Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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20. Dieses Dokument, das von der christlichen Sicht des Menschen ausgeht und die Grundsätze berücksichtigt, die in letzter Zeit vom kirchlichen Lehramt hervorgehoben wurden, möchte den Erziehern einige grundlegende Orientierungslinien anbieten über die geschlechtliche Erziehung sowie über Bedingungen und Verhaltensweisen, die in der Praxis zu berücksichtigen sind.
 
20. Dieses Dokument, das von der christlichen Sicht des Menschen ausgeht und die Grundsätze berücksichtigt, die in letzter Zeit vom kirchlichen Lehramt hervorgehoben wurden, möchte den Erziehern einige grundlegende Orientierungslinien anbieten über die geschlechtliche Erziehung sowie über Bedingungen und Verhaltensweisen, die in der Praxis zu berücksichtigen sind.
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==I. EINIGE GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN==
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'''Christliche Erziehung im Glauben gegründet '''
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'''21.''' Alle Erziehung ist von einem ganz bestimmten Menschenbild geprägt. Die christliche Erziehung zielt darauf ab, die umfassende Selbstverwirklichung des Menschen, der leibgebundener Geist ist, durch die Entfaltung seines Seins, seiner Natur- und Geistesgaben, mit denen er von Gott ausgestattet ist, zu fördern. Die christliche Erziehung ist im Glauben gegründet, der «alles mit neuem Licht überstrahlt und die Absichten Gottes mit der ganzheitlichen Berufung des Menschen offenbart».<ref>[[Gaudium et spes]], Nr. 11.</ref>
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===CHRISTLICHE AUFFASSUNG VON DER GESCHLECHTLICHKEIT===
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'''Der Leib offenbart den Sinn des Lebens ...'''
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'''22.''' Die christliche Auffassung vom Menschen erkennt dem Leib eine einzigartige Funktion zu, verhilft er doch dazu, den Sinn des Lebens und der menschlichen Bestimmung offenzulegen. Die Leiblichkeit ist ja jene besondere Weise des Seins wie des Handelns, die dem menschlichen Geist eigentümlich ist. Diese Bedeutung ist zumal anthropologischer Natur: «der Leib erschließt den Menschen»,<ref>[[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 14. November 1979, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, II-2 (1979), S. 1156, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 9. Jg., Nr. 47, 23.11.1979, SS. 1-2).</ref> «er ist Ausdruck der Person»,<ref>[[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18. 1. 1980, SS. 1-2).</ref> und ist darum die ursprünglichste Botschaft Gottes an den Menschen, gleichsam eine Art «Ursakrament, verstanden als ein Zeichen, welches inmitten der sichtbaren Welt das unsichtbare Geheimnis vermittelt, das von Ewigkeit her in Gott verborgen ist».<ref>[[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 430, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2.1980, S. 2).</ref>
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'''... die Liebe Gottes ...'''
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'''23.''' Daneben gibt es eine zweite Bedeutung, die theologaler Natur ist: der Leib trägt dazu bei, Gott und seine Liebe als Schöpfer zu offenbaren, insoweit sie die Geschöpflichkeit des Menschen, seine Abhängigkeit von einem ursprünglichen Geschenk, welches Geschenk der Liebe ist, kundgibt. «Das ist der Leib: Zeugnis der Schöpfung als eines ursprünglichen Geschenks, Zeugnis also der Liebe als eines Quellgrundes, der alles Sich-verschenken aus sich heraus entlässt».<ref>[[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18.1.1980, SS. 1-2).</ref>
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'''... die Berufung zu gegenseitiger Hingabe ...'''

