen Kontinent fest mit dem der einen und ungeteilten Kirche Christi verbunden ist. Schon jetzt also dieser erlauchten Versammlung meinen Segensgruß!
b) Die zweite Mitteilung betrifft die Entscheidung, den Wissenschaftlern das Vatikanische Geheimarchiv bis zum Ende des Pontifikats Papst Leos XIII. zu öffnen. Diese seit langem von der Welt der Kultur erhoffte Entscheidung kommt in einem Jahr, in das eine doppelte Gedenkfeier fällt. 1978 sind es hundert Jahre, dass der Diener Gottes Pius IX. starb, und hundert Jahre seit dem Regierungsantritt Gioacchino Peccis, der als Leo XIII. 25 Jahre, "bis ins höchste Alter", auf dem Stuhl Petri saß, also bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts. Wenn jetzt der Heilige Stuhl die freie Benutzung der Papiere und Dokumente dieser weiten und nicht unwichtigen Periode von 1878 bis 1903, also über die Jahrhundertwende hinaus, möglich macht, öffnet er der Forschung ein breites Feld zum Nutzen der historischen Wahrheit und auch zum Beweis der immer aktiven Präsenz der Kirche im Raum der Kultur.
c) In den gleichen Ideenkonnex gehört die Anregung, das Andenken an meinen großen Vorgänger Paul VI. lebendig zu halten. Deshalb soll erstens die große Audienzhalle, deren Bau er veranlasste und dem genialen Architekten Pier Luigi Nervi zur Ausführung anvertraute, künftig "Aula Paolo VI" heißen; zweitens werden, um einen Besitz besser zu nutzen, der in das letzte Jahr seines Pontifikats datiert, die Autographe zugänglich gemacht, die ihm von so vielen berühmten Persönlichkeiten bei Vollendung seines 80. Lebensjahres zugesandt wurden. Ich halte es für meine Pflicht, das Interesse, das Paul VI. immer den Dingen der Kultur und Kunst entgegengebracht hat, weiterzuführen und zu entwickeln. Es war kein geringer Ruhmestitel für ihn und hat der Kirche nicht wenig Ansehen eingebracht.
Soweit, liebe Brüder und Söhne, meine Antwort auf eure Glückwünsche. Ich habe euch vorweg einige Mitteilungen gemacht; ich habe euch empfohlen, zu beten und für mich zu beten. Die Kontakte, die ich schon mit euch hatte, veranlassen mich, die Bedeutung solcher Verbindungen zu unterstreichen. Gott sei Dank, konnte ich einen Teil meiner nächsten Mitarbeiter, nämlich die des Staatssekretariats, schon kennenlernen. Ich habe die Absicht, sobald es mir möglich ist, die Besuche bei den anderen Dikasterien der Römischen Kurie fortzusetzen aus der Überzeugung heraus, dass gegenseitiges Kennenlernen eine bessere Koordination unserer Kräfte und Absichten - entsprechend den jedem einzelnen übertragenen Aufgaben - auf das gleiche Kernziel fördern wird: das Wachsen des Gottesvolkes in Glauben und Liebe.
Weihnachten ist nahe, der Herr Jesus kommt! Möge er uns alle wie es in der Adventspräfation heißt - wachsam in der Erwartung finden, jubelnd im Lob, brennend in der Liebe, unter dem freundlichen Blick der Mutter Jesu, die auch unsere Mutter ist. Amen!
1979
am 22. Dezember
Meine Herren Kardinäle, geliebte Brüder!
1. Ich bin dem Herrn Kardinaldekan dankbar für seine Glückwünsche, in denen ich sein edles Herz und euer aller Herzen, liebe Anwesende, mitschwingen fühlte. Der Herr vergelte euch soviel Anteilnahme. Bei dieser ganz besonderen Zusammenkunft eines jeden Jahres spüren wir die Bedeutung und den Reichtum des bevorstehenden Weihnachtsfestes besonders lebendig. Jesus kommt, er steht schon vor der Tür. Der himmlische Vater macht ihn uns zum Geschenk; er ist das Geschenk schlechthin, in welchem wir alle anderen Geschenke natürlicher und gnadenhafter Art schon empfangen haben: Er, der "viele Male und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern gesprochen hat, ... spricht in diesen Tagen zu uns durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat" (vgl. Hebr 1, 1 f). Und Maria, seine jungfräuliche Mutter, trägt ihn in ihrem Schoß, um ihn uns darzubieten, die wir durch die Hirten von Betlehem und die Weisen aus dem Orient an der Krippe vertreten sind. Sie schenkt ihn hin für das Heil aller Menschen. Diese Stunde, die wir ‒ einmütig in der Liebe und im Gebet und geistig zum Stall von Betlehem hingewandt ‒ miteinander verbringen, ist voller Freude und Ermutigung für mich und für euch, meine geliebten Mitarbeiter. Und ich danke euch von Herzen dafür.
2. Doch in euch fühle ich die ganze Kirche hier gegenwärtig: ihre Oberhirten, die verehrten Brüder im Bischofsamt, ihre Priester, die Ordensleute und alle Gläubigen. Die ganze Kirche bereitet sich auf Weihnachten vor und wird es am festgesetzten Tag in den wunderbaren und geheimnisvollen heiligen Geheimnissen nacherleben. Und an die ganze Kirche geht heute auch mein Gruß und mein aufrichtiger Dank für all die Wünsche, die aus allen fünf Kontinenten bei mir eintreffen. Vor einem Jahr ‒ es war mein erstes Weihnachtsfest auf diesem Stuhle Petri mit euch ‒ habe ich bei der gleichen Gelegenheit auf die im Auftrag Gottes übernommene Verpflichtung für das Wohl der ganzen Kirche hingewiesen: "Eine Verpflichtung zu Hingabe und Liebe" (Ansprache an die Kardinäle am 22. Dezember 1978; AAS 71, 1979, S. 50). Und während sich das Jahr nun schon rasch dem Ende zuneigt, glaube ich sagen zu können, daß ich demütig und einfach, aber mit allen meinen Kräften und unter Einsatz aller mir gebotenen Möglichkeiten dieser Verpflichtung treu geblieben und mir meiner Verantwortung vor Gott voll bewußt bin.
Mein Gruß und meine Glückwünsche gehen außerdem an die Brüder in den christlichen Gemeinschaften, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen. Sie gehen an die Angehörigen der nichtchristlichen Religionen, besonders jener, die den einzigen und allmächtigen Gott anbeten. Mein Glückwunsch geht auch an die Staatsoberhäupter der ganzen Welt, an die Verantwortlichen für die Geschicke der Menschheit und an die Politiker. Er geht an jeden Menschen, der lebt, arbeitet, sich freut und leidet auf diesem ganzen Globus.
3. Die wesentliche Botschaft des Weihnachtsfestes ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Das Wort des Vaters ist Fleisch geworden und wohnt unter uns (vgl. Joh 1, 14). Es kommt für den Menschen. Für jeden Menschen. "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, ... damit wir das Recht der Sohnschaft erlangten" (Gal 4, 4 f). Wie die Kirchenväter und die antiken Theologen häufig hervorgehoben haben, wird Gott Mensch, damit der Mensch Gott werde. Möge das kommende Weihnachtsfest jenes Heute sein, an dem sich dieser "bewundernswerte Austausch" vollzieht. Ein Heute, das nicht aufhören möge, solange auf der Erde ein Mensch geboren wird, der -'jenseits seiner Gebrechlichkeit als irdisches Geschöpf in seiner Person das königliche Abbild und die Ebenbildlichkeit mit Gott, die Würde des Sohnes des Vaters und des Erlösten durch Christus eingeprägt trägt. Dafür wird Jesus geboren an diesem Heute der Weilmacht, das ein orientalischer Autor so gut kommentiert mit den Worten: "An diesem Tag ist der Herr geboren, das Leben und das Heil der Menschen. Heute wurde die Wiederversöhnung der Gottheit mit der Menschheit und der Menschheit mit der Gottheit bewirkt... Heute ereignete sich der Tod der Finsternis und beginnt das Leben des Menschen. Heute hat sich für den Menschen ein Weg zu Gott eröffnet und für Gott ein Weg zur Seele ... Zuvor nämlich schrie die ganze Schöpfung auf ihrem Weg zum Verderben vom Falle Adams an, der ein König dieser Wirklichkeit war. Doch der Herr ist gekommen, um ihn so zu erneuern, wie er sein sollte und ihn neu zu schaffen als das wahre Ebenbild Gottes ... Heute wird die Einheit, die Gemeinschaft und die Wiederversöhnung vollzogen zwischen der himmlischen und der irdischen Wirklichkeit, zwischen Gott und Mensch" (Ps. Macario, Horn. 52, 1).
Geboren wird der "Erlöser des Menschen". Geboren wird mit ihm die neue Menschheit. Und geboren wird mit ihm die Kirche, wie der heilige Ambrosius so gut hervorhebt, wenn er die Geburt Christi so kommentiert; "Betrachtet die Uranfänge der entstehenden Kirche: Christus wird geboren, und die Hirten (das heißt die Bischöfe) beginnen aufzuwachen, um in der Halle des Herrn die Herden der Heiden zu versammeln" (Erp. ev. sec. Luc., 2, 50; PL 15, 1571). Und mit der Geburt Christi wurde der Ur-Auftrag der Kirche geboren, den sie später von ihm feierlich empfangen hat, die Würde des Menschen zu verteidigen, Jedes "einzelnen Menschen", wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe. "Denn jeder ist vom Geheimnis der Erlösung betroffen, mit jedem ist Christus für immer durch dieses Geheimnis verbunden. Jeder Mensch, der im Mutterschoß empfangen und von seiner Mutter in diese Welt hineingeboren wird, ist gerade wegen dieses Erlösungswerkes der Obhut der Kirche anvertraut. Ihre Sorge schaut auf den ganzen Menschen und ist ihm in einzigartiger Weise zugewandt. Sie kümmert sich um den Menschen in seiner individuellen, unwiederholbaren Wirklichkeit" (Redemptor hominis, 13).
4. Diese zugleich theologische und existentielle Sicht war mit der Hilfe Gottes das Leitmotiv meines ersten Pontifikatsjahres. Diese Linie, angekündigt in der Ansprache beim feierlichen Beginn meines Pontifikats am 22. Oktober 1978, hat in der erwähnten Enzyklika konkreten Ausdruck gefunden, und ihr Bogen spannt sich über die im irischen Drogheda gehaltene Predigt bis zu den Vorschlägen zur Anwendung auf das internationale Leben und die internationalen Probleme in der Rede vor der 34. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979. Tatsächlich findet ‒ wie ich mir vor den angesehenen Vertretern der ganzen Welt zu erinnern erlaubt habe ‒ darin "jegliche politische Tätigkeit auf nationaler oder internationaler Ebene ihre Begründung: Letztlich kommt sie vom Menschen her, wird durch den Menschen ausgeübt, geschieht für den Menschen. Wenn sich diese Aktivität von der grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt, wenn sie gewissermaßen sich selbst zum Ziel wird, dann verliert sie einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung. Ja sie kann sogar zur Quelle einer speziellen Entfremdung werden; sie kann sich von Menschen völlig lösen; sie kann in Widerspruch geraten zur Menschlichkeit als solcher" (Nr. 6).
Mit dem Hinweis auf all dies erinnere ich in der wachsamen Erwartung dieses letzten Teils des Advents erneut zugleich an den der Kirche anvertrauten Erlösungsauftrag Christi, den diese durch die Jahrhunderte trägt, und an die dem Menschen eingeborene Würde, der man bis zum Letzten dienen muß. Und ich habe mir bei dieser Begegnung ‒ sie soll hauptsächlich den Problemen der gesamten Menschheit gewidmet sein, während bei anderer Gelegenheit, Mitte des neuen Jahres, die inneren Probleme der Kirche behandelt werden sollen ‒ erlaubt, einige Sätze sowohl aus der Enzyklika als auch aus der Rede in New York zu zitieren, weil ich sehe und wir alle sehen, daß die heilige Größe des Menschen, eines jeden Menschen, unseres Nächsten, nicht immer so geachtet wird, wie es sich gebührt.
5. Bei meiner Begegnung mit den Vertretern aller Nationen der Welt in New York habe ich vor diesem großen Forum an die Notwendigkeit erinnert, die „unveräußerlichen Rechte" der Person und der Gemeinschaft der Völker zu verkünden und zu verteidigen. Es gibt Probleme, die uns mit ihrem ganzen Ernst herausfordern; die Kirche hat das Recht und die Pflicht, sich einzumischen, wenn sie ihrem Auftrag treu bleiben will, der nach dem Willen des für uns geborenen Christus der Erlösung des ganzen Menschen und eines jeden Menschen gilt. Die Kirche verlangt nichts anderes als die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit allen Regierungen und Völkern, gleichgültig welcher Tendenz oder Ideologie, zur beständigen Erhöhung der Menschheit.
Die verschiedenen Reisen, die ich dank der Vorsehung des Herrn in diesem Jahre machen durfte, haben auch diese Dimension, diese ursprüngliche Berufung der Kirche in der Welt von heute, deutlich aufgezeigt. Es hat sich in der Tat nicht nur um Kontakte mit dem Volke Gottes gehandelt, dieser großartigen Realität, die das Reich Gottes darstellt, es auf die Erde ausdehnt und sein Strahlen am Ende der Zeit vorbereitet. Diese Pilgerfahrten zu Nationen und Völkern, die ihrer Tradition, ihrer Kultur, ihrem gesellschaftspolitischen Profil und ihrer Regierungsform nach doch so verschieden waren, haben auch Gelegenheit geboten, die hohen Repräsentanten vieler Staaten bei Begegnungen zu treffen, die reich waren an menschlicher und gesellschaftlicher Wärme und Bedeutsamkeit. Das waren ausgesprochen positive Ereignisse, die mehr und besser als jedes Wort dazu beigetragen haben, echte und konkrete Annäherung, mehr noch: weltweite Brüderlichkeit unter den Völkern zu schaffen und jede Art von trennenden Schranken zwischen den verschiedenen Systemen weiter zu beseitigen.
In diesem Lichte finden auch die vielfältigen Beziehungen ihre Existenzberechtigung, die der Hl. Stuhl sowohl durch die Päpstlichen Vertretungen im Dienst der jeweiligen Ortskirchen und Nationen als auch durch die Kontakte, die der Papst zu den Staatsoberhäuptern und den qualifizierten Repräsentanten der Regierungen und des politischen Lebens der verschiedenen Völker auf der ganzen Welt unterhält. Ich erinnere gerne an die zahlreichen Botschafter beim Hl. Stuhl; eine ganze Reihe von ihnen habe ich in den vergangenen Tagen zur Entgegennahme ihrer Beglaubigungsschreiben empfangen.
6. Angesichts so vielfältiger echter Möglichkeiten, einen konstruktiven Dialog mit den Mächten zu eröffnen, die die Welt regieren, fühlt die Kirche die Pflicht, ihre Stimme zur Verteidigung der Menschenrechte zu erheben. Das ist gewiß keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, keine unzulässige Aneignung von Aufgaben, die ihr nicht zustehen, und noch weniger ist es eine nicht auf Fakten beruhende Rhetorik:
Die Menschenrechte ‒ wie sie in jener fundamentalen „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" von 1948 verkündet sind, an die ich am Rednerpult der Vereinten Nationen erinnert habe ‒ sind in der Welt leider verschiedenen Gefahren ausgesetzt, durch die sie eingeschränkt und gelähmt, wenn nicht sogar offen verletzt und unterdrückt werden. Noch nie hat man die Würde und das Recht des Menschen auf ein menschenwürdiges Leben so laut verkündigen gehört, aber niemals hat man auch so viele offene Verletzungen dieser Erklärungen erlebt.
Ich denke an die internationalen Spannungen, die leider weiterhin bestehen. An die Kriege und Revolutionen, die nicht nur große wirtschaftliche Not mit sich bringen, sondern vor allem von einer traurigen Folge von Tod und Zerstörung begleitet sind. Ich denke an die inneren Kämpfe, von denen einige Nationen zerrissen sind. An die Verletzung unerschütterlicher Prinzipien des internationalen Rechts, die von schwerstem Leid für die betroffenen Personen und ihre Familien begleitet sind.
Ich denke an die niederträchtigen und furchtbaren Verschwörungen des Terrorismus, die das Zusammenleben in einigen uns überaus teuren Nationen, wie dem geliebten Italien, bedrohen; wenn es sich auch nicht um echten Krieg handelt, so ist eine solche Situation doch das tückische und grausame Surrogat des Krieges. Und ich erinnere mit Schrecken an die Entführungen, die Erpressungen, die Raubüberfälle; ich denke an die Entführten, die unsagbar leiden, oft viele Monate lang.
In diesem Zusammenhang muß ich auch an die brisantesten Gefahrenherde in einigen Teilen der Welt erinnern: die fortwährende Krise im Nahen Osten, die Situation in Südafrika, den Konflikt auf der Halbinsel Indochina. Und hier geht der Gedanke an die mitleiderregenden Karawanen von Menschen, die über das weite Meer irren oder nach einer Zuflucht suchen, auf die politischen Flüchtlinge, auf die Menschen im Exil, auf die Gefangenen, deren aller Lage schmerzlich ist, weil ihnen Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeit und vor allem jegliche Sicherheit für das Morgen fehlen: Die Flüchtlinge sind auf internationaler Ebene die wahren Armen von heute, und ihnen muß sich die Solidarität aller Völker zuwenden, damit ihnen eine bessere Zukunft eröffnet wird. Niemand darf die Augen vor ihrer Tragödie verschließen.
Wie ich schon vor den Vereinten Nationen gesagt habe, behält auch das Problem der Rüstung seinen ganzen besorgniserregenden Ernst, denn "bereit sein zum Krieg bedeutet auch, in der Lage zu sein, ihn auszulösen" (Rede an die Vereinten Nationen, Nr. 10). Dieser zunehmende Aufwand von Mitteln, der für die Gesellschaft keinen Nutzen bringt, hat verhängnisvolle psychologische Konsequenzen für die Beziehungen der Staaten untereinander und für das Leben im Innern der Staaten selbst. In diesem Zusammenhang muß auch die Installation immer ausgeklügelter Waffen berechtigte Besorgnis hervorrufen, die zwar als Verteidigungsmittel gedacht sein mögen, aber doch zur Ursache von Zerstörung und Untergang werden können.
In meiner kürzlich veröffentlichten Botschaft zum Weltfriedenstag, in der die Wahrheit als der Ursprung des Friedens dargestellt ist, habe ich die verschiedenen Formen der Unwahrheit erläutert, die den Menschen erniedrigen und das brüderliche Einvernehmen immer schwieriger und problematischer machen. Auch was ich soeben erwähnt habe, gehört in den Rahmen der Erforschung alles dessen, was dem Weltfrieden schadet, eben weil es dem ehrlichen Streben nach dem Guten und Wahren auch in den Beziehungen unter den Völkern entgegenwirkt. Ich spreche deswegen in dieser Weihnachtsbotschaft noch einmal den Wunsch aus: Es ist notwendig, daß "wir uns tief in unser eigenes Wesen versenken, um jene Schichten zu entdecken, wo wir uns ‒ jenseits aller Spaltungen in uns und zwischen uns ‒ in der Überzeugung bestärken können, daß die grundlegenden Antriebe des Menschen, die Kenntnis seiner wahren Natur ihn zur Begegnung führen, zur gegenseitigen Achtung, zur Brüderlichkeit und zum Frieden. Diese anstrengende Suche nach der objektiven und universellen Wahrheit vom Menschen wird ... Menschen des Friedens und des Dialogs schaffen, die sich demütig und zugleich kraftvoll zu einer Wahrheit bekennen, die es immer deutlicher macht, daß man ihr dienen muß und sich nie ihrer bedienen darf zu eigensüchtigen Interessen" (Botschaft zum Weltfriedenstag 1980, Nr. 4).
7. Die eben erwähnten Situationen sind Situationen des Unbehagens, Quelle des Leids. Die Menschen leiden heute. Wie viel, ja wie viel Leid kommt in die Welt, wenn man vergißt, daß der Mensch unser Bruder ist! Und darum kann die Kirche ‒ den Blick auf das Geheimnis des menschgewordenen Sohnes Gottes gerichtet und selbst aufgrund der Ungerechtigkeit der Menschen dem Leiden und dem Hunger, der Armut und dem Exil ausgesetzt ‒ nicht anders, als sich einzumischen, sich einzusetzen, sich ganz zu engagieren, um den Menschen zu helfen und ihnen Leid zu ersparen. Wo immer ein Mensch leidet, dort ist Christus und wartet an seiner Stelle (vgl. Mt 25, 31-46). Wo immer ein Mensch leidet, muß die Kirche an seiner Seite sein.
Alles, woran ich soeben erinnert habe ‒ drohende und bereits wütende Kriege, Terrorismus, Flüchtlingsprobleme ‒, stellt uns ein furchtbares Ausmaß menschlichen Leides vor Augen.
Hinzu kommt all das, was in der Welt Mißverhältnisse und Unbehagen verursacht und damit die dem Menschen eingeborene Würde verletzt, weil der Mensch gedemütigt wird und am eigenen Leib und für seine Angehörigen leidet. Ich meine die himmelschreienden gesellschaftlichen Ungleichheiten, die es immer noch gibt. Wenn ‒ wie das Zweite Vatikanische Konzil betont hat ‒ der "Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft" ist (Gaudium et spes, 63), so bestehen doch auch heute noch die "Gründe zur Besorgnis", die das Konzil mit absoluter Offenheit angeprangert hat, als es von der „Verschlechterung der Läge der sozial Schwachen" und von der "Verachtung der Notleidenden" sprach. "Während einer ungeheuren Masse immer noch das absolut Notwendige fehlt, leben einige ‒ auch in den zurückgebliebenen Ländern ‒ in Üppigkeit und treiben Verschwendung" (ebd.). Die Folge davon ist, daß in einigen Ländern noch heute der Hungertod wütet. Seine unschuldigen Opfer sind jedes Jahr Millionen. Wie kann man mit einem so grausamen, so unvorstellbaren Leid vor Augen mit Freude an das bevorstehende Weihnachtsfest denken? Und diese Geißel zieht ‒ wie wir wissen ‒ eine ganze Reihe von Übeln nach sich, die die Zukunft ganzer Völker bedrohen: Unterernährung, endemische Krankheiten, Tatenlosigkeit, Elend und Verzweiflung. Wie sollten wir nicht eine von gutem Willen getragene Zusammenarbeit auf internationaler Ebene herbeiwünschen? Es ist notwendig, daß sich alle Völker ‒ die oft aufgrund unbegreiflicher Marktgesetzmäßigkeiten ihre Produkte vernichten ‒ zusammentun, um ihren hungernden und leidenden Brüdern zu Hilfe zu kommen. Ich erinnere an dieser Stelle mit erneuerter Eindringlichkeit an das, was ich im Juli 1979 bei der Audienz für die Konferenz über die Agrarreform und am 11. Oktober bei meinem Besuch bei der FAO gesagt habe, jener Organisation der Vereinten Nationen, die mit der Untersuchung und Lösung der Ernährungs- und Entwicklungsprobleme auf der Weit befaßt ist: Man kann nicht gleichgültig bleiben, wenn man ein Tätigkeitsfeld von solch großem Ernst vor Augen hat, das ganze Erdregionen umfaßt.
Ich kann in dieser Stunde auch nicht die Arbeitslosen vergessen, die Unterbeschäftigten und alle, die die Last des Lebens nur mit Mühe tragen: Vielen Müttern und Vätern wird das Herz um so schwerer, je näher das Weihnachtsfest rückt, weil ihre Kinder nicht nur die Freude an überflüssigen Geschenken entbehren müssen, sondern selbst ihre materielle Sicherheit, ja vielleicht das bloße Überleben, keineswegs gewährleistet ist.
Ich denke auch an das Leid der anonymen Massen einfacher Menschen in allen Ländern, verursacht durch die plötzlichen Veränderungen in den internationalen Handelsbeziehungen und die Teuerung bei gewissen Versorgungsgütern. Diese Vorgänge haben steigende Kosten für die elementarsten Dinge des Lebens zur Folge und bereiten größte Schwierigkeiten im Leben der Familien und der Gesellschaft.
8. Doch es gibt auch Ursachen für inneres, statistisch nicht erfaßbares Leid, die die innerliche Größe und den Adel des Menschen an ihrer Wurzel angreifen, weil sie ihn daran hindern, seine höchsten, unveräußerlichen Rechte auszuüben. Die wichtigsten davon habe ich in der Ansprache an die Vereinten Nationen aufgezählt, nämlich "das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit; das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur; das Recht der Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein oder in Gemeinschaft zu bekennen" (Nr. 13). Im besonderen möchte ich heute gerade dieses Recht auf Religionsfreiheit unterstreichen, das ein heiliges Recht für alle Menschen ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ihm einen feierlichen Appell gewidmet: "Diese Freiheit", heißt es in der Erklärung Dignitatis humanae, "besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, ... innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln" (Nr. 2).
Ich muß sagen, daß dies leider ein wirkliches Problem und ein ernstes Problem für das Leben verschiedener Völker der Erde ist. In verschiedenen Ländern gibt es die Religionsfreiheit in ihrem echten Ausmaß nicht. Es ist beispielsweise schwer zu verstehen, warum der Grundgedanke des wissenschaftlichen und sozialen Fortschritts heute mit dem Zwang zu einem atheistischen Programm verbunden sein muß; diese Situation dauert in bestimmten Ländern der Erde an und schafft tatsächlich, wie ich ebenfalls in der Ansprache an die Vereinten Nationen hervorgehoben habe, "eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser (Grund-) Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, wenn auch nicht im formalen Sinne, so doch de facto ein Bürger zweiter oder dritter Klasse zu werden" (Nr. 19). Das verursacht tiefes Leid, unheilbare Wunden und ununterdrückbare Gewissensqualen bei rechtschaffenen und gerechten Menschen, die die tiefsten Erwartungen ihres geistlichen Seins beschnitten fühlen. All diesen Brüdern und Schwestern, die leiden, ist der Papst nahe mit seiner Sympathie, seiner Zuneigung, seinem Gebet. Er möchte ihnen versichern, daß er keine Gelegenheit versäumen wird, um mit den Verantwortlichen, denen er in seinem Dienstamt begegnet, über ihre Situation zu sprechen. Diesen allen bringt er heute den berechtigten Anspruch zu Gehör, daß die Kirche und der Hl. Stuhl auf der ganzen Welt in friedlicher Weise das Recht haben müßten, den Gläubigen und den Priestern zu helfen: und dies, weil er einzig und allein von dem Willen beseelt ist, dem Menschen beizustehen, ihm seinen Lebensweg zu erleichtern und sein Inneres in der freien und konsequenten Verwirklichung seiner Überzeugung zu den Horizonten der menschlichen und übernatürlichen Würde zu erhöhen, zu der Gott ihn berufen hat. Die Kirche müßte in der Lage sein, ihren Auftrag in alle Himmelsrichtungen auszuüben in Achtung vor den wechselseitigen Freiheiten, aber auch in der Erfüllung der unverlierbaren Rechte, wie sie im Evangelium verkündet werden. In diesem Zusammenhang denke ich mit besonderer Zuneigung an das große chinesische Volk, dessen ich schon am Sonntag, 19. August, vor dem Gebet des Angelus gedacht habe. Das Weihnachtsfest vor Augen, sende ich meinen Gruß und meinen Glückwunsch an die Söhne der katholischen Kirche wie auch an alle Angehörigen dieser großen Nation und erneuere "die Hoffnung, daß sich positive Entwicklungen ergeben, die unseren Brüdern und Schwestern des chinesischen Kontinents die Möglichkeit bieten, sich der vollen Religionsfreiheit zu erfreuen" (O.R. dt., Nr. 34 vom 24. August 1979).
9. Das Internationale Jahr des Kindes geht zu Ende, in dessen Mittelpunkt weltweit der Mensch von morgen, der Mensch des Jahres 2000, stand. Heute tritt er ins Leben mit all seinen erst im Keim angelegten Verheißungen und mit all seinen Erwartungen, die nicht enttäuscht werden dürfen. Sehr schöne Initiativen hat es fast überall gegeben, und dies läßt hoffen, daß das Problem auf allen Ebenen in den Planungen und Sorgen der Politiker, der Soziologen, der Psychologen und Pädagogen, der Ärzte, der Lehrer und der Kulturschaffenden wie auch der Medienverantwortlichen seinen Platz findet. Viele haben geeignete Initiativen vorangetrieben. Der Papst darf vor allem nicht das unermüdliche, liebevolle und kluge Wirken von Personen und Einrichtungen innerhalb der Kirche vergessen; oft genug haben die finanziellen Mittel nicht ausgereicht, doch die Liebe Christi, die uns drängt, ersetzte das Fehlende (vgl. 2 Kor 5, 14). Und vor allem denke ich an das Wirken der Missionare, deren Evangelisierungsarbeit in ihren erzieherischen und sozialhelferischen Seiten gerade der Förderung und Vorbereitung der kommenden Generationen gilt. Und ich spreche mein Lob aus für alles, was Männer und Frauen jedes Glaubens und jeder religiösen Erziehung auf der ganzen Welt unter selbstlosen Bemühungen und in redlicher Absicht für die Erziehung und Unterstützung der Kinder tun.
Doch wieder muß ich feierlich betonen: Das Leben des Menschen ist heilig vom ersten Aufkeimen unter dem Herzen der Mutter, vom Augenblick der Empfängnis an. Wie könnte ich vergessen, daß gerade in diesem dem Kinde gewidmeten Jahr die Zahl der im Mutterleib getöteten Leben schreckenerregende Höhen erreicht hat? Das ist ein lautloses Massenopfer, das nicht nur uns Männer der Kirche, uns christliche Männer und Frauen auf der ganzen Welt, sondern auch die in der öffentlichen Verantwortung Stehenden und um die Zukunft der Völker Besorgten nicht gleichgültig lassen darf. Im Namen des "in Maria lebenden" Jesus, den sie in ihrem Schoß in eine gleichgültige und feindliche Welt getragen hat ‒ in Betlehem weigerte man sich, sie aufzunehmen, und im Palast des Königs Herodes plante man seinen Tod ‒ , im Namen jenes Kindes, das Gott und Mensch war, beschwöre ich alle, die sich der unaufgebbaren Würde dieser noch nicht geborenen Menschen bewußt sind, eine des Menschen würdigere Haltung einzunehmen, damit diese dunkle Zeit, die das Gewissen des Menschen mit Finsternis zu umhüllen droht, endlich überwunden werden kann.
10. Ziel des Internationalen Jahres des Kindes ist unter anderem auch die menschliche Förderung der Kinder und Halbwüchsigen beiderlei Geschlechtes bis an die Schwelle des Jugendalters. Ich denke deshalb in diesem Augenblick an die lebhaften und fröhlichen Scharen dieser lieben Buben und Mädchen, die auf der ganzen Welt die frohe Hoffnung für das Morgen sind. Dem Wachstum der Generationen folgend, umarme ich auch die unermeßliche Schar der Jugendlichen beider Geschlechter auf der ganzen Welt; sie sind das Bindegewebe der Gesellschaften jeglicher Art und die Energiereserve für den Aufbau einer gerechteren und besseren Zukunft. Diese Jugend ist in ihren verschiedenen Altersstufen, die von der frühesten Jugend bis an die Schwelle der Ehe reichen, rechtschaffen, großmütig, voller Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit; sie verlangt, daß die Erwachsenen sie mit Verständnis und gutem Willen im Berufsleben und in den Führungspositionen akzeptieren; sie wendet sich mit erneuertem Interesse und mit dem sehnlichen Wunsch nach einer klaren Antwort auf die wesentlichen Fragen des Lebens an die Kirche. Diesen jungen Menschen blickt Christus auch heute voll Sympathie in die Augen, wie dem jungen Mann im Evangelium (vgl. Mk 10, 21).
In ihrem Suchen nach Sicherheit kann und darf die Jugend nicht enttäuscht werden. An sie gewandt, wiederhole ich den Ruf zu Beginn meines Pontifikats: "öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!" (Ansprache vom 22. Oktober 1978). Ich weiß, daß ich damit ankomme! Die überaus frohen und ermutigenden Kontakte mit so vielen jungen Menschen, mit denen ich in diesem Jahr in Rom und in allen Breiten der Erde gesprochen habe, denen ich die Hände geschüttelt und mit denen ich freundschaftliche Blicke gewechselt habe, bestätigen es mir. Ihnen allen wiederhole ich: Die Kirche wird euch nie verraten, die Kirche wird euch nie enttäuschen, die Kirche wird euch immer achten in eurer ganzen Persönlichkeit. Habt keine Angst!
Aber ich denke ebenso an die dunklen Realitäten, die dieses von Leben überschäumende Potential der Kinder und Jugendlichen von heute bedrohen, die es zur gestaltlosen Masse, ja sogar in eine Zerstörungskraft verwandeln können. Ich kann nicht übergehen, daß zahlreiche Bestrebungen nach Arbeit, nach kultureller Weiterbildung und nach Beschäftigung im Beruf nicht erfüllt werden und viele junge Menschen deswegen arbeitslos bleiben, obwohl sie sich angestrengt und studiert und eine Ausbildung erreicht haben, die es wert wäre, für das allgemeine Wohl der Gesellschaft genützt zu werden. Und wie soll man nicht empört die Stimme gegen diejenigen erheben, die im verborgenen niederträchtig und aus entarteten Interessen diesen herrlichen Reichtum zerstören wollen und dazu schreckliche Surrogate verratener Werte und tödliche Lockmittel einsetzen, die in einem Leben voller Enttäuschungen, und ohne jedes Ideal leichte Beute finden. Wie kann man die bereits unzählbaren Opfer des Rauschgifts vergessen, das schon Kindern im frühesten Jugendalter angeboten und das später zur ehernen Kette einer schmachvollen Sklaverei wird? Wie kann man die moralischen Verwüstungen vergessen, die eine ebenso niederträchtige Industrie oder ein Teil des Verlagswesens und der Kommunikationsmittel, die vom permissiven und genußsüchtigen Denken durchdrungen sind und dieses mit Hilfe der Bilder weitergeben, mit ihrer zügellösen und zur Lebensnorm erhobenen Genußsucht in den Seelen zahlreicher junger Menschen angerichtet haben? Und wie kann man vergessen, daß die im Formungsprozeß stehende menschliche Persönlichkeit manipuliert wird durch die Massenmedien, die ideologische Verhetzung, die bruchstückhafte und verzerrte Darstellung der Wahrheit, die Pornographie?
Zu all diesen besorgniserregenden Anzeichen moralischen Rückschritts tritt die Gewaltanwendung in all ihren Formen. Sie gehorcht einzig und allein einer Logik der Zerstörung und des Todes und könnte ‒ Gott verhüte es ‒ das allgemeine Streben nach geordnetem Fortschritt, nach konstruktiver Eintracht und nach aufbauendem Frieden lähmen. An diese jungen Menschen, die heute nicht davor zurückschrecken, andere junge Menschen zu töten oder zu verwunden, richte ich wie mein Vorgänger Paul VI. auf Knien den Ruf der Hoffnung und die Aufforderung von Drogheda: "Ich appelliere an die Jugendlichen, die in Organisationen verstrickt sind, die Gewalttaten verüben. Ich sage euch mit der ganzen Liebe, die ich für euch hege, und mit dem ganzen Vertrauen, das ich in die Jugend setze: Hört nicht auf die Stimmen, die die Sprache des Hasses, der Rache und der Vergeltung sprechen ... Wahrer Mut liegt in der Arbeit für den Frieden. Wahre Kraft liegt in der Vereinigung mit den jungen Männern und Frauen eurer Generation, um überall eine gerechte, menschliche und christliche Gesellschaft mit den Mitteln des Friedens aufzubauen. Gewalt ist der Feind des Friedens. Frieden allein kann uns den Weg zu wahrer Gerechtigkeit führen" (Predigt beim Gottesdienst in Drogheda am 29. September 1979; vgl. O.R. dt., Nr. 40/79, S. 9).
11. Die Erziehung der Jugend ist untrennbar verbunden mit dem rechten Funktionieren des Familienlebens. Die Familie, "Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft", wie das Konzil sie nannte (Apostolicam actuositatem, Nr. 11), ist das Reservoir des Glücks oder des Unglücks der Gesellschaft von morgen. Sie wirkt ja beständig und entscheidend sowohl in negativem wie positivem Sinn auf das Leben der jungen Menschen ein. Sie kann also aus den Gedankengängen dieser weihnachtlichen Botschaft nicht ausgeschlossen bleiben, um so weniger, als Weihnachten das Fest der christlichen Familien im reinsten Sinne ist, die sich in der einfachen, aus der wahren und tiefen Vereinigung der Herzen entspringenden Freude um die Sippe geschart haben. Die Heilige Familie, die wir am Sonntag nach Weihnachten feiern, gibt uns den Schlüssel, um alle Werte zu verstehen, die den Familien von heute verkündet werden müssen: Liebe, Hingabe, Opferbereitschaft, Keuschheit, Achtung vor dem Leben, Arbeit, Ausgeglichenheit, Fröhlichkeit. Die Ursachen der Zerrüttung dagegen, die ich erwähnt habe, finden in der Familie ihr erstes Opfer, und mit ihr überrollen sie auch die Jugend. Viele moralische Verirrungen wie auch viele Gewalttaten entstehen gerade aus der Auflösung der Familie, die leider zur Zielscheibe eines Bündnisses von zersetzenden Kräften geworden ist, die sich aller verfügbaren Mittel bedienen.
Wenn ich mich auf meinen Reisen in diesem Jahr so gut habe umschauen können, so sicher deswegen, weil die Präsenz und das Wirken der christlichen Familien das Bindegewebe, der Zusammenhalt und die tragende Struktur des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens auf der ganzen Welt geblieben sind. Dafür danke ich dem Herrn und mit ihm so vielen Vätern und Müttern auf allen Breitengraden der Erde.
Ich habe auch keine Gelegenheit ausgelassen, die Persönlichkeiten, mit denen ich in diesem Jahr zusammengetroffen bin, für die Verteidigung der Werte der Familie zu interessieren ‒ von den höchsten Vertretern des Lebens der Völker bis zu ihren diplomatischen Vertretern und den gesellschaftlichen und politischen Autoritäten. Und zugunsten der Familie und für die Lösung der verschiedenen vielschichtigen Probleme, die sie dem Gewissen und der Gesellschaft stellt, habe ich mich in meinen Ansprachen und Aufrufen unaufhörlich eingesetzt: In Mexiko bei der Predigt in Puebla de los Angeles, in Polen auf dem Jasna Göra in dem Aufruf und der Rede an die Arbeiter, dann in Nowy Targ, in Limerick in Irland und in Washington vor dem Kapitol in den Vereinigten Staaten. Ich habe auch ‒ in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae (Nr. 68) ‒ nicht den Hinweis auf das der Familie übertragene katechetische Wirken unterlassen. Und schließlich erlaube ich mir, auf die Betrachtungen hinzuweisen, die ich zur Zeit in Vorbereitung auf die der Familie gewidmete Generalversammlung der Bischofssynode im kommenden Jahr in den Generalaudienzen halte. Diese Versammlung wird eine von mir besonders erhoffte, bevorzugte Gelegenheit sein, weil sich die ganze Kirche in der Person der Vertreter ihrer nationalen Bischofskonferenzen in die Betrachtung der wunderbaren Würde der Familie, des Reichtums ihrer Werte und die Bedeutung ihrer unersetzlichen Aufgabe vertieften wird.
12. Verehrte Brüder! Das Zusammensein mit euch in dieser vorweihnachtlichen Erwartung hat mir diesen Überblick über die dringlichsten Probleme der Gegenwart gestattet. Ich weiß, daß es die unerläßliche Aufgabe des obersten Hirten der Kirche ist, den einzuschlagenden Weg zu zeigen. Dieser Weg ist Christus (vgl. Joh 14, 6). Er allein. Er zu allen Zeiten: "Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit!" (Hebr 13, 8).
In diesem Jahr meines Pontifikats waren "meine tägliche Arbeit und die Sorge für alle Gemeinden" (2 Kor 11, 28) einzig und allein, dem Menschen zu begegnen, um dem Menschen die Begegnung mit Christus zu bringen. Die Menschenmengen, die sich ununterbrochen in den Mittwochsaudienzen gedrängt haben und denen ich auf meinen Pilgerreisen und bei den wöchentlichen Pfarreibesuchen in meiner Diözese Rom begegnet bin, haben mir gestattet, diesen lebendigen Kontakt aufzunehmen, und haben eine beständige Katechese des Lehramtes ermöglicht, deren Grundlinien ich in dem kürzlich erschienenen Dokument Catechesi tradendae, einer Zusammenfassung der Ergebnisse der letzten Bischofssynode, aufgezeichnet habe. Es war ein unmittelbarer Kontakt mit allen: mit lebendigen Menschen und nicht mit einer anonymen Masse; mit den Kindern und Jugendlichen; mit Politikern; mit Arbeitern der verschiedenen Bereiche, die ich auch an ihren Arbeitsplätzen besucht habe; mit den Leuten auf den Feldern und in den Bergen; mit hervorragenden Vertretern der Wissenschaften ‒ Physikern, Juristen, Dozenten und Professoren; mit Vertretern kultureller Einrichtungen und des Fremdenverkehrs; mit Seeleuten, Piloten und dem fliegenden Personal, das mich durch den Himmel der verschiedenen Kontinente begleitet hat; mit den Männern der verschiedenen Abteilungen des Militärs und vielen anderen. Es war wirklich eine direkte und persönliche Begegnung mit den Menschen aller Länder.
13. Gleichzeitig war es eine Begegnung mit der Kirche. Sie wurde ja von Christus für das Heil des Menschen, eines jeden Menschen in seiner konkreten Lebenssituation, eingesetzt. Die Kirche erlebt heute einen wahrhaft begeisternden Augenblick der Vitalität und ist Mittelpunkt der Orientierung und des Interesses für die ganze Welt.
Es war für mich eine überaus reiche Erfahrung, in diesem Jahr den Bischöfen eines großen Teils der verschiedenen Kontinente zu begegnen. Und wenn es das Charisma des Petrus und seiner Nachfolger ist, die "Brüder zu stärken" (vgl. Lk 22, 32), so ist doch die Stärkung nicht weniger groß, die ich aus dem Glauben dieser Brüder empfange, wenn sie kommen, um "Petrus zu sehen" und mit ihm in beständiger, strikter Ausübung der bischöflichen Kollegialität, die mir so sehr am Herzen liegt, in brüderlicher Umarmung den Bruderkuß zu tauschen. Ausdruck dieser Kollegialität war vor allem die Begegnung mit den Mitgliedern des Kardinalskollegiums, die zu allererst in euch, verehrte Brüder, die ihr es bildet, soviel Freude, Interesse und Anteilnahme hervorgerufen hat, weil es sich um ein einzigartiges Ereignis handelte.
Und eine große Freude erfüllt mich jetzt, wenn ich daran erinnere, daß ein Bischof der Kirche Gottes, der verehrte Msgr. Tchidimbo, in diesem Jahr nach langer Leidenszeit seine Freiheit wiedererhalten hat.
Nicht vergessen kann ich auch die Begegnungen und die gemeinsamen Eucharistiefeiern mit den geliebten Brüdern im Priesteramt, die ich wie meinen Augapfel liebe. In ihrer freudigen, totalen und unwiderruflichen Treue zu Christus, dem ewigen Hohenpriester, sind sie wahrhaftig "meine Freude und mein Ehrenkranz" (Phil 4, 1).
In die Erinnerung eingegraben bleiben mir auch die Begegnungen mit den Ordensleuten der verschiedenen Kongregationen und Institute und unter ihnen besonders mit den Ordensbrüdern. Ich freue mich über ihr besonderes Zeugnis der Liebe zu Christus und zur Kirche.
In gleicher Weise erinnere ich mich an die Begegnungen mit den Ordensschwestern. Für sie wiederhole ich: Die Kirche setzt ihr ganzes Vertrauen und all ihre Erwartung in sie, daß sie eine geistliche Mutterschaft des Opfers und der Hingabe ausüben. Quelle und Wegweiserin dafür ist die allerseligste Jungfrau, die im aufmerksamen Schweigen von Nazaret, des Kalvarienberges und des Abendmahlssaales zur höchsten Würde der Mutter Gottes und der Kirche und zur fürsorglichen Königin der Apostel berufen worden ist.
Die Zeit würde nicht ausreichen, um an die Mengen der Gläubigen zu erinnern, denen ich im Lauf dieses Jahres auf meinen Apostolischen Reisen wie auch in den Audienzen und bei den Besuchen in Rom und in Italien begegnet bin.
Erwähnen wenigstens möchte ich die Bemühungen, die einigenden Bande zwischen der katholischen Kirche und den Schwesterkirchen des christlichen Orients zu verstärken durch die Suche nach Verständigung und Verständnis, die auf der Liebe Christi und der gemeinsamen Vermehrung des Ruhmes Gottes aufgebaut sind. Die Verpflichtungen, die das Zweite Vatikanische Konzil auf dem heiklen, schwierigen und verheißungsvollen Gebiet des Ökumenismus als eine seiner Hauptaufgaben hinterlassen hat, nämlich "die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen" (Unitatis redintegratio, Nr. 1), sind weiterhin Hauptziele dieses Pontifikates.
14. Aufgabe des obersten Lehramtes der Kirche ist es in diesem Augenblick großer Spannungen, aber noch größerer Hoffnungen, dem Menschen einen Dienst der Liebe und der Wahrheit anzubieten. In diesem Geist habe ich meine Reisen unternommen, und in diesem Geist werde ich mit Gottes Hilfe im kommenden Jahr weitere unternehmen. Einladungen dazu sind mir von den Bischofskonferenzen und den staatlichen Obrigkeiten zahlreicher Länder zugegangen. Ich danke für soviel Höflichkeit und versichere, daß ich so vielen Einladungen folgen werde, wie mir möglich ist.
Ich bitte den Herrn, er möge mir Kraft und Beistand geben, um auf dem von meinen unvergeßlichen Vorgängern vorgezeichneten Weg weitergehen zu können: von der unüberwindlichen und: unbesiegbaren Hoffnung eines Johannes XXIII. zur heroischen und weitblickenden Geduld und Festigkeit eines Paul VI. ‒ der für das, was er bei der Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Wohl der Kirche getan hat, für immer herausragt ‒ bis zum Lächeln Johannes Pauls I., der wie ein Blitz aufgeleuchtet und vorübergegangen ist und doch eine tiefe Spur hinterlassen hat, weil er uns immer daran erinnern wird, daß "Gottes Wege nicht unsere Wege sind" (vgl. Jes 55, 8).
Auf dieser Linie verläuft weiterhin der Weg der Kirche jetzt, am Beginn des neuen Jahres wie auch in der Zukunft. Christus ist mit uns,: haben wir also keine Angst und zögern wir nicht:. "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28, 20).
15. All dies per Mariam, durch Maria! Unter ihren Schutz habe ich den Beginn meines Pontifikates gestellt, ihr habe ich im Laufe dieses Jahres den Ausdruck meiner kindlichen Frömmigkeit dargebracht, die ich von meinen Eltern gelernt habe. Maria war ‒ in ihren berühmtesten wie in ihren verschwiegensten Heiligtümern ‒ der Leitstern meines Weges: die Mentorella und Santa Maria Maggiore, Guadalupe und Jasna Göra, Knock und das Nationalheiligtum der Unbefleckten Empfängnis von Washington, Loreto, Pompei und Ephesus. Ihr vertraue ich mich selber an.. Ihr vertraue ich die ganze Kirche an, während wir Abschied nehmen von diesem Jahr und der Morgen eines neuen Jahres heraufzieht. Mit Maria machen wir uns gemeinsam auf den Weg nach Betlehem.
Wenn beim Blick auf die Zukunft auch nicht die Gründe zur Besorgnis fehlen, so sind die Anlässe zu Vertrauen und Hoffnung doch stärker und zahlreicher. Getragen von dieser Hoffnung setzt die Kirche ihr Wirken fort. Sie bleibt Christus, seinem Evangelium und seiner Aufforderung zur Umkehr treu, denn "das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1, 15). Sie wird niemals müde werden, vor Gott für die Menschheit einzutreten: niemals müde, für die Verteidigung und den Aufstieg des Menschen einzutreten und persönlich: dafür zu bezahlen ‒ des Menschen insgesamt, mit Seele und Leib. Eines jeden Menschen, vom Mutterleibe an, weil jeder Mensch Krone der Schöpfung ist (vgl. Gen 1, 27 ff.), weil jeder Mensch lebendiges Lob der Herrlichkeit Gottes ist (vgl. Eph 1, 12. 14; hl. Irenäus, Adv. Haer. IV, 20, 7).
Die Kirche verkündet weiterhin der Welt diese außerordentliche Wirklichkeit. Und ohne müde und mutlos zu werden, sammelt sie ihre Kräfte, schreitet voran in der Welt und verkündet die Heiligkeit, die Ehre und die Rechte Gottes und die Größe des Menschen. Sie geht im Lichte Gottes und in der Freude Gottes. Wir alle sind in diesen Pilgerweg mit einbezogen. Gehen wir also voran, gehen wir und singen wir, wie der hl. Augustinus sagt: "Nicht um die Untätigkeit auszufüllen, sondern um die Mühen zu stärken. Machen wir es, wie die Wanderer zu tun pflegen: Sing, aber schreite aus; tröste mit dem Gesang deine Anstrengung, gib dich nicht mit dem Nichtstun zufrieden; sing und wandere ... Schreite fort im Guten, schreite fort im rechten Glauben, schreite fort in guter Lebensführung: Canta et ambula" (Predigt 256, 3; PL 38, 1193).
In diesem Voranschreiten leite uns immer der Weihnachtsstern, der zu Jesus führt, dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariens; zu Jesus, dem Erlöser des Menschen.
Dazu meinen Apostolischen Segen.
1980
22. Dezember
Meine Herren Kardinäle, geliebte Brüder!
1. Ich bin dem Herrn Kardinaldekan dankbar für seine Glückwünsche, in denen ich sein edles Herz und euer aller Herzen, liebe Anwesende, mitschwingen fühlte. Der Herr vergelte euch soviel Anteilnahme. Bei dieser ganz besonderen Zusammenkunft eines jeden Jahres spüren wir die Bedeutung und den Reichtum des bevorstehenden Weihnachtsfestes besonders lebendig. Jesus kommt, er steht schon vor der Tür. Der himmlische Vater macht ihn uns zum Geschenk; er ist das Geschenk schlechthin, in welchem wir alle anderen Geschenke natürlicher und gnadenhafter Art schon empfangen haben: Er, der "viele Male und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern gesprochen hat,... spricht in diesen Tagen zu uns durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat" (vgl. Hebr1, 1 f). Und Maria, seine jungfräuliche Mutter, trägt ihn in ihrem Schoß, um ihn uns darzubieten, die wir durch die Hirten von Betlehem und die Weisen aus dem Orient an der Krippe vertreten sind. Sie schenkt ihn hin für das Heil aller Menschen. Diese Stunde, die wir − einmütig in der Liebe und im Gebet und geistig zum Stall von Betlehem hingewandt − miteinander verbringen, ist voller Freude und Ermutigung für mich und für euch, meine geliebten Mitarbeiter. Und ich danke euch von Herzen dafür.
2. Doch in euch fühle ich die ganze Kirche hier gegenwärtig: ihre Oberhirten, die verehrten Brüder im Bischofsamt, ihre Priester, die Ordensleute und alle Gläubigen. Die ganze Kirche bereitet sich auf Weihnachten vor und wird es am festgesetzten Tag in den wunderbaren und geheimnisvollen heiligen Geheimnissen nacherleben. Und an die ganze Kirche geht heute auch mein Gruß und mein aufrichtiger Dank für all die Wünsche, die aus allen fünf Kontinenten bei mir eintreffen. Vor einem Jahr − es war mein erstes Weihnachtsfest auf diesem Stuhle Petri mit euch − habe ich bei der gleichen Gelegenheit auf die im Auftrag Gottes übernommene Verpflichtung für das Wohl der ganzen Kirche hingewiesen: "Eine Verpflichtung zu Hingabe und Liebe" (Ansprache an die Kardinäle am 22. Dezember 1978; AAS71, 1979, S. 50). Und während sich das Jahr nun schon rasch dem Ende zuneigt, glaube ich sagen zu können, daß ich demütig und einfach, aber mit allen meinen Kräften und unter Einsatz aller mir gebotenen Möglichkeiten dieser Verpflichtung treu geblieben und mir meiner Verantwortung vor Gott voll bewußt bin.
Mein Gruß und meine Glückwünsche gehen außerdem an die Brüder in den christlichen Gemeinschaften, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen. Sie gehen an die Angehörigen der nichtchristlichen Religionen, besonders jener, die den einzigen und allmächtigen Gott anbeten. Mein Glückwunsch geht auch an die Staatsoberhäupter der ganzen Welt, an die Verantwortlichen für die Geschicke der Menschheit und an die Politiker. Er geht an jeden Menschen, der lebt, arbeitet, sich freut und leidet auf diesem ganzen Globus.
3. Die wesentliche Botschaft des Weihnachtsfestes ist die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Das Wort des Vaters ist Fleisch geworden und wohnt unter uns (vgl. Joh1, 14). Es kommt für den Menschen. Für jeden Menschen. "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, ... damit wir das Recht der Sohnschaft erlangten" (Gal 4, 4 f). Wie die Kirchenväter und die antiken Theologen häufig hervorgehoben haben, wird Gott Mensch, damit der Mensch Gott werde. Möge das kommende Weihnachtsfest jenes Heute sein, an dem sich dieser "bewundernswerte Austausch" vollzieht. Ein Heute, das nicht aufhören möge, solange auf der Erde ein Mensch geboren wird, der jenseits seiner Gebrechlichkeit als irdisches Geschöpf in seiner Person das königliche Abbild und die Ebenbildlichkeit mit Gott, die Würde des Sohnes des Vaters und des Erlösten durch Christus eingeprägt trägt. Dafür wird Jesus geboren an diesem Heute der Weihnacht, das ein orientalischer Autor so gut kommentiert mit den Worten: "An diesem Tag ist der Herr geboren, das Leben und das Heil der Menschen. Heute wurde die Wiederversöhnung der Gottheit mit der Menschheit und der Menschheit mit der Gottheit bewirkt... Heute ereignete sich der Tod der Finsternis und beginnt das Leben des Menschen. Heute hat sich für den Menschen ein Weg zu Gott eröffnet und für Gott ein Weg zur Seele ... Zuvor nämlich schrie die ganze Schöpfung auf ihrem Weg zum Verderben vom Falle Adams an, der ein König dieser Wirklichkeit war. Doch der Herr ist gekommen, "um ihn so zu erneuern, wie er sein sollte und ihn neu zu schaffen als das wahre Ebenbild Gottes ... Heute wird die Einheit, die Gemeinschaft und die Wiederversöhnung vollzogen zwischen der himmlischen und der irdischen Wirklichkeit, zwischen Gott und Mensch" (Ps. Macario,Horn. 52, 1).
Geboren wird der "Erlöser des Menschen". Geboren wird mit ihm die neue Menschheit. Und geboren wird mit ihm die Kirche, wie der heilige Ambrosius so gut hervorhebt, wenn er die Geburt Christi so kommentiert; "Betrachtet die Uranfänge der entstehenden Kirche: Christus wird geboren, und die Hirten (das heißt die Bischöfe) beginnen aufzuwachen, um in der Halle des Herrn die Herden der Heiden zu versammeln" (Exp. ev. sec. Luc.,2, 50; PL15, 1571). Und mit der Geburt Christi wurde der Ur-Auftrag der Kirche geboren, den sie später von ihm feierlich empfangen hat, die Würde des Menschen zu verteidigen, Jedes "einzelnen Menschen", wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe. "Denn jeder ist vom Geheimnis der Erlösung betroffen, mit jedem ist Christus für immer durch dieses Geheimnis verbunden. Jeder Mensch, der im Mutterschoß empfangen und von seiner Mutter, in diese Welt hineingeboren wird, ist gerade wegen dieses Erlösungswerkes der Obhut der Kirche anvertraut. Ihre Sorge schaut auf den ganzen Menschen und ist ihm in einzigartiger Weise zugewandt. Sie kümmert sich um den Menschen in seiner individuellen, unwiederholbaren Wirklichkeit" (Redemptor hominis,13).
4. Diese zugleich theologische und existentielle Sicht war mit der Hilfe Gottes das Leitmotiv meines ersten Pontifikatsjahres. Diese Linie, angekündigt in der Ansprache beim feierlichen Beginn meines Pontifikats am 22. Oktober 1978, hat in der erwähnten Enzyklika konkreten Ausdruck gefunden, und ihr Bogen spannt sich über die im irischen Drogheda gehaltene Predigt hinweg bis zu den Vorschlägen zur Anwendung auf das internationale Leben und die internationalen Probleme in der Rede vor der 34. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York am 2. Oktober 1979. Tatsächlich findet − wie ich mir vor den angesehenen Vertretern der ganzen Welt zu erinnern erlaubt habe − darin "jegliche politische Tätigkeit auf nationaler oder internationaler Ebene ihre Begründung: Letztlich kommt sie vom Menschen her, wird durch den Menschen ausgeübt, geschieht für den Menschen. Wenn jene Aktivität sich von dieser grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt, wenn sie gewissermaßen sich selbst zum Ziel wird, dann verliert sie dadurch einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung. Ja sie kann sogar zur Quelle einer speziellen Entfremdung werden; sie kann sich von Menschen völlig lösen; sie kann in Widerspruch geraten zur Menschlichkeit als solcher" (Nr. 6).
Mit dem Hinweis auf all dies erinnere ich in der wachsamen Erwartung dieses letzten Teils des Advents erneut zugleich an den der Kirche anvertrauten Erlösungsauftrag Christi, den diese durch die Jahrhunderte trägt, und an die dem Menschen eingeborene Würde, der man bis zum Letzten dienen muß. Und ich habe mir bei dieser Begegnung − sie soll hauptsächlich den Problemen der gesamten Menschheit gewidmet sein, während bei anderer Gelegenheit, Mitte des neuen Jahres, die inneren Probleme der Kirche behandelt werden sollen − erlaubt, einige Sätze sowohl aus der Enzyklika als auch aus der Rede in New York zu zitieren, weil ich sehe und wir alle sehen, daß die heilige Größe des Menschen, eines jeden Menschen, unseres Bruders, nicht immer so geachtet wird, wie es sich gebührt.
5. Bei meiner Begegnung mit den Vertretern aller Nationen der Welt in New York habe ich vor diesem großen Forum an die Notwendigkeit erinnert, die "unveräußerlichen Rechte" der Person und der Gemeinschaft der Völker zu verkünden und zu verteidigen. Es gibt Probleme, die uns mit ihrem ganzen Ernst herausfordern; die Kirche hat das Recht und die Pflicht, sich einzumischen, wenn sie ihrem Auftrag treu bleiben will, der nach dem Willen des für uns geborenen Christus der Erlösung des ganzen Menschen und eines jeden Menschen gilt. Die Kirche verlangt nichts anderes als die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit allen Regierungen und Völkern, gleichgültig welcher Tendenz oder Ideologie, zur beständigen Erhöhung der Menschheit.
Die verschiedenen Reisen, die ich dank der Vorsehung des Herrn in diesem Jahre machen durfte, haben auch diese Dimension, diese ursprüngliche Berufung der Kirche in der Welt von heute, deutlich aufgezeigt. Es hat sich in der Tat nicht nur um Kontakte mit dem Volke Gottes gehandelt, dieser großartigen Realität, die das Reich Gottes darstellt, es auf die Erde ausdehnt und sein Strahlen am Ende der Zeit vorbereitet. Diese Pilgerfahrten zu Nationen und Völkern, die ihrer Tradition, ihrer Kultur, ihrem gesellschaftspolitischen Profil und ihrer Regierungsform nach doch so verschieden waren, haben auch Gelegenheit geboten, die hohen Repräsentanten dieser vielen Staaten bei Begegnungen zu grüßen, die reich waren an menschlicher und gesellschaftlicher Wärme und Bedeutsamkeit. Das waren absolut positive Ereignisse, die mehr und besser als jedes Wort dazu beigetragen haben, echte und konkrete Annäherung, mehr noch: weltweite Brüderlichkeit unter den Völkern zu schaffen und jede Art von trennenden Schranken zwischen den verschiedenen Systemen weiter zu beseitigen.
In diesem Lichte finden auch die vielfältigen Beziehungen ihre Existenzberechtigung, die der Hl. Stuhl sowohl durch die Päpstlichen Vertretungen im Dienst der jeweiligen Ortskirchen und Nationen als auch durch die Kontakte des Papstes mit den Staatsoberhäuptern und den qualifizierten Vertretern der Regierungen und des politischen Lebens der verschiedenen Völker auf der ganzen Welt unterhält. Und ich erinnere gern an die zahlreichen Botschafter beim Hl. Stuhl; eine ganze Anzahl von ihnen habe ich in den vergangenen Tagen zur Entgegennahme ihrer Beglaubigungsschreiben empfangen.
6. Angesichts so vielfältiger echter Möglichkeiten, einen konstruktiven Dialog mit den Mächten zu eröffnen, die die Welt regieren, fühlt die Kirche die Pflicht, ihre Stimme zur Verteidigung der Menschenrechte zu erheben. Das ist gewiß keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, keine unzulässige Aneignung von Aufgaben, die ihr nicht zustehen, und noch weniger ist es ein nicht auf Fakten aufgebautes Wortgeklingel: Die Menschenrechte − wie sie in jener fundamentalen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verkündet sind, an die ich am Rednerpult der Vereinten Nationen erinnert habe − sind in der Welt leider verschiedenen Gefahren ausgesetzt, durch die sie eingeschränkt und gelähmt, wenn nicht sogar offen verletzt und unterdrückt werden. Noch nie hat man die Würde und das Recht des Menschen auf ein menschenwürdiges Leben so laut verkündigen gehört, aber niemals hat man auch so viele unverhüllte Verletzungen dieser Erklärungen erlebt.
Ich denke an die internationalen Spannungen, die leider weiterhin bestehen. An die Kriege und Revolutionen, die nicht nur schwerste wirtschaftliche Not mit sich bringen, sondern vor allem von einem traurigen Gefolge von Tod und Zerstörung begleitet sind. Ich denke an die inneren Kämpfe, von denen einige Nationen zerrissen sind. An die Verletzung unerschütterlicher Prinzipien des internationalen Rechts, die von schwerstem Leid für die betroffenen Personen und ihre Familien begleitet sind.
Ich denke an die niederträchtigen und furchtbaren Verschwörungen des Terrorismus, die das Zusammenleben in einigen uns überaus teuren Nationen, wie dem geliebten Italien, bedrohen; wenn es sich auch nicht um echten Krieg handelt, so ist eine solche Situation doch das tückische und grausame Surrogat des Krieges. Und ich erinnere mit Schrecken an die Entführungen, die Erpressungen, die Raubüberfälle; ich denke an die Entführten, die unsagbar leiden, oft viele Monate lang.
In diesem Zusammenhang muß ich auch an die heißesten Gefahrenherde in einigen Teilen der Welt erinnern: die fortwährende Krise im Nahen Osten, die Situation in Südafrika, den Konflikt auf der Halbinsel Indochina. Und hier richtet sich der Gedanke auf die mitleiderregenden Karawanen von Menschen, die über das weite Meer irren oder nach einer Zuflucht suchen, auf die politischen Flüchtlinge, auf die Menschen im Exil, auf die Gefangenen, deren aller Lage schmerzlichst ist, weil ihnen Nahrung, Kleidung, Wohnung, Arbeit und vor allem jegliche Sicherheit für das Morgen fehlen: Die Flüchtlinge sind auf internationaler Ebene die wahren Armen von heute, und ihnen muß sich die Solidarität aller Völker zuwenden, damit ihnen eine bessere Zukunft eröffnet wird. Niemand kann die Augen vor ihrer Tragödie verschließen.
Wie ich schon vor den Vereinten Nationen gesagt habe, behält auch das Problem der Rüstungen seinen ganzen besorgniserregenden Ernst, denn "bereit sein zum Krieg bedeutet auch, in der Lage zu sein, ihn auszulösen" (Rede an die Vereinten Nationen, Nr. 10). Dieser zunehmende Aufwand von Mitteln, der für die Gesellschaft keinen Nutzen bringt, verursacht verhängnisvolle psychologische Konsequenzen in den Beziehungen der Staaten untereinander und im inneren Leben der Staaten selbst. In diesem Zusammenhang muß auch die Installation immer perfekterer Waffen berechtigte Besorgnis hervorrufen, die zwar als Verteidigungsmittel gedacht sein mögen, aber doch Ursache von Zerstörung und Untergang werden können.
In meiner kürzlich veröffentlichten Botschaft zum Weltfriedenstag, in der die Wahrheit als der Ursprung des Friedens dargestellt ist, habe ich die verschiedenen Formen der Unwahrheit erläutert, die den Menschen erniedrigen und das brüderliche Einvernehmen immer schwieriger und problematischer machen. Auch was ich soeben erwähnt habe, gehört in den Rahmen der Erforschung alles dessen, was dem Weltfrieden schadet, eben weil es dem ehrlichen Streben nach dem Guten und Wahren auch in den Beziehungen unter den Völkern entgegenwirkt. Ich spreche deswegen in dieser weihnachtlichen Botschaft noch einmal den Wunsch aus: Es ist notwendig, daß "wir uns sehr tief in unser eigenes Wesen versenken, um jene Schichten zu entdecken, wo wir uns − jenseits aller Spaltungen in uns und zwischen uns − in der Überzeugung bestärken können, daß die grundlegenden Antriebe des Menschen, die Kenntnis seiner wahren Natur ihn zur Begegnung führen, zur gegenseitigen Achtung, zur Brüderlichkeit und zum Frieden. Diese anstrengende Suche nach der objektiven und universellen Wahrheit vom Menschen wird ... Menschen des Friedens und des Dialogs schaffen, die sich demütig und zugleich kraftvoll zu einer Wahrheit bekennen, die es immer deutlicher macht, daß man ihr dienen muß und sich nie ihrer bedienen darf zu eigensüchtigen Interessen" (Botschaft zum Weltfriedenstag 1980, Nr. 4).
7. Die soeben erwähnten Situationen sind Situationen des Unbehagens, sind Quelle des Leides. Die Menschen leiden heute. Wie viel, ja wie viel Leid kommt in die Welt, wenn man vergißt, daß der Mensch unser Bruder ist! Und darum kann die Kirche − den Blick auf das Geheimnis des menschgewordenen Sohnes Gottes gerichtet und selbst aufgrund der Ungerechtigkeit der Menschen dem Leiden und dem Hunger, der Armut und dem Exil ausgesetzt −, kann die Kirche nicht anders, als sich einzumischen, sich einzusetzen, sich ganz zu engagieren, um den Menschen zu helfen und ihnen Leid zu ersparen. Wo immer ein Mensch leidet, dort ist Christus und wartet an seiner Stelle (vgl. Mt 25, 31-46). Wo immer ein Mensch leidet, muß die Kirche an seiner Seite sein.
Alles, woran ich soeben erinnert habe − Kriegsdrohungen und Kriege, Terrorismus, Flüchtlingsproblem −, stellt uns eine furchtbare Summe menschlichen Leides vor Augen. Hinzu kommt all das, was in der Welt Mißverhältnisse und Unbehagen verursacht und damit die dem Menschen eingeborene Würde beleidigt, weil der Mensch gedemütigt und verletzt wird und am eigenen Leib und für seine Angehörigen leidet. Ich meine die schreienden gesellschaftlichen Ungleichheiten, die es immer noch gibt. Wenn − wie das Zweite Vatikanische Konzil gesagt hat − der „Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft" ist (Gaudium et spes, 63), so bestehen doch auch heute noch die "Gründe zur Besorgnis", die das Konzil mit absoluter Offenheit angeprangert hat, als es von der "Verschlechterung der Lage der sozial Schwachen" und von der "Verachtung der Notleidenden" sprach. "Während einer ungeheuren Masse immer noch das absolut Notwendige fehlt, leben einige − auch in den zurückgebliebenen Ländern − in Üppigkeit und treiben Verschwendung" (ebd.). Die Folge davon ist, daß in einigen Ländern heute noch immer der Hungertod wütet. Seine "weißen Opfer", die unschuldigen Opfer, sind jedes Jahr Millionen. Wie kann man mit einem so grausamen, so unvorstellbaren Leid vor Augen mit Freude an das bevorstehende Weihnachtsfest denken? Und diese Geißel hat − wie wir wissen − eine ganze Reihe von Übeln im Gefolge, die die Zukunft ganzer Völker bedrohen: Unterernährung, endemische Krankheiten, Tatenlosigkeit, Elend und Verzweiflung. Wie sollten wir nicht eine von gutem Willen getragene Zusammenarbeit auf internationaler Ebene herbeiwünschen? Es ist notwendig, daß sich alle Völker − die oft aufgrund unbegreiflicher Marktgesetzmäßigkeiten ihre Produkte vernichten − zusammentun, um ihren hungernden und leidenden Brüdern zu Hilfe zu kommen. Ich erinnere an dieser Stelle mit erneuerter Eindringlichkeit an das, was ich im Juli 1979 bei der Audienz für die Konferenz über die Agrarreform und am 11. Oktober bei meinem Besuch zur FAO gesagt habe, jener Organisation der Vereinten Nationen, die sich in erster Linie mit der Untersuchung und Lösung der Ernährungs- und Entwicklungsprobleme auf der Weit beschäftigt: Man kann nicht gefühllos bleiben, wenn man ein Tätigkeitsfeld von solch großem Ernst vor Augen hat, das ganze Erdregionen umfaßt.
Ich kann in dieser Stunde auch nicht die Arbeitslosen vergessen, die Unterbeschäftigten und alle, die die Last des Lebens nur mit Mühe tragen: Vielen Müttern und Vätern wird das Herz um so schwerer, je näher das Weihnachtsfest rückt, weil ihre Kinder die Freude entbehren müssen − und ich meine nicht die Freude an überflüssigen Geschenken, sondern einfach an der materiellen Sicherheit, vielleicht sogar am Überleben.
Ich denke auch an das Leid der anonymen Massen einfacher Menschen in allen Ländern, verursacht durch die plötzlichen Veränderungen in den internationalen Handelsbeziehungen und die Teuerung bei gewissen Versorgungsgütern. Diese Vorgänge haben steigende Kosten für die elementarsten Dinge des Lebens zur Folge und bereiten größte Schwierigkeiten im Leben der Familien und der Gesellschaft.
8. Doch es gibt auch Ursachen für inneres, statistisch nicht erfaßbares Leid, die die innerliche Größe und den Adel des Menschen an ihrer Wurzel angreifen, weil sie ihn daran hindern, seine höchsten, unveräußerlichen Rechte auszuüben. Die wichtigsten davon habe ich in der Ansprache an die Vereinten Nationen aufgezählt, nämlich "das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit; das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur; das Recht der Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein oder in Gemeinschaft zu bekennen" (Nr. 13). Im besonderen möchte ich heute gerade dieses Recht auf Religionsfreiheit unterstreichen, das ein heiliges Recht für alle Menschen ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ihm einen feierlichen Appell gewidmet: "Diese Freiheit", heißt es in der Erklärung Dignitatis humanae, "besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, ... innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln" (Nr. 2).
Ich muß sagen, daß dies leider ein wirkliches Problem und ein ernstes Problem für das Leben verschiedener Völker der Erde ist. In verschiedenen Ländern gibt es die Religionsfreiheit in ihrem echten Ausmaß nicht. Es ist beispielsweise schwer zu verstehen, warum der Grundgedanke des wissenschaftlichen und sozialen Fortschritts heute mit dem Zwang zu einem atheistischen Programm verbunden sein muß; diese Situation dauert in bestimmten Ländern der Erde an und schafft tatsächlich, wie ich ebenfalls in der Ansprache an die Vereinten Nationen hervorgehoben habe, "eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser (Grund-) Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, wenn auch nicht im formalen Sinne, so doch de facto ein Bürger zweiter oder dritter Klasse zu werden" (Nr. 19). Das verursacht tiefes Leid, unheilbare Wunden und ununterdrückbare Gewissensqualen bei rechtschaffenen und gerechten Menschen, die die tiefsten Erwartungen ihres geistlichen Seins beschnitten fühlen. All diesen Brüdern und Schwestern, die leiden, ist der Papst nahe mit seiner Sympathie, seiner Zuneigung, seinem Gebet. Er möchte ihnen versichern, daß er keine Gelegenheit versäumen wird, um mit den Verantwortlichen, denen er in seinem Dienstamt begegnet, über ihre Situation zu sprechen. Diesen allen bringt er heute den berechtigten Anspruch zu Gehör, daß die Kirche und der Hl. Stuhl auf der ganzen Welt in friedlicher Weise das Recht haben müßten, den Gläubigen und den Priestern zu helfen: und dies, weil er einzig und allein von dem Willen beseelt ist, dem Menschen beizustehen, ihm seinen Lebensweg zu erleichtern und sein Inneres in der freien und konsequenten Verwirklichung seiner Überzeugung zu den Horizonten der menschlichen und übernatürlichen Würde zu erhöhen, zu der Gott ihn berufen hat. Die Kirche müßte in der Lage sein, ihren Auftrag in alle Himmelsrichtungen auszuüben in Achtung vor den wechselseitigen Freiheiten, aber auch in der Erfüllung der unverlierbaren Rechte, wie sie im Evangelium verkündet werden. In diesem Zusammenhang denke ich mit besonderer Zuneigung an das große chinesische Volk, dessen ich schon am Sonntag, 19. August, vor dem Gebet des Angelus gedacht habe. Das Weihnachtsfest vor Augen, sende ich meinen Gruß und meinen Glückwunsch an die Söhne der katholischen Kirche wie auch an alle Angehörigen dieser großen Nation und erneuere "die Hoffnung, daß sich positive Entwicklungen ergeben, die unseren Brüdern und Schwestern des chinesischen Kontinents die Möglichkeit bieten, sich der vollen Religionsfreiheit zu erfreuen" (O.R. dt., Nr. 34 vom 24. August 1979).
9. Das Internationale Jahr des Kindes geht zu Ende, in dessen Mittelpunkt weltweit der Mensch von morgen, der Mensch des Jahres 2000, stand. Heute tritt er ins Leben mit all seinen erst im Keim angelegten Verheißungen und mit all seinen Erwartungen, die nicht enttäuscht werden dürfen. Sehr schöne Initiativen hat es fast überall gegeben, und dies läßt hoffen, daß das Problem auf allen Ebenen in den Planungen und Sorgen der Politiker, der Soziologen, der Psychologen und Pädagogen, der Ärzte, der Lehrer und der Kulturschaffenden wie auch der Medienverantwortlichen seinen Platz findet. Viele haben geeignete Initiativen vorangetrieben. Der Papst darf vor allem nicht das unermüdliche, liebevolle und kluge Wirken von Personen und Einrichtungen innerhalb der Kirche vergessen; oft genug haben die finanziellen Mittel nicht ausgereicht, doch die Liebe Christi, die uns drängt, ersetzte das Fehlende (vgl. 2 Kor 5, 14). Und vor allem denke ich an das Wirken der Missionare, deren Evangelisierungsarbeit in ihren erzieherischen und sozialhelferischen Seiten gerade der Förderung und Vorbereitung der kommenden Generationen gilt. Und ich spreche mein Lob aus für alles, was Männer und Frauen jedes Glaubens und jeder religiösen Erziehung auf der ganzen Welt unter selbstlosen Bemühungen und in redlicher Absicht für die Erziehung und Unterstützung der Kinder tun.
