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==Stimmen zu Marcel Lefebvre== | ==Stimmen zu Marcel Lefebvre== |
Version vom 10. Februar 2009, 10:26 Uhr
Marcel Lefèbvre CSSp (* 29. November 1905 in Tourcoing, Frankreich; † 25. März 1991 in Martigny, Schweiz) war ein Außenseiter-Bischof der katholischen Kirche (Ebf. em. von Dakar, Tit. Ebf. em., Tit. Ebf. em., Ebf. bzw. Bf. em. von Tulle, Tit. Bf. em.), und em. Generaloberer, der 1976 suspendiert und 1988 von Papst Johannes Paul II. als exkommunziert erklärt wurde (vgl. DH 4820-23).
Inhaltsverzeichnis
Biographie
Marcel Lefebvre wurde am 29. November 1905 in Tourcoing, Frankreich geboren. Er studierte u.a. in Rom, trat 1931 dem Orden der Spiritaner bei nachdem er 1929 in Lille zum Priester geweiht worden war (1947 zum Bischof). Er wandte sich nach der Afrikamission zu, weshalb er in innerfranzösische Konflikte nicht verwickelt war. Als erfolgreicher Leiter des Priesterseminars in Gabun rückte er in der Nachkriegszeit in den Episkopat auf und versah diverse Dienste, bis zur Errichtung des Erzbistums Dakar (Senegal). Am 14. September 1955 wurde Marcel Lefebvre durch Papst Pius XII. zum ersten Erzbischof von Dakar ernannt. Als Gegner der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen war er nach verdienstreichen Jahren in Afrika nicht mehr tragbar. Daher ernannte ihn Papst Johannes XXIII. Anfang 1962 zum Erzbischof-Bischof von Tulle in Frankreich. Dieses Amt übte er nur bis Juli 1962 aus, da er zum Generaloberen der Spiritaner gewählt wurde. Als solcher nahm er am II. Vatikanum teil. Der sechsfach emeritierte Lefebvre vereinigte im Laufe seines unruhigen Lebens, wenn auch nicht kumulativ, insgesamt 3 Bischofstitel (zuletzt "Emeritus" von Tulle separat mitgezählt) und 3 Erzbischofstitel auf seine Person.
Auf dem Weg in den Integralismus
Er verfasste mehrere kritische Stellungnahmen, befürwortete jedoch die Liturgiekonstitution des Konzils und stimmte auch fast allen, vielleicht sogar allen übrigen Dokumenten zu. Wegen nachkonziliarer (!) Konflikte in seinem Orden trat er am 29. Oktober 1968 vom Amt des Generaloberen zurück. In der konfliktreichen Stimmung der 1968-er Jahre fand er alsbald Zuspruch für seine reformfeindliche Haltung. Bald danach wurde er Gründer und Generaloberer der 1970 gegründeten „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ (siehe: Piusbruderschaft), die zunächst vor allem als Trägerin eines Priesterseminars tridentinischer Prägung in Ecône (Schweiz) wirkte.
Bekannt wurde Lefebvre jetzt durch seine massive Ablehnung der Liturgiereform. In seiner Grundsatzerklärung vom 21. November 1974 stellte er die These auf, dass kein Katholik, wenn ihm an seinem Seelenheil liege, diese Reform billigen könne. Diese militante Position zwang den Hl. Stuhl zu einer forcierten Durchsetzung des Missale Romanum von 1970. Papst Paul VI. sah sich 1976 wegen unerlaubter Priesterweihen dazu gezwungen, Lefebvre von seinen Ämtern zu suspendieren. Dieser leistete keinen Gehorsam, obwohl ihn der Papst abermals im September 1976 in Privataudienz empfing.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1976 (lat., in: Insegnamenti di Paolo VI, Bd. XIV (1976), 810-823; Auszug (dt.): Dokumentation, unten) stellte der Papst definitiv fest, dass sich Lefebvre angesichts des von ihm neu eingeführten, absolut falschen Traditionsbegriffs im Irrtum befinde. Durch vier gegen den ausdrücklichen Willen des Papstes vollzogene und damit unerlaubte Bischofsweihen im Jahr 1988 hatte sich Lefebvre als Tatstrafe die Exkommunikation zugezogen, wie Papst Johannes Paul II. am 2. Juli im Apostolischen Schreiben Ecclesia Dei feststellte und die Bischofsweihen als schismatischen Akt verurteilte. Die Wurzeln dieses Skandals reichen aber tiefer.