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'''24.''' Der Leib, insoweit geschlechtsbestimmt, drückt die Berufung des Menschen zur Gegenseitigkeit aus, also zur Liebe und zum gegenseitigen Sich-schenken.<ref>«Aus der Tiefe jener ursprünglichen Einsamkeit steigt der Mensch nun auf zur Dimension des gegenseitigen Sich-Schenkens, dessen Ausdruck - und daher auch dessen Ausdruck als Person - der menschliche Leib in der ganzen ursprünglichen Wahrheit seiner Männlichkeit und Weiblichkeit ist. Der Leib, der die Weiblichkeit für die Männlichkeit und umgekehrt die Männlichkeit für die Weiblichkeit zum Ausdruck bringt, bekundet die Gegenseitigkeit und Gemeinschaft der Person. Er bringt sie durch das Sich-Schenken als das grundlegende Merkmal der personalen Existenz zum Ausdruck» Ebd.</ref> 
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'''... und zur Fruchtbarkeit'''
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Schließlich erinnert der Leib Mann und Frau an ihre wesenhafte Berufung zur Fruchtbarkeit als einer der grundlegenden Bedeutungsgehalte ihrer Geschlechtlichkeit.<ref>Vgl. [[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 26. März 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), SS. 737-741 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 14-15, 4.4.1980, S. 2).</ref>
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'''Mann und Frau verschieden zur gegenseitigen Ergänzung'''
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'''25.''' Die Geschlechtsunterscheidung, welche als eine nähere Bestimmung des Menschseins erscheint, bedingt zwar Unterschiedlichkeit, dies aber in gleicher Natur und Würde.<ref>[[Gaudium et spes]], Nr. 49.</ref> Die menschliche Person fordert auf Grund ihrer innersten Natur eine Beziehung zum anderen; das schließt Gegenseitigkeit der Liebe ein.<ref>Ebd., Nr. 12.</ref> Die Geschlechter ergänzen einander. Sie sind einander ähnlich und unähnlich zur gleichen Zeit. Zwar sind sie nicht identisch, wohl aber gleichwertig im Blick auf die Würde der Person; gleichgeartet zu gegenseitigem Verstehen, sind sie doch verschieden zur gegenseitigen Ergänzung.
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'''Sie bilden eine Gemeinschaft der Liebe'''
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'''26.''' Mann und Frau verwirklichen je auf ihre Weise eine bestimmte Teilhabe des menschlichen Geschöpfes am göttlichen Sein: sie sind geschaffen nach «Gottes Gleichnis und Ebenbild» und leben diese Berufung nicht nur als einzelne, sondern als Paar, als Gemeinschaft der Liebe.<ref>[[Gaudium et spes]], wo die soziale Bedeutung von Gen. 1, 27 erläutert wird.</ref> Ausgerichtet auf Vereinigung und Fruchtbarkeit, haben Mann und Frau als Ehepartner an der schöpferischen Liebe Gottes teil; sie haben Lebensgemeinschaft mit Gott durch den anderen.<ref>Ebd., NNr. 47-52</ref>
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'''Die Sünde als Hindernis ehelicher Erfahrung'''
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'''27.''' Die Sünde verdunkelt die ursprüngliche Unschuld, erschwert dem Menschen das Wahrnehmen dieser Botschaft. Deren Aufschlüsselung ist zum sittlichen Auftrag geworden, zum Gegenstand einer hochgradigen Leistung, die dem Menschen anvertraut ist: «Mann und Frau verloren nach der Ursünde die Gnade der ursprünglichen Unschuld. Den bräutlichen Sinngehalt des Leibes wahrzunehmen wurde nicht mehr einfachhin durch Offenbarung und Gnade gewährleistet. Trotzdem blieb dieser Sinngehalt dem Menschen als Auftrag übertragen, und zwar vom sittlichen Anspruch jenes Geschenkes, das im Innersten des menschlichen Herzens eingeschrieben ist, gleichsam als entferntes Echo der ursprünglichen Unschuld».<ref>[[Johannes Paul II.]]: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 429, Nr. 2 (deutsch: L'Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2. 1980, S. I) .</ref>
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In dieser Fähigkeit des Leibes, zugleich Zeichen und Weg sittlicher Berufung zu sein, kann man eine Ähnlichkeit zwischen diesem Leib und der sakramentalen Ordnung entdecken, die ihrerseits der konkrete Weg ist, auf dem Gnade und Heil den Menschen erreichen.
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'''Tendenz zur Abwertung des Geschlechtlichen'''
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'''28.''' Weil der «geschichtliche» Mensch versucht ist, Geschlechtlichkeit auf die sexuelle Erfahrung einzuschränken, gab es verständlicherweise Reaktionen, deren Anliegen es war, die Geschlechtlichkeit abzuwerten, so als ob sie natürlicherweise des Menschen unwürdig sei. Die vorliegenden Orientierungslinien wenden sich bewusst gegen eine derartige Entwertung.
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'''Christus: der vollkommene Mensch'''
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'''29.''' «Nur im Geheimnis des menschgewordenen Wortes wird das Geheimnis des Menschen erhellt»,<ref>[[Gaudium et spes]], Nr. 22.</ref> ergreift die menschliche Existenz in der Berufung zum ewigen Leben ihren vollen Sinngehalt. Nur in der Nachfolge Christi antwortet der Mensch auf diese Berufung und wird so im Vollsein Mensch; er schreitet fort, bis er den vollkommenen Menschen erreicht, nach dem Maß der vollen Reife in Christus.<ref>Vgl. {{B|Eph|4|13}}.</ref>
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'''Im Licht Christi: Ehe ...'''
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'''30.''' Im Licht des Christusgeheimnisses erscheint uns die Geschlechtlichkeit als eine Berufung, jene Liebe zu üben, die der Geist Gottes in den Herzen der Erlösten ausgießt. Jesus Christus hat diese Berufung erhöht durch das Sakrament der Ehe.
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'''... und Jungfräulichkeit'''
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'''31.''' Zudem hat Jesus durch sein Wort und sein Beispiel die Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aufgezeigt.<ref>Vgl. {{B|Mt|19|3-12}}.</ref> Die Jungfräulichkeit ist Berufung zur Liebe sie macht das Herz freier, Gott zu lieben.<ref>Vgl. {{B|1 Kor|7|32-34}}.</ref>  Das jungfräuliche Herz, frei von den Verpflichtungen ehelicher Liebe, kann darum verfügbarer sein für die selbstlose Bruderliebe.
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Die Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen drückt darum angemessener die Hingabe Christi an den Vater um der Brüder willen aus, sie bildet besser die Wirklichkeit des ewigen Lebens ab, welches ganz von Liebe durchdrungen ist.<ref>Ebd., {{B|1 Kor|13|4-8}}; vgl. [[Familiaris consortio]], Nr. 16.</ref>
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Gewiss bedeutet die Jungfräulichkeit Verzicht auf den typischen Erweis ehelicher Liebe, aber dies mit dem Ziel, sich auf die Kraft selbstloser Hingabe an die anderen, welche der Geschlechtlichkeit eingestiftet ist, noch tiefer einzulassen und sich zugleich von der Kraft des Geistes bestärken und umwandeln zu lassen, der die Liebe zum Vater und zu den Brüdern lehrt, wie dies Jesus getan hat.
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'''Werte der Geschlechtlichkeit ...'''
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'''32.''' Zusammenfassend lässt sich sagen : Die Geschlechtlichkeit ist eine Berufung, um eine Vielzahl von Werten auszudrücken, deren spezifische sittliche Forderungen entsprechen. Ausgerichtet auf den zwischenmenschlichen Dialog, verhilft sie zur ganzheitlichen Reifung des Menschen, indem sie ihn offen macht für die liebende Hingabe seiner selbst. Im Rahmen der Schöpfungsordnung an die Fruchtbarkeit und Weitergabe des Lebens gebunden, ist sie dazu gerufen, auch dieser inneren Bestimmung treu zu sein. Liebe und Fruchtbarkeit sind gemeinhin Sinngehalte und Werte der Geschlechtlichkeit, die sich gegenseitig einschließen und einander fordern, die darum nicht getrennt noch in Gegensatz zueinander gebracht werden können.
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'''... in den verschiedenen Berufungen'''
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'''33.''' Das Gefühlsleben, das der jeweiligen geschlechtlichen Bestimmtheit eigen ist, drückt sich auf bezeichnende Weise in den unterschiedlichen Lebensständen aus: in der ehelichen Verbindung, in der gottgeweihten Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen, in der Situation des Christen, der noch vor der Übernahme ehelicher Verpflichtungen steht, der unverheiratet blieb oder diesen Stand gewählt hat. In jedem Fall muss das Gefühlsleben in die Ganzheit der Person integriert werden.
  