Doch wieder muß ich feierlich betonen: Das Leben des Menschen ist heilig vom ersten Aufkeimen unter dem Herzen der Mutter, vom Augenblick der Empfängnis an. Wie könnte ich vergessen, daß gerade in diesem dem Kinde gewidmeten Jahr die Zahl der im Mutterleib getöteten Leben schreckenerregende Höhen erreicht hat? Das ist ein lautloses Massenopfer, das nicht nur uns Männer der Kirche, uns christliche Männer und Frauen auf der ganzen Welt, sondern auch die in der öffentlichen Verantwortung Stehenden und um die Zukunft der Völker Besorgten nicht gleichgültig lassen darf. Im Namen des "in Maria lebenden" Jesus, den sie in ihrem Schoß in eine gleichgültige und feindliche Welt getragen hat − in Betlehem weigerte man sich, sie aufzunehmen, und im Palast des Königs Herodes plante man seinen Tod −, im Namen jenes Kindes, das Gott und Mensch war, beschwöre ich alle, die sich der unaufgebbaren Würde dieser noch nicht geborenen Menschen bewußt sind, eine des Menschen würdigere Haltung einzunehmen, damit diese dunkle Zeit, die das Gewissen des Menschen mit Finsternis zu umhüllen droht, endlich überwunden werden kann.
10. Ziel des Internationalen Jahres des Kindes ist unter anderem auch die menschliche Förderung der Kinder und Halbwüchsigen beiderlei Geschlechtes bis an die Schwelle des Jugendalters. Ich denke deshalb in diesem Augenblick an die lebhaften und fröhlichen Scharen dieser lieben Buben und Mädchen, die auf der ganzen Welt die frohe Hoffnung für das Morgen sind. Dem Wachstum der Generationen folgend, umarme ich auch die unermeßliche Schar der Jugendlichen beider Geschlechter auf der ganzen Welt; sie sind das Bindegewebe der Gesellschaften jeglicher Art und die Energiereserve für den Aufbau einer gerechteren und besseren Zukunft. Diese Jugend ist in ihren verschiedenen Altersstufen, die von der frühesten Jugend bis an die Schwelle der Ehe reichen, rechtschaffen, großmütig, voller Durst nach Wahrheit und Gerechtigkeit; sie verlangt, daß die Erwachsenen sie mit Verständnis und gutem Willen im Berufsleben und in den Führungspositionen akzeptieren; sie wendet sich mit erneuertem Interesse und mit dem sehnlichen Wunsch nach einer klaren Antwort auf die wesentlichen Fragen des Lebens an die Kirche. Diesen jungen Menschen blickt Christus auch heute voll Sympathie in die Augen, wie dem jungen Mann im Evangelium (vgl. Mk 10, 21).
In ihrem Suchen nach Sicherheit kann und darf die Jugend nicht enttäuscht werden. An sie gewandt, wiederhole ich den Ruf zu Beginn meines Pontifikats: "öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!"(Ansprache vom 22. Oktober 1978). Ich weiß, daß ich damit ankomme! Die überaus frohen und ermutigenden Kontakte mit so vielen jungen Menschen, mit denen ich in diesem Jahr in Rom und in allen Breiten der Erde gesprochen habe, denen ich die Hände geschüttelt und mit denen ich freundschaftliche Blicke gewechselt habe, bestätigen es mir. Ihnen allen wiederhole ich: Die Kirche wird euch nie verraten, die Kirche wird euch nie enttäuschen, die Kirche wird euch immer achten in eurer ganzen Persönlichkeit. Habt keine Angst!
Aber ich denke ebenso an die dunklen Realitäten, die dieses von Leben überschäumende Potential der Kinder und Jugendlichen von heute bedrohen, die es zur gestaltlosen Masse, ja sogar in eine Zerstörungskraft verwandeln können. Ich kann nicht übergehen, daß zahlreiche Bestrebungen nach Arbeit, nach kultureller Weiterbildung und nach Beschäftigung im Beruf nicht erfüllt werden und viele junge Menschen deswegen arbeitslos bleiben, obwohl sie sich angestrengt und studiert und eine Ausbildung erreicht haben, die es wert wäre, für das allgemeine Wohl der Gesellschaft genützt zu werden. Und wie soll man nicht empört die Stimme gegen diejenigen erheben, die im Verborgenen niederträchtig und aus entarteten Interessen diesen herrlichen Reichtum zerstören wollen und dazu schreckliche Surrogate verratener Werte und tödliche Lockmittel einsetzen, die in einem Leben voller Enttäuschungen, und ohne jedes Ideal leichte Beute finden. Wie kann man die bereits unzählbaren Opfer des Rauschgifts vergessen, das schon Kindern im frühesten Jugendalter angeboten und das später zur ehernen Kette einer schmachvollen Sklaverei wird? Wie kann man die moralischen Verwüstungen vergessen, die eine ebenso niederträchtige Industrie oder ein Teil des Verlagswesens und der Kommunikationsmittel, die vom permissiven und genußsüchtigen Denken durchdrungen sind und dieses mit Hilfe der Bilder weitergeben, mit ihrer zügellosen und zur Lebensnorm erhobenen Genußsucht in den Seelen zahlreicher junger Menschen angerichtet haben? Und wie kann man vergessen, daß die im Formungsprozeß stehende menschliche Persönlichkeit manipuliert wird durch die Massenmedien, die ideologische Verhetzung, die bruchstückhafte und verzerrte Darstellung der Wahrheit, die Pornographie?
Zu all diesen besorgniserregenden Anzeichen moralischen Rückschritts tritt die Gewaltanwendung in all ihren Formen. Sie gehorcht einzig und allein einer Logik der Zerstörung und des Todes und könnte − Gott verhüte es − das allgemeine Streben nach geordnetem Fortschritt, nach konstruktiver Eintracht und nach aufbauendem Frieden lähmen. An diese jungen Menschen, die heute nicht davor zurückschrecken, andere junge Menschen zu töten oder zu verwunden, richte ich wie mein Vorgänger Paul VI. auf den Knien den Ruf der Hoffnung und die Aufforderung von Drogheda: "Ich appelliere an die Jugendlichen, die in Organisationen verstrickt sind, die Gewalttaten verüben. Ich sage euch mit der ganzen Liebe, die ich für euch hege, und mit dem ganzen Vertrauen, das ich in die Jugend setze: Hört nicht auf die Stimmen, die die Sprache des Hasses, der Rache und der Vergeltung sprechen ... Wahrer Mut liegt in der Arbeit für den Frieden. Wahre Kraft liegt in der Vereinigung mit den jungen Männern und Frauen eurer Generation, um überall eine gerechte, menschliche und christliche Gesellschaft mit den Mitteln des Friedens aufzubauen. Gewalt ist der Feind des Friedens. Frieden allein kann uns den Weg zu wahrer Gerechtigkeit führen" (Predigt beim Gottesdienst in Drogheda am 29. September 1979; vgl. O.R. dt.,Nr. 40/79, S. 9).
11. Die Erziehung der Jugend ist untrennbar verbunden mit dem rechten Funktionieren des Familienlebens. Die Familie, "Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft", wie das Konzil sie nannte (Apostolicam actuositatem, Nr. 11), ist das Reservoir des Glücks oder des Unglücks der Gesellschaft von morgen. Sie wirkt ja beständig und entscheidend sowohl in negativem wie positivem Sinn auf das Leben der jungen Menschen ein. Sie kann also aus den Gedankengängen dieser weihnachtlichen Botschaft nicht ausgeschlossen bleiben, umso weniger, als Weihnachten das Fest der christlichen Familien im reinsten Sinne ist, die sich in der einfachen, aus der wahren und tiefen Vereinigung der Herzen entspringenden Freude um die Sippe geschart haben. Die Heilige Familie, die wir am Sonntag nach Weihnachten feiern, gibt uns den Schlüssel, um alle Werte zu verstehen, die den Familien von heute verkündet werden müssen: Liebe, Hingabe, Opferbereitschaft, Keuschheit, Achtung vor dem Leben, Arbeit, Ausgeglichenheit, Fröhlichkeit. Die Ursachen der Zerrüttung dagegen, die ich erwähnt habe, finden in der Familie ihr erstes Opfer, und mit ihr überrollen sie auch die Jugend. Viele moralische Verirrungen wie auch viele Gewalttaten entstehen gerade aus der Auflösung der Familie, die leider zur Zielscheibe eines Bündnisses von zersetzenden Kräften geworden ist, die sich aller verfügbaren Mittel bedienen.
Wenn ich mich auf meinen Reisen in diesem Jahr so gut habe umschauen können, so sicher deswegen, weil die Präsenz und das Wirken der christlichen Familien das Bindegewebe, der Zusammenhalt und die tragende Struktur des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens auf der ganzen Welt geblieben sind. Dafür danke ich dem Herrn und mit ihm so vielen Vätern und Müttern auf allen Breitengraden der Erde.
Ich habe auch keine Gelegenheit ausgelassen, die Persönlichkeiten, mit denen ich in diesem Jahr zusammengetroffen bin, für die Verteidigung der Werte der Familie zu interessieren − von den höchsten Vertretern des Lebens der Völker bis zu ihren diplomatischen Vertretern und den gesellschaftlichen und politischen Autoritäten. Und zugunsten der Familie und für die Lösung der verschiedenen vielschichtigen Probleme, die sie dem Gewissen und der Gesellschaft stellt, habe ich mich in meinen Ansprachen und Aufrufen unaufhörlich eingesetzt: In Mexiko bei der Predigt in Puebla de los Angeles, in Polen auf dem Jasna Göra in dem Aufruf und der Rede an die Arbeiter, dann in Nowy Targ, in Limerick in Irland und in Washington vor dem Kapitol in den Vereinigten Staaten. Ich habe auch − in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae (Nr. 68) − nicht den Hinweis auf das der Familie übertragene katechetische Wirken unterlassen. Und schließlich erlaube ich mir, auf die Betrachtungen hinzuweisen, die ich zur Zeit in Vorbereitung auf die der Familie gewidmete Generalversammlung der Bischofssynode im kommenden Jahr in den Generalaudienzen halte. Diese Versammlung wird eine von mir besonders erhoffte, bevorzugte Gelegenheit sein, weil sich die ganze Kirche in der Person der Vertreter ihrer nationalen Bischofskonferenzen in die Betrachtung der wunderbaren Würde der Familie, des Reichtums ihrer Werte und die Bedeutung ihrer unersetzlichen Aufgabe vertieften wird.
12. Verehrte Brüder! Das Zusammensein mit euch in dieser vorweihnachtlichen Erwartung hat mir diesen Überblick über die dringlichsten Probleme der Gegenwart gestattet. Ich weiß, daß es die unerläßliche Aufgabe des obersten Hirten der Kirche ist, den einzuschlagenden Weg zu zeigen. Dieser Weg ist Christus (vgl. Joh 14, 6). Er allein. Er zu allen Zeiten: "Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit!" (Hebr 13, 8).
In diesem Jahr meines Pontifikats waren "meine tägliche Arbeit und die Sorge für alle Gemeinden"(2 Kor 11, 28) einzig und allein, dem Menschen zu begegnen, um dem Menschen die Begegnung mit Christus zu bringen. Die Menschenmengen, die sich ununterbrochen in den Mittwochsaudienzen gedrängt haben und denen ich auf meinen Pilgerreisen und bei den wöchentlichen Pfarreibesuchen in meiner Diözese Rom begegnet bin, haben mir gestattet, diesen lebendigen Kontakt aufzunehmen, und haben eine beständige Katechese des Lehramtes ermöglicht, deren Grundlinien ich in dem kürzlich erschienenen Dokument Catechesi tradendae einer Zusammenfassung der Ergebnisse der letzten Bischofssynode, aufgezeichnet habe. Es war ein unmittelbarer Kontakt mit allen: mit lebendigen Menschen und nicht mit einer anonymen Masse; mit den Kindern und Jugendlichen; mit Politikern; mit Arbeitern der verschiedenen Bereiche, die ich auch an ihren Arbeitsplätzen besucht habe; mit den Leuten auf den Feldern und in den Bergen; mit hervorragenden Vertretern der Wissenschaften − Physikern, Juristen, Dozenten und Professoren; mit Vertretern kultureller Einrichtungen und des Fremdenverkehrs; mit Seeleuten, Piloten und dem fliegenden Personal, das mich durch den Himmel der verschiedenen Kontinente begleitet hat; mit den Männern der verschiedenen Abteilungen des Militärs und vielen anderen. Es war wirklich eine direkte und persönliche Begegnung mit dem Menschen aller Länder.
13. Gleichzeitig war es eine Begegnung mit der Kirche. Sie wurde ja von Christus für das Heil des Menschen, eines jeden Menschen in seiner konkreten Lebenssituation, eingesetzt. Die Kirche erlebt heute einen wahrhaft begeisternden Augenblick der Vitalität und ist Mittelpunkt der Orientierung und des Interesses für die ganze Welt.
Es war für mich eine überaus reiche Erfahrung, in diesem Jahr den Bischöfen eines großen Teils der verschiedenen Kontinente zu begegnen. Und wenn es das Charisma des Petrus und seiner Nachfolger ist, die "Brüder zu stärken" (vgl. Lk 22, 32), so ist doch die Stärkung nicht weniger groß, die ich aus dem Glauben dieser Brüder empfange, wenn sie kommen, um "Petrus zu sehen" und mit ihm in beständiger, strikter Ausübung der bischöflichen Kollegialität, die mir so sehr am Herzen liegt, in brüderlicher Umarmung den Bruderkuß zu tauschen. Ausdruck dieser Kollegialität war vor allem die Begegnung mit den Mitgliedern des Kardinalskollegiums, die zu allererst in euch, verehrte Brüder, die ihr es bildet, soviel Freude, Interesse und Anteilnahme hervorgerufen hat, weil es sich um ein einzigartiges Ereignis handelte.
Und eine große Freude erfüllt mich jetzt, wenn ich daran erinnere, daß ein Bischof der Kirche Gottes, der verehrte Msgr. Tchidimbo, in diesem Jahr nach langer Leidenszeit seine Freiheit wiedererhalten hat. Nicht vergessen kann ich auch die Begegnungen und die gemeinsamen Eucharistiefeiern mit den geliebten Brüdern im Priesteramt, die ich wie meinen Augapfel liebe. In ihrer freudigen, totalen und unwiderruflichen Treue zu Christus, dem ewigen Hohenpriester, sind sie wahrhaftig "meine Freude und mein Ehrenkranz" (Phil 4, 1).
In die Erinnerung eingegraben bleiben mir auch die Begegnungen mit den Ordensleuten der verschiedenen Kongregationen und Institute und unter ihnen besonders mit den Ordensbrüdern. Ich freue mich über ihr besonderes Zeugnis der Liebe zu Christus und zur Kirche.
In gleicher Weise erinnere ich mich an die Begegnungen mit den Ordensschwestern. Für sie wiederhole ich: Die Kirche setzt ihr ganzes Vertrauen und all ihre Erwartung in sie, daß sie eine geistliche Mutterschaft des Opfers und der Hingabe ausüben. Quelle und Wegweiserin dafür ist die allerseligste Jungfrau, die im aufmerksamen Schweigen von Nazaret, des Kalvarienberges und des Abendmahlssaales zur höchsten Würde der Mutter Gottes und der Kirche und zur fürsorglichen Königin der Apostel berufen worden ist.
Die Zeit würde nicht ausreichen, um an die Mengen der Gläubigen zu erinnern, denen ich im Lauf dieses Jahres auf meinen Apostolischen Reisen wie auch in den Audienzen und bei den Besuchen in Rom und in Italien begegnet bin.
Erwähnen wenigstens möchte ich die Bemühungen, die einigenden Bande zwischen der katholischen Kirche und den Schwesterkirchen des christlichen Orients zu verstärken durch die Suche nach Verständigung und Verständnis, die auf der Liebe. Christi und der gemeinsamen Vermehrung des Ruhmes Gottes aufgebaut, sind. Die Verpflichtungen, die das Zweite Vatikanische Konzil auf dem heiklen, schwierigen und verheißungsvollen Gebiet des Ökumenismus als eine seiner Hauptaufgaben hinterlassen hat, nämlich "die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen" (Unitatis redintegratio, Nr. 1), sind weiterhin Hauptziele dieses Pontifikates.
14. Aufgabe des obersten Lehramtes der Kirche ist es in diesem Augenblick großer Spannungen, aber noch größerer Hoffnungen, dem Menschen einen Dienst der Liebe und der Wahrheit anzubieten. In diesem Geist habe ich meine Reisen unternommen, und in diesem Geist werde ich mit Gottes Hilfe im kommenden Jahr weitere unternehmen; Einladungen dazu sind mir von den Bischofskonferenzen und den staatlichen Obrigkeiten zahlreicher Länder zugegangen. Ich danke für soviel Höflichkeit und versichere, daß ich so vielen Einladungen folgen werde, wie mir möglich ist.
Ich bitte den Herrn, er möge mir Kraft und Beistand geben, um auf dem von meinen unvergeßlichen Vorgängern vorgezeichneten Weg weitergehen zu können: von der unüberwindlichen und: unbesiegbaren Hoffnung eines Johannes XXIII. zur heroischen und weitblickenden Geduld und Festigkeit eines Paul VI. − der für das, was er bei der Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Wohl der Kirche getan hat, für immer herausragt − und bis zum Lächeln Johannes Pauls I., der wie ein Blitz aufgeleuchtet und vorübergegangen ist und doch eine tiefe Spur hinterlassen hat, weil er uns immer daran erinnern wird, daß "Gottes Wege nicht unsere Wege sind" (vgl. Jes 55, 8).
Auf dieser Linie verläuft weiterhin der Weg der Kirche jetzt, am Beginn des neuen Jahres wie auch in der Zukunft. Christus ist mit uns,: haben wir also keine Angst und zögern wir nicht:. "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28, 20).
15. All dies per Mariam, durch Maria! Unter ihren Schutz habe ich den Beginn meines Pontifikates gestellt, ihr habe ich im Laufe dieses Jahres den Ausdruck meiner kindlichen Frömmigkeit dargebracht, die ich von meinen Eltern gelernt habe. Maria war − in ihren berühmtesten wie in ihren verschwiegensten Heiligtümern − der Leitstern meines Weges: die Mentorella und Santa Maria Maggiore, Guadalupe und Jasna Göra, Knock und das Nationalheiligtum der Unbefleckten Empfängnis von Washington, Loreto, Pompeij und Ephesus. Ihr vertraue ich mich selber an. Ihr vertraue ich die ganze Kirche an, während wir Abschied nehmen von diesem Jahr und der Morgen eines neuen Jahres heraufzieht. Mit Maria machen wir uns gemeinsam auf den Weg nach Betlehem.
Wenn beim Blick auf die Zukunft auch nicht die Gründe zur Besorgnis fehlen, so sind die Anlässe zu Vertrauen und Hoffnung doch stärker und zahlreicher. Getragen von dieser Hoffnung setzt die Kirche ihr Wirken fort. Sie bleibt Christus, seinem Evangelium und seiner Aufforderung zur Umkehr treu, denn "das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1, 15). Sie wird niemals müde werden, vor Gott für die Menschheit einzutreten; niemals müde, für die Verteidigung und den Aufstieg des Menschen einzutreten und persönlich: dafür zu bezahlen − des Menschen insgesamt, mit. Seele und Leib. Eines jeden Menschen, vom Mutterleibe an, weil jeder Mensch Krone der Schöpfung ist (vgl. Gen 1, 27 ff.), weil jeder Mensch lebendiges Lob der Herrlichkeit Gottes ist (vgl. Eph 1, 12. 14; hl. Irenäus, Adv. Haer. IV, 20, 7).
Die Kirche verkündet weiterhin der Welt diese außerordentliche Wirklichkeit. Und ohne müde und mutlos zu werden, sammelt sie ihre Kräfte, schreitet voran in der Welt und verkündet die Heiligkeit, die Ehre und die Rechte Gottes und die Größe des Menschen. Sie geht im Lichte Gottes und in der Freude Gottes. Wir alle sind in diesen Pilgerweg mit einbezogen. Gehen wir also voran, gehen wir und singen wir, wie der hl. Augustinus sagt: "Nicht um die Untätigkeit auszufüllen, sondern um die Mühen zu stärken. Machen wir es, wie die Wanderer zu tun pflegen: Sing, aber schreite aus; tröste mit dem Gesang deine Anstrengung, gib dich nicht mit dem Nichtstun zufrieden; sing und wandere ... Schreite fort im Guten, schreite fort im rechten Glauben, schreite fort in guter Lebensführung: Canta et ambula" (Predigt 256,3; PL38, 1193).
In diesem Voranschreiten leite uns immer der Weihnachtsstern, der zu Jesus führt, dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariens; zu Jesus, dem Erlöser des Menschen.
Dazu meinen Apostolischen Segen.
1981
am 22. Dezember
"DEM MENSCHEN HELFEN, DAMIT ER DIE WELT VERÄNDERE UND DIE GERECHTIGKEIT, DEN FORTSCHRITT UND DEN FRIEDEN WIEDER ENTDECKE"
Meine Herren Kardinäle, liebe Brüder und Söhne!
1. Zunächst danke ich dem verehrten und lieben Kardinal Confalonieri, Dekan des Heiligen Kollegiums, für die Glückwünsche, die er in Ihrer aller Namen an mich gerichtet hat. Diese Audienz sieht hier zum ersten Male an Weihnachten die Herren Kardinäle und alle Mitarbeiter der Römischen Kurie, des Vikariats und des Gouverneuramts des Staates der Vatikanstadt, Kleriker wie Laien, versammelt. Deshalb ist es für mich besonders erfreulich, nach einer liebenswerten Tradition Ihre Glückwünsche zu empfangen und zu erwidern, die durch das bevorstehende Fest besonders innig und von Freude durchdrungen sind.
2. "Ecce Dominus veniet cum splendore descendens ... visitare populum suum in pace", haben wir in den Responsorien der Stundenliturgie der Adventszeit wiederholt.
"Ecce Dominus veniet." Der Herr kommt. Er kommt zu uns, um in unserem Herzen, das seine zweite Ankunft erwartet, geboren zu werden, wie er bei der ersten Ankunft "Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist, aus Maria, der Jungfrau, und Mensch geworden ist". Das ausgehende Jahr hinterlässt in unserem Herzen eine äußerst liebe Erinnerung an die Feiern zur 1600. Wiederkehr des Jahrestages des ersten Konzils von Konstantinopel und zum 1550. Jubiläum des Konzils von Ephesus, die ich mit meinem Schreiben vom 25. März angeordnet hatte. Es war ein besonders der Theologie vom Heiligen Geist und der Muttergottes geweihtes Jahr, das uns die Möglichkeit gab, das vergöttlichende Wirken des Heiligen Geistes, "des Herrn und Lebensspenders", sowie die ununterbrochene Ausstrahlung der Mutterschaft Mariens, der "Theotokos", die auch Mutter der Kirche und der Menschheit ist, in ein helleres Licht zu rücken. Die Feiern zur Erinnerung an die beiden Konzilien, zu denen in Rom in der Petersbasilika und in Santa Maria Maggiore die Vertretungen des Episkopats der ganzen Welt erschienen sind, erfuhren ihre Krönung in der kürzlichen Feier des Festes der Unbefleckten Empfängnis mit der durch mich erneuerten Weihe der gesamten Kirche an Maria, die Muttergottes, Braut und Tempel des Heiligen Geistes. Der pneumatologische Kongress, der im kommenden Frühjahr stattfindet, wird noch mehr die erhabene Wirklichkeit der Gegenwart und des Wirkens des Parakleten in der Kirche und seines Wirkens in Maria erforschen, die im erhabenen Augenblick der Menschwerdung begann, "dum medium silentium tenerant omnia" - "als tiefes Schweigen alles umfing". In diesem Augenblick, der in dem anbetungswürdigen Geheimnis der Weihnacht gipfelt, wird der Sohn Gottes einer von uns, um uns zu sich zu erheben, uns zu heiligen und uns das Leben zu geben. In seinem Kommentar zur Verkündigung schreibt der heilie Petrus Chrysologus mit Recht: "Ihr habt gehört, dass in unergründlichem Geheimnis Gott auf die Erde gekommen ist und der Mensch in den Himmel. Ihr habt gehört, wie sich auf ungewöhnliche Weise in einem einzigen Leib Gott und Mensch vereinigen" (Serm 142; PL 52, 579). Wir sind dabei, uns darauf vorzubereiten, das Geheimnis dieses "admirabile commercium" neu zu erleben. Daher unsere bange und zugleich durchdringende Freude, die sich auf unverwechselbare Weise jedes Jahr wiederholt. Ja, meine Brüder: Das Weihnachtsfest dieses Jahres ist völlig eingetaucht in diesen Glanz des Wortes: "incarnatus de Spiritu Sancto ex Maria Virgine."
3. Zu Weihnachten freut sich die Kirche in besonderer Weise, weil sie weiß, dass sie mit Christus zu Bethlehem geboren worden ist, als sie in den Hirten und Magiern ihre ersten Früchte brachte. Sie weiß, dass sie sich seit jener Zeit gewissermaßen in den Armen Mariens befindet, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht hervorgehoben hat, "diejenige ist, welche Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau gerade geboren wurde, dass er durch die Kirche in den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse" (Lumen gentium, Nr. 65). Die Kirche verlängert die Ankunft Christi und setzt die Gegenwart Christi unter den Menschen fort. Sie setzt beide fort und weitet sie aus. Sie verbreitet sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, ohne Zögern, ohne Furcht, ohne Verzug. Dies ist ihre Berufung, ihre Physiognomie, ihre Identität. Und die Identität der Christen besteht eben im Verlängern des Erlöserwerkes unter den Menschen, die Brüder sind. Um diese seine Gegenwart in der Welt fortzusetzen, hat Christus der Kirche aufgetragen, mit ihm zusammenzuarbeiten:
- durch die Heiligung der Seelen in der Vermittlung der Gnade, die Er aus dem Schoß des Vaters in die Welt getragen hat;
- durch das Wort, mit dem sie fortdauernd der Welt die frohe Botschaft der Erlösung in Begegnungen, im Dialog und vor allem in der Evangelisierung verkündet;
- mittels des gelebten Zeugnisses ihrer Glieder in der organischen Entfaltung aller Stände des Lebens in ihr, die wie ein Sauerteig die riesige Masse der Gesellschaft durchdringen.
4. Wegen ihrer angeborenen Berufung ist die Kirche nicht WeIt abgewandt, selbst nicht in ihren innerlichsten und dem Bereich des Heiligen zugeordneten Lebensformen. Da sie aus Menschen gebildet ist, unter Menschen lebt und sie zur Übernatur erhebt sowie für die Erkenntnis Gottes erzieht (vgl. Irenaeus, Adv Haer., IV, 5-7; PG 7, 984-993), greift die Kirche aus eben diesem Grunde auch in den Bereich des Alltäglichen, des Gesellschaftlichen, ein. Der vertikale Kreuzbalken ist fest mit dem horizontalen verbunden, der die Welt in dem einzigen Liebesopfer des Gottessohnes umarmt und vergöttlicht.
Diese vom Heiligen Geist vermittelte VergöttIichung des Menschen in der Kirche geschieht vor allem in der Austeilung der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, dem "Sakrament der Hingabe, Zeichen der Einheit, Band der Liebe" (Augustinus, In Ioann. Ev. Tr. 26, 6, 13; PL 35, 1613). Und daher ist sie Prinzip des Zusammenhaltes und der wahren Brüderlichkeit, auch im gesellschaftlichen Leben der ganzen Welt, für die Christus sich hingegeben hat - "pro mundi vita" (Joh 6, 51). Deshalb rufe ich von den herausragenden Ereignissen dieses Jahres den Internationalen Eucharistischen Kongress zu Lourdes in Erinnerung, an den ich als Zeichen meiner ursprünglich vorgesehenen Teilnahme an diesem Ereignis des vergangenen Juli eine persönliche Botschaft gesandt habe. Ferner rufe ich die "Zeichen" in Erinnerung, die ich dadurch gesetzt habe, dass ich persönlich die Sakramente gespendet habe, angefangen von den feierlichen Bischofs- und Priesterweihen bis zu Taufen und Firmungen und zum Beichthören. Des weiteren hat zum ersten Mal in der Kirchengeschichte, im Rahmen meiner Reise in den Fernen Osten, eine Seligsprechung in Asien stattgefunden, als ich am 18. Februar in Manila die heroischen Tugenden von Lorenzo Ruiz und seinen Märtyrergefährten aus anderen Nationen verkündigte. Dieses Ereignis hat ebenso wie die Seligsprechung von fünf weiteren Männern und Frauen am 4. Oktober in Rom, die in heroischer Weise die Gottes- und Menschenliebe verwirklicht haben, vor den Augen aller das Gewicht herausgestellt, das die Heiligkeit für die geistliche, sittliche und soziale Förderung der WeIt und der Gesellschaft besitzt.
Ich erinnere noch an die Hundertjahrfeier der Geburt Johannes' XXIII., weil sie die Ausstrahlung der Kirche auf allen Gebieten des Lebens ins Bewusstsein hob. Denn sie erinnerte an die tiefen Spuren, die dieser Papst mit seiner Güte, seinem Optimismus, seiner Offenheit, seiner Lehre, insbesondere mit seinen unvergesslichen Enzykliken Mater et magistra sowie Pacem in terris hinterlassen hat.
Schließlich möchte ich auch die unermüdliche und verborgene Arbeit so vieler Missionare und Missionarinnen - Priester, Ordensleute und Laien - erwähnen und das hochherzige Wirken der Geistlichen in der Seelsorge, um den Einfluss hervorzuheben, den die Kirche besitzt; sie lebt ja in unmittelbarer Berührung mit den Völkern der Welt und dem einfachen Volk, mit "dem Mann von der Straße" - der, verstehen wir uns recht, den Lauf der Geschichte trägt -, damit sie, die Kirche, als erste zur unablässigen Förderung der heutigen Gesellschaft beiträgt.
5. Kein Bereich, kein Zweig der Menschheitsfamilie steht der Kirche fremd gegenüber; keiner ist ihr gleichgültig von dem Augenblick an, in dem Gottes Wort Mensch geworden ist und mit allen Konsequenzen ein Glied der Menschheit wurde.
In diesem Licht steht die Tätigkeit des Heiligen Stuhls, die sich in immer engerem Kontakt mit allen Ausdrucksformen des menschlichen Lebens ausprägt. Der brennende Wunsch, welcher mich als Nachfolger Petri, der "die Sorge für alle Gemeinden" (2 Kor 11,28) hat, treibt, ist der, alle repräsentativen Elemente der heutigen Welt zu erreichen: vom internationalen Zusammenleben bis zu Frieden und Mitarbeit unter den Völkern, vom gesellschaftlichen und politischen Leben zu dem der Familie, von den Problemen der Arbeit und der Wirtschaft, der Kultur und der Kunst bis zu den Kommunikationsmitteln.
Ich danke dem Herrn für die Gabe, die er mir auf besondere Weise verleiht, in engem Kontakt mit allen Völkern der Welt zu stehen, vor allem durch die direkte Beziehung zu den Bischöfen der fünf Erdteile. Ihnen, die verantwortlich sind für den kirchlichen Dienst, den Hirten der einzelnen Ortskirchen, wende ich meine dankbaren und liebevollen Gedanken zu, sende ich meine Ermutigung, furchtlos in der unermesslichen Aufgabe der Evangelisierung und des Dialogs mit allen Menschen fortzuschreiten. Ich kann die anregenden Begegnungen der Ad limina-Besuche nicht vergessen, die ich im Oktober wieder aufgenommen habe, indem ich nacheinander die Bischöfe von Gambia, Liberia und Sierra Leone, Tansania, Angola und Säo Tome, Sudan, Ghana, der Elfenbeinküste und von Mali neben denen der verschiedenen Regionen Italiens empfangen habe. In der Umarmung, die ich bei diesen Gelegenheiten mit den Bischöfen austausche, ist es, als ob ich alle Söhne und Töchter, die in der Kirche leben, umarmte, denn sie eint, wenn auch in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Situationen, dasselbe Band der Einheit, des Glaubens, der Liebe, des Dienstes an Gott und den Menschen.
Bevor ich mich mit Einzelaspekten dieser Aktion der Kirche nach außen befasse, die jedes Jahr das Thema unseres weihnachtlichen Zusammentreffens bildet, empfinde ich es als meine Pflicht, ein herzliches Dankeswort an Sie, meine Herren Kardinäle, an Sie, Prälaten und Mitglieder der Römischen Kurie, Kleriker und Laien, zu richten, die Sie mit Ihrer schweigenden und wirksamen Mitarbeit mir helfen, das Werk, das mir durch göttliche Sendung aufgetragen worden ist, zu vollbringen. Gegenüber allen fühle ich mich als Schuldner! Der Herr, der alles belohnt, was aus Liebe zu ihm geschieht, wird einen solch kostbaren Dienst nicht ohne Lohn lassen.
Absoluten Vorrang möchte ich zwei entscheidenden Problemen einräumen, die auf das Geschick des heutigen Menschen einwirken und denen ich die beiden wichtigsten Dokumente meines Lehramtes in diesem Jahr gewidmet habe: Arbeit und Familie.
6. Allen sind die Bemühungen der Kirche und des Heiligen Stuhls in der neueren Zeit bekannt, angefangen von der Enzyklika Rerum novarum Leos XIII., die stets ein Eckpfeiler der christlichen Lehre auf sozialem Gebiet bleiben wird in der vollen Anwendung des Evangeliums bei der Lösung der verwirrenden Missverhältnisse, die die Industrialisierung und Urbanisierung mit sich gebracht haben.
Zum 90. Jahrestag jenes großartigen Dokuments - nach den Beiträgen meiner Vorgänger - und inzwischen an der Schwelle des dritten Jahrtausends angelangt, habe ich die Enzyklika Laborem exercens am 14. September veröffentlicht, die ich seit dem vergangenen April/Mai vorbereitet hatte.
Wie ich bereits am Anfang der Enzyklika - in folgerichtigem Zusammenhang mit Redemptor hominis - hervorgehoben habe, musste die zentrale Stellung des arbeitenden Menschen ins Licht gerückt werden, in dem sich die Linien der Offenbarung, angefangen von der Genesis, und die sorgenden Bemühungen der Kirche treffen: man musste - vielleicht mehr als bisher - die Tatsache hervorheben, dass die menschliche Arbeit ein Schlüssel, und wahrscheinlich der entscheidende Schlüssel, zur ganzen sozialen Frage ist, wenn wir sie wirklich vom Standpunkt des menschlichen Wohls betrachten wollen (Laborem exercens, Nr. 3). Daher die tiefgreifende Erörterung der Arbeit im objektiven und subjektiven Sinn, damit stets die Würde der arbeitenden Menschen, ihrer Familien, der Gesellschaft, in der sie leben, ihrer Rechte und Pflichten gewahrt bleibt. Dies führt zum Aufspüren der wesentlichen Elemente jener Spiritualität der Arbeit, die in Christus "den Mann der Arbeit" und in seinem Kreuz und seiner Auferstehung die einzig mögliche Lösung für die Bedürfnisse, Mühen und Sorgen der Arbeiter findet.
Heute fährt die Kirche fort, ihre tätige Sorge um die Welt der Arbeit laut zu verkünden. Sie steht auf der Seite der Arbeiter!
In diesem Lichte nehmen die Begegnungen, die ich im Laufe des Jahres mit Arbeitern verschiedener Gruppen hatte, eine Vorrangstellung ein, insbesondere die Reise nach Terni in Umbrien zu den Technikern und Arbeitern der dortigen Stahlwerke am Fest des heiligen Josef, des Patrons der Arbeiter. Und ich erinnere mich nach wie vor mit innerer Bewegung an die Audienz für Lech Walesa am 15. Januar und an die Botschaft, die ich an ihn und die Mitglieder der Freien Polnischen Gewerkschaft "Solidarnosc" richtete. Auch kann ich nicht vergessen, dass ich, eben um der Enzyklika Rerum novarum zu gedenken, die Einladung nach Genf angenommen hatte, wo ich das höchste Forum der Vereinten Nationen, das sich mit der Arbeit in der Welt befasst, das Internationale Arbeitsamt, hätte besuchen sollen. So es Gott gefällt, werde ich den Besuch nachholen, um gerade vor allen Völkern feierlich die Hochschätzung und Liebe zu bezeugen, die die Kirche für die Menschen der Arbeit hegt.
7. Die tätige Sorge des Apostolischen Stuhls und der Bischöfe der ganzen Welt leuchtete in strahlendem Licht bei der Feier der Bischofssynode im Oktober des vergangenen Jahres.
Nach Abschluss dieses Ereignisses habe ich dann die Propositiones gesammelt und weitergeführt, wobei ich auch die Anregungen berücksichtigte, die bei den verschiedenen Sitzungen zutage traten, an denen ich täglich teilnahm: das Apostolische Schreiben Familiaris consortio, das ich in der vergangenen Woche veröffentlichen ließ, soll eine "Summa" der Lehre der Kirche über das Leben, die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten und die Sendung von Ehe und Familie in der Welt von heute sein. In diesem Dokument rief ich Gottes ursprünglichen Plan für die Familie in Erinnerung, der sichtbarer Ausdruck der bräutlichen Liebe Gottes zur Menschheit, der Liebe Christi zur Kirche, ist. Die christliche Familie, die aus der Ehe hervorgeht, wird vor allem in ihren einzelnen Mitgliedern betrachtet, unter besonderer Berücksichtigung der Frau; hervorgehoben wird ihre unaufgebbare Pflicht des Dienstes am Leben, sei es als Weitergabe des Lebens selbst, sei es als erzieherische Sendung. Die Familie muss zutiefst teilhaben an der Entwicklung der Gesellschaft und am Werk der Kirche als Gemeinschaft, die glaubt, die betet, die ihr Ja zu Gott in der Erfüllung des Liebesgebotes ausspricht. Schließlich beleuchtet das Dokument die verschiedenen Aspekte der Familienseelsorge und geht auf schwierige, für heute typische Situationen näher ein, die - unter Achtung der unwandelbaren Grundsätze - eine besondere Aufmerksamkeit, Taktgefühl und gleichzeitig Klarheit gegenüber den sie betreffenden Personen verlangen.
Mit diesem Schreiben, das Meinungsäußerungen und Erfahrungen der Bischöfe der fünf Erdteile sammelt und daher als solches echter Ausdruck der Kollegialität in der Kirche ist, wurde die Sorge der Kirche für die Institution Familie ein weiteres Mal bestätigt; außerdem wurde die klare Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über Ehe und Familie vertieft und erweitert (vgl. Gaudium et spes, Nr.47-52).
In diesem Lichte muss auch die Gründung des Päpstlichen Rates für die Familie durch das Motu proprio Familia a Deo vom vergangenen 9. Mai gesehen werden, desgleichen die Errichtung des Internationalen Instituts für Studien über Ehe und Familie, das die Arbeit bereits aufgenommen hat. So erinnere ich gern an die Audienzen für Gruppen, Institutionen und Organismen - unter denen ich die für den Gerichtshof der Sacra Romana Rota erwähne -, die es mir gestattet haben, einen umfassenden Diskurs über die Familie sowie über die Fragen und Herausforderungen fortzusetzen, die sich heute an die Seelenhirten stellt.
Grundlegend unter diesen Fragen und Herausforderungen ist die Weitergabe und die Verteidigung des Lebens: Der Wille des Schöpfergottes hat diese Aufgabe ausdrücklich "von Anfang an" dem Menschenpaar übertragen, aber der heute herrschende und einschläfernde Hedonismus versucht mit allen Mitteln, die Empfindung und das sittliche Gebot des Gewissens abzustumpfen und die Ehe von ihrer vorrangigen Aufgabe, Leben zu schenken, zu trennen. Tausende und Abertausende unschuldiger und wehrloser Opfer sind im Schoß der Mutter getötet worden! Leider verdunkelt sich der Sinn für das Leben und infolgedessen die Achtung vor dem Menschen. Die Konsequenzen liegen offen vor aller Augen. Und wenn man nichts dagegen unternimmt, wird die Zukunft noch schlimmere bescheren. Die Kirche widersetzt sich dieser Mentalität mit allen Mitteln. Sie exponiert sich und steht selbst dafür ein. Das haben die Bischöfe aller Länder getan, in denen bezüglich dieser Angelegenheit eine permissive Gesetzgebung gefördert wurde. Das habe ich getan, dem habe ich mich im vergangenen Frühling ausgesetzt. Und während der Tage meines langen Leidens habe ich viel an die geheimnisvolle Bedeutung, das mir gewissermaßen vom Himmel gegebene verhüllte Zeichen der Prüfung gedacht, die mein Leben in Gefahr brachte, als handle es sich gewissermaßen um einen Tribut der Wiedergutmachung für das geheime oder offene Nein zum menschlichen Leben, das in den fortgeschrittensten Nationen um sich greift. Während sie sich dessen nicht bewusst werden wollen, ja sogar stolz zu sein scheinen auf ihre Autonomie und ihre Auflehnung gegen das Sittengesetz, gehen sie einer Periode des Verfalls und der Überalterung entgegen. Vielleicht werde ich Gelegenheit haben, ausdrücklich auf diese schmerzliche Wirklichkeit zurückzukommen. Aber es drängte mich, dies auch heute wenigstens kurz zu erwähnen, da wir uns anschicken, die Geburt des Gottessohnes zu feiern, der in die Welt kommt, um das Leben zu bringen, um den Menschen zu retten, um die Lage der Frau und des Kindes zu bessern.
8. Dann gab es Männer und Frauen aus den verschiedenen Ständen, denen ich im Laufe des Jahres begegnet bin.
Vor allem erwähne ich die Jugendlichen aus verschiedenen Ländern, unter ihnen die Universitätsangehörigen und Sportler, bei den zahlreichen Begegnungen, die ich im Laufe des Jahres hatte, entsprechend dem Interesse, das die gesamte Kirche an der Jugend nimmt, auf die sie mit Freude und Hoffnung blickt, damit sie mit Eifer und Freude sich auf das Leben vorbereitet.
Der Heilige Stuhl hat es nicht versäumt, zum Jahr der Behinderten in einer Botschaft Hinweise und Wünsche zu formulieren für die Sorge, den Schutz und die Förderung, die diesen zahlreichen und schwergeprüften Gliedern der Menschheit gelten; und ich selbst habe im April einigen von ihnen die Firmung gespendet und die Teilnehmer an den Weltwettkämpfen der Körperbehinderten empfangen; ich habe mich an jene gewandt, die an einer Pilgerfahrt nach Lourdes teilgenommen haben. Und es ist mein Wunsch, dass die Programme und Vorsätze, die aus der Feier dieses Jahres hervorgegangen sind, zu Ergebnissen führen, die sich wohltuend und dauerhaft zum geistigen und körperlichen Nutzen dieser besonders geliebten Gruppe von Brüdern auswirken.
Des weiteren erinnere ich besonders gern an die Kranken, denen ich bei Besuchen und Audienzen begegnet bin. Im Laufe meiner persönlichen, längeren Erfahrung des körperlichen Leidens fühlte ich mich als "einer von ihnen"; ich gehörte zu der Gemeinschaft von Leidenden in der Gemelli-Klinik, und ich habe mich von ihnen mit innerer Bewegung getrennt und persönlich verabschiedet, von Mensch zu Mensch, als der Augenblick meines Aufbruchs von der Klinik gekommen war.
Es ist mir ferner eine angenehme Aufgabe, der Sorge des Apostolischen Stuhls um die Männer der Wissenschaft und Kultur zu gedenken sowie seiner Gegenwart auf internationaler Ebene durch die Tätigkeit und das Ansehen der Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften: Wie bekannt ist und wie ich am Sonntag, dem 13. Dezember, angekündigt hatte, sind Delegationen von ihr durch die Hohen Vertreter der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs sowie vom Präsidenten der Vollversammlung der Vereinten Nationen empfangen worden, denen sie die Ergebnisse der von der Akademie unternommenen Studien über die verheerenden Folgen eventueller Atombombenexplosionen darlegten.
Desgleichen erinnere ich auch gern an die Begegnungen, die ich während des Jahres mit Journalisten und Vertretern der Massenmedien gehabt habe. Die Bedeutung der Informationsmittel und der Bildung erhält für den Heiligen Stuhl ein besonderes Gewicht wegen des 50. Jahrestages des Beginns der Tätigkeit von Radio Vatikan. Groß ist der Einfluss dieses bewunderungswürdigen Mittels der Kommunikation und der Verbrüderung der Menschen im Dienste der Kirche und der Wahrheit in einer erregenden und entscheidenden Periode der zeitgenössischen Geschichte.
Erwähnen möchte ich noch die Botschaft, die am 8. September zum XV. Internationalen Tag der Alphabetisierung erging; diejenige zum I. Welternährungstag vom 14. Oktober wie auch die Audienz für die XXI. Sitzung der FAO-Konferenz am 13. November im Zusammenhang mit dem stets dramatischen Problem des Hungers in der Welt.
9. Da wir inzwischen das Ende des Jahres erreicht haben, danke ich mit euch dem Herrn für die Möglichkeiten, die der Kirche und dem Heiligen Stuhl geboten waren, nämlich ein immer dichteres Netz von Begegnungen und Kontakten auf internationaler Ebene zu knüpfen, die einzig und allein darauf ausgerichtet sind, die Gesellschaft und die gegenseitige Verständigung unter den Völkern zu fördern.
In besonderer Weise gedenke ich der Begegnungen mit den verschiedenen Staatsoberhäuptern und mit den Autoritäten im Rahmen meiner Reisen und der Audienzen im Vatikan; so auch der Überreichung des Beglaubigungsschreibens seitens der Botschafter (in diesem Jahre von Japan, Österreich, Ghana, Portugal, Korea, Iran, Brasilien, Italien, Argentinien, Bolivien, Jugoslawien, Honduras, Equador und der Dominikanischen Republik), die diese Form des Dienstes der Kirche in die erste Linie rückt. Durch die Herstellung bilateraler Beziehungen mit verschiedenen Staaten verfolgt sie das einzige Ziel, den legitimen Aktionsbereich der Kirche und den gesellschaftlichen Fortschritt der in Frage stehenden Bevölkerung zu schützen.
10. Der Dialog mit der Welt gewinnt interkontinentale Dimensionen durch die Reisen, die die Vorsehung mich machen lässt und bei denen ich den verschiedenen Völkern am Ort, ihren ethnischen Besonderheiten, dem Reichtum ihres geschichtlichen und künstlerischen Erbes, der Tiefe ihrer religiösen Empfindungen begegne. Zu den bisher bewältigten Reiserouten hat sich dieses Jahr der Besuch im Fernen Osten und in Alaska gesellt, der mich zwischen dem 16. und 27. Februar von Pakistan zu den Philippinen, nach Guam, nach Japan und nach Anchorage geführt hat. Es war eine Weltreise, freilich eine sehr schnelle, entlang den Meeren und Kontinenten der Erde. Wie ihr wisst, hätten andere Reisen folgen sollen, die das Attentat leider hat aufschieben, jedoch nicht aufheben können. Aber diese Reise war eine Erfahrung von großer Bedeutung, vor allem für mich. Nach Paul VI., der die Philippinen schon aufgesucht hatte, war dies das erste Mal, dass der Nachfolger Petri seinen Fuß auf den Boden jener fernen Länder setzte (und ich hebe insbesondere die alte und vornehme japanische Nation hervor). Auf diese Weise kennzeichnete er die Kontinuität des Auftrages aus dem Evangelium, die Jahrhunderte hindurch die Apostel, ihre Nachfolger, die Missionare angetrieben hat, nach dem Befehl Christi, allen Völkern die frohe Botschaft zu bringen (vgl. Mt 16, 15).
Am 21. Februar konnte ich in Manila, von Radio Veritas aus, eine Botschaft an alle Völker Asiens richten, eines riesenhaften Erdteils, der gewaltige Hilfsquellen an Zivilisation, Kultur, Arbeitskraft, menschlicher Ursprünglichkeit und Wärme besitzt, die einen hervorragenden Beitrag zum internationalen Zusammenleben darstellen. Eben diese Völker hatte ich am 17. Februar Unserer Lieben Frau von der Immerwährenden Hilfe, die in Baclaran verehrt wird, geweiht. So bot sich mir die Gelegenheit, vor diesem Erdteil, vor der ganzen Welt auszurufen, dass die Kirche ihm nahe ist, dass sie seine Probleme kennt und die Sorge um seinen Fortschritt und um den Frieden teilt: "In den Gliedern der Kirche", so sagte ich in Manila, " ... ist Christus in Asien gegenwärtig. Christus und seine Kirche können keinem Volk, keiner Nation oder Kultur fremd sein. Seine Botschaft gehört allen und ist an alle gerichtet. Die Kirche kennt keine irdischen Pläne, keine politischen oder wirtschaftlichen Ziele. Sie möchte, in Asien ebenso wie in allen anderen Teilen der Welt, Zeichen der erbarmenden Liebe Gottes, unseres gemeinsamen Vaters, sein ... Die Kirche beansprucht keinerlei Privilegien; aber sie möchte frei und unbehindert ihre Mission erfüllen können" (Botschaft an die Völker Asiens in Manila vom 21. Februar; ORdt. Nr.9, 29.2. 1981).
11. Wie könnte die Kirche den Frieden in der Welt außer Acht lassen, wenn sie die Ankunft des Friedensfürsten verkündet? Wie könnte sie unempfindlich gegenüber diesem grundlegenden Gut der Menschheit bleiben, da doch, wie ich am 25. und 26. Februar in Hiroshima und Nagasaki mit Schrecken erfahren habe, die dem Menschen und seinen Städten durch die Grausamkeit des Krieges zugefügten Zerstörungen immer noch in lebendiger Erinnerung sind, da die unauslöschlichen Spuren jener Wunden noch eingeprägt bleiben auf dem Antlitz, dem Körper, in der Seele von unzähligen unserer Brüder? Daher mein aus tiefstem Herzen kommender Appell bei dem Friedensdenkmal in Hiroshima und beim "Hill of Mercy"-Krankenhaus in Nagasaki, dessen Erinnerung mich noch heute bewegt. "Sich auf die Vergangenheit besinnen" - habe ich gesagt - "heißt, sich der Zukunft verpflichten. Sich an Hiroshima erinnern bedeutet, den Atomkrieg verabscheuen... Angesichts des vom Menschen bewirkten Unglücks, das jeder Krieg darstellt, muss man immer wieder und wieder beteuern und bekräftigen, dass Krieg führen nicht unvermeidbar oder unabänderlich ist. Die Menschheit ist nicht zur Selbstzerstörung bestimmt. Konflikte von Ideologien, Erwartungen und Bedürfnissen können und müssen mit anderen Mitteln als durch Krieg und Gewalt beigelegt und gelöst werden" (Ansprache in Hiroshima am 25. Februar 1981; ORdt. Nr. 10 vom 6.3.1981).
Auch kann ich die Messe für den Frieden nicht vergessen, die ich in Manila am Quezon Circle am 19. Februar gefeiert habe.
Daher der jährliche Friedenstag, dessen Thema im vergangenen Jahr war: "Schütze die Freiheit, dann dienst du dem Frieden." Inzwischen schicken wir uns an, am kommenden 1. Januar über den "Frieden, Gottes Geschenk" nachzudenken.
Daher die Sorge um die Flüchtlinge, die die beredsamsten Opfer mangelnden Friedens sind in ihrer tragischen Entwurzelung aus dem geliebten Vaterland und der schmerzlichen Einsamkeit auf fremder Erde, oft unter unmenschlichen Bedingungen, mit unvorstellbaren Folgen für die Kinder, die Jugend und die Kranken. Im Lager von Morong auf den Philippinen habe ich der Welt von neuem dieses tragische Problem vor Augen gestellt, das die Selbstgenügsamkeit des modernen Menschen fragwürdig macht.
Daher die Aufforderung, die ich bei verschiedenen Gelegenheiten an Politiker etlicher Nationen und Richtungen ergehen ließ, wobei ich sie ermutigte, die Pflichten ihres Standes zu achten sowie dem menschlichen und geistlichen Wachstum der Brüder zu dienen.
In diesem Zusammenhang beziehe ich mich auf meine persönliche Botschaft an die Oberhäupter der Unterzeichnerstaaten der Konferenz von Helsinki im September 1980 und kann nicht umhin, die Aufforderung zur Achtung der Rechte der Personen und der Völker mit Festigkeit zu wiederholen, auf dass die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit in ihrer ganzen Ausdehnung sowie in jedem gesellschaftlichen Bereich gewahrt werde.
Die Religionsfreiheit ist erste und unentbehrliche Vorbedingung des Friedens. Und man kann nicht behaupten, der Friede existiere dort, wo dieses grundlegende Recht nicht garantiert ist. Es handelt sich um ein Recht, das nicht nur auf der Freiheit begründet ist, sich gemäß den eigenen inneren Entscheidungen ausdrücken zu können, sondern auch auf der wesentlich gemeinschaftlichen Natur der zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen die Religionsfreiheit äußere Form annimmt. Ich vertraue darauf, dass sich alle Verantwortlichen der Menschheit in ihrer Handlungsweise von der Achtung dieses unveräußerlichen Rechts der Völker verantwortlich leiten lassen. Nur so kann von wahrem und dauerhaftem Frieden die Rede sein.
12. Nichtsdestoweniger gibt es unheildrohende Schatten, Konflikts- und Spannungszonen, bei denen der bloße Gedanke daran das Herz mit Schmerz erfüllt.
Wie könnte man nicht traurig werden angesichts der Nachrichten, die aus einigen Ländern Mittelamerikas eintreffen? In der Messe, die ich am 12. Dezember vor der lateinamerikanischen Gemeinde Roms und vor Vertretungen gefeiert habe, die gekommen waren, um den 450. Jahrestag der Erscheinungen Unserer Lieben Frau von Guadalupe zu begehen, habe ich an die Besorgnis erinnert, die die leidvollen und dramatischen Situationen jenes Erdteils in meinem Innern auslösen. Und ich habe dem Wunsch Ausdruck gegeben, man möge unter Respektierung von Gerechtigkeit und Freiheit und durch ein echtes Gemeinschaftsleben den schreienden wirtschaftlichen Kontrasten entgegenwirken und schließlich ein gesellschaftliches Miteinander erreichen, in dem Harmonie, Zusammenarbeit, Brüderlichkeit und Frieden leuchten.
Wie schon einmal in diesen Tagen flehe ich nochmals darum, Polen, meinem Volk, mögen weitere Leiden erspart bleiben, nachdem es schon während seiner unruhigen Geschichte von kriegerischen Ereignissen so hart geprüft worden ist. Und ich empfehle die Lage, die mit der Verkündigung des Kriegsrechts entstanden ist, der Fürbitten der Mutter Gottes von Jasna Góra. Ich vertraue der Mutter der Polen das Gebet und den Aufruf zu einer friedlichen Lösung in gegenseitiger Zusammenarbeit zwischen Behörden und Bürgern, in voller Achtung der bürgerlichen, nationalen, geistigen und religiösen Identität des Landes an. Nach Polen gehen meine Gedanken und meine Zuneigung, die Besorgnisse, die Wünsche der ganzen Welt. Ununterbrochen erreicht mich das Echo dieser brüderlichen Teilnahme am Geschick meines Vaterlandes, und für all dies danke ich.
Des weiteren kann ich nicht umhin, wenigstens flüchtig auf die Situation im Mittleren Osten einzugehen, insbesondere des geliebten Libanon; sie bleibt wegen des häufigen Blutvergießens voller Gefahren und Besorgnisse. Und ich vergesse auch nicht Nordirland, auf das die Terroraktionen weiterhin einen düsteren Schatten werfen. Auch an diese so geprüften Nationen ergeht mein kraftvoller und feierlicher Friedenswunsch, der verstärkt ist durch andauerndes Gebet.
In diesem Zusammenhang spüre ich die Pflicht, meine Stimme gegen das schwere und nach wie vor unbewältigte Phänomen des internationalen Terrorismus zu erheben, der eine unaufhörliche Bedrohung des inneren und äußeren Friedens der Völker darstellt. Als sein Opfer fiel Präsident Sadat, ein kraftvoller Förderer internationaler Verständigung, ein edler und mutiger Mann. Zahllos waren die anderen Opfer auf der ganzen Welt, die in der Erfüllung ihrer Pflicht niedergemäht wurden und Gegenstand unqualifizierbarer Akte der Gemeinheit geworden sind, wirklicher und eigentlicher Handlungen in einem mörderischen Krieg, verborgen unter dem Schweigen weniger und unter der Anonymität der Städte, die unmenschlich werden und sich auflösen. Ich kann auch nicht meinen eigenen Fall vergessen, jenes Ereignis am Nachmittag des 13. Mai auf dem Petersplatz, als ich dem Tod durch den offenbaren Schutz des Herrn entging, den Er mir gewährt hatte durch die Fürsprache Unserer Lieben Frau am Jahrestag ihrer Erscheinung in Fatima. "Misericordia Domini quia non sumus consumpti", "Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende" (Klgl 3, 22), wiederhole ich auch heute. Die Vernunft verdunkelt und verwirrt sich bei der Suche nach dem Grund derartiger Taten, die aus unbekannten Wurzeln entstehen, aber anderseits immer zurückgeführt werden können auf Hass, ideologische Verwirrung und den Versuch, im internationalen Leben Unsicherheit und Angst zu verbreiten. Das Andauern dieser schweren Gefahr für die Zukunft der Menschheit und mein eigener Gang durch den Schmelztiegel dieser so furchtbaren Prüfung veranlassen mich, nochmals mit aller Entschiedenheit meine Stimme zu erheben, um die schrecklichen Vollstrecker dieser wahnwitzigen Taktik der Destabilisierung zu beschwören, die ohne Ausweg und Rechtfertigungen ist, damit sie von ihren sterilen Mordplänen absehen und zusammen mit anderen die Lösung der Probleme, die die Gesellschaft erschüttern, nicht in der Gewalt, sondern in der tätigen Zusammenarbeit suchen, in der Anstrengung zugunsten einer allgemeinen Besserung, die nur in der Achtung der menschlichen und geistigen Werte verwirklicht werden kann.
Möge endlich die "Gesellschaft im Zeichen der Liebe" siegen, um dem Menschen zu helfen, damit er die Welt verändere und die Gerechtigkeit, den Fortschritt und den Frieden wieder entdecke!
13. Am Ende dieser Begegnung wendet mein Geist sich den heiligen Kyrill und Method zu, die ich mit dem Apostolischen Schreiben Egregiae virtutis vom 31. Dezember vergangenen Jahres zu Patronen Europas erklärt habe, sind sie doch machtvolle Fürsprecher zugunsten des geistlichen Fortschritts unseres alten und ruhmreichen Erdteils. Sie gehören zu ihm! Sie schreiten ihm voran als überzeugende Beispiele von Bildung und Glauben, zusammen mit dem großen heiligen Benedikt, dessen Jahrhundertfeiern ich abgeschlossen habe mit der Messe, die ich am 21. März in der Basilika St. Paul vor den Mauern zelebrierte. In diesem Augenblick vertraue ich Europa und die Welt diesen großen, von der Gnade erleuchteten Beispielen der Menschheit an, die die christliche Verkündigung in neuem Lichte erstrahlen ließen durch die Einigung so verschiedener Völker im Bande des Glaubens und die Bewahrung der echten Werte östlicher wie westlicher Kultur. Mögen sie Fürsprache einlegen für die Regierenden, für die Gestalter der Politik, der Kultur, der Kunst, für die Arbeiter, die Friedensstifter im täglichen Leben der einzelnen Personen und Nationen, damit stets das Gute über das Böse triumphiere, die Liebe über den Haß, die Vernunft über das Absurde. Mögen sie sie stets und immer weiter führen auf den Straßen der Gesittung und des Friedens.
Mit dieser neuen Hoffnung gehen wir in das neue Jahr. Die Kirche wird wie immer ihren Dienst am Menschen fortsetzen. Sie ist sicher, hier einen entscheidenden Beitrag zu leisten, eben weil sie Werk Gottes ist und den Ruhm Gottes sucht, dessen Widerschein das ist, was allein den Menschen groß und ihn der Achtung und Liebe würdig macht. Mit der Förderung des Ruhmes Gottes fördert die Kirche den Ruhm des Menschen. Und wie der heiligen Anselm treffend bemerkt, "gibt der, der seine eigene Willensanstrengung auf die Wiedergewinnung des Reiches des Lebens ausrichtet, sich Mühe, in allem sich auf Gott zu beziehen und auf ihn sein ganzes Vertrauen zu setzen mit unerschütterlicher Festigkeit seines Geistes ... Er greift nach der Geduld als seiner Unterstützung und singt mit dem Psalmisten: ,Magna est gloria Domini'. Diesen Ruhm verkostet er auf seiner Pilgerfahrt, und in ihm findet er Trost im Lauf der Welt" (heiliger Anselm; siehe Vita 11, 32; PL 158,95).
So wollen wir fortfahren mit dieser Freude, diesem Vertrauen, mit dieser Ausdauer. "Magna est gloria Domini." Maria, die Heiligste, die durch das Werk des Heiligen Geistes das Wort des Vaters in ihrem Schoß umschlossen und der Welt geschenkt hat und mitwirkte, seinen Ruhm in ihrem demütigen Dienst zu offenbaren (vgl. Joh 2, 11), unterstützt uns auf dem Weg, hilft uns, nicht zu straucheln, zeigt uns das Ziel, dem der Rhythmus der Tage und unserer täglichen Arbeit zustrebt:
"Magna est gloria Domini." Gott die Ehre und Friede den Menschen, gemäß der Weihnachtsbotschaft.
In diesem Licht und in dieser Erwartung segne ich euch von Herzen.
1982
am 23. Dezember mit dem Thema: Das "Heilige Jahr der Erlösung" ist nicht auf Rom beschränkt
Ehrwürdige Brüder des Heiligen Kollegiums, liebe Söhne!
1. Das bevorstehende Weihnachtsfest findet uns hier zum üblichen herzlichen Austausch der Glückwünsche versammelt. Unsere Herzen ergießen sich in wechselseitiger Freude: "Dominus prope est! Der Herr ist nahe!" (Phi! 4, 5). Im Warten auf die irdische Geburt des menschgewordenen Gottessohnes konzentriert sich in diesen Tagen unsere Aufmerksamkeit, unsere Wachsamkeit und unser Gebet, es wird dringender, intensiver und demütiger.
Ich danke euch sehr für eure Anwesenheit, die uns in der Gemeinschaft des Geistes den Reichtum des Geheimnisses, das wir neu erleben möchten, schon im voraus verkosten lässt. Besonders danke ich dem verehrten Herrn Kardinaldekan für die trefflichen Worte, die er in euer aller Namen eben an mich gerichtet hat.
Gemeinsam gehen wir dem Erlöser, der kommt, entgegen: Die Adventsliturgie hat uns inzwischen voll für diesen geistlichen Weg, dem Erwarteten der Völker entgegen, verfügbar gemacht. Wir sind auf diesem Weg schon dem Jesaja gefolgt, dem "Typus" der messianischen Erwartung; den Spuren des Täufers, der wieder einmal für uns seine Stimme ertönen ließ, um "die Wege zu bereiten" (vgl. Mt 3, 3; Lk 3, 4); und vor allem steht und Maria, die Jungfrau, die Hörende, mit ihrem Beispiel und ihrer Fürbitte zur Seite, denn dort, wo man Jesus erwartet, ist Maria immer gegenwärtig, der "Morgenstern", der die Ankunft der "Sonne der Gerechtigkeit" (Ma!4, 2) vorbereitet.
2. Nun aber erfüllen sich die Tage (vgl. Lk 2, 6) jener gesegneten Christgeburt, die wir in den göttlichen Geheimnissen der Heiligen Nacht neu erleben werden; "die Fülle der Zeit" ist da, in der nach den Worten des heiligen Paulus "Gott seinen Sohn sandte, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, um freizukaufen" (Ga! 4, 4).
Jesus wird geboren, um freizukaufen, er kommt, um uns zu erlösen. Er kommt, um uns mit Gott zu versöhnen. Der heilige Augustinus betont das sehr gut in seiner gewohnten Ausdruckskraft: "Durch unser Haupt werden wir mit Gott versöhnt, denn in ihm ist die Gottheit des Eingeborenen unserer Sterblichkeit teilhaft geworden, damit wir seiner Unsterblichkeit teilhaft werden" (Brief 187, 6, 20; CSEL 57, S. 99).
Weihnachten ist der Anfang jenes "wunderbaren Tausches", der uns mit Gott vereint. Es ist der Anfang der Erlösung.
Ihr versteht daher, welches Echo in uns das bevorstehende Fest wecken muss, wenn wir uns mit der ganzen Kirche voll Eifer auf die Feier des Jubiläums unserer Erlösung vorbereiten. Bei diesem außergewöhnlichen Ereignis möchte ich jetzt verweilen, da ich zum ersten Mal seit seiner Ankündigung beim Abschluss der Vollversammlung des Kardinalskollegiums am vergangenen 26. November dazu Gelegenheit habe. Ich möchte euch mein Herz öffnen und euch - wie auch die ganze Kirche mit euch wissen lassen, was meine Absichten sind, mit einem Wort, wie ich Bedeutung und Wert dieses Heiligen Jahres sehe. Es ist hier nicht der Ort, auf organisatorische und praktische Einzelheiten einzugehen. Das wird bald geschehen. Ich möchte vielmehr mit euch über die verschiedenen Aspekte des Jubiläums, das wir vorbereiten, nachdenken.
3. Vor allem ist jener Aspekt hervorzuheben, der jeden anspricht, der auf das hört, was "der Geist den Gemeinden sagt" (Offb, 29): die besondere Funktion, die dieses Gnadenjahr hat zwischen dem Heiligen Jahr 1975 und dem, das im Jahr 2000 an der Schwelle des dritten Jahrtausends gefeiert wird, dem großen Heiligen Jahr. Unser Heiliges Jahr ist also ein Jubiläum des Übergangs zwischen diesen beiden Daten. Es ist wie eine Brücke in die Zukunft, die von den außerordentlichen Erfahrungen ausgeht, die alle vor acht Jahren gemacht haben. Damals hat ja Paul VI. seligen Andenkens alle Gläubigen aufgerufen, die eigene "geistliche Erneuerung in Christus und Versöhnung mit Gott" zu erfahren.
Das Jubiläum der Erlösung also: Wenn jedes Heilige Jahr allgemein eine neue Vertiefung in das Geheimnis der Erlösung vorschlägt und dieses in Glaube und Buße neu erleben lässt; wenn die Kirche sogar ständig der Erlösung gedenkt, nicht nur in jedem Jahr, sondern an jedem Sonntag, an jedem Tag, in jedem Augenblick ihres Lebens, weil sie in der Feier der Sakramente völlig in das erhabene und einzigartige Geschenk der Liebe, die uns Gott in Christus, dem Erlöser, entgegenbringt, eintaucht, dann ist das kommende Jubiläum ein gewöhnliches Jahr, das in außergewöhnlicher Weise gefeiert wird. Der Erwerb der Erlösungsgnade, gewöhnlich innerhalb der Struktur der Kirche und durch diese erfahren, wird außergewöhnlich durch das Besondere der angekündigten Feier. So, im Kairós der Geschichte, die wir miterleben, gesehen, wird das Jubiläum zu einer Herausforderung an den Menschen, den Gläubigen von heute, das Geheimnis der Erlösung tiefer zu begreifen und sich durch die außergewöhnliche Anziehungskraft dieses Jubiläums zur Erlösung hinführen zu lassen. Ihre Wirklichkeit begegnet uns ständig in der Kirche als Institution, und wir müssen sie uns als Charisma in der Stunde der Gnade zu eigen machen, die der Herr für jeden Menschen auf den Höhepunkten christlicher Erfahrung anbrechen lässt. Es handelt sich um eine zentrale geistliche Bewegung, die von nun an in der ganzen Kirche gefördert und vorbereitet werden muss.
Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, diese außerordentlich wichtige Zeit intensiv zu nützen. Wenn das kommende Jubiläum auch nicht in der gewohnten Form langfristig vorbereitet wird, so findet es die Kirche dennoch zu seiner Feier bereit. Die beiden Enzykliken Redemptor hominis und Dives in misericordia sind konkrete Hinweise, die in gewisser Weise schon den Weg zeigen und Weisung geben können, wie das Ereignis angemessen zu feiern ist. Außerdem stehen wir als Gesamtkirche in der Erwartung der Bischofssynode, die als glücklicher Zufall während des Jubiläums stattfinden wird und ein Thema behandelt, das eng mit dessen konkreten Inhalten verbunden ist, nämlich: "Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche". Die Synode wird bereits seit zwei Jahren vorbereitet, und daher sind alle Episkopate der Welt schon voll eingestimmt auf die innerste Bedeutung des Jubiläums der Erlösung; und durch sie ist bereits die ganze Kirche auf dem Weg zur Feier des Jahres der Gnade und des Erbarmens.
4. Das kommende Jubiläum will die Feier der Erlösung "bewusst machen", die in der ganzen Kirche unaufhörlich in Erinnerung gebracht und gelebt wird. Seine besondere Zielsetzung ist der Aufruf zu einer vertieften Reflexion des Erlösungsgeheimnisses und seiner konkreten Anwendung im Bußsakrament.
Daher ist sein Gehalt schon aus der Formulierung klar: Jahr der Erlösung. Der ganze Reichtum des Christusgeheimnisses und die ganze Dringlichkeit des Aufrufs im Evangelium ist im Wort "Erlösung" beschlossen. Das Erlösungsereignis hat in der Heilsgeschichte zentrale Bedeutung, und alles lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Christus ist gekommen, uns zu erlösen. Er ist der Erlöser des Menschen "Redemptor hominis". Für den Menschen, der nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Glück, Schönheit und Güte sucht, ohne sie aus eigener Kraft finden zu können, und der unbefriedigt bleibt von den Angeboten der heutigen immanentistischen und materialistischen Ideologien, der sich daher in den Abgrund der Verzweiflung und Langeweile geworfen sieht oder sich selber lähmt im unfruchtbaren, selbstzerstörerischen Sinnengenuss, für den Menschen, der in Geist und Herz das Bild Gottes in sich trägt und daher den Durst nach dem Absoluten spürt, ist Christus die einzige Antwort. Christus kommt dem Menschen entgegen, um ihn aus der Sklaverei, der Sünde zu befreien und ihm die anfängliche Würde zurückzugeben.
Die Erlösung umfasst das ganze Geheimnis Christi und bildet das Grundgeheimnis des christlichen Glaubens, das Geheimnis eines Gottes, der Liebe ist und sich als Liebe geoffenbart hat in der Hingabe seines Sohnes als Opfer, als "Sühne für unsere Sünden" (1 Joh 4, 8-10).
Die Erlösung ist Offenbarung der Liebe und ein Werk der Liebe, wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe (vgl. Redemptor hominis, Nr. 9). Das Jubiläum soll daher alle Christen zur Wiederentdeckung des Geheimnisses der Liebe führen, das in der Erlösung beschlossen ist, ferner zu einer Vertiefung in die Reichtümer, die seit Jahrhunderten in Christus verborgen sind, im "Glutofen" des Ostergeheimnisses.
Die Erlösung offenbart ferner nicht nur dem Menschen, wer Gott ist, sondern sagt dem Menschen auch, wer er selber ist (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Sie ist ein konstitutives Element der menschlichen Geschichte, denn man ist kein Mensch im Vollsinn, wenn man nicht in der Erlösung lebt, die dem Menschen die tiefen Wurzeln seiner Person zeigt, die verwundet durch die Sünde und ihre quälenden Widersprüche, aber in Christus von Gott erlöst ist und, erhoben "zum vollkommenen Menschen, Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellt" (Eph 4, 13).
Das Jahr der Erlösung bietet daher Gelegenheit zur Wiedergewinnung dieser tröstlichen und verwandelnden Wahrheiten, und es wird Aufgabe der Seelenhirten sein, aber auch der theologischen Reflexion, der Pastoral und der Verkündigung, die Botschaft vom Heil soweit wie möglich zu verbreiten, in der das Wesen des Evangeliums beschlossen ist: Christus ist der einzige Erlöser, "in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen" (Apg 4, 12).
5. Die objektive Wirklichkeit des Erlösungsgeheimnisses muss zur subjektiven Wirklichkeit aller Gläubigen werden, um konkret wirksam zu sein in der geschichtlichen Situation des Menschen, der in der Zeit des ausgehenden zweiten Jahrtausends nach Christus lebt, leidet und arbeitet. Bei diesem Jubiläum, das dem Elend des Menschen das Erbarmen Gottes nahebringen möchte, muss der Wunsch nach der Gnade sich neu entzünden, muss das Bemühen der Gewissen ausgeprägter werden, sich auch subjektiv das Geschenk der Erlösung zu eigen zu machen, jene Liebe, die vom gekreuzigten und auferstandenen Christus kommt. Das Heilige Jahr ist damit ein Aufruf zur Buße und zur Umkehr als notwendiger Voraussetzung für die Teilhabe an der Gnade der Erlösung. Der Mensch kann sich nicht von seinen Sünden freikaufen, er muss erlöst werden, indem er die vom Erlöser erwirkte Vergebung annimmt. Wir wollen daher das Geheimnis der Erlösung leben, indem wir uns anregen lassen von den erhabenen Wirklichkeiten, die das Leitmotiv meiner ersten Enzyklika sind: Christus, der Erlöser des Menschen; Christus, der den Vater in seinem reichen Erbarmen offenbart. Auch die Feier der Synode wird das Verständnis dieser unschätzbaren Gabe erleichtern und die Herzen bereiten, sich die Erlösung subjektiv zu eigen zu machen: sie durch Buße und Versöhnung zu erfahren, d. h. im Sieg über das sittlich Böse, in der Rückkehr zu Gott, in der Umkehr. In Dives in misericordia schrieb ich: "Die wahre Kenntnis Gottes in seinem Erbarmen und seiner wohlwollenden Liebe ist eine ununterbrochene und nie versiegende Quelle der Bekehrung, die nicht nur als vorübergehender innerer Akt zu verstehen ist, sondern als ständige Haltung, als Zustand der Seele. Denn wer Gott auf diese Weise kennenlernt, ihn so ,sieht', kann nicht anders, als in fortwährender Bekehrung zu ihm zu leben" (Nr. 13).
Man muss den Sinn für die Sünde wiederentdecken, dessen Verlust mit dem radikaleren und verborgeneren Verlust des Sinnes für Gott zusammenhängt. Das Sakrament der Buße ist das Sakrament der Versöhnung mit Gott, wo das Elend des Menschen dem Erbarmen Gottes begegnet, das in Christus, dem Erlöser, und in der Vollmacht der Kirche personifiziert ist. Das Sündenbekennntis ist eine praktische Anwendung des Glaubens an die Erlösung.