Erzbischof Lefebvre schrieb u.a.: „Da Israel den wahren Messias zurückgewiesen hat, erfand es für sich einen anderen, diesseitigen und irdischen Messianismus: die Beherrschung der Welt durch das Geld, durch die Freimaurerei, durch die Revolution, durch die sozialistische Demokratie. Indes dürfen wir nicht vergessen, daß es Juden waren, Jünger des wahren Messias, die das wahre Israel gründeten, ein geistliches Königreich, das das himmlische Königreich vorbereitet. Die Weltherrschaftspläne der Juden werden in unserer Zeit Wirklichkeit seit der Gründung der Freimaurerei und der Revolution, die die Kirche enthauptet und die sozialistische Weltdemokratie eingeführt hat“. (Zitiert nach: Marcel Lefebvre: Die Biographie von Bernard Tissier des Mallerais, Stuttgart (Sarto) 2008, Seite 639.)
Zur liturgischen Frage
Da die Feier der tridentinischen Liturgie bereits seit 1984 im Falle eines pastoralen Bedürfnisses gestattet wird, also ihre Zelebration nur von 1974 bis 1984 auf persönlich begründete Ausnahmen beschränkt war, ist längst nicht mehr die "alte Messe" der zentrale Streitpunkt zwischen dem Heiligen Stuhl und den fast 500 Priestern der Lefebvre-Bruderschaft. Diese verlangt vielmehr die "Rückkehr" Roms zu einer vom Integralismus geprägten Identität. Da Rom aber nie im vollen Sinn des Begriffs integralistisch orientiert war, kann der Vatikan auf diese Forderung nicht eingehen, zumal sie die Erfüllung des kirchlichen Auftrags weltweit unmöglich machen würde. Aus römischer Sicht verbreitete Lefebvre eine Lesart der katholischen Tradition, die nicht dem kirchlichen Selbstverständnis entspricht (und diesem auch in früheren Zeiten nicht entsprochen hätte).
In seinem Buch "Zur Lage des Glaubens" sagte Kardinal Ratzinger ( Benedikt XVI.) über Lefebvre: "Wenn man bei der grundsätzlichen Absage gegenüber dem II. Vatikanum bleibt, so sehe ich keinerlei Zukunft für eine dann in sich unlogische Position. Ausgangspunkt für diese Richtung ist ja die strengste Treue zur Lehrverkündigung, besonders Pius IX. und Pius X. wie - noch grundlegender - des I. Vatikanums und seiner Definition des päpstlichen Primats. Aber warum nur die Päpste bis zu Pius XII. und nicht weiter? Ist etwa der Gehorsam gegenüber dem Heiligen Stuhl teilbar nach Jahren oder nach der Nähe einer Lehre zur vorgegeben eigenen Überzeugung?"
Immerhin ist sogar der Papstkritiker Hans Küng so konsequent gewesen, dass er Milde auch für Marcel Lefebvre und die Piusbruderschaft fordert. Auch für diese gelte: Toleranz! (Vgl.: Umstrittene Wahrheit, S. 427-31.)
Demgegenüber ist es wichtig festzuhalten, dass die geistigen Vorbilder der Piusbruderschaft schon in den 1920-er und 1930-er Jahren nicht auf dem Boden der Kirche standen.
Stimmen zu Marcel Lefebvre
- Es ist klar, dass man alles tun muss, damit diese Bewegung nicht in ein eigentliches Schisma hineingerät, das dann gegeben wäre, wenn Msgr. Lefebvre sich zu einer Bischofsweihe entschließen würde, was er gottlob in der Hoffnung auf Versöhnung bisher noch nicht getan hat. - (Kardinal Joseph Ratzinger in "Zur Lage des Glaubens", Neue Stadt 1985, S. 30)
- Die Kirche verzichte auf den Kampf gegen den Irrtum? Wahrscheinlich hat Lefebvre nicht bemerkt, dass der Titel der Konzilserklärung von 'gesellschaftlicher und bürgerlicher Freheit in religiösen Dingen' spricht. Hier steht mehr der Staat als die Kirche auf dem Spiel. - (Kardinal Albino Luciani, Il Gazzetino vom 8. Juni 1977, zit. nach Lazzarini, Johannes Paul I., Freiburg u.a. 1978, S. 79.)