 
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Version vom 27. November 2014, 10:24 Uhr

Schreiben
Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe

Kongregation für das katholische Bildungswesen
unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
1. November 1983
Hinweise zur geschlechtlichen Erziehung

(Offizieller lateinischer Text: Enchiridion Vaticanum 9, 420-456)

(Quelle: Deutsche Fassung auf der Vatikanseite; Auch: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 51)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

Verwirklichung der Weisungen des Konzils

1. Die harmonische Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit lässt die Gottebenbildlichkeit des Menschen immer deutlicher aufscheinen. «Die wahre Erziehung erstrebt die Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel».<ref>2. Vat. Konzil: Erklärung über die christliche Erziehung, Gravissimum educationis, Nr. 1.</ref> Im Zusammenhang mit der christlichen Erziehung spricht das 2. Vatikanische Konzil von der Notwendigkeit, die Kinder und Jugendlichen «durch eine positive und kluge Geschlechtserziehung zu unterweisen».<ref>Ebd.</ref>

Die Kongregation für das katholische Bildungswesen hält es für ihre Pflicht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ihren Beitrag für die Verwirklichung der Konzilserklärung zu leisten, wie ihn einige Bischofskonferenzen für ihr Gebiet bereits geleistet haben.


Thema des Dokumentes

2. Dieses Dokument entstand mit Hilfe von Fachleuten in Erziehungsfragen und wurde vielen zur Begutachtung vorgelegt. Sein Ziel ist, die pädagogische Seite der geschlechtlichen Erziehung zu beleuchten und geeignete Hinweise für die ganzheitliche Formung des Christen, je nach seiner Berufung, zu geben.

Überall sind die jeweils zutreffenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre vorausgesetzt, auch wenn sie nicht jedesmal ausdrücklich genannt werden.


Anpassung an die verschiedenen Länder

3. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen ist sich der kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern bewusst. Darum bedürfen diese Hinweise der Anpassung an die pastoralen Erfordernisse der Ortskirche durch die Bischofskonferenzen.


DIE BEDEUTUNG DER GESCHLECHTLICHKEIT

Wichtige Rolle der Geschlechtlichkeit in der Erziehung 

4. Die Geschlechtlichkeit ist eine grundlegende Komponente der Persönlichkeit; sie ist eine ihrer Weisen zu sein, sich kundzutun, in Beziehung zu anderen zu treten, menschliche Liebe zu empfinden, auszudrücken und zu leben. Sie gehört zur Entfaltung der Persönlichkeit und ihrem Reifungsweg in der Erziehung: «Aus dem Geschlecht nämlich ergeben sich die besonderen Merkmale, die die menschliche Person im biologischen, psychologischen und geistigen Bereich als Mann und Frau bestimmen. Diese haben somit einen sehr großen Einfluss auf ihren Reifungsprozeß und ihre Einordnung in die Gesellschaft».<ref>Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung über einige Fragen der Sexualethik, Persona humana, 29. Dezember 1975, AAS 68 (1976), S. 77, Nr. 1.</ref>

Die Geschlechtlichkeit kennzeichnet Mann und Frau nicht nur im Biologischen, sondern auch im Psychologischen und Geistigen und prägt sie in jedem Vollzug ihres Lebens. Diese Verschiedenheit zusammen mit der gegenseitigen Ergänzung der beiden Geschlechter entspricht voll und ganz dem Plan Gottes je nach der Berufung eines jeden.