Das Bußsakrament wird daher, durch das Jubiläum, als Zeugnis für den Glauben an die dynamische Heiligkeit der Kirche empfohlen, die aus Sündern Heilige macht; als Forderung der kirchlichen Gemeinschaft, die durch jede Sünde immer als ganze verwundet wird, auch wenn diese persönlich begangen wurde, als Reinigung im Hinblick auf die Eucharistie und tröstliches Zeichen jener Heilsökonomie, durch die der Mensch in direkten und persönlichen Kontakt mit Christus tritt, der für ihn gestorben und auferstanden ist: "der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat" (Ga! 2, 20). In allen Sakramenten, angefangen bei der Taufe, wird dieses persönliche Verhältnis zwischen Christus und dem Menschen gefestigt; doch vor allem in Buße und Eucharistie belebt es das ganze menschliche Leben neu und wird Wirklichkeit, Besitz, Stütze, Licht und Freude. Er hat mich geliebt.
6. Da ist aber noch eine weitere Bedeutung des Jubiläums der Erlösung. Wir leben in einer Welt, die leidet: so viele Menschen, unsere Brüder und Schwestern, haben ein trauriges Erbe: Ängste und Schmerzen, die niemanden gleichgültig lassen können. Nun hat das Leid seine theologische und anthropologische Wurzel im Geheimnis der Sünde, und deshalb ist es ein konstitutives Element der Erlösung durch Christus. Es gibt nichts in der Welt, das dem Leid des Menschen mehr gerecht wird, als das Kreuz Christi. Christus hat seine Passion auf sich genommen, indem er sich mit der Sünde der Welt belud: "Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden" (2 Kor 5,21). Das Zweite Vatikanische Konzil hat die dramatischen Gegensätze und Zerreißproben herausgestellt, die den Menschen von heute so aushöhlen mit den Rätseln und Herausforderungen, vor die sich seine Vernunft und seine Gefühle gestellt sehen; es hat in Christus, dem neuen Menschen, in seinem Kreuz und seiner Auferstehung die einzige Antwort auf die dramatischen Fragen des Menschen nach dem Leid und dem Tod gezeigt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22).
Die Erlösung öffnet uns das herrliche Buch unserer Solidarität mit dem leidenden Christus, und in Ihm führt sie uns in das Geheimnis unserer Solidarität mit den leidenden Brüdern und Schwestern ein. Das Jubiläum der Erlösung aber lässt uns noch inniger im Geist der "Gemeinschaft der Heiligen" leben. Die Leiden der Menschen sind gemeinsames Erbe aller: jeder muss seinen persönlichen Beitrag zur Erlösung leisten, die zwar ein für allemal geschehen ist, aber diese geheimnisvolle Ergänzung, dieses Aufopfern der gewaltigen Last der Leiden und Schmerzen der Menschheit braucht: "Ich ergänze in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt, für den Leib Christi, die Kirche" (Kol 1, 24). Wenn die Kirche heute die traditionellen Bußübungen erheblich erleichtert hat, dann eben deswegen, weil in der Welt, entgegen allem Augenschein, die Zahl derer wächst, die eine große christliche Buße leisten können, weil ihr ganzes Leben eine große Buße ist. Ich denke hier an die Kranken, die Einsamkeit der Alten, die Sorgen der Eltern um ihre Kinder, die Entmutigung der Arbeitslosen, die Frustration so vieler Jugendlicher, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft einzugliedern; ich denke auch an jene, die die Verletzung ihrer Rechte in zuweilen raffinierten Formen der Verfolgung, ja des bürgerlichen Todes erleiden.
Das Jubiläum der Erlösung steht in Verbindung mit dieser vielfältigen und geheimnisvollen "Gemeinschaft der Heiligen". Wahr ist, dass uns die Feier jedes Jubiläums mit dem unvergleichlichen Reichtum der Verdienste und Leiden verbindet, den die Märtyrer und Heiligen im Lauf der alten und neueren Geschichte der Kirche als eine wunderbare Krone gebildet haben durch die Hingabe ihres Lebens und durch ihre heldenhafte Tapferkeit; aber es wird immer deutlicher - und das wird gewiss ein grundlegender Erfolg des kommenden Jubiläums sein -, dass das Leiden der Brüder, vereint mit dem Leiden Christi, ein Schatz ist, von dem die Kirche lebt und der den Glauben aller trägt.
Wenn die mit der Feier des Jubiläums verbundenen Strapazen heute gegenüber früheren Zeiten oder auch nur gegenüber den letzen Jahrzehnten geringer werden, dürfen wir darüber nicht vergessen, dass jeder den Beitrag an Leiden leisten kann und muss, der, ob er will oder nicht, mit dem menschlichen Dasein als solchem verbunden ist und in Christus mit dem Leid der anderen vereint werden muss.
Heute spürt man diese Solidarität im Leid sehr. Unter den Christen lässt sich eine ausgeprägte Liebe zueinander und über die Grenzen der Kirche hinaus feststellen. Man nimmt die Verantwortung für die Leidenden in Formen wahr, die früher nicht so deutlich waren. Das Jubiläum, das vor der Tür steht, macht daher eine weitere Bereicherung dieser Sensibilität möglich, die echter "sensus Ecclesiae" ist im wachsenden Bewusstsein für diese Solidarität, für das "Ich ergänze".
7. Aus all den Gründen, von denen ich gesprochen habe, versteht ihr, dass die Feier der Erlösung sich nicht auf Rom beschränken kann, wie bei der gewohnten Feier anderer Jubiläen. Das Geheimnis der Erlösung erstreckt sich auf alle Menschen, und daher nimmt sich der Stuhl Petri, getreu seinem Auftrag, aller Menschen an. Das Jubiläum ist allen Gläubigen zugedacht, wo immer sie wohnen. Es möchte ihnen helfen, besser "den unergründlichen Reichtum Christi" zu verstehen und "zu enthüllen, wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war, damit sie jetzt durch die Kirche von der vielfältigen Weisheit Gottes Kenntnis erhalten" (Eph 3, 8 ff.). Gewiss, Rom bietet sich allen Pilgern an durch seinen einzigartigen Charakter, seine Apostelgräber, seine Feiern in Gegenwart des Papstes, seine jahrhundertealte organisatorische Erfahrung. Aber es will nicht einen Schatz, der allen gehört, für sich allein beanspruchen. Daher soll das Jubiläum mit den gleichen Rechten und geistlichen Wirkungen in allen Ortskirchen der Welt gefeiert werden.
Das Jubiläum wird also gleichzeitig in der ganzen Kirche gefeiert, in Rom und in den Ortskirchen und im gleichen Jahr. Das wird in den Gläubigen den Sinn für die Universalität der Kirche, für ihre "katholische" Note stärken. Und es legt anderen nahe, die Botschaft von der Erlösung sowie das Bemühen um Umkehr und geistliche Erneuerung, das diese einschließt, zu vertiefen, wozu es mit starker Suggestivität aufruft.
8. Das Jubiläum wird vom 25. März kommenden Jahres, dem Fest der Menschwerdung des Herrn, bis zum Osterfest am 22. April 1984 gefeiert. Das ganze ErdenDasein Jesu galt der Erlösung: Redemptor hominis.
"Darum spricht Christus bei seinem Eintritt in die Welt: ,Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen ... Da sagte ich: Ja, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle -, um deinen Willen, Gott, zu tun' ... Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt" (Hebr 10,5-10). Jesus lebte im Warten auf die "Stunde", die ihm der Vater aufgetragen hatte: "Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist" (Lk 12, 49). "Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen" (Joh 4, 34).
Dieses Werk wurde am Kreuz vollendet im letzten "Es ist vollbracht" (Joh 19, 30). Der Vater aber antwortete auf diese vollkommene heilige Hingabe, indem er ihn "dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt hat als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten ... Jesus Christus, unsern Herrn" (Röm 1, 4).
Von der Empfängnis bis zur Auferstehung ist Christus der Erlöser. Wir können daher alle Etappen im Leben des Heilandes erneut durchlaufen, um uns die Früchte seiner Erlösung zu eigen zu machen.
9. Ich vertraue fest darauf, dass auch unsere Brüder und Schwestern, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die in der Feier des Jubiläums liegenden Werte voll verstehen und daher mit neuer Hoffnung und Liebe zur Kirche darauf schauen.
Das Jubiläum ist ein großer Dienst für die Sache des Ökumenismus. Wenn wir die Erlösung feiern, betreten wir ein Feld jenseits historischer Missverständnisse und zufälliger Kontroversen und befinden uns auf dem gemeinsamen Boden unseres Christseins, d. h. Erlöstseins. Die Erlösung eint uns alle in der einen Liebe zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Dies vor allem ist die wertvollste Bedeutung, die im Licht der ökumenischen Bemühungen dem kommenden Jubiläum beizumessen ist. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, der uns Hoffnung für diese Verschmelzung der Herzen macht: der Geist des Gebetes und der Buße, der die Feiern des Jubiläums prägt, muss zu jener Umkehr der Herzen führen, die die Konzilsväter als wesentliche Vorbedingung für die Herstellung der Einheit in der Kirche bezeichnet haben: "Es gibt keinen echten Ökumenismus - sagt das Konzilsdokument - ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit. Deshalb müssen wir vom göttlichen Geist die Gnade aufrichtiger Selbstverleugnung, der Demut und des geduldigen Dienstes sowie der brüderlichen Herzensgüte zueinander erflehen" (Unitatis redintegratio, Nr. 7).
Ich richte daher schon jetzt einen herzlichen Appell an alle Verantwortlichen und Mitglieder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, damit sie die Feier des Jahres der Erlösung mit ihrem Gebet begleiten, mit ihrem Glauben an Christus, den Erlöser, mit ihrer Liebe, die mit uns zusammen zu einem immer tieferen Verlangen wird, das Gebet Jesu vor seinem erlösenden Leiden zu verwirklichen: Alle sollen eins sein" (Joh 17, 21).
10. Zum Schluss möchte ich, dass das Jubiläum in allen Ortskirchen zu einer allgemeinen Katechese wird, zu einer ausgedehnten Evangelisierung über die Wirklichkeit der Erlösung: Christus führt den Menschen zum Heil durch seine am Kreuz hingeopferte Liebe. Der Mensch lässt sich von Christus zum Heil führen. Das ist eine Aufforderung, das Geheimnis des Heils besser zu verstehen und es in der Praxis des sakramentalen Lebens zu vertiefen.
Bei dieser Aktion, die uns zu Christus führt, um uns in ihm den Vater wiederfinden zu lassen, ist auch das verborgene und richtunggebende Wirken des Heiligen Geistes herauszustellen und zu immer vollerer Verfügbarkeit sowie zum Verlass auf seine Gaben einzuladen, damit das Heilswerk, bei dem er direkt eingreift, in jedem Gläubigen Wirklichkeit werde. So wird das erste und grundlegende Ziel des Jubiläums erreicht, das vor allem eine innere und geistliche Erbauung des Menschen bezweckt, aber eben deswegen auch zur tätigen Liebe unter den Völkern beiträgt.
Tatsächlich ist nur Christus "unser Friede" (Eph 2,14); "Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort der Versöhnung anvertraut" (2 Kor 5, 19). Das Thema der Versöhnung ist daher eng mit dem des Friedens verknüpft, des Sieges über die Sünde, der sich im Sieg der Liebe über alle Feindschaften, Rivalitäten und Gegensätze zwischen den Völkern auswirken muss, wie auch im Sieg der Liebe im Innern der einzelnen zivilen Gemeinschaften und noch tiefer im Herzen jedes einzelnen Menschen. Das Wirken für den Frieden ist eine besondere Form der Treue zum Geheimnis der Erlösung, weil der Friede die Ausstrahlung der Erlösung ist, ihre Anwendung im konkreten Leben der Menschen und Völker. Das Jubiläum wird dazu beitragen, in der Welt eine Mentalität des Friedens zu befestigen: einen Wunsch, der von Herzen kommt.
11. Ich vertraue dieses Programm von Anfang an der Fürbitte der Jungfrau Maria an. Sie ist der Höhepunkt der Erlösung. Sie ist unauflöslich mit diesem Werk verbunden als Mutter des Erlösers und als erhabenste Frucht der Erlösung. Ist sie doch die "Ersterlöste" , erlöst nämlich im Hinblick auf die Verdienste Christi, der Sohn Gottes und ihr Sohn ist.
Die Kirche wird noch inniger auf sie schauen müssen, die in sich das Bild verkörpert, das die Kirche selbst zu sein erhofft und erwartet: "herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig und makellos" (Eph 5, 27).
Das Jubiläum der Erlösung gewinnt damit auch einen tiefen marianischen Charakter: das Zusammentreffen seiner Feier mit der Erwartung des dritten Jahrtausends lässt jene Adventshaltung verstehen, die in der ganzen Heilsgeschichte die Gegenwart Mariens auszeichnet. Sie geht als "Morgenstern" Christus voran und bereitet ihn vor, sie nimmt ihn in sich auf und schenkt ihn der Welt. Wir glauben und wissen sie auch bei der Vorbereitung des Jubiläums gegenwärtig, um unsere Herzen auf das große Ereignis vorzubereiten.
Dazu wird sie beauftragt durch ihre Mutterfunktion. Wie das Zweite Vatikanische Konzil formuliert, "hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen" (Lumen gentium. Nr. 61). "In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie (weiter) Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen" (ebd., Nr. 62). "Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter" (ebd., Nr. 61). In wenigen Tagen wird sie uns das menschgewordene Wort zeigen, auf das sie ihren inneren Blick gerichtet hält: "sie bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (Lk 2, 19, 51). Daher steigt zu ihr unser Gebet auf, sie möge der ganzen Kirche, ja der ganzen Menschheit erneut jenen Jesus zeigen, der die "gesegnete Frucht ihres Leibes" ist, der Erlöser aller.
12. Ehrwürdige Brüder und liebe Söhne! Dies wollte ich euch und der ganzen Kirche dringend mitteilen, wenn wir uns anschicken, das Weihnachtsgeheimnis erneut zu erleben, das die Morgenröte der Erlösung ist, fällt doch auf die äußerste Armut von Bethlehem bereits der Schatten des Kreuzes.
Maria möge uns immer beistehen. Der heilige Erzengel Michael, der heilige Johannes der Täufer, die heiligen Apostel Petrus und Paulus und alle übrigen Apostel mögen uns immer reichere Gnaden des Heils erflehen, damit wir das Jubiläum würdig und fruchtbar feiern. Sie mögen die ganze Kirche bereitmachen, das große Ereignis zu leben. Sie mögen die ganze Kirche darauf vorbereiten, die Erlösung in Christus voll anzunehmen. Daher rufe ich nun der ganzen Kirche zu: "Öffnet die Tore dem Erlöser!" (OR 24.12.82)
1983
am 22. Dezember mit dem Thema: Friede - die Kirche ist "zu allem, was möglich ist, bereit"
Meine Herren Kardinäle, verehrte Brüder und Mitarbeiter
1. Herzlich danke ich dem verehrten Herrn Kardinaldekan für seine Glückwünsche, die stets so edel und tief empfunden sind und die er mir, wie jedes Jahr, unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen in Ihrer aller Namen dargebracht hat. Wenn es schon immer eine besondere Freude ist, diese Gratulation in der einzigartigen Atmosphäre der Freude und Erwartung entgegenzunehmen, von der das Leben an der Kurie gerade in dieser Zeit geprägt ist, so ist in diesem Jahr ohne Zweifel die Freude noch viel größer. Es ist ja das Weihnachtsfest im Heiligen Jahr der Erlösung. Wir spüren es alle, dass die Wirklichkeit der Geburt Jesu in diesem Jahr tief verankert ist in der Wirklichkeit des Jubiläumsjahres. Das Gedenkjahr wirft ein außergewöhnlich helles Licht darauf.
Jesus kommt, um uns das Heil zu bringen. Der Sohn Gottes zeigt sich in der Demut und Verborgenheit der menschlichen Natur, die er angenommen hat, um uns zu erlösen. Das ewige Wort wird Mensch, um den Menschen zur Höhe Gottes emporzuheben, um ihm durch seinen Tod das göttliche Leben zu vermitteln. "Er wurde das, was du, Menschensohn, bist", bemerkt eindrucksvoll der heilige Augustinus, "damit wir Söhne Gottes würden! '" Von dir nahm er die Natur an, in der er für dich sterben wollte; von dir nahm er an, was er für dich hingegen wollte" (Enarr. in Ps LXX, II, 10; CCL 39, 968).
Das erlösende Kreuz wirft schon seinen Schatten auf die Welt, auch im Licht der Heiligen Nacht. Der Erlöser wird geboren, um für uns zu sterben! Daher all das Beglückende, zu Herzen Gehende, das uns Glaubende innerlich bewegt, gerade in diesem Jubiläumsjahr, das uns noch lebhafter als sonst das Opfer der erbarmenden Liebe Vor Augen stellt und unserem Glauben darbietet, und das seinen geheimnisvOllen Opfergang im Schoß Mariens und im Schweigen der Grotte von Bethlehem beginnt. 2. Im vergangenen Jahr habe ich Ihnen bei dieser Gelegenheit meine Gedanken über die Bedeutung und die Intentionen des Jubiläumsjahres dargelegt. Abschließend sagte ich und bezog mich dabei auf meine Aufforderung zu Beginn meines Pontifikats: "Daher rufe ich nun der ganzen Kirche zu: ,Öffnet die Tore dem Erlöser!'" (Weihnachtsansprache an die Kardinäle vom 23. 12. 82; in OR dt., Nr. 1 vom 1. 1. 83).
An diesem Weihnachtsfest im Jubiläumsjahr wird die Aufforderung noch konkreter und realistischer. Wir müssen uns wirklich für Christus öffnen, der kommt. Die Türen der Herzen sollen nicht, wie die in Bethlehem, kalt und den Glauben verweigernd geschlossen bleiben! Der Ruf ist um so aktueller, als die Gefahr nicht nur eingebildet ist, dass das Kommen des Herrn die Menschen abwesend und unvorbereitet findet oder allzusehr von Illusionen, Geschäften und Ängsten der vergänglichen Welt befangen. Die Gefahr ist nicht bloße Einbildung in einer Welt, die häufig das Leben verneint, dem Frieden misstraut und gegenüber den Leiden der Schwachen, der Obdachlosen, der Flüchtlinge, der Hungernden gleichgültig bleibt.
Mögen sich die Herzen für Christus öffnen
Öffnet die Tore! Ich wiederhole es mit unerschütterlicher Kraft, in der Gewissheit, dass Christus allein die Erwartungen der Menschheit voll und ganz erfüllen kann. Mögen sich die Herzen für Christus öffnen, der kommt: "Super lignum ostii nostri sacrae redemptionis confessio resplendeat", mahnt uns der heilige Ambrosius: "Auf unseren Türflügeln erstrahle das Bekenntnis der heiligen Erlösung!" (Ep 23, 22). Wenn wir ihn aufnehmen, wird alles Verlangen des menschlichen Herzens erfüllt, und jener Friede, "den die Welt nicht geben kann" und den sie doch mit aller Kraft ersehnt, lässt sich nur in ihm ganz finden, denn nur in seinem Kommen wird den Menschen, die Gott liebt, der Friede gebracht (vgl. Lk 2, 14).
3. Das bevorstehende Weihnachtsfest findet die Kirche auf allen Ebenen mitten in der Feier des Jubiläumsjahres. Ich möchte vor allem mit Freude mein Lob und meinen Dank all jenen ehrwürdigen Brüdern im Bischofsamt und allen Priestern und ihren Mitarbeitern zum Ausdruck bringen, die meine Ankündigung sogleich aufgegriffen und in diesem Sinn geeignete Initiativen entfaltet haben, um das Jubiläumsjahr auf der Ebene der Ortskirchen zu begehen und den Gläubigen in aller Welt die Möglichkeit zu bieten, das Geheimnis der Erlösung tiefer zu erfassen und es in seiner eigentlichen Bedeutung zu leben, vor allem durch die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie.
So wurde dem entsprochen, was ich in der Weihnachtsbotschaft des vergangenen Jahres als Wunsch aussprach: "Das wird in den Gläubigen den Sinn für die Universalität der Kirche, für ihre ,katholische' Note stärken, und es legt allen nahe, die Botschaft von der Erlösung sowie das Bemühen um Umkehr und geistliche Erneuerung, das diese einschließt, zu vertiefen, wozu es mit starker Suggestivität aufruft" (OR dt. Nr. 11 1983, S. 7).
So sind wir also nun, neun Monate nach seiner Eröffnung, mitten im Jubiläumsjahr der Erlösung. Von den Diözesen aller Welt laufen unaufhörlich erfreuliche Nachrichten ein.
Die Kirche lebt das Jahr der Erlösung. Die Diözesen haben ein Programm aufgestellt, das dem Ziel und Zweck des Jubiläumsjahres entspricht, und die Gläubigen geben hochherzig und bereitwillig Antwort. Bußfeiern in den Kathedralkirchen, an bekannten, vor allem Marienwallfahrtsorten wie auch in den einzelnen dafür bestimmten Pfarrkirchen haben zur Erbauung und mit Nutzen stattgefunden. Für verschiedene Personenkreise wurden bestimmte Initiativen angekündigt und mit Ernst und Sammlung unternommen.
Hier möchte ich vor allem die Jugend erwähnen. Sie zeigt, dass sie den Sinn des Jubiläumsjahres gut begriffen hat und es mit ernstem Bemühen um Erneuerung und um vertrauensvolle Offenheit für Gott und die Brüder leben will. Man ist auch in besonderer Weise um die Kranken bemüht, und das freut mich aus tiefstem Herzen, weiß ich doch, welchen Platz ihr Leiden im Heilsplan einnimmt. Vor allem ist es das Wiederaufblühen der Bußpraxis durch das Sakrament der Versöhnung, das zeigt, wie die grundlegenden Motive des Jubiläumsjahres tief ins Gewissen der Menschen gedrungen sind in der persönlichen Umkehr und Erhebung, so dass Sinn und Zweck des Jubiläumsjahres im tiefsten erfüllt wurden. Deshalb also möchte ich noch einmal meine große, dankbare Hochschätzung für meine Brüder im Episkopat und für alle ihre Priester zum Ausdruck bringen.
Im übrigen haben wir die Pilgerfahrten nach Rom, zu diesem Zentrum des katholischen Glaubens, das die unwiderstehliche Anziehungskraft der Apostelgräber und der unvergleichlichen Märtyrerstätten bewahrt, dauernd vor Augen, sie bedürfen keiner besonderen Erwähnung. Der Zustrom der "romei", der Rompilger, hält beständig an, mit außerordentlichen Höhepunkten zur Fasten- und Osterzeit, und, wie üblich, im Laufe des Sommers, wobei die intensive geistliche Vorbereitung und Teilnahme kleiner Pfarr- und Diözesangruppen besonders auffiel. Das alles ist zweifellos ein Vorteil, ein Gewinn an Tiefe, ein Wachstum an geistlicher Reife. Und für alles danke ich vor allem dem Herrn, dann aber auch all denen, die durch beachtliche Anstrengungen in der Organisation pünktlich und gewissenhaft eine so wertvolle kirchliche Erfahrung ermöglicht haben und sie noch weiter ermöglichen.
4. Außergewöhnliche Impulse zu einer besonders bewussten und nachhaltigen Feier des Heiligen Jahres hat sodann auch die VI. Vollversammlung der Bischofssynode im vergangenen Oktober gegeben. Bekanntlich stand ihr Thema in voller Übereinstimmung mit dem Ziel des Heiligen Jahres, und, in der Tat, die Erörterungen über "Die Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche" mussten im Gewissen der Gläubigen das Bewusstsein der Sünde wieder wecken wie auch die Sehnsucht nach jenen Früchten der Erlösung, die die Kirche wirksam vermittelt durch die öffentliche Verkündigung der Umkehr und die Ausübung ihrer Gewalt, in der Tiefe des Gewissens zu binden und zu lösen.
In meinem Brief, den ich am vergangenen 25. Januar an alle Bischöfe als Begleitschreiben zu dem Instrumentum laboris für die Bischofssynode sandte, habe ich unterstrichen: "Den moralischen Übeln, die die Gesellschaft spalten und entzweien, liegt die Sünde zugrunde. Das ganze Menschenleben erscheint daher als manchmal geradezu dramatischer Kampf zwischen Gut und Böse. Nur wenn die Wurzel des Bösen ausgerissen wird, kann man zu einer wirksamen Versöhnung gelangen. Deshalb ist die Umkehr jedes Menschen zu Gott zugleich der beste Weg für eine dauerhafte Erneuerung der Gesellschaft, weil jeder Akt echter Versöhnung mit Gott durch die Buße seiner Natur nach neben der personalen auch eine soziale Dimension enthält. Die Synode hat bereits seit der ersten Vorbereitung diese Einfügung der Erlösung in das Wirken der Kirche im Auge, von wo der menschlichen Gesellschaft Hilfe zukommen soll. Die emsige Vorbereitungsarbeit auf die Synode wird daher in den Ortskirchen Nachdenken und Ansporn auslösen, was mit den Zielsetzungen des Heiligen Jahres übereinstimmt." (Schreiben vom 25. 1. 83; in OR dt., Nr. 9 vom 4. 3. 83, S. 1).
Die Synodenväter ihrerseits haben sich in ihrer leidenschaftlichen Botschaft am Ende der Versammlung so ausgedrückt: "Das Wort Gottes spricht zur Menschheit über deren Nöte und Hoffnungen. Das Wort des Herrn, das er zu Beginn seines Heilswirkens sprach, richtet sich gerade in diesem Jahr der Erlösung mit besonderer Dringlichkeit an Glaubende und Nichtglaubende: ,Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!' (Mk 1, 15). Dieses Wort ruft uns auf zu Buße und Bekehrung des Herzens, zur Bitte um Vergebung und so zur Versöhnung mit dem Vater. Der Plan und Ratschluss des Vaters für uns Menschenkinder ist, dass wir wie eine Familie in Gerechtigkeit und Wahrheit, in Freiheit und Liebe leben" (OR dt. vom 4. 11. 83, S. 1.).
Es ist ein Aufruf, den ich zu dem meinen mache in Erwartung, die Beschlüsse der Synode in einem zusätzlichen Dokument des ordentlichen Lehramtes der Kirche zusammenzufassen. Ein solcher Aufruf wird um so dringlicher in der unmittelbaren Nähe des Weihnachtsfestes, des Festes der Geburt des Herrn, wenn das göttliche Wort Mensch wird, um an die Tür eines jeden Herzens zu klopfen und die Zustimmung der Liebe zu erhalten.
5. Das alles macht die kommende Feier besonders bedeutungsvoll. Es ist das Weihnachtsfest der Erlösung. In der Heiligen Nacht hören wir den Gesang der Engel widerhallen. Sie preisen die Herrlichkeit Gottes im Himmel und singen vom Frieden der Menschen auf Erden, ein Gesang, der im Alleluja der Osternacht mit Macht wieder aufklingt. Der Heilsweg beginnt, den das Wort Gottes zusammen mit den Menschen gehen will, um sie zu Teilhabern an seiner Auferstehung zu machen. Wenn, wie ich bei der Ankündigung des Jubiläumsjahres sagte, dieses Jahr "ein gewöhnliches Jahr ist, das in außergewöhnlicher Weise gefeiert wird", dann muss dieses Weihnachtsfest die Kennzeichen des Außergewöhnlichen tragen, indem wir
- unsere Herzen für das Kind, das geboren wird, öffnen;
- Früchte wahrer Umkehr bringen: sei es auf der persönlichen Ebene des einzelnen, auf der sich die entscheidende Rückkehr zu Gott vollzieht, auch nach der bitteren Erfahrung der Untreue und der Sünde; sei es auf der sozialen und der Gemeinschaftsebene, auf die sich die Fehler der einzelnen durch ein geheimnisvolles Gesetz der Verbundenheit und Mitverantwortung auswirken. Wie die Bischöfe in der bereits zitierten Schlussbotschaft der Synode schrieben: "Das menschliche Herz ist in sich selbst gespalten und von der Sünde gezeichnet. Grausamkeit und Ungerechtigkeit unserer Gesellschaft haben nicht zuletzt darin ihre Ursache" (OR dt. vom 4. 11.83, S. 1).
Weihnachten lädt alle zu echter Umkehr ein
Das Weihnachtsfest dieses Jubiläumsjahres der Erlösung lädt alle Menschen, besonders die an Christus glaubenden, ein, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und zu einer echten Umkehr zu gelangen, d. h. zum inneren Frieden mit Gott und feierlich zur Versöhnung in der Gesellschaft beizutragen, d. h. zum echten Frieden unter den Menschen.
6. Wir befinden uns heute tatsächlich in einer Situation dramatischer Spaltungen auf allen Ebenen, die die nachdenklicheren Menschen anregt, sich Gedanken über die Zukunft der Menschheit zu machen.
Der Mensch ist in seinem Inneren gespalten durch die gegensätzlichen Spannungen, die er in sich fühlt, wie die Pastoralkonstitution Gaudium er spes des Zweiten Vatikanischen Konzils mit äußerster Klarheit unterstrichen hat, wo sie über den Zustand des Menschen in der heutigen Welt spricht (Nr. 4-10). "Als schwacher Mensch und Sünder", so wird dort betont, "tut er oft das, was er nicht will, und was er tun wollte, tut er nicht (vgl. Röm 7, 14 ff). So leidet er an einer inneren Zwiespältigkeit, und daraus entstehen viele und schwere Zerwürfnisse auch in der Gesellschaft." (ebd., Nr. 10).
Diese Spaltung spiegelt sich schmerzlich wider in der Umwelt, in der der Mensch lebt. Vor allem in der Familie, die am unmittelbarsten und spürbarsten das tiefe Unbehagen des Menschen zum Ausdruck bringt. Neben großen und unleugbaren positiven Aspekten, auf die ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio hingewiesen habe, "gibt es Anzeichen einer besorgniserregenden Verkümmerung fundamentaler Werte: eine irrige theoretische und praktische Auffassung von der gegenseitigen Unabhängigkeit der Eheleute; die schwerwiegenden Missverständnisse hinsichtlich der Autoritätsbeziehung zwischen Eltern und Kindern; die häufigen konkreten Schwierigkeiten der Familien in der Vermittlung der Werte; die steigende Zahl der Ehescheidungen; das weit verbreitete Übel der Abtreibung; die immer häufigere Sterilisierung; das Aufkommen einer regelrechten empfängnisfeindlichen Mentalität" (ebd., Nr.6).
Das sind negative Elemente, die die wichtigste Lebenszelle beeinflussen, in der sich der Mensch entwickelt. Sie zeigen, wie die Krise des erlösungsbedürftigen Menschen sich in erster Linie auf die Familie auswirkt, die auch ihrerseits der Wiederherstellung der von Gott gewollten Ordnung bedarf, wenn sie ihre eigene Identität und ihre Funktion der Gewissensbildung wieder finden will.
7. Das Unbehagen des gespaltenen Menschen wirkt sich sodann auf die gesamte Gesellschaft aus. Es gibt in unserer Welt dauernd Situationsherde, die einen Anschlag auf die von der Kirche im Namen Christi verkündete Botschaft der Versöhnung und der Umkehr darstellen; das wird täglich auf tragische Weise bestätigt. Der Krieg bedroht die Existenz der von gefährlichen Egoismen ausgehöhlten und fortwährenden Herausforderungen ausgesetzten Gesellschaft. Trotz der vortrefflichen Bemühungen internationaler und übernationaler Organisationen scheinen sich die Nationen immer mehr zu entzweien, und ihre gegenseitigen Beziehungen scheinen auf bedrohlichen Balanceakten zu beruhen.
Die Verherrlichung einer Freiheit, die von jeder moralischen Norm absieht, droht den Menschen in seinem wunderbaren geistigen Reichtum und seinen Energien, von denen die Zukunft der ganzen Menschheit abhängt, zunichte zu machen. Und andererseits möchte in vielen Teilen der Welt die Einschränkung der elementarsten, von der Erklärung der Menschenrechte und deren jüngsten internationalen Nachfolgedokumenten bestätigten Freiheiten im Menschen den unauslöschlichen Atem seiner erstrangigen und fundamentalen Würde ersticken, jener Würde, die ihm als unsterblichem Abbild Gottes eingeprägt ist.
Die Zerrissenheit des einzelnen Menschen wirkt sich in der ganzen Welt aus und schafft unerträgliche Zustände der Unterdrückung und Krisensituationen. Die persönliche Sünde nimmt planetarische Ausmaße an. Eben darum ist es notwendig, einen Frieden herbeizuführen, der von der wahren inneren Umkehr des einzelnen Menschen ausgeht, um so in alle Bereiche des sozialen und politischen Lebens vorzudringen.
8. Mit aller Demut, aber auch mit dem ganzen Freimut, der aus dem vollen Vertrauen auf die ihr vom Herrn versprochene Hilfe erwächst, ist sich die Kirche bewusst, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das Leben des Menschen nach der grundlegenden, von Gott gewollten Ordnung abläuft. Vor allem für sein inneres Leben, das sie von Normen geregelt, von der Liebe diktiert und von der Gerechtigkeit geprägt wünscht. In diesem Licht nun stellt sich das historische Ereignis dar, das in dieses Jubiläumsjahr fiel, die Formulierung des neuen Kodex des Kirchenrechts, 24 Jahre nach seiner ersten Ankündigung durch meinen Vorgänger Johannes XXIII. Auch dies ist ein kirchliches Werk, dessen wohltätige Einflüsse im Licht der Menschwerdung des göttlichen Wortes gesehen werden müssen.
Christus gehorcht in seiner Menschwerdung dem Willen des Vaters, der ihn gesandt hat (vgl. Hebr 10,5-11; Joh 6,38). Im Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater, wie er im Weihnachtsgeheimnis aufleuchtet, wurzelt der Gehorsam derer, die Söhne in seinem Sohn sind. Ziel der gesamten Gesetzgebung der Kirche, die jetzt im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils überprüft wurde, ist nichts anderes, als - wie es in der Apostolischen Konstitution Sacrae disciplinae leges heißt - "der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und dem Charisma den Vorrang einräumt und zugleich ihren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert" (29. Januar 1983, AAS., 74, Pars 1I, 1983, p. XI.; in: OR dt. Nr. 5 vom 4.2.83, S. 4). Mit anderen Worten: Das geschriebene Gesetz dient dem Leben der Gnade, erleichtert es, sorgt für die Bedingungen, unter denen es sich entfalten kann. Es ist die Kirche, die sich selbst die grundlegenden Bedingungen für das Leben ihrer Söhne und Töchter sicherstellt.
An zweiter Stelle wird die Kirche nicht müde, ihre Mitarbeit auch im äußeren Bereich anzubieten, um die schon erwähnte Herde der Entzweiung und des Hasses zu löschen. Sie verkündet die Versöhnung sowohl dem einzelnen Menschen wie auch auf der Ebene der Völker: durch die Bestrebungen der einzelnen sozialen Gruppen nach bürgerlicher Eintracht und Zusammenarbeit wie auch in den internationalen Bestrebungen nach wirksamer Verständigung und wahrem Frieden. Es ist eine Botschaft, die alle mit einbezieht, ohne Ausnahme.
Wie ich am vergangenen 6. März in meiner Predigt in San Salvador unterstreichen wollte, "weiß der Christ, dass alle Sünder heimgeholt werden können; dass der Reiche ... seine Haltung ändern kann und muss; das jeder, der Gedanken des Hasses und der Rachsucht hegt, sich von dieser Knechtschaft befreien kann und muss; dass Konflikte überwunden werden können; das dort, wo die Sprache der Waffen das Feld beherrscht, die Liebe herrschen kann und muss als unersetzbarer Faktor des Friedens. Und wenn ich von der Bekehrung als einem Weg zum Frieden spreche, rede ich nicht einem künstlichen Frieden das Wort, der die Probleme nur zudeckt und die Reparaturbedürftigkeit des inneren Mechanismus ignoriert. Es geht um einen Frieden in der Wahrheit, in der Gerechtigkeit, in der ungeschmälerten Anerkennung der Rechte der menschlichen Person, einen Frieden für alle" (OR dt., Nr. 11 vom 18. 3. 83, S. 9).
Das Handeln der Kirche gilt allen. Und die Kirche betet, dass allen jener Friede zuteil wird, nach dem sie sich aus tiefstem Herzen sehnen. Zu diesem allgemeinen, eifrigen Gebet habe ich auch am Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt die riesige Menschenmenge auf der Esplanade des Heiligtums von Lourdes aufgefordert: "Sie alle sollen in unser Gebet aufgenommen werden, jene Männer und Frauen, die in irgendeinem Teil der Welt von Hunger, von den Verwüstungen des Krieges und von der Vertreibung bedrängt sind, die Opfer des Terrorismus - des politischen oder auch nichtpolitischen Terrorismus - sind, der gewissenlos Unschuldige trifft; die Opfer des Hasses, aller Unterdrückungen und Ungerechtigkeiten, des Menschenraubes, der Folterung und der ungerechten Verurteilung.
Wir wollen für alle jene beten, die unerträglichen Angriffen auf ihre Menschenwürde ausgesetzt sind, für die, deren berechtigte Freiheit Einschränkungen erleidet, und schließlich für jene, deren gerechtfertigte nationale Bestrebungen unterdrückt werden. Möge sich die Haltung der Verantwortlichen ändern und mögen die Opfer Trost und Stärkung erfahren! Denken wir auch an das moralische Elend derer, die in Korruption verschiedener Art verstrickt sind. Beten wir schließlich für alle jene, die in ihrer Lage als Einwanderer, Arbeitslose, Kranke, Leidende und Vereinsamte ernsten Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Christus, der Sohn Gottes, leidet in ihnen" (OR dt., Nr. 35 vom 2.9.83, S. 5).
Frieden innerhalb der Nationen, Frieden in den Beziehungen der Völker untereinander: daran arbeitet die Kirche, und dabei will sie allen Menschen guten Willens ihre Mitarbeit anbieten, den Regierenden sowohl wie dem Mann auf der Straße. Nie werde ich müde, dieses Gespräch anzuknüpfen bei meinen. Begegnungen mit Staatsoberhäuptern, mit den Verantwortlichen der internationalen Politik, mit der Menschenmenge auf meinen Reisen, wobei ich mich vor allem an Mittelamerika, Polen und Österreich erinnere. Auch das gehört folgerichtig zu der Welle der Umkehr, die in diesem Jubiläumsjahr der Erlösung alle Völker erfassen soll. Es geht um ihr Leben! Es geht um die Zukunft der Menschheit!
9. Ihr seht also, wie in diesem Jubiläumsjahr alle Situationen sich aneinanderreihen und zusammenfließen, in denen die Menschheit heute lebt, im Guten wie im Bösen. Die Leiden, die, wie ich im vorigen Jahr bei dieser Gelegenheit erwähnte, im heutigen Menschen die Passion Christi fortsetzen - adimpleo ae quae desunt (Kol 1, 24) - haben sich noch weiter verschlimmert; denken wir nur an die wachsende Verschärfung der Lage im Libanon und in anderen Gebieten des Nahen Ostens und in Mittelamerika, an den unerbittlich fortlebenden Terrorismus, an die Entführungen, die ganze Familien in Ängsten halten.
Frieden, der nur in Gott seine Verwirklichung findet
Aber so schmerzlich diese Tatsachen auch sind, die ich nur summarisch gestreift habe, sie dürfen doch nicht all das Gute vergessen lassen, das es in der Welt gibt: den Eifer für das Gebet und für tieferes Eindringen in den Geist des Evangeliums bei der Jugend; die hochherzige Treue bei der Mehrheit der Familien, auch in wirklich ernsten und schwierigen Situationen; die sich festigende Solidarität zugunsten weniger begüterter Menschen; die Missionstätigkeit der Kirche; das Verlangen nach einer Rückkehr zu den Quellen, vor allem durch die heilige Liturgie, das so viele Menschen und so viele Organisationen des Laienapostolats beseelt. Das Jubiläumsjahr, das in seinen Ruf zur Umkehr alle diese Stimmen der heutigen Welt, die frohen und die traurigen, vereint, stellt sie in das richtige Licht, gliedert sie in das rechte Verständnis ein und lässt auf ein besseres Morgen hoffen, auf eine Reifung der Gewissen im Licht des Evangeliums Christi.
10. Darum soll das Weihnachtsfest des Heiligen Jahres ein besonderer Anruf an alle sein. Es soll uns einladen, uns noch tiefer der Verantwortung bewusst zu werden, die der menschgewordene Herr seiner Kirche für das Heil des Menschen anvertraut hat. Es soll uns aneifern, noch mehr dafür zu arbeiten, dass sein Kommen die Menschheit wirklich dazu veranlasst, auf das Ziel hin zu leben, das er der Weltgeschichte eingeprägt hat. Nach der Geburt Christi ist alles anders geworden: "Ecce nova facio omnia - Seht, ich mache alles neu" (Offb 21, 5). Sein Kommen schließt eine kosmische Erneuerung in sich, denn, wie Chrysostomus schreibt, "die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die Zusammenfassung und die Wurzel aller Güter" (In Mt. Hom. II, 3; PG 57, 27).
Sie bedeutet die Erneuerung des Menschen: "Es war notwendig für das Menschengeschlecht, dass Gott Mensch würde - sagt der heilige Thomas - um die Würde der menschlichen Natur zu zeigen ... In der Menschwerdung wollte Gott seine Liebe zu den Menschen offenbaren, um sie so zu veranlassen, sich Gott nicht aus Furcht vor dem Tod ... , sondern aus Liebe zu seiner Barmherzigkeit zu unterwerfen" (Compendium Theologiae, 201).
Sie bedeutet die Erneuerung der Familie, die in Bethlehem und in Nazareth das vollkommene Beispiel für ihr eigenes Leben und die Anregung und Kraft für den täglichen Heroismus findet, zu dem sie berufen ist. Die kürzlich vom Heiligen Stuhl herausgegebene "Charta der Familie" hat hervorgehoben, dass "die Familie, die vielmehr ist als eine bloße juridische, soziale und ökonomische Einheit, eine Gemeinschaft der Liebe und der Solidarität bildet, die in einzigartiger Weise geeignet ist, kulturelle, ethische, soziale, geistige und religiöse Werte zu lehren und zu übermitteln, wie sie wesentlich sind für die Entwicklung und das Wohlergehen ihrer eigenen Mitglieder und der ganzen Gesellschaft" (Charta der Familienrechte, 22. Oktober 1983 Präambel, E. in: ORdt. Nr. 48 vom 2.12.1983, S. 1). Und diese Liebe und diese Solidarität finden im Geschehen der Weihnacht eine Anregung von Kraft und Milde, das ideale Milieu, die höchste Rechtfertigung.
Schließlich bedeutet die Menschwerdung des Sohnes Gottes eine Erneuerung der Gesellschaft durch die Verkündigung jenes Friedens, der nur in Gott seine Verwirklichung und seinen Schutz findet und der heute gerade deswegen der Welt fehlt, weil man nicht den Mut findet, sich an Gott, den Ursprung des Friedens, zu wenden. Denn nur der Sieg über die Sünde und über die persönlichen Egoismen kann zum Frieden führen.
11. Wird nun endlich die Morgendämmerung des Friedens aufsteigen? Das ist der Seufzer, der sich aus der ganzen Menschheit erhebt.
Der Glaube sagt uns, dass es möglich ist: in dem Maß nämlich, in dem die Welt lernt, Christus, der im Kommen ist, aufzunehmen; in dem Maß, in dem die Menschen lernen, den Verlockungen des Egoismus zu widerstehen, auf unvernünftige und erniedrigende Genüsse zu verzichten und sich zur Umkehr des Herzens anzuschicken.
Diese unerschütterliche Hoffnung vertraue ich der Fürsprache der heiligen Jungfrau an. Sie ist das Urbild der Kirche, vor allem in dieser Zeit der Erwartung, als Jungfrau im Hinhören auf das Wort Gottes und als Mutter, die der Welt das menschgewordene Wort des Vaters darbietet. Darum kann sie allein die Kirche an diesem Weihnachtsfest im Jubiläumsjahr der Erlösung auf den Weg der wahren Versöhnung und des echten Friedens mit Gott und den Brüdern führen. Mit ihr gehen wir dem Erlöser entgegen: Während wir Jahr für Jahr dem großen Jubiläum des Jahres Zweitausend näher kommen, können wir mit ihr und wie sie die Verheißung des Erlösers in uns Wirklichkeit werden lassen. Wir können seine Aufforderung zur Umkehr annehmen und in der Wahrheit seines Evangeliums und der Kraft seiner Liebe leben.
Erroris umbras discute, / Syrtes dolosas amove, / fluctus tot inter, deviis / tutam reclude semitam.
Ja, Maria möge uns den sicheren Weg zu Christus, dem Erlöser, öffnen und uns in ihrer mütterlichen Liebe zu ihm führen.
In Erwartung dieses Weihnachtsfestes, mit den herzlichen Empfindungen, die es in uns weckt, segne ich euch alle, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr!
1984
am 21. Dezember mit dem Thema: " Vorrangige Option für die Armen"
Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder und Mitarbeiter!
1. "Der Herr ist nahe" (PhiI 4,5). Die nun schon nahe Wiederkehr des Weihnachtsfestes hat uns wieder zu diesem schönen Brauch gegenseitigen Austausches der Segenswünsche versammelt. Der Herr Kardinaldekan hat treffend und vornehm die gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht und uns eingestimmt in die hoffnungserfüllte Freude, die dieses Fest auszeichnet, das allen Herzen so teuer ist. In brüderlicher Liebe danke ich ihm, und mit ihm danke ich euch allen für eure Anwesenheit heute. Ich sehe darin die Bestätigung jenes Willens zur Verbundenheit im Dienst an der Kirche, der die tägliche Arbeit in Einmütigkeit adelt und ihr religiöse Bedeutung gibt.
"Der Herr ist nahe." Mit dankerfülltem Herzen bereiten wir uns darauf vor, in der Heiligen Nacht zusammen mit den Hirten vor der Krippe niederzuknien, bei der in ehrfürchtiger, hingebender Liebe die JungfrauMutter wacht, die der Prophet Jesaja angekündet hat (7,14). Wir wissen, dass in diesem zarten Menschenkind, das noch kein Wort sprechen kann, uns das ewige Wort Gottes begegnet, die unerschaffene Weisheit, die das All regiert. Es ist das Licht Gottes, das "in der Finsternis leuchtet", wie der Apostel Johannes sagt, der dann unmittelbar mit herbem Realismus hinzufügt: "Aber die Finsternis hat es nicht erfasst" (1,5). Licht und Finsternis stehen sich bei der Krippe gegenüber, in der dieses Kind liegt: das Licht der Wahrheit und die Finsternis des Irrtums. Es ist eine Konfrontierung, die keine Neutralität gestattet: Man muss die Wahl treffen, auf welcher Seite man stehen will. Eine Wahl, bei der jeder Mensch seine eigene Zukunft aufs Spiel setzt. Dieses Kind wird, zum Mann herangewachsen, eines Tages sagen: "Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien" (Joh 8,31 f.).
Kein Teil der Wahrheit darf verlorengehen
2. Das Wort Gottes, das Fleisch wird, um unter uns zu wohnen (vgl. Joh 1,14), kommt, um uns als unermessliches Geschenk die Erkenntnis der Wahrheit zu bringen: die Wahrheit über ihn, die Wahrheit über uns und über unsere transzendente Bestimmung. Nur auf dem Fundament dieser Wahrheit kann der Mensch sich selbst und seine Freiheit aufbauen. Sie ist wirklich ein äußerst kostbares Geschenk, das es zu hüten und zu verteidigen gilt. Wenn auch nur ein Teil der ganzen Wahrheit verloren ginge, die im Herzen dieses "in Windeln gewickelten" Kindes in der Krippe (Lk 2, 12) pulsiert, so würde das für den Menschen eine mehr oder weniger große Beeinträchtigung seiner vollen Selbstverwirklichung bedeuten.
Die Kirche ist sich dessen bewusst, sie weiß, dass sie zur Hüterin und Wächterin dieser Wahrheit bestimmt wurde. Sie fühlt sich daher mit einer besonderen Sendung beauftragt, die sie einem bestimmten Dienst an der Menschheit verpflichtet: in der Abfolge der Generationen, die die Erde bevölkern, muss sie einer jeden den wunderbaren Plan offenbaren, den Gott in seinem eigenen Sohn zum Besten eines jeden Menschen vorgegeben hat, der bereit ist, im Glauben die wunderbare Initiative seiner Liebe anzunehmen. Darum wacht die Kirche, und in ihr besonders der römische Stuhl des Petrus bei der Wiege von Bethlehem: Sie wacht, damit die übernatürlichen Werte, die der Schöpfer der Menschheit angeboten hat die Wahrheit und die Freiheit in der Wahrheit, man kann auch sagen: die Liebe - nicht verdunkelt oder gar entstellt werden. Sie wacht, damit trotz aller Gegenströmungen diese Werte weiter fortleben und im Leben der einzelnen und der Familien, der christlichen und der bürgerlichen Gemeinschaften, ja im Leben der ganzen Menschheitsfamilie zum Tragen kommen.
3. Die Kirche ist sich der Vielfalt dieser Werte bewusst, und gleichzeitig bringt sie sie zur Einheit, wie es eine sehr bemerkenswerte Seite der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium, deren Promulgation sich vor genau einem Monat (am 21. November 1984) zum zwanzigsten Mal jährte, gut beleuchtet hat. In Nr. 13 dieses grundlegenden Konzilsdokumentes wird an die Haltung der Kirche gegenüber den "Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker" erinnert. Die Kirche sieht in ihnen ebenso viele "Geschenke", die die verschiedenen Kulturen ihr bringen und die sie daher gern annimmt, auch wenn sie sich verpflichtet fühlt, sie zu reinigen, zu kräftigen und zu heben. Vor allem weiß die Kirche aufgrund des Charakters ihrer Universalität, der sie auszeichnet und unterscheidet, dass sie diese Gaben in einer höheren Einheit zur Übereinstimmung bringen muss, damit sie fortschreitend zur Festigung des einen Reiches Christi beitragen. Kraft dieser Katholizität also "bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken".
Mehr noch: Diesem Gedankengang folgend, legt der Text eine grundlegende These der katholischen Ekklesiologie vor. Er stellt nämlich klar: "Darum gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht, die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen."
Schwerlich könnte man es klarer und tiefer zum Ausdruck bringen: Die Gesamtkirche wird als eine Gemeinschaft von Kirchen (Teilkirchen) dargestellt und, indirekt, als eine Gemeinschaft von Völkern, Sprachen und Kulturen. Jede von ihnen trägt mit ihren eigenen Gaben zum Ganzen bei, so wie es auch die einzelnen menschlichen Generationen und Epochen tun, die verschiedenen wissenschaftlichen und sozialen Errungenschaften und die nach und nach erreichten Ziele der Zivilisation und Kultur.
4. Heute weist man ausdrücklich auf die speziell christlichen Erfahrungen der einzelnen Teilkirchen hin in dem sozio-kulturellen Zusammenhang, in dem jede von ihnen zu leben berufen ist. Diese besonderen Erfahrungen betreffen - wie betont wird - sowohl das Wort Gottes, das im Licht jener Gegebenheiten gelesen und verstanden werden muss, die dem eigenen existentiellen Weg entstammen; sie betreffen das liturgische Gebet, das die Zeichen, Gesten und Worte, die als Ausdruck der Anbetung und bei den verschiedenen Gottesdienstfeiern verwendet werden, aus der Kultur schöpfen muss und schließlich die kirchliche Gemeinschaft selbst, die ihre Wurzeln in der Eucharistie verankert hat, aber in ihrer konkreten Entfaltung von zeitgeschichtlichen Bedingungen abhängt, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land oder einem bestimmten Erdteil ergeben.
Diese Perspektiven sind nicht ohne Interesse wegen der Bahnen, die sie der theologischen Forschung im Blick auf das unerschöpfliche Geheimnis der Kirche zu eröffnen scheinen, und noch mehr wegen der Möglichkeiten, die sie den Gläubigen bieten, immer vollständiger die unendlichen Reichtümer des neuen Lebens, das Christus gebracht hat, wahrzunehmen und sich zu eigen zu machen. Aber diese Perspektiven bringen erst Frucht, wenn sie eine unerlässliche Bedingung berücksichtigen: Diese Erfahrungen dürfen nicht isoliert in die Praxis umgesetzt werden, nicht unabhängig oder gar in direktem Widerspruch zu dem, was die Kirchen in den anderen Teilen der Welt erfahren. Um echte kirchliche Erfahrungen zu sein, müssen sie mit innerer Notwendigkeit sich mit denen in Einklang bringen, die andere Christen in anderen kulturellen Zusammenhängen leben zu müssen sich berufen glauben, weil auch sie den Forderungen treu sein wollen, die sich aus dem einen und gleichen Mysterium Christi herleiten.
5. Diese Feststellung rührt an einen zentralen Punkt der katholischen Lehre über die Kirche und ist es wert, neu bekräftigt zu werden. Es widerspricht der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, Richtungen einzuschlagen, die zur Abkapselung führen oder geradezu zentrifugale Tendenzen zu begünstigen. Die Konstitution Lumen gentium zeigt in dem bereits angeführten Artikel 13 die Möglichkeiten auf, die von Natur aus zu einem gesunden Pluralismus gehören. Sie gibt aber auch mit großer Klarheit dessen Grenzen an: Der wahre Pluralismus wirkt sich niemals trennend aus, sondern ist ein Element, das zum Aufbau der Einheit der universalen Gemeinschaft der Kirche beiträgt.
Es gibt in der Tat zwischen den einzelnen Teilkirchen eine ontologische Beziehung auf Gegenseitigkeit: Jede Teilkirche ist, insofern sie eine Verwirklichung der einen Kirche Christi darstellt, auf irgendeine Weise in allen Teilkirchen präsent. "In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche" (Lumen gentium, Nr. 23). Diese seinsmäßige Beziehung muss auf die dynamische Ebene des konkreten Lebens übertragen werden, wenn anders die Christengemeinschaft nicht in Widerspruch zu sich selbst geraten soll: Die kirchlichen Grundentscheidungen der Gläubigen einer Gemeinde müssen in Einklang gebracht werden können mit denen der Gläubigen anderer Gemeinden, um so jeder Gemeinschaft des Geistes und Herzens Raum zu geben, um die Christus den Vater beim Letzten Abendmahl gebeten hat: "Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein ... So sollen sie vollendet sein in der Einheit" (Joh 17, 21.23).
Er ist der "Fels", auf dem die Kirche erbaut ist
6. Eine besondere Aufgabe des Apostolischen Stuhles besteht gerade darin, dieser universalen Einheit zu dienen. Auch das Charisma des Petrus und seiner Nachfolger hat, so können wir sagen, eben darin seinen spezifischen Dienst. War nicht er es, zu dem Christus vor der dunklen Nacht des Verrates sagte: "Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder" (Lk 22,32)? Ja, er ist der "Fels", auf den Christus seine Kirche bauen wollte (vgl. Mt 16,18); und gerade vom Fundament erwartet man Halt und Festigkeit für das Bauwerk. Darum gab Jesus nach seiner Auferstehung dem Petrus in einem mit Pathos geführten Dialog die verpflichtende Weisung: "Weide meine Lämmer... Weide meine Schafe!" (Joh 21,15 ff.).
Gewiss, der einzige oberste Hirte ist das fleischgewordene Wort, Christus, der Herr. Darum überträgt der Papst spontan die Worte des heiligen Augustinus auf sich: "Wir sind euch Hirten, aber unter jenem Hirten sind wir mit euch Schafe ... Von dieser Stelle aus sind wir euch Lehrer, aber unter dem einen Lehrmeister sind wir in seiner Schule mit euch Schüler" (Enarr. in Ps. 126,3). Das besagt aber nicht, dass in der Kirche nicht jeder einen bestimmten, ihm eigenen Auftrag zu erfüllen hätte, über den er eines Tages Christus selbst Rechenschaft geben muss. Im Lauf der Jahrhunderte haben die Päpste die Verantwortung des Dienstes an der katholischen Einheit, der ihnen anvertraut wurde, lebhaft empfunden, und sie suchten ihm auf vielfache Weise zu entsprechen, auch in der Weise, dass sie erfahrene Mitarbeiter heranzogen, um in der Lage zu sein, den vielfältigen Obliegenheiten des Amtes besser zu begegnen.
In der letzten Zeit wollte man, um auf die Vorschläge der Konzilsversammlung einzugehen, die Kurie internationalisieren, damit durch die Anwesenheit von Amtsträgern, die aus allen Teilen der Welt kommen, der Dialog mit den Kirchen in den verschiedenen Kontinenten erleichtert würde. Heute habe ich die Freude, mich mit einer erlesenen Vertretung der Organe der Römischen Kurie zu treffen. Gern nehme ich, liebe Brüder in Christus, die Gelegenheit wahr, euch meine Hochschätzung zum Ausdruck zu bringen und euch für die qualifizierte Mitarbeit zu danken, die ihr mir hochherzig in der täglichen Ausführung der zu meinem Dienst gehörenden Obliegenheiten anbietet.
Ihr teilt mit mir jene "Sorge für die Gemeinden", die den "täglichen Stachel" des Apostels Paulus bildete (vgl. 2 Kor 11,28). Sie bildet auch für jeden Papst den täglichen Stachel. Den Nachfolgern des Petrus obliegt es ja, dafür zu sorgen, dass jene "Gaben", von denen der angeführte Konzilstext spricht, zum Zentrum der Kirche hin zusammenströmen, und sie müssen ebenso dafür sorgen, dass eben diese Gaben, bereichert in wechselseitiger Begegnung, wieder in die verschiedenen Glieder des mystischen Leibes Christi hinein fließen und ihnen neue Lebensimpulse und neuen Eifer vermitteln. Zu den ordentlichen Mitteln, dieser apostolischen Aufgabe nachzukommen, gehören die Ad-limina-Besuche: Im Lauf dieses Jahres hatte ich die Freude, die Bischofskonferenzen von Costa Rica, der Pazifischen Inseln, von EI Salvador, Taiwan, Togo, Lesotho, Peru, Griechenland, Sri Lanka, Venezuela, Argentinien, Chile, Guinea, Ekuador, von den Antillen, von Bolivien und Paraguay zu empfangen. Es gibt auch außerordentliche Mittel. Unter diesen erweisen sich als besonders wirksam die Besuche und Pilgerreisen des Papstes zu den Teilkirchen der verschiedenen Kontinente. Ich bewahre noch lebhaft in meinem Herzen die dankbare Erinnerung an meine apostolische Reise nach Korea, Papua-Neuguinea, den Salomoninseln und Thailand, die ich Anfang Mai machte, um die Sorgen und Hoffnungen der jungen und vielversprechenden Kirchen dieser Länder zu teilen. Bedeutsam war auch die Reise, die mich im Monat Juni in die Schweiz führte und mir erlaubte, die Bande der Verbundenheit des römischen Bischofssitzes mit den edlen Kirchen dieser Nation zu bestätigen.
Unvergesslich bleibt mir, was ich während meiner Reise in Kanada empfand, sowohl beim Kontakt mit Menschen, die ihren Glauben im Herzen einer hoch entwickelten Gesellschaft leben, wie auch mit solchen, die die Botschaft des Evangeliums innerhalb alter, einheimischer Kulturen empfangen haben. Ferner war, wenn auch nur kurz, so doch von Bedeutung die Reise, bei der ich mich Mitte Oktober über Spanien nach Santo Domingo begab, dem Land, von dem aus vor fast fünfhundert Jahren die Ausbreitung des Evangeliums in der Neuen Welt begann. Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch der Bevölkerung von Puerto Rico begegnen. Mit Freude denke ich auch an die Pastoralbesuche, die ich im Lauf des Jahres in Italien unternehmen konnte, nämlich nach Bari, Bitonto, Viterbo, Fano, Alatri und dann, Anfang Oktober, zu den Kirchen Kalabriens und schließlich noch im November die Pilgerfahrt zu den Gedenkstätten des heiligen Karl Borromäus aus Anlass der Vierhundertjahrfeier seines Todes.
Der Heilige Stuhl unterhält ein dichtes Netz von Kontakten mit allen Teilkirchen, in der ständigen Sorge, dass keine der "Gaben von oben" (vgl. lak 1, 17) verlorengehe und zugleich der unermessliche Schatz der Wahrheit Gottes geschützt werde zusammen mit allem, was sie an ewig Gültigem im fruchtbaren Erdreich der christlichen Generationen im Lauf der Jahrhunderte hat keimen lassen. Also: nicht vorgefasste Meinungen noch beklagenswerte Unwissenheit, sondern ständige Aufmerksamkeit auf das, "was der Geist den Gemeinden sagt" (Offb 2, 7), damit alles, was wirklich von ihm kommt, dem ganzen Gefüge des mystischen Leibes Christi zum Vorteil gereiche.
Die besondere Verantwortung des ganzen Episkopats
7. In diesem Zusammenhang muss auch die besondere Verantwortung unterstrichen werden, die der ganze Episkopat - "zusammen mit Petrus und unter Petrus" - hinsichtlich des "depositum fidei" hat, des Glaubensschatzes, den Christus der Kirche anvertraut hat, damit er unverkürzt bewahrt und die Unterweisung an alle Generationen der Menschen zu allen Zeiten weitergegeben wird. Wie sollten uns dabei nicht die ungewöhnlich eindrucksvollen Worte Jesu in den Sinn kommen, mit denen er im Augenblick seiner Rückkehr zum Vater von den Aposteln Abschied nahm? Sie enthalten eine genaue Weisung: "Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern ... und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe" (Mt 28,18 ff.). Alles! Kein Teil des überkommenen Glaubensgutes darf beiseite gelegt, entstellt oder vernachlässigt werden. Dessen eingedenk, richtet der Apostel Paulus an seinen Schüler Timotheus den kategorischen Imperativ: "Verwahre, was dir anvertraut ist!" (1 Tim 6,20) und schärft ihm ein: "Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht, weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung" (2 Tim 4,2). Jeder Zeitabschnitt der Geschichte ist in der Tat der Versuchung ausgesetzt, "die gesunde Lehre nicht mehr zu ertragen" und "sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer zu suchen, der Wahrheit nicht mehr Gehör zu schenken, sondern sich Fabeleien zuzuwenden" (vgl. 2 Tim 4,3 f.).
Auch unsere Zeit ist dieser Versuchung ausgesetzt. Darum obliegt den Hirten und Führern des Volkes Gottes heute eine ganz bestimmte Pflicht, nämlich: die wahre Lehre des Evangeliums gegen alles zu verteidigen, was sie trübt und entstellt. Sicher, wir müssen imstande sein, das, was unsere Generation an Gutem zum Ausdruck bringt, anzuerkennen und anzunehmen, um es "zu reinigen, zu kräftigen und zu heben". Das Konzil hat uns daran erinnert (vgl. Lumen gentium, Nr. 13). Wir müssen aber auch mit Mut das zurückweisen, was das Zeichen des Irrtums und der Sünde an sich trägt, was wesentliche Bedrohung für das Leben und die Moral des Menschen in sich schließt und was insgeheim gelenkt oder mit unverblümtem Zwang in der Gesellschaft sich ausbreitet und ein Anschlag auf die Würde der Person und auf die unverzichtbaren Rechte der einzelnen und der Völker ist.
Die Kirche hat die Pflicht zu wachen, um die Unversehrtheit des Glaubens und der katholischen Lehre zu verteidigen und vor hinterhältigen Verfälschungen zu warnen. Genau das ist ihr aufgetragen, und sie kann nicht darauf verzichten.
8. Der Heilige Stuhl kommt seinerseits dem Auftrag, das Glaubensgut zu fördern und zu schützen, vor allem mit Hilfe der Kongregation für die Glaubenslehre nach. Bekanntlich wurde nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Verfahrensweise, an die das Dikasterium sich bei der Überprüfung von Personen und Schriften hält, die seinem Urteil unterbreitet werden, etwas abgeändert in der Absicht, den betreffenden Personen Bürgschaft zu bieten: Der Schutz der Wahrheit, zu dem die Kirche die heilige und unverzichtbare Verpflichtung hat, wird ja nicht erreicht, wenn die Würde und die Rechte der Personen irgendwie übergangen werden. Wer die Dinge mit vorurteilsloser Objektivität betrachten will, wird, auch im Licht jüngster Ereignisse, anerkennen müssen, dass das genannte Dikasterium sich bei seinen Interventionen stets von strengen Kriterien der Achtung vor den Personen leiten lässt, mit denen es in Beziehung tritt. Es wäre zu wünschen, dass die letzteren eine ebenso achtungsvolle Haltung gegenüber dem Dikasterium einnähmen, wenn sie sich gelegentlich über dessen Handlungsweise privat oder öffentlich äußern. Und ein gleiches Prinzip sollte auch für jedes Glied des Gottesvolkes gelten, da dieses Dikasterium sich keine andere Aufgabe stellt, als das höchste Gut, das der Christ besitzt, nämlich seinen echten und unversehrten Glauben, vor drohendem Schaden zu bewahren.
Es ist gewiss sehr wichtig, dass innerhalb der Kirche ein redlicher und offener Dialog zwischen den verschiedenen Gliedern des Volkes Gottes geführt wird. Aber dieser Dialog muss als ein Weg des Suchens nach dem, was wahr und richtig ist, verstanden werden und nicht als Gelegenheit, nachsichtig gegenüber Worten und Haltungen zu sein, die mit dem Geist eines echten Dialogs schwer vereinbar scheinen. Jeder muss sich beständig die Pflicht vor Augen halten, die er hinsichtlich der Wahrheit hat, besonders jener, die Gott geoffenbart hat und deren Hüterin die Kirche ist.
9. Ehe ich schließe, möchte ich noch auf etwas hinweisen, was heute besonders stark empfunden wird, nämlich die "bevorzugte Option für die Armen". Beim Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche feierlich erklärt, sie zu der ihrigen zu machen, als sie sagte: "Wie Christus ... so umgibt auch die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen" (Lumen gentium, Nr. 8).
Diese Option, die heute besonders stark von den Episkopaten Lateinamerikas unterstrichen wird, wurde von mir wiederholt bekräftigt, nach dem Beispiel übrigens meines unvergesslichen Vorgängers Papst Paul VI. Gern nehme ich diese Gelegenheit wahr, um nachdrücklich zu bestätigen, dass der Einsatz für die Armen ein vorherrschendes Motiv meiner Pastoraltätigkeit ist, die beständige Sorge, die meinen täglichen Dienst am Gottesvolk begleitet. Ich habe diese Option zu der meinigen gemacht und tue es weiterhin, ich identifiziere mich mit ihr. Und ich fühle, dass es nicht anders sein könnte, da dies ja die ewige Botschaft des Evangeliums ist: So hat es Christus getan, so haben es die Apostel Christi getan, und so hat es die Kirche im Lauf ihrer Geschichte von zwei Jahrtausenden getan. Angesichts der heutigen Formen der Ausbeutung der Armen kann die Kirche nicht schweigen. Sie erinnert auch die Reichen an ihre bestimmten Pflichten. Gestützt auf das Wort Gottes (vgl. Jes 5,8; Jer 5,25-28; Jak 5, 1.3-4), verurteilt sie nicht wenige Ungerechtigkeiten, die leider auch heute zum Schaden der Armen verübt werden.
Ja, die Kirche macht die vorrangige Option für die Armen zu der ihren. Eine vorrangige Option, wohlgemerkt, nicht eine ausschließliche oder ausschließende Option, denn die Heilsbotschaft ist für alle bestimmt. Eine Option, die sich im übrigen wesentlich auf das Wort Gottes gründet und nicht auf Kriterien, die von Humanwissenschaften oder gegensätzlichen Ideologien angeboten werden und die die Armen oft nur in abstrakten sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Kategorien sehen. Es ist so, wie ich kürzlich in Santo Domingo gesagt habe: "Der Papst, die Kirche und die Hierarchie wollen weiterhin um die Sache der Armen bemüht sein, um ihre Würde, ihre Förderung, ihre Personenrechte, ihr Streben nach unaufschiebbarer sozialer Gerechtigkeit" (0. R. dt., 2. 11. 84, S. 9).
10. Der Heilige Stuhl, der aufgrund der ihm anvertrauten besonderen Mission aus der Nähe an den Erfahrungen der Kirche in den verschiedenen Teilen der Welt Anteil nimmt, weiß, dass die Formen der Armut, denen der Mensch heute unterworfen ist, vielfältig sind, und er fühlt sich auch diesen anderen Formen der Armut gegenüber moralisch verpflichtet. Neben der Armut, gegen die ich bei den Bischofskonferenzen von Medellin und Puebla die Stimme erhoben habe, und in gewissem Sinn dieser Armut gegenübergestellt, gibt es die Armut, die aus dem Mangel an geistlichen Gütern herrührt, auf die der Mensch von Natur aus ein Recht hat. Ist denn der Mensch nicht arm, der von seinesgleichen in seiner inneren Beziehung zur Wahrheit, in seinem Gewissen, in seinen persönlichsten Überzeugungen, in seinem religiösen Glauben verletzt wird?
Daran habe ich auch in meinen früheren Äußerungen erinnert, in besonderer Weise in der Enzyklika Redemptor hominis (Nr. 17) und in der Ansprache, die ich 1979 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gehalten habe (Nr. 14-20), als ich von den Verletzungen sprach, die heute dem Menschen im Bereich seiner geistlichen Güter zugefügt werden. Es gibt nicht nur die Armut, die den Leib trifft, sondern auch eine andere, gefährlichere, die das Gewissen trifft und das innerste Heiligtum der Würde der Person verletzt.
In diesen Zusammenhang der echten Option der Kirche für die Armen gehört auch ein Ereignis, das in diesem Jahr große Resonanz gefunden hat, nämlich die Veröffentlichung der Instruktion über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung". Das Dokument stellt sich - anders als einige verzerrte Interpretationen es behaupten - nicht nur nicht in Gegensatz zur Option für die Armen, sondern ist vielmehr eine echte Bestätigung dieser Option, zu der es gleichzeitig eine KlarsteIlung und Vertiefung gibt.
Evangelium nicht nur auf sozialpolitische Dimension einengen
Indem die Instruktion das innere und wesentliche Band ins Licht stellt, das die Freiheit notwendig mit der Wahrheit verbindet, nimmt sie die Armen in Schutz vor illusorischen und gefährlichen ideologischen Befreiungsvorschlägen, die, von wirklichen und dramatischen Elendssituationen ausgehend, aus ihnen und ihren Leiden nur einen Vorwand für neue, und manchmal noch schwerere Unterdrückungen machen würden. Wenn die Botschaft des Evangeliums auf die lediglich sozialpolitische Dimension eingeengt wird, beraubt man die Armen dessen, was eines ihrer vornehmsten Rechte bildet: des Rechts nämlich, von der Kirche das Geschenk der vollen Wahrheit über den Menschen und über die Gegenwart des lebendigen Gottes in ihrer Geschichte zu empfangen.
Die Beschränkung des menschlichen Daseins einzig auf die politische Sphäre bildet nicht nur eine Bedrohung in der Dimension des Habens, sondern auch in der des Seins. Wie die Instruktion es zu Recht bekräftigt, kann allein die vollständige Heilsbotschaft auch die vollständige Befreiung des Menschen gewährleisten (XI, 16).
Um dieser Befreiung willen hat sich die Kirche den Armen an die Seite gestellt und stellt sich ihnen weiterhin an die Seite. Sie macht sich zur Anwältin ihrer missachteten Rechte, sie regt Sozialwerke aller Art an, um ihnen Schutz und Verteidigung zu bieten und verkündet das Wort Gottes, das alle zu Versöhnung und Buße einlädt. Nicht zufällig weist das Apostolische Schreiben, das ich kürzlich im Licht der Beschlüsse herausgegeben habe, zu denen die sechste Vollversammlung der Bischofssynode gekommen ist, wieder auf das grundlegende Thema des Evangeliums, die Bekehrung des Herzens, hin in der Überzeugung, dass die erste Befreiung, die dem Menschen zuteil werden muss, die Befreiung von dem moralischen Übel sein muss, das sich in seinem Herzen einnistet, denn da liegt auch der Grund für die "soziale Sünde" und für jede unterdrückende Struktur.
11. In diesem Einsatz für die Befreiung des Menschen von den verschiedenen Formen der Armut, die seine volle Verwirklichung zurückdrängen, öffnet sich die Kirche dem Dialog mit allen in einer Haltung der Redlichkeit und des Vertrauens. Sie hat diesen ihren Willen schon durch Papst Johannes XXIII. ausgesprochen, der immer bestrebt war, lieber das zu suchen, "was die Menschen eint, statt dessen, was sie trennt". Sie hat es erneut mit der Stimme Pauls VI. gesagt, der diesem Thema seine erste Enzyklika Ecclesiam suam widmete. Und schließlich hat sie es mit besonderer Autorität im Zweiten Vatikanischen Konzil bezeugt. Nach dessen Aussagen kann die "Verbundenheit, Achtung und Liebe" der Kirche gegenüber der ganzen Menschheitsfamilie "nicht beredter bekundet werden" als dadurch, dass sie "mit ihr in einen Dialog eintritt", der sich auf die Würde der menschlichen Person und den letzten Sinn des menschlichen Schaffens in der Welt gründet (vgl. Gaudium et spes, Nr. 3 und Nr. 40). Derjenige, der heute aufgrund des unerforschlichen göttlichen Plans auf der Cathedra des Petrus sitzt, bestätigt seinen Willen, den Weg eines achtungsvollen und redlichen Dialogs mit der heutigen Welt und den Instanzen, die sie vertreten, fortzusetzen, denn er vertraut auf die Möglichkeiten des Guten, die der menschlichen Natur angeboren sind, und auf die erneuernde Kraft der Erlösung durch Christus, die in der Geschichte wirksam ist. Es ist wirklich meine tiefe Überzeugung - und ich habe es in der Botschaft zum Weltfriedenstag 1983 ausgesprochen -, dass "der Dialog ein zentrales und unerlässliches Element im ethischen Denken der Menschen ist, wie auch immer sie geartet sein mögen" (Nr. 6). Denn dieser Dialog kann noch immer seine Früchte bringen, man darf nur nicht in die Kompetenzen anderer eingreifen, und die Kirche muss ihre Identität und ihre Freiheit bewahren. Sie darf ja "in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden, noch (ist sie) an irgendein politisches System gebunden", und gerade darum bleibt sie "Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person" (Gaudium et spes, Nr. 76).
12. Durchdrungen vom Licht und der Wärme, die aus diesen Wahrheiten strömen, setzen wir den Fuß auf die Schwelle der Hütte von Bethlehem. Er, der dort in Armut geboren wird, bittet uns, Gedanken und Herz den verschiedenen Formen der Armut zuzuwenden, die heute den Menschen belasten: Er fordert uns auf, ihm entgegenzugehen.
"Jesus Christus ... ist unseretwegen arm geworden, damit wir durch seine Armut reich würden" (vgl. 2 Kor 8, 9).
Nur wenn wir Christus in unserem Leben und im Leben unserer Gemeinschaften Raum geben, werden wir das Problem der uns vielfältig bedrückenden Armut lösen können: Wir werden wirklich "reich", das heißt voll und ganz Menschen werden können.