Dokumentation: PAUL VI. an Lefebvre, 1976
Aus dem Brief von Papst Paul VI. an Marcel Lefebvre vom 11. Oktober 1976 (dt.; [lat./ital. siehe weblink unten]):
"(...) Wir haben einen Monat lang gewartet. Allem Anschein nach hat sich Ihre Haltung, wie sie sich weiterhin durch Ihre Worte und Taten öffentlich zeigt, nicht geändert. Zwar haben wir Ihren Brief vom 16. September vor Augen, in dem Sie Uns versichern: „Uns einigt ein gemeinsamer Punkt: Der brennende Wunsch, das Ende aller Missbräuche, die die Kirche entstellen, zu erleben. Wie sehr wünsche ich, mit Eurer Heiligkeit und unter Ihrer Autorität an diesem heilsamen Werk zu arbeiten, damit die Kirche ihr wahres Antlitz zurückerhält.” Wie soll man diese wenigen, an sich positiven Worte, auf die sich Ihre Antwort beschränkt, interpretieren? Sie reden so, als würden Sie die skandalösen, gegen die kirchliche Gemeinschaft gerichteten Worte und Gesten vergessen, die Sie nie widerrufen haben! Sie zeigen keine Reue, selbst über das nicht, was der Grund ihrer Suspension a divinis war. Sie bekunden nicht ausdrücklich Ihre Zustimmung zur Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Heiligen Stuhls, und das bildet den Kern Ihres Falles. Sie setzen Ihre eigenen Werke fort, die einzustellen die legitime Autorität ausdrücklich von Ihnen verlangt hat. Die Zweideutigkeit bleibt aufgrund dieser doppelzüngigen Sprache bestehen.
Was Uns betrifft, so richten Wir nun an Sie, wie Wir es Ihnen versprochen hatten, die Schlussfolgerungen Unserer Überlegungen.
(1.) Sie stellen sich praktisch als der Verteidiger, der Wortführer der Gläubigen und Priester hin, die „von dem, was in der Kirche geschieht, zerrissen” sind, wodurch der peinliche Eindruck entsteht, dass der katholische Glaube und die wesentlichen Werte der Tradition durch einen Teil des Volkes Gottes nicht genügend geachtet werden, zumindest nicht in gewissen Ländern. Doch in Ihrer Interpretation der Tatsachen, in der Sonderrolle, die Sie für sich arrogieren, und in der Art, wie Sie sie ausüben, liegt etwas, das das Volk Gottes in die Irre führt und die Seelen, die sich zu Recht nach Treue sowie nach geistlicher und apostolischer Vertiefung sehnen, täuscht. Die Tatsache der Abweichungen im Glauben oder in der sakramentalen Praxis ist allerdings sehr schwerwiegend, wo immer sie geschehen. Ihr gilt seit langem Unsere volle Aufmerksamkeit in Lehre und Seelsorge. Diese Tatsache sollte aber nicht die positiven Zeichen des spirituellen Auftriebs und des zunehmenden Verantwortungsbewusstseins bei zahlreichen Katholiken in Vergessenheit geraten lassen, ebensowenig wie die Komplexität der Ursache der Krise: Der gewaltige Wandel der heutigen Welt berührt die Gläubigen in ihrem tiefsten Inneren und macht die apostolische Bemühung um die, „die fern sind”, noch notwendiger. Es trifft allerdings zu, dass es Priester und Gläubige gibt, die mit dem Wort „konziliar” ihre persönlichen Interpretationen und falsche, schädliche, ja skandalöse und manchmal sogar sakrilegische Praktiken bemänteln.
