Textkritik: Unterschied zwischen den Versionen
Oswald (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „Unter '''Textkritik''' versteht man die Befreiung eines Textes von Fehlern, die sich in langer Überlieferung in Schriftwerke eingeschlichen haben. Der Text…“) |
Oswald (Diskussion | Beiträge) (link) |
||
(13 dazwischenliegende Versionen von 2 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
− | + | Die '''[[biblisch]]e Textkritik''' ist eine Methode wissenschaftlicher [[Exegese|Bibelexegese]], deren Ziel es ist, einen Bibeltext zu rekonstruieren, der der Urschrift des biblischen Textes möglichst nahe kommt. | |
− | + | == Zielsetzung und Arbeitsweise == | |
+ | Textkritik ist deshalb besonders wichtig, weil sowohl vom Alten als auch vom Neuen Testament keine "Autographen", also "Urschriften" der Quellen und Verfasser, überliefert sind, sondern aus der frühesten Zeit [[Papyrus]]-Fragmente und Abschriften in Form von Handschriften erhalten sind, die meist nur (kleinere oder größere) Teile der biblischen Schriften enthalten. Bei der Herstellung neuer Handschriften ist mit Lese-, Schreib- und Hörfehlern zu rechnen.<ref>Josef Schreiner, Ein Beispiel biblischer Textkritik. In: Josef Schreiner (Hrsg.), Einführung in die Methoden der biblischen Exegese, [[Echter Verlag]], [[Tyrolia Verlag]], Würzburg 1971, [[Imprimatur]]: Würzburg, 13.1.1971, ISBN 3-429-00178-1, S. 84-96, hier S. 85-89.</ref> | ||
− | + | Zur Rekonstruktion eines Urtextes werden die vorliegenden Zeugnisse handschriftlicher Überlieferungen untereinander sowie mit Übersetzungen und zeitgenössischen Zitaten biblischer Texte, etwa in den Schriften der [[Kirchenvater|Kirchenväter]], verglichen. Nach bestimmten philologischen Regeln, nach inneren und äußeren Kriterien wird dann versucht, auf die älteste Fassung des Textes zurückzuschließen, um spätere "sekundäre" Zusätze zu identifizieren und als mögliche Verfälschungen des Urtextes auszuschließen. "Das wichtigste innere Kriterium ergibt sich aus der Tendenz handschriftlicher Überlieferungen, den Text verständlicher und eingängiger wiederzugeben." Daher ist die "schwierigere" Lesart als die ursprünglichere vorzuziehen.<ref>[[Lexikon für Theologie und Kirche]], 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372 (Klaus Wachtel, Art. "Textkritik. 2. Neues Testament").</ref> "Als älteste Variante gilt jene, die die Entstehung der anderen am besten zu erklären vermag."<ref>[[Lexikon für Theologie und Kirche]], 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372 (Hermann-Josef Stier, Art. "Textkritik. 1. Altes Testament").</ref> | |
+ | |||
+ | Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Textkritik werden in "kritischen Ausgaben" veröffentlicht, aus der die wichtigsten Lesarten zu den einzelnen Bibelversen im "Apparat" ersichtlich sind. Für das Neue Testament ist die Standardausgabe das ''Novum Testamentum Graece'', herausgegeben erstmals 1898 von Kurt Nestle, heute von Eberhard Nestle und Barbara Aland ("Nestle-Aland") in inzwischen 28. Auflage, führend in der neutestamentlichen Textforschung ist das "Institut für neutestamentliche Textforschung" an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Münster. | ||
+ | |||
+ | == Geschichte der Textkritik == | ||
+ | Die Textkritik wurde gegen innerkirchliche Widerstände, gegen die der Vatikan 1941 mit seiner Verfügung [[Consta alla Pontifìcia Commissione]] und dann mit der päpstlichen Enzyklika "[[Divino afflante Spiritu]] vom 30. September 1943 eindeutig einschritt<ref>vgl. [[Divino afflante Spiritu]], [[Divino afflante Spiritu (Wortlaut)#Wichtigkeit der Textkritik|Nr. 17-19]].</ref>, für katholische Exegeten ermöglicht und ausdrücklich erwünscht. Kernpunkt in diesen Auseinandersetzungen war der Stellenwert der lateinischen Bibelübersetzung "[[Vulgata]]", die das [[Konzil von Trient]] für "authentisch" ("zuverlässig") erklärt hatte ("''pro authentica habeatur''", D 1506). Seit [[Divino afflante Spiritu]] dürfen und müssen katholische [[Exeget]]en auf den [[Hebräisch|hebräischen]] und [[Griechisch|griechischen]] Urtext zurückgehen, die vom [[Konzil von Trient|Tridentinum]] erklärte "Authentizität" der [[Vulgata]] bleibt für "den offiziellen Gebrauch der Heiligen Schrift" (DaS Nr. 21), den Bereich der Liturgie und Predigt, der öffentlichen Lehre und der Katechese ("in publicis lectionibus, disputationibus, praedicationibus et expositionibus", D 1506) bestehen. | ||
+ | |||