Geschlechtlichkeit und geschlechtliche Vereiningung

5. Die geschlechtliche Vereinigung, hingeordnet auf die Weitergabe des Lebens, ist auf der Ebene des Leiblichen der höchste Ausdruck der Einheit in der Liebe zwischen den Ehegatten. Herausgerissen aus diesem Zusammenhang gegenseitigen Schenkens, welches für den Christen durch die Gnade Gottes besonders getragen und bereichert ist, verliert diese Vereinigung ihren Sinn, verfällt der Ichsucht des einzelnen und stellt eine sittliche Unordnung dar.<ref>Vgl. Johannes Paul II. Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 22. November 1981, AAS 74. (1982), S. 128, Nr. 37 ; vgl. auch unten Nr. 16.</ref>


Ausrichtung der Geschlechtlichkeit an der Liebe

6. Die Geschlechtlichkeit, welche Ausrichtung, Überhöhung und Ergänzung von der Liebe erfährt, wird zu etwas wahrhaft Menschlichem. Im Rahmen der biologischen und psychologischen Entwicklung kommt sie zu harmonischem Wachstum und erfüllter Verwirklichung nur bei allmählicher Erlangung der affektiven Reife, deren Ausweis selbstlose Liebe und Hingabe ohne jeden Vorbehalt ist.


DIE GEGENWÄRTIGE LAGE

Gefahr der Orientierungslosigkeit 

7. Im Denken über die geschlechtliche Erziehung lassen sich heute, auch unter Christen, beachtliche Unterschiede feststellen. In der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit auf sittlichem Gebiet besteht sowohl die Gefahr eines schädlichen Konformismus wie auch von Vorurteilen, welche das innerste Wesen des Menschen, das aus der Hand des Schöpfers unversehrt hervorging, verkennen.


Notwendigkeit der geschlechtlichen Erziehung 

8. Als Antwort auf diese Lage wird von verschiedenen Seiten eine geeignete geschlechtliche Erziehung befürwortet. Aber wenn man auch theoretisch von deren Notwendigkeit weitgehend überzeugt ist, so bleiben im Praktischen noch beträchtliche Unsicherheiten und Unterschiede sowohl hinsichtlich der Person und Einrichtungen, welche die Verantwortung in der Erziehung übernehmen sollen sowohl hinsichtlich des Inhalts und der Methoden.


Oft nicht vorbereitet 

9. Erzieher und Eltern sehen sich oft nicht hinreichend vorbereitet, eine angemessene geschlechtliche Erziehung zu geben. Die Schule ist häufig nicht in der Lage, eine Gesamtschau des Themas zu bieten; eine bloß naturwissenschaftliche Information bliebe unvollständig.


Besondere Schwierigkeiten in manchen Ländern 

10. Schwierigkeiten bestimmter Art finden sich in Ländern, in denen man sich der Dringlichkeit des Problems noch nicht bewusst ist oder meint, es löse sich von selbst - ohne besondere Erziehung.


Schwierige Aufgabe

11. Ganz allgemein muss man zugeben, dass es sich um eine schwierige Aufgabe handelt, weil die im Erziehungsgeschehen zu berücksichtigenden Faktoren so vielfältig sind (physiologische, psychologische, pädagogische, sozio-kulturelle, juristische, sittliche und religiöse).


Lobenswerte Initiativen 

12. Unter Billigung und Ermutigung der Ortsbischöfe haben katholische Einrichtungen vielerorts eine wertvolle Tätigkeit auf dem Gebiet der geschlechtlichen Erziehung begonnen. Ihr Ziel ist es nicht nur, den Kindern und Jugendlichen auf dem Weg zu psychischer und geistiger Reife zu helfen, sondern auch vor allem, sie auf die Gefahren einer oft orientierungslosen und herabziehenden Umwelt vorzubereiten.


Mit wissenschaftlichem Ernst

13. Lobende Erwähnung verdient auch das Bemühen jener, die sich dem Problem mit wissenschaftlichem Ernst gewidmet haben und, ausgehend von den Humanwissenschaften, die Ergebnisse solcher Untersuchungen in einen Lösungsvorschlag einbrachten, welcher der Würde des Menschen, wie sie im Evangelium aufleuchtet, gerecht wird.


DIE ERKLÄRUNGEN DES LEHRAMTS

Der rechte Gesamtzusammenhang der geschlechtlichen Erziehung

14. In den Erklärungen des Lehramts zur geschlechtlichen Erziehung zeigt sich ein Fortschritt, der sowohl den berechtigten Erfordernissen der Geschichte als der Treue zur Überlieferung entspricht.<ref>Pius XI. erklärte in seiner Enzyklika Divini illius magistri vom 31. Dezember 1929 eine geschlechtliche Erziehung, wie sie zu seiner Zeit gehandhabt wurde, nämlich als frühzeitig und unterschiedslos erteilte naturalistische Information, für verfehlt (AAS 22 (1930) SS. 49-86). 