Diese Missbräuche können aber nicht dem Konzil selbst zugeschrieben werden, auch nicht den aus ihm legitim hervorgegangenen Reformen, sondern vielmehr einem Mangel an echter Treue ihnen gegenüber. Sie jedoch wollen die Gläubigen davon überzeugen, dass die direkte Ursache der Krise noch mehr sei als eine Fehlinterpretation des Konzils; sie komme aus dem Konzil selbst. Außerdem handeln Sie so, als fiele Ihnen eine Sonderrolle auf diesem Gebiet zu. Nun steht aber die Aufgabe, die Missbräuche zu unterscheiden und abzustellen, in erster Linie Uns zu, wie auch allen mit Uns wirkenden Bischöfen. Und gerade Wir erheben gegen diese Exzesse unaufhörlich Unsere Stimme: Bei Unserer Ansprache im Konsistorium vom 24. Mai dieses Jahres [vgl. AAS 68 (1976), 373 f.] geschah das erneut in klaren Worten. Mehr als irgendjemand verstehen Wir das Leid der fassungslos gewordenen Christen und reagieren auf den Aufschrei der nach Glauben und spirituellem Leben verlangenden Gläubigen. Hier ist nicht die geeignete Stelle, Ihnen, Bruder, alle Akte Unseres Pontifikats in Erinnerung zu rufen, die Unsere ständige Sorge bezeugen, der Kirche die Treue zu der echten Tradition zu sichern und sie auch zu befähigen, mit der Gnade des Herrn der Gegenwart und der Zukunft zu trotzen. Jedenfalls ist Ihr Verhalten widersprüchlich. Sie wollen, wie Sie sagen, gegen die die Kirche entstellenden Missbräuche Abhilfe schaffen. Sie bedauern, dass die Autorität in der Kirche zu wenig geachtet wird. Sie wollen den unverfälschten Glauben, die Hochachtung vor dem Amtspriestertum und den Eifer für die allerheiligste Eucharistie in ihrem vollen Sinn als Opfer und Sakrament erhalten.
Ein solcher Eifer könnte an sich Unsere Ermutigung verdienen, denn dies sind Forderungen, die zusammen mit der Evangelisierung und der Einheit der Christen ständig im Mittelpunkt Unserer Sorge und Unserer Sendung stehen. Wie aber können Sie in Ausübung dieser Rolle behaupten, Sie seien verpflichtet, dem letzten Konzil entgegenzuwirken, in Opposition gegen Ihre Brüder im Bischofsamt, ja sogar dem Heiligen Stuhl zu misstrauen, den Sie als „das Rom der neomodernistischen und neoprotestantischen Tendenz” bezeichnen, und sich in einem offenen Ungehorsam gegen Uns einzurichten? Wenn Sie wirklich, wie Sie in Ihrem letzten persönlichen Brief versichern, „unter Unserer Autorität” arbeiten wollen, ist es zunächst nötig, diese Zweideutigkeiten und Widersprüche zu bereinigen.
(2.) Behandeln Wir jetzt genauer die einzelnen Bitten, die Sie während der Audienz vom 11. September vorgetragen haben. Sie möchten, dass das Recht zur Zelebration der heiligen Messe nach dem tridentinischen Ritus an verschiedenen Kultstätten anerkannt werde. Sie legen auch Wert darauf, weiterhin Priesterkandidaten nach Ihren Kriterien „wie vor dem Konzil” in gesonderten Seminaren wie Ecône auszubilden. Es kommt aber darauf an, hinter diesen und anderen ähnlichen Fragen, die Wir noch später eingehend prüfen werden, den springenden Punkt klar zu erkennen, der ein theologischer ist. In diesen Fragen hat nämlich eine in wesentlichen Dingen verzeichnete Ekklesiologie ihren konkreten Ausdruck gefunden. Denn das, worum es geht, ist die wohl als fundamental zu bezeichnende Frage Ihrer klar ausgesprochenen Weigerung, die Autorität des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Gesamtheit, einschließlich der des Papstes, anzuerkennen sowie als Folgerung dieser Weigerung eine Aktion der Propagierung und Organisierung einer Rebellion – man kann es leider nicht anders nennen. Das ist das Entscheidende und wirklich Unhaltbare. (...)
Auf dieselbe irrige Auffassung geht bei Ihnen die missbräuchliche Zelebration der sogenannten Messe des hl. Pius V. zurück. Sie wissen ganz genau, dass dieser Ritus seinerseits das Ergebnis sukzessiver Änderungen gewesen war, und dass der römische Kanon das erste der heute autorisierten eucharistischen Hochgebete bleibt. Die gegenwärtige Reform hat ihre Daseinsberechtigung und ihre Leitlinien aus dem Konzil und aus den historischen Quellen der Liturgie bezogen. Sie ermöglicht den Gläubigen, sich vom Worte Gottes noch reichlicher zu nähren. Ihre aktivere Teilnahme läßt die einzigartige Rolle des Priesters, der in persona Christi handelt, unberührt. Wir haben diese Reform kraft Unserer Autorität sanktioniert, indem wir ihre Übernahme durch alle Katholiken forderten. Wenn Wir es im allgemeinen nicht für gut erachtet haben, noch länger Verspätungen oder Ausnahmen bei dieser Übernahme zuzulassen, geschah dies mit Hinblick auf das geistliche Wohl und die Einheit der ganzen kirchlichen Gemeinschaft, denn für die Katholiken des römischen Ritus ist der Ordo Missae ein vorzügliches Zeichen ihrer Einheit. Es geschah auch, weil in Ihrem Fall der alte Ritus faktisch der Ausdruck einer verzeichneten Ekklesiologie, ein Kampfplatz gegen das Konzil und seine Reformen ist, unter dem Vorwand, nur im alten Ritus seien das wahre heilige Messopfer und das Amtspriestertum ohne Verdunkelung ihrer Bedeutung bewahrt. Wir können dieses irrige Urteil, diese ungerechte Anklage, nicht hinnehmen, noch können Wir dulden, dass die allerheiligste Eucharistie des Herrn, das Sakrament der Einheit, Gegenstand derartiger Spaltungen ist (vgl. 1 Kor 11, 18) und sogar als Werkzeug und Zeichen der Rebellion benutzt wird.
Natürlich hat die Kirche Raum für einen gewissen Pluralismus, jedoch in den erlaubten Dingen und im Gehorsam. Das begreifen diejenigen nicht, die die liturgische Reform in ihrer Gesamtheit ablehnen. Ebensowenig übrigens bei denjenigen, die die Heiligkeit der Realpräsenz des Herrn und seines Opfers gefährden. Auch kann eine Priesterausbildung, die das Konzil ignoriert, nicht in Frage kommen. Wir können also Ihre Bitten nicht in Erwägung ziehen, denn es geht um Akte, die bereits in Rebellion gegen die eine und wahre Kirche Gottes gesetzt werden. Diese Strenge lässt sich, glauben Sie mir, nicht von der Weigerung leiten, in dem einen oder anderen die Liturgie oder Disziplin betreffenden Punkt ein Zugeständnis zu machen. In Anbetracht der Bedeutung und der Tragweite Ihrer Handlungen im gegenwärtigen Zusammenhang hieße das, die Einführung eines von schwerem Irrtum getragenen Kirchen- und Traditionsbegriffs Unsererseits zu akzeptieren.
Daher sagen Wir Ihnen, Bruder, im vollen Bewusstsein Unserer Pflichten, daß Sie sich im Irrtum befinden. Mit der ganzen Inbrunst Unserer brüderlichen Liebe wie auch mit dem vollen Gewicht Unserer Autorität als Nachfolger Petri fordern Wir Sie auf, zu widerrufen, zur Besinnung zu kommen und der Kirche Christi keine Wunden mehr zuzufügen.
(3.) Was verlangen Wir von Ihnen konkret? (...)
Alle in diesem Brief aufgeführten Punkte haben Wir reiflich abgewogen und in Zusammenarbeit mit den Leitern der betroffenen Dikasterien, allein um des höheren Wohls der Kirche willen, Uns zu eigen gemacht. Sie haben während des Gesprächs vom 11. September zu Uns gesagt: „Ich bin für das Wohl der Kirche zu allem bereit.” Die Antwort liegt nun in Ihrer Hand. Sollten Sie sich weigern, die von Ihnen geforderte Erklärung abzugeben – quod Deus avertat – was Gott verhüten möge, würden Sie suspendiert a divinis bleiben. Dagegen werden Ihnen Unsere Verzeihung und die Aufhebung der Suspension zugesichert, sofern Sie aufrichtig und ohne Zweideutigkeit bereit sind, den Bedingungen dieses Briefes zu entsprechen und das Ärgernis wiedergutzumachen. Der Gehorsam und das Vertrauen, das Sie unter Beweis stellen, werden Uns ermöglichen, Ihre persönlichen Probleme in aller Ruhe mit Ihnen zusammen zu prüfen. (...)
Mögen Sie also, lieber Bruder, nicht länger zögern, mit sehr lebhafter und gewissenhafter Aufmerksamkeit diese feierliche Beschwörung des demütigen, aber legitimen Nachfolgers Petri vor Gott zu erwägen. Mögen Sie den Ernst der Stunde ermessen und den Entschluss fassen, der allein einem Sohn der Kirche zukommt! Das ist Unsere Hoffnung, dem gilt Unser Gebet.
Paulus PP. VI
Vatikan, 11. Oktober 1976"
Kardinal Ratzinger, 1988
"Das Problem, das uns Lefebvre vorgelegt hat, endet aber nicht mit dem Bruch vom 30. Juni. Es wäre zu bequem, in eine Art Triumphalismus zu verfallen und zu denken, das Problem existiere nicht mehr von dem Augenblick an, da die Bewegung Lefebvres sich klar von der Kirche getrennt hat. Ein Christ kann und darf sich über eine (Kirchen-)Spaltung niemals freuen. Auch wenn die Schuld mit Sicherheit nicht dem Heiligen Stuhl zuzuweisen ist, haben wir dennoch die Pflicht, uns zu fragen, welche Fehler wir gemacht haben, welche Fehler wir (noch immer) machen. Die Normen, mit denen man seit der Erscheinung des Dekrets über den Ökumenismus im Zweiten Vatikanum die Vergangenheit bewertet, müssen logischerweise auch in der Gegenwart Gültigkeit haben. Eine der fundamentalen Entdeckungen der ökumenischen Theologie ist, daß Schismen nur dann entstehen können, wenn in der Kirche einige Wahrheiten und einige Werte des christlichen Glaubens nicht mehr gelebt und geliebt werden. Die an den Rand gedrängte Wahrheit verselbständigt sich, und von der Ganzheit der kirchlichen Struktur entwurzelt, bildet sich in ihrem Umfeld dann die neue Bewegung.
Die Tatsache, daß nicht wenige Menschen außerhalb des engen Kreises der Mitglieder der Priesterbruderschaft Lefebvres in diesem Mann eine Art Leitbild oder zumindest nützlichen Lehrer sehen, muß uns zu denken geben. Es reicht nicht, sich auf politische Motive oder auf Nostalgie und andere sekundäre Gründe kultureller Art zu berufen. Diese Gründe würden nicht ausreichen, um auch und besonders junge Menschen anzuziehen, die aus sehr verschiedenen Ländern mit den unterschiedlichsten politischen oder kulturellen Voraussetzungen stammen. Sicher bemerkt man überall die engstirnige, einseitige Betrachtungsweise. Trotzdem wäre das Phänomen insgesamt nicht denkbar, wenn es nicht auch eine Reihe positiver Elemente gäbe, die in der heutigen Kirche im allgemeinen nicht den erforderlichen Lebensraum finden. Aus allen diesen Gründen sollten wir diese Situation vor allem als einen Anlaß zur Gewissensprüfung betrachten. Wir müssen uns ernsthaft zu den Mängeln in unserer Seelsorge befragen lassen, auf die alle diese Ereignisse hinweisen. So werden wir denen einen Platz bieten können, die innerhalb der Kirche fragen und suchen, und so wird es uns gelingen, das Schisma aus dem Innern der Kirche selbst heraus überflüssig zu machen."
Aus einer Rede vor chilenischen Bischöfen im Juli 1988.
Literatur
- Marcel Lefebvre, J'accuse le Concile, Paris 1976.
- Ders., Ils l'ont découronné, Escurolles 1987.
- Alois Schifferle, Das Ärgernis Lefebvre, Fribourg 1989.