+ | Papst Pius XII. machte sich in der Enzyklika "Divino afflante Spiritu" die Erkenntnis zu eigen, dass "in unseren Tagen [...] nicht nur das Griechische, das seit der Zeit der [[Humanismus|humanistischen]] Renaissance zu neuem Leben erstanden ist, fast allen Kennern des Altertums und der Literatur vertraut [ist], sondern auch die Kenntnis des Hebräischen und anderer orientalischer Sprachen ist unter den Gelehrten weit verbreitet." Somit könne "der Bibelerklärer dem Vorwurf der Leichtfertigkeit und Fahrlässigkeit nicht entgehen [...], wenn er sich durch Vernachlässigung des Sprachenstudiums den Weg zu den Urtexten verschlösse." (Nr. 15) Er würdigt damit die Erkenntnisse der zeitgenössischen [[Philologie]] und die Arbeit der vor allem [[Protestantismus|protestantischen]] Exegeten, die im 19. Jahrhundert die Methoden zur Erarbeitung eines möglichst ursprünglichen Textes der biblischen Bücher entwickelt hatten. | ||
==Päpstliche Schreiben== | ==Päpstliche Schreiben== | ||
Zeile 12: | Zeile 20: | ||
'''[[Paul VI.]]''' | '''[[Paul VI.]]''' | ||
* 21. April 1964 [[Päpstliche Bibelkommission]]: Instruktion [[Sancta mater ecclesia]] über die historische Wahrheit der Evangelien. | * 21. April 1964 [[Päpstliche Bibelkommission]]: Instruktion [[Sancta mater ecclesia]] über die historische Wahrheit der Evangelien. | ||
+ | |||
+ | == Textkritische Ausgaben == | ||
+ | * Novum Testamentum Graece. Hrsg. v. Barbara Aland, Eberhard Nestle u.a., 28. Aufl., [[Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart]] 2012, ISBN 978-3-438-05160-8. | ||
+ | * Biblia Sacra utriusque Testamenti. Editio Hebraica et Graeca, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1998 (27. revidierte Auflage − 5. korrigierter Druck). | ||
+ | |||
+ | == Literatur == | ||
+ | * Hermann Josef Stipp, Art. "Textkritik. 1. Altes Testament" in: [[Lexikon für Theologie und Kirche]], 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372. | ||
+ | * Klaus Wachtel, Art. "Textkritik. 2. Neues Testament" in: [[Lexikon für Theologie und Kirche]], 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372. | ||
+ | * Kurt Aland, Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik. 1982. Stuttgart 2. Aufl. 1989, ISBN 3-438-06011-6. | ||
== Anmerkungen == | == Anmerkungen == |
Aktuelle Version vom 10. Februar 2022, 19:02 Uhr
Die biblische Textkritik ist eine Methode wissenschaftlicher Bibelexegese, deren Ziel es ist, einen Bibeltext zu rekonstruieren, der der Urschrift des biblischen Textes möglichst nahe kommt.
Inhaltsverzeichnis
Zielsetzung und Arbeitsweise
Textkritik ist deshalb besonders wichtig, weil sowohl vom Alten als auch vom Neuen Testament keine "Autographen", also "Urschriften" der Quellen und Verfasser, überliefert sind, sondern aus der frühesten Zeit Papyrus-Fragmente und Abschriften in Form von Handschriften erhalten sind, die meist nur (kleinere oder größere) Teile der biblischen Schriften enthalten. Bei der Herstellung neuer Handschriften ist mit Lese-, Schreib- und Hörfehlern zu rechnen.<ref>Josef Schreiner, Ein Beispiel biblischer Textkritik. In: Josef Schreiner (Hrsg.), Einführung in die Methoden der biblischen Exegese, Echter Verlag, Tyrolia Verlag, Würzburg 1971, Imprimatur: Würzburg, 13.1.1971, ISBN 3-429-00178-1, S. 84-96, hier S. 85-89.</ref>
Zur Rekonstruktion eines Urtextes werden die vorliegenden Zeugnisse handschriftlicher Überlieferungen untereinander sowie mit Übersetzungen und zeitgenössischen Zitaten biblischer Texte, etwa in den Schriften der Kirchenväter, verglichen. Nach bestimmten philologischen Regeln, nach inneren und äußeren Kriterien wird dann versucht, auf die älteste Fassung des Textes zurückzuschließen, um spätere "sekundäre" Zusätze zu identifizieren und als mögliche Verfälschungen des Urtextes auszuschließen. "Das wichtigste innere Kriterium ergibt sich aus der Tendenz handschriftlicher Überlieferungen, den Text verständlicher und eingängiger wiederzugeben." Daher ist die "schwierigere" Lesart als die ursprünglichere vorzuziehen.<ref>Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372 (Klaus Wachtel, Art. "Textkritik. 2. Neues Testament").</ref> "Als älteste Variante gilt jene, die die Entstehung der anderen am besten zu erklären vermag."<ref>Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372 (Hermann-Josef Stier, Art. "Textkritik. 1. Altes Testament").</ref>
Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Textkritik werden in "kritischen Ausgaben" veröffentlicht, aus der die wichtigsten Lesarten zu den einzelnen Bibelversen im "Apparat" ersichtlich sind. Für das Neue Testament ist die Standardausgabe das Novum Testamentum Graece, herausgegeben erstmals 1898 von Kurt Nestle, heute von Eberhard Nestle und Barbara Aland ("Nestle-Aland") in inzwischen 28. Auflage, führend in der neutestamentlichen Textforschung ist das "Institut für neutestamentliche Textforschung" an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Münster.