Aus dieser Sicht muss man das Dekret des Hl. Offiziums vom 21. März 1931 lesen (AAS 23 (1931) SS. 118-119). Doch Pius XI. zog die Möglichkeit einer positiven Geschlechtserziehung des einzelnen «durch diejenigen» in Betracht, «die von Gott den erzieherischen Auftrag und die Gnade des Standes erhalten haben» (AAS 22 (1930) S. 71). 

Dieser positive Wert der Geschlechtserziehung, auf den Pius XI. hingewiesen hatte, wurde von den nachfolgenden Päpsten schrittweise entwickelt. Pius XII. bestimmt in seiner Ansprache an den V. Internationalen Kongreß für klinische Psychotherapie und Psychologie am 13. April 1953 (AAS 45 (1953) SS. 278-286) und in der Rede vor den italienischen Frauen der Katholischen Aktion am 26. Oktober 1941 (AAS 33 (1941) SS. 450-458) sehr klar, wie die geschlechtliche Erziehung im Rahmen der Familie durchgeführt werden solle (vgl. auch Pius XII. an die Karmeliter: (AAS 43 (1951) SS. 734-738) an französische Eltern: (AAS 43 (1951) SS. 730-734). Das Lehramt Pius XII. bereitet den Weg für die Konzilserklärung Gravissimum educationis vor.</ref>

Das 2. Vatikanische Konzil zeigt in der «Erklärung über die christliche Erziehung» den Zusammenhang auf, in den sich die geschlechtliche Erziehung einordnen muss<ref>Vgl. Gravissimum educationis, Nr. 1</ref> und betont das Recht der Jugend auf eine den persönlichen Bedürfnissen entsprechende Erziehung.

Das Konzil erklärt:

«Unter Verwertung der Fortschritte der psychologischen, der pädogogischen und der didaktischen Wissenschaft sollen also die Kinder und Jugendlichen in der harmonischen Entfaltung ihrer körperlichen, sittlichen und geistigen Anlagen so gefördert werden, dass sie allmählich ein tieferes Verantwortungsbewusstsein erwerben für ihr eigenes Leben und seine im Streben zu leistende Entfaltung und für das Wachsen in der wahren Freiheit, in der tapferen und beharrlichen Überwindung der widerstreitenden Kräfte. Nach den jeweiligen Altersstufen sollen sie durch eine positive und kluge Geschlechtserziehung unterwiesen werden».<ref>Ebd.</ref>


Die Familie: erste Stätte der Erziehung ... 

15. Die Pastoralkonstitution «Gaudium et spes» spricht von der Würde der Ehe und der Familie und bezeichnet die letztere als die vorzügliche Stätte der Erziehung der Jugendlichen zur Keuschheit.<ref>Vgl. 2. Vat. Konzil: Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, Nr. 49.</ref> Da diese aber ein Teil der Gesamterziehung ist, fordert sie die Zusammenarbeit der Erzieher mit den Eltern in der Erfüllung ihrer Sendung.<ref>Vgl. Gravissimum educationis, Nr. 5.</ref> Diese Erziehung muss den Kindern und Jugendlichen in der Familie<ref>Ebd., Nr. 3; vgl. Gaudium et spes, Nr. 52. </ref> stufenweise und immer im Blick auf die Gesamtformung der Person zuteil werden.


... und der Erschließung wesentlicher Werte

16. Im Apostolischen Schreiben über die Sendung der christlichen Familie in der heutigen Welt spricht Papst Johannes Paul II. der geschlechtlichen Erziehung eine bedeutende Rolle zu, weil es da um einen Wert der Person geht. «Die Erziehung zur Liebe als Hingabe seiner selbst ist auch die unerlässliche Voraussetzung für die Eltern in ihrer Aufgabe, den Kindern eine klare und taktvolle Geschlechtserziehung zu vermitteln. Angesichts einer Kultur, die in weiten Kreisen die menschliche Geschlechtlichkeit «banalisiert», weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt, muss der erzieherische Dienst der Eltern entschieden auf eine Kultur der Geschlechtlichkeit hinzielen, die wahrhaft und voll menschlich ist; die Geschlechtlichkeit ist ja ein Reichtum der ganzen Person - Leib, Gemüt und Seele - und zeigt ihre tiefste Bedeutung darin, dass sie die Person zur Hingabe ihrer selbst in der Liebe führt».<ref>Familiaris consortio, Nr. 37.</ref>


Unterstützung durch die Schule 

17. Gleich anschließend spricht der Papst von der Verantwortung der Schule für diese Erziehung, die den Eltern dienen und mit ihnen abgestimmt sein muss. «Die Geschlechtserziehung, Grundrecht und -pflicht der Eltern, muss immer unter ihrer sorgsamen Leitung erfolgen, sei es zu Hause, sei es in den von ihnen für die Kinder gewählten Bildungsstätten, deren Kontrolle ihnen zusteht. In diesem Sinn betont die Kirche das Prinzip der Subsidiarität, das die Schule beobachten muss, wenn sie sich an der Geschlechtserziehung beteiligt; sie hat sich dabei vom gleichen Geist leiten zu lassen wie die Eltern».<ref>Familiaris consortio, Nr. 37. </ref>


Erziehung zur Keuschheit

18. Damit der Wert der Geschlechtlichkeit zu seiner vollen Verwirklichung kommt, «ist die Erziehung zur Keuschheit völlig unverzichtbar», welche die Person «befähigt, die bräutliche Bedeutung des Leibes zu achten und zu entfalten».<ref>Ebd.</ref> Sie besteht in der Herrschaft über sich selbst, in der Fähigkeit, den Geschlechtstrieb auf den Dienst der Liebe hinzulenken und ihn in die Entfaltung der Person einzufügen. Die Keuschheit, eine Frucht der Gnade Gottes und unserer Mitwirkung, ist darauf ausgerichtet, die verschiedenen Bereiche der Person harmonisch zu verbinden und die Schwäche der von der Sünde gezeichneten menschlichen Natur zu überwinden, so dass jeder der ihm eigenen göttlichen Berufung zu folgen vermag.