Das eigentliche Problem bleibt also dieses: Christus Bürgerrecht geben in den verschiedenen "Welten", aus denen sich die heutige Welt zusammensetzt. Er und er allein besitzt das Geheimnis, all unsere Armut zu füllen und in unseren Herzen die Freude des wahren Reichtums zu wecken, und das ist schließlich der Reichtum der Liebe.
Von dieser Freude lasse er eure Herzen überströmen, ehrwürdige Brüder, und ebenso die Herzen eurer Mitarbeiter. Weihnachten möge euch und ihnen, den Söhnen und Töchtern der Kirche und allen Männern und Frauen auf Erden einen Vorgeschmack des unaussprechlichen Friedens jener neuen Welt schenken, zu der die Geburt des Sohnes Gottes in der Zeit den glücklichen und unwiderruflichen Anfang gesetzt hat. Die heilige Jungfrau, die das fleischgewordene Wort in ihrem Schoß trug, mache uns bereit, es mit lebendigem Glauben und dankbarer Liebe aufzunehmen. Allen frohe Weihnachten!
1985
am 20. Dezember mit dem Thema: Alle Menschen schauen Gottes Heil
Meine Herren Kardinäle! Ehrwürdige Brüder!
1. "Alle Menschen schauen Gottes Heil" (fes 40,5; Lk 3,6).
Diese Worte wiederholen sich beim Antwortpsalm der heutigen Messe vom 20. Dezember und vibrieren wie die ganze Liturgie der Tage vor Weihnachten von Erwartung wegen der kommenden Ankunft des Herrn. Sie lassen alljährlich unser Herz zittern vor immer neuer Freude über diese Ankunft, die die Welt verändert hat. Das ist die Gewissheit des Heils, das der Sohn Gottes und Sohn der Jungfrau Maria den Menschen gebracht hat. Das ist der Trost des Besuches, den das Wort des Vaters bei den Menschen macht, die endlich der Befreiung von der Sünde und der Sklaverei, des Bösen nahe sind. Das ist die Freude zu wissen, dass "die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, erschien" (Ti! 3,4). "Alle Menschen schauen Gottes Heil." Diese Atmosphäre atmen heute auch wir wie immer, wenn wir versammelt sind, um unsere Glückwünsche zum Weihnachtsfest und zum neuen Jahr auszutauschen. Ich danke dem verehrten Herrn Kardinal-Dekan für seine immer willkommenen und vornehmen Worte, die unsere Empfindungen in dieser Stunde familiärer Vertrautheit, in dieser Ruhepause inmitten der gemeinsamen täglichen Geschäfte, zum Ausdruck brachte. Und ich danke mit ihm euch allen, indem ich euch in einem einzigen Akt des Dankes, der Liebe, der Würdigung umarme: die Offizialen und Mitarbeite;- der verschiedenen Dikasterien der Römischen Kurie, des Vikariats Rom, des Governatorats des Staates der Vatikanstaat. Und ich danke von hier aus den päpstlichen Repräsentanten und dem Personal des diplomatischen Dienstes in aller Welt.
Ich bin im Geist bei euch allen, bei euren Familien, vor allem da, wo es eine offene oder verborgene Prüfung oder ein Leid gibt; bei der Arbeit, die ihr beim Stuhl Petri leistet, jeder nach seiner Zuständigkeit und seinem Auftrag. Jesus, der uns geboren wird, überschütte euch mit seiner Gnade und seiner Güte. Er vergelte euch den Dienst, den ihr seiner Kirche leistet. Gebt meine Empfindungen weiter an alle Priester, Ordensleute und Laien, die mit euch zusammenarbeiten.
Drei Schwerpunkte im vergangenen Jahr
2. Diese zum Nachdenken günstige Stunde, wo die Zeit wieder dem Jahresende zueilt, diese gelöste geistliche Atmosphäre, hervorgerufen und verstärkt durch die Erwartung der Weihnacht, erlaubt gewöhnlich, einen Rückblick auf die Aktivitäten des Jahres zu werfen, das zu Ende geht. Sie erleichtert eine Überprüfung und lässt uns Elan und Mut finden für das, was uns im kommenden Jahr erwartet. Die Gelegenheiten zur Begegnung mit euch, die sich in den letzten Novemberwochen bis zum Fest der Immakulata wiederholt haben - erstens durch die Vollversammlung des Kardinalskollegiums, dann durch die 2. außerordentliche Bischofssynode -, erfordern keine detaillierte Analyse der verschiedenen Ereignisse seit dem letzten Weihnachtsfest oder eine Prüfung irgendeines besonderen Problems.
Was mir bei diesem Rückblick auf das verflossene Jahr besonders vor Augen steht, sind drei Tatsachen, auf die ich mit euch besonders eingehen möchte: die Feier des Internationalen Jahrs der Jugend; die 1100-JahrFeier des Todes des heiligen Method mit den verschiedenen Veranstaltungen im Rahmen des Kyrill-und-Method-Jahres und schließlich die 20. Wiederkehr der Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die durch die kürzliche Bischofssynode gefeiert wurde.
Die Jugend und der Gärstoff, den sie in sich birgt; das Evangelisierungswerk der heiligen Brüder von Saloniki mit der großen Lehre, die sie der katechetischen, pastoralen und missioniarischen Arbeit der Kirche in der Welt von heute bietet, um die großen Probleme des Dialogs mit den autochthonen Kulturen in Angriff zu nehmen durch die Inkulturation des Evangeliums in jeder von ihnen; und die ständige Vertiefung des II. Vatikanums durch immer bessere und breitere Ausstrahlung in der Kirche und ihren Beziehungen zur heutigen Welt: das ist die große Bedeutung dieser drei Ereignisse, die einen besonderen Platz im Verlauf des Jahres hatten.
Wenn ich mich in besonderer Weise damit befassen will, dann nicht nur, um ihre suggestive Bedeutung noch einmal rückblickend zu beleuchten, sondern zuerst und vor allem, um der Heiligsten Dreifaltigkeit dafür zu danken, dass sie uns die Möglichkeit gab, diese Ereignisse zu feiern und in ihrer geistlichen Fülle zu erleben. Es ist Gott, der die Geschichte leitet, die Geschichte der Welt und des Menschen: die Geschichte, von der wir wissen, dass sie einzig und allein "Heilsgeschichte" ist in einem erlösenden Liebesplan, der seinen Gipfel in der Menschwerdung des Wortes erreicht. Er ist es, der seine Kirche leitet und sie zum bevorzugten Werkzeug der Erlösung macht. In diesem Licht finden diese drei Ereignisse ihre volle Bedeutung.
In Zukunft Welttag der Jugend am Palmsonntag
3. Das Jahr 1985 wurde von der UNO zum Internationalen Jahr der Jugend erklärt. Wie es im Apostolischen Schreiben an die Jugendlichen in der Welt vom vergangenen 31. März heißt: "liegt darin eine besondere Bedeutung vor allem für (sie) selbst, dann aber auch für alle Altersstufen, für die einzelnen Personen, für die Gemeinschaften und für die ganze Gesellschaft. Darin liegt eine besondere Bedeutung für die Kirche als Hüterin grundlegender Wahrheiten und Werte und zugleich als Dienerin der ewigen Bestimmung, die der Mensch und die große Menschheitsfamilie in Gott selbst haben" (OR dt., Nr. 13/85, S. 5).
Diese Bedeutung wurde bei vielen Gelegenheiten in der ganzen Kirche sichtbar und greifbar. Vor allem hier am Sitz des Petrus, denn das Motto des 18. Weltfriedenstags hieß bekanntlich: "Frieden und Jugend, zusammen unterwegs." In der Botschaft, die ich jedes Jahr aus diesem Anlass an die Welt richte, habe ich den Reichtum des Inhalts, die Tragweite, die Verantwortung, die sich daraus für alle Menschen, vor allem für die Jugend ergeben, erläutert. Und dann habe ich am Palmsonntag 1985, der auf den 31. März fiel, den erwähnten Brief an die Jugend gerichtet. Und an eben diesem Sonntag kamen die Vertreter der Jugend aus fünf Kontinenten nach Rom. Vor meinen Augen stehen noch die Eindrücke von der Begegnung mit dieser Jugend aller Rassen und jeder Herkunft auf dem Platz vor der Lateranbasilika, wo wir zusammen gebetet und nachgedacht haben, unter intensiver Beteiligung aller Anwesenden wie ein Herz und eine Seele, bis die Schatten des Abends über die vor der Bischofskirche von Rom versammelte Menge fielen.
Die Bewegung bleibt ebenso stark, wenn ich an die Prozession und die Messe des folgenden Sonntags zurückdenke, an dem die Jugend - keine anonyme Masse, keine Nummer, sondern lebendige und persönliche Präsenz - mit hinreißender und disziplinierter Freude teilnahm in einem Gemeinschaftsakt der Liebe und des Glaubens an Christus, den Herrn, am Vorabend des Gedächtnisses seiner Passion. Ich erinnere mich, mit weIcher Begeisterung die Jugend auf meine folgenden Worte antwortete: "Dieses Zeugnis, das Jesus von Nazareth für die Wahrheit ablegt, durchdringe euch tief! Er trägt in sich die -Sache des Menschen: die ewige und entscheidende Sache! Jesus Christus ist gestern, heute und in Ewigkeit ... Deshalb hat diese Welt - die Welt des ausgehenden zweiten Jahrtausends - stets und immer mehr denjenigen nötig, der gehorsam geworden ist bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Die Welt braucht Christus!" (Predigt am Palmsonntag 1985; in: OR dt., Nr. 14-15/85, S. 16).
Der Herr hat diese Begegnung in besonderer Weise gesegnet, so dass in den kommenden Jahren am Palmsonntag, in Zusammenarbeit mit dem Rat für die Laien, der Welttag der Jugend zu feiern ist.
Ich möchte darüber hinaus betonen, weIche Aufmerksamkeit die Bischöfe aller Nationen der Welt der Jugend gewidmet haben, ganz besonders in diesem Jahr: Ich kann nicht alle Treffen und Initiativen in den verschiedenen Ländern hier aufzählen, das wäre zu viel. Und die Antwort der Jugend auf ihre Einladung nach Rom wäre nicht so breit und einstimmig gewesen, wenn sie nicht in den einzelnen Diözesen Ermutigung und Hilfe gefunden hätte durch die Arbeit meiner Mitbrüder im Episkopat und der Priester, die sie mit Hingabe und Aufopferung unterstützt haben. Diesen lieben Mitbrüdern im Priesteramt möchte ich öffentlich meinen Dank sagen für die Hochherzigkeit der Antwort auf meine Aufforderung in dem traditionellen Brief zum Gründonnerstag, ihr Apostolat vorzüglich in den Dienst an der Jugend zu stellen. Durch persönliche Begegnungen, durch die Katechese über Christus und seine Worte des Lebens und der Wahrheit, durch vermehrten Eifer, der sich vom Beispiel des Erlösers inspirieren lässt.
Die Kirche muss auf die Jugend schauen wie auf ihre Hoffnung: vor allem, weil von ihr die Berufungen kommen, die die Garantie der Fruchtbarkeit der Kirche im 3. Jahrtausend sind. Die Priester- und Ordensberufe müssen besonders gepflegt werden in der Liebe Gottes, denn: "Gott liebt (wie der heilige Thomas von Aquin schrieb) in besonderer Weise die, die ihn von Jugend auf lieben" (Super Ioannem, XXI, V, 2639).
Aber alle Jugendlichen müssen sich von der Kirche begleitet fühlen: Deshalb sollte sich die ganze Kirche zusammen mit dem Nachfolger Petri auf Weltebene für die Jugend, ihre Ängste und Sorgen, ihr Offensein und ihre Hoffnung einsetzen, um ihren Erwartungen zu entsprechen. Sie muss ihr die Sicherheit mitteilen, die Christus ist, die Wahrheit, die Christus ist, die Liebe, die Christus ist, mittels einer angemessenen Bildung, die die notwendige und der heutigen Zeit entsprechende Form der Evangelisierung ist. Die Jugend wartet; sie ist enttäuscht von soviel Unzulänglichkeit auf ziviler, sozialer und politischer Ebene; sie urteilt klar und kritisch; am Ende dieses Jahres gibt es hier und da Anzeichen einer wachsenden Erwartung, die nicht enttäuscht werden darf von der Kirche, die mit Hoffnung und Liebe auf die Jugend schaut.
Christus ist auf Suche nach der Jugend, heute wie an dem Tag, als er den jungen Mann ansah und liebte (vgl. Mk 10,21), der ihn über das ewige Leben befragte. Die Kirche muss fortfahren, in planetarischen Dimensionen die Sorge und die Liebe des Herzens Christi auszustrahlen. Niemand darf sich hier zurückziehen! Wir müssen das "Wachsen" unterstützen, von dem ich zur Jugend gesprochen habe als dem, wodurch die "Jugend eigentlich Jugend" ist (Apostolisches Schreiben an die Jugendlichen in der Welt, Nr. 14): Wachsen an Alter, an Weisheit, an Gnade!
Inkulturation des Evangeliums durch die heiligen Cyrill und Methodius
4. Auch das "Jahr der heiligen KyrilI und Method" hatte seinen tiefen Inhaltsreichtum, der auf allen Ebenen sehr bemerkt wurde - wie in der Kirche Europas so auch in denen der anderen Kontinente und ebenfalls in der zivilen Gesellschaft und der Welt der Kultur.
Die 1100-Jahr-Feier des Todes des heilige Method hatte ihren Prolog im Apostolischen Schreiben Egregiae virtutis vom 31. Dezember 1980 gehabt (s. OR dt., Nr. 4/81, S. 6), in dem ich die heiligen Brüder zu Mitpatronen Europas mit dem heiligen Benedikt erklärte. Schon Leo XIII., der ihre Verehrung auf die ganze Kirche ausdehnte, Johannes XXIII. und Paul VI., die sie aus verschiedenem Anlass in der römischen Basilika San Clemente verehren wollten, wo der 869 in Rom verstorbene Philosoph Konstantin (KyrilI) begraben liegt, hatten die Grundlage für diese Entscheidung gelegt, die die ganze Kirche, besonders aber Europa und die slawischen Regionen berührt.
Schon zu Beginn dieses Jahres, am 1. Januar, kündete ich das Jubiläum an. Wie sollte ich mich jetzt nicht an die Messe erinnern, die ich am 14. Februar in Gegenwart der Studenten der römischen Kollegien in der Basilika San Clemente feierte? An die Enzyklika Slavorum apostoli vom 2. Juni, dem Fest der Heiligsten Dreifaltigkeit? (s. OR dt., 28/85, S. 5). In diesem Licht sind auch die Gedenkfeiern in Djakovo (Jugoslawien) am 5. Juli und in Velehrad am 7. Juli am Grab des heiligen Method in Anwesenheit des Kardinalstaatssekretärs als Päpstlichem Delegaten zu betrachten. Und in die Ausstrahlung ihres evangelisch-missionarischen Impulses auf die Kirche Europas ordnen sich auch ein das Ökumenische Europäische Symposium und das 6. Symposium des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen, das im vergangenen Oktober in Rom stattfand, mit seinem Höhepunkt, der Konzelebration am 13. desselben Monats aus Anlass des Jubiläums der heiligen KyriII und Method.
Die Evangelisierung der slawischen Völker durch die beiden Brüder aus Saloniki hat eine Bedeutung, die das Leben und die Sendung der ganzen Kirche berührt. Der Kirche insgesamt. Der Kirche des 9. Jahrhunderts wie der Kirche unserer Zeit. Denn das Ziel des Evangelisierungswerks der beiden Brüder ist noch immer aktuell: "Die Verkündigung des Wortes; die Verbreitung und Erhaltung des Glaubens; die Einheit aller, die an Christus glauben; das Vertrauen in das Wirken der göttlichen Gnade; der pastorale Einsatz bis zur Selbsthingabe (Predigt vom 14. Februar 1985, in: OR dt., Nr. 9/85, S. 4).
Aus diesen vielfältigen Elementen der Pastoralarbeit der beiden Heiligen ergeben sich als wichtigste Punkte ihrer ganz aktuellen Botschaft zwei Prioritäten. Die erste ist die Gültigkeit und Beständigkeit des ökumenischen Engagements, die gerade aus ihrem Beispiel das Motiv zu besonderer Ermutigung schöpft: denn - um Slavorum apostoli zu zitieren - "ihre Liebe zur Gemeinschaft der universalen Kirche, sei es im Osten oder im Westen, war charakteristisch ... Sie richten auch an die Menschen unserer Zeit die Einladung, zusammen die Gemeinschaft aufzubauen" (OR dt., Nr. 2811985, S. 8).
Der zweite Punkt ist der Einsatz für das Werk der Evangelisierung unter dem Gesichtspunkt der Inkulturation des Evangeliums, auf das ich schon hingewiesen habe. Die Kirche steht heute vor ähnlichen Herausforderungen wie die, die Gesellschaft und Menschen KyriII und Method boten. Sie wussten darauf mit einer Glaubensstärke und einer Klarheit zu antworten, die Vorbild und Ansporn für uns alle bleiben müssen. Vielfältige Probleme auf der Ebene der Ideen, Verschlimmerung des pseudokulturellen Laizismus, die Furcht des heutigen Menschen, seine Autonomie und Identität gegenüber Gott zu verlieren, nicht immer ausgewogene Wertung des ethnischen Kulturerbes, das in der Evangelisierung erhalten bleiben muss: All das kann zur Entmutigung derer führen, die Christus gesandt hat, das Evangelium zu verkünden und allen Völkern zu predigen (vgl. Mt 28,19f.).
Hier sagen uns die Gestalt und das Werk der heiligen Kyrill und Method, wie es in der zitierten Enzyklika heißt: "Das Evangelium führt nicht zur Verarmung und Auslöschung dessen, was jeder Mensch, jedes Volk und jede Nation, was jede Kultur während ihrer Geschichte als Wert, Wahrheit und Schönheit anerkennen und leben. Es regt vielmehr an, diese Worte aufzunehmen und sie weiterzuentwickeln: sie mit Freude und Großmut zu leben und im geheimnisvollen und erhebenden Licht der Offenbarung zu vollenden" (ebd., S. 7 f.).
Das ist ein sehr starker Appell zur Hoffnung, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5,5), aber auch zum unerschrockenen Mut, Christus und allen Menschen aller Zeiten zu verkünden, gemäß den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und den beiden Bischofssynoden von 1974 und 1977, in deren Folge die beiden Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi und Catechesi tradendae erschienen sind. Das sind klare Weisungen an die Kirche vom obersten Lehramt des II. Vatikanums und vom Stuhl Petri.
Feier, Überprüfung und Förderung des Konzils
5. Das Zweite Vatikanische Konzil: Wir haben gerade diese Erfahrung eines neuen Pfingsten wiedererlebt, die Johannes XXIII. bei der Ankündigung des Konzils des 20. Jahrhunderts gewollt hatte, und wir tragen die kurze, aber intensive Zeitspanne der 2. außerordentlichen Bischofssynode, die eben zu Ende ging, noch im Herzen: die Konzelebration am Sonntag, dem 24. November; die Plenarsitzungen und die Beratungen der Arbeitsgruppen; die Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes; die Schlusskonzelebration in St. Peter am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens und die Vesper mit der Weihe an Maria in der Basilika Liberiana sowie das Schlussdokument der Versammlung.
Deshalb ist es nicht notwendig, hier die Bedeutung der Initiative nochmals zu betonen, die in Wiederaufnahme der Grundthemen des Zweiten Vatikanischen Konzils seine Feier, Überprüfung und Förderung sein wollte. Es genügt zu unterstreichen, dass die Initiative als Dienst verstanden war, den die Kirche von Rom, ihrer Berufung entsprechend, in den Spuren der zwanzigjährigen Konzilsdokumente der Welt erneut leisten wollte. Als Summe des Nachdenkens der Kirche über ihre wesensgemäße Sendung, den einen und dreifaltigen Gott zu offenbaren und die Fleischwerdung des Wortes in der Menschheit.
Darüber hinaus ist zu betonen, dass diese Synode von allen Gruppen der Kirche und der ganzen Weltöffentlichkeit mit stärkerem Interesse verfolgt wurde als die anderen Synoden.
Wenn man die tiefe Bedeutung dieser Gedenkfeier und Überprüfung des II. Vatikanums zugleich kurz zusammenfassen will, kann man sagen, dass sie - wie sich aus dem Schlussdokument ergibt - den Nachdruck auf den primären Zweck des Konzils legen wollte: Die Kirche als "universales Heilsskakrament", von Christus als "Licht der Völker" gewollt, fühlt sich immer mehr vom Willen ihres Gründers, in der Liebe des Heiligen Geistes gedrängt, der Welt den Vater zu verkünden. Mit einem Wort: Sie engagiert sich voll in ihrem Evangelisierungsauftrag, der dem Petrus und seinen Nachfolgern und - mit Petrus und unter Petrus - den Bischöfen der ganzen Welt, die von den Priestern unterstützt werden, anvertraut ist, um alle christlichen Laien zu verstärktem Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit bei der Berufung zum Apostolat aufzufordern.
Die entscheidenden Ereignisse dieses Jahres, das jetzt zu Ende geht und über das wir heute morgen gesprochen haben, sind demnach Richtlinien, sind eine Ausreifung und eine Vertiefung dieser Sendung: die Jugend, dazu berufen, "im Leben tatkräftig die neue Wirklichkeit zu bezeugen ... , in der Gemeinschaft der Kirche an der Heilssendung Christi teilzuhaben" (Ansprache am 30. März, in: OR dt., Nr. 16/85, S. 8); die alten Kirchen Europas wie die der Dritten Welt, engagiert, um in den Pastoralmethoden der heiligen Kyrill und Method das Vorbild zu finden zu erneutem Eifer in der vorzüglichen Pflicht, auf allen Ebenen zu evangelisieren, in der Wortverkündigung, in der würdigen Feier des Gottesdienstes, in der Durchdringung der alten und neuen Kulturen mit dem Evangelium; die ganze Kirche - so möchte ich sagen - in einem kosmischen Strahl auf eine neue Evangelisierungsaufgabe hin projektiert unter dem nach innen und außen gerichteten Antrieb der Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie sie von der Bischofssynode wieder aufgenommen und beleuchtet wurden.
6. Ehrwürdige Brüder, liebe Söhne!
Wir stehen kurz vor Weihnachten, der heiligen Zeit, in der wir täglich mit immer neuer Freude das Geheimnis dessen betrachten, von dem der heilige Augustinus sagt: "Der Gott war, wurde Mensch, um die zu Göttern zu machen, die Menschen waren" (Serm. 192,1). Es gibt uns eine größere Glaubensgewissheit, wenn wir sehen, dass die Kirche ihrer Sendung immer bewusster wird. Das zu Ende gehende Jahr hat neben vielem anderen einen wunderbaren Beweis dafür gegeben in den Feiern, an die ich heute erinnert habe. Das neue Jahr möge uns darin engagiert finden, in Glaube, Hoffnung und Liebe die Sendung, die uns der Vater in Christus mit der Kraft des Heiligen Geistes anvertraut hat, weiterzuführen. Sie hat ihren unaufhaltsamen Lauf in jener Nacht begonnen, in der der Himmel sich mit der Erde verband und die Ankündigung einer neuen Zeit im Sternenhimmel über Bethlehem erscholl durch den Chor der Engel über der Grotte: "Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade" (Lk 2,14).
Gott und Mensch, Erde und Himmel: im Geheimnis Christi und der Kirche.
"Alle Menschen schauen Gottes Heil." Mit meinen herzlichsten Glückwünschen erteile ich allen meinen Segen.
1986
am 22. Dezember mit dem Thema: Friedensgebet in Assisi - ein Zeichen der Einheit
1. Mit besonderer Freude begrüße ich euch bei diesem traditionellen Treffen, das uns hier versammelt sieht, weil wir uns gegenseitig gute Wünsche zu Weihnachten und zum neuen Jahr austauschen möchten. Ich danke dem neuen Kardinaldekan des heiligen Kollegiums für die trefflichen Worte, mit denen er zum Ausdruck brachte, was wir in diesen Augenblicken familiärer Vertrautheit empfinden.
In diesen Tagen unmittelbar vor dem hohen Weihnachtsfest, an dem wir in gemeinsamer Feier des göttlichen Wortes gedenken, des Lebens und Lichtes der Menschen (vgl. Joh 1,4), das für uns Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat (vgl. Joh 1,14), wird in mir wie in euch, ehrwürdige und liebe Brüder der Römischen Kurie, spontan jenes religiöse Ereignis wieder lebendig, das wohl in diesem zu Ende gehenden Jahr in der Welt am aufmerksamsten verfolgt wurde: der Welttag des Gebetes für den Frieden in Assisi am vergangenen 27. Oktober.
Ja, an jenem Tag und im Gebet, das allein seine Motivierung und sein Inhalt war, schien die verborgene, aber von der Wurzel her bestehende Einheit für einen Augenblick auch sichtbar zum Ausdruck zu kommen, die Einheit, die das göttliche Wort, "in dem alles erschaffen wurde ... und alles Bestand hat" (Kol 1,16.17; Joh 1,3), unter den Männern und Frauen dieser Welt, jenen, die jetzt die Ängste und Freuden im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert miteinander teilen, hergestellt hat, aber auch unter jenen, die uns in der Geschichte vorausgegangen sind, und jenen, die in Zukunft unseren Platz einnehmen werden, bis der Herr kommt (vgl. 1 Kor 11,26). Die Tatsache, in Assisi zusammengekommen zu sein, um zu beten, zu fasten und schweigend ein Stück Weges miteinander zu gehen - und das für den stets zerbrechlichen, den stets und heute mehr denn je bedrohten Frieden -, diese Tatsache war wie ein klares Zeichen der tiefen Einheit, die - trotz der .bestehenden Trennungen - unter denen vorhanden ist, die in der Religion geistliche und transzendente Werte als Antwort auf die großen Fragen des menschlichen Herzens suchen (vgl. NA 1).
2. Dieses Ereignis scheint mir eine so große Tragweite zu haben, dass es uns schon von selbst zu einer vertieften Reflexion einlädt, um seine Bedeutung im Licht des unmittelbar bevorstehenden Gedenkens an die Menschwerdung des Gottessohnes noch besser zu erhellen.
Es ist ja offensichtlich, dass wir uns mit der tatsächlich geglückten Verwirklichung allein nicht zufrieden geben dürfen. Sicherlich war der Tag von Assisi für alle jene, deren persönliches und gemeinschaftliches Leben von einer Glaubensüberzeugung geleitet wird, ein Ansporn, Konsequenzen daraus zu ziehen auf der Ebene eines vertieften Friedensverständnisses und einer neuen Weise, sich für ihn einzusetzen. Im übrigen aber, und vielleicht vor allem andern, fordert uns jener Tag zu einer vertieften "Lektüre" dessen, was in Assisi geschehen ist, und dessen, was im Licht unseres christlichen und katholischen Glaubens die innere Bedeutung war. In der Tat, den richtigen Schlüssel zum Verständnis eines so großen Ereignisses liefert das Zweite Vatikanische Konzil. Es verbindet nämlich in wunderbarer Weise die strenge Treue zur biblischen Offenbarung und zur Tradition der Kirche mit dem Wissen um die Bedürfnisse und Ängste unserer Zeit, die in zahlreichen deutlichen Zeichen zum Ausdruck kommen (vgl. GS 4).
3. Mehr als einmal hat das Konzil die Identität und die Sendung der Kirche zur Einheit des Menschengeschlechtes in Beziehung gestellt, insbesondere da, wo es die Kirche als "Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" definieren wollte (LG 1;9 vgl. GS 42).
Diese Einheit in der Wurzel, die zur Identität des Menschseins gehört, gründet im Schöpfungsplan Gottes. Der eine Gott, an den wir glauben, Vater, Sohn und Heiligen Geist, die heiligste Dreifaltigkeit, hat mit besonderer Umsicht Mann und Frau erschaffen, wie das Buch Genesis berichtet (vgl. Gen 1,26-29; 2,7.18- 24). Diese Feststellung enthält und vermittelt eine tiefe Wahrheit: die Einheit des göttlichen Ursprungs der ganzen Menschheitsfamilie, aller Männer und Frauen; sie spiegelt sich in der Einheit des Bildes Gottes wider, das jeder in sich trägt (vgl. Gen 1,26), und ist als solches schon auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet (vgl. NA 1). "Du hast uns für dich erschaffen, Herr", ruft der heilige Augustinus in der vollen Reife seines Denkens aus, "und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir" (Bekenntnisse, Nr. 1). Die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung erklärt: "Gott, der durch das Wort alles erschafft und erhält...hat ohne Unterlass für das Menschengeschlecht gesorgt, um allen das ewige Leben zu geben, die das Heil suchen durch Ausdauer im guten Handeln"(DV 3). Deshalb gibt es nur einen göttlichen Plan für jedes Menschenwesen, das in die Weit kommt (vgl. Joh 1,9), einen einzigen Ursprung und ein einziges Ziel, wie immer auch seine Hautfarbe, der geschichtliche und der geographische Horizont, in den es hineingestellt ist, zu leben und zu handeln, und die Kultur sein mögen, in der der Mensch aufgewachsen ist und sich ausdrückt. Die Unterschiede sind ein weniger bedeutendes Element, wenn man auf die Einheit blickt, die wurzelhaft und bestimmend ist.
4. Der eine und entscheidende göttliche Plan hat seine Mitte in Jesus Christus, dem Gott und Menschen, in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat" (NA 2). Wie es keinen Mann und keine Frau gibt, die nicht das Zeichen ihres göttlichen Ursprungs in sich trügen, so gibt es auch niemanden, der außerhalb oder am Rand des Werkes Jesu Christi bleiben könnte, der "für alle gestorben" und daher "der Retter der Welt" ist (vgIJoh 4,42). Deshalb "müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein" (GS 22).
Wie wir im ersten Brief an Timotheus lesen, will Gott, "dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen" (2,4).
Dieses leuchtende Geheimnis der Einheit des Menschengeschlechtes von seiner Erschaffung her und seiner Einheit aufgrund des Heilswerkes Christi, das die Entstehung der Kirche als Dienerin und Werkzeug mit sich bringt, ist in Assi si deutlich sichtbar geworden, trotz der Verschiedenheiten der Glaubensbekenntnisse, die durchaus nicht verborgen oder abgeschwächt wurden.
5. Im Licht dieses Geheimnisses scheinen in der Tat die Verschiedenheiten jeder Art, und an erster Stelle die religiösen, in dem Maß, in dem sie den Plan Gottes reduzieren, als einer anderen Ordnung zugehörig. Wenn die Ordnung der Einheit jene ist, die auf die Schöpfung und auf die Erlösung zurückgeht und daher in diesem Sinn "göttlich" ist, dann gehen solche Unterschiede, auch die religiösen, eher auf einen menschlichen Tatbetand zurück und müssen überwunden werden in der fortschreitenden Verwirklichung des großen Planes der Einheit, der die Schöpfung lenkt. Gewiss, es gibt Verschiedenheiten, in denen sich die Gaben und geistigen Reichtümer widerspiegeln, die Gott den Völkern zugeteilt hat (vgl. AG 11). Nicht diese meine ich. Ich möchte hier die Verschiedenheiten ansprechen, in denen die Grenzen, Entwicklungen und Abstürze des menschlichen Geistes sichtbar werden, wenn der Geist des Bösen ihm in der Geschichte Fallen stellt (vgl. LG 16).
Den Menschen mag diese ihre vom Ursprung her gegebene, wurzelhafte Einheit ihrer Bestimmung und auch ihrer Eingliederung in den göttlichen Plan oft nicht bewusst sein; und wenn sie sich zu verschiedenen, nicht miteinander zu vereinbarenden Religionen bekennen, mögen sie ihre Spaltungen auch als unüberwindlich empfinden. Dennoch aber sind sie in den einen, großen Plan Gottes einbezogen, in Jesus Christus, der "sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt" (GS 22), auch wenn dieser sich dessen nicht bewusst ist.
6. In diesem großen Plan Gottes bezüglich der Menschheit findet die Kirche ihre Identität und ihre Aufgabe als "universales Heilssakrament" gerade darin, dass sie "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" ist (LG 1). Das bedeutet, dass die Kirche berufen ist, alle ihre Kräfte (Evangelisierung, Gebet, Dialog) dafür einzusetzen, dass die Spaltungen und Trennungen unter den Menschen, die sie von ihrem Ursprung und Ziel ablenken und zu gegenseitigen Feinden machen, wieder zusammengefügt werden. Es bedeutet auch, dass das ganze Menschengeschlecht in der unendlichen Komplexität seiner Geschichte und mit seinen verschiedenen Kulturen "zum neuen Gottesvolk gerufen ist" (LG 13), in dem die gesegnete Einheit Gottes mit dem Menschen und die Einheit der Menschheitsfamilie wieder heil, gefestigt und erhoben wird: "Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören zu ihr oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind" (LG 13).
7. Die universale Einheit, die im Ereignis der Schöpfung und der Erlösung begründet ist, kann nicht umhin, in der Lebenswirklichkeit der Menschen, auch wenn sie verschiedenen Religionen angehören, Spuren zu hinterlassen. Darum hat das Konzil die Kirche aufgefordert, die Saatkörner des Wortes Gottes aufzuspüren und zu respektieren, die in diesen Religionen vorhanden sind (vgl. AG 11), und es hat die Aussage gemacht, dass alle diejenigen, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, auf die höchste Einheit des einen Gottesvolkes "hingeordnet" sind (LG 16), zu dem durch Gottes Gnade und das Geschenk des Glaubens und der Taufe alle Christen bereits gehören, mit denen sich die Katholiken, die "die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger Petri wahren", "aus mehrfachem Grunde verbunden" wissen (LG 15).
Eben der wirkliche und objektive Wert dieser "Hinordnung" auf die Einheit des einen Volkes Gottes, die oft unseren Augen verborgen ist, ist in diesem Treffen von Assisi zu erkennen, und im Gebet mit den anwesenden christlichen Vertretern hat sich die tiefe Gemeinschaft, die in Christus und im Gebet zwischen uns lebendig und wirksam, wenn auch noch unvollständig besteht, ganz besonders gezeigt.
Das Ereignis von Assisi kann so als eine sichtbare Darstellung, eine Lehre von Tatsachen, eine allen verständliche Katechese dessen betrachtet werden, was der vom Zweiten Vatikanischen Konzil empfohlene und eingeleitete ökumenische Einsatz und Dialog zwischen den Religionen voraussetzt und bedeutet.
8. Inspirierende Quelle und grundlegende Ausrichtung dafür ist immer das Geheimnis der Einheit, sei es die in Christus durch den Glauben und die Taufe bereits hergestellte Einheit, sei es jene, die sich in der "Hin ordnung" auf das Gottesvolk ausdrückt, die es noch zu erfüllen gilt. So wie die erstere ihren angemessenen und stets gültigen Ausdruck im Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio findet, wird die letztere auf der Ebene der Beziehungen und des Dialogs zwischen den Religionen formuliert in der Erklärung Nostra aetate, die beide im Zusammenhang mit der Konstitution Lumen gentium zu lesen sind.
In dieser letzten Dimension, die im Vergleich mit der ersteren noch ziemlich neu ist, liefert uns der Tag von Assisi kostbare Elemente, über die es noch nachzudenken gilt und die durch aufmerksames Lesen der erwähnten Erklärung über die nichtchristlichen Religionen erhellt werden.
Auch dort wird von der "einzigen Gemeinschaft" gesprochen, die die Menschen auf dieser Welt bilden (Nr. 1), und sie wird als Frucht "desselben Ursprungs" erklärt, "da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ" (NA 1). Alle haben "Gott als ein und dasselbe letzte Ziel. Seine Vorsehung, die Bezeugung seiner Güte und seine Ratschlüsse des Heils erstrecken sich auf alle Menschen, bis die Erwählten vereint sein werden in der Heiligen Stadt, deren Licht die Herrlichkeit Gottes sein wird; werden doch alle Völker in seinem Lichte wandeln" (NA 1).
In den folgenden Abschnitten lehrt uns diese Erklärung die verschiedenen nichtchristlichen Religionen innerhalb dieses allgemeinen Rahmens unserer wurzelhaften Einheit hoch zu schätzen, sie unterstreicht aber auch die echten Werte, die diese Religionen in ihrem Bemühen um eine Antwort auf die "ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins" (Nr. 1) auszeichnen. Sie möchte in diesen Bemühungen "einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet" (Nr. 2). Und so "lehnt die katholische Kirche nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist". Vielmehr "mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit und Liebe ... durch das Zeugnis ihres christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die soziokulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern" (NA 2).
Wenn sie dies tut, möchte die Kirche damit vor allem jene "Hinordnung" auf das Volk Gottes anerkennen und achten, von der die Konstitution Lumen gentium (Nr. 16) spricht, auf die ich mich vorhin bezogen habe. Wenn sie so handelt, ist sich die Kirche also bewusst, dass sie einer göttlichen Weisung folgt, denn es ist der Schöpfer und Erlöser, der nach dem Plan seiner Liebe diese geheimnisvolle Beziehung zwischen religiösen Männern und Frauen und der Gemeinschaft des Gottesvolkes hergestellt hat.
Vor allem besteht eine Beziehung zum jüdischen Volk: "jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist" (LG 16), das mit uns durch ein geistliches "Band" verbunden ist (vgl. NA 4). Außerdem besteht auch eine Beziehung zu denen, die "den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird" (LG 16). Ferner gibt es Beziehungen zu denen, "die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen" und denen "Gott nicht fern ist" (LG 16).
9. Das Treffen von Assisi, das die Katholische Kirche zeigte, wie sie den christlichen Brüdern die Hand reicht und diese wiederum alle zusammen die Hände der Brüder der anderen Religionen erfassen, war wie ein sichtbarer Ausdruck dieser Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. An diesem Tag und durch diesen Tag ist es uns mit der Gnade Gottes gelungen, ohne jeden Schatten von Verwirrung und Synkretismus diese unsere Überzeugung vQn der Einheit des Ursprungs und des Zieles der Menschheitsfamilie und vom Sinn und Wert der nichtchristlichen Religionen, die das Konzil eingeprägt hat, in die Praxis umzusetzen.
Und hat nicht dieser Tag uns gelehrt, unsererseits mit offeneren Augen und tieferdringendem Blick die Aussagen des Konzils über den Heilsplan Gottes und seine Mitte in Jesus Christus und über die tiefe Einheit, von der er durch den Dienst der Kirche ausgeht und zu der er hinstrebt - Aussagen so reich an Lehrgehalt -, wieder neu zu lesen? Und die katholische Kirche ist vor ihren Söhnen und Töchtern und der Welt in Erscheinung getreten als jene, die ihre Funktion ausübt, "die Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern" (NA 1).
In diesem Sinn muss man auch sagen, dass die Identität der katholischen Kirche und das Bewusstsein, das sie selbst von sich hat, in Assisi gestärkt und gefestigt wurden. Die Kirche, das heißt, wir selbst, haben im Licht dieses Ereignisses besser begriffen, welches die wahre Bedeutung des Mysteriums der Einheit und der Versöhnung ist, das der Herr uns anvertraut hat und das er als erster in die Tat umgesetzt hat, als er sein Leben hingab "nicht nur für das Volk, ... sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln" (Joh 11,52).
10. Die Kirche übt diesen ihrem Wesen gemäßen Dienst auf verschiedene Weise aus: durch die Evangelisierung, die Verwaltung der Sakramente und die pastorale Leitung durch den Nachfolger Petri und die Bischöfe, durch den täglichen Dienst der Priester, der Diakone, der Ordensmänner und Ordensfrauen, durch die Bemühungen und das Zeugnis der Missionare und der Katecheten, durch Gebet und Schweigen der Kontemplativen und die Leiden der Kranken, Armen und Bedrückten und durch viele Formen des Dialogs und der Zusammenarbeit der Christen zur Verwirklichung der Ideale der Bergpredigt und zur Förderung der Werte des Gottesreiches.
Die Kirche hat diesen Dienst auch in Assisi ausgeübt in einer - wenn man will - bis dahin unbekannten, aber darum nicht weniger wirksamen und wichtigen Weise, wie es auch von unseren Gästen anerkannt wurde, die ihrer Freude Ausdruck gaben und zum Fortsetzen des begonnenen Weges ermutigten. Im übrigen ist die Situation der Welt, wie wir an dieser Weihnachtsvigil feststellen, schon in sich ein dringender Ruf, den Geist von Assisi wiederzufinden und weiterhin als Grund der Hoffnung für die Zukunft lebendig zu erhalten.
11. Dort hat man in außerordentlicher Weise den einzigartigen Wert des Gebetes für den Frieden entdeckt, ja mehr noch: dass es keinen Frieden gibt ohne das Gebet, ohne das Gebet aller, jedes einzelnen nach seiner Religionszugehörigkeit und in der Suche nach der Wahrheit. Darin muss man, nach demselben Maßstab, wie wir eben gesagt haben, ein weiteres wunderbares Offenbarwerden jener Einheit sehen, die uns jenseits der allen bekannten Unterschiede und Trennungen verbindet. Jedes echte Gebet steht unter dem Einfluss des Geistes, "der für uns eintritt", "denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen", aber er betet in uns "mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können , und "Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist" (Röm 8,26 f.). Wir dürfen in der Tat glauben, dass jedes echte Gebet vom Heiligen Geist angeregt ist, der auf geheimnisvolle Weise im Herzen jedes Menschen anwesend ist.
Auch das ist in Assisi sichtbar geworden: die Einheit, die aus der Tatsache herrührt, dass jeder Mann und jede Frau fähig sind zu beten, das heißt, sich vollkommen Gott zu unterwerfen und sich vor ihm als arm zu erkennen. Das Gebet ist eines der Mittel, den Plan Gottes unter den Menschen zu verwirklichen (vgl. AG 3).
Auf diese Weise hat es sich gezeigt, dass die Welt nicht den Frieden geben kann (vgl. Joh 14,27), dass er vielmehr ein Geschenk Gottes ist und dass man ihn durch das Gebet aller von Ihm erflehen muss.
12. Wenn ich euch, meine Herren Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Mitglieder der Römischen Kurie, diese Gedanken über das außerordentliche Ereignis, das sich am vergangenen 27. Oktober in Assisi abgespielt hat, vorlege, dann möchte ich vor allem, dass es euch helfe, euch besser darauf vorzubereiten, wiederum jenes Wort aufzunehmen, in dem "alles geworden ist" (Joh 1,3) und durch das alle Menschen berufen sind, dass sie "das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10), jenes göttliche Wort, das unter uns wohnen wollte (vgl. Joh 1,14) und das durch sein Kommen, seinen Tod und seine Auferstehung "alles, was im Himmel und auf Erden ist", in sich vereinen wollte (Eph 1,10).
Ihm, der "sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt" hat ([GS]] 22), möchte ich anvertrauen, was auf den Tag von Assisi folgen muss, und die Fortsetzung der Anstrengungen, die wir alle in der Kirche zu diesem Zweck auf uns nehmen müssten oder bereits unternehmen, um der grundlegenden Berufung der Kirche zu entsprechen, unter den Menschen "allumfassendes Heilssakrament" und "für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils" zu sein (LG 48; 9).
Ich bin sicher, dass ihr alle, Mitarbeiter der Römischen Kurie, euch dieser Sendung tief bewusst seid. Und ich danke euch dafür, wie auch für die unersetzliche Hilfe, die ihr mir Tag für Tag im Dienst an der Universalkirche leistet, zusammen mit den päpstlichen Vertretern in den verschiedenen Ländern der Welt.
13. Wenn ich nun euch allen meine herzlichen Segenswünsche zu Weihnachten entbiete, möchte ich gleichzeitig erneut all jenen meinen Dank aussprechen, die meiner Einladung nicht ohne Schwierigkeiten und Mühe Folge geleistet und uns durch ihr Beispiel angeregt haben, nicht nur vor der Welt den gemeinsamen Einsatz für den Frieden zu bezeugen, sondern auch über das Geheimnis des Wirkens Gottes in der Welt nachzudenken, dem wir alle dienen wollen und dessen Höhepunkt in der Fülle der Zeit wir nun wieder in der Heiligen Nacht unter dem mütterlichen Blick Mariens feiern wollen.
1987
am 22. Dezember mit dem Thema: Begegnung in Liebe lässt Wahrheit besser erkennen
Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Laien!
1. Aufrichtig danke ich dem Herrn Kardinaldekan für die Glückwünsche, mit denen er den Empfindungen eines jeden von euch bei dieser traditionellen und immer willkommenen Begegnung Ausdruck gegeben hat. Sie haben unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auch auf die besondere Bedeutung gelenkt, die dieser jährlichen Gelegenheit zukommt. In der Tat treffen wir uns an der Weihnachtsvigil des Marianischen Jahres.
Wenn jedes Jahr bei diesem Anlass unsere Herzen demjenigen entgegenschlagen, der in Bethlehem aus dem reinsten Schoß Marias geboren wird, und wir uns gegenseitig wünschen, dieses zentrale Ereignis der Geschichte durch die Aufnahme des fleischgewordenen Wortes in uns gebührend zu begehen, dann hat unser Treffen in diesem Marianischen Jahr einen besonderen Charakter und gibt unserer weihnachtlichen Besinnung ein eigenes Gepräge. Das Marianische Jahr bereitet uns ja darauf vor, in diesem Advent des dritten Jahrtausends Christus entgegenzugehen, das Geheimnis seiner Menschwerdung erneut zu erleben, indem wir Maria folgen, die uns auf diesem Weg des Glaubens vorangeht. Sie war die erste Dienerin des Wortes.
Als Mitglieder der Römischen Kurie sind wir uns bewusst, dem Geheimnis der Menschwerdung zu dienen, von dem die Kirche als Leib ihren Ausgang genommen hat. In Maria, sagt Augustinus, "würdigte der eingeborene Sohn Gottes sich, die Verbindung mit der menschlichen Natur einzugehen, damit er, das makellose Haupt, sich mit einer makellosen Kirche vereine" (Serm. 191,3; PL 38,1010). Von Maria wird Christus, das Haupt, geboren, dem von da an die Kirche, sein Leib, unlösbar verbunden ist. Der ganze Leib wird geboren. Und wir, die wir Diener dieses mystischen Leibes sind und täglich den eucharistischen Leib Jesu als Nahrung empfangen, bekunden in diesem Jahr tiefste Freude über die besondere Gegenwart der Mutter Gottes im Geheimnis Christi und der Kirche, in das wir in eigener Weise eingefügt sind.
2. Wie wir wissen, hat das Zweite Vatikanische Konzil eine große Synthese zwischen der Mariologie und der Ekklesiologie vollzogen. Das Marianische Jahr folgt dieser Synthese und Inspiration des Konzils, auf dass die Kirche sich vor allem durch die Anwesenheit der Gottesmutter erneuere, die, wie die Väter lehrten, Modell, Typus der Kirche ist.
Das Konzil hat eine lichtvolle Interpretation dieser Anwesenheit der Jungfrau im göttlichen Heilsplan geboten: gerade als Werkzeug und Weg der Fleischwerdung des Wortes in der menschlichen Natur und seines Kommens zu uns ist Maria "mit der Kirche auf das Innigste verbunden. Die Gottesmutter ist, wie schon der heilige Ambrosius lehrte, der Typus der Kirche unter der Rücksicht des Glaubens, der Liebe der vollkommenen Einheit mit Christus" (Lumen gentium, Nr. 63). In der Enzyklika Redemptoris mater habe ich diesen Gedanken entwickelt und geschrieben: "Die Wirklichkeit der Menschwerdung findet gleichsam ihre Fortsetzung im Geheimnis der Kirche, des Leibes Christi. Und an die Wirklichkeit der Menschwerdung wiederum kann man nicht denken, ohne sich auf Maria, die Mutter des menschgewordenen Wortes, zu beziehen" (Nr. 5). Maria, mit Christus verbunden; mit der Kirche verbunden. Und die Kirche findet in ihr das höchste und vollkommenste Bild ihrer eigenen Sendung, die jungfräulich und mütterlich zugleich ist. Die Väter und Lehrer der frühen Kirche haben diesen zweifachen Aspekt stark unterstrichen. Noch Augustinus sagt zum Beispiel bewundernd: "Er ist der Schönste von allen Menschen, der Sohn der heiligen Maria, der Bräutigam der heiligen Kirche, die er seiner Mutter ähnlich machte: denn er machte sie sowohl uns zur Mutter, wie er sie sich als Jungfrau bewahrte" (Serm. 195,2; PL 38,1018). Die Jungfrau Maria ist wegen ihrer göttlichen Mutterschaft Urbild der Kirche, und wie Maria muss und will die Kirche Mutter und Jungfrau sein. Die Kirche lebt von diesem echten "marianischen Profil", dieser marianischen Dimension, die das Konzil nach den Aussagen der Kirchenväter und der östlichen und westlichen Theologie so zusammengefasst hat: "Die Kirche wird, in dem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Auch sie ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt und in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe bewahrt!" (Lumen gentium, Nr. 64).
Als Mutter des Wortes geht Maria dem pilgernden Gottesvolk voran
3. Dieses marianische Profil ist ebenso - wenn nicht noch mehr - grundlegend und charakteristisch für die Kirche wie das apostolische und von Petrus geprägte Profil, mit dem es zutiefst verbunden ist. Auch unter diesem Aspekt der Kirche geht Maria dem pilgernden Gottesvolk voran.
Maria ist diejenige, die, dazu bestimmt, Mutter des Wortes zu sein, beständig und vollständig in der Sphäre der göttlichen Gnade lebte und unter ihrem belebenden Einfluss blieb. Sie war Spiegel und Transparenz des Lebens Gottes selbst. Als Makellose, Gnadenvolle wurde sie von Gott für die Menschwerdung des Wortes vorbereitet, und stand ununterbrochen unter dem Wirken des Heiligen Geistes. Sie war das "Ja", war im Vollsinn das "Mir geschehe" dem gegenüber, der sie "vor Erschaffung der Welt" erwählt hatte (Eph 1,4). Sie ist es in Gelehrigkeit, in Demut, im Antworten auf die leisesten Anregungen der Gnade geblieben, und wir können wohl sagen, dass sie so im doppelten Sinn Mutter geworden ist durch die volle Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes:
"Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter" (vgl. Mk 3,35). Die göttliche Mutterschaft, das einzigartige und höchste Privileg derer, die immer Jungfrau blieb, muss in dieser Perspektive als erhabenste Krönung der Treue Marias gegenüber der Gnade gesehen werden.
Die marianische Dimension der Kirche ergibt sich aus der Ähnlichkeit der Aufgaben gegenüber dem ganzen Christus. Darauf nämlich lässt sich in besonderer Weise das Wort Jesu anwenden: "Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter" (ebd.). Auch die Kirche lebt, wie Maria, in der Gnade, fügsam gegenüber dem Heiligen Geist, in dessen Licht sie die Zeichen und Erfordernisse der Zeit deutet, und in voller Gelehrigkeit gegenüber der Stimme des Geistes schreitet sie auf dem Weg des Glaubens voran.
In diesem Sinn geht die marianische Dimension der Kirche der Petrusdimension voraus, wenn sie mit dieser auch eng verbunden ist und sie ergänzt. Maria, die Makellose, hat den Vortritt vor jedem anderen, selbstverständlich auch vor Petrus und den Aposteln: nicht nur, weil Petrus und die Apostel der unter der Sünde geborenen Menge des Menschengeschlechts entstammen und zur Kirche gehören, die "aus Sündern geheiligt ist", sondern auch, weil ihr dreifaches Amt auf nichts anderes abzielt als darauf, die Kirche nach jenem Ideal der Heiligkeit zu formen, das in Maria bereits vorgeformt und vorgestaltet ist. Ein zeitgenössischer Theologe hat es gut ausgedrückt, wenn er sagt: "Maria ist ,Königin der Apostel', ohne apostolische Vollmachten für sich in Anspruch zu nehmen. Sie hat anderes und mehr" (Hans Urs von Balthasar, Neue Klarstellungen, Einsiedeln 1979, S. 114). Von einzigartiger Bedeutung ist unter diesem Gesichtspunkt die Anwesenheit Marias im Abendmahlssaal , wo sie die Apostel in ihrem Gebet unterstützt, indem sie mit ihnen und für sie in Erwartung des Heiligen Geistes betet.
Dieses Band zwischen den bei den Charakterisierungen der Kirche, nämlich dem marianischen und dem Petrusprofil, ist also eng, tief und komplementär, wenn auch das erstere dem anderen sowohl im Plan Gottes wie der Zeit nach vorausgeht, höher ist und den Vorrang hat und reicher ist an persönlichen und gemeinschaftsbezogenen Implikationen für die einzelnen kirchlichen Berufungen.
In diesem Licht lebt die römische Kurie, sie muss darin leben, wir alle müssen darin leben. Gewiss, die Kurie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Petrusprofil. Ihrer Eigenart, ihrer Konstitution und ihrer Sendung nach ist sie zu seinem Dienst bestimmt. Die Kurie dient dem Leib der Kirche, und, sozusagen an den Scheitelpunkt gestellt, bietet sie dem Nachfolger des Petrus in seinem Dienst an den einzelnen Kirchen ihre Mitarbeit an. Und darum ist es in diesem Dienst am meisten und unumgänglich notwendig, die marianische Dimension ihres Dienstes an Petrus zu bewahren und zu stärken. Maria geht auch uns allen voran, die wir in der Kurie dem Geheimnis des menschgewordenen Wortes dienen, wie sie der ganzen Kirche vorangeht, für die wir leben. Möge sie uns helfen, diesen Reichtum, der für uns, ich möchte sagen, lebensnotwendig und entscheidend ist, immer besser zu entdecken und immer glaubwürdiger zu leben. Möge sie uns helfen, uns bewusst in diese Symbiose zwischen der marianischen und der apostolisch petrinischen Dimension einzufügen, aus der die Kirche täglich Orientierung und Rückhalt empfängt. Die Aufmerksamkeit Marias und ihrem Beispiel gegenüber führe zu ein wenig mehr Liebe, feiner Aufmerksamkeit und Gelehrigkeit gegenüber der Stimme des Heiligen Geistes, damit die innere Hingabe eines jeden von uns im Dienst des Petrusamtes noch zunehme.
4. Im Licht der Leitidee des Marianischen Jahres, die die Lehre des Zweiten Vatikanums in der Darstellung Marias als Führerin des pilgernden Gottesvolkes auf seinem Glaubensweg fortsetzt, möchte ich jetzt bei einigen besonders hervortretenden Ereignissen des zu Ende gehenden Jahres verweilen, nämlich bei der Bischofssynode, den zahlreichen Selig- und Heiligsprechungen und dem Besuch des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel.
Die Bischofssynode hat das Gesamtbild der Kirche gezeigt
Vor allem die Bischofssynode: Zwei Monate nach dem Abschluss der Arbeiten sehen wir immer klarer, dass sich aus den Beiträgen und Arbeiten der Synodenväter das Gesamtbild der Kirche ergeben hat: wie sie lebt, wie sie arbeitet, wie sie betet, wie sie leidet, wie sie kämpft, wie sie Christus nachfolgt. Die Synode hat wirklich das Bild dieses auf Erden pilgernden Volkes dargeboten und darum auch jenes Teils des Gottesvolkes, den die Laien in dem ihnen eigenen, kennzeichnenden Bereich darstellen. Auf diesem Pilgerweg ist es noch immer die Muttergottes, die ihren Kindern vorangeht bei ihrer Aufgabe, "in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen" im Geist der Seligpreisungen (Lumen gentium, N r. 31). Die marianische Präsenz in der Sendung der Laien, auf ihrem Glaubensweg, ist die Linie, die jenes Große Ereignis bestimmt und erläutert.
Je größer der Abstand von der Synode im vergangenen Oktober wird, um so besser lässt sich ihr positives Resultat feststellen, nicht nur insofern sie die Lehre der großen Dokumente des Zweiten Vatikan ums bestätigt hat, sondern auch, weil sie die Ekklesiologie der Gemeinschaft als notwendigen Kontext betonte, um die Rolle der Laien in der Kirche zum Heil der Welt einzuordnen. Zu diesem Ergebnis hat die Mitarbeit der Laien selbst wirksam beigetragen, sei es, weil jeder der Synodenväter ihre Stimme vertrat, sei es, weil die Laien, Männer und Frauen, durch ihre bemerkenswerte und qualifizierte Vertretung bei der Synode aktiven Beitrag leisteten, in den Vollversammlungen sprachen und in den "circuli minores" intensiv zusammenarbeiteten. So kam ein wirklich universales Bild der verschiedenen Wirklichkeiten zustande, die die wahre Gestalt der Kirche von heute darstellen. Wie bei den vorausgegangenen Synoden wird es meine Pflicht sein, den Hinweisen, die sich in diesen unvergesslichen Tagen ergeben haben, Folge zu leisten.
Einstweilen unterstreiche ich bei unserer heutigen Begegnung mit Freude, dass dieser Reichtum und diese Vielfalt der Ergebnisse das Zeichen dafür sind, dass die Kirche wirklich offen ist für die Stimme des Geistes, unterwegs auf dem Weg des Glaubens und der Liebe und immer mehr ihrer Verantwortlichkeit vor Gott und vor der Welt bewusst. Maria ist auf diesem Weg der Laien anwesend, um sie zu führen, wie sie uns alle dem Kommen Christi entgegenführt.
5. Das Zweite Vatikanum hat die Gottesmutter ferner als diejenige gezeigt, in der die Kirche bereits ihr Endziel erreicht hat: "Im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, (ist sie) Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche" (Lumen gentium, Nr. 68). Diese Aussage fasst zusammen, was die dogmatische Konstitution über die Kirche bereits erklärt hatte, als sie den "endzeitlichen Charakter der pilgernden Kirche und ihre Einheit mit der himmlischen Kirche" (vgl. Nr. 7) und "die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche" (Nr. 5) behandelte. In der "Fülle der Zeit" stellt Maria in der Gnade ihrer unbefleckten Empfängnis in sich den Heilsplan Gottes wieder her, den die Sünde zerrüttet hatte, und mit ihrem heiligsten Leib - Arche des neuen und ewigen Bundes - in den Himmel aufgenommen, herrscht sie schon mit Christus in der seelisch-leiblichen Einheit ihrer Person.
Sie ist also nach Christus, dem "Erstgeborenen der Toten" (Offb 1,5; vgl. Kai 1,18), diejenige, die der Kirche auf dem Weg zur endzeitlichen Vollendung der Heiligkeit vorangeht, und die sie in dieser Fülle ohne Ende erwartet. Bei ihr aber befinden sich, in Erwartung der Auferstehung, schon alle jene, die nach dem Urteil der Kirche schon im Himmel sind. Sie haben in sich selbst den Plan Gottes verwirklicht und den "Erfolg" jeder menschlichen Existenz erreicht: das Erlangen der innigsten Verbundenheit mit Christus (vgl. Lumen gentium, Nr. 49).
Die Heiligen und Seligen zeigen die auch heute noch aktuelle Berufung der Kirche zur Heiligkeit
Den Gedanken in diesem Marianischen Jahr zur Königin aller Heiligen erhoben, erinnere ich nun an die zwei Heiligsprechungen und die elf Seligsprechungen, die, 1987 in so großer Zahl, vielleicht in außergewöhnlicherer Weise als sonst gezeigt haben, wie real, wahr und aktuell die allgemeine Berufung der Kirche zur Heiligkeit ist, wobei die ethnische und berufliche Pluralität gut sichtbar wurde.
Ja, die neuen Heiligen und Seligen gehören verschiedenen Berufungen im Gottesvolk an: unter ihnen sind Kardinäle, wie Marcello Spinola y Maestre (28.3.) und Andrea Carlo Ferrari (10.5.); Bischöfe wie Michael Kozal (14.6.) und Jurgis Matulaitis (28.6.); Priester und Ordensmänner, wie ]]Manuel Domingo y Sol]] (29.3.), Rupert Mayer (3.5.), Pierre-Francois Jamet (10.5.) und Jules Arnould Reche (1.11.); Laien, Männer und Frauen, wie ]]Lorenzo Ruiz]] (18.10.), Giuseppe Moscati (25.10.) und viele andere aus allen Berufen und Handwerken, auch den bescheidendsten; ein Zeugnis, das in verschiedensten Verhältnissen gegeben wurde von Hirten und Dienern der Kirche, von Ärzten, Erziehern und Verkündern des Evangeliums.
Nicht selten handelte es sich um das schwerste und erhabenste Zeugnis, nämlich das des Martyriums, wie bei den drei Karmelitinnen von Guadalajara (29.3.), bei Edith Stein (1.5.) und Karolina Kozka (10.6.), bei Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina (4.10.), bei den 16 Märtyrern von Japan (18.10.) und den 85 englischen Märtyrern (22.11.).
Im übrigen hat ein guter Teil der neuen Heiligen und Seligen in unserem Jahrhundert gelebt, sie sind uns Zeitgenossen. Wahrhaftig, die Heiligen sind noch unter uns und beweisen, dass die Kirche auch heute noch zur Heiligkeit berufen ist und, angeregt und geführt von Maria, hochherzig auf diesen Ruf antwortet.
Sie gehören auch verschiedenen Nationen der verschiedenen Kontinente an: Frankreich, Spanien, Deutschland, Italien, Großbritannien, Polen, Litauen, Japan, Philippinen und Chile: die letzten Seligsprechungen und Heiligsprechungen hatten also universale Bedeutung auch vom geographischen Gesichtspunkt aus.
6. In dieser Hinsicht betrachte ich es als eine Gnade des Herrn, dass ich, wiederholten Bitten der Ortsbischöfe entgegenkommend, einige dieser Glaubenshelden in der sozialen Umwelt, in der sie gelebt haben, zur allgemeinen Verehrung der Kirche vorstellen konnte. So war es mir bei einigen der apostolischen Reisen dieses Jahres gegeben, nämlich im Fall von Schwester Teresa de los Andes in Santiago de Chile (3.4.), von Schwester Teresa Benedetta della Croce in Köln (1.5.), Pater Mayer in München, Bayern (3.5.), Karolina Kozka in Tarnow (10.6.) und Bischof Kozal in Warschau (14.6.).
Die apostolischen Reisen sind Ausführung des Auftrages Christi
Die immer häufigere Möglichkeit, die heroische Heiligkeit von Söhnen und Töchtern der Kirche im Verlauf meiner Besuche in den verschiedenen Ländern der Welt öffentlich zu proklamieren, bestätigt mir, dass diese Reisen einen besonderen Dienst auf dem Pilgerweg des Gottesvolkes darstellen, das heißt, dieser Pilgerschaft zum endgültigen Reich Christi, bei der Maria der Kirche an den verschiedenen Orten der Erde vorangeht. Denn die Reisen sind, mit der Hilfe Gottes, die konsequente Ausführung des Auftrags Christi: "Geht hinaus in die ganze Welt!" (Mk 16,15) und dessen, was gerade dem Petrus aufgetragen ist: "Stärke deine Brüder!" (Lk 22,32). Sie haben eine noch größere Ausstrahlungskraft gerade bei der Ausübung des so hohen und feierlichen Amtes, der Kirche die echten Beispiele der ihr eigenen Heiligkeit zur Nachahmung vorzustellen. Sie geben darüber hinaus vor der Welt die Probe dafür ab, dass die Heiligkeit allen Völkern, in allen Kulturen und in allen Breiten möglich ist.
7. Die Enzyklika Redemptoris mater hat, dem Konzil folgend, unterstrichen, dass die Pilgerschaft der Kirche, bei der die Muttergottes ihr vorausgeht, einen offensichtlich ökumenischen Zug aufweist.
Für die getrennten Brüder der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Abendlandes hebt das Dokument hervor, wie sie auf dem Weg des Glaubens, für den Maria ein Beispiel ist, zusammen voranschreiten können, ja es auch zu tun wünschen. Ein erfreuliches Vorzeichen dafür erblickt es in der Tatsache, dass diese Kirchen "in grundlegenden Punkten des christlichen Glaubens, auch was die Jungfrau Maria betrifft, mit der katholischen Kirche übereinstimmen" (Redemptoris mater, Nr. 30). Die Enzyklika unterstreicht dann auch die Übereinstimmung von historischen, theologischen, liturgischen und künstlerischen Zeugnissen der orthodoxen Kirche und der alten Ostkirchen hinsichtlich ihrer theologisch tiefen und menschlich feinstimmigen Verehrung der Theotokos (ebd., Nr. 31-33).
In diesem Licht gewinnt das Kommen Seiner Heiligkeit des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. nach Rom vom vergangenen 3. bis 7. Dezember eine besondere Bedeutung. Ich hatte die große Freude, ihn in brüderlicher Liebe und mit der ihm geschuldeten Ehre im Vatikan zu empfangen. Es war ein Besuch kirchlicher Gemeinschaft, eine Erwiderung jenes Besuches, den ich dem Ökumenischen Patriarchat zum Fest des heiligen Andreas 1979 abgestattet hatte mit der ausdrücklichen Absicht, zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen beizutragen.
Das Ereignis hat der weiteren Reifung des Verständnisses zwischen Katholiken und Orthodoxen seit dem Konzil voll Rechnung getragen, wie auch den Resultaten des positiven theologischen Dialogs, der im Gang ist. So konnten wir bei der Eucharistiefeier in der Petersbasilika zusammen beten, und im Geist dieses Marianischen Jahres haben wir auch in der Basilika Santa Maria Maggiore miteinander beten können. In seiner Marienpredigt hat Patriarch Dimitrios hervorheben wollen, wie "unsere beiden Schwesterkirchen die Jahrhunderte hindurch die Glut der Frömmigkeit zur hochverehrten Person der ganz heiligen Gottesmutter unauslöschlich wachgehalten haben". Dies ist ein starkes Band gemeinsamer Traditionen, das uns vereint. Wenn auch im Lauf der Zeit Unterschiede zustande gekommen sind, die gewiss im Dialog geklärt werden, so bildet doch "das gemeinsame dogmatische und theologische Erbe, das sich um die Person der ganz heiligen Gottesmutter entfaltet hat, eine Achse der Einheit und der Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile". Um die ganze positive Bedeutung dieser Aussicht zu unterstreichen, wollte Patriarch Dimitrios vorschlagen, dass "das Thema Mariologie im theologischen Dialog zwischen unseren Kirchen einen zentralen Platz einnehme und sowohl vom christologischen wie auch vom anthropologischen und besonders vom ekklesiologischen Gesichtspunkt aus untersucht werde für die volle Wiederherstellung unserer kirchlichen Gemeinschaft, um die wir beten, für die wir uns einsetzen und auf die wir voll großer Erwartung blicken".
Dieser Gedanke trifft unmittelbar die Aussichten der Enzyklika Redemptoris mater. Das freut mich zutiefst, und ich gebe der Überzeugung Ausdruck, dass auch in diesem Punkt der Besuch des Patriarchen einen tiefgreifenden, positiven Impuls in den Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen gegeben hat. Die Begegnung in Liebe lässt uns die Wahrheit besser erkennen und in Hoffnung leben. Ehre sei Gott!
Die Kirche soll wieder mit "zwei Lungen" atmen, mit Orient und Okzident
Das Interesse, ich möchte sagen, der Enthusiasmus den dieser Besuch hervorgerufen hat, veranlasst mich, den Wunsch zu wiederholen, dass die Kirche "wieder ganz mit ,zwei Lungen', atmet: mit Orient und Okzident ... Dies ist heute mehr denn je notwendig ... Es wäre für die pilgernde Kirche auch der Weg, ihr Magnifikat vollkommener zu singen und zu leben" (Redemptoris mater, Nr. 34).
8. Am Schluss unseres Treffens möchte ich gern die Gelegenheit benutzen, um offiziell die nicht mehr ferne Veröffentlichung einer Enzyklika zum Gedenken an das zwanzigste Jahr nach dem Erscheinen des Rundschreibens Populorum progressio von Paul VI. anzukündigen. Populorum progressio hat eine grundlegende Etappe im Leben der Kirche in unserer Zeit gekennzeichnet und hat tiefreichenden Widerhall in der öffentlichen Meinung geweckt. Diese Enzyklika hat ein neues Zeichen gesetzt für die lebendige Präsenz der Kirche in den dramatischen Situationen der Entwicklung und des Friedens in der Welt. Indem die kommende Enzyklika an die fortdauernde Aktualität jenes großen Dokumentes erinnert, beabsichtigt sie auch, die neue Thematik aufzugreifen und auf die neuen Probleme einzugehen, die, den gleichen Gegenstand betreffend, sich dem Bewusstsein des heutigen Menschen stellen; sie möchte also die Linie von Populorum progressio fortsetzen und ihre Idee weiterverfolgen.
Die Kirche ist darum bemüht, "mit den Menschen unserer Zeit zusammenzugehen"
Auch dies unterstreicht, wie sehr es der Kirche darum zu tun ist, mit den Menschen unserer Zeit zusammenzugehen. Deshalb vertraue ich diese Enzyklika, die mir so sehr am Herzen liegt, schon jetzt der heiligen Jungfrau an, damit das Schreiben in der Gesellschaft Antwort finde und neue, konkrete Entschlüsse zur internationalen Zusammenarbeit für die brüderliche Verständigung unter den Nationen und für die Förderung der wahren Entwicklung gemäß dem Plan Gottes wachrufe.
9. In dieser Sicht, die wir in unserem Geist lebendig halten müssen, spreche ich heute erneut meinen Dank und meine Segenswünsche zu Weihnachten aus. Sie gelten euch allen, die ihr in jedem Rang und jedem Grad dem Heiligen Stuhl in der Römischen Kurie, der Diözese Rom im Vikariat und der Vatikanstadt wirksame und geschätzte Mitarbeit leistet. Sie gelten den Päpstlichen Vertretern und dem diplomatischen Personal, das sie in ihrer Sendung unterstützt, und sie erstrecken sich auch auf eure Lieben, mit einem besonderen Gedanken an die Familien, die ein Leid zu tragen haben, körperlich oder geistig. Jesus, der kommt, möge allen seine Gnade und seinen Frieden bringen.
Das Christkind, das wir, wie die Hirten und die Magier in den Armen seiner Mutter finden, ist das Licht der Welt und das Licht unseres Lebens: "Er ist Licht unserem Geist", wie der heilige Augustinus sagt (Quaest. Evangeliorum 1,1; PL 35,1323). Sein Licht leite den Dienst, den wir dem Geheimnis der Menschwerdung leisten, in das in besonderer Weise sie, seine und unsere Mutter, die Mutter der Kirche einbezogen ist. Sie wird uns an der Hand nehmen und uns helfen, in unserem kirchlichen Dienst, in dem sie uns immer "vorausgeht", treu zu sein. In jener Liebe, die unmittelbar vor den Festtagen besonders tief und stark ist, segne ich euch alle.
1988
am 22. Dezember mit dem Thema: Dank für Freuden und Prüfungen
Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige und liebe Mitbrüder !
1. "Im Kreislauf des Jahres erneuert sich für uns wieder das erhabene Geheimnis unseres Heiles, das am Anfang verheißen und in der Fülle der Zeiten verwirklicht wurde, um ohne Ende anzudauern" (heilige Leo der Große, Homilie zum Geburtsfest des Herrn, XXII,!). Diese Worte des heiligen Leo des Großen kennzeichnen eindrucksvoll das Klima, das unsere Begegnung bestimmt, die nach schöner Gewohnheit in der Zeit der Erwartung stattfindet, während der die Kirche sich anschickt, das Ereignis der Geburt Jesu des für das Heil der Welt im reinsten Schoß der Jungfrau Maria menschgewordenen Wortes neu zu erleben.
Ich danke dem Herrn Kardinal-Dekan für seine Worte. Er hat darin zum Ausdruck gebracht, was jeder bei dieser Begegnung empfindet, die im Verlauf der anspruchsvollen Tätigkeiten eines jeden Tages eine Pause von familienhafter Intimität ist. Von Herzen erwidere ich die Glückwünsche für Sie, ehrwürdiger Bruder, für die Mitglieder des heiligen Kollegiums und für euch alle, meine Mitarbeiter der römischen Kurie, des Vikariates von Rom und des Governatorates der Vatikanstadt. Meine Gedanken gehen in diesem Augenblick auch in lebendiger Verbundenheit zu den Päpstlichen Vertretungen und dem Personal im diplomatischen Dienst, die in den verschiedenen Teilen der Welt die universale pastorale Sorge des Nachfolgers des Petrus präsent machen.
Allen fühle ich mich geistlich nahe; allen spreche ich Empfindungen aufrichtiger Anerkennung aus; über euch alle rufe ich reiche Gaben der Freude und des Friedens von Dem herab, den wir in der Krippe von Bethlehem zu empfangen, uns vorbereiten.
Die Nähe des Weihnachtsfestes und das schon bevorstehende Ende des Jahres laden uns, ehrwürdige Brüder, ein, rückschauend wie in einem geistlichen Überblick die Hauptereignisse zu bedenken, die das Leben der Kirche während der vergangenen Monate gekennzeichnet haben. Der Glaube sagt uns, dass Gott die Geschichte der Menschen mit unendlicher Weisheit lenkt, die "von einem Ende bis ans andere reicht und alles stark und milde zugleich ordnet". Und wenn wir in Gedanken die verflossenen Ereignisse durchgehen, können wir nicht nur den Plan der Vorsehung, der sich in ihnen fortschreitend entfaltet hat, besser erkennen, sondern auch zu Vorsätzen für eine noch hochherzigere Antwort auf die immer wunderbaren Initiativen der barrnherzigen Liebe Gottes für uns kommen.
2. Das erste Ereignis, dem sich die Erinnerung spontan zuwendet, ist der Abschluss des Marianischen Jahres. Es hat die Christen mit innigerem Vertrauen um die allerseligste Jungfrau geschart, um ihr immer näher auf dem Weg des Glaubens zu folgen, täglich bemüht um Treue zu Christus und zur Kirche, die sich schon jetzt auf die Feier des zweiten Jahrtausends seit der Geburt des Erlösers vorbereitet. Das rituell bereits abgeschlossene Jahr bleibt deswegen in den Herzen und Gewissen ein offener Weg.
Das Geschenk dieser, mit Maria erlebten Zeit der Gnade hat in den Einzelkirchen eine Fülle von Initiativen geweckt. Sie waren darauf ausgerichtet, die Kenntnis über die Sendung Marias im Heilsgeheimnis Christi zu vertiefen und die Gläubigen zu ermuntern, ihrem Beispiel noch hochherziger zu folgen, zum Dienst für die Kirche und die Gemeinschaft der Menschen, durch das Zeugnis der Liebe. Im Geist von Kapitel VIII der Konstitution Lumen gentium wurden nicht nur die Feste und liturgischen Zeiten ausgewertet, es wurden auch kulturelle und religiöse Initiativen durchgeführt, um die Gestalt Marias in allen Einzelaspekten herauszustellen: Initiativen von Bischofskonferenzen und einzelnen Bischöfen, Feiern, Wallfahrten, Kongressen, Tage des Studiums und der Reflexion, Veröffentlichungen sowie Förderung eines neuen Interesses für die Mariologie an den theologischen Fakultäten und Seminaren.