Geschichte der Textkritik
Die Textkritik wurde gegen innerkirchliche Widerstände, gegen die der Vatikan 1941 mit seiner Verfügung Consta alla Pontifìcia Commissione und dann mit der päpstlichen Enzyklika "Divino afflante Spiritu vom 30. September 1943 eindeutig einschritt<ref>vgl. Divino afflante Spiritu, Nr. 17-19.</ref>, für katholische Exegeten ermöglicht und ausdrücklich erwünscht. Kernpunkt in diesen Auseinandersetzungen war der Stellenwert der lateinischen Bibelübersetzung "Vulgata", die das Konzil von Trient für "authentisch" ("zuverlässig") erklärt hatte ("pro authentica habeatur", D 1506). Seit Divino afflante Spiritu dürfen und müssen katholische Exegeten auf den hebräischen und griechischen Urtext zurückgehen, die vom Tridentinum erklärte "Authentizität" der Vulgata bleibt für "den offiziellen Gebrauch der Heiligen Schrift" (DaS Nr. 21), den Bereich der Liturgie und Predigt, der öffentlichen Lehre und der Katechese ("in publicis lectionibus, disputationibus, praedicationibus et expositionibus", D 1506) bestehen.
Papst Pius XII. machte sich in der Enzyklika "Divino afflante Spiritu" die Erkenntnis zu eigen, dass "in unseren Tagen [...] nicht nur das Griechische, das seit der Zeit der humanistischen Renaissance zu neuem Leben erstanden ist, fast allen Kennern des Altertums und der Literatur vertraut [ist], sondern auch die Kenntnis des Hebräischen und anderer orientalischer Sprachen ist unter den Gelehrten weit verbreitet." Somit könne "der Bibelerklärer dem Vorwurf der Leichtfertigkeit und Fahrlässigkeit nicht entgehen [...], wenn er sich durch Vernachlässigung des Sprachenstudiums den Weg zu den Urtexten verschlösse." (Nr. 15) Er würdigt damit die Erkenntnisse der zeitgenössischen Philologie und die Arbeit der vor allem protestantischen Exegeten, die im 19. Jahrhundert die Methoden zur Erarbeitung eines möglichst ursprünglichen Textes der biblischen Bücher entwickelt hatten.
Päpstliche Schreiben
- 20. August 1941 Päpstliche Bibelkommission: Schreiben Consta alla Pontifìcia Commissione, Der literale und der geistliche Sinn der Heiligen Schrift und über die Autorität der Vulgata, Über die Textkritik.
- 30. September 1943 Enzyklika Divino afflante Spiritu zur Feier des 50. Jahrestages von Providentissimus deus über die zeitgemäße Förderung der biblischen Studien, Nr. 17-19.
- 21. April 1964 Päpstliche Bibelkommission: Instruktion Sancta mater ecclesia über die historische Wahrheit der Evangelien.
Textkritische Ausgaben
- Novum Testamentum Graece. Hrsg. v. Barbara Aland, Eberhard Nestle u.a., 28. Aufl., Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 2012, ISBN 978-3-438-05160-8.
- Biblia Sacra utriusque Testamenti. Editio Hebraica et Graeca, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1998 (27. revidierte Auflage − 5. korrigierter Druck).
Literatur
- Hermann Josef Stipp, Art. "Textkritik. 1. Altes Testament" in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372.
- Klaus Wachtel, Art. "Textkritik. 2. Neues Testament" in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 9 Sp. 1372.
- Kurt Aland, Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik. 1982. Stuttgart 2. Aufl. 1989, ISBN 3-438-06011-6.
Anmerkungen
<references />