Im Bemühen um eine gute Erziehung zur Keuschheit werden «die christlichen Eltern ... - sollten sie die Zeichen einer göttlichen Berufung erkennen - der Erziehung zur Jungfräulichkeit eine besondere Aufmerksamkeit und Sorge widmen und in ihr die höchste Form jener Selbsthingabe sehen, welche den Sinn der menschlichen Geschlechtlichkeit bildet».<ref>Ebd.</ref>


Notwendiger Bezug zur sittlichen Norm

19. In den Lehräußerungen von Papst Johannes Paul II. hat die positive Betrachtung von Werten, die es zu entdecken und zu schätzen gilt, Vorrang vor einer Norm, die nicht verletzt werden darf. Dennoch deutet und formuliert die Norm die Werte, welche der Mensch erstreben muss.

«Auf Grund der engen Verbindungen zwischen der geschlechtlichen Dimension der Person und ihren ethischen Werten», so fährt der Papst fort, «muss die Erziehung die Kinder dazu führen, die sittlichen Normen als notwendige und wertvolle Garantie für ein verantwortliches persönliches Wachsen in der menschlichen Geschlechtlichkeit zu erkennen und zu schätzen. Deshalb wendet sich die Kirche entschieden gegen eine gewisse, vielfach verbreitete Art sexueller Information; losgelöst von sittlichen Grundsätzen, ist sie nichts anderes als eine Einführung in die Erfahrung des Vergnügens und ein Anreiz, der den Kindern - schon in den Jahren der Unschuld - ihre Unbefangenheit nimmt und den Weg des Lasters öffnet».<ref>Familiaris consortio, Nr. 37.</ref>


Adressaten des Dokumentes: die Erzieher

20. Dieses Dokument, das von der christlichen Sicht des Menschen ausgeht und die Grundsätze berücksichtigt, die in letzter Zeit vom kirchlichen Lehramt hervorgehoben wurden, möchte den Erziehern einige grundlegende Orientierungslinien anbieten über die geschlechtliche Erziehung sowie über Bedingungen und Verhaltensweisen, die in der Praxis zu berücksichtigen sind.


I. EINIGE GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN

Christliche Erziehung im Glauben gegründet 

21. Alle Erziehung ist von einem ganz bestimmten Menschenbild geprägt. Die christliche Erziehung zielt darauf ab, die umfassende Selbstverwirklichung des Menschen, der leibgebundener Geist ist, durch die Entfaltung seines Seins, seiner Natur- und Geistesgaben, mit denen er von Gott ausgestattet ist, zu fördern. Die christliche Erziehung ist im Glauben gegründet, der «alles mit neuem Licht überstrahlt und die Absichten Gottes mit der ganzheitlichen Berufung des Menschen offenbart».<ref>Gaudium et spes, Nr. 11.</ref>


CHRISTLICHE AUFFASSUNG VON DER GESCHLECHTLICHKEIT

Der Leib offenbart den Sinn des Lebens ...

22. Die christliche Auffassung vom Menschen erkennt dem Leib eine einzigartige Funktion zu, verhilft er doch dazu, den Sinn des Lebens und der menschlichen Bestimmung offenzulegen. Die Leiblichkeit ist ja jene besondere Weise des Seins wie des Handelns, die dem menschlichen Geist eigentümlich ist. Diese Bedeutung ist zumal anthropologischer Natur: «der Leib erschließt den Menschen»,<ref>Johannes Paul II.: Generalaudienz am 14. November 1979, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, II-2 (1979), S. 1156, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 9. Jg., Nr. 47, 23.11.1979, SS. 1-2).</ref> «er ist Ausdruck der Person»,<ref>Johannes Paul II.: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18. 1. 1980, SS. 1-2).</ref> und ist darum die ursprünglichste Botschaft Gottes an den Menschen, gleichsam eine Art «Ursakrament, verstanden als ein Zeichen, welches inmitten der sichtbaren Welt das unsichtbare Geheimnis vermittelt, das von Ewigkeit her in Gott verborgen ist».<ref>Johannes Paul II.: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 430, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2.1980, S. 2).</ref>


... die Liebe Gottes ...