Die marianischen Heiligtümer waren geistliche Mittelpunkte des ganzen Eifers, der sich im Bereich dieses der heiligen Jungfrau geweihten Jahres entfaltet hat, und ihre Rolle bei der Durchführung seiner Zielsetzungen hat sich als außerordentlich wichtig erwiesen. Vor allem war das Marianische Jahr eine Anregung zur Erneuerung der Katechese über die heilige Jungfrau, und es hat darüber hinaus eine größere Aufmerksamkeit für Maria in der biblischen, theologischen und anthropologischen Reflexion geweckt. In den Rahmen dieses vertiefenden Überdenkens gehört auch das Apostolische Schreiben Mulieris dignitatem, in dem ich versucht habe, die Botschaft der Offenbarung über Würde und Berufung der Frau in Kirche und Gesellschaft zusammenzufassen.
Die Hinweise, die sich im Verlauf dieser Monate ergeben haben, regen uns an, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und die Jahre, die uns noch vom großen Jubiläum trennen, mit Maria und wie Maria zu leben. An der Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends muss sich jede Einzelkirche besonders um echte Erneuerung bemühen, und niemand kann dabei besser helfen als Maria. Sie hat als erste die Menschwerdung des Wortes in ihrem Schoß erfahren und kann daher dem Gläubigen aufzeigen, wie man Christus im eigenen Leben aufnimmt, und wie man ihn dann den Brüdern schenkt, um sie in seine Fülle einzuführen.
3. Das Marianische Jahr hat ferner zugleich eine besondere ökumenische Dimension gehabt, wie ich es ausdrücklich in der Enzyklika Redemptoris mater (vgl. Nr. 29-34) gewünscht hatte. An verschiedenen Orten wurden nämlich gemeinsame Feiern zwischen Katholiken und Orthodoxen veranstaltet. So hatte ich am Tag der Verkündigung des Herrn, am 25. März, an dem Tag, da die orthodoxen Kirchen den Akáthistos Hymnus singen, die Freude, mit Vertretern der katholischen orientalischen Kirchen am Gesang dieses herrlichen und uralten liturgischen Hymnus teilzunehmen. Mit lebhaftem ökumenischem Empfinden wurde auch das Jahrtausend seit der Taufe der Rus von Kiew begangen. Was sich in diesem Land vor tausend Jahren zutrug, war ein Ereignis von größter historischer Bedeutung: das bestätigen die daraus erfolgten Auswirkungen nicht nur auf dem religiösen Gebiet im engeren Sinn, sondern auch im kulturellen und sozialen Bereich. Wie ich in dem bei dieser Gelegenheit veröffentlichten Apostolischen Schreiben gesagt habe, wurde ja bei jenen Völkern ein Same ausgesät, "der dazu bestimmt war, zu keimen und sich auf der Erde zu entfalten, in die er eingesenkt worden war, und sie nach dem Maß seiner Entwicklung umzuformen, indem er sie befähigte, neue Früchte hervorzubringen" (Euntes in mundum, Nr. 5). Daher habe ich in der an die katholischen Ukrainer gerichteten Botschaft betont, dass von der Taufe der Rus "nicht nur die christliche, sondern auch die kulturelle Identität des ukrainischen, russischen und bielorussischen Volkes und infolgedessen ihre Geschichte" herstammen (Magnum baptismi donum, Nr. 1).
Das Bewusstsein von diesen Zusammenhängen musste den Feiern eine besondere Gestalt geben: in ihnen galt es vor allem Gott für die wunderbaren Initiativen zu loben, mit denen er durch seine Dienerin Olga und Wladimir neue Völker zum Eintritt in sein Reich der Heiligkeit und der Liebe berufen hat. Daher kam der bezeichnendste Titel der Feiern im Gebet zum Ausdruck. So war es bei der Schwesterkirche des Patriarchates von Moskau, die bei ihrer Danksagung die ganze christliche Welt an ihrer Seite haben wollte. Ich bin auf die Einladung eingegangen und habe mit Freuden als Vertretung der katholischen Kirche eine große Gesandtschaft unter Führung von Kardinal- Staatssekretär Agostino Casaroli und Kardinal Johannes Willebrands, Präsident des Sekretariates für die Einheit der Christen, abgeordnet. Ich selbst habe ferner, vereint mit den Söhnen des heiligen Wladimir der Kirche von Kiew, die sich in voller Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus befinden, das Ereignis in der Vatikanischen Basilika in einem feierlichen Dankgottesdienst begangen.
Bei dieser Gelegenheit wurde herausgestellt, dass die Taufe der Rus in einer Zeit erfolgte, da sich zwar die östlichen und die westlichen Formen des Christentums schon ausgebildet hatten, die Kirche aber weiter in ihrem ganzen Umfang ungeteilt blieb. Das Jahrtausendgedächtnis, das unsere Herzen in jene von Gott mit so reichen Gnaden gesegneten Ursprünge zurückversetzt hat, musste daher in jedem echten Jünger Christi das Heimweh nach der ursprünglichen Gemeinschaft wecken und jeden zu neuem Eifer anspornen, im Bemühen die volle Einheit der beiden Schwesterkirchen möglichst bald wiederherzustellen.
Ein wichtiger Beitrag waren in diesem Sinn auch die eifrigen Studien, die das Jubiläum geweckt hat. Es wurden kulturelle Kongresse und andere Initiativen veranstaltet, an denen Gelehrte aus ganz Europa und Amerika in einer Art Ökumene der historischen Wissenschaften teilgenommen haben, und die gewiss zum Fortschritt nicht nur dieser Disziplinen, sondern auch zum gegenseitigen Kennenlernen der Personen und Kirchen beigetragen haben.
Indem ich Gott, dem Herrn der Geschichte, noch einmal für die Freude dieser Tausendjahrfeier danke, bitte ich ihn zugleich inständig, den Einsatz aller für die Religionsfreiheit zu stärken als Voraussetzung und Fundament zu einer ausgewogenen Lösung der Probleme, die jene Völker noch plagen.
4. In diesem Jahr fiel auch der zwanzigste Jahrestag seit der Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae: Der Heilige Stuhl hat sich verpflichtet gefühlt, in Zusammenarbeit mit den Episkopaten der verschiedenen Länder das besondere Zeugnis über die Wahrheit vom Menschen und der menschlichen Liebe in Erinnerung zu rufen, das Papst Paul VI. im Juli 1968 der Welt mit diesem seinem mutigen Dokument gegeben hat. Der Päpstliche Rat für die Familie hat zu diesem Zweck eine Begegnung mit Vertretern der Bischofskonferenzen veranstaltet, bei der über die heute besonders dringliche Aufgabe nachgedacht wurde, die die eheliche Liebe als ein von Gott der Verantwortung von Mann und Frau anvertrautes Geschenk hat. Indem sie die Ehegatten an diese grundlegende Wahrheit erinnert, ruft sie ihnen nur den Sinn für ihre personale Würde und für die Gefahren in Erinnerung, denen diese ausgesetzt ist. Die außerordentlichen Fortschritte der Wissenschaften und die Ergebnisse, die auf ihrer Grundlage die Technik auf dem Gebiet der Biogenetik erzielt, bieten auf der einen Seite therapeutische Möglichkeiten, die gestern noch undenkbar waren. Sie bringen aber auch schwere Gefahren mit sich, die Person zu "degradieren": Einige ihrer Anwendungen setzen nämlich die Überzeugung voraus, dass die Person nicht Frucht der Liebe zweier Menschen sein muss, die in der unauflöslichen Gemeinschaft der Ehe zur Teilhabe an Gottes Schöpfermacht berufen sind, sondern einfach von der Technik "produziert" werden darf.
In diesem Zusammenhang hat sich mit steigender Deutlichkeit im Verlauf dieser Jahre der prophetische Wert der Enzyklika Humanae vitae gezeigt, und auf ihrer Linie wollte sich auch das Apostolische Schreiben Familiaris consortio bewegen. Es geht um die Verteidigung des Humanum in einer seiner wesentlichen Dimensionen. Es kann kein echter Fortschritt vorliegen, wenn das Humanum aufs Spiel gesetzt wird. Der Gläubige weiß im übrigen, dass der glaubwürdigste Garant der Würde der Person Gott selbst ist, der dem Menschen bei seiner Erschaffung sein eigenes Bild eingeprägt hat.
Der Mensch von heute vernimmt in dieser Hinsicht aber viele Stimmen. Die Deutungen, die ihm über seine Natur und seine Bestimmung vorgelegt werden, widersprechen sich oft gegenseitig. Das Ergebnis ist ein verbreitetes Empfinden der Verlorenheit, das normalerweise zum persönlichen Rückzug führt und zum Zufriedensein mit Verhaltensweisen, die von der Mode des Augenblicks verbreitet werden. Wenn diese aber grundlegende Aspekte des Humanum berühren, steht die Würde der Person selbst auf dem Spiel, wird gefährdet und oft auch missachtet. Die Verhaltensweise dagegen, zu der Humanae vitae genaue Weisungen gegeben hat, ist eng mit einem dieser grundlegenden Aspekte des Humanum verbunden. Wenn die Enzyklika weiter auf Unverständnis und Kritik stößt, zeigt das, wie notwendig eine weitere Förderung des Verständnisses der substantiellen Tiefe des Problems ist. Daher das Bemühen der Kirche, die die ganze Schwere dieser Situation spürt und sich ihren Aufgaben als Mutter und Lehrerin nicht entzieht.
5. Sie entzieht sich tatsächlich auch auf keinem anderen Gebiet ihrer Pflicht, wo der Mensch mit seiner Zukunft auf dem Spiel steht: der Mensch als Person und der Mensch als Gemeinschaft. Gerade deswegen wollte ich die Sorge der Kirche für die soziale Dimension des Menschen zum Ausdruck bringen und zur Feier des zwanzigsten Jahrestages einer weiteren Enzyklika Pauls VI., nämlich von Popolorum progressio, in einem besonderen Dokument des Lehramtes das Problem der Entwicklung behandeln. Die Enzyklika Sollicitudo rei socialis hat im Verlauf dieses Jahres ein weites Echo auch bei den Verantwortlichen der bürgerlichen Gesellschaften und bei internationalen Institutionen gefunden, ferner zahlreiche Studientagungen angeregt, bei denen die Fachleute in der Materie den Beitrag ihrer Überlegungen zu den verschiedenen Aspekten der zeitgenössischen Gesellschaft vorgelegt haben.
Ich spreche den Wunsch aus, dass Dank dem tatkräftigen Einsatz aller Menschen guten Willens eine Entwicklung der Gesellschaft stattfinden möge, die die menschliche Person in all ihren Dimensionen berücksichtigt. Hier steht das Humanum in der Dimension der Gesellschaft und der ganzen Menschheit auf dem Spiel.
6. Niemandem entgeht es, dass mehr als in jeder anderen Epoche die Kirche sich heute Aufgaben gegenübersieht, die eine vielleicht bisher nie gekannte Wichtigkeit, Ausdehnung und Vielfalt aufweisen. Es sind Herausforderungen, auf die sie antworten muss, und bei denen sich zumal der Heilige Stuhl kraft des petrinischen Dienstes angesprochen fühlt. Das hat eine Überarbeitung der Struktur der Römischen Kurie nahegelegt, um ihr Wirken entsprechend den heutigen Bedürfnissen der Kirche besser anzupassen. Im Konsistorium vom 28. Juni hatte ich die Freude, unter die Apostolische Konstitution Pastor bonus meine Unterschrift setzen zu können und damit eine lange Studien - und Beratungsarbeit abzuschließen. In der Einleitung habe ich geschrieben: "Mein Anliegen war ein resolutes Vorangehen, damit Ordnung und Tätigkeit der Kurie immer mehr der Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils entsprechen und immer mehr in der Lage sind, die pastoralen Zielsetzungen der Kurie zu erreichen, um so immer konkreter den Bedürfnissen der kirchlichen und zivilen Gesellschaft entgegenzukommen" (Nr. 13). Die Kurie ist ihrer Natur nach mit dem Petrusdienst verbunden und als solche zum Dienst für die universale Kirche und die Einzelkirchen da, für das Bischofkollegium und die Bischofskonferenzen. Ihr Ziel ist daher eine Verstärkung der Einheit und Gemeinschaft des Volk Gottes und die Förderung der besonderen Sendung der Kirche in der Welt.
Aus dieser Zielsetzung ergibt sich die besondere Gestalt der Dikasterien und damit das besser umschriebene Typische eines jeden von ihnen bzw. der Organe. Daher wurden die neuen konziliaren und nachkonziliaren, zur Förderung bestimmter Anliegen geschaffenen Strukturen juridisch den alten Kongregationen gleichgestellt, die Regierungs-, Jurisdiktions- und Exekutivaufgaben haben. Aus der genannten Zielsetzung ergaben sich ferner die juridischen Neuerungen, die die gegenseitige Zusammenarbeit der Dikasterien fördern und verstärken sollen, endlich die Betonung der Beziehungen zum Episkopat als ganzem und zu den einzelnen Bischöfen, deren "Besuche ad limina" als besondere Momente der "Sorge für alle Kirchen" und als "kollegiale Verbundenheit" aufgefasst werden, die zwischen dem Nachfolger des Petrus und seinen Mitbrüdern , den Nachfolgern der Apostel, besteht. Wenn der Petrusdienst eine Diakonie der Liebe und deshalb der Papst zugleich "Diener der Diener Gottes" ist, dann kann die Kurie nur die konkrete Ausprägung dieser Diakonie und dieses Dienstes sein, nach dem Beispiel Christi, des Guten Hirten, der für seine Schafe das Leben hingibt. Es war daher meine Ansicht, die pastorale Dimension der Kurie immer deutlicher und wirksamer zu machen, nicht nur in ihren Zielsetzungen, sondern auch in dem Geist, der jene beseelen muss, die dort arbeiten (vgl. Apost. Konst. Pastor bonus, Nr. 33). Während ich ihnen daher auch bei dieser Gelegenheit meine Dankbarkeit ausspreche, erinnere ich sie zugleich daran, dass ihre Arbeit eine kirchliche Verantwortung mit sich bringt, die man in einem tiefen und ständigen Glaubensgeist leben muss. Ihre Mitarbeit mit dem Apostolischen Stuhl - wie auch mit jenen, die in den verschiedenen Organen, die die Verwaltung des Apostolischen Stuhles bilden, tätig sind - erschöpft sich daher nicht in einem Verhältnis des Gebens und Nehmens, wie es bei den Organen der bürgerlichen Gesellschaft sein mag, sie ist vielmehr ein Dienst, der Christus in seinen Brüdern und Schwestern geleistet wird.
Die Erneuerung der Gesetze der Kirche, wie sie von Papst Johannes XXIII. und von Papst Paul VI. sowie vom II. ökumenischen Vatikanischen Konzil gewollt wurde, hat damit ihren Endabschnitt erreicht: Der Codex des Kirchenrechtes ist bereits in Kraft; der Codex des orientalischen Kirchenrechtes steht kurz vor der Veröffentlichung; und als wesentlicher Teil für beide gilt die Apostolische Konstitution Pastor bonus. Die Verbesserung, die sie für die juridischen Strukturen gebracht hat, genügt bei all ihrer Notwendigkeit freilich allein nicht, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Alle, die dem Apostolischen Stuhl dienen, müssen sich an ihren verschiedenen Plätzen als verantwortlicher Teil einer besonderen Arbeitsgemeinschaft fühlen, die eine ganz bestimmte kirchliche Sendung hat und sich bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt weiß durch den Geist gegenseitiger Liebe und ständigen missionarischen Eifer.
7. Andere Ereignisse, auf die ich nur kurz eingehen möchte, erfüllen mein Herz am Ende dieses Jahres mit Trost. Unvergesslich sind mir meine apostolischen Besuche in Italien und außerhalb, zumal die Pastoralreisen nach Lateinamerika, ins südliche Afrika, nach Österreich und nach Straßburg.
Ebenso bleibt das große kirchliche Erlebnis in Erinnerung, das wir am vergangenen 28. und 29. Juni mit der Kreierung von 24 neuen Kardinälen erfahren durften.
Das Zeugnis der Heiligkeit der Kirche aber wurde erneut immer wieder durch die zahlreichen Heilig- und Seligsprechungen fortgesetzt, die im Verlauf dieses Jahres stattfanden und den Gläubigen aus aller Welt hervorragende Gestalten der Liebe zu Gott und der tatkräftigen, opferbereiten Liebe zum Nächsten vor Augen gestellt haben.
Für alles sei erneut dem Herrn und der seligen Jungfrau gedankt.
8. Ehrwürdige Brüder! In diesem Bild, so reich an lebhaften und anregenden Erfahrungen, die den Ablauf des zu Ende gehenden Jahres mit Licht erfüllt haben, fehlten leider nicht die Schatten, die dem Herzen Schmerz und Sorge bereiten.
a) Es ist vor allem der nicht gelungene Versuch, ein neues, objektives Schisma von Seiten einer gut bekannten Gemeinschaft zu vermeiden. Die Verhandlungen wurden mit großer Geduld und Liebe geführt, in Achtung vor der Würde der Personen und im ständigen Bemühen, dem Heiligen Geist treu zu bleiben, der der Kirche immer beisteht und sie mit besonderer Liebe beim II. Vatikanischen Konzil geführt hat. Die katholische Kirche ist sich sicher, alle Wege gegangen zu sein, die ihr Wahrheitsbewusstsein zuließ. Sie hat auch immer das subjektive Empfinden und die Reaktionen gewürdigt, die bedauerliche Missbräuche wecken konnten.
Doch das alles hat leider nicht den gewünschten Erfolg gehabt: es ließ sich daher der von tiefem Schmerz begleitete Rückgriff auf die schwerste kanonische Strafe nicht vermeiden. Ich wollte jedoch nicht, dass dies das letzte Wort bliebe. In dem Wunsch, allen zu helfen, die von rechter Absicht und Liebe zur Kirche geleitet, sich von einer solchen Geste des Bruches distanzieren wollten, habe ich die Aufstellung einer eigenen Kommission für angebracht gehalten, die den entsprechend eingestellten Gläubigen den Ausdruck der positiven Werte ihrer eigenen kulturellen und geistlichen Formung innerhalb der Kirche gestatten durfte.
Die ersten Ergebnisse der Anwendung des Motu proprio Ecclesia Dei bieten Anlass zur Hoffnung. So wünsche ich, dass dank des klugen Vorgehens dieses Organs und dank der hochherzigen und loyalen Mitarbeit von Bischöfen, Klerus und Gläubigen der Einzelkirchen, die mehr direkt interessiert sind, natürlich zusätzlich zum guten Willen der Adressaten der erlassenen Normen, die katholische Einheit gefestigt werden kann, entsprechend dem letzten Willen Christi, den er im Gebet beim letzten Abendmahl geäußert hat:
"Alle sollen eins sein ... " (vgl. Joh 7,21 ff.).
b) Zweitens ist der weite Widerhall der Lösung bekannt, die die anglikanische Kommission bei der Lambeth-Konferenz am vergangenen 1. August angenommen hat: "Jede Provinz soll die Entscheidung und die Haltungen anderer Provinzen hinsichtlich der Weihe von Frauen zu Priestern und Bischöfen achten."
Leider - und ich spreche hier mit aufrichtigem Schmerz davon - handelte es sich um eine einseitige Initiative, die, wie ich kürzlich dem lieben Bruder Robert Runcie, dem Erzbischof von Canterbury, geschrieben habe, nicht gebührend die ökumenischen und ekklesiologischen Dimensionen des Problems beachtet hat, im Gegensatz zu dem Weg, dem die Katholische Kirche immer klar gefolgt ist wie auch die orthodoxe Kirche und die alten orientalischen Kirchen.
Eine solche Entscheidung fördert gewiss nicht die im Gebet und Studium vereinten Bemühungen der Mitglieder der zweiten internationalen anglikanisch - römisch / katholischen Kommission; sie richtet vielmehr ernsthafte Hindernisse auf im Hinblick auf den Fortschritt in der gegenseitigen Versöhnung, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte so viel versprechende Ergebnisse gebracht hat.
Daher lade ich die Verantwortlichen ein, jeden Versuch zu unternehmen, um schmerzliche und bedauerliche Folgen nicht nur für die ökumenischen Beziehungen, sondern auch innerhalb der anglikanischen Gemeinschaft in ihrer weltweiten Verbreitung zu vermeiden: Die ständige Linie der allen Kirchen gemeinsamen Tradition darf nicht so leichthin durch eine Vorgehensweise unterbrochen werden, die niemand von uns autorisieren kann und darf.
Das Verlangen Christi nach der Einheit seiner Kirche muss auch hier den guten Willen aller stützen, den Schatz der Orthodoxie und der Orthopraxie zu wahren, den Er selber uns anvertraut hat, und den der Heilige Geist uns beizubehalten hilft.
9. Damit, ehrwürdige Brüder, haben wir uns gemeinsam einige besonders wichtige Momente dieses Jahrs des Herrn, das sich seinem Ende nähert, vor Augen geführt. Wenn wir noch einmal vom Glauben her Menschen und Ereignisse betrachten, dann gewinnen wir neue Motive zu demütigem Dank gegen Den, der mit seinem Geist das All erfüllt (vgl. Weish 1,7). Wir danken ihm nicht nur für die Freuden, die er uns geschenkt, sondern auch für die Prüfungen, denen er uns unterworfen hat, denn wir glauben, dass Er in seiner Allmacht auch aus dem Bösen Gutes zu wirken weiß.
Das Geheimnis, zu dessen Feier wir uns anschicken, lädt uns zur Hoffnung ein. Gott ist ein Mensch wie wir geworden; er wollte bis auf den Grund unser menschliches Geschick mit uns teilen. Wie sollten wir da nicht vertrauensvoll auf unsere Zukunft schauen! "Gott steigt herab, der Mensch steigt empor; das Wort wird Fleisch, damit dieses Fleisch zur Rechten Gottes den Thron des Wortes beanspruchen kann" (HI. Ambrosius, Expos. Ps. CXVIII, 3,8). Von diesem Bewusstsein gestärkt, schicken wir uns an, voll Freude die kommenden Festlichkeiten zu begehen, um mit neuem Eifer unsere jeweiligen Aufgaben im Dienst der Kirche, der fortdauernden Epiphanie Christi in der Welt, zu erfüllen. Mit meinem besonderen Segen.
1989
am 22. Dezember mit dem Thema: Das Haus ist für den Menschen gemacht
Es "kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war" (Lk 2,6-7).
1. Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt, Ordensfrauen und Laien! An alle richte ich meinen herzlichen Gruß und besonders danke ich dem Kardinaldekan für die edlen Grußworte, mit denen er die Gefühle eines jeden in dieser Erwartung der Weihnacht ausgedrückt hat.
" ... Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war." Die Worte des Evangelisten unterstreichen die schwierige Situation, in der sich bei der Geburt des Herrn die Heilige Familie befand. Für sie gab es kein Haus. Dieser Familie fehlte gerade das, was für jede Familie unentbehrlich ist, umso mehr beim Herannahen einer Geburt.
Das nunmehr vor der Tür stehende Weihnachtsfest lässt uns daher an alle Obdachlosen der Welt denken: an alle, die keine Behausung haben, wo sie und ihre Familien Schutz finden können. Die vom Evangelisten knapp angemerkte Tatsache rückt die Bedeutung des "Hauses" ins Licht, das nicht nur Wohnstatt ist, sondern auch Umwelt, Gemeinschaft. Wenn es wahr ist, dass das Haus für den Menschen gemacht ist, so ist auch wahr, dass es vom Menschen gemacht, von den Menschen gebildet wird. Die Personen sind es, die das "Haus" bilden; von ihnen hängt nämlich ab, ob der Raum, den sie bewohnen, das Dach, unter dem sie Schutz finden, sich mit menschlichem Gehalt füllt, von einem Fluss echter Wärme durchströmt wird.
2. Kann im Hause des Menschen Gott wohnen? Die gewagte Frage findet eine bejahende Antwort in der Geschichte der Heiligen Familie: diese sagt uns ja, Gott kann in die Häuser der Menschen kommen und dort wohnen. Er kann es, wenn ihm Platz" gemacht wird: wenn für ihn Platz ist in jener "Herberge", in der die Familie sich zusammenfindet. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die Liturgie das Fest der Familie von Nazareth in die Weihnachtszeit stellt. Dieser Gedanke lädt uns ein, einen besonderen Wunsch an die Familien überall in der Welt zu richten: dass sie Gott, der im menscWichen Fleisch zu ihnen kommt, die Türen ihres Hauses aufzumachen wissen; dass sie ihm Platz im Herzen zu machen wissen, so dass um jeden Herd echte Weihnachtsfreude erlebt werden kann.
Der Begriff Haus hat auch weitergehende analoge Anwendungen. Unterschiedlich sind die Dimensionen, in denen der Mensch wohnt. Heute zum Beispiel hört man von einem "gemeinsamen Haus Europa" sprechen.
Der Ausdruck hat seine Wahrheit, reich an reizvollen Anstößen. Wie das "Haus" sich aus vielen "Wohnungen" zusammensetzt, so gibt es in jedem Kontinent viele Dimensionen der geschichtlichen Wohnung des Menschen: es gibt viele Nationen. Denn der Mensch wohnt in jenen Gemeinschaften, die durch die Einheit von Kultur, Sprache, Geschichte dazu kommen, eine Nation zu bilden.
Allen Nationen, die das "europäische Haus" bewohnen, ist daher zu wünschen, dass jede von ihnen eine angemessene "Wohnung" haben kann, in Einklang mit den von den anderen Nationen belegten "Wohnungen".
3. Die Völker Europas, wie übrigens viele andere in der Welt, fühlen sich gerufen, sich zu vereinigen, um miteinander besser zu leben. Dieser unser "alter Kontinent", der den anderen so viel gegeben hat, ist daran, die eigene Berufung neu zu entdecken: verschiedene Kulturtraditionen zusammenzubringen, um einen Humanismus ins Leben zu rufen, in dem die Achtung der Rechte, die Solidarität, die Kreativität es jedem Menschen gestatten, seine edelsten Bestrebungen zu verwirklichen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses große Unternehmen, welches die Europäer zu vollbringen sich verpflichtet haben, Inspiration empfangen hat aus dem Evangelium des fleischgewordenen Wortes, dessen Geburtsfest wir in wenigen Tagen feiern. Wie ich anlässlich meines ersten Besuches in Santiago de Compostela sagte, "verläuft ... die Geschichte der Entstehung der europäischen Nationen ... parallel zu ihrer Evangelisierung bis hin zu dem Punkt, an dem schließlich die europäischen Grenzen sich mit dem Verbreitungsgebiet des Evangeliums deckten" (OR dt., 48, 1982, S. 15, Nr. 2).
Diese europäische Identität mit christlichen Wurzeln ist eine Realität, die heute wieder die wohlverdienten Anstrengungen all derer tragen muss, die für die Überwindung der Spaltungen und das Verschwinden der "Mauern" arbeiten, die die Menschen so oft künstlich geschaffen haben.
Es gibt kein ideologisches System, kein politisches Projekt, kein Wirtschaftsprogramm, noch eine militärische Einteilung, die die Bestrebungen von Millionen Frauen und Männern auslöschen könnten, die "vom Atlantik bis zum Ural" (Predigt in Speyer, OR dt. 19, 1987, S. 23) und von Skandinavien bis zum Mittelmeer wohl wissen, dass ihre Geschichte sich unter dem Zeichen "des Kreuzes, des Buches und des Pfluges" (vgl. Ansprache in Subiaco, OR dt. 41, 1980, S. 8) entwickelt hat.
Angesichts dieser Realität wird offensichtlich, wie künstlich und widernatürlich die "Blöcke" sind. Ich selbst habe oft von den "zwei Lungen" - dem Osten und dem Westen - gesprochen, ohne die Europa nicht atmen könnte. Und auch in Zukunft wird es ohne diese Osmose und diese Teilhabe an verschiedenen und doch ergänzenden Werten kein friedliches und Kultur ausstrahlendes Europa geben.
4. Auf diesem "Humus" sind die Europäer gerufen, ihr gemeinsames Haus zu bauen. Und wie der heimische Herd der Ort ist, an dem jeder sich "zu Hause" fühlt, wo er als der, der er ist, angenommen, respektiert und gefördert wird, so soll Europa ein "Haus" werden, in dem jedes Volk sich in der ihm eigenen Physiognomie anerkannt, wo erforderlich in seiner Entwicklung unterstützt und vor allem in seinen Bestrebungen respektiert sieht. Wie es im Heim der Familie keinen Grund zur Angst gibt, so sollte es in Europa keinerlei Bedrohung geben, die den einen zum Fürchten des anderen bringen kann; vielmehr sollte es die Freude des Miteinanderlebens geben, um die gemeinsamen materiellen, kulturellen und geistigen Reichtümer zu teilen.
Vor 50 Jahren brachten schreckliche Umwälzungen die Existenz Europas selbst in Gefahr: der Zweite Weltkrieg war einige Monate zuvor ausgebrochen. Entstellt, geschändet und geteilt, musste Europa ungeheure Anstrengungen unternehmen, um die tragischen Prüfungen zu überstehen, die heute noch sein Antlitz zeichnen. Glücklicherweise scheint jetzt eine neue Ära anzubrechen: ein Demokratisierungsprozess in seinen zentralen und östlichen Regionen, Formen von Dialog und von Absprache auf kontinentaler Ebene und ein neues Bewusstsein der geistigen Wurzeln lassen, wie es scheint, die Idee eines gemeinsamen Schicksals keimen.
Insbesondere drücke ich meine Freude über die positive Entwicklung der Situation in der Tschechoslowakei aus, wo die Anerkennung der religiösen Freiheit u.a. die Besetzung einer guten Zahl von Bischofssitzen zugelassen hat: zu den im vergangenen Jahr vorgenommenen sind weitere hinzugekommen, darin eingeschlossen die gestern angekündigten. Mein Wunsch ist, dass auf dem eingeschlagenen Weg weitergegangen wird, um zur Vervollständigung der Bischofsernennungen zu gelangen, zur Wiederaufnahme des Ordenslebens, zur Wiederöffnung der Seminare und zur Möglichkeit für die Gläubigen, sich aktiv am Leben der Kirche zu beteiligen.
Leider bereitet in diesem tröstlichen Panorama die ernste Spannung zwischen Volk und Macht in Rumänien Sorge, der Schauder in diesen Tagen über die an wehrlosen Bürgern verübte Gewalt, über den Verlust so vieler Menschenleben, über die Missachtung der Menschenrechte. Ich habe bei der jüngsten Mittwochsaudienz meine Stimme erhoben mit dem Appell für die allgemeine Befriedung. Mit der Missbilligung der Gewalt erneuere ich die Mahnung zur Vergebung und zu radikalen, von der Achtung für den Menschen getragenen Veränderungen.
Zu diesem edlen Unternehmen beabsichtigt die Kirche - wie in der Vergangenheit -, ihren spezifischen Beitrag zu liefern, im tiefen Bewusstsein der ihr zukommenden Pflicht, beim Wiederaufbau eines "Europas ohne Grenzen ... , das die christlichen Wurzeln seines Ursprungs nicht verleugnet", mitzuhelfen. Diesen Wunsch formulierte ich im vergangenen August im Gebet zur heiligen Jungfrau von Covadonga bei der Pilgerfahrt zu jenem berühmten Heiligtum Asturiens (OR dt., Nr. 36, 1989, S. 8). Diesen Wunsch erneuere ich heute, ihn vertraue ich dem König der Zeiten an, auf dass er den Willen der europäischen Völker stärke und ihrem Weg auf den neuen, schwierigen Straßen beistehe.
5. Der Gedanke geht nun im besonderen zu den Kirchen, die auf dem "alten Kontinent" seit Jahrhunderten ihren Glauben an das fleischgewordene Wort bekennen und die mit wachsender Klarheit die Dringlichkeit einer neue Evangelisierung ihrer Völker wahrnehmen, die von den Phänomenen der Entchristlichung und des Atheismus bedroht sind. Ich habe diese Probleme mit den Oberhirten des Rates der Bischofskonferenzen Europas anlässlich ihres Mitte Oktober in Rom abgehaltenen 7. Symposions geteilt, und bin danach mit dem Episkopat der Bundesrepublik Deutschland darauf zurückgekommen, der sich am 13. und 14. November im Vatikan zusammengefunden hatte, um im Geist gegenseitigen Vertrauens und brüderlicher Zusammengehörigkeit über "Die Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation" nachzudenken. Jene Erfahrungen des MiteinanderTeilens haben uns einmal mehr überzeugt, dass die Schwierigkeiten uns nicht zum Pessimismus führen dürfen, sondern uns vielmehr dazu bringen sollen, uns im Herrn noch mehr einander zu nähern, um uns bei der Erfüllung der uns anvertrauten Sendung gegenseitig zu stützen und zu stärken. In diesem Bewusstsein wünsche ich allen Kirchen, die in Gemeinschaft mit dem Sitz Petri sind, Freude und Frieden in dem Licht, das von der Wiege von Bethlehem ausgeht. Die Hoffnung ihrer Zukunft ist auf die Jugend gegründet: auch diese grüße ich mit besonderer Zuneigung, in der stets lebendigen Erinnerung an die ergreifende Erfahrung von Santiago de Compostela im letzten August.
Einen solchen Wunsch dehne ich auch auf die anderen Kirchen und Konfessionen aus, die noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns leben. Dieses Jahr hatte ich die Freude, meinen Bruder in Christus, Dr. Robert Runcie, den Erzbischof von Canterbury, willkommen zu heißen. Sein Besuch war eine Gelegenheit, die ökumenische Verantwortung des Bischofs von Rom wahrzunehmen. In der gemeinsamen Erklärung, die wir zum Abschluss des Besuches unterzeichneten, haben wir festgehalten, dass die Aufgabe, für die Wiederherstellung der sichtbaren Einheit und der vollen Gemeinschaft zu arbeiten, sich vom Gehorsam gegenüber dem Willen unseres Herrn: "Alle sollen eins sein" (Joh 17,21) herleitet. Wir haben die Probleme, die uns bei der Verwirklichung dieser Aufgabe bedrängen, nicht bagatellisiert, sondern ihren Ernst unterstreichen wollen. Denn man muss von echter Hoffnung und zugleich von nüchternem Realismus erfüllt sein. Wir müssen die Spannung zwischen diesen beiden Elementen in unserem Herzen tragen, wenn wir für die Einheit der Christen beten und arbeiten.
In diesem Geist richte ich meinen Gruß an alle die christlichen Brüder, mit denen wir noch nicht die volle Glaubensgemeinschaft erreicht haben. Gott stärkt unsere Liebe und ermutigt uns, weiterzugehen auf den Wegen der Einheit. Die europäische ökumenische Konferenz, die vom 15. bis 21. Mai dieses Jahres in Basel abgehalten wurde, war ebenfalls ein Zeichen der Hoffnung. Zum ersten Mal nach der Epoche der Trennungen haben alle Kirchen und Kirchengemeinschaften Europas gemeinsam ihren Willen bekundet, auf der Basis des Evangeliums dem Frieden und der Gerechtigkeit zu dienen.
6. Ebenfalls im ökumenischen Kontext habe ich letzten Juni eine Glaubenswallfahrt zu den Christen der nordischen Länder unternommen. Ich habe dem christlichen Erbe jener Völker die Ehre erwiesen. Zusammen mit meinen katholischen und lutheranischen Brüdern konnte ich intensive und bedeutsame Momente des geistigen Ökumenismus im Gebet und der Reflexion über die gemeinsame Sendung der Christen in Europa und in der Welt erleben. Diese meine Pastoralreise, die bis vor kurzem nicht denkbar gewesen wäre, bildet auflokaler Ebene und auf längere Frist zweifellos eine wichtige Etappe des ökumenischen Wegs. Als Bischof von Rom, dem auf ganz besondere Weise das Geheimnis der Einheit anvertraut ist, konnte ich so einen spezifischen Beitrag zum Ökumenismus liefern, der in den nordischen Ländern und überall auf der Welt Fuß fasst, nicht als Frucht unserer allein menschlichen Anstrengungen, sondern als Geschenk der göttlichen Gnade. Die Ereignisse und Veränderungen in der Sowjetunion haben ihrerseits eine Vermehrung der Kontakte mit dem Patriarchat Moskau begünstigt. Diese lassen für eine nahe Zukunft voraussehen, was ich immer gewünscht und unablässig verlangt habe: dass die griechisch - katholische Kirche der Ukraine die volle Freiheit, den katholischen Glauben zu bekennen und Zeugnis dafür zu geben, in jenem Lande wiederfinden möge. Ich vertraue darauf, dass die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und dem Patriarchat Moskau, die sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil fortlaufend entwickelt haben, eine gemeinsame Lösung dieser Frage gestatten und in einem Geist von Versöhnung und gegenseitigem Vertrauen zu Anerkennung und brüderlichem gegenseitigem Respekt der bei den Schwesterkirchen in der Ukraine führen: der griechisch - katholischen und orthodoxen Kirche.
Als Bürger haben die Gläubigen der griechisch - katholischen Kirche in der Ukraine durchaus recht, ihr ziviles Recht auf religiöse Freiheit geltend zu machen.
Nach einer langen Periode im Untergrund manifestiert sich der katholische Glaube der Christen und ihrer Priester mit neuem Eifer und in der festen Hoffnung, sein Ja zum Evangelium in voller Einheit mit der ganzen katholischen Kirche, und in besonderer Weise mit der Kirche von Rom, leben zu können. Ich wünsche jenem geliebten Teil der Herde Christi frohe Weihnachten und fordere alle zu Versöhnung und Frieden auf nach dem Beispiel des fleischgewordenen Wortes, das "unsertwegen arm wurde, um uns reich zu machen" (vgl. 2 Kor 8,9).
7. Von der Krippe zu Bethlehem gehen unsere liebevollen Gedanken und warmen Glückwünsche zu allen Ländern und Kontinenten des Erdballs.
Nach Asien und dem Fernen Osten zu allererst, wie auch nach Australien und Ozeanien. Im Herzen sind mir immer noch die beim Internationalen Eucharistischen Kongress in Seoul empfangenen Eindrücke lebendig, als ich angesichts der riesigen Menge von Gläubigen aus Korea und allen Teilen der Welt vor der konsekrierten Hostie niederkniete, um "Christus, unserem Frieden", die Sorgen und Hoffnungen der Kirche und der Menschheit anzuvertrauen. Mit Bewegung erinnere ich mich auch an die Begegnung mit den christlichen Gemeinschaften Indonesiens, des großen Archipels, dessen Bevölkerung es auf der Grundlage des philosophischen Systems des "Pancasila" verstanden hat, ein Modell des Zusammenlebens im Respekt des ethnischen, kulturellen und religiösen Pluralismus zu schaffen. Bedeutungsvoll während dieser Reise waren auch die Besuche der Diözese Dili auf der in den letzten Jahren schwer geprüften Insel Timor und bei der Kirche der Insel Mauritius, wo das geistige Erbe des seligen Jacques-Desire Laval nach wie vor lebendig ist.
8. Mein Weihnachtswunsch geht sodann zu den Ländern Afrikas und zu den jungen Kirchen, die das Wirken des Heiligen Geistes dort hervorgebracht hat, der Verbreitung des Evangeliums verheißungsvolle Aussichten öffnend.
Ich hatte die Freude, zu Abschluss der Osterzeit Madagaskar, Reunion, Sambia und Malawi zu besuchen und den Gläubigen jener Gebiete das Zeugnis meines Interesses für ihre Probleme und ihre Initiativen zu bringen. Zu gleicher Zeit konnte ich mich über die großen Fortschritte freuen, die zur Einwurzelung jener Kirchen gemacht wurden, deren Bischöfe, Klerus, Ordensmänner und Ordensfrauen nunmehr zu einem guten Teil Einheimische sind. Ein besonders für die erreichte Reife sprechendes Zeichen ist die Seligsprechung von Victoire Rasoamanarivo, deren Glaubenszeugnis als Laienchristin unter dem madagassischen Volk zu wunderbarem Aufblühen von viel Gutem geführt hat.
Alles lässt hoffen, dass die Afrikanische Synode, zu deren Vorbereitung sich in den vergangenen Tagen die spezielle Kommission versammelt hat, sich an der Schwelle des neuen Jahrtausends als ein entscheidendes Ereignis für die Entwicklung des Evangelisierungswerkes in jenem Kontinent erweisen wird.
9. Glückwünsche schließlich nach Amerika: Süd-, Zentral- und Nordamerika. Gern erinnere ich hier an das äußerst herzliche und konstruktive Zusammentreffen mit den Vertretern des Episkopats der Vereinigten Staaten von Amerika, das mir wieder einmal erlaubt hat, direkt die Vitalität, die Großherzigkeit, den geistigen Reichtum jener Kirchen zu erfahren. Und mit gleicher Zuneigung gehe ich in Gedanken zu den Begegnungen mit den zahlreichen anderen Episkopaten der drei Amerikas, die in diesen Monaten zum Ad-limina-Besuchen kamen, bei denen wir Hoffnungen und Sorgen miteinander geteilt haben.
Denn leider haben einige Länder des Kontinents in jüngster Zeit traurige Vorkommnisse blutiger Gewalt erlebt. Besonders gegenwärtig ist allen das grauenvolle Verbrechen in EI Salvador mit der Tötung von sechs Ordensmännern der Gesellschaft Jesu und, vorher noch, die barbarische Ermordung des Bischofs von Arauca in Kolumbien. In verschiedenen Ländern besteht noch die Illusion, Gewalt sei das Mittel zur Lösung von Problemen. Bitterkeit und Abscheu erregen auch die schrecklichen Terrorakte, die sich an verschiedenen Orten zugetragen haben, und nicht minder erschrecken wir vor drohenden Verbrechen und Gewalttaten von Personen und Gruppen, die in illegitimem Drogenhandel Verdienstquellen suchen. Zu diesen Sorgen kommen weiterhin jene von Panama, wo Zusammenstöße unschuldige Opfer gefordert haben und die Bevölkerung schwere Schäden erlitten hat. Die verschiedenen von der Bischofskonferenz ausgesprochenen Appelle für die Herstellung des Friedens und einen geordneten Ablauf des Lebens in jener geliebten Nation sind mir sehr wohl gegenwärtig. Inständig bitte ich den König des Friedens, er möge die Herzen aller zu Gedanken der Weisheit bekehren, damit der Fortschritt jener Völker in Gerechtigkeit und Solidarität gesichert sei. Ich vertraue darauf, dass das einmütige Handeln aller für das öffentliche Leben Verantwortlichen wohltuende Wirkungen zum Vorteil all jener Bevölkerungen hervorbringe.
Das Herannahen des fünfhundertsten Jahres seit der ersten Verkündigung des Evangeliums in der "Neuen Welt" soll für alle einen starken Antrieb bilden, das befreiende Ferment des Christentums in seiner Ursprünglichkeit zurückzugewinnen, welches in diesen fünf Jahrhunderten wundervolle Früchte der Kultur und des Fortschritts hervorgebracht hat. Es ist mein herzlicher Wunsch, am unmittelbaren Vorabend dieses Ereignisses mögen sich die Kirchen des ganzen Kontinents die Etappen ihrer Geschichte erneut vergegenwärtigen, um daraus passende Lehren für einen neuen Schwung im Dienst am Evangelium zu ziehen.
10. "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf" (Joh 1,11). Die Worte des Evangelisten Johannes bilden ein Echo zu denen des Lukas: " ... in der Herberge (war) kein Platz für sie" (Lk 2,7). Und doch hat gerade der, der "von den Seinen nicht aufgenommen wurde", mit dem Geheimnis der Fleischwerdung die Wohnung begründet, die alle aufnimmt. Er, das fleischgewordene Wort, ist für uns das Haus des Vaters geworden, der Tempel des Heiles.
In geistiger Wallfahrt begebe ich mich zur Grotte von Bethlehem, um mich vor der Krippe niederzuwerfen und in Anbetung für alle Länder und Kontinente der Welt zu flehen, besonders für die Völker jener der Grotte so nahen und so geplagten Region. Ich denke an die Bewohner des heutigen Bethlehem selbst und an ihre Brüder in Cisjordanien und in Gaza. Ihnen ist es noch nicht gestattet, ein eigenes "Haus" zu haben, ein Heimatland, wo sie sich als Bürger mit vollem Recht fühlen können. Für sie bitte ich, dass der Herr des Friedens, der in Bethlehem geboren wurde, ihnen gewähre, bald ihre Rechte anerkannt und ihre legitimen Bestrebungen verwirklicht zu sehen. Vor allem bitte ich, dass der Herr von ihrem Herzen die Versuchung blinder Gewalt fern halte, die nur Zerstörung und Tod bringt.
Ich denke gleichzeitig an die Bewohner des Staates Israel, die dramatisch hin - und hergerissen sind zwischen der Sorge um die eigene Sicherheit und der Pflicht, die Gerechtigkeit zu achten und sich dem Dialog zu öffnen. Mögen sie es doch verstehen, untereinander und mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten und mit Mut dem Weg der Billigkeit zu folgen.
Ich erinnere an den im Lauf der letzten Jahre so sehr heimgesuchten Libanon, dessen Bevölkerung fortwährend in Gefahr ist, weitere Gewalt erleiden zu müssen. Für die Libanesen flehe ich, dass sie sich gegenseitig anzunehmen wissen, dass sie einen Weg des Einvernehmens untereinander finden, zum Wohl der kommenden Generationen. Möge der Libanon bald wieder ein freies Land sein, einträchtig und souverän, in dem jeder Bürger aktiv zum Wiederaufbau des Vaterlandes beiträgt.
Für die anderen Völker der Region, die ebenfalls in diesen sowie in andere Konflikte verwickelt sind, oft von Ängsten und bisweilen verbitterten Interessen getrieben, bitte ich, dass sie sich auf den Dialog vertrauend und aktiv solidarisch mit ihren Nachbarn dafür einsetzen, Baumeister des Friedens zu sein.
11. Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, Ordensfrauen und Laien der Römischen Kurie, Ihnen allen gelten meine Weihnachtswünsche ! Sie sind zugleich Ausdruck aufrichtiger Anerkennung und Dankbarkeit für jeden von Ihnen: für die Mitglieder des Kardinalskollegiums vor allem, durch deren wertvolle Mitarbeit ich unschätzbare Unterstützung bei meiner täglichen Sorge des Petrusamtes empfange; für die Vertreter des Heiligen Stuhls und deren Mitarbeiter, die auch in schwierigen und stets anfordernden Umständen die Gesandten des Papstes bei den Ortskirchen und den Regierungen der einzelnen Nationen sind, in denen sie arbeiten; für die Beamten der Römischen Kurie sodann, deren eifrige und weise Tätigkeit es mir ermöglicht, den beschwerlichen Aufgaben nachzukommen, die mit der Leitung der Universalkirche verbunden sind; und für das Personal, das mit seiner Arbeit zum guten Funktionieren der Dikasterien und der sonstigen Organe der Kurie beiträgt. Meine dankbare Anerkennung dehne ich mit den Weihnachtswünschen auch auf alle aus, die im Dienst des Governatorats des Staates der Vatikanstadt stehen, sowie auf diejenigen, welche in den Strukturen des Generalvikariates für das Wohl der geliebten Kirche Roms arbeiten, vor allem zur Vorbereitung der Diözesansynode.
Ich möchte, dass sich jeder besonders bei dieser Gelegenheit von meiner Dankbarkeit, von meiner Zuneigung und von meinem Gebet persönlich erreicht fühlt.
Das Weihnachtsgeheimnis, das eine solche Tiefe und zugleich eine so weite "Ausdehnung" hat, möge für jeden der Ort der Begegnung und der tiefsten Berührung mit dem Emmanuel sein.
Allen frohe Weihnachten mit meinem Segen!
1990
am 20. Dezember mit dem Thema: Die Universalkirche wird durch die Schätze der Teilkirchen bereichert
Meine Herren Kardinäle!
Ehrwürdige Brüder der Römischen Kurie!
1. Der Advent des Gnadenjahres 1990 geht zu Ende, und wir sehen schon der Erscheinung der Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters (vgl. Ti13,4), in der Liturgiefeier der Kirche entgegen.
Weihnachten mit seinen Gaben des Lichtes und der Freude ist nahe, und wir bereiten uns in einer Haltung dankbarer Freude wieder auf seine Feier vor. Wir feiern in diesem Fest das Geheimnis des Heiles: das Geheimnis Gottes, der dem Menschen entgegengehen wollte, um ihn mit seinem Erbarmen und seiner Güte zu erfüllen.
Aus der Heiligen Nacht erstrahlt über die ganze Menschheit der Schein eines neuen Lichtes und gibt ihrer Existenz den vollen Sinn, indem es sie mit Erweisen einer unsagbaren Herablassung auszeichnet. Der Weg der Menschen trägt die Zeichen dieser beständigen, liebevollen Anwesenheit. Unsere Gedanken richten sich besonders auf ein Ereignis, das uns näher angeht, weil es für die Kirche unserer Zeit große Bedeutung hatte und noch hat. Es ist nunmehr fünfundzwanzig Jahre her, seitdem gerade in diesen Tagen das Zweite Vatikanische Konzil seinen Abschluss fand.
2. Als Ereignis von historischer Tragweite hat die Konzilsversammlung gewiss einen einzigartigen, von der Vorsehung gefügten Abschnitt auf dem Weg der christlichen Gemeinschaft gebildet. Vom Heiligen Geist angeregt, ist die Kirche mit Mut dem Menschen unserer Zeit entgegengegangen. Sie hat ihn bei der Hand genommen, um ihn zu einem volleren Verständnis und zur Verwirklichung der Botschaft des Evangeliums zu führen. Sie hat die Notwendigkeit empfunden, zur Menschheit von heute in einer leichter verständlichen Sprache zu sprechen, ohne jedoch die Erfordernisse der Wahrheit abzuschwächen.
Vor allem hat die Kirche die Dringlichkeit einer tiefgreifenden Erneuerung gespürt, damit auf ihrem Antlitz immer klarer das Licht Christi widerscheine. Und dieses unaufhörliche Bemühen um Erneuerung - vor allem in dem Sinn, auf das Evangelium hinzuweisen und zur ständigen Bekehrung aufzurufen - lenkt noch heute ihre Schritte, nicht ohne Schwierigkeiten und Mühen. Doch es handelt sich, dessen bin ich sicher, um die Mühen des Wachstums. In diesen Jahren ist die Kirche in der Tat gewachsen, sowohl in ihrem missionarischen Bewusstsein wie in ihrem Eifer zur Bekehrung und Erneuerung.
Mit euch danke ich dem Herrn, dem es gefallen hat, unser Jahrhundert und insbesondere seinen letzten Abschnitt durch eine solche Fülle geistlicher Gaben auszuzeichnen. Mit Verehrung denke ich an meine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI., die das Konzil angeregt haben und in erster Linie seiner Urheber waren.
Das 21. Ökumenische Konzil - so bemerkte Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache am 11. Oktober 1962 - zielt darauf hin, "die katholische Glaubenslehre, die trotz Schwierigkeiten und Widerständen zum gemeinsamen Erbe der Menschen geworden ist, unverkürzt, ohne Abschwächungen oder Entstellungen weiterzugeben ... Es ist unsere Pflicht, diesen kostbaren Schatz nicht nur zu bewahren, als ob wir gewissermaßen einzig um das von altersher Überkommene besorgt wären, sondern uns mit wirklichem Eifer und ohne Furcht jenem Werk zu widmen, das unsere Zeit fordert, und so den Weg weiterzugehen, auf dem die Kirche seit fast zwanzig Jahrhunderten voranschreitet" (Discorsi - Messaggi - Colloqui deI Santo Padre Giovanni XXIII, Bd. 4, S. 584f.).
Heute möchte ich gerne auf diese Worte zurückkommen, denn sie bringen kennzeichnend den Geist des Konzils und der nachkonziliaren Periode zum Ausdruck, die von der weitblickenden Klugheit Papst Paul VI. geleitet wurden. In der Eröffnungsansprache der vierten und letzten Session sagte er: "Das Konzil bietet der Kirche - und uns ganz besonders - eine umfassende Schau über die ganze Welt ... Während andere Strömungen des Denkens und Handeins sehr verschiedene Grundelemente für den Aufbau menschlicher Kulturen verkünden, wie Macht, Reichtum, Wissenschaft, Kampf, Interesse und anderes, verkündet die Kirche die Liebe. Das Konzil ist ein feierlicher Akt der Liebe zur Menschheit" (Insegnamenti deI Papa PaoIo VI, Bd. 3, 1965, S. 479).
Die Kirche hat nicht aufgehört, ihren Heilsweg unter den Menschen weiterzugehen: als Volk Gottes fühlt sie sich berufen, in der Gemeinschaft zu wachsen, um den Menschen zu dienen und sie so zur vollkommenen Einheit in Christus, ihrem Erlöser zu führen.
3. Gemeinschaft ist sicherlich ein Schlüsselbegriff in der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums. Und heute, fünfundzwanzig Jahre nach seinem Abschluss, scheint es angebracht, unsere Aufmerksamkeit noch einmal darauf zu lenken.
Die koinonia ist eine Dimension, die die Konstitution der Kirche selbst sowie all ihre Ausdrucksformen betrifft: vom Bekenntnis des Glaubens bis zur Bezeugung in der Praxis, von der Weitergabe der Lehre bis zur Ausgestaltung der Strukturen.
Deshalb bestehen die Weisungen des 2. Vatikanischen Konzils mit Recht darauf und machen sie zur inspirierenden Idee und tragenden Achse seiner Dokumente. Es handelt sich um eine theologale und trinitarische Gemeinschaft jedes Gläubigen mit dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, die weiterströmt und sich ausbreitet in der Gemeinschaft der Gläubigen untereinander und sie zu einem Volk versammelt: "das in der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk" (vgl. heilige Irenäus, Adv. Haer., III, 24,1: PG 7, 966B), mit einer wesentlich sichtbaren und sozialen Dimension (vgl. Lumen gentium, Nr. 9). Die Kirche erscheint so als die universale Gemeinschaft der Liebe (vgl. Lumen gentium, Nr. 23), begründet im Glauben, in den Sakramenten und in der hierarchischen Ordnung, in der Hirten und Gläubige sich persönlich und gemeinsam an den Quellen der Gnade nähren, gehorsam dem Geist des Herrn, der der Geist der Wahrheit und der Liebe ist.
4. Eine Institution, die sich innerhalb der Kirche als ein höchst wirksames Instrument der Gemeinschaft erweist, ist zweifellos die der Synoden. In ihr versammeln sich, wie der Name selbst schon sagt, in der Einheit eines gemeinsamen Weges die Energien und die Schritte, der Glaube und die Hoffnung aller, dank des Bandes der Liebe. Aus den Synoden ergeben sich konkrete Zeichen der Anteilnahme an den Bestrebungen und Schwierigkeiten eines jeden durch Kommunikation und Austausch, in dem gegenseitigen Vertrauen, angehört und angenommen zu werden im Blick auf das Wohl der Kirche, das das Wohl aller ist.
So stellen die Synoden sich dar als Zeichen kirchlicher Gemeinschaft, denn während sie die verschiedenen Glieder der Kirche vereinen, richten sie ihre Aufmerksamkeit und ihren Eifer auf die allgemeinen und die besonderen Bedürfnisse und Ziele der Evangelisierung und der Barmherzigkeit.
5. Wenn wir in Gedanken zum Konzilsgeschehen vor 25 Jahren zurückkehren, müssen wir, von Dank gegen den Herrn der Kirche erfüllt, an eine Institution erinnern, die aus der Atmosphäre des Konzils hervorgegangen ist und sich unmittelbar als besonderer Ausdruck und Instrument kirchlicher Gemeinschaft erwies. Ieh meine damit die Bischofssynode.
Als mein Vorgänger ehrwürdigen Andenkens, Papst Paul VI., sie am 15. September 1965 durch das Motu proprio Apostolica sollicitudo einrichtete, war das II. Vatikanische Konzil noch nicht beendet. Auf die erste Überraschung über das Neue folgte sehr bald das Bewusstsein von einem außerordentlich bedeutsamen Ereignis hinsichtlich der Verstärkung von Beziehungen neuen und verschärften kirchlichen Empfindens. Die neue Institution erschien wie ein Zeichen, das, besonders für die Hirten der Kirche, eine Zeit ankündigte und zugleich voraussah, die reich sein würde an Früchten des Miteinanderteilens und der Liebe, in gegenseitiger Unterstützung beim Tragen der Lasten (vgl. GaI 6,2).
Das wird im übrigen auch aus den Worten Papst Paul VI. sichtbar. In der "cum sacris Pastoribus coniunctio" sah er das Hauptinstrument, um aus der Synode die besten Früchte zu erzielen, die er beschrieb als "praesentiae solacium, prudentiae ac rerum usus auxilium, consilii munimentum, auctoritatis suffragium" durch eben die Bischöfe.
Wenn wir von der Errichtung der Bischofssynode spreehen, kommt uns spontan die Gestalt dessen in Erinnerung, der als deren erster Generalsekretär berufen wurde, Kardinal Wladyslaw Rubin, der kürzlich in das Haus des Vaters heimgekehrt ist, um die vollkommene Gemeinschaft mit ihm in der Freude des Himmels zu erfahren. Er hat uns das Beispiel hochherziger und unermüdlicher Hingabe an die Kirche in der "pastoralen Liebe" hinterlassen, und dafür sind wir ihm dankbar in unserem Gedenken und im Gebet.
6. Die in der Synode "cum Petro et sub Petro" versammelten Bisehöfe machen jene "coniunctio" sichtbar und wirksam, welche die theologische Grundlage und die kirchliche und pastorale Rechtfertigung für die synodale Zusammenkunft bildet.
So wird deutlich, wie die Bischofssynode ein wirksamer Ausdruck des kollegialen Empfindens ist, verstanden als gemeinsame Sorge für die Universalkirche, als gemeinsamer, in "pastoraler Liebe" geübter Dienst, dem ausdrücklichen Willen des Herrn entsprechend. Sicher, die Autorität und die objektive Gestalt der Synode unterscheiden sich wesentlich von Autorität und Gestalt des Konzils hinsichtlich der Konstituierung, der Repräsentation, der Vollmacht, der Qualität und des Umfangs der Lehrbefugnis und daher der Ausführungsgewalt. Die bischöfliche Kollegialität im eigentlichen und engeren Sinn kommt ja nur dem gesamten bischöflichen Kollegium zu, das als theologisches Subjekt unteilbar ist. Die Synode aber bestätigt sich als ausdrucksvolle und wirksame Weise in der pastoralen Wahrnehmung der Sorge für alle Kirchen, die jedem Bischof obliegt, und des entsprechenden kollegialen Empfindens der Bischöfe untereinander.
Die Rechtskräftigkeit der Synode kann also nicht von angemaßten höheren Vorrechten abgeleitet werden, sie gründet vielmehr in den typischen synodalen Eigenschaften, die den Bezeichnungen "collegialis affectus", "collegialis effectus", "pastoralis eoniunctio" und "caritas pastoralis" entsprechen.
Wenn man von effektiver Kollegialität und affektiver Kollegialität innerhalb der Synode spricht, hat man gewiss nicht die Absicht, eine juristische Gegenüberstellung von Begriffen einzuführen oder ein solches Verständnis zu unterlegen, sondern es soll nur in einer Weise, wie sie der Natur der Synode getreu entspricht, auf jene unverkennbare innere Haltung hingewiesen werden, die darin besteht, den kollegialen Geist in der konkreten Ausübung der "caritas pastoralis" aufrechtzuerhalten.
7. So wird auch die lebendige Beziehung zwischen der "Sollicitudo omnium ecclesiarum" eines jeden Bischofs und dem Primat des Petrus bekräftigt, wie ich schon früher Gelegenheit hatte, zu erklären: "Im Geheimnis der Kirche haben alle Elemente ihren Platz und ihre Funktion. Und so fügt die Funktion des Bischofs von Rom ihn tief in die Körperschaft der Bischöfe ein als Zentrum und Angelpunkt der bischöflichen Gemeinschaft. Sein Primat, der ein Dienst zum Wohl der ganzen Kirche ist, stellt ihn in die Beziehung zu einer intensiveren Einheit und Zusammenarbeit. Die Synode lässt den inneren Zusammenhang zwischen der Kollegialität und dem Primat hervortreten: Die Aufgabe des Nachfolgers Petri ist auch Dienst an der Kollegialität der Bischöfe, und umgekehrt ist die effektive und affektive Kollegialität der Bischöfe eine bedeutende Hilfe für den Primatsdienst des Petrus" (AAS 75 [1983] 651). Die Synode ist also ein besonderer Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst. Die Erfahrung dieser fünfundzwanzig Jahre hat dazu gedient, ihre Charakteristika noch genauer zu bestimmen. In der Beziehung zum Nachfolger des Petrus findet die Synode nicht nur die Garantie der Einheit, sowohl am Beginn wie im Verlauf ihrer Arbeit, sondern auch das Fundament ihrer Bedeutung.
8. In der Perspektive dieses Verhältnisses der Synode zum Bischof von Rom erhält auch die Beziehung zwischen der Synode und der Römischen Kurie ihren Sinn. Bekanntlich bildet die Kurie das Instrument, durch das der Papst seinen Dienst in der Kirche ausübt, indem er seinen Aufgaben als universaler Hirte nachkommt. Es lässt sich also nicht begründen, wenn die Kurie als etwas der Synode Entgegengesetztes darstellen wollte. Ebensowenig wäre die Meinung berechtigt, es bestehe eine Konkurrenzeinstellung zwischen den beiden kirchlichen Instanzen. Das Prinzip der Gemeinschaft und des Dienstes im Kontext der "caritas pastoralis" gibt das Kriterium ab für eine richtige Einordnung der gegenseitigen Beziehungen vom theologischen, kirchlichen und pastoralen Gesichtspunkt aus. Die "praesidentia caritatis", die dem Bischof von Rom zukommt, stellt den lebendigen Bereich dar, in dem sich der Eifer und die Sorge der mit Petrus verbundenen Hirten in Einheit zusammenfinden.
9. Auf dem Fundament der Communio, das die Kirche in ihrer tiefsten Beschaffenheit und in ihren verschiedenartigsten konkreten und geschichtlichen Ausdrucksformen aufrechterhält, wird die überreiche innere Wechselbeziehung zwischen der Universalkirche und den Teilkirchen aufgebaut.
Kraft dieser grundlegenden Beziehung bilden sich zwischen den einzelnen Teilen der Kirche "die Bande einer innigen Gemeinschaft der geistigen Güter", und die Verschiedenartigkeit der zur Einheit verbundenen Ortskirchen zeigt um so deutlicher die Katholizität der ungeteilten Kirche (vgl. Lumen gentium, Nr. 13).
Aufgrund dieser Einheit kann die Universalkirche sich durch die Schätze der Teilkirchen bereichert fühlen, und die Teilkirchen können sich ihrer Zugehörigkeit zur Universalkirche rühmen, die ja wirklich in ihnen anwesend ist und handelt (vgl. Christus Dominus, Nr. 11). Diese Gegenseitigkeit achtet die Würde der einzelnen und bewahrt sie, und zugleich macht sie in rechter Weise die Gestalt der einen und universalen Kirche deutlich, die in den Teilkirchen ihr eigenes Bild erkennt und zum Ausdruck bringt, da die Teilkirchen ja "nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche" (Lumen gentium, Nr. 23). Die Teilkirchen ihrerseits sind "ex et in Ecclesia universali": aus ihr und in ihr haben sie ja ihr Sein als Kirche. Die Teilkirche ist Kirche gerade deshalb, weil sie eine Teilpräsenz der Universalkirche ist. So hat einerseits die Universalkirche ihre konkrete Existenz in jeder Teilkirche, in der sie anwesend und wirksam ist, und andererseits stellt die Teilkirche nicht erschöpfend das vollständige Geheimnis der Kirche dar, da ja einige von deren grundlegenden Elementen sich nicht aus der bloßen Analyse der Teilkirche ableiten lassen. Solche Elemente sind das Amt des Nachfolgers Petri und das Bischofskollegium.
In diesem Umfeld stellt sich die synodale Institution als ein wichtiger Ort der Begegnung des ganzen vielgestaltigen Reichtums der Gaben und des Austauschs dar, bis hin zu jenem Gipfel, den die Feier der ordentlichen Versammlungen der Bischofskonferenz bilden. In ihnen fließen in weitestmöglicher Weise die Erfordernisse der Universalkirche zusammen, wie sie sich in den verschiedenen Ortskirchen widerspiegeln.
Die Hirten dieser Ortskirchen versammeln sich in ihrer persönlichen pastoralen Verantwortlichkeit in der effektiven Ausübung der affektiven Kollegialität, im Geist gemeinsamen Dienstes für die ganze Kirche und für alle ihnen anvertrauten Kirchen.
In diese Dynamik sind daher die Teilkirchen wirksam als Subjekte der Gemeinschaft eingefügt. In diesem Sinn wird im Bereich der Synode durch die "coniunctio pastorum", auch physisch sichtbar und aktiv, die "communio ecclesiarum" zum Ausdruck gebracht und gefeiert. Spontan erinnern wir uns hier an die kürzlich abgehaltene Synode über die Ausbildung der Priester heute: in ihr kam die Gemeinschaft der Kirchen in Zeichen von besonderer Intensität und Einmütigkeit zum Ausdruck, vor allem im Hinblick auf die ganz neue Tatsache der Teilnahme der Bischöfe aus Mittel- und Osteuropa, sowohl des lateinischen wie des östlichen Ritus. Das war ein Ereignis, das aus den Herzen aller Lob und Dank aufsteigen ließ zum Herrn der Geschichte wegen des "Großen", das er fort und fort in seiner Kirche wirkt.
10. Unser Gespräch nimmt noch eine andere Wendung, wenn wir auf andere Formen synodaler Tätigkeit zu sprechen kommen, wie die Spezialversammlungen der Bischofssynode oder die Diözesansynoden.
Zur Zeit gehen die eifrig betriebenen Vorbereitungsarbeiten für zwei Spezialsynoden der Bischofskonferenz ihrer Vollendung entgegen. So Gott will, werden diese Versammlungen in nächster Zukunft stattfinden. Nahe bevor steht nun die Synode für Europa, an der die Kirchen des Kontinents teilnehmen werden. Sie werden dazu mit den Reichtümern ihrer Geschichte, mit Perspektiven, Sorgen und Hoffnungen beitragen, die von den jüngsten historischen Ereignissen ausgegangen sind. Es ist ein bedeutendes Ereignis, und es ist unser Wunsch, dass es wirksam zum Werk der Neuevangelisierung Europas beitrage und aus den alten christlichen Wurzeln neuen Lebenssaft zum Fließen bringe für eine Zukunft wirklichen Fortschritts in der Respektierung jeder menschlichen Dimension.
Auch die Spezialsynode für Afrika ist Gegenstand aufmerksamer Vorbereitung mit dem Blick auf die Entfaltung jener Kirchen, die für die Zukunft der Evangelisierung und des Zeugnisses offen sind.
Nicht vergessen werden darf ferner die spezielle Synodenform, die mit der Teilsynode der Bischöfe der Niederlande angelaufen ist. Ihr Rat ist noch bei der Arbeit. Sie hat das Ziel, sich mit den spezifischen Problemen zu beschäftigen, die der Kirche in diesem Territorium begegnen.
In der Tradition der Kirche haben sodann eine besondere Bedeutung die Synoden der Ostkirchen, die unter der Leitung von Patriarchen oder Großerzbischöfen stehen und Spezialtitel pastoraler und kirchlicher Autorität innehaben.
Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Diözesansynoden, in denen der Bischof in der Ausübung einer bestimmten Form von "communio" mit den Priestern, Ordensleuten und Laien sich an die Ortskirche wendet, um durch Überlegungen, Gebet und pastorale Unternehmungen die Probleme in Angriff zu nehmen, denen die Glaubensverkündigung und das Zeugnis der Bruderliebe in den konkreten Situationen der heutigen Welt begegnen. Das ist der Fall bei der Synode dieser heiligen Kirche von Rom, die durch den Willen Christi "dem Liebesbund vorsteht" und aufgrund des beispielhaften Zeugnisses, das sie vor dem ganzen Gottesvolk geben muss, besondere Verantwortung trägt.
11. Ehrwürdige Brüder, auch die Synodeninstitution hat, wie jede kirchliche Struktur, letzten Endes das einzige Ziel, in jedem Winkel der Welt und in jeder Epoche der Geschichte das Wort der Engel wieder klingen zu lassen, das in der Nacht von Bethlehem ertönt ist: "Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr" (Lk 2,10-11).
Dem großen Ereignis, das die Weltgeschichte verwandelt hat, schon nahe, sammeln wir uns, um auf diese Botschaft zu hören und im Glauben wiederum die "große Freude" der Geburt des Erlösers zu erleben. Ausdruck dieser Freude wollen auch die Glückwünsche sein, die wir brüderlich austauschen zum nahen Weihnachtsfest und zum neuen Jahr, das, reich an trostvoller Hoffnung, aber auch dramatischen Unsicherheiten gezeichnet, vor der Tür steht. Möge der Herr die Wolken, die drohend am Horizont stehen, von der Welt vertreiben und der Kirche und der Menschheit Gerechtigkeit, Eintracht und Frieden gewähren. Möge er insbesondere über euch, die ihr aus der Nähe an den Sorgen des Nachfolgers Petri teilnehmt, die Fülle seines Trostes ausgießen. Ich danke dem Herrn Kardinaldekan für die liebevollen Worte, mit denen er die Wünsche des Heiligen Kollegiums und aller Anwesenden zum Ausdruck gebracht hat. Ihm, den Herren Kardinälen und euch, den Mitgliedern der Römischen Kurie, der Verwaltung des Vatikanstaats und des Vikariats, gilt mein lebhafter Dank für die Zusammenarbeit, die mir von jedem von euch zuteil wird in der Erfüllung der mir anvertrauten Aufgabe.
Es sei mir gestattet, in einem Augenblick wie diesem, in welchem die Herzen einander besonders nahe sind, ein besonderes Dankeswort an Kardinal Agostino Casaroli zu richten, der kürzlich nach langen Jahren totaler Hingabe an den Dienst des Apostolischen Stuhles vom Amt des Staatssekretärs zurückgetreten ist. Ich möchte an ihm, neben den bekannten Qualitäten als weitschauender und weiser Diplomat, die ungewöhnlichen Gaben als Mensch und Priester unterstreichen - die Treue, die Redlichkeit, die Güte -, die mir seine Mitarbeit kostbar gemacht haben und mich in ihm einen echten "Mann der Kirche" erkennen ließen. Meinen Glückwunsch entbiete ich seinem Nachfolger, dem Pro-Staatssekretär Msgr. Angelo Sodano, wie auch denen, die im Lauf des zu Ende gehenden Jahres neue Verantwortlichkeiten in der Leitung der Dikasterien und Organe des Heiligen Stuhls übernommen haben. Mit dem Wunsch, dass das Geburtsfest des Herrn, auf das wir uns wiederum vorbereiten, in aller Herzen jenen guten Willen vermehre, der die Voraussetzung für den wahren Frieden ist (vgl. Lk 2,14), erteile ich euch, euren Mitarbeitern und euren Lieben von Herzen meinen Segen.
1991
am 23. Dezember mit dem Thema: Einsetzen für eine neue Gesellschaft
1. "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich Freut euch! ... Der Herr ist nahe" (Phil 4,4-5).
Meine Herren Kardinäle, verehrte liebe Brüder! Das Klima der Freude, das unsere traditionelle Begegnung vor dem Weihnachtsfest kennzeichnet, macht uns für die Mahnung des Apostels Paulus besonders aufgeschlossen, die die Liturgie uns in der heiligen Adventszeit wieder vorgelegt hat. In dieser Stunde des innigen Wartens wird uns klar, dass wirklich "der Herr nahe ist": all denen nahe, die im Bewusstsein ihrer Not auf den warten, "der kommen soll". Wollen wir ihn gut aufnehmen, müssen wir uns notwendig der Schar der Armen und Demütigen zugesellen, die uns in den biblischen Texten des Advents begegnen. Sie waren wie der greise Simeon vom Heiligen Geist erleuchtet und hatten Augen, um das Heil zu sehen, das Gott vor dem Angesicht aller Völker bereitet hat (vgl. Lk 2,30-31).
Unter jenen, die den Sinn für das Warten auf den Retter wach halten, wollen und müssen auch wir sein, ich und ihr, liebe Mitglieder der Römischen Kurie, die ihr beim anspruchsvollen Dienst für das ganze Volk Gottes meine direkten Mitarbeiter seid und als solche täglich mit mir die Sorgen und Hoffnungen teilt, die mit der Verkündigung des Evangeliums in der Welt verbunden sind.
Wenn ich daher vor euch die Anforderung des Apostels zur Freude des Herrn wiederhole, grüße ich zugleich euren Sprecher, den Herrn Kardinal Agnelo Rossi, der eure guten Wünsche zum Ausdruck gebracht hat. Ich spreche ihm mein herzlichstes Beileid zum Trauerfall aus, der ihn kürzlich getroffen hat, und danke ihm ferner herzlich für die Glückwünsche, die er im Namen aller ausgesprochen hat.
Das Konsistorium vom vergangenen 28. Juni hat das Kardinalskollegium, dessen Dekan Sie, Herr Kardinal sind, noch universaler gemacht, da ihm nun auch mutige Zeugen für den Glauben angehören, die ihre Treue zu Christus mit langen Jahren des Leidens bezahlen mussten, ferner hochherzige Diener des Apostolischen Stuhles. Euch, meine Herren Kardinäle, die ihr hier anwesend seid, und dem ganzen Kardinalskollegium gilt mein dankbarer und brüderlicher Gruß.
Ich grüße ferner alle Erzbischöfe und Bischöfe, die Offiziale und Mitarbeiter, die in der Römischen Kurie und im Vikariat ihren Dienst tun. Ich bin allen dankbar für das Zeugnis der Gemeinschaft, die sie mir durch ihre Anwesenheit auch heute zum Ausdruck bringen, und ich preise mit allen gemeinsam den Herrn für die vielfaltigen Gaben, die er in diesem nun zu Ende gehenden Jahr uns geschenkt hat.
2. Ein kurzer Rückblick auf das Jahr 1991 genügt, um das providentielle Eingreifen des Herrn bei den zahlreichen Ereignissen, die die Geschichte der Menschheit geprägt haben, dankbar anzuerkennen. Das Volk Gottes aber bewegt sich getreu dem Evangelium mitten zwischen ihnen und teilt "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute" (vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 1). Die Kirche möchte nicht hinter ihrer Aufgabe zur Förderung und Bejahung alles dessen zurückbleiben, was sich an Wahrem, Gutem und Positivem auf Erden findet; sie widersetzt sich aber zugleich dem, was von verschiedenen Seiten her das wahre Wohl des Menschen bedroht. Sie "geht ... den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfahrt das gleiche irdische Geschick mit der Welt" (ebd., Nr. 40). Die ihr von Christus übertragene Sendung aber treibt sie an, auf jedem Gebiet menschlichen Schaffens präsent zu sein und das Evangelium als Quelle der integralen, auch sozialen, Befreiung zu verkündigen.
Diesem Auftrag getreu haben die Päpste, vor allem seit Leo XIII. - dem Papst von "Rerum novarum" - nicht gezögert, zum Schutz und zur Förderung der Würde der Person ihre Stimme zu erheben. Ihre Stellungnahmen sind ebenso zahlreich wie ausgewogen und haben eine mächtige Bewegung für den Menschen eingeleitet. "Dadurch haben sie in den Wechselfallen der Geschichte zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft beigetragen [oder wenigstens] dem Unrecht eine Grenze gesetzt" (Centesimus annus, Nr. 3).
Zum Andenken an die Hundertjahrfeier der Enzyklika von Papst Leo XIII. sollte das Jahr 1991 nach meinem Willen "das Jahr der Soziallehre der Kirche" sein, nicht nur, um das historische Dokument würdig hervorzuheben, sondern auch, um durch eine rechtzeitige Stellungnahme des Lehramtes die spezifischen Probleme zu klären, die sich aus den neuen Verhältnissen der Menschheit heute ergeben, sowie sie mit der Arbeit und der Entwicklung der Völker zu tun haben.
Wie ihr wisst, haben verschiedene Veranstaltungen, Kongresse und Tagungen in vielen Teilen der Welt dieses historische Jubiläum gewürdigt, das mit Interesse aufgegriffen wurde und ein weitreichendes Echo gefunden hat. In diesem Zusammenhang möchte ich an das interdisziplinäre Seminar zur Bestimmung der Erdengüter für alle erinnern sowie an die feierliche Würdigung der Enzyklika Leo XIII. durch den Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden und die anschließende Eucharistiefeier mit den Arbeitern auf dem Petersplatz, endlich auch an die Seligsprechung von Adolph Kolping, dem Vorläufer und Förderer eines mutigen Apostolates unter der Arbeitern, bei dem der Einsatz im sozialen Bereich beispielhaft mit dem Streben nach Heiligkeit verbunden war.
3. Um die historische Tragweite der Jahrhundertfeier dieser Enzyklika zu betonen, habe ich Centesimus annus veröffentlicht, um die Fruchtbarkeit der bereits von meinem Vorgänger formulierten Grundsätze herauszustellen und aus pastoraler Sorge einige Ereignisse der jüngsten Geschichte zu bedenken. Dort war ich mir zwar der Veränderlichkeit und Kompliziertheit der Situation bewusst, habe aber eingeladen, "in die Zukunft zu blicken, wo wir bereits das dritte christliche Jahrtausend ahnend erkennen, das für uns voll von Unbekanntem, aber auch von Hoffnungen ist (ebd., Nr.3).
Ich muss dem Herrn, von dem alles Gute herkommt, danken für die der Enzyklika von nicht wenigen Staatsmännern, Verantwortlichen für die Wirtschaft und führenden Männern der verschiedenen religiösen Konfessionen geschenkte Aufmerksamkeit. Die UNO hat Centesimus annus unter ihre amtlichen Dokumente aufgenommen und die Enzyklika als Verstehenshilfe für den Aufbau einer immer mehr menschlichen und gerechten Gesellschaft verbreitet.
Ich muss dem Herrn auch für die verschiedenen pastoralen Initiativen danken, die viele Diözesen ergriffen haben, um die Soziallehre der Kirche zu vertiefen und sie auf die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft anzuwenden. In diesen Rahmen gehört auch das geplante Projekt einer Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften mit der Aufgabe, dem Apostolischen Stuhl den qualifizierten Beitrag der Forschung zu liefern, damit er auf einem derart wichtigen Gebiet seine Lehre rechtzeitig und zeitgerecht entwickeln kann.
Man kann es nie genug betonen, dass das der Kirche in diesem Bereich entgegengebrachte Interesse ein ständiger Antrieb für sie sein muss, mutig und im Geist echter Dienstbereitschaft auf die Erwartungen des Menschen und die Aufgaben der gegenwärtigen Stunde einzugehen. Die Kirche weiß gut, dass sie sich mit den Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft auseinandersetzen muss, um ihrerseits zur Erweiterung des Aktionsradius der Gerechtigkeit und der Liebe innerhalb einer jeden Nation und in der Beziehungen der Nationen untereinander beizutragen. Sie ist sich ferner bewusst, dass diese Weise von der klaren und ausdrücklichen Verkündigung Christi getrennt werden dürfen, der "der Weg eines jeden Menschen" ist, der Weg, auf dem sich "die Kirche von niemandem aufhalten lässt" (Redemptor hominis, Nr. 13).
4. DeI: Zusammenbruch der kollektivistischen Regierungen in den Ländern Osteuropas zeigt, dass Freiheit und Kreativität der menschlichen Person in den Mittelpunkt auch der wirtschaftlichen Ordnung gestellt werden müssen. Geschieht das nicht, oder wird die Verantwortung eines jeden Menschen nicht gebührend geachtet und entsprechend gewürdigt, so bekommt das ganze soziale Gefüge dies zu spüren und hat darunter zu leiden, und auch die wirtschaftliche Tätigkeit leidet schweren Schaden.
Die freie Wirtschaft muss andererseits auf wichtigen moralischen Tugenden aufbauen wie Arbeitseifer, Aufrichtigkeit und Loyalität in den gegenseitigen Beziehungen, Entschlossenheit, anspruchsvolle Entscheidungen zu fallen, und der Fähigkeit, mutig Belastungen und Risiken auf sich zu nehmen. Es ist wichtig, dies zu betonen in einer Zeit, wo nicht wenige Länder Europas den schwierigen Weg zum Aufbau neuer wirtschaftlicher Strukturen einschlagen, die den Bedürfnissen und Erwartungen der Menschen besser gerecht werden.
Es ist aber ebenso wichtig, daran zu erinnern, dass die wirtschaftliche Freiheit nur ein Aspekt oder eine Dimension der menschlichen Freiheit ist und daher mit den anderen Aspekten koordiniert werden muss, wenn sie nicht selber zum Werkzeug der Unterdrückung werden will. Es gibt Güter, die man nicht auf dem Markt kaufen kann. Grundlegend ist unter diesen die Würde der menschlichen Person. Über die materiellen Bedürfnisse hinaus sind sehr viel höhere geistige Bedürfnisse da, die ihrer Natur nach in selbstlosem Austausch befriedigt werden müssen, wobei die Person um ihrer selbst willen anerkannt und geliebt wird.
Zu Überwinden ist daher eine Mentalität rein utilitaristischer Art, die die transzendenten Dimensionen der menschlichen Person missachtet und diese auf den engen Rahmen von Produktion und Konsum verkürzt. Eine derart aufgefasste Gesellschaft ist nicht fähig, die Schwächeren und die Armen zu integrieren, sie kann auch dem, was die neuen Generationen erwarten, auch um eine gewisse weit verbreitete Kultur zu Überwinden, nicht gerecht werden, die sie auf sich selbst beschränkt, sie künstlich geschaffene Paradiese suchen und vor der Verantwortung für das familiäre und soziale Leben fliehen lässt.
Wir müssen uns für eine neue Gesellschaft einsetzen, in der die Person mehr zählt und an die Stelle des Kampfes die freie Auseinandersetzung, Verantwortung und ein Bündnis zwischen freiem Markt und Solidarität treten, um eine Entwicklung zu fördern, die das Leben schützt, den Menschen, zumal den armen und an den Rand gedrängten verteidigt, endlich die Schöpfung als Werk der Hände Gottes achtet.
Der Durchführung dieses Planes, der realistisch und ohne leichtsinnige Utopie in Angriff zu nehmen ist, darf die Gemeinschaft der Christen ihren eigenen vom Evangelium als Heilsbotschaft für jeden Menschen und für den ganzen Menschen inspirierten Beitrag nicht vorenthalten.
5. "Darum geht zu allen Völkern" (Mt 28,19): der Herr hat seinen Jüngern diesen Auftrag hinterlassen, und er behält die Jahrhunderte hindurch seinen Wert. Heute ist er an der Schwelle des Jahrs 2000, angesichts der vielen manchmal nicht ausgesprochenen und zuweilen sogar verleugneten und unterdrücken Bedürfnissen des modernen Menschen, besonders dringend geworden. Es geht darum, dort wieder die Hoffnung zu entflammen, wo Schatten des Todes die innere Freude und sogar das Leben des Menschen bedrohen. Es geht um ein Erkennen der Zeichen der Zeit und die neue Evangelisierung Europas in missionarischem Geist in Angriff zu nehmen. Ich habe diese dringende Notwendigkeit im Verlauf meiner pastoralen Reise betont, die mich in diesem Jahr in verschiedene Länder Europas wie Portugal, Polen und Ungarn geführt haben. Von Fatima bis nach Jasna Góra zeichnet sich die gleiche "Mission" ab, nämlich im Osten wie im Westen des alten Kontinents die lebendige und lebensspendende Botschaft Christi, des Erlösers aller Menschen, zu verkündigen. Seine transzendente Botschaft muss in jeden Winkel der Erde dringen, weil die Heilserwartung sehr groß ist. Über Europa hinaus denke ich zum Beispiel an Lateinamerika. Bei meinem Besuch in Brasilien habe ich unter gewaltigen Möglichkeiten des Guten und Besorgnis erregenden sozialen Gegensätzen das Verlangen nach Christus und seiner Botschaft der Wahrheit und Befreiung gespürt.
Gerade um diesen geistigen Bedürfnissen zu entsprechen, schicken wir uns an, im nächsten Jahr das fünfte Jahrhundert der Evangelisierung des lateinamerikanischen Kontinents zu feiern. Es werden 1992 auch hundert Jahre seit der Ankunft der Missionare in einigen Nationen Afrikas, während die Synode für diesen Kontinent weiter eifrig vorbereitet wird.
In besonderer Weise durfte ich die Dringlichkeit und zugleich die mögliche Fruchtbarkeit der neuen Evangelisierung am Welttag der Jugend im vergangenen August erleben. Man kann sagen, dass wir beim Heiligtum von Tschenstochau gewissermaßen die neue Wirklichkeit Europas nach dem Fall der ideologischen und politischen Schranken erleben durften. Tausende von Jugendlichen aus Ost-, Mittel- und Westeuropa, Jugendliche aus über 80 Nationen kamen zum ersten Mal in Freiheit zum Gebet zusammen und wollten ihren Glauben an Jesus Christus bekennen. Dieses Ereignis war ein Meilenstein der Evangelisierung in unserer Zeit, es lädt zum Nachdenken und Handeln ein. Angesichts einer in raschem Wandel befindlichen Welt, müssen wir die Verkündigung des Evangeliums mit neuem Mut betonen:
Christus muss Geist und Herz der neuen Generationen erreichen, damit die Zukunft durch seine Präsenz Licht und Leben empfangt.
6. Der Welttag der Jugend war gleichsam der Auftakt für ein weiteres wichtiges Ereignis, nämlich die außerordentliche Bischofssynode für Europa, die vor zehn Tagen zu Ende ging.
Im April letzten Jahres habe ich ihre Einberufung bei meinem Pastoralbesuch in der Tschechoslowakei, beim berühmten Heiligtum von Velehrad angekündigt. Kurz nach den gewaltigen sozialen Umwälzungen, die damals die politische Gestalt eines erheblichen Teils des europäischen Kontinents, änderten, legte sich mir spontan das Thema der Befreiung nahe. Ich dachte, die äußere Freiheit, nach langer Unterdrückung zurückgewonnen, braucht unbedingt auch die innere Freiheit: sind die Ketten auf politischem Gebiet beseitigt, müssen wir uns notwendig für die Wiederaufrichtung der ersten und vorrangigen Freiheit einsetzen, für die wahre Freiheit, zu der Christus uns befreit hat (vgI. GaI5,1). Die Gläubigen aber, so dachte ich weiter, sind aufgerufen, ihren Mitmenschen gegenÜber Verkünder und Zeugen dieser grundlegenden Freiheit zu sein. So wurde in zugleich subjektiver und objektiver Weise die kürzlich stattgefundene Versammlung Wirklichkeit, die mit Gottes Hilfe ein Beitrag der Kirche für die Völker Europas sein möchte, damit sie ihre gemeinsamen Wurzeln neu erkennen und ihr gemeinsames Haus aufbauen können.
Auch das Symposium vor der Synode, vom Päpstlichen Rat für Kultur im Vatikan organisiert, fügte sich in diesen Rahmen ein und kennzeichnete die fast unmittelbare Vorbereitung der Synode, denn sie stellte die kulturellen und geistigen Themen von größerem Interesse heraus.
So konnte die kürzlich stattgefundene Synode der Kirchen von Ost-, Mittel- und Westeuropa ihren Weg nehmen. Man darf sie wahrlich als einen providentiellen "kairos" bezeichnen, der den Vertretern der Christen in den europäischen Nationen einen Dialog in brüderlicher Freiheit gestaltete, ein besseres gegenseitiges Kennenlernen, ein Wachsen in der Gemeinschaft endlich, verbunden mit der Erfahrung der wirklichen Kraft des Geistes, der wie immer, heute ebenso wie gestern, zu den Kirchen spricht (vgl. Offb 2,7). Dank dieser vielfaltigen Kontakte kam es zu einem fruchtbaren Austausch der Gaben. Die Synodenväter haben es bei ihrer pastoralen Einstellung nicht unterlassen, sich zu fragen, wie wir auf die Herausforderungen der modernen Welt antworten müssen. Wie könnte man leugnen, dass der Fall atheistischer Regierungen in den Personen und Gruppen eine geistige Leere, Unsicherheit und auch Verwundbarkeit durch die verführerischen Kräfte des theoretischen und praktischen Materialismus geschaffen hat? Ihr wisst, dass man diese Gefahr nicht nur im Osten, sondern auch im Westen spürt, und so zeichnen sich analoge schwerwiegende pastorale Probleme für die Kirche in bei den Bereichen ab. Die neue Evangelisierung ist für alle Gebiete des Kontinents notwendig.
Die Kirche blickt auf das Jahr 2000 und hält sich die christliche Prägung vor Augen, die zahlreiche mutige Zeugen des Glaubens der zweitausendjährigen Geschichte Europas gegeben haben, wobei sie oft, in den Anfangen des Christentums wie auch in unseren Tagen, ihre Treue zum Evangelium mit ihrem Leben bezahlt haben. "Zeugen Christi, der uns frei macht": dieses Thema hilft uns einerseits bei der Beurteilung des sozio-kulturellen Umfeldes, in dem wir leben, und lässt uns andererseits zu den Quellen des Heils hinabsteigen, indem wir die Gestalt Christi, des einzigen Erlösers der Menschen neu entdecken.
Bei der Synode wurde der Wille bekräftigt, das Kreuz Christi als Bekräftigung der Wahrheit über den Menschen zu verkünden, denn seinem Tod ist das unauslöschliche Siegel der Auferstehung und des Lebens aufgeprägt. Die Erklärung zum Abschluss hat als Zentralproblem die Synthese zwischen der Freiheit des Menschen und der Wahrheit, zwischen Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität herausgestellt. Die Herausforderungen des modernen Fortschritts rufen den Glauben auf den Plan: wir stellen in der heutigen Kultur eine Entwicklung des kritischen Sinns - was als positiv zu bezeichnen ist - fest, der freilich zu einem kulturellen und ethischen Relativismus führen kann. Die neue Evangelisierung muss also die Wahrheit verkünden, die uns mit Hilfe des Dialogs und Hörens auf alle frei macht, wenn wir zugleich den Geist der Unterscheidung und Mut besitzen.
7. Kennzeichnend für die letzte Synode war die Präsenz von Delegierten, Brüdern aus den verschiedenen christlichen Konfessionen, die vollberechtigt an den Arbeiten beteiligt waren. Die gemeinsamen Begegnungen, Gespräche und Gebete - ich erinnere besonders an den ökumenischen Gottesdienst am 7. Dezember in der Vatikanischen Basilika - haben die Notwendigkeit gezeigt, den ökumenischen Dialog weiterzuführen, wobei wir Einheit und Gemeinschaft suchen. Es soll ein geduldiger und aufrichtiger Dialog im Geist der Wahrheit und der Liebe sein, bei dem wir das Gebot Christi vor Augen haben, "alle sollen eins sein", damit die Welt glaubt (Joh 17,21). Ein solcher Ökumenismus im Geist der Wahrheit und Liebe wird die Christen zu glaubwürdigen Propheten der Hoffnung und der Solidarität auch in den Augen der Welt machen.
Die heiligen Patrone Europas, der heilige Benedikt sowie die heiligen Cyrillus und Methodius, mögen uns auf diesem schwierigen Weg helfen. Besonders möge die heilige Brigitte für uns bitten, da wir kürzlich das sechste Jahrhundert seit ihrer Heiligsprechung begangen haben. Dieses Ereignis war besonders bezeichnend und bedeutete einen wichtigen Schritt im ökumenischen Dialog. Das Beispiel dieser Heiligen und die Erinnerung an die von ihr durchgeführte Sendung im Dienst an der Einheit der Kirche geben uns Grund zur Ermunterung für alle, die in der neuen Evangelisierung Europas engagiert sind.
8. In diesem Jahr haben wir ferner das vierte Jahrhundert seit dem Tod eines weiteren europäischen Heiligen, des heiligen Johannes vom Kreuz, begangen. Ich wollte dieses Ereignis durch die Entsendung meines Delegaten zu Beginn und zum Ende der Jubiläumsfeierlichkeiten in Spanien auszeichnen, ferner durch den Apostolischen Brief "Lehrer des Glaubens".
Die bescheidene und strenge Gestalt dieses Karmeliters beginnt in seinen Schriften zu leuchten, die auch heute noch sehr aktuell sind. Sie bedeuten ein großes Licht für das Eindringen ins Geheimnis Gottes und in das Geheimnis des Menschen. Er hatte ein besonderes Gespür für die Transzendenz Gottes und kann unseren Blick in der Stunde der neuen Evangelisierung schärfen. Als unser Lehrer im Glauben und im gottverbundenen Leben hat uns Johannes vom Kreuz die Notwendigkeit unserer Reinigung durch den Geist des Herrn eingeschärft, wenn wir entscheidend und wirksam apostolisch tätig werden wollen. Es besteht ja ein enger Zusammenhang zwischen der Kontemplation und dem Wirken für die Umgestaltung der Welt.
Die Kirche ist sich dessen bewusst und hat daher der Funktion kontemplativer Menschen immer besondere Wichtigkeit beigemessen, weil diese in Sammlung, Gebet und verborgenem Opfern ihr Leben für das Heil ihrer Mitmenschen Gott darbringen. Ich Wünsche mir, dass auch heute zahlreiche Menschen hochherzig bereit sind, dem Ruf Gottes zu folgen und in der Einsamkeit eines Karmels oder eines anderen Klosters mit kontemplativen Leben das anspruchsvolle und zugleich begeisternde Abenteuer des ausschließlichen Suchens nach dem Austausch mit Ihm wagen, der Ursprung einer jeden menschlichen Existenz ist.
9. Während die Adventszeit zu Ende geht, sind unsere Herzen bereits vom Glanz der Heiligen Nacht erhellt: der Nacht des Kommens Christi, des Erlösers, im Glauben. "Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht ... du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude" (Jes 9,1-2). Dieses Licht, das der alte Prophet dem hebräischen Volk verkündete, strahlt vor der Menschheit auch heute noch. "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14). Unter uns weilt der Friedensfürst, der Erlöser des Menschen ist bei uns.
Was ich von Herzen einem jeden wünsche, ist, es möchte sich nie die Kraft dieser Gewissheit abschwächen, die unser aszetisches, pastorales und missionarisches Wirken letztlich begründet.
Es kommt Jesus der Herr! Er kommt zu uns durch die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes und unsere Mutter. Ihr, der Jungfrau des Horchens und des Gehorchens vertraue ich einen jeden von euch an und alle Menschen, die euch nahestehen. Ihr vertraue ich das neue schon nahe Jahr an. Sie ist die Morgenröte des Heils und der Stern der neuen Evangelisierung. Sie möge uns leiten, stärken und beschützen.
1992
am 22. Dezember mit dem Thema: Der Katechismus der Katholischen Kirche - eine Frucht des Il Vatikanischen Konzils
Meine Herren Kardinäle, liebe Brüder und Schwestern!
1. Am vergangenen 11. Oktober waren es dreißig Jahre seit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Am 11. Oktober 1962 feierte man das Fest der Gottesmutterschaft Marias - eine an und für sich bereits sehr bedeutsame Tatsache. Die Nähe des Weihnachtsfestes, das Hochfest, an dem wir uns wieder einmal zur Betrachtung der Jungfrauengeburt des Gottessohnes von einem einfachen Mädchen aus Nazareth zusammenfinden, erinnert uns an die freudige Atmosphäre jenes Tages, an dem Bischöfe aus aller Welt unter dem mütterlichen Blick Marias dieses großartige Ereignis im Leben der Kirche eröffneten.
Am heutigen Tag, an dem es mir, einem schönen Brauch entsprechend beschieden ist, mit den verehrten Mitgliedern des Kardinalskollegiums, der Kurie und der römischen Prälatur zum Austausch der Weihnachtswünsche zusammenzutreffen, taucht in mir spontan der Gedanke auf, gerade den 30. Jahrestag der Konzilseröffnung zum Thema unserer vorweihnachtlichen Betrachtungen zu machen.
Ich danke vor allem dem geliebten und verehrten Kardinaldekan für die tiefen Empfindungen, die er in euer aller Namen in den mir vorgetragenen Wünschen znm Ausdruck gebracht hat. Ich erwidere diese Wünsche herzlichst und erflehe vom göttlichen Retter reiche Gnaden für Sie, Herr Kardinal, für die anderen Kardinäle, für die Bischöfe und für euch alle, Priester, Ordensleute und Laien, die ihr mit unermüdlicher Hochherzigkeit eure Arbeit in den Dienst des Heiligen Stuhls stellt. Unter den hier Anwesenden haben nicht wenige am Konzil teilgenommen und unter der Leitung des Heiligen Geistes zu diesem großen Werk des kirchlichen Lehramtes und gleichzeitig zur Erstellung des Programms der apostolischen und pastoralen Sendung der Kirche ihren Beitrag geleistet. Andere hingegen, die gewissermaßen bereits der nachkonziliaren Generation angehören, haben die Arbeit ihrer Vorgänger aufgegriffen, um Tag für Tag und Jahr für Jahr das auszuführen, was der Heilige Geist, der unablässig zur Kirche spricht (vgl. Offb 2,29), von uns durch das Konzil unseres Jahrhunderts verlangt hat. Ihm, dem Fürsprecher, dem Geist des Vaters und des Sohnes, dem Geist Jesu Christi, drücken wir unsere unbeirrbare Dankbarkeit aus für sein "Sprechen", das sich während des Konzils in solch intensiver und wirksamer Weise vergegenwärtigt hat.
2. Gleichzeitig wollen wir dankbar derer gedenken, die auf direkte Weise, durch ihr liebevolles und demütiges Wirken, Mitarbeiter des Geistes der Wahrheit und Mitgestalter des II. Vatikanums geworden sind. Ich denke dabei vor allem an die Zeit der Vorbereitung des Konzils. Man könnte sagen, dass - im weiteren Sinn des Wortes - das ganze Leben, die Erfahrung und die Lehrtätigkeit der Kirche seit dem Konzil von Trient und dann seit dem Ersten Vatikanischen Konzil das II. Vatikanum vorbereitet haben. Ein Konzil wird immer in einem bestimmten Augenblick der Geschichte Wirklichkeit, geht aber auch "aus den Anfängen" des geschichtlichen Urgrunds der Kirche hervor.
Was seine unmittelbare Vorbereitung betrifft so muss auf den wesentlichen Beitrag Pius XII. hingewiesen werden. Aus den Konzilsdokumenten ist ersichtlich, wieviel jedes einzelne von ihnen der gesamten Tradition der Kirche und insbesondere den Lehraussagen dieses Papstes verdankt.
Wie könnten wir es unterlassen, der göttlichen Vorsehung für das Geschenk zu danken, dass sie uns mit Papst Johannes XXIII. gemacht hat? Wir sind für die großartige Intuition dankbar, die ihn veranlasste, die "Stunde" des Konzils wahrzunehmen, den göttlichen "Kairos", der das innere Gebot in sich trug, das Konzil einzuberufen. Johannes XXIII. handelte wie der Familienvater, der aus seinem Schatz Altes und Neues hervorholt (vgl. Mt 13,52), um eben durch das, was in ihm ewig und unveränderlich ist, die "Neuheit" des Evangeliums unter Beweis zu stellen. "Es ist notwendig, sagte Johannes XXIII. in seiner Ansprache zur Eröffnung des Konzils, diese sichere und unwandelbare Lehre ... zu vertiefen und so darzulegen, dass sie den Erfordernissen unserer Zeit entspricht. Eines ist ja der Glaubensinhalt als solcher, nämlich die in unserer Lehre enthaltenen Wahrheiten; etwas anderes ist die Art und Weise ihrer Verkündigung, wobei jeweils der Sinn und die Reichweite dieser Wahrheiten unangetastet bleiben" (MS 45 [1962] 792). Und drum danken wir Christus, dem Herrn, auch für Papst Paul VI., der das Konzil, diese große Tat, zu Ende geführt und unter oft dramatischen Umständen seine praktische Verwirklichung begonnen hat, wobei er jedoch immer bedachtsam, mit Mäßigung und Ausgewogenheit vorging. Mit dem Glaubensbekenntnis des Volkes Gottes griff Paul VI. auf die apostolische Zeit zurück, öffnete jedoch die Kirche gleichzeitig für den "Dialog des Heils," indem er die Wege aufzeigte und erklärte, die sie in der zeitgenössischen Welt beschreiten sollte. Das war der Inhalt von Ecclesiam suam, der ersten Enzyklika, in welcher der unvergessliche Papst vom Blickpunkt des Konzils aus die Bereiche des Heilsdialogs definierte und diese als große, konzentrische Kreise bezeichnete.
An wie viele Menschen müssten wir jetzt erinnern, seien sie nun Hauptpersonen oder Mitarbeiter dieses großen Werkes - des Konzils gewesen! Dabei übten alle Bischöfe der Welt allen Kirchen der irdischen "Oikumene" gegenüber ihr besonderes Amt aus. Dann waren es die Theologen, die Experten, die Auditoren, die Mitarbeiter in der Konzilsaula und in den Medien, die sich der Konzilsversammlung zur Verfügung gestellt hatten ... Einen sehr wertvollen Dienst leisteten dem Konzil auch die Vertreter der anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften, deren Anwesenheit dazu beigetragen hat, dass das II. Vatikanum mutige Richtlinien für eine erneuerte Ökumene, für das Streben nach der Einheit der getrennten Christen formulierte:
"Alle sollen eins sein" (Joh 17,21),
3. Wenn wir heute mit tiefer Dankbarkeit all dieser Personen und ihrer vielfachen Aktivitäten gedenke, können wir es nicht unterlassen, dem Heiligen Geist zu danken, der - der Verheißung des Herrn gemäß - bis zum Ende der Welt bei uns ist, um uns alles zu lehren und im richtigen Augenblick das in Erinnerung zu rufen, was Jesus gesagt hat (vgl. Joh 14,26).
Unser Nachdenken über die Vergangenheit wird noch bedeutsamer, wenn wir das Konzil von den nachkonziliaren Erfahrungen aus betrachten. Die Kirche ist zwar in allen Teilen der Welt die gleiche wie gestern, lebt und verwirklicht jedoch in Christus ihr "Heute", das insbesondere mit dem II. Vatikanum seinen Anfang genommen hat. Dieses "Heute" hat seinen Niederschlag auch in den nachkonziliaren Dokumenten gefunden. Ich denke dabei an den Kodex des kanonischen Rechtes der lateinischen Kirche und an den Rechtskodex der orientalischen Kirchen, dessen bevorstehende Erarbeitung von Papst Johannes zugleich mit dem Konzil angekündigt worden war. Man sagte seinerzeit, diese Codices seien gewissermaßen als die letzten Dokumente des II. Vatikanums zu betrachten. Eine ähnliche Meinung wird heute (und vielleicht mit größerer Berechtigung) hinsichtlich des Katechismus der Katholischen Kirche ausgesprochen, der nach Jahren intensiver Arbeit der damit beauftragten Kommission unter Vorsitz von Kardinal Joseph Ratzinger, einem leidenschaftlichen Erforscher der Wahrheit, aus der die Kirche lebt, vor einigen Tagen feierlich der Gemeinschaft der Gläubigen überreicht wurde.
Man kommt nicht umhin hinzuzufügen, dass diese Dokumente - insbesondere der Katechismus - Früchte der Vorschläge der Bischöfe sind, die insbesondere in den Synoden zum Ausdruck kamen. Es handelt sich um eine sehr bedeutsame Tatsache, die viel über die Lebensweise der großen Gemeinschaft des Volkes Gottes in aller Welt und ebenso über ihre Lebensbedürfnisse aussagt.
Auch ein anderer Tatbestand darf nicht übersehen werden: Das Konzil wurde mit großem Interesse von den Massenmedien verfolgt, die zweifellos, was die Information der öffentlichen Meinung betrifft, wertvolle Dienste geleistet, jedoch gleichzeitig eine oft einseitige Auslegung seiner Arbeit verbreitet und dieses Konzil als einen Ort des Zusammenpralls zwischen konservativen und progressiven Tendenzen dargestellt haben. Es wäre jedoch eine große Ungerechtigkeit dem gesamten Werk des Konzils gegenüber, wollte man dieses historische Ereignis auf eine derartige Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Gruppen verkürzen. Die dem Konzil innewohnende Wahrheit ist eine ganz andere: Sie ist jene Wahrheit, die dem im Evangelium überlieferten Gleichnis vom Hausvater entspricht, der seinem Schatz Neues und Altes entnimmt (vgl. Mt 13,52). Und was dabei vor allem zählt, ist die Tatsache, dass dieser Mann sich einem großen Schatz gegenüber sieht, der ihm von Gott selbst anvertraut worden ist. Er - der betreffende Mann - weiß, dass er nur Verwalter und Diener, aber nicht Eigentümer des Schatzes ist; dieser ist ihm nur anvertraut.
4. Das Zweite Vatikanische Konzil wird als vorwiegend ekklesiologisches Konzil in die Geschichte eingehen. Die Kirche war und bleibt sein zentrales Thema: Die Kirche - eine menschliche und historische Wirklichkeit, aber gleichzeitig von Gott eingesetzt und Geheimnis des Glaubens. Deshalb sind alle Versuche, die ekklesiale Wirklichkeit auf andere, z.B. nur soziologische Dimensionen zu reduzieren, ungeeignet und sogar abwegig, weil sie nicht dem Geheimnis gerecht werden, welches das tiefste Wesenselement ("constitutivum") der Kirche - einer göttlich-menschlichen Wirklichkeit - darstellt. Das Konzil, in seinem Kern ekklesial, ist gleichzeitig zutiefst trinitarisch: "Das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk" (Cyprian, De Grat. Dom., zitiert in: Lumen gentium, Nr. 4). Der Höhepunkt und der innerste Kern der "Theo-logie"-Wahrheit über Gott, Personengemeinschaft in der absoluten Einheit der Gottheit - ist gleichzeitig die Quelle, der die Ekklesiologie entspringt. Die Kirche ist - und wird zu allen Zeiten aus dem Schoß des ewigen Vaters geboren, der die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn in die Welt sandte (vgl. Joh 3,16) und durch das Wirken des Sohnes, durch sein Erlösungsopfer, auch den Heiligen Geist. Wir stehen hier im Mittelpunkt der "trinitarischen Ökonomie". Die Kirche ist in der grundlegenden Dimension des Geheimnisses eine zutiefst christologische und pneumatologische Wirklichkeit. Diese Wahrheit über die Kirche wird bereits auf den ersten Seiten der Konstitution Lumen gentium an deutlich und ist darin in allen Lehraussagen des Konzils gegenwärtig. Hier liegen auch die Wurzeln der theologischen Anthropologie des II. Vatikanums. In Christus leuchtet ja das Geheimnis des Menschen in all seiner Fülle auf (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Es "leuchtet auf': Obwohl die Wahrheit über den Menschen anscheinend für seine Erkenntnis, sowohl für die halbwissenschaftliche als auch für die wissenschaftliche mit ihren verschiedenen Zweigen, restlos zugänglich scheint, entspringt ihre Fülle nur "dem Abbild und Gleichnis Gottes". Christus "offenbart eben dem Menschen in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe des Menschen selbst vollständig und erschließt ihm seine hohe Berufung" (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Diese Berufung umschließt die theologisch korrekte Antwort auf die Frage: "Was ist der Mensch?" Wenn das Konzil lehrt, dass "der Mensch, der ... die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann" (Gaudium et spes, Nr. 24), so liegt es damit auf der Linie der gesamtem Tradition. Mit dieser Feststellung berühren wir die Tiefen des trinitarischen Geheimnisses: Diese "Schenkung seiner selbst" wird ja für uns deshalb möglich, weil sie die göttliche Gemeinsamkeit ("communio") der Personen in der Einheit des trinitarischen Lebens zum Ausgangspunkt hat. Das Konzil spricht sogar von einer gewissen "Ähnlichkeit ... zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe" (Gaudium et spes, Nr. 24).
Diese konziliare Anthropologie erhellt das tiefe Wesen des Menschen, insofern er nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen ist. Gleichzeitig erlaubt sie uns, die wahre Identität der "Welt" zu verstehen, indem sie uns diese Welt als die der Menschen, der ganzen Menschheitsfamilie entdecken lässt, "im Zusammenhang des Alls der Dinge, in dem sie lebt; die Welt, ... Schauplatz der Geschichte des Menschengeschlechts, von seinen Anstrengungen, Niederlagen und Siegen geprägt; die Welt, die nach dem Glauben des Christen in der Liebe des Schöpfers ihre Grundlegung und ihren Bestand hat; die unter die Herrschaft der Sünde geraten, von Christus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der die Macht des Bösen gebrochen, befreit und bestimmt ist, nach Gottes Heilsratschluss verwandelt zu werden und so zur Vollendung zu kommen" (vgl. Gaudium et spes, Nr. 2).
Diese Stelle könnte man als die theologische Kosmologie des Konzils bezeichnen, die zutiefst von der soteriologischen Wahrheit durchdrungen ist. Die Schöpfung und Erlösung der Welt passen sich der Einheit des göttlichen Planes an. Die Kirche, deren Sendung im Geheimnis der Schöpfung und Erlösung wurzelt, ist ihrem Wesen nach universal, da alles Seiende in Gott, dem Schöpfer, seinen Ursprung hat, und jeder Mensch von der Heilsliebe Gottes in Jesus Christus umfangen wurde. Deshalb also ist die Kirche immer die "Hinausgesandte" ("in statu missionis").
5. Am heutigen Tag, unmittelbar vor dem Hochfest der Geburt Christi, an dem wir versammelt sind, um unsere Glückwünsche auszutauschen, bitten wir den Herrn, diese erhellenden Aussagen des II. Vatikanums mögen für uns alle Quelle besonderer Freude und nachhaltiger innerer Bereicherung werden. Jesus, der Sohn des Vaters, der in der Nacht von Bethlehem in die Welt eintritt, ist der treueste Zeuge - der "Augenzeuge" des trinitarischen Geheimnisses Gottes. Er, der Sohn der Jungfrau von Nazarethh, kommt, um vor allen, vor den Menschen und der ganzen Schöpfung zu bezeugen: Gott hat die Welt geliebt und das Ausmaß dieser Liebe ist die Tatsache, "dass er seinen einzigen Sohn hingab" (Joh 3,16) und ilm durch den Heiligen Geist unablässig hingibt.
Nach den Worten des heiligen Paulus auf dem Areopag ist Gott derjenige, in dem wir leben, in dem wir uns bewegen und in dem wir sind (vgl. Apg 17,28); er hat sich in Christus als Vater, Sohn und Heiligen Geist geoffenbart. Er umfängt nicht nur das All und erhält es in seinem Dasein mit der Macht seiner schöpferischen Vorsehung, sondern durchdringt es auch gleichzeitig mit dem Geheimnis der göttlichen Gemeinsamkeit, mit seiner Heilsliebe. Das Konzil hat gezeigt, wie diese erhabene Gemeinsamkeit dem Geheimnis der Kirche selbst und ilrrer Sendung eingeprägt ist und Quelle und Vorbild ihres Lebens und ihrer vielfachen Dynamik wird. Aufgrund der Inspiration dieser göttlichen Gemeinsamkeit wird der "Austausch der Gaben" möglich, dank dessen der mystische Leib Christi in der Vielfalt der über das ganze Antlitz der Erde verstreuten Kirchen eine Einheit ist. Er ist dies auch in der ökumenischen Hoffnung auf jene Einheit der Christen, die Christus unablässig vom Vater erbittet. Er ist auch eine Einheit bezüglich der immer zahlreicheren Menschheitsfamilie.
So betrachtet wird die Missionstätigkeit zum bevorzugten Raum für einen immer reicheren Austausch der Gaben zwischen der Heilsmission und dem Leben und der Kultur der verschiedenen Völker (vgl. Redemptoris missio). Die Kirche ist eine Einheit in der ständigen Begegnung mit den vielfältigen Wirklichkeiten, welche die "Welt des Menschen" bilden: Mit all seinen Siegen und Niederlagen; mit Fortschritt und Unterentwicklung; mit seinen bürgerlichen, wirtschaftlichen und politischen Errungenschaften; mit seinem inbrünstigen Verlangen nach Frieden und mit der ständigen Bedrohung durch den Krieg.
Allen auseinander strebenden Kräften, den Kräften der Missachtung, des Hasses und der Zerstörung begegnet dank der Kirche die heilbringende Liebe, die in ihrer Fülle im Geheimnis des Kreuzes auf Golgotha offenbar wurde, deren Anfang jedoch nach BethIehem, in die Geburtsnacht des Erlösers zurückreicht. "Heute ist uns der Retter der Welt geboren".
6. Wir nähern uns dem Geheimnis jener Geburt mit tiefer Demut und Dankbarkeit, um der Liebe dienen zu können, die - obwohl anscheinend vom Hass besiegt - aus ihrer eigenen Kraft heraus siegt; die - obwohl anfänglich vom Vater der Lüge überwunden - nur dank der vom menschgewordenen Wort in die Welt hineingetragenen Kraft triumphiert.
Dem, der in der Nacht von Bethlehem gekommen ist, um zu dienen, danken wir für die Gabe, dienen zu können. Wir danken ihm gemeinsam mit all jenen, die in der Kirche verschiedene Ämter innehaben. Wir danken gemeinsam mit dem gesamten Amtspriestertum der Kirche. Wir danken in Gemeinschaft mit dem besonderen Amt des Zeugnisses für das Reich Gottes, das den Ordensleuten und den Gottgeweihten eigen ist. Wir danken gemeinsam mit den Eheleuten, die die Heilige Familie in der Nacht von Bethlehem, dann während der Flucht nach Ägypten und schließlich in Nazareth betrachten, indem sie aus all diesen Ereignissen die göttliche Bedeutung ihrer menschlichen Liebe im Dienst des Lebens und der Erziehung der Kinder herauslesen. Wir danken gemeinsam mit allen Leidenden, mit den Betagten, den Einsamen und Verlassenen. Wir danken auch gemeinsam mit den jungen Generationen, die in Christus eine fundamentale Wahrheit lernen: Dienen bedeutet herrschen.
Wir danken alle, die wir hier vereint sind, und es dankt jener, der, wenn er nur Anrecht auf einen Namen hat, dann auf den der "Diener der Diener Gottes". Heute bietet sich eine besonders günstige Gelegenheit, um euch, verehrte und liebe Brüder, für eure wertvolle Mitwirkung an dem "ministerium petrinum" zu danken, von dem der Herr wollte, dass es der vielfältigen Gemeinschaft diene, wodurch in der menschlichen Wirklichkeit das unaussprechliche Geheimnis Gottes zum Ausdruck kommt.
Wir danken dieses Jahr auch für die 4. Vollversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats; wir danken für die Arbeit der Synoden Afrikas, Europas, des Libanon und Armeniens und für die bereits begonnenen Vorarbeiten für die nächste Synode über das Ordensleben. Nochmals danken wir für die Früchte aller nachkonziliaren Bischofssynoden und denken dabei insbesondere an die zuletzt veröffentlichten nachsynodalen Schreiben Christifideles laici und Pastores dabo vobis. Wir vertrauen dem Herrn die im Augenblick neuen sowie die zukünftigen Aufgaben aller Kirchen und christlichen Gemeinschaften an und flehen: "Alle sollen eins sein. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast" (Joh 17,21).
Wenn die Christen untereinander eins sind, können sie besser einer immer aktuellen, heute aber besonders dringenden Aufgabe nachkommen: Der Nächstenliebe den Bedürftigen gegenüber. Am vergangenen Sontag besuchte ich im Hinblick auf Weihnachten die Ausspeisung der Diözesancaritas auf dem Colle Oppio. Dort begegnete ich einer großen Zahl von Einwanderern, Flüchtlingen und Nomaden: Menschen, denen es an allem fehlt und die oft nicht einmal die Möglichkeit haben, ihre Grundrechte geltend zu machen. Zu den Bemühungen der Diözese um sie müssen auch die des Heiligen Stuhls hinzukommen, der sich in Pflichttreue zu seiner weltumspannenden Sendung des Dienens vorrangig um jene zu kümmern hat, die in unserer Stadt in so unzulänglichen Verhältnissen leben.
Besonders lebhaft wird uns das in der Weihnachtszeit bewusst, in der unsere Aufmerksamkeit auf das Geheimnis des Sohnes Gottes gelenkt wird: Er ist auf die Erde herabgekommen, um bis ins Letzte die Lebensbedingungen der Menschen zu teilen, vor allem die der Armen, der Armen aller Zeiten und daher auch der Armen unserer Zeit, des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Angesichts der Krippe erfahren wir, wie der Aufruf zur Liebe und zum Teilen mit anderen für jeden von uns zur dringenden Aufforderung wird, die "Zivilisation der Liebe" zu verwirklichen.
Vor der Krippe verwandelt sich dieser Aufruf in Gebet. Aber siehe, es kommt das mächtigste Gebet zur Welt, der mächtigste Schrei zum Vater. Im Augenblick ist dieses Gebet nur das leise Weinen eines neugeborenen Kindes, in dem sich jedoch bereits der "Erstgeborene unter allen Geschöpfen" kundtut. Er kommt, "um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln" (Joh 11,52). Er kommt, "damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10).
"Christus ist uns geboren: kommt, wir beten ihn an !"
1993
am 21. Dezember: Vatikanischer Jahresrückblick 1993
1. "O wunderbarer Tausch!" "O admirabile commercium!"
Dieser Ausdruck, der irgendwie den Gipfel der Weihnachtszeit bezeichnet, findet sich in der Liturgiefeier des ersten Tages des Neuen Jahres, obwohl sein Inhalt schon vom Beginn dieser gesegneten Zeit an sehr wohl präsent ist. "O wunderbarer Tausch": Das verkündet vor allem die Nacht der Geburt des Herrn: "Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werden könne": Dieser Gedanke kehrt oft in den Schriften der Kirchenväter des Ostens und des Westens wieder und wurde so zum festen Punkt des Glaubens und der Lehre der Kirche. Die Liturgie übernimmt diese Ankündigung gleichsam als Leitmotiv. Insbesondere tun das die alten östlichen Liturgien, die bei der Darstellung der eucharistischen Gaben die Tatsache betonen, dass sie als von Gott empfangene Gaben dargebracht werden: "Tibi ex tuis" (Dir aus Deinen Gaben). Das gleiche tut die römische Liturgie, zumal im Gefolge der nachkonziliaren Erneuerung, wenn sie bei der Opferung das Brot und den Wein als Geschenk Gottes und zugleich als Frucht der menschlichen Arbeit darbringt. Es gilt erneut: "Dir aus Deinen Gaben."
Dieses Opferbewusstsein kehrt in verschiedener Weise auch in der Literatur wieder. Der polnische Dichter Jan Kochanowski hat im sechsten Jahrhundert geschrieben: "Dein ist tatsächlich alles auf dieser Erde, was der Mensch als sein Eigentum betrachtet. Daher loben wir dich mit dankbarem Herzen, o Herr, weil wir nichts Besseres zu opfern besitzen" (vgl. Piesni, Ksiegi wtóre, Piesn XXV, w 5-8). Der Mensch bleibt sich also im Verlauf der Jahrhunderte und durch die Generationen hindurch beim Darbringen seiner Gaben an Gott bewusst, dass er nur das darbringt, was er von ihm empfangen hat. Eben deswegen bringt er es dar. Die Tatsache der Darbringung zeigt, dass er sich bewusst ist, als Opfer ein empfangenes Geschenk darzubringen. Dieses Bewusstsein war bereits in der Nacht von Bethlehem da. Die Hirten zeigten es, als sie Gaben für das Kind mitbrachten, wie es später auch die Weisen aus dem Orient taten.
2. Warum spreche ich heute bei diesem besonderen Anlass von all dem? Ich tue es, um in die Stimmung der Feste einzutreten, die uns nahe bevorstehen, aber auch, um mich in die Atmosphäre dieser unserer jährlichen Begegnung zu versetzen. Ich treffe heute nämlich die Vertreter der Römischen Kurie und des Vikariates der Kirche in Rom; ich begegne daher denen, die das Umfeld bilden, in dem ständig der Austausch der Gaben erfolgt, auch in dem Sinn, den die Konzilskonstitution Lumen gentium anspricht (vgl. Nr. 13). Dieser Austausch der Gaben bildet die Kirche in ihren verschiedenen Kreisen. Im Mittelpunkt befindet sich Rom, befindet ihr euch, verehrte Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, gottgeweihte Personen und Laienmitarbeiter, die hier anwesend sind, und alle, die mit euch täglich zusammenarbeiten. Man kann nicht umhin - zumal nach den Worten des Kardinaldekans, dem ich für den Ausdruck seiner Empfindungen danke -, an die Liturgie zu denken und an den Ausdruck "Dir aus Deinen Gaben" zu erinnern oder an jeden anderen lateinischen Ausdruck, der das Verbundensein des Geschenkes Gottes mit der Arbeit der Menschenhände betont. Diese Verbundenheit vollzieht sich ständig an eurem Arbeitsplatz, wo ihr mit dem Bischof von Rom zusammenarbeitet. Heute möchte der Papst euch dafür danken. Die beste Form des Dankes besteht aber darin, diese ganze Mühe und Zusammenarbeit dem Gottmenschen zu Füßen zu legen, der in Bethlehem geboren wurde, sie in die Hände der Mutter Gottes und ihres Bräutigams, des heiligen Josef, zu legen, wie es die Hirten in Bethlehem und später die Weisen aus dem Orient getan haben: "Dir aus Deinen Gaben."
3. Das Jahr 1993, das im Verlauf der Weihnachtsoktav zu Ende geht, war ein reiches Jahr, und es fällt mir schwer, nicht wenigstens an einige "Reichtümer" zu erinnern, die es uns geschenkt hat. Hier ist vor allem die zweite Synode der Kirche in Rom zu erwähnen, eine nachkonziliare Synode nach jener anderen im Pontifikat von Johannes XXIII. im Jahre 1960 kurz vor dem II. Vatikanischen Konzil. Der Charakter der kürzlichen Synodenversammlung war deutlich nachkonziliar, und das wurde auch zu Recht im Schlussdokument betont. Es genügt, das "Buch der Synode" durchzugehen, um dies festzustellen. In ihm findet die Kirche in Rom, die sich von 1987 bis 1993 aktiv mit der Synode beschäftigt hat, eine getreue Beschreibung ihrer Situation, aber auch ihrer Bedürfnisse und Bestrebungen, ihrer Projekte und apostolischen Pläne. Diese letzten sind nicht nur für die Diözese Rom wichtig, sondern für die ganze Kirche, der Rom dienen möchte.
Rom und sein Bischof stehen im Dienst der kirchlichen Gemeinschaften der ganzen Welt: Dies wurde im zu Ende gehenden Jahr durch zahlreiche Besuche bekräftigt: in Italien, wo ich besonders an Sizilien denke, und außerhalb. Schon beim Besuch der römischen Pfarreien, die im allgemeinen mit verschiedenen Mitgliedern des Kardinalskollegiums verbunden sind, kann der Papst gewissermaßen die Stimme der nahen und fernen Kirchen vernehmen, zu denen die Kardinäle gehören, die auch ihrerseits den Dienst des Petrusnachfolgers ausüben, den "Petrusdienst".
4. Im zu Ende gehenden Jahr konnte ich die Kirchen in Benin, Uganda und Sudan in Afrika besuchen, dem Kontinent, der sich auf die Sonderversammlung der Bischofssysnode vorbereitet, die vom 10. April bis zum 8. Mai des kommenden Jahres in Rom stattfindet. Es war nicht das erste Mal, dass sich der Papst nach Afrika begeben hat; vielleicht wird es auch nicht das letzte Mal sein. Afrika ist gastfreundlich: Es nimmt den Papst gern auf und ist bereit, dafür jedes auch wirtschaftliche Opfer auf sich zu nehmen. Dies ist eine Besonderheit, die es im edlen Sinn auszeichnet. Afrika ist arm, doch zugleich reich durch den Reichtum, mit dem Christus uns alle reich gemacht hat, als er um unseretwillen arm wurde (vgl. 2 Kor 8,9).
Dies soll nicht heißen, man dürfe in Afrika die Probleme der sozialen Gerechtigkeit verschweigen, nicht nur die im Inneren, sondern auch die auf Ebene der interkontinentalen Beziehungen; im Gegenteil müssen wir davon reden. Reden müssen wir auch von den Problemen, die unsere Beziehungen zu den Anhängern der großen Religion des Islam betreffen, um zu versuchen, sie offenen Geistes aufzugreifen, um mögliche Lösungen zu finden. Mein Besuch von nur einem Tag im Sudan gehört in diesen Zusammenhang. Die Gastfreundschaft der Hausherren war echt, und ich bin ihnen dafür dankbar. Die Autoritäten haben schätzenswerte Versprechungen formuliert, die das Leben der katholischen Gemeinschaften in dieser Nation betreffen. Ich spreche zugleich den lebhaften Wunsch aus, sie möchten praktisch verwirklicht werden als Zeichen eines konstruktiven Dialogs mit der Welt des Islam. Besonders bedeutsam war die Begegnung mit der Kirche dieser Nation, der der Papst eine würdige Tochter des Sudan als Selige schenken konnte, Giuseppina Bakhita, die am 17. Mai 1992 auf dem Petersplatz zur Ehre der Altäre erhoben wurde. Der Papst hat sie ihrem irdischen Vaterland als erste Patronin zurückgeschenkt. So steht nun neben den Märtyrern von Uganda diese arme sudanesische Sklavin, die von Christus auf nur ihm bekannten Wegen zur Heiligkeit geführt worden ist. Der Reichtum Afrikas liegt nicht nur in seiner Gastfreundschaft, sondern auch in seinen Heiligen, deren Zahl ansteigt. Das ist nun eine große Freude für die Kirche in Rom und für die Synode der afrikanischen Bischöfe, die in ihre Endphase tritt.
5. Hier möchte ich ein Wort über meine Rückkehr in das Land von Christoph Kolumbus hinzufügen: Ich habe mich erst nach Sevilla zum Internationalen Eucharistischen Kongress begeben und dann nach Huelva und an die Orte, wo Kolumbus sich mit seiner Mannschaft auf die entscheidende Fahrt über den Ozean vorbereitete, auch wenn er nicht wusste, wohin diese Expedition ihn führen sollte. Meine Präsenz in Spanien gewann im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum fünften Jahrhundert seit Beginn der Evangelisierung Amerikas besondere Bedeutung. Diese Evangelisierung kam seit 1492 voran dank der geistigen Kräfte, die Kolumbus im Verlauf seiner verschiedenen Expeditionen mitbrachte, und dann dank jener Kräfte, über die die Kirche in Spanien damals verfügte. Wir dürfen nicht vergessen, dass es die Zeit war, in der der heilige Ignatius von Loyola, die heilige Teresa von Avila und der heiligen Johannes vom Kreuz hervor traten. Es war die Zeit, in der die Schule von Salamanca zu großem Glanz aufzusteigen begann und die Grundlagen des modernen internationalen Rechtes legte. Doch schon zuvor hatte dies in einem gewissen Sinn die Akademie in Krakau durch ihren Sprecher auf dem Konzil von Konstanz getan. Die Präsenz des Papstes auf spanischem Boden wurde zumal in Madrid begeistert begrüßt bei Gelegenheit der Weihe der Kathedrale zu "Unserer Lieben Frau de la Almudena" und der Heiligsprechung des Gründers der theresianischen Familie, Enrique de Ossóy Cervelló. Bei diesem Abschnitt des "Fünften Jahrhunderts seit Kolumbus" haben sich auch die Proteste abgeschwächt, und es erhob sich zu mal in Madrid ein Chor der Begeisterung für die Kirche und ihre Sendung in der heutigen Welt. Die Spanier haben mich mit ihrer Begeisterung überrascht, zumal die Jugendlichen. Gott sei für all das gedankt. Es war wie ein Vorgeschmack der Erfahrung von Denver.
6. Denver war tatsächlich die große Überraschung des Jahres 1993. Der Welttag der Jugend, der von Zeit zu Zeit an verschiedenen Orten der Erde stattfindet - der letzte hatte in Jasna Góra in Polen 1991 stattgefunden -, fand dieses Jahr in Denver in den Vereinigten Staaten am Fuß des Felsengebirges statt. Im Verlauf der apostolischen Reise, die mich nach Denver geführt hat, konnte ich die Besuche zum fünften Jahrhundert seit der Evangelisierung Amerikas ergänzen und mich bei den afro-amerikanischen Gemeinschaften der Insel Jamaica aufhalten und dann bei der indo-mexikanischen Gemeinschaft in Méridal/Yukatán, auf den Spuren der Eingeborenen Mexikos. Die Beteiligung einer großen Schar ihrer Nachkommen war ein Zeugnis dafür, wie wirksam die Evangelisierung in diesem Land gewesen ist.
Warum war Denver für mich die große Überraschung des Jahres 1993? Man sah, wenigstens nach einigen Informationsmedien, einen großen Protest voraus; der Welttag verlief aber als eine große Bestätigung. Nicht eine Bestätigung des Papstes oder der Kirche, sondern vor allem eine Bestätigung Christi. Und es war nicht das erste Mal, dass die Jugendlichen mit solchem Nachdruck ihren Wunsch aussprachen, das Evangelium in das neue Jahrtausend hineinzutragen. Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6); Christus ist bei ihnen, und sie verlangen mit echt jugendlichem Schwung nach seiner Gegenwart. Deswegen bejahen sie auch die Kirche, trotz der menschlichen Schwächen ihrer Mitglieder, und sie nehmen es nicht hin, dass ihnen ein solcher Schatz genommen wird. Wie kann man da noch behaupten, sie liebten Schlagworte wie: "Christus ja - Kirche nein?" Viele von ihnen folgen vielmehr einem Weg gegen den Strom, was die antichristliche Propaganda angeht. Das hat natürlich einige Kommunkationsmedien erstaunt und auch verwirrt, die sich darauf vorbereitet hatten, einen großen Protest zu erleben. Es war eine Überraschung für den amerikanischen Episkopat, der festgestellt hat, nicht allein zustehen bei seiner Sendung zur Evangelisierung, sondern vor allem auf das Mitmachen der Jugendlichen als Baumeister der Zukunft zählen zu können. Die amerikanischen Bischöfe sprechen noch weiter davon und wiederholen: "Es war die große und außergewöhnliche Gnade dieses Jahres." Ich musste dies daher auch hier erwähnen, zumal 1993 das Jahr der Ad-limina-Besuche der Bischöfe der Vereinigten Staaten und Kanadas war: die Gnade der Begegnung von Denver wurde damit auch zur Gnade dieser Besuche.
7. An dieser Stelle möchte ich mit Geist und Herz in die baltischen Länder zurückkehren: nach Litauen, Lettland und Estland. Es war endlich möglich, dieses Land der Märtyrer zu betreten und mich unter die zeitgenössischen Zeugen für das Kreuz und die Auferstehung Christi zu begeben; dorthin, wo die missionarische Verkündigung, die von Rom nach Nord- und Osteuropa ausging, dem Schwung der Evangelisierung begegnete, die von Konstantinopel herkam. In diesen Ländern ist das Zeugnis des Glaubens erneut zur Kraft des Menschen geworden. Schwerlich kann man nicht tiefe Ergriffenheit empfinden bei der Erinnerung an den Hügel der Kreuze in Litauen. Schwerlich kann man mit Geist und Herz nicht zur Pforte des Morgenrots in Siluwa pilgern oder auch nach Aglona in Lettland. Schwerlich kann man seine Bewunderung unterdrücken, wenn man sieht, dass nicht nur das mehrheitlich lutherische Riga, sondern dass sogar in Estland, wo die Zahl der Katholiken kaum wenige Tausend übersteigt, die Bevölkerung den Papst so lebhaft und herzlich begrüßt hat. Nach Vilnius, Kaunas und Riga erwartete auch Tallinn die Präsenz des Nachfolgers des Petrus und seinen ökumenischen Besuch in der lutherischen Kathedrale wie auch alles, was er den Esten bei der Feier am Nachmittag in der Alten Stadt zu sagen hatte. Die damals improvisierten Worte erwiesen sich als wichtigster Augenblick nicht nur für Estland, sondern irgendwie für ganz Europa. Vor elf Jahren war Santiago de Compostela in Spanien der Ort der europäischen Stunde. 1993 hat Europa gleichsam die Ergänzung dieser Stunde in Tallinn nach den bekannten Ereignissen des Jahres 1989 erlebt.
8. Damit stehen wir bei der Enzyklika Veritatis splendor. Hier empfinde ich ein dringendes Bedürfnis, dem Geist der Wahrheit Dank zu sagen, weil er durch den Dienst des Apostolischen Stuhles, unterstützt durch das unermüdliche Wirken der Kongregation für die Glaubenslehre und zumal ihres Kardinalpräfekten, aber auch durch den Beitrag von Bischöfen und Theologen die Veröffentlichung dieses Dokumentes ermöglicht hat, das im Verlauf von fast sechs Jahren sorgfältig ausgearbeitet wurde. Heute kann man nicht leugnen, dass das Dokument notwendig war. Bisher musste man die Wahrheit über den Menschen nach Osteuropa über die Mauer von Berlin hinweg verkünden; heute muss diese Wahrheit auch dem Menschen im Westen eingeschärft werden, der interessiert nach Osten schaut. Der Mensch ist überall der gleiche; und es gibt keinen Ort, wo die Worte Christi über die Wahrheit, die allein frei machen kann, keine Geltung besitzen (vgl. Joh 8,32). Diese Worte bilden die Grundlage der Soziallehre der Kirche, wie aus Centesimus annus hervorgeht (vgl. Nr. 46); sie bilden zugleich die Grundlage der ganzen menschlichen Moral, wenn diese sich nicht zu relativistischer Selbstzerstörung verurteilen will (vgl. Veritatis splendor, Nr. 87).
Ist dies nicht leider das traurige Schauspiel, das die sich in der Welt verbreitenden moralischen Entgleisungen jeder Art bieten, wobei die sexuellen besonders bedauerlich sind, in die zuweilen, "ich sage es unter Tränen" (PhiI 3,18), auch Mitglieder des Klerus verwickelt werden?
Und wie sollen wir dann schweigen über die verschiedenen Formen von Sekten, die sich in traditionell christlichen Gebieten verbreiten und religiösen Synkretismus zeigen, bei dem das Verhältnis des Menschen zu Gott seine tiefe Wahrheit verliert?
Die Kirche möchte der Sache des Menschen dienen und dahin wirken, dass seine Würde konkret in einem festen Rahmen von Gerechtigkeit und Frieden anerkannt wird. Dahin zielt ihr lehrmäßiges und pastorales Wirken in dem Bewusstsein, dass die Verkündigung Christi von diesem Dienst nicht getrennt werden kann. Gerechtigkeit und Frieden: Welch langen Weg hat die Menschheit hier noch vor sich! Bedrohliche Wolken der Zerstörung und des Todes hängen noch über zahlreichen Gebieten der Erde. Wie könnte man hier zum Beispiel die hemmungslosen Kriegshandlungen verschweigen, unter denen die Gebiete des ehemaligen Jugoslawien zu leiden haben? Wie sollte man sich nicht Sorgen machen angesichts des in vielen Teilen der Welt auflebenden übertriebenen Nationalismus? Möge das Weihnachtsfest mit seiner Botschaft der Hoffnung und der Liebe das Herz der Verantwortlichen rühren, so dass endlich für die von Gewalt und Ungerechtigkeit gequälten Völker ein Morgenrot des Friedens und der Unbeschwertheit aufgehe.
9. Wenn ich diesen Wunsch ausspreche, denke ich in besonderer Weise an die Friedensbemühungen, die sich im Mittleren Osten entwickeln, und ich bete zum göttlichen Erlöser, ein derart verdienstvolles Wirken zu segnen, auf das die ganze Welt voll Hoffnung schaut.
Auch der Papst verfolgt mit Bangen die Entwicklung der derzeitigen Verhandlungen und vertraut täglich im Gebet Gott die Bemühungen an, welche die Menschen guten Willens mit diesem Ziel unternehmen.
Ich bin besonders zuversichtlich, so Gott will, eine erste Reise in jene Gegend gegen Ende des kommenden Frühlings unternehmen zu können. Sie wird dem gequälten Land des Libanon gelten, der in den mehr als sechzehn Kriegsjahren so viel gelitten hat und sich derzeit auf die Feier der Sonderversammlung der Synode vorbereitet. Die Reise hat also ein kirchliches und ein pastorales Ziel: Sie möchte das Bemühen der Vorbereitung der Synode des Libanon verstärken und zugleich den Bevölkerungskreisen dort neues Vertrauen schenken in der Hoffnung, dass sie sich möglichst bald der vollen Freiheit in einem souveränen und geeinten Land erfreuen können, wenn einmal das unbeschwerte Zusammenleben von Gemeinschaften mit unterschiedlichen Überlieferungen zurückgewonnen ist.
Ich werde den Katholiken der verschiedenen Ostkirchen begegnen, doch glücklich sein, dass ich auch die orthodoxen Brüder wie auch die Anhänger des Islam begrüßen kann. Ich bin ferner zuversichtlich, in den Mittleren Osten zurückkehren zu können, der Wiege der drei monotheistischen Religionen: der jüdischen, christlichen und islamischen, um alle Hauptorte zu besuchen, die mit dem christlichen Glauben verbunden sind, durch die die Patriarchen seit Abraham gegangen sind und wo auch Christus und die Apostel gewirkt haben.
10. Im Offertorium der Heiligen Nacht möchte ich auch diese Pläne und Hoffnungen zu den Füßen Jesu in der Grotte von Bethlehem niederlegen. Danken wir, verehrte Brüder und liebe Mitarbeiter, gemeinsam dem Geist der Wahrheit, dass er nicht aufgehört hat, der Kirche in ihrem täglichen pastoralen Dienst beizustehen.
Die so tiefe und reiche orientalische Liturgie konzentriert ihre Aufmerksamkeit auf den Ausdruck "sancta sanctis" (das Heilige den Heiligen). Mit den Gaben des Brotes und des Weines, die zum Altar gebracht werden, erneuert Christus sein gottmenschliches Opfer; das Opfer, in dem er sich dem Vater hinschenkt und zugleich uns in der eucharistischen Kommunion: "sancta sanctis." Empfangen wir ihn auf den Knien an der Schwelle der Hütte von Bethlehem. Empfangen wir gemeinsam seine jungfräuliche Mutter und Josef, den Beschützer der Heiligen Familie, und richten wir unseren Blick auf das Jahr der Familie, das am kommenden Sonntag, dem 26. Dezember und Fest der Heiligen Familie, beginnt.
Verehrte Brüder im Bischofsamt und liebe Brüder und Schwestern! Dies ist nun der Ort und der geeignete Augenblick, um unsere Weihnachtswünsche und die fürs neue Jahr auszutauschen. "Sancta sanctis". Alles, was an jedem Arbeitsplatz des Apostolischen Stuhles und im Vatikan sowie in den vielfältigen Dikasterien der Römischen Kurie und des Vikariates der Diözese Rom geleistet wird, möge jene Heiligkeit entstehen und reifen lassen, die Christus, den wir im Weihnachtsgeheimnis betrachten, uns schenken möchte. "Sancta sanctis". Dies sind meine Wünsche für jeden von euch, die ihr an der heutigen feierlichen und zugleich familienhaften Begegnung teilnehmt.
Frohe Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr für alle! Mit einem besonderen Apostolischen Segen.
1994
am 22. Dezember mit dem Thema: Ein Jahr ganz im Zeichen der Familie
Meine Herren Kardinäle,
ehrwürdige Brüder im Bischofsamt und Priestertum, liebe Brüder und Schwestern!
1. Bei dieser Begegnung, die im Licht des bevorstehenden Weihnachtsfestes stattfindet, möchte ich meine Ansprache mit einigen nachdrücklichen Worten Mutter Teresas von Kalkutta beginnen.
Bei der kürzlich in Kairo abgehaltenen internationalen Konferenz zum Thema "Bevölkerung und Entwicklung", die von der Weltorganisation der Vereinten Nationen einberufen worden war, sagte sie: "Ich spreche zu euch aus tiefem Herzen, ich spreche zu jedem Menschen in allen Ländern der Welt ... Ein jeder von uns ist heute hier dank der Liebe Gottes, die uns geschaffen hat, dank unserer Eltern, die uns angenommen haben und uns das Leben schenken wollten. Das Leben ist das größte Geschenk Gottes. Und deswegen ist es schmerzlich zu sehen, was heute in vielen Ländern der Welt geschieht: Das Leben wird mit Absicht zerstört durch Krieg, Gewaltanwendung und Abtreibung. Und doch sind wir von Gott für größere Dinge geschaffen - um zu lieben und geliebt zu werden.
Ich habe oft gesagt, und ich bin dessen sicher, dass der größte Zerstörer des Friedens in der Welt von heute die Abtreibung ist. Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind töten darf, was kann dann dich und mich davon abhalten, uns gegenseitig zu töten? Der Einzige, der das Recht hat, das Leben zu nehmen, ist Gott, der es geschaffen hat. Kein anderer besitzt dieses Recht, weder die Mutter noch der Vater, weder der Arzt noch eine Agentur, weder eine Konferenz noch eine Regierung.
Ich bin sicher: In der Tiefe eures Herzens wisst ihr, dass das ungeborene Kind ein von Gott geliebter Mensch wie ihr und ich ist. Wie kann dann aber jemand, der das weiß, bewusst Leben zerstören? Mich quält der Gedanke all derer, die ihr eigenes Gewissen töten, um abtreiben zu können. Nach dem Tod treten wir von Angesicht zu Angesicht Gott gegenüber, dem Spender des Lebens. Wer will vor Gott die Verantwortung für viele Millionen Kinder übernehmen, denen die Möglichkeit zu leben, zu lieben und geliebt zu werden, verweigert wurde?
Gott hat eine Welt geschaffen, die genügend groß für alle Lebewesen ist, die nach seinem Willen geboren werden sollen. Nur unsere Herzen sind nicht groß genug, um sie zu wünschen und anzunehmen ... Wenn es ein Kind gibt, das ihr nicht wünscht oder nicht betreuen oder heranbilden könnt, gebt es mir. Ich werde kein Kind ablehnen. Ich biete ihm ein Heim oder ich finde für es liebevolle Eltern ... "
2. Ich wollte diese Worte Mutter Teresas von Kalkutta bei der heutigen Begegnung zum Weihnachtsfest wiederholen, weil sie eine besondere Eigenart des zu Ende gehenden Jahres hervorzuheben scheinen. Das Jahr 1994 war ein der Familie gewidmetes Jahr: Die Organisation der Vereinten Nationen hat es zum Internationalen Jahr der Familie ausgerufen. Die Kirche aber hat sich diesem Vorschlag angeschlossen und in der ganzen Welt das Jahr der Familie begangen. In der Initiative der Vereinten Nationen haben wir nämlich ein großes Thema erkannt, das auf dem Weg der Vorbereitung auf das dritte Jahrtausend unbedingt unsere Aufmerksamkeit wecken muss. Während der vergangenen Monate wurde in der ganzen Kirche für die Familien und mit den Familien gebetet; es wurden Pilgerreisen zu den verschiedenen Heiligtümern organisiert; die Familien sind in zahlreichen Kongressen zusammengekommen, um ihre Probleme zu besprechen und angemessene Lösungen zu suchen; die Krönung des Ganzen fand am 8. und 9. Oktober in Rom mit dem "Welttreffen der Familien" statt.
Wenn wir heute vor dem Geheimnis des Weihnachtsfestes stehen, wird uns wirklich die Bedeutung der Familie für den Weg der Vorbereitung auf das kommende große Jubiläum klar. In der Heiligen Familie hat Gott jede menschliche Familie geehrt. Er hat sie geehrt, indem er ein neugeborenes Kind wurde - der Menschensohn. Wenn er von sich selbst sprach, griff der Herr gern auf diesen Ausdruck aus dem Buch des Propheten David zurück (vgl. Dan 7,9-14). Er, den Petrus als den Sohn Gottes bekannte (vgl. Mt 6,] 6) und den die Kirche als Sohn verkündet, gleichen Wesens mit dem Vater, Gott von Gott, liebte es, sich selbst als Menschensohn zu bezeichnen. Aus der Jungfrau Maria geboren, wuchs er ja in einer menschlichen Familie heran, als Sohn Gottes aber wollte er dieser Familie den unerschöpflichen Reichtum göttlicher Heiligkeit schenken.
3. Wenn sie das Jahr der Familie im Blick auf dieses Geheimnis feierte, sollte die Kirche zugleich die Schönheit und Erhabenheit der Berufung zum Ehestand sowie zu Vater- und Mutterschaft hervorheben. Sie wollte alle Menschen daran erinnern, wieviel ein jeder von uns seiner Familie verdankt, und neu bekräftigen, was das II. Vatikanische Konzil so passend in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die Kirche in der heutigen Welt dort ausgesprochen hat, wo es von der Wertschätzung der Würde von Ehe und Familie spricht.
Ein besonderer Aspekt des Interesses der Kirche für die Familie ist gewiss ihre Sorge um das Kind. Könnte im übrigen die Kirche als Mutter, die sie ist, diese Sorge missachten, wo sie sich von vielen Seiten wirklich schrecklichen Tatsachen gegenübersieht? Ich denke zumal an die brutale Tötung von Straßenkindern, an die Nötigung von Kindern zur Prostitution, an den Handel mit Kindern durch Organisationen, die sich mit Organverpflanzungen befassen; ich denke an die Minderjährigen, die Opfer der Gewalt und des Krieges werden, und an jene, die für den Handel und die Verteilung von Drogen oder für andere kriminelle Tätigkeiten verwendet werden. Lauter Entgleisungen, deren Nennung schon Schrecken verursacht.
Welche pastoralen Aufgaben zeichnen sich angesichts derart dringender und schwerwiegender Probleme für die Kirche ab? Das Jahr der Familie hat gewiss dazu beigetragen, in den verschiedenen kirchlichen Kreisen eine lebendigere Aufgeschlossenheit zu wecken. Die vielfältigen in diesen Monaten vorangebrachten Initiativen haben der Familienpastoral neuen Antrieb gegeben und den apostolischen Einsatz der einzelnen Mitglieder der Familie angeregt, und das liegt wohl auf der am meist zu fördernden Linie des Einsatzes der Laien in der Kirche. Der Päpstliche Rat für die Familie war an all dieser reichen Tätigkeit beteiligt und hat dazu auch eigene Initiativen unternommen. Ich möchte daher heute seinem Präsidenten, Kardinal Alfonso Lopez Trujillo, und all seinen Mitarbeitern einen besonderen Dank aussprechen.
4. Gleichzeitig mit der Aufmerksamkeit für das Kind und die Familie hat sich der Gedanke an das Leben entwickelt. Ehe und Familie müssen ein Umfeld verantwortlicher Liebe bilden, gerade weil die eheliche Liebe auf das Leben ausgerichtet ist.
Dies hat bereits Papst Paul VI. in der Enzyklika Humanae vitae betont, in einem Text, der im Verlauf der Jahre sich immer mehr als prophetischer und providentieller Beitrag erwiesen hat.
Das Jahr, das nun zu Ende geht, hat dafür einen besonders bezeichnenden Beweis geliefert. Anlässlich der Konferenz von Kairo stand die Menschheit tatsächlich vor dem Entwurf eines Dokumentes, das von der Organisation der Vereinten Nationen unter dem Einfluss einiger Regierungen und Organisationen ohne Regierungscharakter vorbereitet worden war. In seiner ursprünglichen Fassung bildete dieses Dokument eine ernsthafte Bedrohung für die Würde der Ehe und der Familie, zumal für jenes Leben, dem nach dem Plan des Schöpfers Ehe und Familie dienen sollen.
Die Kirche hat immer gelehrt, dass ein solcher Dienst verantwortlich geleistet werden muss. In den letzten Jahren hat sie angesichts der Probleme einer wachsenden Bevölkerung des Planeten nicht nur den Grundsatz der verantwortlichen Vater- und Mutterschaft gelehrt, sondern sich auch Pastoral dafür eingesetzt, die Gewissen auf seine entsprechende Anwendung hin auszurichten.
Was man in diesem Bereich aber im anfänglichen Textentwurf der Konferenz von Kairo durchführen wollte, war absolut unannehmbar. Man versuchte darin praktisch, in einer zweideutigen Sprache unter den übrigen Mitteln der Geburtenkontrolle auch die Abtreibung einzuschließen. Glücklicherweise wurden die anfänglichen Sorge bereitenden Vorschläge später im Verlauf der Arbeiten der Konferenz eingeschränkt, und bei den religiösen und ethischen Werten wurde ein Aufruf zu ihrer Achtung unter die Grundsätze, die dem Enddokument zugrunde liegen, eingefügt. Die Stimme der Kirche hat versucht, sich in jeder Weise vernehmbar zu machen, um zu einer Erweckung der Gewissen beizutragen. Dies hat nicht nur bei den Katholiken und Christen ein günstiges Echo gefunden, sondern auch bei den Anhängern des mosaischen Gesetzes, bei den Muslimen, bei den Vertretern anderer nichtchristlicher Religionen wie auch bei Menschen guten Willens, die sich nicht an ein religiöses Credo binden. Das fünfte Gebot des Dekalogs "Du sollst nicht töten" spiegelt ein grundlegendes Prinzip des Naturgesetzes wider, das für alle in gleicher Weise gilt.
5. Das zu Ende gehende Jahr hat sich ferner als günstige Gelegenheit erwiesen, in den Gewissen ein schärferes Bewusstsein für den Wert des Lebens zu wecken, eingeschlossen auch das Leben der Ungeborenen. Hier möchte ich an das hochherzige und erhellende Wirken zahlreicher Laien auf diesem Gebiet erinnern, zumal vieler Wissenschaftler und Ärzte. Es scheint mir eine Pflicht, unter diesen ausdrücklich einen allen wohl bekannten Mann zu erwähnen, den der Herr am Osterfest dieses Jahres zu sich gerufen hat. Ich spreche von Professor Jérôme Lejeune. Von ihm ging die Initiative aus, die Päpstliche Akademie für das Leben zu gründen, in der Wissenschaftler und Fachleute zusammenkommen, die sich dem Schutz des Lebens und seiner Förderung in der Gesellschaft widmen wollen. Aufgabe der Akademie ist zumal, die wissenschaftlichen Studien über das Leben als in jeder Weise und mit allen Mitteln zu pflegenden grundlegenden Wert zu fördern in engem Kontakt mit der Gemeinschaft der Kirche und der Welt. Zur Mitarbeit in der Akademie sind als korrespondierende Mitglieder Persönlichkeiten eingeladen, die dem Thema Leben ihre berufliche und apostolische Tätigkeit widmen und auf diesem Gebiet zuweilen auch um den Preis nicht weniger Opfer arbeiten.
Die Päpstliche Akademie für das Leben hat also den Charakter eines wissenschaftlichen und zugleich pastoralen Organs. Wie Pius XI. in seinem Pontifikat das Verhältnis der Kirche zu den Wissenschaften durch die Errichtung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften gefördert hat, so spürte man in unseren Zeiten das Bedürfnis nach einer akademischen Einrichtung, die sich dem Leben widmet. Sie wird in engem Kontakt mit dem Päpstlichen Rat für die Familie und mit dem Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst arbeiten. Die Verantwortung für das Leben ist nämlich eng verbunden mit den von den Ärzten und allen im Gesundheitswesen Tätigen geleisteten Diensten. Ich bin Kardinal Fiorenzo Angelini dankbar für die Initiativen zu Studien, Kongressen und anderen Tätigkeiten, die er ständig fördert, um die christlichen ethischen Prinzipien im Gesundheitswesen zu verbreiten.
6. Das zu Ende gehende Jahr hat sich für die Institutionen des Apostolischen Stuhles als besonders günstig erwiesen. In den vergangenen Monaten hat nämlich glücklicherweise auch die Päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften ihre Arbeit begonnen. Ich danke herzlich Kardinal Roger Etchegaray, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates "Gerechtigkeit und Frieden", sowie allen Förderern und Organisatoren und wünsche zugleich, dass der Apostolische Stuhl und zumal der genannte Päpstliche Rat von der neuen Akademie wertvolle Hilfe erwarten dürfen.
Die Soziallehre der Kirche hat sich auch dank zahlreicher Fachleute der Sozialwissenschaften entwickelt, die dem Lehramt geholfen haben, immer besser die vom Evangelium herkommenden Forderungen im Verhältnis zu den Herausforderungen der Geschichte zu erhellen. Gern erwähne ich hier den Beitrag großer katholischer Denker für die Ausarbeitung der christlichen Auffassung der Demokratie. Ein bezeichnendes Ereignis, das gerade in diese Tage fällt, bietet mir dazu Gelegenheit: Vor 50 Jahren verkündigte Papst Pius XII. an Weihnachten 1944 eine denkwürdige Radiobotschaft gerade über die Demokratie. Auf dem Hintergrund der von den totalitären Systemen und dem Krieg hervorgerufenen Katastrophen wollte der große Papst prüfen, von welchen Normen die Demokratie geleitet sein muss, "um sich eine echte und gesunde Demokratie" nennen zu können (Ansprachen und Radiobotschaften Pius' XII., vol. VI, p. 237). Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass eine echte Demokratie ein Volk voraussetzt, das sich seiner Rechte und Pflichten bewusst und fähig ist, sich eine Regierung auf der Höhe ihrer Aufgaben zu geben, die sich also "klar der von Gott jeder menschlichen Gesellschaft gesetzten Ziele bewusst ist und zugleich ein tiefes Empfinden für die erhabenen Pflichten auf sozialem Gebiet hat" (ebd., p. 241). Denn nur unter diesen Bedingungen können jene, denen die Macht anvertraut ist, ihre eigenen Pflichten erfüllen "mit jenem Bewusstsein der eigenen Verantwortung, der Objektivität und unparteiisch, mit Jener Hochherzigkeit und ohne bestochen werden zu können, ohne die es einer demokratischen Regierung kaum gelingt, die Achtung, das Vertrauen und die Zustimmung des besseren Teils des Volkes zu finden" (ebd.).
7. Bei diesen und anderen wichtigen Themen des sozialen Lebens ist das Lehramt - der Kirche immer neu aufgerufen. Der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften kommt also die Aufgabe zu, ein fruchtbares Verhältnis zwischen Gesellschaftswissenschaftlern und Hirten der Kirche zu fördern. Besonders geht es um das Aufgreifen der Probleme, die von sozialen Ungerechtigkeiten herkommen, wie sie heute in neuen Formen gegenüber denen vor hundert Jahren in der Enzyklika Rerum novarum angeprangerten präsent sind. Darüber haben bereits die Päpste Johannes XXIII. in der Enzyklika Mater et magistra und Paul VI. in Populorum progressio gesprochen. Die Formen der sozialen Ungerechtigkeit in unseren Tagen erreichen viel größere Dimensionen als in der Vergangenheit, da sie nicht nur die Klassen innerhalb der einzelnen Nationen treffen, sondern sich über die Grenzen der Staaten ausweiten und die internationalen, ja sogar die interkontinentalen Beziehungen beeinflussen. Es ist schwierig, heute eine umfassendere Analyse vorzunehmen. Doch auch wenn man nur einige auf der kürzlich statt gefundenen Konferenz von Kairo über "Bevölkerung und Entwicklung" vorhandenen Tendenzen betrachtet, kann man unschwer die Versuchung erkennen, neue Ungerechtigkeit auf Kosten der untersten sozialen Schichten der sogenannten Dritten Welt zu schaffen. Statt einer Aktion zur gerechteren Verteilung der Güter ins Auge zu fassen und eine integrale Entwicklung zu fördern, hat man versucht, den ärmsten Nationen und den Entwicklungsländern Lösungen vorzuschlagen und in einem gewissen Sinne sogar aufzuzwingen, zu denen auch die Abtreibung als wesentliches Element gehört und die keinerlei Rücksicht auf den grundlegenden Wert des Lebens nehmen.
Dazu spreche ich den Wunsch aus, dass eine wesentlich andere Ausrichtung den "Weltgipfel über soziale Entwicklung" kennzeichnen sollte, der im kommenden März in Kopenhagen stattfindet und der die Themen des Kampfes gegen die Armut, der Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen und der sozialen Integration behandeln wird, lauter Themen, die die Soziallehre der Kirche für wichtig und dringlich hält.
8. Aus all dem kann man verstehen, wie notwendig es ist, dass die großen Probleme der sozialen Gerechtigkeit mit tatkräftiger Sorge und zugleich mit klaren und gediegenen ethischen Grundsätzen aufgegriffen werden, wenn man die Gefahr des Rückgriffs auf Heilmittel vermeiden will, die schlechter sind als das Übel selbst. Gerade zu diesem Zweck wurde als eine der ersten Früchte des II. Vatikanischen Konzils der Päpstliche Rat "Gerechtigkeit und Frieden" geschaffen. In der Zeit nach dem Konzil hat sich gezeigt, wie passend er auf die Bedürfnisse der Zeit geantwortet hat und wie unverzichtbar er ist, um der Kirche Möglichkeiten der Erfüllung ihrer Aufgaben im Dienst des Evangeliums und zugleich des Menschen zu schenken.
Dies gilt auch für den Rat für die Kultur und die übrigen Dikasterien des HI. Stuhls. Wenn sie der Kirche "nach innen" dienen, hören sie zugleich nicht auf, auch Aufgaben "nach außen" zu übernehmen in Zusammenarbeit mit den Episkopaten sämtlicher Länder, mit denen sie gemeinsam die Wege zu brauchbaren Lösungen suchen. Ich möchte heute den Kardinälen und Erzbischöfen, den Präsidenten der verschiedenen Dikasterien, ein herzliches Dankwort sagen, auch ihren Mitarbeitern: den Priestern, den Ordensmännern, den Ordensfrauen und den Laien. Im Jahr der Familie denke ich dabei besonders an die Familien der Mitarbeiter aus dem Laienstand, und ich wünsche, dass die Römische Kurie immer mehr den Charakter einer besonderen Familie gewinnt. Ebenso herzlich sind meine guten Wünsche für die Oberen und das Personal des Governatorates des Staates der Vatikanstadt, für alle gemeinsam und für jeden einzelnen persönlich.
9. Das zu Ende gehende Jahr hat die Abhaltung von zwei Bischofssynoden in Rom erlebt, im Frühjahr eine kontinentale Synode, die den Problemen der Kirche auf dem afrikanischen Kontinent galt; im Herbst jene für das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt. Man kann sagen, dass man bei bei den erneut irgendwie die Erfahrung des II. Vatikanischen Konzils und seines Geistes machen konnte. Diese Erfahrung erlaubt, mit Hilfe einer Synode die Probleme zu untersuchen, die immer neu auftauchen, und für sie eine Lösung zu suchen. Im Verlauf der seit dem Abschluss des Konzils vergangenen Jahre hat sich diese Methode bis heute erheblich erneuert. Zur Entscheidung von Fragen von großer Bedeutung brauchen wir eine Synode, das heißt ein Treffen von Hirten, denen Fachleute zur Seite stehen. Durch Gebet und Erfahrungsaustausch werden sie in die Lage versetzt, operative nützliche Hinweise für eine Verkündigung des Evangeliums zu geben, die durch Wort und Leben erfolgt.
So bereiten wir uns auf das Ende des zweiten Jahrtausends vor. Im Jubiläumsjahr möchte die Kirche vor ihrem Meister als treue Braut dastehen, die ihn liebt und um seine Heilssendung in der Welt bemüht ist. Wenn nämlich der Menschensohn zu uns kommt, ein Geheimnis, das sich liturgisch jeweils in der Weihnachtszeit erneuert, bringt er uns immer die gleich Botschaft als Quelle einer Hoffnung, die stärker ist als jede Furcht: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht stirbt, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3,16).
Mit diesen Wünschen möchte ich dankbar für die Worte des Kardinaldekans allen Kardinälen, den Erzbischöfen und Bischöfen wie auch den Priestern und Diakonen, den Ordensmännern und Ordensfrauen und den abhängigen Laien meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen: Die Hoffnung und die Freude der Geburt des Herrn mögen in der Weihnachtszeit und während der ganzen Zeit der Weihnachtsfeierlichkeiten unser Anteil sein!
Herzliche Glückwünsche!
1995
am 22. Dezember mit dem Thema: Engagierte Mitarbeit von Menschen aller Kontinente in der Kirche
1. "Puer natus est nobis, filius datus est nobis" (les 9,5).
Diese Worte des Propheten Jesaja erklingen jedes Jahr in der Mitternachtsmesse des Weihnachtsfestes. Man sagt, Jesaja sei sozusagen ein Evangelist des Alten Bundes. Sein inspirierter innerer Blick dringt durch die Jahrhunderte, gewahrt die zukünftigen Ereignisse und lässt sie uns im Licht Gottes betrachten.
"Pu er natus est nobis"!
Gerade davon werden wir übermorgen um Mitternacht Zeugen sein in der Eucharistiefeier, die die einzigartige Liturgie am Fest der Geburt des Herrn kennzeichnet. Wir werden die Lesung aus dem Evangelium des heiligen Lukas hören, der dieses Ereignis ausführlich schildert; und dann öffnen sich in der Messe "in der Morgenfrühe" und in der Messe "am Tag" unsere Augen immer mehr bis zu dem vollen Licht, das wir aus dem Evangelium des Johannes empfangen.
"Filius datus est nobis"!
Filius: das Ewige Wort, der Sohn, gleichen Wesens mit dem Ewigen Vater. "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott" (Joh 1,1). So beginnt das Johannesevangelium, und gleich darauf, noch im Prolog, hören wir: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14).
"Filius datus est nobis."
Vorausverkündet vom Propheten Jesaja, ist das in Bethlehem geborene Kind, der Sohn der Jungfrau Maria, der Sohn des ewigen Gottes, "starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens" (Jes 9,5), "Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott". Diesen Sohn hat Gott, der Vater, uns geschenkt! "Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab" (Joh 3,16). In der Weihnacht wurde der Menschheit das höchste und unsagbare Geschenk gemacht, das Geschenk Gottes selbst.
Diese Zuwendung ist nicht nur großmütig, sie ist auch unwiderruflich. Sie ist voll der Freigebigkeit Gottes, der seinen ewigen Plan nicht rückgängig macht. "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt ... Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden" (Joh 1,14.12).
2. Deshalb ist das Geburtsfest des Herrn eine Einladung, einander zu beschenken. Die Menschen, denen Gott seinen ewigen Sohn in der Einheit der menschlichen Natur darbietet und schenkt, empfinden das Bedürfnis, auf dieses Geschenk Gottes zu antworten, indem auch sie einander Geschenke anbieten. Wenn die Bereitschaft zum Geben immer die christliche Berufung kennzeichnet, so scheint sie in der Weihnachtszeit nach besonderen Ausdrucksformen zu suchen. Zeichen dafür ist insbesondere das Zusammenkommen zum Austausch der Segenswünsche. In erster Linie ist die Familie der Ort, wo man sich dazu trifft, vor allem beim Abendessen an der Weihnachtsvigil, wenn sich Eltern und Kinder und alle Mitglieder der Familiengemeinschaft mit ihren Lieben und ihren Bekannten einfinden. In dem Land, aus dem ich komme, ist mit dem Treffen am Vorabend von Weihnachten die Tradition verbunden, die sogenannte Weihnachtsoblate zu brechen, das Brot der Vigil. Dieser Brauch erinnert an das Brot, das wir auf den Altar legen und das durch die eucharistische Wandlung zum Leib Christi wird. Bei den Gläubigen ruft das Brotbrechen, die fractio panis, die Erinnerung an die ältesten christlichen Überlieferungen wach. Es hat einen tief religiösen Charakter. Mit jemandem das Brot zu brechen ist nicht lediglich als formelles Wohlwollen der oder dem Betreffenden gegenüber zu verstehen, sondern als volle Bereitschaft, alles Gute für sie oder ihn zu wollen und zu tun.
So führt uns das Brechen des weißen Weihnachtsbrotes am Heiligen Abend in gewissem Sinn zurück zu der Definition, die das II. Vatikanische Konzil, an dessen Abschluss vor dreißig Jahren wir dieses Jahr denken, vom Menschen gegeben hat. Das Konzil lehrt, dass der Mensch sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24). Das traditionelle Teilen des Brotes am Heiligen Abend, ein Brauch, der einen Widerschein der eucharistischen Liturgie erkennen lässt, erinnert daran, dass der Sohn Gottes sich in seiner Menschwerdung für uns zur Gabe gemacht hat. Zugleich will es unsere eigene Bereitschaft hervorheben, zur Gabe für die anderen zu werden. Nachdem das Weihnachtsbrot feierlich gebrochen wurde, beginnt das Abendessen, bei dem die Tischgenossen sich unterhalten. Diese Unterhaltung hat einen besonderen Charakter, denn es geht dabei um die untereinander bestehenden Beziehungen: Es wird über das gesprochen, was die einzelnen verbindet, und das, was sie vielleicht trennt. Und wenn man auf Missverständnisse trifft, sucht man gemeinsam nach Wegen, sie zu überwinden. Man denkt an die Menschen, mit denen man in Liebe verbunden ist, besonders die Abwesenden, die Lebenden und die Verstorbenen. Sich bei Tisch zusammenfinden ist eine bevorzugte Gelegenheit, Verbindungen anzuknüpfen, Versöhnung und Gemeinschaft zu fördern. In der Tischgemeinschaft am Heiligen Abend findet gewissermaßen jeder einen Platz.
3. Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, Ordensmänner und Ordensfrauen, liebe Brüder und Schwestern, an alle richte ich meinen herzlichen Gruß. In den liebevollen Worten des Herrn Kardinaldekans, dem ich herzlich danke, habe ich zu meinem Trost die aufrichtigen Empfindungen eines jeden von euch vernommen. Ihr alle habt eure persönliche Erfahrung mit der Atmosphäre, die dem Heiligen Abend eigen ist. Wir möchten, dass diese Atmosphäre auch in gewisser Weise unsere heutige Zusammenkunft kennzeichne. Dieser Augenblick, dieses traditionelle Treffen zum Austausch der Glückwünsche dient unserer Gemeinschaft als Kurie dazu, dass auch wir uns als eine Familie fühlen. Der Apostolische Stuhl und die Römische Kurie erfüllen ja nicht nur ihre mit dem Petrusdienst des Bischofs von Rom verbundenen Aufgaben, sondern sie führen zusammen und vereinen Menschen, die aus jedem Kontinent kommen, um im Dienst des Gottesreiches zusammenzuarbeiten. Und das lässt sie auf verschiedene Weise zum gegenseitigen Geschenk werden.
Liebe Brüder und Schwestern, die Aufgaben und der Dienst, den ihr täglich in den verschiedenen Dikasterien der Römischen Kurie leistet, sind für den Papst eine außerordentliche Hilfe. Dessen werde ich mir jeden Tag bewusst, und ich versäume keine Gelegenheit, um es zu betonen. Wie wertvoll sind eure Kompetenz, euer Eifer und eure Liebe zur Kirche! Ich möchte das heute wieder ganz besonders unterstreichen, während ich euch aufrichtigst danken möchte für diese eure unersetzbare Mitarbeit. Ich möchte euch sagen, welch bedeutsames Geschenk für mich jeder von euch ist und wie vortrefflich die Aufgabe, die jeder im zentralen Organismus der Katholischen Kirche erfüllt.
Die Apostolische Konstitution, die die Struktur und die Tätigkeit der Römischen Kurie regelt, beginnt mit den Worten Pastor bonus. Diese Worte bezeugen den Wunsch und Willen, dass Er, der Gute Hirte, immer in unserer Mitte sein möge, um unser Handeln und unser Leben als Menschen, die in seiner Herde zu einem besonderen Dienst berufen sind, zu inspirieren.
4. Der Apostolische Stuhl hat die Türen weit geöffnet. Hier treffen Menschen aus aller Welt zusammen: Vertreter von Staaten und internationalen Organisationen,Vertreter der Kultur, der Wissenschaft und einzelner Berufe. Es kommen Mitglieder der männlichen und weiblichen Ordensfamilien, Priester und vor allem Bischöfe, deren Besuche einen großen Teil der täglichen Tätigkeit des Papstes ausmachen. Besonders die Ad-limina-Besuche gestatten mir die systematische Erfüllung des brüderlichen Dienstes an allen Teilkirchen der Welt. Welche Freude ist es für mich, diese Brüder im bischöflichen Dienst nicht nur bei der offiziellen Audienz, sondern auch vorher, am eucharistischen Tisch bei der Konzelebration der heiligen Messe, und nachher bei der gemeinsam gehaltenen brüderlichen Agape zu treffen.
Wie groß ist meine Freude, wenn sie mir ihre Zufriedenheit über ihre gute Aufnahme bei den einzelnen Dikasterien zum Ausdruck bringen und über den Nutzen, den sie aus den Begegnungen mit den Herren Kardinälen und deren Mitarbeitern ziehen! Sie berichten über die Dienstbereitschaft, die sie dort antreffen, und über die ausgezeichnete Vorbereitung jedes Treffens. So kehren sie gestärkt zu ihren Gemeinschaften zurück, entsprechend dem, was Jesus, der Herr, zu Petrus sagte:
"Stärke deine Brüder!" (Lk 22,32). Wir alle wissen, dass es nur dann möglich ist, solch einen stärkenden Trost anzubieten, wenn jeder von uns wirklich ein Geschenk für die andern zu sein weiß.
5. Wir begegnen uns jetzt, da das Fest der Geburt des Herrn schon ganz nahe ist, und denken zurück an das, was das zu Ende gehende Jahr uns gebracht hat. Der Herr Kardinaldekan hat es angedeutet. Vor allem haben wir wieder die unübersehbare Menge junger Menschen im Sinn, die sich im vergangenen Januar in Manila zum Weltjugendtag versammelt hat. In Europa war im September die Jugendwallfahrt nach Loreto zur Siebenhundertjahrfeier des Heiligen Hauses ein Echo darauf. Sodann denke ich an die fünfzig Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seit der Gründung der Vereinten Nationen. Die Erinnerung an den Abschluss des schrecklichsten Krieges der Menschheitsgeschichte hatte den Zweck, den Krieg als Mittel zur Konfliktlösung erneut abzulehnen und die Kräfte zu verdoppeln, um den Kriegen von heute, vor allem dem Krieg im Balkan, ein Ende zu machen. Nach vier Jahren des Gebetes und der unaufhörlichen Bemühungen lassen sich in Bosnien endlich positive Aussichten auf Verständigung absehen; hoffentlich sind sie fest und von Dauer. Möge der Herr diesen mühsamen Weg zu Versöhnung und Frieden zur Vollendung bringen!
Auch in der Ansprache, die ich kürzlich an die Vollversammlung der UNO gehalten habe, empfand ich es als Pflicht, einige Grundwerte in Erinnerung zu rufen, auf deren Basis die Welt erneut auf den Frieden hoffen darf und auf die Überwindung der wiederholten Versuchung zu Mutlosigkeit und Angst.
Im übrigen trage ich noch lebhaft im Geist und im Herzen die Begegnungen, die der Herr mir geschenkt hat mit den Bevölkerungen von Papua-Neuguinea, Australien und Sri Lanka, mit denen der Tschechischen und der Slowakischen Republik, mit den Menschen im Süden meiner polnischen Heimat, in Belgien, Kamerun, Südafrika und Kenia und in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Pastoralreisen sind immer vorzügliche Gelegenheiten, die Vitalität der Kirche zu bezeugen und der Welt die unvergängliche Neuheit des Evangeliums zu verkündigen. Im Lauf des Jahres konnte ich mit eurer Hilfe wichtige Dokumente veröffentlichen. Darunter die Enzykliken Evangelium vitae und Ut unum sint, den Brief an die Frauen, das Apostolische Schreiben Orientale lumen, das Schreiben (12.11) zur Vierhundertjahrfeier der Union von Brest und das nachsynodale Schreiben Ecclesia in Africa. Sodann hat kürzlich im Vatikan die erwartete Sondersynode der Bischöfe für den Libanon stattgefunden, der das Treffen mit den Bischöfen der Ukraine vorausging. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass gerade in diesem Saal hier mein Vorgänger Klemens VIII. am 23. Dezember 1595 die Bischöfe empfing, die als Vertreter der Metropolie Kiew kamen, und mit dieser kirchlichen Gemeinschaft die volle "Communio" wiederherstellte. Morgen also sind es genau vierhundert Jahre seit diesem bedeutsamen Ereignis, das als "Union von Brest" in die Geschichte einging.
Diese geschichtliche Perspektive hilft uns auch, die genannten synodalen Treffen als Wegstrecken des christlichen Volkes zu erkennen, das sich heute auf den Spuren des II. Vatikanischen Konzils auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 vorbereitet.
6. Dieser Tage habe ich, um der Evangelisierung neuen Antrieb zu geben, gerade im Hinblick auf den bedeutenden Anlass der Jubiläumsfeier des dritten Jahrtausends, für die Gläubigen der Kirche von Rom eine große Mission angekündigt. Es gibt viele lebendige Kräfte in dieser Kirche, von den im eigentlichen Sinn diözesanen bis zu denen der Ordensinstitute und der nationalen und internationalen Laienbewegungen sowie denen, die unmittelbar mit dem universalen Dienst des Nachfolgers Petri verbunden sind. Alle und jede bitte ich um ihren größten Einsatz, vor allem im Gebet und in der konkreten Mitwirkung bei der Vorbereitung und der Verwirklichung dieser Initiative, die den von der Diözesansynode angebahnten Weg weitergehen und allen die Möglichkeit zu einer persönlichen und lebendigen Begegnung mit Christus und seinem Evangelium anbieten will.
Diese Mission hat zwei Ziele. Das erste ist ein engmaschiges Vorgehen, um die Menschen aller Stadtviertel und Vororte zu erreichen, auch die, die für gewöhnlich der Praxis des christlichen Glaubens gegenüber gleichgültig sind oder fern stehen , in einem missionarischen Stil, der jede Pfarrei und Gemeinschaft einbezieht. Gefragt ist mutiges und offenes pastorales Handeln, das es erlaubt, dem notwendigen Werk der Neuevangelisierung Dauer zu verleihen.
Das andere Ziel besteht darin, zur Stadt im ganzen zu sprechen, zu ihrer Seele, ihrer kollektiven Kultur, und das Gespräch wieder aufzunehmen, das im Verlauf der Synode begonnen hat durch die "Konfrontierung mit der Stadt", um das Evangelium Christi in das soziale und kulturelle Leben zu inkarnieren. Es handelt sich gewiss um ein schwieriges Unternehmen. Aber es muss mit der Zuversicht dessen in Angriff genommen werden, der auf die leise, geheimnisvolle Kraft Christi, des Erlösers des Menschen, vertraut. Es wird notwendig sein, zu diesem Zweck einerseits jene Bereiche und Verknüpfungspunkte mit Sorgfalt zu erkunden, die die Beziehung zwischen Rom und der christlichen Botschaft mehr begünstigen oder mehr behindern könnten, andererseits herauszufinden, wo schon Christen einzeln oder mit anderen zusammen in verschiedenen Aufgaben in den einzelnen Sektoren des städtischen Lebens tätig sind. Es ist nämlich wichtig, von ihrem Einsatz Gebrauch zu machen, ihnen Anregung zu geben und sie, wenn nötig, neu zu motivieren, um ihnen den Sinn für das größer angelegte Werk einer gemeinsamen Mission zu erschließen.
Bitten wir den Herrn, dass diese Stadtmission ein echter Schritt voran sei in der Vorbereitung des Großen Jubiläums, und zwar so, dass sie, wenn auch je nach der Situation verschieden, ein anziehender Vorschlag für andere Diözesankirchen wäre.
Ich möchte diese Gesamtübersicht abschließen, indem ich noch den kommenden Welttag des Friedens erwähne, der unter dem Thema steht: "Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft!" Jesus, Gott, der du für uns zum Kind geworden bist, erlange der Menschheitsfamilie dieses Geschenk! Christus, der göttliche Neugeborene, im Stall von Bethlehem zur Welt gekommen, lehrt uns, wie wir Geschenk sein können für andere, Er, der sich zum Geschenk für uns gemacht hat. Während der weihnachtlichen Feste wollen wir ihm besonders dafür danken. Und der Einladung der Weihnachtsliturgie folgend, kehren wir in Gedanken an den Ort zurück, wo "das Wort Fleisch geworden ist" (vgl. Joh l,14), kehren wir zurück nach Bethlehem, wo zugleich mit der Geburt des Erlösers die Ehre Gottes und der himmlische Friede den Menschen verkündet wurden, die er liebt (vgl. Lk 2,14).
Möge, meine Lieben, diese Weihnachtsbotschaft erneut im Leben aller Wirklichkeit werden. Das ist mein Wunsch für euch alle, den ich mit einem besonderen Gebetsgedenken bekräftige.
Allen meinen Segen. Frohe Weihnachten!
1996
am 21. Dezember mit dem Thema: Trennungen überwinden und auf die Einheit zugehen
1. Natus est hodie Salvator mundi! Das Weihnachtswunder erfüllt uns immer wieder mit neuem Staunen. Im "Heute" der Liturgie, die uns zu Zeitgenossen des zweitausendjährigen Ereignisses unserer Erlösung macht, erleben wir erneut die Freude jener Hirten, die als erste die Nachricht erhielten und sich nach Bethlehem aufmachten. In diesem von der Jungfrau geborenen Kind erkennen wir den Erlöser der Welt. Er ist die Antwort auf den Ruf nach Heil, der sich von den Männern und Frauen jederzeit und aller Länder erhebt.
Aber was ist das Heil? Wir müssen diesen zentralen begriff der christlichen Botschaft in seiner tiefen Bedeutung neu entdecken. Der Name Jesus weist schon darauf hin: Gott rettet. In Ihm kommt uns Gott entgegen, um uns dem Schicksal des Todes zu entreißen, das infolge der Sünde auf uns lastet. Er kommt, um uns den zahlreichen Grenzen und Auswirkungen unserer Vergänglichkeit zu entziehen und in die liefe des göttlichen Lebens zu führen. Er kommt, um unserer gesamten menschlichen Realität Sinn und Hoffnung zurückzugeben. Mit ihnen tritt das Ewige ein in die Zeit, die Zeit wird in das Ewige aufgenommen. Die Geschichte des Menschen wird gewissermaßen Geschichte Gottes.
Das Wort hat sich mit Ausnahme der Sünde alle Aspekte unseres Menschseins zu eigen gemacht. Alles ist angenommen worden, um in Ihm "vereint" (vgl. Eph 1,10) und von Ihm "geheilt" zu werden. Die Heilsdimension der Menschwerdung ist mit dieser vollkommenen Annahme des Menschseins durch den Sohn Gottes so tief verbunden, dass die Kirchenväter gegen jene Häresien, die den "Skandal" der Menschwerdung mindern wollten, den (rund Satz verkündeten: "Das, was nicht angenommen ist, kann nicht gerettet werden" (vgl. Gregor von Nazianz, Ep. 101; PG 37,181).
2. Hodie natus est Salvator mundi! In der Freude dieses Geheimnisses, das unserem Menschsein Fülle gibt, danke ich Ihnen, Herr Kardinaldekan, herzlich für Ihre freundlichen und ergebenen Glückwünsche, die Sie mir im Namen dieser großen Familie der Mitarbeiter der Römischen Kurie übermittelt haben. Jeden einzelnen von ihnen gilt meine herzliche und dankbare Anerkennung.
Meine Herren Kardinäle, verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Mitarbeiter aus dem Ordens- und Laienstand, es ist mir eine große Freude, mit Euch über jenes einzigartige Ereignis nachzudenken, auf dem unsere Erlösung begründet ist.
In diesem Jahr findet unsere Reflexion in einem breiteren Rahmen statt, da wir seit kurzem mit der dreijährigen Vorbereitungsphase des Großen Jubelsjahres begonnen haben. Wir stehen am Anfang eines mehrjährigen Advents, der uns zu der besonders intensiven Feier des Geheimnisses der Menschwerdung im Jahr 2000 hin führen wird. Die junger Christi müssen sich in diesen Weg des Glaubens und der Lebenserneuerung einbezogen fühlen. Das gilt jedoch ganz besonders für diejenigen die, wie ihr, eng mit dem Nachfolger Petri zusammenarbeiten. Das soeben begonnene Jahr soll für uns ein Jahr zunehmender Liebe zu Christus sein, für den wir immer klarer und treuer Zeugnis geben müssen.
Mit Nachdruck hallt in mir jene Frage wider, die Christus an Petrus richtete: "Liebst du mich?" (Joh 21,15-17). Diese Frage erfüllt mich mit großer Verantwortung. Aber ich möchte sie auch an Euch weitergeben, die Ihr tagtäglich die Sorge für die gesamte Kirche mit mir teilt.
3. Die Frage nach der Liebe ist die Grundlage der gesamten christlichen Existenz. Die Kirche selbst wird unablässig von Christus, ihrem Bräutigam, vor die Frage gestellt: "Liebst du mich?" In dem nun zu Ende gehenden Jahr gab es verschiedene starke Momente, in denen diese Liebe lebendig wurde. Solche besonders bedeutungsvollen Stunden waren die Pastoralreisen, mit denen Gott mich auch dieses Jahr bei der Ausübung meines Amtes als Nachfolger Petri beauftragt hat. Der verehrte Kardinaldekan hat sie und die aus ihnen hervorgegangenen Früchte des Guten in seiner Ansprache erwähnt. Wir wollen dem Herrn gemeinsam dafür danksagen.
Bedeutungsvoll war auch die Veröffentlichung des postsynodalen Apostolischen Schreibens Vita consecrata, mit dem ich denjenigen, die zum Leben einer besonderen Weihe berufen sind, Hinweise für eine stets eingehendere Erneuerung auf dem Weg der Treue und der Liebe gegeben habe. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieses Apostolische Schreiben das dritte einer Trilogie ist: vorher wurden bereits Christifideles laici mit den Ergebnissen der Synode über die Berufung und Sendung der Laien und Pastores dabo vobis über die Priesterbildung veröffentlicht.
Dem Geist des Konzils entsprechend sind diese beispielhaften Berufungen des kirchlichen Lebens in ihrer Identität und Sendung tiefer betrachtet worden. Sie bringen jeweils auf ihre eigene Art und Weise das Heilsgeheimnis des fleischgewordenen Wortes zum Ausdruck und "brechen" mit ihren verschiedenartigen und sich ergänzenden Akzenten gewissermaßen das Licht Christi, das auf dem Antlitz der Kirche widerscheint (vgl. Lumen gentium, Nr. 1). Im Leben der Laien wird Christus als das Fundament verherrlicht, das der gesamten Schöpfung Wert und Sinn verleiht. Im Leben der geweihten Menschen, die sich Ihm in der Befolgung der evangelischen Räte "ungeteilten Herzens" (Lumen gentium, Nr. 42) hingeben, ist er das eschatologische Ziel, auf das alles hinstrebt. Im Priesteramt, das in der Zeit des "schon und noch nicht" im Dienst der Kirche stellt, offenbart sich das Antlitz des Guten Hirten, der sich unablässig jenes Volkes annimmt, das er mit seinem Blut erworben hat.
4. Dieser letzteren Berufung habe ich im vergangenen Monat anlässlich meines fünfzigjährigen Priesterjubiläums ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In der Herzlichkeit, die mir die gesamte Kirche insbesondere auch während meines Krankenhausaufenthalts entgegengebracht hat, war nicht nur die Achtung für meine Person zu erkennen, sondern auch die Hochachtung der christlichen Gemeinde für das priesterliche Dienstamt. Es ist "Geschenk und Geheimnis", ein Geschenk, das unablässig vom Herrn erfleht werden, ein Geheimnis, das stets neu entdeckt werden muss. All diejenigen, denen die Gnade des Priesteramtes zuteil wurde, sind durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und die liebevolle Leitung der christlichen Gemeinde Verwalter der göttlichen Geheimnisse. Ihre besondere Beziehung zur Eucharistie muss sie veranlassen, mit einzigartiger Intensität jene Hingabe ihrer selbst zu leben, wie Christus es auf Golgotha tat. Wie er sollen sie "gebrochenes Brot" für die Brüder werden und stets, wie bei dem eindrucksvollen Sich-hinstrecken auf dem Boden am Tag der Priesterweihe, jener feste "Boden" bleiben, auf dem die Brüder dem Herrn entgegengehen können (vgl. Geschenk und Geheimnis).
5. Das Augenmerk auf das Mysterium Christi gerichtet, ist die Kirche auch in diesem Jahr den Weg des Ökumenismus weitergegangen mit dem innigen Wunsch, die volle Einheit aller Gläubigen zu verwirklichen.
In diesem Sinn wollte ich in den einzelnen sonntäglichen Angelusansprachen ein Nachdenken über die große spirituelle Tradition der orientalischen Kirchen vorlegen, die wir besser kennenlernen und schätzen sollten. Wir müssen mit dem festen Vorsatz auf das dritte Jahrtausend zugehen, die im Lauf der Geschichte angesammelten Ursachen der Trennung zu überwinden. Die Kirche muss wieder in vollem Maße mit ihren "beiden Lungen" atmen können. Lebendige Vorzeichen dafür sind die Katholiken der orientalischen Kirchen, denen ich anlässlich der Gedenkfeiern für die "Unionen" von Brest und Uzhorod in besonderem Maße meine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Gleiches gilt für den willkommenen Besuch des armenischen Patriarchen Karekin I.
Andererseits muss der Ökumenismus auch im Hinblick auf die Spaltungen im Westen Früchte tragen. Die jüngste Begegnung mit George Leonard Carey, dem Erzbischof von Canterbury, ermöglichte einen Überblick übe, die Fortschritte der Beziehungen zur anglikanischen Gemeinde, trotz alter und neuer Hindernisse, die die Verwirklichung der vollen Einheil verzögern. Der Heilige Geist treibt uns an, entsprechend den Anforderungen der Wahrheit und der Logik der auf dem Evangelium begründeten Liebe, auf diesem Weg weiterzugehen. 333 6. Natus est hodie Salvator mundi! Auch in diesem Jahr haben viele Probleme dieses mühevollen "Heute" der Menschheit die wachsame Aufmerksamkeit der Kirche geweckt. Wenn Christus der Erlöser ist, dann ist die Kirche als sein mystischer Leib und seine Braut "das allumfassende Heilssakrament" (Lumen gentium, Nr. 48). Als solches ist sie berufen, in allen Bereichen des menschlichen Lebens Verkünder des Evangeliums zu sein und zum Aufbau einer brüderlicheren und solidarischeren Gesellschaft beizutragen. Diese Art von Präsenz kommt in vielerlei Formen zum Ausdruck, durch Initiativen, die so wohl auf weltkirchlicher als auch auf teilkirchlicher Ebene gefördert werden. Bei unserem heutigen Treffen möchte ich auch an das besondere Zeugnis des Heiligen Stuhls erinnern, dessen Delegationen an verschiedenen internationalen Gipfel treffen teilnahmen, auf denen Probleme von wesentlicher Bedeutung für die Menschheit eröffnet wurden. Dieses Jahr leistete der Heilige Stuhl einen weiteren Beitrag für die im vergangenen Juni in Istanbul gehaltene Zweite UNO Konferenz über das Wohn- und Siedlungswesen (Habitat 11). Ähnliche Initiativen, stets mit dem Ziel, die Würde aller Menschen, insbesondere der schwächeren unter ihnen, zu verteidigen, sind bei früheren Anlässen ergriffen worden. Vor allem denke ich hier an die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt- und Entwicklungsfragen, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, die internationale Menschenrechtskonferenz in Wien von 1993, die im Mai 1994 in Yokohama veranstaltete internationale Konferenz zur Einschränkung von Naturkatastrophen, die internationale Kairoer Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung im darauffolgenden September und schließlich die Weltfrauenkonferenz in Peking im September des vergangenen Jahres. Bei allen Anlässen war es das Ziel des Heiligen Stuhls, jenes "ganzheitliche Heil" zu bezeugen, das Christus der menschlichen Person gebracht hat und das all seine Dimensionen, die geistigen und körperlichen, die kulturellen und sozialen, einschließt: das Heil "jedes Menschen und des ganzen Menschen", um hier an das schöne Wort Pauls VI. (vgl. Populorum progressio, Nr. 14) zu erinnern.
7. Während die internationale Gemeinschaft über die Probleme der Menschheit nachdenkt, deren Inangriffnahme oft sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, erdulden Männer, Frauen und Kinder in vielen Teilen der Welt unsägliche Not. Jeden Tag haben wir die Tragödie von Personen und Völkern am Rande der Erschöpfung vor Augen, deren Armut in krassem Gegensatz zu den konsumorientierten Gesellschaften der wohl habenden Regionen steht. Die im vergangenen November von der FAO einberufene Welternährungskonferenz lenkte die Aufmerksamkeit aller auf jene skandalöse Situation, die Hunger und Mangelernährung verursachen und von der noch immer eine von fünf Personen betroffen sind. In meiner Ansprache auf diesem Gipfeltreffen habe ich auf die untragbaren Kontraste hingewiesen, die weiterhin bestehen zwischen denen, die nichts haben und denen, die rückhaltlos jene Güter verschwenden, die der Schöpfer in seinem Plan für die gesamte Menschheit bestimmt hat. Es ist dringend notwendig, dass sich die Staaten zur Durchführung von wirtschafts- und ernährungspolitischen Programmen verpflichten, die nicht nur auf Gewinn, sondern auch auf Solidarität ausgerichtet sind. Ist diesem Zusammenhang hat der Päpstliche Rat Cor Unum unlängst ein Dokument Der Hunger in der Welt herausgegeben, in dem verschiedene interessante Vorschläge zur Förderung einer gerechteren Aufteilung von Nahrungsmitteln formuliert werden.
Einige Völker müssen mit der tragischen Realität ethnischer und nationalistischer Konflikte leben, die zahllosen Unschuldigen Verzweiflung und Tod bringt. Nicht selten gelingt es ihnen nur für kurze Zeit, das Interesse der Öffentlichkeit zu wekken, um dann ihrem Schicksal überlassen zu werden. In diesem Jahr konnten trotz anhaltender Spannungen für die Lösung der problematischen Situation in BosnienHerzegowina bedeutende Fortschritte gemacht werden; gleichzeitig aber spielt sich in Zentralafrika eine Tragödie erschütternden Ausmaßes ab. Die Kirche wird wiederum zur Stimme derer, die keine Stimme haben, und fordert Machthaber und Verantwortliche auf, angesichts solch dramatischer Notlagen ihre Hilfe nicht zu verweigern.
8. Das, meine Herren Kardinäle, verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Ordensleute und Laienmitarbeiter, ist ein sicherlich unvollständiger Überblick über die zahlreichen Dienste, zu denen sich der Apostolische Stuhl berufen fühlt, um auf aktive und konkrete Weise Vermittler der weihnachtlichen Heilsbotschaft zu sein.
Im Bereich dieser vielschichtigen Verpflichtung leistet Ihr in Euren jeweiligen Dikasterien einen wertvollen und unersetzbaren Dienst, indem Ihr Eure geistigen und fachlichen Fähigkeiten tagtäglich dem Papst und der Kirche zur Verfügung stellt. Leider kann ich hier nicht auf Einzelheiten eingehen, um hervorzuheben, wie sehr doch die oft still und unauffällig verrichtete Arbeit jedes einzelnen die herzlichste Anerkennung verdient. Ich weiß aber, dass Gott selbst der Ursprung Eurer tiefen Motivierung ist, an dessen unerschöpflicher Quelle der Gnade Ihr Eure Liebe zur Kirche nährt.
Eben diese Motivierung bewirkt, dass die Arbeit der Kurie, trotz der unvermeidbaren Belastung der bürokratischen Aspekte, niemals ihre auf dem Evangelium begründete Inspiration und große menschliche Wärme verliert. Ich möchte allen von ganzem Herzen meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen.
9. Natus est hodie Salvator mundi! Im Geiste pilgern wir zur Grotte von Bethlehem, um das göttliche Kind anzubeten, um es als unseren Herrn und Erlöser anzuerkennen, um die Barmherzigkeit des Vaters zu feiern, der "uns in ihm erwählt hat vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott" (vgl. Eph 1,4).
Möge die heilige Jungfrau, die ihn in ihrem Schoß trug und ihn in den Armen haltend betrachtete, uns an ihrem Glauben teilhaben lassen, damit das Kommen Christi unser Leben nicht müssig und unser Herz nicht kalt lasse. Möge sie uns zu Zeugen der Liebe machen, damit er Zugang finde zu denen, deren Geist von Zweifeln geplagt ist, zu den von Armut zermürbten Familien, zu den Jugendlichen, die Hoffnung brauchen.
Indem ich für jeden von Euch alles Gute erbitte, erteile ich allen meinen Segen. Frohe Weihnachten!
1997
am 22. Dezember mit dem Thema: Wiederentdeckung des Ökumenismus und der synodalen Dimension der Kirche
1. "Das Leben Christi ist nicht der Erweis einer allmächtigen Kraft. Seine Herrlichkeit ist für die, die fähig sind, sie wahrzunehmen, nicht für die Welt. Seine Macht besteht in der Tatsache, dass er der Kraft entsagt. Dieses Leben besitzt die entscheidende Macht des höchsten ethischen Ideals, und darum ist Christus der Punkt, an dem sich die Geschichte der Welt teilt" (Alfred North Whitehead, Religion in Making).
Diese Worte des modernen Denkers Whitehead, der nicht katholisch und anscheinend ohne formelle Bindung an eine christliche Kirche ist, vermögen ausgezeichnet den Sinn unserer heutigen Begegnung an der Vigil des Weihnachtsfestes klarzulegen, während wir mit großen Schritten dem Ende des zweiten christlichen Jahrtausends entgegengehen.
Können wir uns, wenn wir uns auf die Worte des Philosophen beziehen, nicht als Menschen bezeichnen, die sich bemühen, den wahren Sinn der Herrlichkeit Christi zu erkennen? Sind wir denn nicht davon überzeugt, dass sein Leben "nicht der Erweis einer allmächtigen Kraft" und "seine Herrlichkeit nicht für die Welt ist", sondern dass "seine Macht in der Tatsache besteht, dass er der Macht entsagt"? Können wir tatsächlich von uns selbst sagen, dass wir uns gerade dieser "Macht" Christi übergeben haben und ihm im Namen "des höchsten ethischen Ideals" gefolgt sind, indem wir in der Kirche unsere Berufung als Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien zu verwirklichen suchten, wie sie so wunderbar vom II. Vatikanischen Ökumenischen Konzil erläutert wurde?
Ehrwürdige Brüder im Episkopat, liebe Brüder und Schwestern! Die göttliche Vorsehung hat Sie zu diesem außergewöhnlichen Dienst für den Apostolischen Stuhl berufen, der von großer Bedeutung für die Universalkirche ist, da er Sie in engste Beziehung zum "ministerium petrinum" des Bischofs von Rom bringt. Von ganzem Herzen möchte ich heute Ihnen, Herr Kardinaldekan, meinen lebhaften Dank aussprechen für die liebenswürdigen und herzlichen Worte der Ergebenheit und die Glückwünsche, die Sie im Namen der großen Familie der Römischen Kurie an mich gerichtet haben. Mein Dank gilt auch Ihnen, meine Herren Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, wertvolle Mitarbeiter des Apostolischen Stuhles: Allen bringe ich meinen Wunsch zum Ausdruck, dass Sie es als Ehre und Gewinn empfinden mögen, berufen zu sein, im Herzen der Kirche Christus selbst und seinem Erlösungswerk zu dienen.
2. Christus ist "der Punkt, an dem sich die Geschichte der Welt teilt". Mit diesen Worten gibt uns Whitehead sozusagen den Grund an, warum die Kirche sich anschickt, das Jahr Zweitausend mit besonderer Feierlichkeit zu begehen. Sie hat soeben den zweiten Abschnitt des Dreijahresweges begonnen, der sie dem Großen Jubeljahr entgegenführt, in welchem sie an das Ereignis erinnern will, das vor zweitausend Jahren die Geschichte verändert hat. Im Blick darauf macht sich jeder Gläubige bereit, mit Freude sein Bekenntnis des Glaubens an das Geheimnis der Menschwerdung des göttlichen Wortes zu erneuern.
Dank des Einsatzes des zentralen Komitees für das Große Jubeljahr und der nationalen und diözesanen Komitees wurden in der ganzen Welt zahlreiche und lobenswerte Initiativen eingeleitet, damit das kommende Heilige Jahr eine Zeit der Gnade und der Versöhnung werde. In der Diözese Rom ist nach der Synode die Stadtmission zur Vorbereitung auf das Jubiläum in Gang. Dabei beteiligen sich die christlichen Gemeinschaften an der Aufgabe, die Verkündigung des Evangeliums in die Familien und die Arbeits- und Lebensbereiche zu bringen. Ich spreche erneut meine Hochschätzung für diese Initiative aus und möchte ein tiefempfundenes Gedenken Kardinal Ugo Poletti widmen, der im vergangenen Februar zum ewigen Lohn berufen wurde. Bei der Vorbereitung der römischen Diözesansynode war er mir zur Seite, um diesen neuen missionarischen Aufschwung in der Stadt Rom einzuleiten.
Die zahlreichen Aufgaben, die uns erwarten, um die Feiern des Heiligen Jahres würdig vorzubereiten, dürfen uns nicht vergessen lassen, dass das Jubeljahr vor allem ein großes Geschenk ist, das der Herr durch die Kirche der ganzen Menschheit macht: eine Gnade, die von den Gläubigen im Glauben und mit innerer Bekehrung empfangen werden sollte. Es ist ein ausgesprochen geistliches Ereignis, auf welches hin auch die notwendigen rein organisatorischen Aspekte orientiert sein müssen. Möge der Heilige Geist, dem dieses zweite Vorbereitungsjahr geweiht ist, die Kirchen und die Christen bereit machen für die Einladungen des Herrn, um die Gnade der Jubiläumsfeier voll und ganz aufzunehmen.
3. "Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Der missionarische Eifer, den das Näherkommen des dritten Jahrtausends in der ganzen Familie Gottes neu belebt, hatte bezeichnende Momente bei den Apostolischen Reisen, die der Herr mich auch im Lauf dieses Jahres machen ließ.
Wie könnte jene lang ersehnte nach Sarajevo unerwähnt bleiben, in die Stadt, die ein Symbol für die Gegensätze und die Hoffnungen des zu Ende gehenden Jahrhunderts ist? Oder die Reise in die Tschechische Republik, wo ich die Freude hatte, an den Jahrtausendfeierlichkeiten zum Gedenken an den heiligen Adalbert teilzunehmen, den großen Verkündiger des Evangeliums bei den Völkern Mitteleuropas?
Ein anderer lange ersehnter Besuch war der in den Libanon, wohin ich mich mit Freude begeben habe, um die Sonderversammlung der Bischofssynode abzuschließen und denen, die aufrichtig eine Zukunft des Dialogs und des Friedens suchen, ein Wort der Ermutigung und der Hoffnung zu bringen. Sodann konnte ich in meine Heimat zurückkehren, um am Internationalen Eucharistischen Kongress in Wroclaw teilzunehmen und dem Herrn für das Geschenk des christlichen Glaubens zu danken, der vor ungefähr tausend Jahren dem Volk von Polen und dem benachbarten Böhmen vom heiligen Adalbert, dem großen Bischof, verkündet wurde. Bei diesem Besuch hatte ich im übrigen die Freude, die sechshundert Jahre seit der Gründung der "Alma mater" zu feiern, die mich als Student und als Dozent gesehen hat: die Jagiellonen-Universität von Krakau, ein wahrer Leuchtturm von Zivilisation und Kultur für ganz Polen.
In der zweiten Hälfte des Jahres nahm ich in Paris am zwölften Weltjugendtag und dann in Rio de Janeiro am Zweiten Welttreffen der Familien teil: zwei räumlich weit voneinander entfernte, aber in dem einen Glauben und im gleichen missionarischen Einsatz einander nahe Ereignisse.
Mit tiefer Bewegung denke ich an die aus fünf Kontinenten kommenden Jugendlichen zurück, die in Longchamp mit Begeisterung ihre Liebe zu Christus und ihre Freude zum Ausdruck gebracht haben, ihn auf den Straßen der Welt zu verkünden. Ähnliches konnte ich dann wiederum in Bologna mit Tausenden von Jugendlichen erleben, die zur Feier des italienischen Nationalen Eucharistischen Kongresses dorthin gekommen waren.
Was soll ich sodann von den unvergesslichen Tagen beim Zweiten Welttreffen der Familien in Brasilien sagen? Dank des hochherzigen Einsatzes des Päpstlichen Rates für die Familie und der Erzdiözese Rio de Janeiro hat dieses Ereignis der Familienpastoral einen neuen Impuls gegeben und Gelegenheit geboten, die Werte der Familie und des Lebens als bevorzugte Wege zu verkünden, um Hoffnung für die Menschheit aufzubauen.
Ich vertraue dem Herrn die apostolischen Reisen an, die zu unternehmen ich, wenn es Ihm gefällt, 1998 die Freude haben werde. Zuerst den Pastoralbesuch in Kuba im kommenden Januar.
4. "Ich verkünde euch eine große Freude ... Heute ist euch der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr" (vgl. Lk 2,10-11).
Die beeindruckende Atmosphäre der weihnachtlichen Feste erinnert uns daran, dass die Aufgabe der Kirche vornehmlich darin besteht, den Menschen die frohe Botschaft des Erlösers zu bringen. Die Kirche erfüllt diesen Auftrag, indem sie zu jeder Zeit und unter allen Gegebenheiten die befreiende und rettende Wahrheit verkündet, nämlich: Jesus Christus, den menschgewordenen Gottessohn.
Ein besonderer Augenblick dieses Dienstes an der Wahrheit war in diesem Jahr die Veröffentlichung der in lateinischer Sprache abgefassten "Editio typica" des Katechismus der Katholischen Kirche - ein ausgezeichnetes Rüstzeug zur vollständigen und systematischen Vermittlung der Heilsbotschaft. Dienst an der Wahrheit des Evangeliums war aber auch das, was im vergangenen Oktober geschah, als ich die junge Karmelitin von Lisieux, die heilige Theresia vom Kinde Jesus und vom Heiligen Antlitz, in die Reihe der Kirchenlehrer aufgenommen habe. Mit ihrem "kleinen Weg" hat sie ungezählten Seelen einen einfachen, wenn auch anspruchsvollen Pfad zur Vollkommenheit eröffnet. Sie hat eine Welt, die immer mehr der Versuchung zum Aufgeben des Engagements ausgesetzt ist, daran erinnert, dass das christliche Leben aus der Übereinstimmung von Lehre und Praxis, von Wahrheit und Leben besteht; dass es vor allem Begegnung mit einem nahen und barmherzigen Gott ist, der uns drängt, alle ohne Vorbehalt und Berechnung zu lieben.
5. Die Kirche ist berufen, sich in vielfältigen Formen und aufmerksam für die geschichtlichen Veränderungen in den Dienst des Evangeliums zu stellen. Der Apostel Paulus hatte das gut verstanden. Er beteuert: "Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten" (1 Kor 9,22). Die Sendung zur Evangelisierung drängt die Kirche, den Konflikten und Problemen der Menschheit aufmerksame Sorge zu widmen, um in Zusammenarbeit einen gerechten Frieden zustande zu bringen und das Recht der Schwächsten zu verteidigen, die oft unschuldige Opfer der großen Gegensätze unserer Zeit sind. Ihr ständiges Programm besteht darin, denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben und ihr eigenes Handeln mit konkreten Zeichen der Solidarität und geschwisterlicher Liebe zu begleiten.
Der Einsatz der Kirche für die Armen in allen Breiten der Erde zeigt sich in besonderer Weise durch die tägliche Arbeit und Hochherzigkeit der Missionare. Auch in diesem Jahr waren einige von ihnen berufen, zu Zeugen der größten Liebe zu werden und für die Sache des Evangeliums das Martyrium zu erleiden. In diesem Zusammenhang der bevorzugten Liebe zu den "Kleinen" erinnere ich hier in Liebe und Dankbarkeit an Mutter Teresa von Kalkutta, die der Herr nach einem Leben, das sich ganz im Dienst an den "Ärmsten unter den Armen" verzehrt hat, zu sich gerufen hat.
Ihr einzigartiges Zeugnis des Gebetes, der totalen Hingabe an die Letzten und der Liebe zur Kirche bleibt für Glaubende und Nichtglaubende ein Erbe, das es anzunehmen und hoch zu schätzen gilt.
6. Die Geburt des Erlösers, der gekommen ist, "um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln" (Joh 11,52), fordert alle, die ihm kraft der einen Taufe gehören, auf, den Weg zur vollen Einheit weiterzugehen. Den Blick gerichtet auf das Geheimnis von der Enthüllung "der Güte Gottes, unseres Retters", und "seiner Menschenliebe" (vgl. Tit 3,4-7), ist die Kirche auch in diesem Jahr auf der Fährte des Ökumenismus vorangeschritten.
Die Vorbereitung auf das Große Jubiläum und das bei vielen Christen verbreitete Streben, die Ursachen der Trennung, die sich im 2. Jahrtausend aufgetürmt haben, zu überwinden, waren Auslöser für zahlreiche ökumenische Begegnungen und Initiativen.
Besonders möchte ich die Begegnung mit Seiner Heiligkeit Aram I. Keshishian, dem armenischen Katholikos von Kilikien, in Erinnerung rufen. Mit ihm wurde der gemeinsame Glaube an Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wieder bekräftigt und über die jahrhundertelangen Verständnislosigkeiten hinaus die gemeinsame Verpflichtung betont, sich in den Dienst an der christlichen Einheit im theologischen, kulturellen und pastoralen Bereich zu stellen.
Ein weiterer Abschnitt auf dem ökumenischen Weg war die Begegnung mit dem Kapitel der Kathedrale von Canterbury aus Anlass der 1400-Jahrfeier der dem heiligen Augustinus und seinen Gefährten von Papst Gregor d. Gr. anvertrauten Mission.
der Heilige Stuhl war weiterhin vertreten bei der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung, die vom 23. bis 29. Juni in Graz stattfand und bei der 700 Delegierte aus verschiedenen christlichen Kirchen Europas gemeinsam über das Thema: "Versöhnung - Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens" reflektierten. Man wollte erneut den Willen bekräftigen, einen gemeinsamen Beitrag zur geistlichen Dimension von Europa anzubieten und sich nach Jahrhunderten der Trennung zusammenzufinden in der so sehr gewünschten Einheit unter den Christen.
7. Soeben wurde die Sonderversammlung der Bischofssynode für Amerika abgeschlossen, bei der zum ersten Mal die Repräsentanten der Episkopate des ganzen Kontinentes und der Römischen Kurie zusammenkamen. Das gemeinsame Nachdenken über die großen menschlichen und geistlichen Reichtümer sowie über die zum Teil dramatischen Widersprüche in der "Neuen Welt" hat die Synodenväter dazu geführt, die zeitgemäßen Wege der Evangelisierung und Versöhnung aufzuzeigen und auf die Herausforderungen des Kontinents zu antworten. Die Treue zur wirklichen Lehre der Kirche, die Wiederentdeckung der verschiedenen Berufungen und Dienste sowie die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, die Verteidigung des menschlichen Lebens von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, die erstrangige Rolle der Familie in der Gesellschaft, die Aufgabe zur Gestaltung der Gesellschaft in Vereinbarkeit mit der Lehre Christi, der Wert der menschlichen Arbeit und die Verkündigung des Evangeliums in der Welt der Kultur wurden aufgezeigt als dieselben Grundlinien für eine erneuerte kirchliche Sendung auf dem ganzen Kontinent. Ich hoffe, dass aus so großer geistlicher und seelsorglicher Gnade eine neue Solidarität und ein neues Verstehen zwischen den Gläubigen und den Völkern Amerikas entsteht.
Die Wiederentdeckung des Ökumenismus und der synodalen Dimension der Kirche ist Frucht des größten kirchlichen Ereignisses in unserem Jahrhundert: Das II. Vatikanische Ökumenische Konzil, das sich immer mehr als ideale "Heilige Pforte" zum Großen Jubiläum des Heiligen Jahres 2000 erweist.
Im großen Werk des "Aggiornamento" der Kirche im Zeichen der zweifachen Treue zu Gott und zum Menschen, ausgesprochen von dieser historischen Versammlung, entwickelte mein verehrter Vorgänger Paul VI., dessen 100. Geburtstag in dieses Jahr fiel, eine Rolle des großen Gestalters. Wir wollten festlich dieser erhabenen Gestalt des Pontifex und Menschen unseres Jahrhunderts gedenken. Dankbar erinnerten wir uns seines großen Glaubens, seiner Liebe zur Kirche, seiner Leidenschaft für die Verkündigung des Evangeliums, die ihn in eine gewissenhafte und schwierige, aber kompromisslose Beziehung zur Welt seiner Zeit brachten.
8. Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im Episkopat und Priestertum, verehrte Ordensleute, liebe Laienmitarbeiter! Ich habe an einige Aspekte der in diesem Jahr vom Heilige Stuhl ausgeübten Tätigkeit erinnert. Diese hatte zum Ziel, die durch die Geburt des Herrn überbrachte Heilsbotschaft in den konkreten Alltag zu übersetzen.
Mir sind die Großherzigkeit und die Fachkenntnis bekannt, mit der Sie für diesen unersetzlichen Dienst arbeiten, den der Apostolische Stuhl für die Gesamtkirche leistet. Darüber hinaus weiß ich um die tiefen Motivationen aus dem Glauben und die aufrichtige Liebe zur Kirche und zum Papst, die Sie beseelen. Ihr oft stiller und verborgener Arbeitseinsatz ist höchst wertvoll, weil er die Gemeinschaft aller an Christus Glaubenden fördert und dem Nachfolger Petri ermöglicht, konkret die Aufgabe zu erfüllen, "die Brüder im Glauben zu stärken" (vgl. Lk 22,32).
Jedem einzelnen von Ihnen wünsche ich, in diesen geistlichen Beweggründen die Kraft zu finden, in freudiger und dem Evangelium angemessener Weise die wichtigen Aufgaben, die Ihnen die Vorsehung anvertraut hat, zu bewältigen. Allen möchte ich meine Anerkennung aussprechen für diese kluge, freundliche und taktvolle Zusammenarbeit, welche die Ausübung meines Dienstamtes ständig begleitet und unterstützt.
Mit dem Herzen zur Krippe von Bethlehem gewandt, hören wir voll Freude die von den Engeln überbrachte Botschaft von der Erlösung und vom Frieden. Sie verkünden, dass sie hervorgeht aus der väterlichen Liebe Gottes zu jedem von uns. In der Heiligen Nacht zeigt die Jungfrau uns die "gesegnete Frucht ihres Schoßes" und lehrt uns in der Armut nach dem Evangelium, im Gehorsam zum Vorhaben des Vaters und in der Reinheit des Herzens die Leitwege zu erfassen, "seinen Ruhm zu erkennen", ihn als Herrn unseres Lebens anzubeten und mit der ganzen Kirche zu bekennen:
"Incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine et homo factus est."
Mit diesen Wünschen erbitte ich für jeden von Ihnen alles Gute und erteile allen von Herzen meinen Segen.
Frohe Weihnachten!
1998
am 22. Dezember
1. »Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen! Meine Seele verzehrt sich in Sehnsucht nach dem Tempel des Herrn« (Ps 84 [83], 2-3).
Diese Psalmverse, die wir bei der Vorbereitung auf die heilige Messe rezitieren, können uns gut in die Weihnachtsatmosphäre einführen. Sie rufen uns ja das angstvolle Suchen Marias und Josefs in der Heiligen Nacht nach einer »Wohnung«, einer angemessenen Stätte für die Geburt Jesu, in Erinnerung. Ein fruchtloses Suchen, »weil in der Herberge kein Platz für sie war« (Lk 2,7). Der Sohn Marias wird in einem Stall zur Welt kommen, während doch auch er, wie es das Recht eines jeden Kindes ist, ein richtiges Haus und ein einladendes Dach hätte haben müssen.
Wie viele Empfindungen weckt diese Erwägung! Weihnachten lässt an das Heim der Familie denken, an die familiäre Atmosphäre, in der das Kind als Geschenk und als Quelle großer Freude aufgenommen wird. Traditionsgemäß wird das Weihnachtsfest in der Familie verlebt, zusammen mit lieben Menschen. Es ist Brauch, zu Weihnachten einander Glückwünsche auszutauschen, zu danken und einander um Verzeihung zu bitten in einer Atmosphäre echt christlicher Frömmigkeit.
2. Ich möchte, dass diese Atmosphäre auch das heutige Treffen mit Ihnen kennzeichne, meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, liebe geweihte Männer und Frauen und in der Römischen Kurie tätige Laien. Ich danke dem teuren Kardinal Bernardin Gantin für die herzlichen Worte, die er im Namen Ihrer aller an mich gerichtet hat, die Sie berufen sind, in besonderer Weise am Geheimnis dieses Hauses und dieser Familie, nämlich der Kirche, teilzuhaben. Das II. Vatikanische Ökumenische Konzil hat die Kirche nicht ohne Grund mit einem Haus und einer Familie verglichen. Es hat sie als Haus Gottes definiert, dessen »lebendige Steine« wir sind und worin wir wohnen (vgl. Lumen gentium, 6 und 18). Es hat sie »Familie Gottes« genannt (vgl. ebd., 6.28.32.51), von der wir ein Teil sind. Die Römische Kurie bildet einen bevorzugten Ausdruck dieses »gastfreundlichen Ortes«. Denn hier kehren die Bischöfe aus aller Welt zum Ad-limina-Besuch oder zu anderen gewöhnlichen oder außergewöhnlichen Zusammenkünften ein, wie es kürzlich anläßlich der Sonderversammlung der Bischofssynode für Ozeanien und der anderen vorausgegangenen kontinentalen Synoden der Fall war. Ja, der Apostolische Stuhl will das Haus der ganzen Kirche sein, ein Haus, in welchem besonders intensiv die Geburt des Sohnes Gottes erwartet wird.
3. »Seht doch, wie gut und schön es ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen!« (Ps 133[132],1).
Das bevorstehende Ereignis des Jubiläums muss in der ganzen Kirche, und in besonderer Weise in der Römischen Kurie, eine Atmosphäre der Erwartung und des geistlichen Eifers finden. Der dritte und letzte Abschnitt der unmittelbaren Vorbereitung lädt uns 1999 dazu ein, tief hineinzublicken in das Geheimnis von Gott Vater, der »die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab« (vgl. Joh 3,16). In den vergangenen Jahren sind – dank des hochherzigen Einsatzes des Zentralkomitees, der Dikasterien der Römischen Kurie, der Nationalkomitees und der Diözesangemeinschaften – die Feiern des Jubiläums und seine geistliche Dimension immer deutlicher bestimmt und charakterisiert worden.
Diese Arbeit hatte ihren Höhepunkt in der Veröffentlichung der Bulle Incarnationis Mysterium, mit der ich offiziell das Heilige Jahr angesagt habe. Im Hintergrund waren sodann auch Momente der Reflexion von Bedeutung, wie die Symposien über die Shoah und über die Inquisition, die es möglich machten, über einige schmerzliche Tatsachen der Vergangenheit nachzudenken mit dem Ziel, ein immer freimütigeres und konsequenteres kirchliches Zeugnis anzubieten. Ferner sind weitere Initiativen in allen kirchlichen Gemeinschaften der Welt zur Blüte gekommen. In der Diözese Rom zum Beispiel geht die Stadtmission, die sich unter der Führung des Kardinalvikars und der Weihbischöfe vollzieht, mit zahlreichen und bedeutenden apostolischen und missionarischen Früchten voran. Es ist ein geistlicher Eifer, von dem ich hoffe, daß er immer noch mehr zunimmt, damit die Kirche einmütig der Welt Zeugnis für das Evangelium geben und verkündigen kann, dass Christus der einzige Retter der Welt ist, gestern, heute und immer (vgl. Hebr 13,8).
4. »Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig« (Ps 118 [117],1).
Im Monat Oktober hat der Herr mir die Gnade gewährt, zwanzig Jahre seit meiner Wahl zum Bischof von Rom und Hirten der Universalkirche zu feiern. Ich danke ihm noch einmal für die Gaben, mit denen er mich überschüttet hat. Bei dieser Jubiläumsfeier fühlte ich mich von der Liebe der ganzen Katholischen Kirche umgeben, die mir mit ihrem Gebet und mit zahlreichen Gesten hingebender Anteilnahme sehr nahe war. Neben den Glückwünschen der kirchlichen Gemeinschaft erfreuten mich solche von Vertretern der anderen religiösen Bekenntnisse, von Staatsoberhäuptern, von Persönlichkeiten aus der Welt der Kultur und der Wirtschaft, wie auch Wünsche von einzelnen Menschen, unter ihnen viele Kinder und alte, kranke und leidende Menschen, Jugendliche und Familien. Ich möchte allen meine lebhafte Dankbarkeit aussprechen. Im Gedanken an die Frage, die Jesus an Petrus richtete: »Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?« (Joh 21,16), bitte ich alle, auch weiterhin zu beten, damit ich jeden Tag mit erneuter Liebe dem Herrn und den Brüdern und Schwestern, die er mir anvertraut hat, dienen kann. Pastoralreisen im Jahr des Heiligen Geistes
5. »Ich habe mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen« (1 Kor 9,19).
Die Sorge für die Universalkirche hat mich auch dieses Jahr zu einigen Apostolischen Reisen veranlasst, wie der Herr Kardinaldekan hervorgehoben hat. Es waren Momente tiefer Bewegung und geistlicher Freude. Vor allem muss ich die sehnlichst erwartete Reise auf die Insel Kuba erwähnen, wo die Anwesenheit des Nachfolgers Petri so großen Enthusiasmus hervorgerufen und einen vielversprechenden Aufschwung zu geistiger Erneuerung angeregt hat. Und die apostolische Pilgerfahrt nach Nigeria, wo ich die Freude hatte, Pater Cyprian Michael Iwene Tansi seligzusprechen und ihn als Vorbild für die Evangelisierung und die Versöhnung vorzustellen in eben dem Land, aus dem er stammt und das ihn als unermüdlichen Prediger der Frohen Botschaft und Friedensvermittler sah.
Im vergangenen Juni konnte ich mich erneut nach Österreich begeben, um eine Tochter und zwei Söhne dieses Landes seligzusprechen: Schwester Restituta Kafka, Pater Schwartz und Pater Kern. Und im letzten Teil des Jahres ging ich noch einmal nach Kroatien, wo ich die Freude hatte, der Verehrung der Gläubigen den Seligen Alojzije Stepinac vorzustellen, den heroischen Kardinalerzbischof von Zagreb, der durch die Hingabe seines Lebens die glorreiche Schar der Martyrer dieses Landes noch vermehrt hat. Gegenüber den unaufhörlichen Schikanen von Seiten des kommunistischen Regimes verstand er es, sich mutig und unbesiegt zu einem Geschenk für Christus und die Brüder zu machen und sich für die Einheit der Kirche zu opfern.
Der Göttlichen Vorsehung für die Pilgerreisen dankend, die ich im Jahre 1998 machen konnte, vertraue ich dem Herrn zugleich die weiteren an, die ich mit seiner Hilfe im kommenden Jahr werde unternehmen können, beginnend mit der Pastoralreise nach Mexiko, wo ich, so Gott will, das Apostolische Schreiben überreichen werde, worin ich die Ergebnisse der Sonderversammlung der Bischofssynode für Amerika zusammengestellt habe.
6. »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16).
Das Bewusstsein, stets evangelisieren zu müssen, leitet ständig die Kirche, die berufen ist, zu jeder Zeit Christus, die Wahrheit des Menschen, zu verkünden. Um dieser Anforderung zu entsprechen, habe ich einige wichtige Dokumente veröffentlichen wollen; darunter in erster Linie die Enzyklika Fides et ratio. In ihr wollte ich Vertrauen in das Bemühen des menschlichen Denkens zum Ausdruck bringen und die Zeitgenossen einladen, die Rolle der Vernunft wieder zu entdecken und den Glauben als einen wertvollen Verbündeten auf ihrem Weg zur Wahrheit anzuerkennen.
Zeugen für die Wahrheit des Evangeliums sind auch die Seligen und Heiligen, die ich zur Ehre der Altäre erheben durfte. Unter ihnen allen möchte ich an Schwester Teresia Benedicta a Cruce, Edith Stein, erinnern, Jüdin, Philosophin, Nonne, Martyrin. In einer Welt, so gequält wie die, in der zu leben uns aufgegeben ist, erhebt sie sich vor uns, um uns aufzufordern, durch die enge Pforte der Unterscheidung und der Annahme des Kreuzes zu gehen und nie die Liebe von der Wahrheit zu trennen, um uns nicht der Gefahr der zerstörerischen Lüge auszusetzen.
Ein weiteres kostbares Zeugnis für die Wahrheit haben jene abgelegt – Bischöfe, Priester, geweihte Menschen und Laien –, die im Lauf des Jahres in verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und Amerikas gelitten und manchmal auch mit Blutvergießen ihre Treue zu Christus und der Kirche bezahlt haben. Ich hoffe, dass ihr Opfer die Gläubigen ermutigt und dazu beiträgt, in der Welt eine Atmosphäre echter Freiheit und wahren Friedens herzustellen.
7. »Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen« (Mk 10,45).
Im Bewusstsein ihrer Sendung nimmt die Kirche Anteil an den Freuden und Hoffnungen der Menschen, um das Werk Christi fortzusetzen, »der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen« (Gaudium et spes, 3). Dieser brennende apostolische und missionarische Wunsch drängt die Kirche zur Anteilnahme an den Problemen und Dramen der Menschheit in jedem Winkel der Welt. Zur achtungsvollen, konkreten Präsenz der Kirche unter den Völkern hat in diesem Jahr die Unterzeichnung von Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und einigen Staaten beigetragen.
Mein dankbares Gedenken richtet sich besonders an alle, die sich bemühen, die Zuneigung Gottes zu jedem Menschen durch einen treuen, oft verborgenen und demütigen Dienst greifbar zu machen. Diese bewundernswerte Hingabe wurde noch großzügiger und kam im rechten Augenblick bei leidvollen Naturkatastrophen, die verschiedene Zonen der Erde betroffen haben. Es sei nur an die vernichtende Auswirkung des Orkans »Mitch« erinnert, die der Kardinaldekan angedeutet hat. Bei den verschiedenen Anlässen wurden wunderbare Seiten menschlicher und christlicher Solidarität verzeichnet. Begegnungen und Initiativen in der Ökumene im Blick auf das Große Jubiläum
8. »Alle sollen eins sein …damit die Welt glaubt« (Joh 17,21).
Die durch die weihnachtlichen Feste hervorgerufene familiäre Atmosphäre, der nahende Beginn des dritten christlichen Jahrtausends und die Dringlichkeit der Neuevangelisierung machen die Aufforderung Christi zur Einheit all derer, die kraft der einen Taufe ihm gehören, immer noch drängender.
Zahlreiche ökumenische Begegnungen und Initiativen haben im Lauf dieses Jahres dazu beigetragen, diese Atmosphäre der Aufmerksamkeit, des Dialogs und sachlichen Suchens nach der Einheit zwischen den christlichen Kirchen zu verstärken, eine notwendige Voraussetzung, um einen positiven und fruchtbaren Ökumenismus zu verwirklichen.
Dankbaren Herzens Gott gegenüber denke ich an die Begegnungen mit den führenden Persönlichkeiten der christlichen Konfessionen bei Gelegenheit der Apostolischen Reisen und an die Teilnahme der Beobachter des Heiligen Stuhls an der 8. Versammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen.
Wenn ich mit Freude die ungetrübte Zusammenarbeit feststelle, die zwischen den an Christus Glaubenden im Werden ist, dann wünsche und hoffe ich, dass unter dem Antrieb des Großen Jubiläums ein neuer ökumenischer Zeitabschnitt erlebt werden kann.
9. Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder im Bischofs- und Priesteramt, Mitglieder der Gemeinschaften des geweihten Lebens und liebe Laien-Mitarbeiter, dieser rasche Überblick über die wichtigsten Aspekte der Tätigkeiten des Heiligen Stuhls im zu Ende gehenden Jahr – wie er Brauch ist bei diesem jährlichen Treffen – wirft ein Licht auf den täglichen Dienst, den jeder von Ihnen leistet, damit die Frohe Botschaft von der Menschwerdung des göttlichen Wortes jeden Menschen und jeden Winkel der Erde erreicht.
Ihre Anwesenheit an der Seite des Bischofs von Rom gestattet es diesem, seine Sendung, der »Felsen« zu sein, auf dem die Kirche Christi erbaut wird (vgl. Mt 16,18), konkret auszuüben und die Brüder im Glauben zu stärken, zu unterstützen und zu leiten (vgl. Lk 22,31). Darum möchte ich jedem einzelnen danken für die Hochherzigkeit, die Kompetenz und die Diskretion, womit Sie dem Apostolischen Stuhl dienen. Jedem wünsche ich, sich immer mehr des Dienstes bewusst zu sein, den Sie der Kirche und dem Evangelium leisten, sich innerlich darüber zu freuen und in der täglichen Mühe die Liebe Christi zu entdecken, die, auch dank Ihrer, den Armen, den Gefangenen, den Blinden, den Unterdrückten und allen, die nach Wahrheit und Frieden suchen, die Frohe Botschaft des Heiles bringt (vgl. Lk 4,18).
Das heilige Weihnachtsfest finde uns alle, wie Maria, voll Staunen vor Dem, der »Gott gleich war, aber nicht daran festhielt, wie Gott zu sein, sondern sich entäußerte und wie ein Sklave wurde und den Menschen gleich« (vgl. Phil 2,6-7). Das Weihnachtsgeheimnis wecke in jedem die Gesinnung der Demut und Liebe, wie sie im Herzen Christi war, und mache alle würdig, Kinder des einen Vaters zu sein.
Mit diesen Wünschen rufe ich auf jeden die Weihnachtsgabe der Freude herab und entbiete auch jedem die besten Wünsche zum Neuen Jahr. Von Herzen erteile ich Ihnen und Ihren Lieben einen besonderen Apostolischen Segen.
Frohe Weihnachten!
1999
am 21. Dezember
»Rorate coeli desuper, et nubes pluant iustum! Aperiatur terra, et germinet Salvatorem! Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor« (Jes 45,8).
1. Mit großer Freude empfange ich euch, liebe Mitglieder des Kardinalskollegiums und Mitarbeiter der Römischen Kurie, zu dieser traditionellen Begegnung, die heute jedoch mit einem besonderen Ton versehen scheint: Es ist die letzte des Jahrhunderts und dieses Jahrtausends. Der einzigartige Umstand veranlasst uns, mit unserem Nachdenken in den Horizont der ablaufenden Zeit einzutreten, um Gottes Plan zu bewundern und unseren Glauben an Christus, den Herrn der Geschichte, zu erneuern.
Ihnen, Herr Kardinaldekan, danke ich für den Ausdruck der Ergebenheit, den Sie mir im Namen des Kardinalskollegiums und der Anwesenden entboten haben. Danke für die Weihnachtswünsche, die ich Ihnen, den Herren Kardinälen und den Mitgliedern der Römischen Kurie von Herzen erwidere.
Wir wollen diese Begegnung mit dem Bewusstsein erleben, dass wir eine ganz besondere Gemeinschaft bilden, die Gemeinschaft der engsten Mitarbeiter des Bischofs von Rom, des Nachfolgers des Apostels Petrus. Das uns verbindende Element kann zusammengefaßt werden in dem Begriff »ministerium petrinum«.
2. »Ministerium«, das heißt Dienst. Der Sohn Gottes, der als Mensch in Betlehem geboren wird, wird von sich sagen: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mk 10,45). Christus hinterläßt uns damit das Modell, ja den »Maßstab«, an dem sich die Berufung eines jeden von uns zu messen hat.
Wenn die Berufung des Nachfolgers Petri - und der Mitarbeiter an seiner Seite - eine besondere Bedeutung in der Kirche besitzt, so gerade deshalb, weil sie ein »ministerium«, ein Dienst, ist. Zu Petrus sagte Christus: »Stärke deine Brüder - confirma fratres tuos« (Lk 22,32). Wir kennen das dramatischen Umfeld dieser Worte des göttlichen Meisters gut: Die Stunde seines Leidens ist herangekommen, Petrus beteuert, »Herr, ich bin bereit, mit dir sogar ins Gefängnis und in den Tod zu gehen« (Lk 22,33), und dieser erwidert, »ich sage dir, Petrus, ehe heute der Hahn kräht, wirst du dreimal leugnen, mich zu kennen« (Lk 22,34). Das ist der Sinnzusammenhang, in dem die Worte Christi fallen: »Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder« (Lk 22,32).
3. Es ist nötig, beim ganzen Kontext zu verweilen, um den Sinn der Berufung Petri in der Kirche vollends zu verstehen. In der Erzählung des Evangelisten tritt Petrus in seiner ganzen Schwachheit zutage. Nicht von seinen Fähigkeiten hängt also das »stärken« ab: Es kommt aus der Kraft Christi, der für ihn betet. Aufgrund der Kraft Christi kann er die Brüder stützen trotz seiner persönlichen Schwäche. Es ist notwendig, sich diese Wahrheit über das »ministerium petrinum« deutlich vor Augen zu halten. Niemals kann sie der vergessen, welcher als Nachfolger Petri dieses »ministerium« ausübt, und es dürfen sie die nicht vergessen, welche in irgendeiner Weise daran teilhaben.
Aus Anlass der heutigen Begegnung möchte ich mit der Erinnerung die Päpste umschließen, die im Lauf dieses Jahrtausends einander nachgefolgt sind, und alle, die auf verschiedenste Weise mit ihnen zusammengearbeitet haben. »Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!« (Mt 25,23). Diese Worte Christi, so vertrauen wir, mögen alle vernommen haben, die am »ministerium petrinum« teilhatten. Und wir vertrauen, sie ebenfalls zu vernehmen, wenn wir gerufen werden, um vor das höchste Gericht zu treten.
Diese heutige Betrachtung überschreite die Schwelle des Dritten Jahrtausends und sei von denen aufgenommen, die nach uns kommen werden, die nach uns als Nachfolger Petri und als deren Mitarbeiter das »ministerium petrinum« übernehmen werden, um es nach dem Willen Christi auszuüben. Das wünsche ich all meinen lieben Brüdern und Schwestern der großen Gemeinschaft, die wir bilden, und ich danke ohne Unterlaß allen und jedem einzelnen für die Unterstützung, Hilfe und hochherzige Zusammenarbeit, die sie mir leisten.
4. »Confirma fratres tuos! - Stärke deine Brüder!« Zusammen mit dem ganzen über die Welt verstreuten Gottesvolk sind wir in diesen Jahren auf das Große Jubiläum zugegangen. Wenn ich nun über den bisher zurückgelegten Weg gewissermaßen Bilanz ziehe, verspüre ich die Pflicht, dem Herrn vor allem für die trinitarische Ausrichtung, die diesen gekennzeichnet hat, zu danken. Jahr auf Jahr haben wir in Betrachtung vor der Person des Sohnes, des Geistes, des Vaters verweilt. Im Lauf des Heiligen Jahres werden wir die gemeinsame Herrlichkeit der drei göttlichen Personen gemeinsam verkünden. Somit fühlen wir uns umso mehr als das in der Dreifaltigkeit geeinte Volk, »de unitate Patris et Filii et Spiritus Sancti plebs adunata - das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk« (Cyprian, De orat. Dom. 23: PL 4, 536; vgl. Lumen gentium, 4).
Unzählige Initiativen wurden in den Teilkirchen zur Vorbereitung des Jubiläumsjahres unternommen. Auf gesamtkirchlicher Ebene waren von besonderer Bedeutung die Kontinental-Synoden, von denen wir mit Recht reichliche Früchte auf der Basis der in den jeweiligen nachsynodalen Apostolischen Schreiben enthaltenen Richtlinien erwarten dürfen. Zu Beginn dieses Jahres konnte ich in Mexiko-City das Apostolische Schreiben Ecclesia in America übergeben mit dem Wunsch einer neuen Dynamik der Evangelisierung unter den zahlreichen amerikanischen Christen. Im Monat Juni habe ich meine alte Heimat Polen besucht und mich in einige Diözesen begeben, wo ich noch nicht gewesen war. Im vergangenen Monat habe ich das Schreiben Ecclesia in Asia nach Indien gebracht und dabei die kleine katholische Gemeinschaft Asiens ermutigt, mit Vertrauen - wenn auch im Dialog mit den antiken Religionen jenes riesigen Kontinents - Christus, den Erlöser, zu verkünden. Im Oktober fand sodann die Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa statt. Sie behandelte die komplexe Herausforderung der Evangelisierung des europäischen Kontinents. Eine Herausforderung, die wir der Fürsprache der Heiligen anvertraut haben, besonders der drei Patrone Benedikt, Cyrill und Methodius. Ihnen habe ich zur Verehrung durch das Volk Gottes drei Frauengestalten zur Seite gestellt: die heilige Birgitta von Schweden, die heilige Katharina von Siena und die heilige Teresia Benedicta a Cruce - Edith Stein.
5. »Confirma fratres tuos! - Stärke deine Brüder!« Das bald abgelaufene Jahr war wichtig auch unter dem ökumenischen Gesichtspunkt. In Tertio millennio adveniente hatte ich gewünscht, daß die Christen dem Großen Jubiläum »wenn schon nicht in völliger Einheit, so wenigstens in der Zuversicht […], der Überwindung der Spaltungen des zweiten Jahrtausends sehr nahe zu sein«, entgegentreten können (Tertio millennio adveniente, 34). Leider ist dieses Ziel immer noch fern. Aber wie sollte man das intensive Erlebnis meiner letzten Reisen nach Rumänien und Georgien vergessen? Als Bruder habe ich die Brüder aufgesucht, und in der freundlichen Aufnahme seitens dieser altehrwürdigen Gemeinschaften konnte ich etwas von der Freude verspüren, welche jahrhundertelang die Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen begleitete. Damals konnte die Kirche voll mit den »beiden Lungenflügeln« der unterschiedlichen und ergänzenden Traditionen atmen, in denen sich der Reichtum des einzigen Christusgeheimnisses ausdrückt. Und was soll man sodann zu den Fortschritten sagen, die in den Beziehungen zu den Brüdern lutherischer Tradition verzeichnet wurden? Das kürzlich in Augsburg unterzeichnete Dokument über die Rechtfertigungslehre stellt einen großen Schritt voran dar und eine Ermutigung, den Dialog mit Entschlossenheit fortzusetzen, damit sich das Gebet Christi erfülle: »Vater […], alle sollen eins seien« (Joh 17,11.21). Bedeutsam als Schritt in Richtung einer Klärung der Beziehungen zur hussitischen Tradition war ebenfalls der in der vergangenen Woche gerade hier im Vatikan abgehaltene Kongreß über Jan Hus unter breiter Teilnahme von herausragenden Forschern aller Herkunft.
6. »Rorate coeli desuper, et nubes pluant iustum! - Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, laßt Gerechtigkeit regnen!« Auch dieses Jahr hat der Blick der Kirche nicht daran gefehlt, über deren sichtbare Grenzen vorzudringen, um das geheimnisvolle Wirken zu erkennen, das der Geist Gottes unter allen Menschen, insbesondere den Glaubenden anderer Religionen, vollbringt. Auf Initiative des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und in der Spur des unvergeßlichen Treffens von Assisi im Jahr 1986 sind wir im vergangenen Oktober mit Repräsentanten verschiedener Religionen der Welt auf dem Petersplatz zusammengekommen. Wir haben dieses Treffen in vollem Einklang mit dem Geist des Konzils angeregt, welches in der Erklärung Nostra aetate zum Dialog mit den anderen Religionen ermutigt, aber auch darauf hingewiesen hat, daß dieser zu geschehen habe, ohne der Gleichgültigkeit oder der Versuchung zum Synkretismus nachzugeben. Der Glaube an Christus, »der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6; vgl. Nostra aetate, 2), ist die Existenzberechtigung der Kirche und die Kraft, die ihre Tätigkeit in der Welt trägt und lenkt. Auf dieser Grundlage erweist die Begegnung mit den Glaubenden anderer Religionen all ihre Fruchtbarkeit. Sie ist rechtmäßig und bedeutsam, sei es, weil es viele Einsatzbereiche gibt, in denen wir uns einträchtig dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können, sei es, weil es Pflicht der Kirche ist, Gott zu verherrlichen für die Lichtstrahlen der Wahrheit, mit denen er seine Kinder in allen Breiten der Erde erreicht und auf nur ihm bekannte Weise jenes Heil anbietet, das seinen Ursprung im österlichen Geheimnis Christi hat (vgl. Gaudium et spes, 22).
7. Die Verkündigung des Heils kann nicht davon absehen, von einem tatkräftigen Zeugnis der Liebe begleitet zu sein. Auch in diesem Jahr hat der Apostolische Stuhl sich angesichts der großen Probleme der Welt darum bemüht, es am Beitrag des Sauerteigs des Evangeliums nicht fehlen zu lassen. So wurde der Weg des Gottesvolkes unterstützt, das sich in seiner örtlichen pastoralen Wirklichkeit auf tausendfache Weise der menschlichen Nöte und des Dienstes an den Bedürftigsten annimmt. Ein Anliegen dabei war die Förderung einer »Kultur der Liebe«, die in der Lage ist, solidarische Beziehungen unter den Menschen reifen zu lassen, Vorurteile zu Fall zu bringen und eine demütige Einstellung der Begegnung und des Dialogs zu bewirken. Darum machen sich weiterhin besonders die Dikasterien der Römischen Kurie verdient, vor allem die vermehrt im Bereich der Kultur und der sozialen Problematik tätigen. In der jährlichen Botschaft zum Weltfriedenstag habe ich vor wenigen Tagen einige in dieselbe Richtung weisende Anstöße zum Nachdenken gegeben. Möge der Neugeborene von Betlehem, der Fürst des Friedens, die Anstrengungen segnen, die alle Menschen guten Willens in diesem Sinn verwirklichen.
8. »Venite et ascendamus ad montem Domini - kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn« (Jes 2,3). Das diesjährige Weihnachtsfest, das die Feiern des Jubiläumsjahres eröffnet, sei für jeden von uns ein Aufstieg zum Berg des Herrn, wo seine Herrlichkeit sich denen offenbart, die den alten Menschen abgelegt (vgl. Eph 4,22-24), das Hochzeitsgewand angezogen (vgl. Mt 22,12) und sich voll für Christus geöffnet haben.
»Ascendamus ad montem Domini! - Laßt uns hinaufziehen zum Berg des Herrn!« Ja, wir wollen im Glauben unsere Schritte auf das Jubiläum hin beschleunigen, auf das außerordentliche Jahr der Gnade, das besonders im Geschenk des Ablasses seinen Ausdruck findet. Der Ablaß, weit davon entfernt, eine Art »Lösegeld« vom Bemühen um Lebensänderung der Christen zu sein, erfordert diese im Gegenteil noch in vermehrtem Maße. Der bisher geleistete geistliche Einsatz, den wir auch weiterhin in den Zuständigkeitsbereichen der jeweiligen Dikasterien, und besonders im Bereich des Komitees für das Heilige Jahr, voranbringen müssen, will allen Gläubigen helfen, sich des wahren Sinnes des Jubiläumsereignisses bewusst zu werden. »Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1,15). Diese Botschaft soll mit wachsender Intensität in den kommenden Monaten widerhallen.
Die Jubiläumsveranstaltungen, die in verschiedener Weise und an verschiedenen Orten vorgesehen sind, besonders die, welche hier in Rom stattfinden, mögen starker Ausdruck eines Weges der Umkehr sein, der das ganze Gottesvolk mit einbezieht.
9. »Ecce, virgo concipiet et pariet filium et vocabit nomen eius Emmanuel - Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben« (Jes 7,14).
Weihnachten und das Jubiläumsjahr vermitteln uns erneut und kraftvoll diese Gewißheit, die seit zweitausend Jahren den Weg der Kirche trägt, sie zur Anstrengung der Verkündigung antreibt und sie zu ständiger Umkehr drängt. Das in Betlehem geborene Kind ist der Immanuel, der Gott-mit-uns. Es ist der Auferstandene, der die Geschichte lenkt und am Ende der Zeiten in Herrlichkeit wiederkommen wird.
Von Herzen wünsche ich jedem von euch, meine Herren Kardinäle, und euch allen, geschätzte Mitarbeiter der Römischen Kurie, daß ihr zutiefst die Früchte seiner Gegenwart verspüren mögt in der Freude, auserwählt worden zu sein, in enger Verbundenheit mit dem Dienst des Nachfolgers Petri als Künder seines Reiches der Liebe und des Friedens zu arbeiten.
Euch alle segne ich mit Zuneigung. Frohe Weihnachten! Fruchtbares Heiliges Jahr!
2000
am 21. Dezember
1. »Pater misit Filium suum Salvatorem mundi: gaudeamus!« [Der Vater sandte seinen Sohn als Retter der Welt: Freuen wir uns!]
Besonders lebendig ist die Freude, die wir an diesem Weihnachten des Großen Jubiläumsjahres erfahren, bei dem wir mit vermehrter Ergriffenheit das Antlitz Christi betrachten – 2000 Jahre nach seiner Geburt. »Gaudeamus!« Aus dieser tiefen Freude der Seele heraus entbiete ich euch meinen herzlichen Gruß, liebe Herren Kardinäle und Mitarbeiter der Römischen Kurie, die ihr euch zu diesem traditionellen »Familientreffen« eingefunden habt.
Dankbar bin ich Ihnen, Herr Kardinaldekan, daß Sie mit den Glückwünschen, die ich von Herzen erwidere, die Gefühle der Zuneigung und Ehrerbietung der Römischen Kurie haben zum Ausdruck bringen wollen. Sie entspringen nicht nur einer menschlichen Feinheit des Gemüts, sondern dem Glauben, den wir gemeinsam miteinander teilen und der uns die besondere Gegenwart Christi versichert, dort, wo »zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind« (vgl. Mt 18,20).
»Pater misit Filium suum Salvatorem mundi!« Diese zentrale Wahrheit des christlichen Glaubens bietet uns auch das Kriterium für eine sozusagen »geistliche« Bilanz dieses arbeitsreichen Jahres, und vor allem weist sie uns den Weg, der sich vor uns auftut. Die Heilige Pforte wird bald geschlossen werden, aber der Christus, den sie repräsentiert, ist »derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8). Er ist die »Tür« (vgl. Joh 10,9)! Er ist der »Weg« (vgl. Joh 14,6)! Wenn ihr hier seid als besondere Gemeinschaft, versammelt um den Nachfolger Petri, so seid ihr es, weil ihr von Christus berufen seid in den Dienst der Kirche, die er sich durch sein Blut erworben hat (vgl. Apg 20,28).
2. In seinem Namen haben wir dieses Gnadenjahr gelebt, in dessen Verlauf so viele Kräfte im Christenvolk mobilisiert wurden – sowohl auf universaler Ebene als auch in den Teilkirchen. Wir erlebten, wie hier im Zentrum der Christenheit, in den verschiedenen Basiliken und insbesondere am Grab des Apostelfürsten, eine ungeheuer große Zahl von Pilgern zusammenströmte. Sie haben Tag für Tag auf dem wunderbaren Szenarium des Petersplatzes stets neue Zeugnisse des Glaubens und der Frömmigkeit geboten, sei es durch die Teilnahme an feierlichen öffentlichen Veranstaltungen, sei es beim geordneten, andächtigen Voranschreiten zur Heiligen Pforte. Der Petersplatz ist in diesem Jahr mehr denn je ein »Mikrokosmos« gewesen, in dem sich die verschiedensten Situationen der Menschheit abgewechselt haben.
Durch die Pilger aus verschiedenen Kontinenten ist in gewisser Weise die Welt nach Rom gekommen. Von den Kindern zu den Betagten, von den Künstlern zu den Sportlern, von den Behinderten zu den Familien, von den Politikern zu den Journalisten, von den Bischöfen zu den Priestern und den Ordensleuten haben sich so viele Menschen hier eingefunden mit dem Wunsch, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Arbeit, ihre berufliche und kulturelle Umgebung, ihre alltägliche Geschichte zu Christus zu bringen.
Jeder dieser Gruppen, die allgemein recht zahlreich waren, konnte ich einmal mehr Christus verkünden, den Retter der Welt, den Erlöser des Menschen. In der gemeinsamen Erinnerung ist die Heiligjahrfeier der Jugendlichen besonders lebendig geblieben nicht nur wegen der Dimensionen, durch die sie sich auszeichnete, sondern vor allem wegen des Einsatzes, den die »Jungen und Mädchen des Papstes«, wie sie genannt wurden, an den Tag zu legen vermochten. Ihnen habe ich die Frage gestellt: »Was sucht ihr hier? Oder besser: Wen sucht ihr?« Und angeregt durch ihren Beifall habe ich ihre Gefühle interpretiert, indem ich sagte: »Ihr seid gekommen, um Jesus Christus zu suchen!« (Ansprache auf dem Petersplatz, 15. August 2000).
3. Zum guten Gelingen all dieser Bewegung von Menschen – wahrlich eine Pilgerfahrt des Gottesvolkes – habt auch ihr, liebe Mitarbeiter der Römischen Kurie, beigetragen durch euren Einsatz in Zusammenarbeit mit dem Komitee für das Große Jubiläum und den von Fall zu Fall betroffenen Behörden, um den Erfolg der unter eurer Zuständigkeit stattfindenden Feiern sicherzustellen. Ich nutze diese Gelegenheit, um den Dikasterien und Verwaltungsbehörden des Heiligen Stuhls wie auch den Ämtern des Governatorats meine dankbare Anerkennung auszusprechen. Sie haben sich in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen hochherzig eingesetzt für eine angemessene Durchführung der verschiedenen Heiligjahrfeiern.
Und wie sollte man die tägliche Arbeit des Kardinal-Erzpriesters der Vatikanbasilika sowie die Hingabe des Staatssekretariats, der Präfektur des Päpstlichen Hauses und des Amtes für die liturgischen Feiern des Papstes vergessen? Ebensowenig kann ich es unterlassen, die ständige Bereitschaft zu erwähnen, die die Organe der sozialen Kommunikation bewiesen haben, vom Osservatore Romano zum Presseamt, zu Radio Vatikan, zum Vatikanischen Fernsehzentrum. Oder sollte ich etwa nicht des verborgenen, doch so wichtigen Dienstes der Pönitentiare und Beichtväter der verschiedenen Basiliken gedenken? Meine dankbare Anerkennung gilt sodann dem Vikariat von Rom für den großen Beitrag, der zu verschiedenen Veranstaltungen des Jubeljahres geleistet wurde, besonders zum Eucharistischen Kongreß und zum Weltjugendtag. Ich denke ferner an die vielen freiwilligen Helfer, Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen Nationen. Allzu lang würde das Verzeichnis all derer werden, die ihre Kräfte für das gute Gelingen des Heiligen Jahres gegeben haben. Alles hat Gott im Blick, und nach dem Wort Jesu wird der Vater selbst, der »das Verborgene sieht« (Mt 6,6), allen vergelten, was sie in seinem Namen für das Kommen seines Reiches getan haben.
4. Bedeutsam erscheint es mir jedoch, bei diesem Anlaß, der uns versammelt sieht, um unserer Gemeinschaft Ausdruck zu geben, in besonderer Weise der Heiligjahrfeier zu gedenken, welche die Römische Kurie am vergangenen 22. Februar in eigener Person erlebt hat – um gewissermaßen noch einmal deren geistliche Früchte zu kosten. Die Heiligjahrfeier der Kurie war ein Augenblick intensiver Glaubenserfahrung, ausgerichtet an den Worten des Petrus: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). An diesen Worten mißt sich der Glaube der ganzen Kirche. In besonderer Weise gründet auf diesem Bekenntnis des Apostelfürsten das »ministerium petrinum« [Petrusamt] und mit ihm die Aufgabe, die der besonderen Gemeinschaft vorbehalten ist, die wir bilden. Das, was wir sind, das sind wir in Funktion des Amtes, das Christus dem Petrus anvertraut hat: »Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!« (vgl. Joh 21,15–17).
Es ist ein Geheimnis der Gnade und Nachsicht, das man nur in der Optik des Glaubens begreifen kann. Gerade anläßlich eurer Heiligjahrfeier sagte ich euch: »Das Petrusamt ist nicht auf menschliche Fähigkeiten und Kräfte gegründet, sondern auf das Gebet Christi, der den Vater darum bittet, daß der Glaube des Simon ›nicht erlischt‹ (Lk 22,32).« Das ist eine Erfahrung, die ich jeden Tag mache. Das Jubiläumsjahr ist auch für mich ein Augenblick gewesen, in dem ich stärker die Präsenz Christi wahrgenommen habe. Die Arbeit war – wie vorherzusehen – beschwerlicher als sonst, aber mit Gottes Hilfe ist alles zum Besten gegangen. Nunmehr, am Ende dieses ganz besonderen Jahres, möchte ich dem Herrn Lob erweisen, der es mir gestattet hat, seinen Namen so eingehend zu verkünden und mir dabei das Programm des Apostels Paulus zu eigen zu machen: »Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen« (2 Kor 4,5).
5. Diese Glaubensperspektive möge stets auch euren besonderen Dienst kennzeichnen, meine lieben Mitbrüder. Wenn Christus dem beisteht, den er zum Nachfolger Petri erwählt hat, wird er es gewiß nicht an seiner Gnade für euch fehlen lassen, die ihr die anspruchsvolle Aufgabe habt, ihn zu unterstützen. Doch wenn das Geschenk groß ist, so ist auch die Verantwortung hoch, ihm in angemessener Weise zu entsprechen. Die Römische Kurie muß daher ein Ort sein, an dem man Heiligkeit atmet. Ein Ort, an dem Konkurrenzkampf und Karrieredenken zutiefst fremd sein müssen, wo allein die Liebe zu Christus Gültigkeit haben soll, ausgedrückt in der Freude der Gemeinschaft und des Dienstes in Nachahmung dessen, der »nicht gekommen [ist], um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen« (Mk 10,45).
6. Diesen wesentlichen Bezug auf Christus habe ich mit der Pilgerreise ins Heilige Land unterstreichen wollen, der die Feier zum Gedenken an Abraham, »unseren Vater im Glauben«, in der Aula Paul VI. und der Besuch an einigen alttestamentlichen Stätten der Heilsgeschichte, vor allem auf dem Sinai, vorausging. Wie sollte man die Ergriffenheit in jenen Märztagen vergessen, an denen es mir gegeben war, die historische Begebenheit Jesu in ihren grundlegenden Augenblicken von der Geburt in Betlehem bis zum Tod auf Golgotha nachzuleben? Besonders im Abendmahlssaal habe ich an euch gedacht, meine lieben Mitarbeiter der Römischen Kurie. Ich habe euch alle mit mir getragen in der Erinnerung und im Gebet. Es war ein wahres »Eintauchen« in das Geheimnis Christi. Zugleich war es eine Gelegenheit zur Begegnung nicht nur mit der christlichen Gemeinschaft, sondern auch mit der jüdischen und der islamischen. In der Hochschätzung, die ich diesen Gemeinschaften bekundet habe und die mir von ihnen voll erwidert wurde, konnte ich die Vorfreude spüren, die alle als Abglanz der Freude Gottes selbst erfahren werden, wenn dieses so heilige und leider so geplagte Land endlich Frieden finden wird. Heute wollen wir all denen unsere Nähe aussprechen, die in diesem zermürbenden Konflikt zu leiden haben, und flehen zu Gott, daß er die Gewalt der Sinne und der Waffen besänftige und die Gemüter zu geeigneten Lösungen für einen gerechten und dauerhaften Frieden bewege.
7. Ein wunderbares Bild des Jubiläumsjahres bleibt gewiß der Augenblick ökumenischen Gebets, der ihm schon ganz am Anfang seine Prägung gegeben hat. Mit Ergriffenheit erinnere ich mich, erinnern wir uns alle an die Öffnung der Heiligen Pforte in Sankt Paul vor den Mauern am 18. Januar. Nicht nur meine Hände waren es, die jene Türe aufstießen, sondern auch die des Metropoliten Athanasios in Vertretung des Ökumenischen Patriarchates Konstantinopel und die des Anglikanischen Primas George Carey. Durch unsere Personen war die ganze Christenheit vertreten, schmerzlich betrübt wegen der historischen Spaltungen, die sie verletzen, aber zugleich offen für den Geist Gottes, der sie der vollen Gemeinschaft entgegendrängt.
Angesichts der beständigen Mühen auf dem ökumenischen Weg dürfen wir nicht den Mut verlieren. Wir müssen glauben, daß das Ziel der vollen Einheit aller Christen tatsächlich möglich ist mit der Kraft Christi, die uns trägt. Unsererseits müssen wir neben dem Gebet und dem theologischen Dialog jene geistliche Haltung pflegen, die ich gerade bei diesem eindrucksvollen Anlaß als »Opfer der Einheit« bezeichnete. Mit diesen Worten wollte ich auf die Fähigkeit verweisen, »unseren Blick zu wandeln, unseren Horizont zu weiten, das Wirken des Heiligen Geistes in unseren Brüdern und Schwestern anzuerkennen, neue Gesichter der Heiligkeit zu entdecken und uns bislang unbekannten Weisen der christlichen Tat zu öffnen« (Homilie beim ökumenischen Gottesdienst, 18. Januar 2000).
8. Durch gleichartige Offenheit der Seele hat das Jubiläumsjahr sich in die Spur des interreligiösen Dialogs begeben, der, vom II. Vatikanischen Konzil mit der Erklärung Nostra aetate eingeleitet, in den letzten Jahrzehnten bedeutsame Schritte voran verzeichnet hat. Ich denke insbesondere an das Gebet von Assisi im Jahr 1986 und das auf dem Petersplatz im vergangenen Jahr. Es handelt sich selbstverständlich um einen Dialog, der in keiner Weise die gebotene Verkündigung Christi als einzigen Retter der Welt herabwürdigen will, wie die Erklärung Dominus Iesus kürzlich bekräftigt hat. Der Dialog stellt diese für den christlichen Glauben wesentliche Wahrheit nicht zur Diskussion, sondern ist auf der Voraussetzung begründet, daß wir gerade im Licht des in Christus offenbar gewordenen Geheimnisses Gottes die vielen, vom Geist in den verschiedenen Kulturen und Religionen ausgestreuten Samenkörner des Lichts erfassen können. Wenn wir durch den Dialog diese Samenkörner pflegen, dann wird es möglich, miteinander zu wachsen – auch mit den Gläubigen anderer Religionen – in der Liebe zu Gott, im Dienst an der Menschheit, auf dem Weg hin zur Fülle der Wahrheit, zu der uns der Geist Gottes geheimnisvoll hinführt (vgl. Joh 16,13).
9. Das Große Jubiläumsjahr ist in Anlehnung an seinen fernen, doch stets lebendigen biblischen Ursprung auch ein Jahr intensiveren Wahrnehmens der Dringlichkeit der Nächstenliebe gewesen, vor allem in der Dimension der Hilfe, die es den ärmsten Ländern zu leisten gilt. Nur im Rahmen des einer »globalen« Solidarität verpflichteten Einsatzes läßt sich Abhilfe schaffen für die Gefahren, die einer Weltwirtschaft innewohnen, die tendenziell ohne Regeln zum Schutz der schwächeren Subjekte ist. Große Bedeutung hat in diesem Sinn der Einsatz der Kirche für die Verringerung der internationalen Verschuldung der armen Länder gehabt. Das, was nicht wenige Parlamente beschlossen haben, ist ohne Zweifel ermutigend, aber vieles bleibt noch zu tun. Gleichermaßen möchte ich hier den Verantwortlichen der Nationen danken, die meinem wiederholten Aufruf Folge leisteten, ein »Zeichen der Milde zugunsten aller Häftlinge« zu vollbringen. Ich hoffe, daß der begonnene Weg zum Ziel geführt wird. Über diese spezifischen Probleme hinaus hat das Nachdenken des Jubiläumsjahres sodann den gesamten Bereich der Nächstenliebe in unser Blickfeld gerückt und alle Christen zu einer Haltung hochherzigen Teilens aufgefordert. Nächstenliebe ist die Weisung für den Weg, der uns erwartet. Durch sie kommt vollends die Wahrheit des Gottes, der die Liebe ist, zum Leuchten, jenes Gottes, der »die Welt so sehr geliebt [hat], daß er seinen einzigen Sohn hingab« (Joh 3,16).
10. »Pater misit Filium suum Salvatorem mundi: gaudeamus!« [Der Vater sandte seinen Sohn als Retter der Welt: Freuen wir uns!] Diese Gewißheit hat die zweitausend Jahre der christlichen Geschichte geleitet. Von ihr müssen wir auch wieder ausgehen an diesem Beginn eines Jahrtausends. »Wieder von Christus ausgehen!« Das ist das Losungswort, das die Kirche bei ihrem Eintritt in das dritte Jahrtausend begleiten muß. In einigen Tagen wird die Heilige Pforte geschlossen, aber mehr denn je bleibt die lebendige Pforte weit geöffnet, die Christus selbst ist. Ich bin sicher, daß bei diesem neuerlichen Aufbruch auf dem Weg wiederum ihr, meine lieben Mitarbeiter der Römischen Kurie, bereitwillig und verfügbar seid. In der Welt des Geistes gibt es keine Ruhepausen! Das Geheimnis dieser unerschöpflichen Schwungkraft ist Christus selbst, den uns in einigen Tagen die Liturgie als Kind in der Krippe betrachten lassen wird. Ihn bitten wir durch die Fürsprache Mariens, Mutter der Hoffnung, uns mit seinem Licht zu umhüllen und uns auf dem neuen Weg beizustehen.
In seinem Namen grüße ich euch alle mit Zuneigung und erteile euch gerne, zusammen mit meinen herzlichsten Glückwünschen, den Apostolischen Segen. Frohe Weihnachten!
2001
am 22. Dezember
1. Prope est iam Dominus. Venite, adoremus!
Mit diesen Worten der Adventsliturgie empfange und begrüße ich euch herzlich, meine Herren Kardinäle, verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt, Ordensleute und Laien der Römischen Kurie und des Vikariats von Rom. Ich danke dem geschätzten Kardinal-Dekan Bernardin Gantin für die Glück- und Segenswünsche, die er mir in eurem Namen übermittelt hat, und ich möchte euch allen meinerseits meine Freude darüber aussprechen, daß wir uns heute zu diesem traditionsreichen Familientreffen versammeln. Es ist eine Begegnung, die den Sinn tiefer Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, die eure Arbeit beseelt und unterstützt, gut zum Ausdruck bringt. Ich bin euch dankbar für die Ergebenheit, die ihr dem Apostolischen Stuhl entgegenbringt, und für den großherzigen Einsatz, mit dem ihr in vielerlei Weise jeden Tag an meinen Bemühungen zur Erfüllung des mir übertragenen »ministerium petrinum« teilhabt. Euch allen gilt mein herzlicher Dank!
Die Geburt des Herrn ist nahe. Kommt, lasset uns anbeten! Mit immer neuem Staunen begegnen wir dem Geheimnis der Geburt Christi, in dessen menschlichem Antlitz die Zärtlichkeit Gottes erstrahlt. Ja, Gott liebt uns wirklich! Er hat die Menschen nicht vergessen und sie nicht der Ohnmacht und Einsamkeit preisgegeben, sondern er hat seinen Sohn gesandt, der ihr sterbliches Fleisch annahm, um sie vor der Leere der Sünde und der Verzweiflung zu bewahren.
»Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden«, sagt uns der Apostel Johannes (Joh, 2). In Jesus von Nazareth schenkt Gott uns sein eigenes Leben. Er macht uns zu »Kindern im Sohn«, gibt uns Anteil an seiner dreifaltigen Wesenheit und macht uns untereinander zu Brüdern. Weihnachten ist der sichere und stets fruchtbare Boden, auf dem die Hoffnung der Menschheit aufkeimt. Das Kind von Betlehem betrachten bedeutet das Kommen einer neuen, nach seinem Abbild neugeschaffenen und über Sünde und Tod siegreichen Menschheit zu erhoffen; es bedeutet zu glauben, daß in unserer von soviel Leid gezeichneten Geschichte das Leben und die Liebe das letzte Wort haben werden. Gott hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen, um uns den Weg zu seiner ewigen Wohnstatt zu öffnen.
2. Unter diesem »Vorzeichen« der Ewigkeit wollen wir die Geschichte deuten und – wie es bei diesem unserem alljährlichen Treffen der Brauch ist – hierbei an die Hauptereignisse zurückdenken, die die vergangenen zwölf Monate geprägt haben: Gerne tue ich das mit euch, meinen geschätzten Mitarbeitern, im Geiste der Dankbarkeit gegenüber dem Gott des Lebens, der die Werke und Tage der Menschen in seinen Händen hält.
Zunächst erinnere ich mich daran, mit welch tiefer innerer Ergriffenheit ich am Morgen des Hochfests der Erscheinung des Herrn das Apostolische Schreiben Novo millennio ineunte unterzeichnet habe. Erneut möchte ich Gott, den Quell alles Guten, für die unzähligen Gnaden loben, die das Große Jubiläumsjahr 2000 der christlichen Gemeinschaft gebracht hat, und für den neuen apostolischen Impuls, der sich aus der Feier des 2000. Jahrestags der Geburt Christi in den verschiedenen Ortskirchen ergeben hat. »Duc in altum!« (Lk 5, 4). Noch einmal »…erklingt heute [dieses Wort] für uns und lädt uns ein, dankbar der Vergangenheit zu gedenken, leidenschaftlich die Gegenwart zu leben und uns vertrauensvoll der Zukunft zu öffnen: ›Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit‹« (Novo millennio ineunte, 1). Zu Beginn des neuen Jahrtausends stellt sich die ganze Kirche – wieder von Christus ausgehend, von der Liebe des Vaters gestützt und von der unerschöpflichen Gabe des Heiligen Geistes gestärkt – erneut mit Bescheidenheit in den Dienst der Welt, und mit ihrem Zeugnis des Lebens und der Werke möchte sie der Welt ihren einzigen Reichtum anbieten: Christus, den Herrn, den Heiland und Erlöser des Menschen (vgl. Apg 3, 6).
3. Dieser Auftrag ist besonders denen anvertraut, die als Nachfolger der Apostel dazu berufen und gesandt sind, die Herde Gottes zu weiden (vgl. 1 Petr 5, 2). In dieser Hinsicht gehen meine Gedanken in erster Linie zu den Bischöfen der verschiedenen Nationen, die ich in den vergangenen Monaten während ihrer Besuche »Ad-limina Apostolorum« mit Freude empfangen habe. Außerdem denke ich an die zahlreichen Oberhirten, die im Oktober zusammen mit mir die X. Ordentliche Vollversammlumg der Bischofssynode erlebt haben; das Thema war: »Der Bischof als Diener des Evangeliums Christi für die Hoffnung der Welt.« Am 22. November habe ich dann das Apostolische Schreiben Ecclesia in Oceania veröffentlicht, in dem ich die Ergebnisse der Sonderversammlung der Bischofssynode, die 1998 über die Probleme und Perspektiven in diesem großen Kontinent abgehalten wurde, zusammengefaßt habe. Schließlich erinnere ich an das Konsistorium im Februar: Dabei sind zahlreiche Bischöfe und einige Priester in das Kardinalskollegium berufen worden, das dann im Mai zum Außerordentlichen Konsistorium in Rom zusammentrat.
Diese Treffen, geprägt von Gebet, Arbeit, gemeinsamer Suche und brüderlichem Teilen, haben uns geholfen, die Wege ausfindig zu machen, die die Kirche einschlagen muß, um Christus in unserer Zeit zu verkünden und um auf diese Weise immer mehr Salz der Erde und Licht der Welt zu sein (vgl. Mt 5, 3), damit die gesamte Menschheit »im Hören […] glaubt, im Glauben hofft und in der Hoffnung liebt« (Dei Verbum, 1).
4. Der Herr hat es mir ermöglicht, die Heiligjahrwallfahrt zu den Stätten zu unternehmen, die mit der Heilsgeschichte in enger Verbindung stehen: Auf den Spuren des heiligen Paulus konnte ich mich nach Athen, Damaskus und Malta begeben, um des menschlichen und geistigen Abenteuers des Völkerapostels und seines vorbehaltlosen Einsatzes für die Sache Christi zu gedenken.
In jedem Land bin ich mit großer Freude den katholischen Gemeinschaften der verschiedenen Riten begegnet und habe auch die Patriarchen und Erzbischöfe der ehrwürdigen Orthodoxen Kirchen des Orients besuchen wollen, mit denen uns das Glaubensbekenntnis an Christus, den einzigen Herrn und Erlöser, verbindet. Mit ihnen konnte ich erneut den sehnsüchtigen Wunsch nach voller Einheit unter allen Christgläubigen aussprechen, zusammen mit der Verpflichtung, dahingehend zu wirken, daß der Tag der Gemeinschaft, auch der sichtbaren Gemeinschaft, zwischen christlichem Osten und christlichem Westen so bald wie möglich herbeigeführt werde. In Damaskus habe ich zudem die Omajiadenmoschee besucht, in der sich die Gedenkstätte für Johannes den Täufer, den Vorläufer Jesu, befindet; so wollte ich – wenn auch mit einer klaren Anerkennung der bestehenden Unterschiede – die Achtung der katholischen Kirche gegenüber dem Islam zum Ausdruck bringen.
5. Um weiterhin der Verpflichtung nachzukommen, die den bisher erfolgten apostolischen Reisen zugrunde liegt, nämlich die Brüder im Glauben zu bestärken (vgl. Lk 22, 32) und sie in jeder Art von Not zu trösten (vgl. 2 Kor, 3 –4), habe ich mich im Juni in die Ukraine begeben, wo die Söhne und Töchter der Katholischen Kirche zusammen mit anderen christlichen Brüdern und Schwestern im vergangenen Jahrhundert eine grausame Verfolgung durchlebt und ihre Treue zum Herrn Jesus bis hin zum Martyrium bezeugt haben. In jenen Tagen habe ich Gott eindringlich gebeten, die Kirche in Europa möge wieder mit ihren beiden Lungenflügeln atmen, damit der gesamte Kontinent eine Neuevangelisierung erfahre.
Im September war ich dann in Kasachstan. Dort konnte ich den festen Willen der Bevölkerung zur Überwindung einer harten, von der Unterdrückung der Würde und Rechte der Menschen geprägten Vergangenheit erkennen. Ich forderte dort erneut die Anhänger aller Religionen zur entschiedenen Ablehnung von Gewalt auf, um so zur Heranbildung einer Menschheit beizutragen, die das Leben liebt und nach Zielen der Gerechtigkeit und Solidarität strebt.
Danach reiste ich nach Armenien, um einer Nation die Ehre zu erweisen, deren Geschichte seit 17 Jahrhunderten mit dem Christentum in Verbindung steht und die die Treue zur eigenen Identität teuer bezahlt hat: Man denke nur an die furchtbare Massenvernichtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Gastfreundschaft, die Seine Heiligkeit Katholikos Karekin II. mir mit vorzüglicher Höflichkeit zuteil werden ließ, hat mich tief gerührt.
Von Herzen danke ich allen, die mich als Freund, Bruder und Pilger aufgenommen haben. Alle versichere ich meines steten Gebetsgedenkens. Ebenso begleite ich das verehrte chinesische Volk mit besonderer Zuneigung. Anläßlich der jüngsten Gedenkfeiern zum 400. Jahrestag der Ankunft in Peking von P. Matteo Ricci, dem berühmten Sohn der Gesellschaft Jesu, habe ich viel an dieses Volk gedacht.
Ohne die Schwierigkeiten und auch die leidvollen Situationen zu verkennen, von denen der Weg mitunter geprägt ist, möchte ich an dieser Stelle meine feste Überzeugung bekräftigen, daß der Pfad des gegenseitigen Kennenlernens und – wo immer dies möglich ist – des gemeinsamen Gebets der beste Weg zur Verständigung, zur Solidarität und zum Frieden ist.
6. Die Schatten des tragischen Terroranschlags in New York, des Krieges in Afghanistan und der zunehmenden Spannungen im Heiligen Land haben die letzten Monate des Jahres verfinstert. Angesichts dieser Situation sind die Jünger Christi, des Friedensfürsten (vgl. Jes 9, 5), dazu aufgerufen, beharrlich zu verkünden, daß jede Form von terroristischer Gewalt die Heiligkeit Gottes und die Menschenwürde entehrt und daß die Religion nie zur Ursache von kriegerischer Aggression, Haß oder Unterdrückung werden kann. Ich wiederhole meinen eindringlichen Appell an alle Menschen guten Willens, keine Mühe zu scheuen, um gerechte Lösungen auf die vielfältigen Konflikte zu finden, von der die Welt heimgesucht wird, und um allen Menschen eine friedliche Gegenwart und Zukunft zu gewährleisten. Man darf nicht vergessen, daß es »keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Vergebung gibt« (Botschaft zum Weltfriedenstag,1.Januar 2002).
Mehr noch als ein Ergebnis menschlicher Bemühungen ist der wahre Friede jedoch ein Geschenk Gottes: Denn Christus »ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder« (Eph 2,14).Weil all das, »wofür das Gebet anklopft, das Fasten erwirkt und die Barmherzigkeit erhält und diese drei – Gebet, Fasten, Barmherzigkeit – eins sind und sich gegenseitig das Leben geben« (vgl. heiliger Petrus Chrysologus, Sermo 43; PL 52,320), habe ich den Söhnen und Töchtern der Kirche einen Tag der Buße und Solidarität für den vergangenen 14.Dezember vorgeschlagen. In ideeller Kontinuität hierzu werden wir uns am kommenden 24. Januar wiederum an denjenigen wenden, der allein fähig ist, die trennenden Mauern der Feindschaft zwischen den Menschen niederzureißen: In Assisi, der Stadt des heiligen Franziskus, werden die Vertreter der Weltreligionen, insbesondere Christen und Moslems, ihr inständiges Gebet für die Überwindung der Gegensätze und die Förderung des wahren Friedens erheben.
Ich danke all denen, die sich in den verschiedenen Erdteilen zu dieser Bußübung zusammenfinden: Die Frucht ihres Opfers wird der Linderung des Leids vieler unschuldiger, leidgeprüfter Brüder und Schwestern dienen. Außerdem lade ich sie, und besonders euch, verehrte Mitglieder der Römischen Kurie und des Vikariats Rom, dazu ein, sich dem Gebet in Assisi in geistlicher Weise anzuschließen, damit die Welt friedliche Tage erlebe.
7. Zu unserer Tröstung und zur Stärkung unserer Hoffnung bewundern wir die Gabe der Heiligkeit, die im Volk Gottes unaufhörlich erblüht: Die Kirche ist Mutter von Heiligen! Die Fruchtbarkeit der Taufgnade wird im Leben zahlreicher Christen offenbar, die ich im Laufe des Jahres zur Ehre der Altäre erheben konnte, sowohl hier in Rom als auch während meiner Apostolischen Reisen in die Ukraine und nach Malta. Vor diesem glanzvollen Horizont von »Zeugen«, Bischöfen und Priestern, eweihten Menschen und Laien, möchte ich besonders an die Eheleute Luigi und Maria Beltrame Quattrocchi erinnern,die als erste in der Kirchengeschichte gemeinsam – als Ehepaar – seliggesprochen worden sind als beredtes Zeugnis der Heiligkeit in der Ehe.
Der gemeinsamen Fürsprache all dieser vorbildlichen Brüder und Schwestern empfehle ich unser einstimmiges Gebet für den Frieden in dieser weihnachtlichen Zeit.
8. Rorate caeli desuper, et nubes pluant iustum!
Dazu berufen,nach oben zu schauen (vgl. Hos 11,7), fassen wir in dieser Anrufung das sehnsüchtige Warten auf den Heiland zusammen. Zu Weihnachten macht sich Gott,der Unsichtbare, für uns in Jesus, dem Sohn der »Theotokos« Maria, gegenwärtig und sichtbar. Er ist der Immanuel, der Gott-mit-uns. »Das große Geheimnis der Frömmigkeit: Er wurde offenbart im Fleisch« (Katechismus der Katholischen Kirche, 463).
In Jesus erinnert sich Gott seines Bundes, er geht wie eine Sonne in der Höhe über uns auf, um uns zu ermöglichen, ihm in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen und unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken (vgl. Lk 1,78 –79). Die Kirche, Hüterin der Gewißheit seiner Gegenwart bis ans Ende der Welt (vgl. Mt 28,20), verkündet mit dem heiligen Augustinus: »Freut euch, ihr Gerechten: Es ist die Weihnacht dessen, der rechtfertigt. Freut euch, ihr Schwachen und Kranken: Es ist die Weihnacht des Heilands […] Freut euch, ihr Christen alle: Es ist die Weihnacht Christi« (vgl. Sermo 184,2; SCh 116).
Der Herr, der kommt, gewähre allen und einem jeden einzelnen das Geschenk der Freude und des Friedens: Das ist mein dankbarer Wunsch und mein Gebet für euch und eure Lieben. Ich erbitte für jeden von euch ein gutes Neues Jahr und erteile euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
2002
am 21. Dezember
Meine Herren Kardinäle, hochwürdige Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien der Römischen Kurie!
1. »Cum Maria contemplemur Christi vultum!« Die Begegnung, zu der wir uns, einer schönen Gewohnheit gemäß, hier versammelt haben, findet in einer ausgesprochen familiären Atmosphäre statt. Wir wollen vor der Heiligen Nacht, in der wir mit Maria das Antlitz Christi betrachten werden, einander frohe Weihnachten wünschen. Ich danke dem neuen Dekan des Kardinalskollegiums, Kardinal Joseph Ratzinger, für die Empfindungen, die er mir mit edlen Worten im Namen aller zum Ausdruck bringen wollte. Ich möchte dem emeritierten Dekan, Kardinal Bernardin Gantin, herzliche Grüße und Wünsche übermitteln und ihm bei dieser Gelegenheit auch aufrichtig danken für all die Arbeit, die er für den Apostolischen Stuhl geleistet hat.
Es ist ein besonderes Weihnachtsfest für mich, weil es in ein 25. Pontifikatsjahr fällt. Gerade dieser Umstand drängt mich, euch an meinem Dank an den Herrn für alles, was er mir in dieser keinesfalls kurzen Zeit im Dienst an der universalen Kirche geschenkt hat, teilhaben zu lassen.
Ein herzliches »Dankeschön« möchte ich auch euch aussprechen, die ihr mir durch eure kompetente und liebevolle Mitarbeit täglich nahe seid. Ohne euch könnte sich mein Dienst nicht in angemessener und wirksamer Weise verwirklichen. Ich bitte den Herrn, er möge euch für diesen Dienst für den Nachfolger Petri reichlich entlohnen und euch daraus tiefe Freude und geistlichen Trost schöpfen lassen.
2. Unsere Begegnung steht unter einem besonderen Zeichen, weil sie im Jahr des Rosenkranzes stattfindet. Es soll in der christlichen Gemeinschaft einem mehr denn je wertvollen Gebet neue Kraft verleihen, auch im Hinblick auf die vom II. Vatikanischen Konzil aufgezeigten theologischen und geistlichen Leitlinien. Denn es handelt sich um ein marianisches Gebet mit eindeutig christologischer Grundlage.
Wenn ich bei dieser Gelegenheit wie gewohnt auf die wichtigsten Ereignisse zurückblicke, die meinen Dienst während der vergangenen Monate bestimmt haben, möchte ich es von dem Blickwinkel aus tun, den der Rosenkranz empfiehlt, das heißt mit kontemplativem Blick, der in den Ereignissen das Zeichen der Gegenwart Christi erkennen läßt. In diesem Sinn habe ich im Apostolischen Schreiben Rosarium Virginis Mariae die anthropologische Bedeutung dieses Gebets unterstrichen (vgl. Nr. 25): Es übt uns ein in die Betrachtung Christi, es leitet uns an, den Menschen und die Geschichte im Licht seines Evangeliums zu sehen. Stimme und Gebet der Kirche vor blutüberströmtem Horizont
3. Kann man insbesondere vergessen, daß das Antlitz Christi weiterhin einen wahren Leidenszug trägt aufgrund der Konflikte, die so viele Gebiete der Erde mit Blut beflecken, und der anderen Konflikte, die mit neuer Virulenz wieder auszubrechen drohen? Sinnbildlich dafür bleibt die Lage im Heiligen Land, aber andere »vergessene« Kriege sind nicht weniger zerstörerisch. Auch der Terrorismus rafft weiterhin Menschenleben hinweg und reißt neue Gräben auf. Vor diesem blutüberströmten Horizont hört die Kirche nicht auf, ihre Stimme zu erheben, und setzt ihr Gebet fort.
Das ist insbesondere am 24. Januar dieses Jahres in Assisi, am Gebetstag für den Frieden, geschehen, als wir mit den Vertretern der anderen Religionen die Friedensmission bezeugt haben, die eine besondere Pflicht all jener ist, die an Gott glauben. Wir müssen auch weiterhin mit aller Kraft verkünden: »Die Religionen dienen dem Frieden« (OR dt., Nr. 5, 1.2.2002, S. 7)
Ich habe diese Wahrheit auch in der Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar des kommenden Jahres betont und an die großartige Enzyklika Pacem in terris des sel. Johannes XXIII. erinnert, der am 11. April 1963 - fast 40 Jahre sind seitdem vergangen! - in einer schwierigen geschichtlichen Situation seine Stimme erhob und die Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit als »Stützpfeiler« des wahren Friedens vorstellte.
4. Das Antlitz Christi! Wenn wir uns mit kontemplativem Blick umschauen, ist es nicht schwer, einen Abglanz seiner Herrlichkeit in der Schönheit der Schöpfung zu erkennen. Aber zugleich müssen wir die Zerstörung beklagen, die die menschliche Nachlässigkeit in der Umwelt verursacht, indem sie der Natur täglich Wunden zufügt, die Rückwirkungen auf den Menschen haben. Deshalb freut es mich, daß auch in diesem Jahr bei verschiedenen Gelegenheiten der Einsatz der Kirche im ökologischen Bereich bezeugt werden konnte.
In dieser Hinsicht ist die Erklärung von besonderer Bedeutsamkeit, die ich mit dem Ökumenischen Patriarchen Seiner Heiligkeit Bartholomaios I. unterzeichnet habe, der in Venedig weilte und mit dem ich am 10. Juni durch eine Videoschaltung verbunden war. Wir sagten zu den Menschen in aller Welt, daß für alle für die Zukunft der Menschheit und besonders im Hinblick auf die Kinder ein neues »ökologisches Bewusstsein« erforderlich sei als Ausdruck der Verantwortung für sich selbst, für die anderen und für die Schöpfung.
5. Der Blick richtet sich sodann auf das, was mir auf Ebene der Beziehungen mit den Staaten zu tun gegeben war. Ich erinnerte alle an die Dringlichkeit, die Würde der menschlichen Person und den Dienst am Gemeinwohl in den Mittelpunkt der nationalen und internationalen Politik zu stellen. Aufgrund dieses Verkündigungsauftrags ist die Kirche befugt, in ihrer besonderen Eigenschaft an den internationalen Organisationen teilzuhaben. Das ist der Sinn der Vereinbarungen, die sie trifft, wobei sie nicht nur auf die Erwartungen der Gläubigen, sondern auch auf das Wohl aller Bürger achtet.
In der Ansprache, die ich vor dem Parlament der Republik Italien am 14. November dieses Jahres gehalten habe, betonte ich, daß die einem demokratischen Staat gestellte große Herausforderung in der Fähigkeit besteht, seine Ordnung auf die Anerkennung der unveräußerlichen Rechte des Menschen und auf die solidarische und großmütige Mitarbeit aller am Aufbau des Gemeinwohls zu stützen.
Es ist eine Pflicht, daran zu erinnern, daß schon mein verehrter Vorgänger Pius XII. vor 60 Jahren in der Rundfunkbotschaft vom 24. Dezember 1942 auf diese Werte hingewiesen hat. Während er mit tiefer Anteilnahme »auf den Strom von Tränen und Bitterkeit« und auf »die Anhäufung von Leiden und Qualen« hinwies, die »von der Zerstörungswut des ungeheuren Konfliktes verursacht werden« (AAS 35, 1943, 24), beschrieb dieser große Papst mit klaren Worten die universalen und unveräußerlichen Grundprinzipien, nach denen - wenn »die furchtbare Katastrophe« des Krieges einmal überwunden sein wird (AAS, I.c., S. 18) - die »von allen Völkern mit brennender Sehnsucht geforderte, neue nationale und internationale Ordnung« aufgebaut werden solle (AAS, 1.c., S. 10). Die seither vergangenen Jahre haben die vorausschauende Weisheit dieser Weisungen bestätigt. Ist nicht zu hoffen, daß die Herzen, vor allem die Herzen der jungen Menschen, sich öffnen und diese Werte aufnehmen, um eine Zukunft des wahren, dauerhaften Friedens aufzubauen?
6. Wenn von den Jugendlichen die Rede ist, kommen mir die unvergeßlichen Erfahrungen bei der Feier des Weltjugendtages im Juli in Toronto in den Sinn. Das Treffen mit den jungen Menschen ist immer mitreißend, ich möchte sagen, »regenerierend«. Das Thema in diesem Jahr erinnerte die Jugendlichen an die missionarische Verpflichtung aufgrund des Auftrags Christi, »Licht der Welt « und »Salz der Erde« zu sein. Es ist schön, festzustellen, daß die Jugendlichen uns auch dieses Mal nicht enttäuscht haben. Trotz der Schwierigkeiten haben sehr viele teilgenommen.
Gewiß, die Anwesenheit von so vielen Jugendlichen bei der Begegnung mit dem Evangelium und dem Papst darf die vielen anderen nicht außer acht lassen, die am Rand bleiben oder sich fernhalten, weil sie von anderen Botschaften angelockt werden oder von Tausenden von gegensätzlichen Angeboten verunsichert sind. Es ist Aufgabe der Jugendlichen, ihren Altersgenossen das Evangelium zu vermitteln. Wenn die Pastoral ihnen Aufmerksamkeit widmet, werden die Jugendlichen die Kirche nicht enttäuschen, denn das Evangelium ist »jung« und vermag zu den Herzen der Jugendlichen zu sprechen.
7. Ich erinnere mich ferner mit besonderer Dankbarkeit gegenüber dem Herrn an die Fortschritte, die auch in diesem Jahr auf dem ökumenischen Weg gemacht wurden. In Wahrheit hat es, dies muß man zugeben, nicht an Gründen der Bitterkeit gefehlt. Aber wir müssen mehr auf die Lichtblicke als auf die Schattenseiten schauen. Unter den Lichtpunkten möchte ich neben der bereits erwähnten gemeinsamen Erklärung mit Patriarch Bartholomaios I. vor allem an die Begegnung mit der Delegation der orthodoxen Kirche von Griechenland erinnern, die mir am 11. März einen Besuch abgestattet und eine Botschaft des Erzbischofs von Athen und ganz Griechenland, Seiner Seligkeit Christodoulos, überbracht hat. So konnte ich bis zu einem gewissen Grad die Atmosphäre wiedererleben, die ich im vergangenen Jahr während des Besuches in Griechenland auf den Spuren des Apostel Paulus erfahren hatte. Wenn noch Gründe der Zurückhaltung bestehen, ist diese Haltung gegenseitiger Öffnung dennoch Anlaß zur Hoffnung.
Dasselbe ist in bezug auf den Besuch zu sagen, den mir der orthodoxe Patriarch von Rumänien, Teoctist, abgestattet hat, mit dem ich im vergangenen Oktober eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet habe. Wann wird der Herr uns endlich die Freude der vollen Gemeinschaft mit den orthodoxen Brüdern schenken? Die Antwort bleibt ein Geheimnis der göttlichen Vorsehung. Aber das Vertrauen in Gott dispensiert sicher nicht vom persönlichen Einsatz. Deshalb ist es vor allem notwendig, die Ökumene des Gebets und der Heiligkeit zu verstärken.
8. Abschließend möchte ich bei diesem Überblick gerade auf die Heiligkeit als höchsten »Gipfel« der kirchlichen »Landschaft« schauen, weil ich auch in diesem Jahr die Freude hatte, viele Söhne und Töchter der Kirche zur Ehre der Altäre zu erheben, die sich durch ihre Treue zum Evangelium besonders ausgezeichnet haben. »Cum Maria contemplemur Christi vultum!« Denn in den Heiligen »zeigt Gott den Menschen in lebendiger Weise seine Gegenwart und sein Antlitz« (Lumen gentium, 50).
Ich lobe den Herrn für die Selig- und Heiligsprechungen, die im Verlauf der Apostolischen Reise nach Guatemala-Stadt und nach Mexiko-Stadt stattgefunden haben. Und wie könnte man, auch wegen des großen Widerhalls in der öffentlichen Meinung, die Heiligsprechung der sel. Pio da Pietrelcina und Josemaría Escrivá de Balaguer unerwähnt lassen?
Unter dem Zeichen der Heiligkeit ist aufgrund der Einweihung des Heiligtums der Göttlichen Barmherzigkeit in Krakau-Lagiewniki auch meine Apostolische Reise nach Polen verlaufen. Ich konnte bei dieser Gelegenheit unserer Welt, die angesichts so vieler ungelöster Probleme und unbekannter künftiger Bedrohungen der Versuchung der Mutlosigkeit ausgesetzt ist, in Erinnerung rufen, daß Gott »voll Erbarmen« ist. Für denjenigen, der auf Ihn vertraut, ist nichts endgültig verloren; alles kann wieder aufgebaut werden.
9. Cum Maria contemplemur Christi vultum!
Werte Mitarbeiter der Römischen Kurie, liebe Brüder und Schwestern, mit dieser Einladung entbiete ich euch die herzlichsten Wünsche für das kommende Weihnachtsfest. »Natus est vobis hodie Salvator, qui est Christus Dominus« (Lk 2, 11). Diese Botschaft schenke euch wahre Herzensfreude, und gebe euch Schwung bei der Arbeit, die ihr jeden Tag für den Heiligen Stuhl leistet.
Möge uns Christus bei seiner Geburt bereit finden, ihn in unseren Herzen aufzunehmen, und möge Maria, die Königin des heiligen Rosenkranzes, uns als Mutter zur Betrachtung seines Antlitzes führen. Frohe Weihnachten für alle!
2003
am 22. Dezember
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitglieder der Römischen Kurie und der Römischen Prälatur!
1. In dieser vorweihnachtlichen Zeit erhält die Aufforderung der Liturgie: »Descendit de caelis Salvator mundi. Gaudeamus!« besondere Intensität.
Es ist eine Einladung zu geistlicher Freude, deren Ursache in der Liturgie erklärt wird: »Der Erlöser der Welt ist vom Himmel herabgestiegen.« In Betlehem, in der Armseligkeit einer Grotte, ist der von den Propheten erwartete und verkündete Messias geboren worden: Der Sohn Gottes ist einer von uns geworden. Auch weiterhin schenkt Maria Ihn den Menschen aller Zeiten und aller Kulturen, denn Er wurde für das Heil aller geboren.
Dies sind die Empfindungen, die mich bei diesem traditionellen und freudigen Treffen zum Jahresende bewegen. Vor dem Hintergrund meines 25jährigen Pontifikatsjubiläums hat der Dekan des Kardinalskollegiums mir eure herzlichen Wünsche für die bevorstehenden Festtage übermittelt. Ich grüße ihn und danke ihm wie auch euch allen, den Kardinälen, Bischöfen und Prälaten. In dankbarer Zuneigung wende ich mich ferner an die Beamten und Mitarbeiter der Römischen Kurie, des Vikariats von Rom und des Governatorats des Staates der Vatikanstadt.
Euch allen stehe ich geistig nahe in dankbarer Anerkennung der Arbeit im Dienst am Heiligen Stuhl, die ein jeder von euch gemäß seinen Kompetenzen und Aufgaben leistet. Jesus möge euch in seiner Geburt mit seinen Gaben der Gnade und Güte reich beschenken und für die mühevolle tägliche Arbeit belohnen, die ihr oft still und verborgen ausübt. Vermittelt diese meine Empfindungen den Priestern, Ordensleuten und Laien, die mit euch zusammenarbeiten.
2. Meine Gedanken gehen zurück zum ersten Treffen mit den Mitgliedern der Römischen Kurie, das – ebenso wie heute – am 22. Dezember 1978, vor 25 Jahren, stattgefunden hat!
Zunächst, liebe Brüder, möchte ich euch wissen lassen, daß ich in diesen Jahren die Klugheit und Hingabe eures Dienstes für den Nachfolger Petri immer voll Dankbarkeit bewundert habe. »Vos estis corona mea«, diese Worte des heiligen Paulus habe ich damals an euch gerichtet (vgl. Phil 4,1). Gerne wiederhole ich sie auch am heutigen Tag, denn ihr »seid die mir mit besonderem Recht ›Verbundenen‹ im Sinn jener transzendenten Gemeinschaft …, die sich ›kirchliches Leben‹ nennt und das auch ist« (OR dt., Nr. 1, 5.1.1979, S. 4).
Wie hätte ich ohne eure treue Mitarbeit die mir anvertrauten Aufgaben erfüllen können? Dankbar gedenke ich all derer, die im Laufe der vergangenen Jahre in den jeweiligen Ämtern aufeinandergefolgt sind. Jeden Tag bete ich für diejenigen, die der Herr bereits zu sich gerufen hat, und erbitte für sie den wohlverdienten Lohn.
3. Wir alle bemühen uns gemeinsam um ein einziges Ziel: die Verkündigung des Evangeliums Christi für das Heil der Welt. Diese Sendung ist es, die wir im Geist des Glaubens und mit Opferbereitschaft, falls notwendig bis zur »passio sanguinis«, von der der heilige Augustinus spricht, erfüllen wollen. Wie der Bischof von Hippo, Regius, bemerkt, stehen wir im Dienst einer Herde, die weder mit Gold noch mit Silber, sondern mit dem Blut Christi erworben wurde (vgl. Sermones 296, 4: Ansprachen V).
In unserem Dienstamt darf daher nie die Treue gegenüber demjenigen fehlen, der uns zutiefst mit seinem Priestertum verbunden hat! Stets möge Er allein – Christus – Mittelpunkt unserer Existenz sein. Im Lauf der Jahre hat sich dieses Bewusstsein in mir immer mehr gefestigt: Jesus fordert uns auf, seine Zeugen zu sein, allein für seinen Ruhm und das Heil der Seelen Sorge zu tragen.
Das habe ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia wie auch in den Nachsynodalen Schreiben Ecclesia in Europa und Pastores gregis, die im Laufe dieses Jahres herausgegeben worden sind, hervorheben wollen. Das war mein Ziel, als ich unlängst zum 40. Jahrestag der Veröffentlichung von Sacrosanctum Concilium das Apostolische Schreiben Spiritus et Sponsa und zum 100. Jahrestag des Motu proprio Tra le sollecitudini über sakrale Musik ein Chirograph veröffentlicht habe.
Ist es etwa nicht die Liebe zu Christus, die im vergangenen Oktober das Kardinalskollegium veranlaßt hat, mit den Präsidenten der Bischofskonferenzen und den Patriarchen zu einer umfassenden und tiefen Reflexion über die heutigen Anforderungen der Evangelisierung zusammenzutreffen?
Die Liebe zu Christus war es, die mich auf meinen diesjährigen Apostolischen Reisen nach Spanien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und in die Slowakische Republik geführt hat. Das Wissen um den tiefen Wunsch Christi nach der Einheit der Gläubigen – »ut unum sint« (Joh 17,22) – hat mich schließlich veranlaßt, die ökumenischen Kontakte mit den Vertretern der verehrten orthodoxen Kirchen, mit dem Primas der anglikanischen Gemeinschaft und mit den Verantwortlichen von anderen, vor allem in Europa vertretenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu intensivieren.
4. Europa! Unbedingt betont werden muß auch, daß der europäische Kontinent in diesem Jahr eine entscheidende Phase seiner Geschichte durchlebt hat und noch immer durchlebt, während sich seine Grenzen für andere Völker und Nationen öffnen. Wichtig ist, daß Europa, das durch die Jahrhunderte hindurch durch das wertvolle Gut des christlichen Glaubens bereichert wurde, diese seine Ursprünge bekräftigt und seine Wurzeln neu belebt. Der wichtigste Beitrag der Christen für den Aufbau des neuen Europas ist vor allem ihre Treue zu Christus und zum Evangelium.
In erster Linie braucht Europa Heilige und Glaubenszeugen. Die in diesem Jahr gefeierten Selig- und Heiligsprechungen haben uns ermöglicht, auf das außergewöhnliche und nachahmenswerte Vorbild einiger Söhne und Töchter Europas hinzuweisen. Denken wir nur an Mutter Teresa von Kalkutta, Abbild des barmherzigen Samariters, die für alle, Gläubige und Ungläubige, Künderin der Liebe und des Friedens geworden ist.
5. Zeugen des Friedens sein; zum Frieden hinführen! Das ist eine weitere dringende Aufgabe unserer Zeit, die noch zahlreiche Gefahren und Bedrohungen für das friedliche Zusammenleben der Menschheit am Horizont heraufziehen sieht. Die Feierlichkeiten im Gedenken an die Enzyklika Pacem in terris meines seligen Vorgängers Johannes XXIII. hat uns, 40 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, erneut den von christlicher Hoffnung erfüllten Optimismus jenes großen Papstes in einer schwierigen Zeit wie der unsrigen verspüren lassen. Frieden ist auch heute möglich, und, wenn er möglich ist, dann ist er auch geboten. Eben dies wollte ich auch in meiner Botschaft zum kommenden Weltfriedenstag wiederholen.
Das Kind von Betlehem, das wir im Weihnachtsmysterium nun in unserer Mitte aufnehmen, möge der Welt das wertvolle Geschenk seines Friedens bringen. Dies erwirke uns Maria, deren Heiligtum in Pompeji ich als feierlicher Höhepunkt des Jahres des Rosenkranzes bei meiner Wallfahrt im vergangenen Oktober besucht habe.
Mit diesen Empfindungen entbiete ich euch allen meine besten Wünsche für das bevorstehende Weihnachtsfest und für ein gutes Neues Jahr, während ich euch von Herzen segne. Frohe Weihnachten!
2004
am 21. Dezember
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im priesterlichen und bischöflichen Dienst, liebe Brüder!
1. Die bevorstehende Wiederkehr der Weihnachtsfeiertage erweckt jedes Jahr Gefühle der Freude und des Friedens. Die Geburt Jesu ist ein Ereignis, das die Herzen rührt. Das ewige Wort ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt (vgl. Joh 1,14). Die Liturgie erinnert uns in den nächsten Tagen mehrmals an diese GrundWahrheit unseres Glaubens: »Christus natus est nobis, venite, adoremus.«
2. Die heutige Begegnung des Nachfolgers Petri mit seinen Mitarbeitern der Römischen Kurie findet schon in dieser weihnachtlichen Atmosphäre statt. Verehrte und liebe Brüder, danke für eure Anwesenheit und für die Liebe, mit der ihr meine Person umgebt. Mit zunehmendem Alter wird die Notwendigkeit der Hilfe Gottes und der Hilfe der Mitmenschen immer spürbarer. Danke für den ständigen »Einklang«, in dem ihr zusammen mit mir im Dienst der universalen Kirche arbeitet, jeder in der Erfüllung der ihm anvertrauten Aufgabe.
Ein besonderes Wort des Dankes richte ich an den Kardinaldekan, der die allgemeinen Gefühle zum Ausdruck gebracht und herzliche Wünsche zum Weihnachtsfest und zum Neuen Jahr ausgesprochen hat; ich erwidere diese Wünsche für jeden von euch und für eure Lieben von Herzen.
3. Das göttliche Kind, das wir in der Krippe anbeten, ist der Immanuel, der Gott mit uns, der im Altarsakrament wirklich gegenwärtig ist. Der wunderbare Austausch – »mirabile commercium« –, der zwischen Gott und der Menschheit in Betlehem Wirklichkeit wird, ist im Sakrament der heiligen Eucharistie, das deshalb die Quelle des Lebens und der Heiligkeit der Kirche ist, ständig gegenwärtig gesetzt.
Vor diesem großen Geschenk und Geheimnis fehlen einem die Worte. »Adoro te devote«, wiederholen wir am Fest der Geburt Jesu und erahnen schon im Halbdunkel der Grotte das Drama des Kreuzes und den glänzenden Sieg des Pascha Christi.
4. Die Kirche hat vom menschgewordenen Sohn Gottes, »Lumen gentium« [Licht der Völker], die hohe Sendung empfangen, »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« zu sein (Lumen gentium, 1). Liebe Brüder, wir werden uns immer mehr bewusst, daß die Gemeinschaft mit Gott und die Einheit unter allen Menschen, ausgehend von den Gläubigen, unsere vorrangige Aufgabe ist.
»Ut unum sint!« Ist das nicht das sorgenvolle Gebet, das Christus am Vorabend seines heilbringenden Leidens an den Vater gerichtet hat? Es ist dringend notwendig, die volle Gemeinschaft unter den Christen wiederherzustellen. Die Feier des Jahres der Eucharistie hat unter anderem zum Ziel, diese Sehnsucht nach Einheit noch stärker ins Bewusstsein zu rücken, indem auf die einzige unerschöpfliche Quelle hingewiesen wird: auf Christus selbst. Wir müssen den Weg der Einheit, dem das II. Ökumenische Vatikanische Konzil einen starken Impuls gegeben hat, ohne Zögern fortsetzen. Genau vor vierzig Jahren, am 21. November 1964, wurden die Konstitution Lumen gentium über die Kirche sowie die Dekrete Orientalium Ecclesiarum über die katholischen Ostkirchen und Unitatis redintegratio über den Ökumenismus veröffentlicht.
5. Wir danken Gott, daß die ökumenischen Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen zunehmen dank ständiger Kontakte, Begegnungen und Initiativen mit unseren Brüdern der einzelnen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, den orthodoxen und protestantischen. Besondere Bedeutung haben in dieser Hinsicht die Besuche, die ich in diesem Jahr seitens einiger ihrer herausragenden Vertreter empfangen durfte.
Ich erinnere unter anderem an den Besuch der Ökumenischen Delegation Finnlands und vor allem an die Besuche des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. im Juni anläßlich des Hochfestes der heiligen Apostel Petrus und Paulus und vor knapp einem Monat zur Übergabe des Geschenks der Reliquien der heiligen Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus. Ich hoffe von Herzen, daß auch die Rückkehr der Ikone der Muttergottes von Kazan nach Rußland dazu beiträgt, die Einheit aller Jünger Christi zu beschleunigen.
6. Einheit der Kirche und Einheit des Menschengeschlechts! Oft kann ich diese Sehnsucht nach Einheit von den Gesichtern der Pilger jeden Alters ablesen. Besonders wahrgenommen habe ich sie bei dem Schweizer Jugendtreffen in Bern und bei dem Treffen der Katholischen Aktion Italiens in Loreto. Wer kann diesen Hunger nach Leben in Gemeinschaft stillen, wenn nicht Christus?
Die christlichen Wurzeln Europas nähren Die Verantwortung der Gläubigen ist groß, besonders gegenüber den jungen Generationen, denen das christliche Erbe unverändert weiterzugeben ist. Deshalb habe ich bei mehreren Gelegenheiten, insbesondere auf der Pilgerfahrt nach Lourdes, es nicht versäumt, die europäischen Katholiken zu ermutigen, Christus treu zu bleiben. Denn im Herzen werden die christlichen Wurzeln Europas genährt, von denen zum nicht geringen Teil die solidarische und gerechte Zukunft dieses Kontinents und der ganzen Welt abhängt. Ich möchte hier das wiederholen, was ich in der Botschaft zum nächsten Weltfriedenstag betont habe: Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.
7. »Adoro te devote!« Verehrte und liebe Brüder, während wir die Erwartungen und Hoffnungen der Kirche und der Menschheit erfassen, richten wir wieder den Blick auf das bevorstehende Fest der Geburt Jesu.
Unser Herz schreckt vor den Schwierigkeiten nicht zurück, weil es auf dich, Kind von Betlehem, vertraut, das aus Liebe zu uns kommt. Gib, daß die Menschen dich überall als ihren Erlöser und als den Friedensfürst erkennen und aufnehmen!
Von Herzen erteile ich allen meinen Segen.
Gesegnete Weihnachten!
Anmerkungen
<references />