23. Daneben gibt es eine zweite Bedeutung, die theologaler Natur ist: der Leib trägt dazu bei, Gott und seine Liebe als Schöpfer zu offenbaren, insoweit sie die Geschöpflichkeit des Menschen, seine Abhängigkeit von einem ursprünglichen Geschenk, welches Geschenk der Liebe ist, kundgibt. «Das ist der Leib: Zeugnis der Schöpfung als eines ursprünglichen Geschenks, Zeugnis also der Liebe als eines Quellgrundes, der alles Sich-verschenken aus sich heraus entlässt».<ref>Johannes Paul II.: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18.1.1980, SS. 1-2).</ref>


... die Berufung zu gegenseitiger Hingabe ...24. Der Leib, insoweit geschlechtsbestimmt, drückt die Berufung des Menschen zur Gegenseitigkeit aus, also zur Liebe und zum gegenseitigen Sich-schenken.<ref>«Aus der Tiefe jener ursprünglichen Einsamkeit steigt der Mensch nun auf zur Dimension des gegenseitigen Sich-Schenkens, dessen Ausdruck - und daher auch dessen Ausdruck als Person - der menschliche Leib in der ganzen ursprünglichen Wahrheit seiner Männlichkeit und Weiblichkeit ist. Der Leib, der die Weiblichkeit für die Männlichkeit und umgekehrt die Männlichkeit für die Weiblichkeit zum Ausdruck bringt, bekundet die Gegenseitigkeit und Gemeinschaft der Person. Er bringt sie durch das Sich-Schenken als das grundlegende Merkmal der personalen Existenz zum Ausdruck» Ebd.</ref>


... und zur Fruchtbarkeit

Schließlich erinnert der Leib Mann und Frau an ihre wesenhafte Berufung zur Fruchtbarkeit als einer der grundlegenden Bedeutungsgehalte ihrer Geschlechtlichkeit.<ref>Vgl. Johannes Paul II.: Generalaudienz am 26. März 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), SS. 737-741 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 14-15, 4.4.1980, S. 2).</ref>


Mann und Frau verschieden zur gegenseitigen Ergänzung

25. Die Geschlechtsunterscheidung, welche als eine nähere Bestimmung des Menschseins erscheint, bedingt zwar Unterschiedlichkeit, dies aber in gleicher Natur und Würde.<ref>Gaudium et spes, Nr. 49.</ref> Die menschliche Person fordert auf Grund ihrer innersten Natur eine Beziehung zum anderen; das schließt Gegenseitigkeit der Liebe ein.<ref>Ebd., Nr. 12.</ref> Die Geschlechter ergänzen einander. Sie sind einander ähnlich und unähnlich zur gleichen Zeit. Zwar sind sie nicht identisch, wohl aber gleichwertig im Blick auf die Würde der Person; gleichgeartet zu gegenseitigem Verstehen, sind sie doch verschieden zur gegenseitigen Ergänzung.


Sie bilden eine Gemeinschaft der Liebe

26. Mann und Frau verwirklichen je auf ihre Weise eine bestimmte Teilhabe des menschlichen Geschöpfes am göttlichen Sein: sie sind geschaffen nach «Gottes Gleichnis und Ebenbild» und leben diese Berufung nicht nur als einzelne, sondern als Paar, als Gemeinschaft der Liebe.<ref>Gaudium et spes, wo die soziale Bedeutung von Gen. 1, 27 erläutert wird.</ref> Ausgerichtet auf Vereinigung und Fruchtbarkeit, haben Mann und Frau als Ehepartner an der schöpferischen Liebe Gottes teil; sie haben Lebensgemeinschaft mit Gott durch den anderen.<ref>Ebd., NNr. 47-52</ref>


Die Sünde als Hindernis ehelicher Erfahrung

27. Die Sünde verdunkelt die ursprüngliche Unschuld, erschwert dem Menschen das Wahrnehmen dieser Botschaft. Deren Aufschlüsselung ist zum sittlichen Auftrag geworden, zum Gegenstand einer hochgradigen Leistung, die dem Menschen anvertraut ist: «Mann und Frau verloren nach der Ursünde die Gnade der ursprünglichen Unschuld. Den bräutlichen Sinngehalt des Leibes wahrzunehmen wurde nicht mehr einfachhin durch Offenbarung und Gnade gewährleistet. Trotzdem blieb dieser Sinngehalt dem Menschen als Auftrag übertragen, und zwar vom sittlichen Anspruch jenes Geschenkes, das im Innersten des menschlichen Herzens eingeschrieben ist, gleichsam als entferntes Echo der ursprünglichen Unschuld».<ref>Johannes Paul II.: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 429, Nr. 2 (deutsch: L'Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2. 1980, S. I) .</ref>

In dieser Fähigkeit des Leibes, zugleich Zeichen und Weg sittlicher Berufung zu sein, kann man eine Ähnlichkeit zwischen diesem Leib und der sakramentalen Ordnung entdecken, die ihrerseits der konkrete Weg ist, auf dem Gnade und Heil den Menschen erreichen.


Tendenz zur Abwertung des Geschlechtlichen

28. Weil der «geschichtliche» Mensch versucht ist, Geschlechtlichkeit auf die sexuelle Erfahrung einzuschränken, gab es verständlicherweise Reaktionen, deren Anliegen es war, die Geschlechtlichkeit abzuwerten, so als ob sie natürlicherweise des Menschen unwürdig sei. Die vorliegenden Orientierungslinien wenden sich bewusst gegen eine derartige Entwertung.


Christus: der vollkommene Mensch

29. «Nur im Geheimnis des menschgewordenen Wortes wird das Geheimnis des Menschen erhellt»,<ref>Gaudium et spes, Nr. 22.</ref> ergreift die menschliche Existenz in der Berufung zum ewigen Leben ihren vollen Sinngehalt. Nur in der Nachfolge Christi antwortet der Mensch auf diese Berufung und wird so im Vollsein Mensch; er schreitet fort, bis er den vollkommenen Menschen erreicht, nach dem Maß der vollen Reife in Christus.<ref>Vgl. {{#ifeq: Brief des Apostels Paulus an die Epheser | Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe (Wortlaut) |{{#if: Eph|Eph|Brief des Apostels Paulus an die Epheser}}|{{#if: Eph |Eph|Brief des Apostels Paulus an die Epheser}}}} 4{{#if:13|,13}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}.</ref>


Im Licht Christi: Ehe ...

30. Im Licht des Christusgeheimnisses erscheint uns die Geschlechtlichkeit als eine Berufung, jene Liebe zu üben, die der Geist Gottes in den Herzen der Erlösten ausgießt. Jesus Christus hat diese Berufung erhöht durch das Sakrament der Ehe.


... und Jungfräulichkeit

31. Zudem hat Jesus durch sein Wort und sein Beispiel die Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aufgezeigt.<ref>Vgl. {{#ifeq: Evangelium nach Matthäus | Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe (Wortlaut) |{{#if: Mt|Mt|Evangelium nach Matthäus}}|{{#if: Mt |Mt|Evangelium nach Matthäus}}}} 19{{#if:3-12|,3-12}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}.</ref> Die Jungfräulichkeit ist Berufung zur Liebe sie macht das Herz freier, Gott zu lieben.<ref>Vgl. {{#ifeq: 1. Brief des Paulus an die Korinther | Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe (Wortlaut) |{{#if: 1 Kor|1 Kor|1. Brief des Paulus an die Korinther}}|{{#if: 1 Kor |1 Kor|1. Brief des Paulus an die Korinther}}}} 7{{#if:32-34|,32-34}} Kor%207{{#if:32-34|,32-34}}/anzeige/context/#iv EU | BHS =bibelwissenschaft.de">Kor%207{{#if:32-34|,32-34}}/anzeige/context/#iv EU | #default =bibleserver.com">EU }}.</ref> Das jungfräuliche Herz, frei von den Verpflichtungen ehelicher Liebe, kann darum verfügbarer sein für die selbstlose Bruderliebe. Die Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen drückt darum angemessener die Hingabe Christi an den Vater um der Brüder willen aus, sie bildet besser die Wirklichkeit des ewigen Lebens ab, welches ganz von Liebe durchdrungen ist.<ref>Ebd., {{#ifeq: 1. Brief des Paulus an die Korinther | Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Liebe (Wortlaut) |{{#if: 1 Kor|1 Kor|1. Brief des Paulus an die Korinther}}|{{#if: 1 Kor |1 Kor|1. Brief des Paulus an die Korinther}}}} 13{{#if:4-8|,4-8}} Kor%2013{{#if:4-8|,4-8}}/anzeige/context/#iv EU | BHS =bibelwissenschaft.de">Kor%2013{{#if:4-8|,4-8}}/anzeige/context/#iv EU | #default =bibleserver.com">EU }}; vgl. Familiaris consortio, Nr. 16.</ref>

Gewiss bedeutet die Jungfräulichkeit Verzicht auf den typischen Erweis ehelicher Liebe, aber dies mit dem Ziel, sich auf die Kraft selbstloser Hingabe an die anderen, welche der Geschlechtlichkeit eingestiftet ist, noch tiefer einzulassen und sich zugleich von der Kraft des Geistes bestärken und umwandeln zu lassen, der die Liebe zum Vater und zu den Brüdern lehrt, wie dies Jesus getan hat.


Werte der Geschlechtlichkeit ...

32. Zusammenfassend lässt sich sagen : Die Geschlechtlichkeit ist eine Berufung, um eine Vielzahl von Werten auszudrücken, deren spezifische sittliche Forderungen entsprechen. Ausgerichtet auf den zwischenmenschlichen Dialog, verhilft sie zur ganzheitlichen Reifung des Menschen, indem sie ihn offen macht für die liebende Hingabe seiner selbst. Im Rahmen der Schöpfungsordnung an die Fruchtbarkeit und Weitergabe des Lebens gebunden, ist sie dazu gerufen, auch dieser inneren Bestimmung treu zu sein. Liebe und Fruchtbarkeit sind gemeinhin Sinngehalte und Werte der Geschlechtlichkeit, die sich gegenseitig einschließen und einander fordern, die darum nicht getrennt noch in Gegensatz zueinander gebracht werden können.


... in den verschiedenen Berufungen

33. Das Gefühlsleben, das der jeweiligen geschlechtlichen Bestimmtheit eigen ist, drückt sich auf bezeichnende Weise in den unterschiedlichen Lebensständen aus: in der ehelichen Verbindung, in der gottgeweihten Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen, in der Situation des Christen, der noch vor der Übernahme ehelicher Verpflichtungen steht, der unverheiratet blieb oder diesen Stand gewählt hat. In jedem Fall muss das Gefühlsleben in die Ganzheit der Person integriert werden.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />