Pius XII. sagt: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. März 2024, 16:20 Uhr

Pius XII. sagt

Zusammengestellt von Chinigo Michael - Nach den vatikanischen Archiven Verlag Heinrich Scheffler, Frankfurt am Main 1959 [Gedächtnisausgabe, Vierte, neu bearbeitete und erweiterte Auflage]; Kirchliche Druckerlaubnis Limburg an der Lahn den 15. August 1955 Merkel Generalvikar. Anlass und Datum der einzelnen Verlautbarungen sind am Schluss eines Abschnittes in Klammer wiedergegeben. Die Inhaltsübersicht bzw. Kapitelüberschriften wurden nummeriert. Die Abkürzungen der biblischen Bücher folgen den Loccumer Richtlinien.

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

I. DER MENSCH

1. DER MENSCH

AN DEM TAG, da Gott den Menschen schuf und seine Stirn mit dem Diadem seines Bildes und Gleichnisses krönte, an dem er ihn als König aller Lebewesen im Meer, am Himmel und auf der Erde bestellte, an diesem Tag machte der Herr, der allwissende Gott, sich zu seinem Lehrer. Er lehrte ihn den Ackerbau, er lehrte ihn den köstlichen Garten hegen und pflegen, in den er ihn gesetzt hatte; er führte die Tiere des Feldes und alle Vögel der Luft zu ihm, um zu sehen, wie er sie benenne, und er gab jedem seinen Namen. Aber inmitten dieser Zahl von ihm untergebenen Lebewesen fühlte sich der Mensch traurig und allein. Er suchte vergeblich nach einer Stirn, die der seinen gliche und auch einen Strahl jenes göttlichen Bildes trüge, kraft dessen das Auge jedes Kindes Adams erglänzt. Nur aus dem Menschen konnte ein anderer Mensch kommen, der ihn Vater und Urvater nennen konnte. Und die Stütze, die Gott dem ersten Menschen gab, kommt von ihm und ist Fleisch von seinem Fleische, gebildet als Gefährtin, und sie hat ihren Namen vom Manne, da sie aus ihm genommen wurde. An die Spitze der Stufenleiter der Lebewesen hat Gott den mit einer Seele begabten Menschen als Haupt und Beherrscher des Tierreichs gestellt. Die vielfachen Forschungen der Paläontologie, der Biologie und der Morphologie über die verschiedenen Probleme, die die Anfänge des Menschen betreffen, haben bis heute nichts Klareres und Festes erbracht. Man muss daher der Zukunft die Antwort auf die Frage überlassen, ob die Wissenschaft, von der Offenbarung erleuchtet und geleitet, eines Tages endgültige Ergebnisse über ein so wichtiges Thema wird vorlegen können.

Die wahre Wissenschaft erniedrigt und demütigt den Menschen nicht in seinem Ursprung, sondern erhebt und erhöht ihn; sie entdeckt und bewundert in jedem Glied der großen menschlichen Familie die mehr oder weniger deutliche Spur, die ihm als Gottes Bild und Gleichnis eingeprägt ist.

Die Herrschaft des Menschen über die Natur

Der Mensch ist groß. Der Fortschritt, den er in der Physik, den Naturwissenschaften, der Mathematik, der industriellen Technik macht, begierig nach immer größeren und gesicherterem Weiterentwickeln: was ist er anderes als die Auswirkung der Herrschaft, die der Mensch immer noch - wenngleich begrenzt und nach mühsamer Eroberung - über die niedere Natur ausübt? Und wann hat je der menschliche Geist so wie in der Gegenwart in der Natur gesucht, studiert, erforscht, gebohrt, um ihre Kräfte und Formen zu erkennen, sie zu beherrschen und sich ihrer, mit seinen Instrumenten zurecht gebogen, nach seinem Gutdünken zu bedienen?

Der Mensch ist groß und er war ursprünglich noch größer. Doch fiel er von seiner ersten Größe herab, weil er sich gegen den Schöpfer empörte, und, aus dem Garten der Wonnen verbannt, umherirrte und erntete das Brot, das ihm die Erde unter Mühsal und Dornen gab, mit dem Schweiß seiner Stirne; das Klima und die Sonne, Kälte und Hitze, Höhlen und Wälder, und weiter viele andere Qualen und Entbehrungen bei den unterschiedlichen Plätzen und Bedingungen seines Lebens erniedrigten sein Antlitz und seine Gestalt; der ihm verbliebene Rest von der Herrschaft, die er über die Tiere empfangen hatte, ist nur eine ungewisse Erinnerung an seine Macht und nur ein kleines Bruchstück seines Herrscherthrons: Trotz all dem erhebt er sich auch im Sturz noch groß, eben dank jener göttlichen Ebenbildlichkeit, die sein Geist trägt, und derentwegen Gott an dem Geschöpfe Mensch der letzten Arbeit seiner Schöpferhand, solches Gefallen fand, dass er es auch nach dem Falle nicht zu lieben aufhörte, noch es im Stich ließ. Ja, um den Menschen wieder aufzurichten, machte er sich selbst ihm gleich und ward als Mensch erfunden, als einer, der mitzuempfinden vermöchte mit unseren Schwachheiten, in allem ebenso versucht wie wir, die Sünde ausgenommen (Hebr 4, 15).

Verstand und Wille

Zwei Gaben, die ihn zwischen jener Welt der himmlischen Geister und der Welt der Leiber hoch erheben, machen den Menschen groß, auch nach dem Fall: der Verstand, dessen Auge durch das geschaffene Weltall schweift, und der die Grenze der Himmel durchbricht, aus Verlangen Gott zu schauen; und der Wille, mit Freiheit ausgestattet, Diener und Herr des Verstandes, der uns in verschiedenem Grade zu Herren unseres Denkens und Wirkens macht, vor uns selbst, vor den anderen und vor Gott.

Der Geist, der Wille und das Wirken des Menschen mit seinen Maschinen und seinen Geräten können die Ordnung der Natur nicht umwerfen, aber sie können sie offenlegen.

Gott ist der einzige Gebieter und der Gesetzgeber des Alls. Er ist eine Sonne, die in der unendlichen Herrlichkeit ihres Lichtes ihre Strahlen, Ebenbilder ihrer selbst, in alle Bereiche der Schöpfung ausgießt und vervielfältigt; aber kein Bild kann ihr gleichkommen. So vervielfacht auch der Mensch, wenn er kein Wort findet, das für sich allein die Vorstellung seines Geistes hinreichend ausdrückt, auf verschiedene Weise die Worte. So strahlt in der Vielfalt der Geschöpfe die Verschiedenheit ihrer Naturen und die verschiedene göttliche Spur, und entsprechend kommen sie in der Ähnlichkeit des Seins, das sie besitzen, Gott mehr oder weniger nahe.

Gott schuf die Prinzipien des Wirkens der Natur

Fordert nicht die Verschiedenheit der Dinge, dass zwar nicht alle gleich seien, aber doch in ihnen eine gestufte Ordnung aufleuchte? In dieser Ordnung und in ihren Stufen sehen wir Naturen und Formen gelagert, verschieden an Vollkommenheit und Kraft, an Wirkung und Zweck, an Reaktion und Zusammensetzung, an Substanz und Qualität, aus denen verschiedene Eigentümlichkeiten, Arten des Wirkens mit gegenseitigen Eindrücken und verschiedenen Auswirkungen entspringen, die ihren Grund in der Verschiedenheit haben, die ihnen vom Schöpfer der Natur der Dinge eingeprägt ist, die zu einem besonderen Ziel und Wirken hingewandt und bestimmt sind. In dieser den Dingen innewohnenden natürlichen Notwendigkeit, die nichts anderes ist als eine von Gott bewirkte Prägung, der alles zu seinem Ziele lenkt, wie ein Bogenschütze den Pfeil auf das Ziel richtet, liegt das Gesetz der Natur der Körper. Wie der Mensch durch seinen Befehl in einem anderen, ihm unterstellten Menschen ein inneres Prinzip des Wirkens schafft, nicht anders schafft Gott für die gesamte Natur die Prinzipien der jeweiligen Wirkungen, und auf solche Weise gab der Schöpfer des Universums, Gott und Lehrer der Wissenschaften, der Gesamtheit der Dinge Gesetze, die nie vergehen, praeceptum posuit et non praeteribit (Ps 148, 6). Fragt man daher - wie der große Lehrer aus Aquino meisterlich darlegt - nach dem Ursprung einer natürlichen Wirkung, so können wir sie mit einer nächsten Ursache angeben, welches die natürliche Eigenart der Dinge ist, dabei aber doch alles auf den Willen Gottes zurückführen, als auf den ersten Grund; er ist ja der weise Gründer der ganzen Natur. Würde einer auf die Frage, warum der Herd erkalte, antworten, weil Gott es so will, so würde er richtig antworten, wenn er die Absicht hätte, die Frage auf die erste Ursache zurückzuführen; dagegen wäre die Antwort falsch, wenn er damit alle anderen Ursachen ausschließen wollte.

Auch uns, die wir ja auch Geschöpfe Gottes sind, hat die erste Ursache ein Gesetz eingeprägt, welches der dem Menschen ganz eigentümliche erhabene Trieb zur Erkenntnis des Schöpfers ist; eine Sehnsucht, die Bewegung des Geistes ist, und niemals ruht - bis der Besitz der geliebten Sache ihn sich freuen lässt. Wenn auch unser Fleisch aus dem Staube kommt und zum Staub zurückkehren wird; unser Geist ist unsterblich; er kommt von Gott und sehnt sich zu Gott aufzusteigen mit Hilfe der Leiter der Wissenschaft dieser Welt, die jedoch die unermessliche Sehnsucht nach Wahrheit, die uns bewegt, nicht vollauf zu befriedigen vermag. Schule Gottes, Lehrerin jeder Wissenschaft, das ist die Welt; geht ihre Gestalt dahin, bleiben wir allein im Angesicht des Meisters. Neigen wir uns vor seiner Weisheit, unerreichbar in seinen Rätseln und in dem Ratschluss, der Menschheit diesen Erdball zur Wohnstatt anzuweisen, der so voll ist von Wundern und umgeben von Millionen noch weiterer glänzender und unermesslicher Wunder; Wunder, die der Schöpfer am Tag, da er sein Werk vollendet hatte, betrachtete und sah, dass alles sehr gut sei (Aus der Ansprache an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 30. November 1941).

2. DIE LIEBE

GOTT IST LIEBE, sagt der heilige Johannes, wesenhaft unendliche Liebe; er ruht ewig glücklich in sich selbst, in der Betrachtung seiner unendlichen Vollkommenheit; und da er das einzige absolute Wesen ist, außer dem nur das Nichts ist, so kann er, wenn er andere Wesen ins Dasein rufen will, sie nur aus seinem eigenen Reichtum hervorrufen. Jedes Geschöpf, eine mehr oder weniger ferne Ableitung der unendlichen Liebe, ist also eine Frucht der Liebe und regt sich nur durch sie.

Im Urnebel hat einst eine erste Anziehungskraft, ein erstes Sinnbild der Liebe, um einen Kern die kosmischen Elemente gesammelt und sie zu dem ersten Gestirn gebildet; dann rief die Anziehung dieses ersten ein zweites herbei und endlich ein drittes, und so begann der wunderbare Reigen der Welten seinen Lauf am Firmament.

Das Meisterwerk Gottes aber ist der Mensch, und diesem Meisterwerk der Liebe hat er das Liebesvermögen gegeben, das vernunftlose Geschöpfe nicht kennen. Die Liebe des Menschen ist persönlich, das heißt bewusst; diese Liebe ist frei, das heißt der Kontrolle seines verantwortlichen Willens unterworfen.

Indem Gott dem Menschen Körper und Seele geschenkt hat, hat er ihm alles gegeben, was der menschlichen Natur als solcher zukommt; der Mensch konnte sich mehr nicht wünschen; Gottes Absichten aber gingen darüber hinaus. Er machte der menschlichen Kreatur ein weiteres, übermenschliches Geschenk: die Gnade, ein unerforschliches Wunder der Liebe Gottes, dessen Geheimnis der menschliche Verstand nicht ergründen kann. Darum hat der Mensch es "übernatürlich" genannt, um demütig zu bekennen, dass es über seine Natur hinausreicht. Schon die allein auf dem Gefühl beruhende Liebe kann so zart und ergreifend schön sein, dass sie auch der Herr selbst mit dem Adler vergleicht, der seine Jungen im Flug unterweist und über ihnen schwebt. Die menschliche Liebe ist unvergleichlich edel, weil an Ihr der Geist unter dem Antrieb des Herzens Anteil hat - dieses zarten Zeugen und Wortführers der Vereinigung von Leib und Seele -, des Herzens, das die materiellen Eindrücke des einen mit den höheren Empfindungen der anderen in Einklang bringt. Diese Zauberkraft der menschlichen Liebe ist seit Jahrhunderten das Thema, das bewundernswerte Werke der Literatur, der Musik, der bildenden Künste angeregt hat; ein uraltes und doch ewig neues Thema, zu dem die Zeiten, ohne es je zu erschöpfen, erhabenste poetische Variationen geschaffen haben.

Aber welch neue, unsagbare Schönheit erhält diese Liebe zweier menschlicher Herzen, wenn mit ihrem Liede der Hymnus zweier Seelen zusammenklingt, die von übernatürlichem Leben erbeben! Auch hier gilt das Gesetz vom wechselseitigen Austausch der Gaben; in der Zärtlichkeit der Sinne und ihren gesunden Freuden, in der natürlichen Zuneigung, in der geistigen Vereinigung und ihren Wonnen werden dann die beiden Wesen, die sich lieben, im Innersten eins, vom tiefen und unerschütterlichen Grund ihres Glaubens bis zum höchsten Gipfel ihres Strebens.

Die christliche Ehe

Solcherart ist die christliche Ehe, die nach dem bekannten Wort des heiligen Paulus der Vereinigung Christi mit seiner Kirche nachgebildet ist: In der einen wie der anderen ist die Hingabe gänzlich, ausschließlich und unwiderruflich; in der einen wie der anderen ist der Mann das Oberhaupt der Frau, die ihm untertan ist, wie die Kirche Christus; in der einen wie der anderen wird die wechselseitige Hingabe zum Prinzip der Entfaltung und zum Quell des Lebens (Eph 5).

So sind die Ehegatten gemäß der ihnen von der Vorsehung zugewiesenen Aufgabe im eigentlichsten Sinne die Mitarbeiter Gottes und Christi; in ihrem eigenen Tun ist etwas Göttliches, auch hier können sie sich als "divinae consortes naturae" bezeichnen - als "der göttlichen Natur teilhaftig" (2. Petr 1,4).

ist es da zu verwundern, dass so großartige Vorrechte ernste Pflichten in sich schließen? Der Adel der göttlichen Tat verpflichtet die christlichen Eheleute zu manchem Verzicht, zu mancher mutigen Tat, auf dass die Materie den Geist bei seinem Aufstieg zur Wahrheit und zur Tugend nicht hemme und ihn nicht mit ihrem Gewicht in den Abgrund ziehe. Da aber Gott niemals das Unmögliche befiehlt und mit dem Gebot, das er auferlegt, immer auch die Kraft verleiht, es zu erfüllen, bringt die Ehe, die ein überaus großes Sakrament ist, mit den Pflichten, die übermenschlich erscheinen mögen, auch übernatürliche Gnadenkräfte (Aus der Ansprache an Neuvermählte. 23. Oktober 1940).

Gegenseitige Zuneigung, geboren allein aus der Anziehung des einen zum anderen, oder nur dem Wohlgefallen an den menschlichen Gaben entsprossen, eine solche Zuneigung, so schön und reich sie auch sein mag, und so tief und zart sie aus dem trauten Verhältnis der Neuvermählten spricht, reicht doch für sich allein niemals aus. Sie vermöchte nicht einmal, da sie den einen dem anderen zuführt, die volle Vereinigung eurer Seelen herbeizuführen. Allein die von der Gottesgnade durchwirkte Barmherzigkeit, vereint mit dem Band der Freundschaft zwischen Gott und Mensch, vermag den unlöslichen Knoten zu knüpfen, der allen Erschütterungen und Wechselfällen, allen unvermeidlichen Prüfungen während eines langen Lebens zu zweit standhält; die göttliche Gnade allein kann bewirken, dass ihr unerschütterlich über all den kleinen Armseligkeiten des Alltags steht, über all den Gegensätzen, die da aufkommen, und über den Verschiedenheiten der Neigungen und Ansichten, die der Wurzel der menschlichen Natur wie Unkraut entsprießen. Und diese Barmherzigkeit und Gnade, habt ihr sie nicht als Kraft und Tugend in dem großen Sakrament der Ehe empfangen?

Heilige, gottgeweihte, göttliche Liebe: ist das nicht - werdet ihr vielleicht sagen - zu hoch für uns? Wird eine so übernatürliche Liebe - so mögt ihr fragen - immer noch jene wahrhaft menschliche Liebe bleiben, welche in der Regung unserer Herzen zu spüren war, jene Liebe, die unsere Herzen suchen, in der sie die Ruhe finden, deren sie bedürfen, und in der sie so glücklich sind, wenn sie sie gefunden haben? Seid gewiss: Gott zerstört mit seiner Liebe die Natur keineswegs; er verletzt sie auch nicht, sondern vervollkommnet sie nur. Der heilige Franz von Sales, der das menschliche Herz so gut kannte, schließt seine schönen Ausführungen über den heiligen Charakter der ehelichen Liebe mit diesem zweifachen Rat: "Bewahret, ihr Ehemänner, eine beständige, zärtliche, herzliche Liebe zu euren Gattinnen… Und ihr Ehefrauen, liebet innig, herzinniglich, aber mit einer ehrerbietigen und willfährigen Liebe die Gatten, die Gott euch gegeben hat." Herzlichkeit und zarter Sinn also bei beiden Teilen. "Liebe und Treue", fügt er hinzu, "erzeugen stets Vertrauen; daher pflegen die Helligen in ihrer Ehe einander wahrhaft liebevolle, aber keusche, zärtliche und aufrichtige Neigung zu zeigen." Er weist dann auf das Beispiel des großen Königs Ludwig IX. des Heiligen hin, der nicht weniger streng gegen sich selbst als zärtlich in der Liebe zu seiner Gattin war, der seinen kriegerischen, mutigen Geist auch jenen kleinen Pflichten anzupassen verstand, "die zur Erhaltung der ehelichen Liebe notwendig sind", jenen "kleinen Bezeugungen reiner, freimütiger Freundschaft", welche die Herzen einander näherbringen und das Zusammenleben angenehm machen. Wer wird eher und besser als die wahre christliche Barmherzigkeit, die ergeben, demütig und geduldig ist, die die Natur zähmt und besiegt, die auch sich selbst vergisst und in jedem Augenblick das Wohl und die Freude des Nächsten zu fördern sucht wer anders wird den Eheleuten die kleinen Aufmerksamkeiten, jene Zeichen zärtlicher Zuneigung eingeben und sie lenken; Zeichen, die zugleich ungezwungen, aufrichtig und verhalten sind, so dass sie niemals ungelegen kommen, sondern immer mit Freude und Dank entgegengenommen werden? Wer besser als die Gnade, die Quelle und zugleich Seele dieser Barmherzigkeit ist, wird euch Meister und Führer sein, auf dass ihr den Gipfel erreicht, der euch da gewiesen wird?

Die christliche Liebe

Ihr werdet jedoch wohl verstehen, dass, wenn auch Herzlichkeit und zarter Sinn zwischen den Ehegatten gedeihen müssen und zum Schmuck des Mannes wie der Frau gehören, sie doch zwei Blumen sind von verschiedener Schönheit, da sie aus Wurzeln erwachsen, die in Mann und Frau nicht ganz gleich sind. Im Mann soll diese Wurzel Treue sein, unversehrt und unverletzlich, Treue, die sich nicht den geringsten Fehltritt erlaubt, den er an seiner Gefährtin nicht dulden würde; Treue, die, wie es sich für den geziemt, der das Oberhaupt ist, offen das Beispiel sittlicher Würde und tapferen Muts gibt, indem sie niemals von der restlosen Erfüllung der Pflicht abweicht; in der Frau hingegen ist die Wurzel kluge, umsichtige und wachsame Zurückhaltung, die auch den Schatten dessen meidet und von sich weist, was den Glanz eines makellosen Rufes trüben oder ihr auf irgendeine Weise zur Gefahr werden könnte.

Aus diesen beiden Wurzeln erwächst auch, dem Ölzweig steten Friedens im Eheleben gleichend, das gegenseitige Vertrauen. Denn ist es vielleicht nicht wahr, dass ohne Vertrauen die Liebe schwindet, erkaltet, erfriert, erlischt, zerbricht und die Herzen selbst quält und tötet? Der heilige Franz von Sales bemerkt daher: "Wenn ich euch ermahne, immer mehr in jener gegenseitigen Liebe zu wachsen, die ihr einander schuldet, so hütet euch wohl, dass sie nicht in Eifersucht sich verwandle. Denn oft geschieht es, dass, so wie der Wurm in der erlesensten und reifsten Frucht entsteht, die Eifersucht in der feurigsten und besorgtesten Liebe ausbricht und deren Wesen verdirbt und vernichtet, indem sie allmählich Streit, Zwietracht und Trennung hervorruft." Nein, die Eifersucht, die ja bloß Rauch ist und nur der Schwäche des menschlichen Herzens entspringt, kommt nicht auf, wo jene echte Liebe blüht, die allein den Saft der wahren Tugend zur Reife bringen und ihn zu erhalten imstande ist, da ja "gerade die vollkommene Freundschaft voraussetzt, dass man dessen sicher ist, was man liebt, während hingegen die Eifersucht voraussetzt, dass man dessen nicht sicher ist". Ist nicht eben dies der Grund, warum die Eifersucht, weit entfernt davon, ein Zeichen der wahren Tiefe und Kraft einer Liebe zu sein, gerade ihre niedrigeren und unvollkommeneren Seiten aufdeckt, indem sie sich innerlich zu Verdächtigungen verführen lässt, die die Unschuld in Zweifel stellen und ihr blutige Tränen erpressen? Ist denn nicht die Eifersucht meist nur verhüllte Selbstsucht, die die natürliche Neigung entstellt, Selbstsucht, der das Schenken fremd ist und das Vergessen seiner selbst, die bar ist jenes Glaubens, der nichts Arges denkt, sondern Vertrauen und Wohlwollen atmet, welche aus ihm den tiefsten und unerschöpflichsten Quell nicht weniger als den sichersten Wahrer und Schützer der vollkommenen ehelichen Liebe machen? (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 29. Januar 1941).

Familienleben im alten Rom

Auch in der Kaiserzeit fehlte es keineswegs an Beispielen von Familien, in denen die Ehegatten in glücklicher Eintracht lebten und sich gegenseitig hoch schätzten, in denen die Tugend der guten Gattin um so höheren Lobes würdig war, je größer die Schuld der schlechten gewesen ist. Es sind dies Frauen gewesen, die angeklagt und getötet wurden, nur weil sie über den Tod ihrer Kinder Tränen vergossen hatten; sie sind ihren Gatten Vorbilder des Opfermuts gewesen. Es waren die Mütter, die ihre Söhne auf der Flucht begleiteten ... keusche Ehegattinnen wie Ostoria, deren Lob als incomparabilis castitatis femina - als Frau von unvergleichlicher Sittsamkeit - auf einem kürzlich in den Grotten des Vatikans entdeckten Sarkophag eingemeißelt ist.

Und doch, wenn ihr den Blick von diesen heidnischen Familien hinwendet zu jenen zutiefst christlichen, die ihr alle kennt, so fühlt ihr instinktiv, dass den ersten etwas fehlt, das stärker ist als die Kraft der alten Quiriten, etwas innerlich Starkes und zugleich etwas Wärmeres, Durchdringenderes, Besseres und tiefer Menschliches. Besteht dieses Fehlen - das unheilbare Leid der heidnischen oder zum Heidentum neigenden Gesellschaft - nicht gerade in der Unfähigkeit, energisch und stark zu bleiben und sich zugleich auch ein wahrhaft menschliches Herz zu bewahren, das wahrer und reiner Neigung und auch der Milde fähig ist? Schaut jene alten römischen Familien an, an deren strenge Tugend Wir eben erinnert haben! An dem Tage, an dem sie mIt den Reichtümern der griechischen und orientalischen Kultur in Berührung kamen und von der Gier nach PerIen, Edelsteinen und Gold ergriffen wurden, da lockerte sich allmählich die Zucht - labente paulatim disciplina - ire coeperunt praecipites - und viele von ihnen eilten auf jene Verderbnis zu, deren empörter Zeuge der Völkerapostel gewesen ist ...

Die wahre Zuneigung, ohne Härte und ohne Schwäche, die wahre Liebe, die von Christus gepflanzt und geadelt wird - wir ahnen sie in jenen ersten Familien römischer Neuchristen, wie den Flaviern und den Aciliern zur Zeit der Verfolgung des Domitian. Wir bewundern den strahlenden Glanz, der eine heilige Paula und eine heilige Melania umgibt. Und fragt man nach dem Geheimnis eines solchen Lebens, so ist die Antwort immer dieselbe, nämlich das Geheimnis aller Heiligenleben: Der lebendige Christus, der mit seiner Herrschergnade in der Seele erstrahlt, die gefügig seinen Eingebungen und Anrufen folgt. Jesus Christus allein ist imstande gewesen, im elendbeladenen Menschenherzen, das von der Erbsünde verwundet und irregeleitet ist, Liebe zu erwecken, die rein und stark bleibt ohne zu erstarren, Liebe, die tief genug im Geist wurzelt, um dem Ansturm der Sinne zu widerstehen und ihn zu beherrschen - dabei doch ihre Wärme und ihre feine Zartheit unverfälscht zu erhalten. Er allein, mit dem Beispiel und dem innersten Wirken seines liebeentflammten Herzens, hat das Versprechen wahrzumachen vermocht, das schon Israel gegeben worden war: "Auferam cor lapideum de carne vestra, et dabo vobis Co carneum - (Ez 36, 26). Ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleische reißen und euch dafür ein Herz von Fleisch geben." Er allein weiß in den Seelen die echte, zarte und zugleich starke Zuneigung zu erwecken und lebendig zu erhalten, weil er allein sie mit seiner Gnade von jener angeborenen Selbstsucht befreien kann, die, mehr oder weniger unbewusst, die rein menschliche Liebe mit ihrem Gut zu durchdringen trachtet (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 30. Juli 1941).

3. VOM SINN UND ZWECK DER EHE

DIE WERTE DER PERSÖNLICHKEIT und die Notwendigkeit sie zu achten, das ist ein Thema, das seit zwei Jahrzehnten die Schriftsteller immer mehr beschäftigt. In vielen dieser Arbeiten hat auch der Geschlechtsakt seinen festen Platz; man will ihn der Persönlichkeit der Ehegatten dienstbar machen.

Der eigentlichste und tiefste Sinn der Ausübung des ehelichen Rechts soll nach ihnen darin bestehen, dass die körperliche Vereinigung Ausdruck und Verwirklichung der persönlichen Liebesverbindung ist.

Zeitungsartikel, Abhandlungen und ganze Bücher, Vorträge, besonders auch über die "Technik der Liebe", werden aufgeboten, um diese Ideen zu verbreiten, sie mit Ratschlägen für die Neuvermählten zu erläutern, damit diese nicht aus Torheit, aus falsch verstandener Scham oder unbegründeter Ängstlichkeit das vernachlässigen, was Gott, der auch die natürlichen Triebe geschaffen hat, ihnen schenkt. Wenn aus dieser gänzlichen Hingabe der Gatten gegeneinander ein neues Leben erwächst, so ist dies ein Ergebnis, das außerhalb oder höchstens am Rande der "Persönlichkeitswerte" liegt, ein Ergebnis, das man nicht leugnet, von dem man aber nicht möchte, dass es gleichsam im Mittelpunkt der ehelichen Beziehungen stehe.

Wenn diese einseitige Bewertung nichts weiter bewirken würde, als dass man den Akzent eher auf den Persönlichkeitswert der Ehegatten als auf den der Nachkommenschaft legt, so könnte man den ganzen Fragenkomplex vielleicht beiseite lassen. Tatsächlich aber handelt es sich hier um eine schwerwiegende Verkehrung der Wertordnung und der Zwecke, die der Schöpfer selbst gesetzt hat. Wir stehen der Propagierung eines Komplexes von Vorstellungen und Gefühlen gegenüber, die der Klarheit, der Tiefe und dem Ernst des christlichen Gedankens geradezu entgegengesetzt ist.

Die Wahrheit ist, dass die Ehe als natürliche Einrichtung nach dem Willen des Schöpfers nicht die persönliche Vollendung der Gatten zum ersten und innersten Zweck hat, sondern die Zeugung und Heranbildung neuen Lebens. Die anderen Zwecke, wie sehr auch sie von der Natur beabsichtigt sind, sind nicht von demselben Wertrang wie der erste, und noch weniger stehen sie über ihm, sondern sie sind ihm wesentlich untergeordnet. Das gilt für jede Ehe, auch die unfruchtbare - so wie man von jedem Auge sagen kann, es sei bestimmt und gebildet zu sehen, auch wenn es in Ausnahmefällen infolge besonderer innerer oder äußerer Umstände niemals imstande sein wird, zur Wahrnehmung des Sehens zu führen.

Gerade um alle Unsicherheiten und Abweichungen zu beheben, die Irrtümer über die Rangordnung der Zwecke in der Ehe und ihre gegenseitigen Beziehungen zu verbreiten drohten, veröffentlichten Wir selbst vor einigen Jahren (10. März 1944) eine Erklärung über die Ordnung jener Zwecke, wobei Wir auf das hinwiesen, was schon die innere Struktur der natürlichen Anlage erkennen lässt, so dass das Erbe der christlichen Überlieferung ist, wie es die Päpste wiederholt gelehrt haben und was dann in entsprechender Form im kanonischen Recht niedergelegt worden ist. Um die widerstreitenden Meinungen richtigzustellen, hat sogar der Heilige Stuhl kurz danach in einem öffentlichen Erlaß kundgetan, dass die Ansicht einiger neuerer Autoren nicht gebilligt werden könne, die da leugnen, dass der Hauptzweck der Ehe die Zeugung und Erziehung der Nachkommen sei, die hingegen lehren, dass die sekundären Zwecke ihrem Wesen nach dem ersten nicht untergeordnet, sondern gleichzuachten und von ihm unabhängig seien.

Soll damit etwa geleugnet oder herabgesetzt werden, wie viel Gutes und Rechtes in den Persönlichkeitswerten liegt, die aus der Ehe und ihrer Verwirklichung hervorgehen? Gewiss nicht, da der Schöpfer in der Ehe menschliche Wesen aus Fleisch und Blut, mit Geist und Herz begabt, zur Zeugung neuen Lebens bestimmt hat. Und sie sind berufen, gerade als Menschen und nicht wie vernunftlose Wesen, Urheber ihrer Nachkommenschaft zu sein. Deswegen will der Herr die Vereinigung der Ehegatten. In der Tat sagt die Heilige Schrift, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen und er habe ihn als Mann und Frau geschaffen, und er habe gewollt - dass "der Mann Vater und Mutter verlasse und sich mit seinem Weibe vereine, auf dass sie ein Fleisch seien".

Dies alles ist also von Gott gewollt; aber es darf nicht von der wichtigsten Aufgabe der Ehe getrennt werden, nämlich dem Dienst am neuen Leben. Nicht nur das gemeinsame Werk des äußeren Lebens, sondern auch die ganze persönliche Vervollkommnung, selbst die geistige und seelische, sogar das, was an tiefsten seelischen Werten in der ehelichen Liebe als solcher liegt, ist durch den Willen der Natur und des Schöpfers in den Dienst der Nachkommen gestellt worden. Seiner Natur nach bedeutet das vollkommene Eheleben die gänzliche Hingabe der Eltern zum Wohl der Kinder, und die eheliche Liebe in ihrer Kraft und Zartheit ist selber eine Forderung der Sorge um die Nachkommenschaft und die Gewähr ihrer Verwirklichung.

Der eheliche Akt

Das Zusammenleben der Ehegatten und den ehelichen Akt auf eine bloße organische Funktion zur Übertragung der Keimzellen zurückzuführen, wäre genau so, als wollte man den häuslichen Herd, das Heiligtum der Familie, in ein einfaches biologisches Laboratorium verwandeln. Daher haben Wir in Unserer Ansprache vom 29. September 1949 an den Internationalen Kongress katholischer Ärzte die künstliche Befruchtung ausdrücklich aus der Ehe gebannt.

Der eheliche Akt ist seiner natürlichen Struktur nach eine persönliche Handlung, ein gleichzeitiges und unmittelbares Zusammenwirken der Gatten. Er ist, eben aus der Natur der wirkenden Personen und der Eigenart des Aktes, Ausdruck der gegenseitigen Hingabe, die, nach dem Wort der Schrift, die Vereinigung "in einem Fleisch" verwirklicht.

Das ist viel mehr als die Vereinigung zweier Keime, die auch künstlich bewirkt werden kann, das heißt ohne das naturgemäße persönliche Handeln der Ehegatten. Der eheliche Akt, von der Natur geordnet und gewollt, ist ein persönliches Zusammenwirken, zu dem sich die Ehegatten, wenn sie die Ehe schließen, gegenseitig das Recht erteilen.

Wenn aber diese Leistung von Anfang an und für immer in ihrer natürlichen Form unmöglich ist, so ist der Gegenstand des Ehevertrages mit einem wesentlichen Fehler behaftet. Das ist es, was Wir damals sagten: "Man vergesse nicht: Nur die Zeugung eines neuen Lebens nach dem Willen und Plan des Schöpfers bringt, in einem staunenswerten Grad der Vollendung, die Verwirklichung der beabsichtigten Zwecke mit sich. Sie entspricht zu gleicher Zeit der körperlichen und geistigen Natur und der Würde der Ehegatten wie der normalen und glücklichen Entwicklung des Kindes."

Die persönlichen Werte des Ehelebens, sowohl im körperlich-sinnlichen Bereich als auch im geistigen, sind wirklich echt, aber sie sind vom Schöpfer in der Rangordnung der Werte nicht an die erste, sondern an die zweite Stelle gesetzt worden. - Wir möchten alsdann auch noch eine andere Erwägung vorlegen, die in Vergessenheit zu geraten droht: Alle diese sekundären Werte des geschlechtlichen Bereichs und seiner Betätigung fallen mit unter die eigentliche Aufgabe der Ehegatten, die Aufgabe nämlich, Urheber und Erzieher des neuen Lebens zu sein. Eine hohe und edle Aufgabe! Sie gehört jedoch nicht zum Wesen des vollkommenen Menschen, so, als ob, wenn der natürliche Fortpflanzungstrieb sich nicht verwirklichen kann, in einem gewissen Sinn und Grad eine Verminderung der menschlichen Person vorläge. Der Verzicht auf diese Verwirklichung ist nicht - besonders wenn er aus edlen Motiven geschieht eine Verstümmelung der persönlichen und geistigen Werte. Von diesem freien Verzicht aus Liebe zum Reich Gottes hat der Herr selbst gesagt: Non omnes capiunt verbum istud, sed quibus datum est - Nicht alle verstehen dieses Wort, sondern nur die, denen es gegeben ist (Mt 19, 11).

Wenn man, wie es heute nicht selten geschieht, die Zeugungsfunktion, auch in der rechten und ethisch erlaubten Form des ehelichen Lebens, übermäßig verherrlicht, so ist das nicht nur ein Irrturn und eine Verirrung; es birgt auch die Gefahr einer Entgleisung von Geist und Gemüt in sich, die geeignet ist, gute und edle Gefühle zu ersticken. Dies besonders in der noch unerfahrenen Jugend, die die Enttäuschungen des Lebens nicht kennt. Und welcher normale, an Leib und Seele gesunde Mensch möchte zur Zahl der geistig und charakterlich Schwachen gehören?

Der Geschlechtstrieb

Diese Unsere Darlegung wäre jedoch unvollständig, wenn Wir darüber hinaus nicht ein kurzes Wort zur Verteidigung der menschlichen Würde im Gebrauch des Geschlechtstriebs hinzufügten.

Derselbe Schöpfer, der in seiner Güte und Weisheit zur Erhaltung und Vermehrung des Menschengeschlechts sich des Wirkens von Mann und Frau in der ehelichen Vereinigung bedient, hat auch gewollt, dass die Ehegatten bei diesem Tun in Körper und Geist eine Lust und ein Glücksgefühl verspüren. Wenn also die Ehegatten diese Lust suchen und genießen, so tun sie nichts Böses; sie nehmen an, was ihnen der Schöpfer bestimmt hat.

Nichtsdestoweniger müssen die Ehegatten auch hier in den Grenzen des rechten Maßhaltens bleiben. Wie beim Genuss von Speisen und Getränken dürfen sie sich auch beim Geschlechtsgenuss nicht zügellos dem Antrieb der Sinne hingeben. Die rechte Norm ist daher diese: Der Gebrauch der natürlichen Geschlechtsanlage ist sittlich erlaubt nur in der Ehe, im Dienste der Ehe und zweckordnungsgemäß. Daraus folgt, dass das Begehren und der Genuss dieser Lust und ihrer Befriedigung auch nur in der Ehe und bei Beachtung dieser Regel erlaubt sind. So untersteht der Genuss dem Gesetz der Handlung, aus der er sich ableitet, und nicht umgekehrt die Handlung dem Gesetz des Genusses. Und dieses so sinnvolle Gesetz betrifft nicht nur das Wesentliche, sondern auch die Umstände der Handlung, dergestalt, dass man, selbst wenn die Substanz des Aktes unverletzt bleibt, in der Art der Ausführung sündigen kann.

Die tatsächliche Überschreitung dieser Regel ist alt wie die Erbsünde. Aber in unserer Zeit läuft man Gefahr, gerade das grundlegende Prinzip selbst aus dem Auge zu verlieren. In der Tat pflegt man jetzt (und sogar Katholiken tun das) in Wort und Schrift die notwendige Eigengesetzlichkeit, den Selbstzweck und den Eigenwert des Bereiches des Sinnlichen zu vertreten, unabhängig von dem Zweck der Zeugung neuen Lebens. Man möchte sogar die von Gott gesetzte Ordnung einer neuen Prüfung und einer neuen Norm unterwerfen. Man will für die Art der Triebbefriedigung nur die Hemmung gelten lassen, die in der Einhaltung des Wesens der Triebhandlung besteht. Damit würde man an die Stelle der sittlichen Pflicht, die Leidenschaften zu beherrschen, die Freiheit setzen, blind und zügellos den Launen und Antrieben der Natur zu dienen, was früher oder später der Moral, dem Gewissen und der menschlichen Würde zum Schaden gereichen muss.

Hätte es die Natur ausschließlich, oder wenigstens in erster Linie, auf die gegenseitige Hingabe und das Einanderbesitzen der Ehegatten in Freude und Genuss abgesehen, und hätte sie diesen Akt nur angeordnet, um deren persönlicher Erfahrung den höchstmöglichen Grad von Glück zu sichern, und nicht, um sie zum Dienst am Leben anzuspornen, dann hätte der Schöpfer bei der Bildung und Verfassung des natürlichen Aktes einen anderen Plan zugrunde gelegt. All dies ist jedoch dem einen großen Gesetz der "Zeugung und Erziehung der Nachkommenschaft" untergeordnet, das heißt der Erfüllung des Hauptzweckes der Ehe als des Ursprungs und der Quelle des Lebens.

Leider überschwemmen immer wieder Wellen von Hedonismus die Welt und drohen das gesamte eheliche Leben in der wachsenden Flut von Gedanken, Wünschen und Handlungen zu versenken, nicht ohne ernste Gefahr und schweren Schaden für die wichtigste Aufgabe der Ehegatten.

Allzu oft schämt man sich nicht einmal, diesen widerchristlichen Genuss als Doktrin aufzustellen, indem man dem Verlangen nachgibt, den Genuss bei Vorbereitung und Ausführung der ehelichen Vereinigung immer mehr zu steigern; als ob in den ehelichen Beziehungen das ganze Sittengesetz sich auf die richtige Ausführung des Aktes selbst beschränke und als ob alles übrige, ganz gleich wie es getan werde, gerechtfertigt sei mit dem Überströmen der gegenseitigen Zuneigung, geheiligt durch das Sakrament der Ehe, Lobes- und lohneswürdig vor Gott und dem Gewissen. Um die Würde des Menschen und die Würde des Christen, welche die Ausschreitungen der Sinne zügelt, kümmert man sich nicht ...

Manche möchten geltend machen, das Glück in der Ehe stehe in geradem Verhältnis zu dem wechselseitigen Genuss in den ehelichen Beziehungen. Nein! Das Glück in der Ehe steht vielmehr in geradem Verhältnis zu der gegenseitigen Achtung der Ehegatten, auch in ihren vertraulichsten Beziehungen - nicht dass sie etwa das, was die Natur ihnen bietet und der Schöpfer ihnen geschenkt hat, für unsittlich halten und zurückweisen, sondern weil diese Achtung und die gegenseitige Hochschätzung eines der wirksamsten Elemente einer reinen, und darum um so zarteren Liebe ist. Diese Unsere Lehre hat nichts mit Manichäismus und Jansenismus zu tun, wie einige, um sich selbst zu rechtfertigen, glauben machen wollen. Sie ist vielmehr eine Verteidigung der Ehre der christlichen Ehe und der persönlichen Würde der Ehegatten (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 29. Oktober 1951).

4. ÜBER EHEFRAGEN

DER EINHEIT DES EHELICHEN BANDES sehen wir das Siegel der Unauflöslichkeit aufgeprägt. Gewiss ist es ein Band, zu dem auch die Natur hinneigt, das aber nicht notwendig durch die Prinzipien der Natur verursacht ist, sondern durch den freien Willen vollzogen wird. Der einfache Wille der Kontrahenten kann es knüpfen, vermag es aber nicht mehr zu lösen. Das gilt nicht nur für die christliche Ehe, sondern allgemein für jede gültige Ehe, die hier auf Erden in gegenseitiger Einwilligung der Ehegatten geschlossen wird.

Wenn aber der Wille der Eheleute das eheliche Band nicht mehr lösen kann, darf es dann vielleicht die von Christus für das religiöse Leben der Menschen eingesetzte Obrigkeit tun, die über den Eheleuten steht?

Das Band der christlichen Ehe ist so stark, dass, wenn es durch den Gebrauch der ehelichen Rechte seine volle Festigkeit erlangt hat, keine Macht der Welt, nicht einmal die Unsere, die des Stellvertreters Christi, stark genug ist, es zu lösen. Wahr ist, dass Wir erkennen und erklären können, dass eine Ehe, die als gültig geschlossen wurde, in Wirklichkeit wegen irgendeines Hindernisses, eines wesentlichen Mangels oder eines substantiellen Formfehlers nichtig war. Wir können auch in besonderen Fällen aus schwerwiegenden Gründen Ehen lösen, denen der sakramentale Charakter fehlt. Wir können sogar, falls ein gerechter und angemessener Grund vorliegt, die Verbindung zwischen christlichen Eheleuten, das von ihnen vor dem Altar gesprochene Ja aufheben, wenn feststeht, dass sie nicht ihre Vollendung mit der Verwirklichung des ehelichen Zusammenlebens erreicht hat. Ist dies aber einmal geschehen, so bleibt das Band jeder menschlichen Gewalt entzogen. Hat nicht Christus die eheliche Gemeinschaft auf jene fundamentale Würde zurückgeführt, die der Schöpfer am Paradiesesmorgen des Menschengeschlechts ihr gegeben hatte, auf die unverletzliche Würde der einen und unauflöslichen Ehe?

Jesus Christus, der Erlöser der gefallenen Menschheit, war nicht gekommen, um das göttliche Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen und wiederherzustellen, um - Gesetzgeber mehr als Moses,

Weiser mehr als Salomo, Prophet mehr als die Propheten - wahr zumachen, was von ihm vorhergesagt worden war, vorausverkündigt gleich Moses, erwartet von den Kindern Israel, auf dessen Lippen der Herr sein Wort gelegt hatte, während alle, die nicht auf ihr hörten, aus dem Volke Gottes ausgerottet werden sollten. Daher erhöhte Christi unvergängliches Wort in der Ehe den Mann und erhöhte aufs neue die Frau, die in der vorchristlichen Ära als Sklavin erniedrigt worden war, die der strengste Zensor Roms einer "ungezügelten Natur und einem ungezähmten Tier" gleichgestellt hatte. Derselbe Erlöser hatte schon in sich selbst nicht nur den Mann erhöht, sondern auch die Frau, indem er von einer Frau die Menschennatur annahm, und seine Mutter, gebenedeit unter den Weibern, die im Himmel zur Königin der Engel und der Heiligen gekrönt wurde, zum makellosen Spiegel der Tugend und der Gnade für jede christliche Familie durch alle Jahrhunderte hindurch erhob.

Erhöhung und Unauflösbarkeit

Jesus und Maria heiligten durch ihre Gegenwart die Hochzeit zu Kana; dort wirkte der göttliche Sohn der Jungfrau das erste Wunder, wie um vorauszusagen, dass er seine Sendung in der Welt und das Reich Gottes mit der Heiligung der Familie und der ehelichen Vereinigung, dem Ursprung des Lebens, einleiten werde. Dort begann die Erhöhung der Ehe, welche in der übernatürlichen Welt jener Zeichen, die die heiligmachende Gnade bewirken, zum Sinnbild der Verbindung Christi mit der Kirche werden sollte: einer unauflöslichen und untrennbaren Verbindung, die von jener unbedingten und unendlichen Liebe genährt wird, deren Quell aus dem Herzen Christi fließt. Wie könnte die eheliche Liebe das Symbol dieser Verbindung sein und sich nennen, wenn sie mit Vorbedacht begrenzt, bedingt, auflösbar wäre, wenn sie eine Flamme der Liebe nur auf Zeit wäre? Nein! Zur erhabenen und heiligen Würde des Sakraments erhoben, durchdrungen und gebunden in eine so innige Verknüpfung mit der Liebe des Erlösers und mit dem Werk der Erlösung, kann die eheliche Verbindung nur unlösbar und ewig sein.

Gegenüber diesem Gesetz der Unauflöslichkeit haben die menschlichen Leidenschaften, von ihm gezügelt und eingedämmt in der freien Befriedigung ihrer ungeordneten Begehrlichkeit, auf jede Weise versucht, sein Joch abzuschütteln. Sie wollten in ihm nichts anderes sehen als eine harte Tyrannei, welche die Gewissen willkürlich mit einer unerträglichen Last beschwert, mit einer Sklaverei, die den geheiligten Rechten der Person widerstreitet. Es ist wahr: Eine Bindung kann mitunter eine Beschwernis, eine Knechtschaft sein gleich der Kette, die den Gefangenen fesselt. Aber sie kann auch eine mächtige Hilfe, eine sichere Bürgschaft sein wie das Seil, das den Bergsteiger an seine Gefährten bindet, oder wie die Bänder, welche die Teile des menschlichen Körpers verbinden und ihn frei und gewandt in seinen Bewegungen machen; und eben dies ist der Fall bei der unauflöslichen Ehe (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 22. April 1942).

Treue

Als unauflöslicher Vertrag hat die Ehe die Kraft, die Ehegatten in einem sozialen und religiösen Stand zu konstituieren und zu binden, der in seiner Art rechtmäßig und ewig ist und allen anderen Verträgen in der Weise überlegen, dass keine Macht der Welt - in dem Sinn und Umfang, die Wir bei anderer Gelegenheit dargelegt haben - ihn zu lösen vermag. Vergebens würde einer der Partner versuchen, sich davon zu befreien; der Vertrag mag verletzt, verleugnet, zerrissen sein, aber er lockert nicht seine Bindung. Sie besteht weiterhin mit derselben Kraft wie an dem Tag, an dem die Einwilligung der Kontrahenten ihn vor Gott besiegelte. Auch das Opfer kann nicht von dem geweihten Band gelöst werden, das es an den oder an die bindet, der oder die es verraten haben. Dieses Band löst sich auf, oder vielmehr es zerbricht, nur mit dem Tod.

Nichtsdestoweniger besagt die Treue noch etwas Mächtigeres, Tieferes, aber auch Zarteres und unendlich Beglückenderes. Indem der Ehevertrag die Gatten in einer sozialen und religiösen Lebensgemeinschaft vereint, muss er die Grenzen genau bestimmen, in denen er verpflichtet, und die Möglichkeit eines äußeren Zwanges einschließt, auf den einer der beiden Partner zurückgreifen kann, um den anderen zur Erfüllung der frei übernommenen Pflichten zu zwingen. Aber während diese rechtlichen Bestimmungen, die gleichsam der materielle Inhalt des Vertrages sind, ihm notwendigerweise ein beinahe kaltes, formales Aussehen geben, ist die Treue gleichsam seine Seele und sein Herz.

Denn was ist die Treue anderes als die ehrfürchtige Achtung vor dem Geschenk, das die Gatten unter sich ausgetauscht haben, das Geschenk ihrer selbst, ihres Leibes, ihres Geistes, ihres Herzens, für das ganze Leben und ohne anderen Vorbehalt als den der Rechte Gottes?

Die Frische blühender Jugend, zurückhaltende Eleganz, Natürlichkeit und Feinheit des Benehmens, die innere Güte des Gemüts, alle diese guten und schönen Reize, die den undefinierbaren Zauber des reinen, unschuldigen jungen Mädchens ausmachen, haben das Herz des jungen Mannes erobert und haben sich ihn im Schwung einer feurigen und reinen Liebe so geneigt gemacht, dass er vergebens ein Bild sucht, das einen so erlesenen Zauber auszuüben vermöchte. Auf der anderen Seite hat das junge Mädchen die männliche Schönheit, den stolzen, geraden Blick, den fest entschlossenen Schritt des Mannes geliebt, auf dessen kräftigen Arm sie ihre zarte Hand auf dem harten Weg des Lebens stützen wird.

Liebe und Entsagung

Zwar haben die Jahre, die über Schönheit und Jugendträume hinweggehen, ihr ein wenig von ihrer Frische geraubt, ihr dafür aber ernstere und gedankenvollere Würde hinterlassen. Die wachsende Familie hat das Gewicht auf den Schultern des Vaters drückender gemacht. Die Mutterschaft mit ihren Beschwerden, ihren Leiden, ihren Gefahren fordert Mut: Die Gattin muss sich auf dem Feld der Ehre ehelicher Pflicht nicht weniger heldenhaft erweisen als der Gatte auf dem Felde der Ehre der Bürgerpflicht, auf dem er dem Vaterland sein Leben darbringt. Wenn Entfernung, Abwesenheit, erzwungene Trennung oder andere schwierige Umstände eintreten, die ein Leben der Enthaltsamkeit fordern, dann erfüllen die Eheleute, eingedenk dessen, dass der Leib des einen das Gut des anderen ist, ohne Zaudern Forderungen und Folgen der Pflicht und beugen sich großmütigen Herzens ohne Schwäche der strengen Zucht, die von ihnen gefordert wird (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 21 Oktober 1942).

Rechte ohne Pflichten?

Die Zeit ist vorbei, in der die jungen Mädchen oft in die Ehe traten, fast ohne ihren Ehepartner zu kennen. Leider aber dauert die Zeit noch an, in der manche jungen Ehemänner sich am Anfang eine Periode moralischer Freiheiten gestatten und glauben, sie dürften von ihren Rechten Gebrauch machen, ohne sich um ihre Pflichten zu kümmern. Schwere Schuld, die den göttlichen Zorn herausfordert; Quelle auch zeitlichen Unheils, dessen Folgen allen Furcht einflößen sollten. Die Pflicht, die man zu verkennen oder zu verachten beginnt, vernachlässigt man mit der Zeit immer mehr, so dass sie schließlich fast ganz vernachlässigt wird und mit ihr die Freuden, die ihre mutige Beobachtung mit sich bringt. Und wenn dann die Erinnerung wiederkehrt und die Reue kommt, so kommt manchmal unter vergeblichen Tränen die Einsicht, dass es zu spät ist; dem Paar, das gegen seine Aufgabe untreu gewesen, bleibt nichts mehr übrig, als in der Wüste seiner unfruchtbaren Selbstsucht hoffnungslos zu verdorren (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 24. Juli 1940).

Das Glück der Ehe

Aus offenem Herzen strömt Glück in das gemeinsame Leben der Ehegatten, während das verschlossene Herz Freude und Frieden verscheucht. Täuscht euch nicht, wenn ihr vom Herzen redet: Es ist Sinnbild und Abbild des Willens. Wie das leibliche Herz Ausgang aller körperlichen Bewegungen ist, so ist der Wille Ausgang aller geistigen Regungen.

Das gegenseitige Vertrauen und Sichöffnen der Herzen, diese gegenseitige Einfalt, mit der man seine Gedanken, Bestrebungen, Sorgen, Freuden und Kümmernisse zur gemeinsamen Sache macht, eine notwendige Bedingung, ein Element, ist ein wesentlicher Nährstoff des Glücks.

Wir wollen damit nicht sagen, dass das gegenseitige Sichöffnen der Herzen keine Grenzen haben darf. Es gibt unverletzliche Geheimnisse, denen die Natur der Sache, ein gegebenes Versprechen oder ein erwiesenes Vertrauen das Wort versagen. Ein Ehegatte, der Arzt, Advokat, Offizier, Staatsbeamter oder Angestellter einer Behörde ist, wird viele Dinge wissen oder erfahren, die ihm das Berufsgeheimnis nicht auszusprechen erlaubt, nicht einmal seiner Frau gegenüber, die ihm, wenn sie weise und klug ist, das eigene Vertrauen damit erzeigen wird, dass sie sein Schweigen gewissenhaft achtet und ehrt und nichts versucht noch unternimmt, in sein Schweigen einzubrechen. Außerhalb dieser persönlichen und unverletzlichen Geheimnisse aber müssen sich die Herzen zusammenfinden, wie um aus zwei Seelen eine einzige zu machen (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 12. November 1941).

Die Ehegatten sind durch die Gnade Gottes in gleicher Weise und unmittelbar mit Christus vereint.

Die Lebensumstände führen dazu, praktisch einen weitgehenden Ausgleich zwischen den Tätigkeiten des Mannes und denen der Frau zu schaffen, so dass sich die Eheleute nicht selten in einer Lage befinden, die fast bis an die Gleichheit herankommt.

Und doch könnte die christliche Auffassung der Ehe, die der heilige Paulus seine Jünger in Ephesus wie auch jene in Korinth lehrte, nicht klarer und deutlicher sein: "Die Frauen seien ihren Männern untertan, wie dem Herrn; denn der Mann ist das Oberhaupt der Frau, wie Christus das Oberhaupt der Kirche ist ... Wie die Kirche Christo untertan ist, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allen Dingen. Und ihr, Männer, liebet eure Frauen, wie Christus die Kirche liebte und sich für sie hingab ... Jeder von euch liebe seine Frau wie sich selbst, und die Frau achte den Gatten."

Was ist diese Lehre Pauli anderes als die Lehre Christi? So hat der göttliche Erlöser wiederhergestellt, was das Heidentum aufgelöst hatte. Weder Athen noch Rom, Wegweiser der Kultur, die der Familie natürliches Licht geschenkt haben, brachten es, weder in hohen Spekulationen der Philosophie noch durch die Weisheit ihres Gesetzes, zustande, der Frau ihren eigentlichen Platz in der Familie wirksam anzuweisen (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 10. September 1941).

Während nun aber niemand ohne Vorbereitung und Übung Mechaniker oder Ingenieur, Arzt oder Advokat wird, heiraten seltsamerweise täglich viele junge Menschen, ohne auch nur einen Augenblick daran gedacht zu haben, sich auf die schweren Pflichten vorzubereiten, vor denen sie bei der Erziehung ihrer Kinder stehen werden (Aus der Ansprache an die Frauen der Katholischen Aktion, 26. Oktober 1941).

Versuchungen

Man braucht keine ausgebreitete Kenntnis und Erfahrung in Familienereignissen zu haben, um zu wissen, wie häufig die beklagenswerten Fehltritte sind, die eine rein und aufrichtig begonnene Liebe zu Fall gebracht und getötet haben, und noch weniger, um jene Schwachheiten zu verstehen, die flüchtig sind wie die Leidenschaft, deren Verwundung aber, auch wenn sie verziehen, selbst wenn sie wiedergutgemacht wurde, im innersten der beiden Herzen eine schmerzende Narbe zurücklässt.

Betrachtet auf der einen Seite den Ehemann, der im Schweiße seines Angesichts nicht den Ausgaben für ein Luxusleben gerecht werden kann, auf der anderen die Ehefrau, die, von Kindern und Gedanken beschwert und mit beschränkten Mitteln, nicht mit einem Zauberstab das bescheidene Heim in ein Schloss verwandeln kann, und dann sagt, ob diesen Eheleuten ihre immer gleichen Tage ohne außergewöhnliche Ereignisse nicht sehr dürftig erscheinen werden im Vergleich mit jenen romanhaften Phantasien. Allzu bitter ist das Erwachen für den, der ständig in einem goldenen Traum lebt; allzu lebhaft die Versuchung, ihn zu verlängern und in der Wirklichkeit fortzusetzen. Wie viele Tragödien der Untreue haben keinen anderen Grund als diesen! Und wenn der eine der Gatten, der treu geblieben, über die Verirrung des Schuldigen, der ihm doch immer noch lieb und teuer ist, wehklagt, ohne etwas davon zu begreifen, so vermutet er nicht im entferntesten seinen Teil Schuld in jenem Straucheln, das den Ehepartner zu Fall brachte. Er weiß nicht, dass die eheliche Liebe von dem Augenblick an, in dem sie ihre Unbefangenheit, ihre starke Zärtlichkeit, ihre heilige Fruchtbarkeit verliert und der profanen, selbstsüchtigen Liebe sich angleicht, leicht in Versuchung gerät, anderswo den vollen Genuss zu suchen.

Unklug sind die Ehemänner, die, ihrer Frau zu Gefallen oder um ihre eigene Eitelkeit zu befriedigen, sie ermuntern, sich allen Launen und den kühnsten Extravaganzen der Mode in Kleidung und Lebenshaltung hinzugeben. Unerfahrene junge Frauen ahnen vielleicht nicht einmal, welchen Gefahren sie auf diese Weise sich und andere aussetzen. Hier liegt nicht selten der Ursprung für viele unerwünschte Vorkommnisse.

Mäßigung

Die Tugend liegt in der Mitte. Sie kann nicht nur in ein Übermaß von Nachgiebigkeit verfallen, sondern auch in das entgegengesetzte Übermaß der Strenge. Der Fall ist zweifellos selten, aber doch nicht ohne Beispiel. Übertriebene Strenge, die den häuslichen Herd in eine traurige Stätte ohne Licht und Freude, ohne gesunde und heilsame Erholungen, ohne weite Horizonte der Tätigkeit verwandelt, könnte zu derselben Unordnung wie der Leichtsinn führen. Wer sieht nicht im voraus, dass, je strenger der Zwang ist, desto größer die Gefahr einer gewaltsamen Reaktion wird? Das Opfer dieser Tyrannei wird früher oder später versucht sein, das eheliche Leben abzubrechen. Aber wenn die zerstörenden Wirkungen des Leichtsinns dem Leichtsinnigen oft die Augen öffnen und ihn zu besserem Rat und größerem Ernst zurückführen, so pflegt man die Verirrungen, die eine zermürbende Strenge geboren hat, gerade dem Mangel an hinreichender Strenge zuzuschreiben, und dadurch nehmen sie noch schlimmere Formen an.

Fern von diesen beiden Extremen - zu großer Nachgiebigkeit und zu großer Strenge - herrsche unter euch die Mäßigung, die nichts anderes ist als der tugendhafte Sinn für das Maß und das, was sich geziemt. Der Ehemann wünsche und freue sich, seine Frau sich mit sittsamer Eleganz kleiden und bewegen zu sehen, entsprechend seinen Mitteln und seiner sozialen Lage, und er erfreue sie zuweilen mit irgend einem passenden Geschenk, einer liebenswürdigen Aufmerksamkeit, einem Lob ihrer Anmut und Grazie. Die Frau ihrerseits halte ihrem Hause fern alle für das Auge des Christen oder das Schönheitsgefühl beleidigende Ungebührlichkeit wie auch jede übertriebene Strenge. Beide mögen, auch gemeinsam, gute und nützliche Bücher lesen, die Belehrung bieten, die ihre Kenntnisse und ihre Ansichten über die Kunst oder Arbeit erweitern, sie vom Gang der Ereignisse unterrichten, sie tiefer und besser belehren im Glauben und in der Tugend erhalten. Sie mögen sich gern und mit gebührender Bescheidung jene gesunden und anständigen Vergnügungen gewähren, die Erholung bringen und den Frohsinn aufrechterhalten.

Eifersucht

Eine gefährliche Klippe, die überwunden werden muss, ist schließlich die Eifersucht, die aus der Leichtfertigkeit ebenso wie aus der Strenge entstehen kann: die gefährliche Klippe der Treue. Ein unvergleichlicher Psychologe, der hl. Joh. Chrysostomus, hat sie mit meisterhafter Beredsamkeit geschildert: "Alles, was man von diesem Übel sagen kann, wird nie genug ausdrücken, wie ernst es ist. Beginnt ein Mann einmal gegen jene Verdacht zu hegen, die er über alles auf Erden liebt und für die er gern auch sein Leben hingäbe, worin könnte er da Trost finden? ... Wenn aber der Mann sich angstvoll in diesen Leiden windet, selbst wenn sie ohne Sinn und Grund sind, so wird die arme unglückliche Frau dadurch noch mehr gepeinigt. Der ihr Tröster in allen Nöten und ihre Stütze sein sollte, zeigt sich grausam und peinigt sie mit Feindseligkeiten ... Wer von solcher Krankheit befallen ist, ist geneigt, alles zu glauben, alle Anzeigen anzunehmen, ohne Wahres von Falschem zu unterscheiden, und ist eher bereit, das zu hören, was seinen Verdacht bestätigt, als was ihn zerstreuen möchte ... Gehen und Kommen, Worte und Blicke, die kleinsten Seufzer, alles wird belauert; die arme Frau muss alles schweigend ertragen; an das Ehebett sozusagen angekettet, kann sie sich keinen Schritt, kein Wort, keinen Seufzer erlauben, ohne darüber sogar den Knechten Rechenschaft geben zu müssen." Kann ein solches Leben nicht unerträglich werden? Und wenn das Licht und die Stütze einer wahren christlichen Tugend fehlt, ist es dann zu verwundern, dass man versucht, ihm zu entkommen und es zu fliehen im Schiffbruch der Treue? (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 10. November 1942).

5. DIE FAMILIE

IN DER ORDNUNG DER NATUR gibt es unter den gesellschaftlichen Einrichtungen keine, die der Kirche mehr am Herzen läge als die Familie. Christus hat die Ehe, die gleichsam ihre Wurzel ist, zur Würde des Sakraments erhoben. Die Familie hat in der Kirche immer Verteidigung, Schutz und Stütze gefunden für alles, was ihre unverletzlichen Rechte, ihre Freiheit, die Ausübung ihrer hohen Aufgabe angeht.

Wir haben oft und bei den verschiedensten Gelegenheiten zugunsten der christlichen Familie gesprochen, und in den meisten Fällen, um ihr zu Hilfe zu kommen und andere zu ihrer Hilfe aufzurufen, um sie aus den schwersten Bedrängnissen zu retten; vor allem, um ihr im Unheil des Krieges beizustehen. Die Schäden, die der erste Weltkrieg verursacht hatte, waren noch längst nicht wiedergutgemacht, als der zweite, noch furchtbarere Weltbrand sie auf die äußerste Spitze trieb. Langer Zeit und vieler Mühe der Menschen und noch mehr des göttlichen Beistandes wird es bedürfen, bevor die tiefen Wunden, die diese beiden Kriege der Familie geschlagen haben, anfangen werden zu vernarben.

Ein anderes Übel, das zum Teil auch den verheerenden Kriegen zuzuschreiben ist, außerdem aber eine Folge der Übervölkerung, ist die Wohnungskrise. Alle, die sich mühen, ihr abzuhelfen, Gesetzgeber, Staatsmänner, Mitglieder sozialer Organisationen, erfüllen, sei es auch nur mittelbar, ein Apostolat von hervorragendem Wert.

Das gleiche gilt für den Kampf gegen die Geißel der Arbeitslosigkeit und für die Einführung eines ausreichenden Familienlohnes, damit die Mutter nicht gezwungen sei, wie es allzu oft der Fall ist, Arbeit außerhalb des Hauses zu suchen, sondern sich dem Gatten und den Kindern widmen kann. Für die Schule und die religiöse Erziehung zu arbeiten: auch das ist ein wertvoller Beitrag zum Wohl der Familie. Es begünstigt in ihr eine gesunde Natürlichkeit und Einfachheit, stärkt die religiösen Überzeugungen und entfaltet um sie den Glanz christlicher Reinheit, die sie von den zerstörenden äußeren Einflüssen und von allen krankhaften Erregungen befreit, die im Gemüt des Heranwachsenden ungeordnete Leidensdlaften erwecken.

Die Familie Zuchtstätte 'Von "Menschenmaterial"?

Aber es gibt ein noch tieferes Elend, vor dem die Familie bewahrt werden muss, nämlich die erniedrigende Knechtschaft, auf die sie eine Geistesrichtung einschränkt, die danach trachtet, aus der Familie nichts weiter als einen Organismus im Dienste der Gesellschaft zu machen, um dieser eine hinreichende Masse von "Menschenmaterial" zu liefern.

Freilich bedroht noch eine andere Gefahr die Familie und nicht erst seit gestern, sondern seit langer Zeit, eine Gefahr, die aber jetzt zusehends wächst und verhängnisvoll für sie werden kann, weil sie die Familie in ihrem Keim angreift. Wir meinen die Umwälzung der ehelichen Moral in ihrem ganzen Umfang.

Wir haben im Lauf der letzten Jahre jede Gelegenheit benutzt, den einen oder anderen Punkt dieser Moral darzulegen, und erst kürzlich, um sie in ihrer Gesamtheit aufzuzeigen. Dabei widerlegten Wir nicht nur die Irrtümer, die sie verderben, sondern zeigten auch positiv den Sinn, die Aufgabe, die Wichtigkeit, den Wert dieser Moral für das Glück der Gatten, der Kinder und der ganzen Familie, für die Festigkeit und das höhere Wohl der Gesellschaft vom häuslichen Herd bis zum Staat und zur Kirche.

Im Mittelpunkt dieser Lehre erschien die Ehe als eine Einrichtung im Dienste des Lebens. In engstem Zusammenhang mit diesem Grundsatz haben Wir - nach der Lehre der Kirche - die Lehre erläutert, die eines der Hauptfundamente nicht nur der Ehemoral, sondern der Gesellschaftsmoral überhaupt ist: dass nämlich der unmittelbare Anschlag auf das unschuldige Menschenleben als Mittel zum Zweck - im vorliegenden Fall zu dem Zweck, ein anderes Leben zu retten - verboten ist.

Welches der Leben ist wertvoller?

Das unschuldige Menschenleben, in welcher Lage es sich auch befinden mag, ist vom ersten Augenblick seiner Existenz an jedem unmittelbaren, gewollten Angriff entzogen. Das ist ein grundlegendes Recht der menschlichen Person, das in der christlichen Auffassung des Lebens eine allgemeine Bedeutung hat. Es gilt ebenso für das noch im Mutterschoß verborgene Leben, wie für das bereits aus ihm hervorgetretene, ebenso gegen den direkten Abortus wie gegen die direkte Tötung des Kindes vor, während und nach der Geburt. So begründet auch die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Momenten in der Entwicklung des geborenen und des noch ungeborenen Lebens für das profane und das kirchliche Recht und hinsichtlich einiger zivil- und strafrechtlicher Folgen sein kann, nach dem Sittengesetz handelt es sich in all diesen Fällen um einen unerlaubten Anschlag auf das unverletzliche Menschenleben.

Dieser Grundsatz gilt für das Leben des Kindes wie für das der Mutter. Niemals und in keinem Falle hat die Kirche gelehrt, dass das Leben des Kindes vor dem Leben der Mutter den Vorrang haben müsse. Es ist irrig, die Frage mit dieser Alternative zu stellen: entweder das Leben des Kindes oder das Leben der Mutter. Nein. Weder das Leben der Mutter noch das Leben des Kindes kann einem Akt unmittelbarer Vernichtung ausgesetzt werden. Für den einen wie den anderen Teil kann es nur eine Forderung geben, nämlich alles aufzubieten, um das Leben beider zu retten, das Leben der Mutter und das Leben des Kindes.

Es ist eines der schönsten und idealsten Ziele der Medizin, immer neue Wege zu suchen, um das Leben beider zu sichern. Wenn trotz aller Fortschritte der Wissenschaft immer Fälle bleiben und auch in Zukunft bleiben werden, in denen man mit dem Tod der Mutter rechnen muss, sofern diese das Leben, das sie in sich trägt, bis zur Geburt bringen und nicht in Verletzung des göttlichen Gebots "Du sollst nicht töten!" vernichten will, so bleibt dem Menschen nichts anderes übrig, als sich bis zum letzten Augenblick zu bemühen, zu helfen und zu retten und sich, wenn es sein muss, in Ehrfurcht den Gesetzen der Natur und dem Walten der göttlichen Vorsehung zu beugen.

Erhaltung des Lebens der werdenden Mutter

Aber - so wendet man ein - das Leben der Mutter, vor allem der Mutter einer kinderreichen Familie, ist von unvergleichlich höherem Wert als das Leben eines ungeborenen Kindes. Die Anwendung der Theorie von der Abwägung der Werte auf den Fall, der uns hier beschäftigt, hat bereits Aufnahme in die juristischen Diskussionen gefunden.

Die Antwort auf diese peinigende Frage ist nicht schwer. Die Unverletzlichkeit des Lebens eines Unschuldigen hängt nicht von seinem größeren oder geringeren Wert ab. Schon vor mehr als zehn Jahren hat die Kirche ausdrücklich die Tötung des "als wertlos erachteten Lebens" verurteilt. Wer die traurigen Vorgänge kennt, die diese Verurteilung her aufforderten, wer die verhängnisvollen Folgen abzuschätzen weiß, die eintreten würden, wenn man die Unantastbarkeit des unschuldigen Lebens nach seinem Wert bemessen wollte, der weiß die Gründe wohl zu würdigen, die zu dieser Maßregel geführt haben.

Im übrigen, wer kann mit Sicherheit beurteilen, welches der beiden Leben in Wahrheit wertvoller ist? Wer kann wissen, welchen Weg das Kind gehen wird und welche Höhe des Wirkens und der Vollkommenheit es erreichen kann? Hier vergleicht man zwei Größen miteinander, von denen eine völlig unbekannt ist.

Wir haben mit Vorbedacht immer die Worte "direkter Anschlag auf das Leben des Unschuldigen", "direkte Tötung" gebraucht. Denn wenn zum Beispiel die Erhaltung des Lebens der werdenden Mutter - unabhängig von ihrer Schwangerschaft - dringend einen chirurgischen Eingriff oder eine andere therapeutische Maßnahme erforderte die als in keiner Weise gewollte oder beabsichtigte, aber unvermeidliche Begleiterscheinung den Tod des Fötusses zur Folge hätte, so könnte dies nicht ein direkter Anschlag auf das unschuldige Leben genannt werden. Unter solchen Bedingungen kann die Operation erlaubt sein, ebenso wie andere medizinische Eingriffe, vorausgesetzt, dass es sich um ein Gut von hohem Werte handelt, wie es das Leben ist, und dass es nicht möglich ist, die Operation bis nach der Geburt des Kindes aufzuschieben oder ein anderes wirksames Heilmittel zu verwenden.

Da es also die erste Aufgabe der Ehe ist, dem Leben zu dienen, richtet sich Unsere größte Freude und Unsere väterliche Dankbarkeit an jene großherzigen Eheleute, die aus Liebe zu Gott und im Vertrauen auf ihn, mutig eine kinderreiche Familie aufziehen.

Erlaubte Regulierung der Nachkommenschaft?

Andererseits weiß die Kirche die wirklichen Schwierigkeiten des Ehelebens in unseren Tagen mit Teilnahme und Verständnis zu betrachten. Daher haben Wir die Rechtmäßigkeit und zugleich die - in Wahrheit sehr weiten - Grenzen einer Regulierung der Nachkommenschaft ausgesprochen, die, im, Gegensatz zur so genannten "Geburtenkontrolle", mit dem Gesetz Gottes vereinbar ist. Man kann sogar hoffen - aber auf diesem Gebiet überlässt die Kirche natürlicherweise der medizinischen Wissenschaft das Urteil -, dass es dieser gelingt, jener erlaubten Methode eine hinreichend sichere Basis zu geben, und die jüngsten Nachrichten scheinen eine solche Hoffnung zu bestätigen.

Um im übrigen die vielfachen Prüfungen des Ehelebens zu bestehen, sind vor allem der lebendige Glaube eine Hilfe wie auch der Empfang der Sakramente, aus denen Ströme von Kraft hervorbrechen, von deren Wirkung sich jene, die außerhalb der Kirche leben, schwerlich eine klare Vorstellung machen können (Aus der Ansprache an den Kongress "Front der Familie", 27. November 1951).

6. AN DIE FAMILIENVÄTER

WAS IST VATERSCHAFT, wenn nicht Übermittlung des Seins? Gott ist der Vater des Weltalls: "Nobis unus est Deus, Pater, ex qua omnia. Wir aber haben nur einen Gott, den Vater, aus dem alles erschaffen ist" (1. Kor 8,6). Gott ist der Vater, der Himmel, Sonne, die Sterne erschaffen hat, die vor seinem Angesicht leuchten und seinen Ruhm verkünden. Gott ist der Vater, der diese Erde gebaut und gestaltet hat, der auf ihr Blumen und Wälder wachsen lässt, der sie ausgestattet hat mit Vogelnestern, mit unerreichbaren Schlupfwinkeln für die Fische, mit Korallenmeeren, mit Hürden voll von Lämmern und zahllosen Herden, mit Höhlen wilder Tiere und brüllender Löwen, die darauf warten, sich auf die Beute zu stürzen. All dieses unermessliche und vielfältige Leben ist das Werk der Liebe Gottes, das in seinem Wachsen und in seiner Entfaltung von seiner väterlichen Vorsehung geleitet, gestützt und umhüllt ist ...

Aber die unendliche Liebe eines Gottes, der Barmherzigkeit ist und weiß um höhere und allerhöchste Weisen, sein Licht und seine Gluten zu ergießen, wenn er als Vater ein Leben weitergibt, das seinem eigenen gleicht. Engel und Menschen sind Werke der Allmacht Gottes, und tun dies in Bild und Gleichnis kund, das sie in der natürlichen Ordnung als reine Geschöpfe von ihm empfangen haben. Aber Gott besitzt eine erhabenere Vaterschaft, die Kinder der Auserwählung und der Gnade zeugt in einer Ordnung, die über der Menschen- und Engelnatur steht und sie zu Teilhabern der göttlichen Natur selber macht, indem er sie aufruft, seine eigene Seligkeit zu teilen, in der Anschauung seines Wesens, in jenem unzugänglichen Lichte, in dem er den Kindern der Gnade sich selbst und das innerste Geheimnis seiner unvergleichlichen Vaterschaft zusammen mit dem Sohn und dem Heiligen Geiste enthüllt. In diesem hohen Lichte gebietet Gott, der Schöpfer, der Heilige und Seligmacher. Er lässt aus seiner Vorliebe für das letzte seiner geistbegabten Geschöpfe, den Menschen, diesen hienieden geboren werden als Kind des Zornes von dem sündigen Stammvater Adam, nun aus dem Wasser und dem Heiligen Geiste wieder geboren werden als Kind der Gnade, als Bruder Christi, als neuen Adam ohne Makel, und macht ihn zum Miterben seiner Glorie im Himmel. Dabei wollte er, dass der Mensch selber im Zusammenwirken mit Gott für eine solche Glorie und solches übernatürliches Leben wie für das natürliche, das väterliche Amt ausübe, das Amt, es weiterzugeben, zu erhalten und zu vervollkommnen. Dies ist das unvergleichliche Mysterium, in dessen Sinn die Ehe einführt.

Das schöne und behagliche Leben?

Wie schön und der Beachtung wert ist der Segen Rachels für den jungen Tobias, als sie erfährt, wessen Sohn er ist: "Benedictio sit tibi, fili, quia boni et optimi viri filius es! Sei gesegnet, mein Sohn, weil du der Sohn eines rechtschaffenen und guten Mannes bist" (Tob 7,7). Der alte Tobias war nicht mehr reich an Gütern; der Herr hatte ihn geprüft mit dem Unglück der Verbannung und der Blindheit, aber er war reich an etwas Besserem, nämlich an bewundernswerten Tugenden und praktischer Lebensweisheit, die er seinem Sohn hinterließ. Auch wir leben in schweren Zeiten; vielleicht wird es nie gelingen, den Kindern das schöne und behagliche Leben zu verschaffen, das wir für sie erträumen, und außer mit dem täglichen Brot, das ihnen, wie wir zuversichtlich hoffen, dank der göttlichen Vorsehung nicht fehlen wird, sie auch mit jenen Gütern ruhig und zufrieden zu machen, die wir ihnen gern zusichern möchten. Mehr als die irdischen Güter, die niemals, auch nicht für die Mächtigen und die Prasser, dieses Tal der Tränen in ein Paradies der Wonnen verwandeln, obliegt es den Vätern, ihren Kindern und Erben bessere Güter zu übermitteln, jenes Brot und jenen Reichtum des Glaubens, jene Atmosphäre der Hoffnung und der Liebe, jenen Ansporn zu einem mutigen und standhaften Christenleben, worin die Kinder, vor Gott und den Menschen, wachsen und zunehmen zu lassen, heilige Pflicht von Vater und Mutter ist, die sich der Erhabenheit der vom Himmel empfangenen Vaterschaft bewusst sind (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 19. März 1941).

7. DIE PFLICHTEN DES EHEMANNES UND DER EHEFRAU

DIE VERANTWORTUNG DES MANNES gegenüber Frau und Kindern erwächst in erster Linie aus den Pflichten gegen ihr Leben, in die zumeist sein Beruf einbegriffen ist. Durch die Berufsarbeit muss er den Seinen ein Heim und die tägliche Nahrung, die nötigen Mittel für einen gesicherten Unterhalt und entsprechende Kleidung verschaffen.

Der Mann ohne Familie ist in einer ganz anderen Lage als derjenige, der Frau und Kinder besitzt, für die er zu sorgen hat. Oft treten an ihn gewagte Unternehmungen heran, die mit Hoffnung auf hohen Gewinn locken, aber auf unverhoffte Weise doch zum Ruin führen. Träume von Wohlstand täuschen oft den Verstand mehr, als sie die Begierden befriedigen können; die Mäßigung des Herzens und seiner Träume ist eine Tugend, die nie schaden kann, weil sie die Tochter der Klugheit ist. Daher darf der Verheiratete, auch wenn keine anderen Bedenken sittlicher Art bestehen, die gebührenden Grenzen nicht überschreiten, Grenzen, die ihm die Pflicht auferlegt, den sicheren, notwendigen, ruhigen Lebensunterhalt der Gattin und der geborenen oder zu erwartenden Kinder nicht ohne ernsteste Gründe in Gefahr zu bringen. Etwas anderes wäre es, wenn ohne seine Schuld oder seine Mitwirkung Umstände, die nicht von seinem Willen oder seinem Vermögen abhängen, das Glück der Familie in Frage stellen würden, wie es zu Zeiten politischer oder sozialer Umwälzungen zu geschehen pflegt, die die Welt überfluten und in Millionen von Häusern Wogen der Angst, des Elends und des Todes tragen. Immer aber muss er sich, bei Tun und Lassen, im Wagen und Unternehmen, selber fragen: Kann ich diese Verantwortung meiner Familie gegenüber auf mich nehmen?

Aber der Verheiratete ist nicht nur mit seiner Familie durch sittliche Bande verbunden, sondern auch mit der Gesellschaft. Solche Bande sind für ihn die Treue in der Ausübung seines Berufes, seiner Kunst oder seines Gewerbes; die Zuverlässigkeit, auf die seine Vorgesetzten unbedingt vertrauen können; die Korrektheit und Tadellosigkeit im Verhalten und Handeln, die ihm das Vertrauen derer erwerben, die mit ihm zu tun haben. Sind solche Bande etwa nicht hervorragende soziale Tugenden? Und bilden nicht solch schöne Tugenden das Bollwerk zur Verteidigung häuslichen Glücks, friedlicher Existenz der Familie, deren Sicherheit nach dem Gesetz Gottes die erste Pflicht eines christlichen Vaters ist?

Ruhm und Ehre der Frau

Wir könnten hinzufügen, dass, da die Ehre der Frau öffentliche Anerkennung und Achtung des Mannes ist, der Mann aus Rücksicht auf sie sich bemühen muss, in seinem Beruf unter seinesgleichen hervorzuragen. Jede Frau wünscht, ganz allgemein auf den Gefährten ihres Lebens stolz sein zu können. Ist daher nicht der Ehegatte zu loben, der aus edlem Gefühl und aus Neigung zu seiner Gattin bemüht ist, in seinem Wirkungskreis sein Bestes zu tun und, soweit er es vermag, etwas Bedeutendes zu leisten?

Wenn sich der Mann durch seinen Beruf und seine Arbeit in der Gesellschaft würdig und redlich hervortut, so bedeutet das für Frau und Kind Ehre und Trost, denn der Stolz der Kinder sind ihre Väter. Der Mann darf aber auch nicht vergessen, wie sehr es zum Glück des häuslichen Zusammenlebens beiträgt, wenn er unter allen Umständen in seinem Gemüt wie in Verhalten und Worten Rücksicht und Achtung für seine Frau, die Mutter seiner Kinder, zeigt. Die Frau ist nicht nur die Sonne, sondern auch das Heiligtum der Familie. Sie ist die Zuflucht für die Tränen der Kleinen; sie lenkt die Schritte der Größeren, gibt ihnen Trost in ihren Beschwerden, löst ihre Zweifel und macht sie vertrauensvoll für die Zukunft. Herrin in Milde, ist sie auch Herrin im Hause.

Möge es nie geschehen, dass sich die Eheleute, wie man zu sagen pflegt, von nicht verheirateten Paaren durch jene gleichgültigen, wenig rücksichtsvollen oder gar unhöflichen und groben Manieren unterscheiden, mit denen der Ehemann die Frau behandelt! Nein: das gesamte Verhalten des Gatten gegen die Gattin soll niemals des Charakters einer natürlichen, edlen und würdevollen Aufmerksamkeit und Herzlichkeit entbehren, wie sie Menschen von untadelhaftem Gemüt und Gottesfurcht ziemt, Menschen, die mit ihrem Verstand den unschätzbaren Wert zu ermessen wissen, den tugendhaftes und liebenswürdiges Verhalten unter Ehegatten für die Erziehung der Kinder hat. Das Beispiel des Vaters ist für die Kinder bedeutsam. Es ist für sie ein kraftvoller und lebendiger Ansporn, auf ihre Mutter, und auch auf den Vater, mit Achtung, Verehrung und Liebe zu schauen.

Aber die Mitwirkung des Mannes zum Glück des Heims kann bei der Rücksicht und Achtung für die Lebensgefährtin nicht haltmachen und sich nicht darauf beschränken; sie muss dahin gelangen, das Wirken und die Bemühungen der Frau, die schweigend und ausdauernd die gemeinsame Heimstätte bequemer, angenehmer und heiterer zu machen sucht, zu sehen, zu würdigen und anzuerkennen. Mit liebevollem Eifer ordnet die junge Frau alles, um froh die Wiederkehr jenes Tages zu feiern, an dem sie sich vor dem Altar mit ihrem Lebensgefährten vereinigt hat, und der jetzt eben im Begriff steht, aus Büro oder Werkstatt heimzukehren!

Ehekrisen

Aber da kommt der Mann, ermattet von langen Arbeitsstunden, die vielleicht noch mühseliger waren als sonst, entnervt von unerwarteten Widrigkeiten, da kommt er nun nach Hause, später noch als gewöhnlich, mit finsteren Gedanken beschäftigt; die heiteren, liebevollen Worte, die ihn empfangen, fallen ins Leere und lassen ihn stumm. Auf dem mit soviel Liebe gedeckten Tisch scheint er nichts zu sehen; er schaut nur und bemerkt, dass das Gericht, das doch ihm zu Gefallen so gut zubereitet worden ist, zu lange auf dem Feuer stand, und er beklagt sich, ohne daran zu denken, dass seine Verspätung und das lange Warten die Ursache waren. Er isst hastig, denn er muss, wie er sagt, gleich nachher wieder fort. Und so findet sich die junge Frau, die sich, ganz erfüllt von Erinnerungen, auf einen schönen Abend zusammen mit ihm gefreut hat, allein in den verlassenen Räumen und braucht ihren ganzen Glauben und all ihren Mut, um die Tränen zurückzuhalten.

Solche Vorgänge bleiben im Lauf eines Lebens nicht aus. Der Philosoph Aristoteles hat den Grundsatz aufgestellt, dass das, was einer in sich selbst ist, ihm als Ziel seines Wirkens erscheine. Mit anderen Worten: die Dinge erscheinen dem Menschen passend oder nicht, je nach seinen natürlichen Anlagen oder nach Leidenschaften, die ihn bewegen. Und ihr seht, wie die Leidenschaften - auch die harmlosen, wie die Geschäfte und die Ereignisse - ebenso wie die Wirkungen, verändernd wirken auf die Gedanken und Neigungen, pflichtmäßige Rücksichten und Standesregeln vergessen lassen, und schuld sind, dass man Höflichkeiten und Gefälligkeiten zurückweist oder missachtet.

Gegenseitige Rücksichtnahme

Ohne Zweifel kann der Ehemann zu seiner Entschuldigung die schwere Ermüdung eines Tages angestrengter Arbeit geltend machen, die durch Ärger und Sorgen noch drückender wird. Aber denkt oder glaubt er, dass seine Frau niemals Müdigkeit spürt oder von anderen Beschwerden heimgesucht wird? Die echte und tiefe Liebe muss sich in beiden stärker zeigen als Müdigkeit und Ärger, stärker als die täglichen Ereignisse und Widrigkeiten, stärker als die Veränderungen der Zeit und der Jahreszeiten, stärker als die Wandlungen der persönlichen Launen und der Eintritt unvorhergesehener Missgeschicke. Es gilt, sich selbst nicht weniger zu beherrschen als die äußeren Vorfälle. Es gilt, aus der Quelle gegenseitiger Liebe ein Lächeln zu schöpfen, einen Dank, die Beachtung von Gefälligkeit und Höflichkeit und die Kunst, dem Freude zu machen, der mit Sorgen vergilt.

Wenn ihr euch in euren Heimen zusammenfindet, wo Gespräch und Ruhe eure Kräfte dann wiederherstellen, seid dort nicht allzu schnell bereit, die kleinen Mängel zu sehen und aufzuspüren, die in allem Menschenwerk unvermeidlich haften. Achtet lieber auf all das Gute, sei es viel oder wenig, das euch dargeboten wird als Frucht harter Mühen, wachsamer Sorge, liebevoller weiblicher Einsichten, um aus eurem Familienheim, wenn es auch bescheiden ist, ein kleines Paradies voll Glück und Freude zu machen. Begnügt euch nicht damit, das Gute zu schätzen und einzig im Grunde eures Herzens anzuerkennen. Nein, lasst es eure Gattin sehen und fühlen, die keine Mühe gescheut hat, euch Glück zu verschaffen, und deren beste und zarteste Belohnung ein liebevolles Lächeln ist, ein dankbares Wort, ein aufmerksamer, gefälliger Blick, aus dem sie eure ganze Dankbarkeit erkennt (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 8. April 1942).

Glück des Familienlebens

Unbezweifelbar vermag die Frau für das Glück eines Heims mehr zu tun als der Mann. Dem Gatten fällt der Hauptanteil zu in der Sicherung des Unterhalts und der Zukunft der Kinder wie des Hauses; der Frau jene tausend kleinen unwägbaren täglichen Aufmerksamkeiten und Hilfen, die die Elemente der internen Atmosphäre im Innern einer Familie sind. Und je nachdem, ob sie auf die rechte Weise wirken oder sich ins Gegenteil verfälschen oder ganz fehlen, machen sie die Luft gesund, frisch, stärkend oder aber so, dass sie drückend, verdorben, nicht einzuatmen ist. Zwischen den vier Wänden will das Tun der Gattin immer das Werk der von der Heiligen Schrift so hoch gepriesenen starken Frau sein, der Frau, der sich das Herz ihres Gatten anvertraut und die ihm Gutes und nicht Böses erweisen wird alle Tage seines Lebens.

Ist es nicht eine alte und immer neue Wahrheit - eine Wahrheit, deren Wurzel bis in die physischen Bedingungen des Frauenlebens reicht, eine Wahrheit, die unüberhörbar nicht nur von den Erfahrungen der fernsten Jahrhunderte verkündet wird, sondern auch von den neuesten Erfahrungen unserer Zeit verzehrender Industrien, dass die Frau das Heim ausmacht und es besorgt, und dass der Mann sie darin niemals ersetzen kann? Es ist die Aufgabe, die die Natur und die Verbindung mit dem Manne ihr zum Wohl der Gemeinschaft auferlegt haben. Reißt sie fort von ihrer Familie durch eine der allzu vielen Verlockungen, die miteinander wetteifern, sie zu gewinnen und zu umgarnen, und ihr werdet sehen, wie die Frau den häuslichen Herd vernachlässigt. Ohne sein Feuer wird die Luft des Hauses erkalten, das Heim wird aufhören zu bestehen, es wird sich in eine unsichere Zuflucht für wenige Stunden verwandeln; der Mittelpunkt des täglichen Lebens wird für den Gatten wie für sie selbst, für die Kinder woanders hinwandern.

Ob man will oder nicht: Für jeden, der verheiratet und zugleich entschlossen ist, den Pflichten dieses Standes treu zu bleiben, kann sich das schöne Gebäude des Glücks nur auf dem festen Fundament des Familienlebens erheben. Wo aber findet ihr das wahre Familienleben ohne ein Heim, ohne einen sichtbaren wirklichen Mittelpunkt der Begegnung, der dieses Leben vereinigt, sammelt, verwurzelt, aufrechterhält, vertieft, entfaltet und schmückt? Saget nicht, das Heim bestehe materiell von dem Tage an, an dem sich die Gatten die Hände gereicht und die Ringe gewechselt hätten, und von dem an sie in ihrer Wohnung, mag sie groß oder klein, reich oder arm sein, gemeinsam unter demselben Dach wohnen. Nein - das materielle Heim genügt nicht für das geistige Gebäude des Glücks. Die Materie muss in eine geistige Sphäre erhoben werden, und aus dem irdischen Feuer muss die lebendige und belebende Flamme der neuen Familie ersprießen. Das geschieht nicht an einem Tag, besonders wenn man nicht eine Stätte bewohnt, die schon frühere Generationen bereitet haben, sondern - wie es heute, wenigstens in den Städten, meistens der Fall ist - ein nur gemietetes, zeitweiliges Heim. Wer wird dann allmählich, von Tag zu Tag, die wahre geistige Heimat schaffen, wenn nicht vor allem das Wirken jener, die die "Hausfrau" geworden ist, jener, der sich das Herz ihres Gatten anvertraut? Ob der Gatte Arbeiter, Bauer, Gewerbetreibender, Literat, Gelehrter, Angestellter oder Beamter ist, seine Arbeit wird sich unvermeidlich für den größten Teil des Tages außerhalb des Hauses abspielen, oder er wird sich im Hause in die Stille seines Arbeitszimmers verschließen und dem Familienleben fernbleiben. Für ihn wird das Heim der Ort werden, wo er nach Beendigung der Tagesarbeit seine physischen und moralischen Kräfte in der Ruhe und Stille, in vertrauter Freude wiederherstellt. Für die Frau hingegen wird dieses Heim in der Regel Obdach und Stätte ihres hauptsächlichen Wirkens sein, eines Wirkens, das nach und nach aus dieser Zuflucht, so arm sie sein mag, ein fröhliches Haus und ein trauliches Zusammenleben macht, das schöner werden wird, nicht an Mobiliar und Hausgerät ohne Stil und persönliche Note, ohne eigenen Ausdruck, sondern an Erinnerungen, deren manchmal sichtbare, manchmal fast unwahrnehmbare Spuren und Zeichen das gemeinsam gelebte Leben, die gemeinsamen Neigungen, Gedanken, Freuden und Qualen auf den Gegenständen und an den Wänden hinterlassen haben, und aus denen die materielle Heimat mit der Zeit seine Seele gewinnen wird.

Die Seele des Ganzen aber wird die Hand der Frau und deren Kunst sein, mit der sie jeden Winkel des Hauses anziehend zu machen versteht, und wäre es nur durch Aufmerksamkeit, Ordnung und Sauberkeit, oder darin, dass sie jedes Ding für den rechten Augenblick zurechtstellt und bereithält: die Mahlzeit zur Stärkung nach der Mühe oder das Bett zur Ruhe.

Mehr als dem Mann hat Gott der Frau die Gabe verliehen, mit dem Sinn für Grazie und Gefälligkeit die einfachsten Dinge anmutig und angenehm zu machen, gerade weil sie, dem Manne ähnlich gebildet, als Helferin zur Gründung der Familie geboren ist, um Liebenswürdigkeit und Milde um den Herd ihres Gatten zu verbreiten und um zu bewirken, dass das Leben zu zweien sich dort bilde und fruchtbar erweise und in seinem täglichen Ablauf blühe.

Die Mutter: Ein Leben des Opfers

Und wenn der Herr der Gattin in seiner Güte die Würde der Mutter an der Seite einer Wiege gewährt hat, so wird das Schreien des Neugeborenen das häusliche Glück nicht verringern oder gar zerstören, sondern vermehren und in jenen göttlichen Glorienschein erheben, in dem die Engel des Himmels erstrahlen, und von wo ein Strahl des Lebens herniederfällt, der die Natur überwindet und die Kinder der Menschen in Kinder Gottes neu erschafft.

Das ist die Heiligkeit des Ehebetts! Das ist die Erhabenheit der christlichen Mutterschaft! Das ist das Heil der verheirateten Frau! Denn die Frau, so erklärt der große Apostel Paulus, wird das Heil erringen in ihrer Sendung als Mutter, sofern sie nur im Glauben und in der Liebe und in der Heiligkeit mit Bescheidenheit verbleibt. Jetzt werdet ihr verstehen, weshalb "die Frömmigkeit zu allem nütze ist, da sie die Verheißung des Lebens besitzt, des gegenwärtigen und des zukünftigen", und dass sie, wie der heilige Ambrosius erklärt, das Fundament aller Tugend ist.

Eine Wiege macht die Frau zur Mutter in der Familie, und mehrere Wiegen heiligen und verherrlichen sie vor dem Gatten und den Kindern, vor der Kirche und dem Vaterland. Töricht und unkundig ihrer selbst und unglücklich sind jene Mütter, die klagen, wenn sich ein neues Kind an ihre Brust drängt und Nahrung verlangt! Feind dem Glück des häuslichen Herdes ist die Klage über den Segen Gottes, der ihn umgibt und wachsen lässt. Der Heroismus der Mutterschaft ist Ehre und Ruhm der christlichen Gattin: wenn sie in der Trostlosigkeit ihres Hauses ohne die Freude eines Engelchens ist, wird ihre Einsamkeit zum Gebet und zur Anrufung des Himmels; ihre Träne vereinigt sich mit der Klage Annas, die an der Pforte des Tempels den Herrn um das Geschenk ihres Samuel bat (Aus der Ansprache an die Frauen der Katholischen Aktion, 26. Oktober 1941).

Die Gattin

Ja, die Gattin und Mutter ist die Sonne der Familie. Sie ist die Sonne mit ihrer Großherzigkeit und ihrer Hingabe, mit ihrer beständigen Bereitschaft, mit wachsam vorausschauendem Zartgefühl, in Bezug auf all das, was dem Gatten und den Kindern das Leben erheitern kann. Rings um sich verbreitet sie Licht und Wärme; und wenn man zu sagen pflegt, eine Ehe sei dann glücklich, wenn jeder der beiden Gatten sie eingehe mit dem Wunsch, nicht sich selbst, sondern den andern glücklich zu machen, so ist dieses edle Gefühl und Vorhaben, so sehr es beide angeht, doch zuerst die Tugend der Frau, die geboren wird mit den mütterlichen Regungen und dem Edelsinn des Herzens. Diese Herzensgesinnung will, wenn sie Bitterkeiten empfängt, nur Freuden geben, wenn sie Demütigungen empfängt, nur Würde und Achtung zurückgeben, gleich der Sonne, die den nebligen Morgen erhellt und den Abend mit den Strahlen ihres Untergangs vergoldet.

Die Gattin ist die Sonne der Familie mit der Heiligkeit ihres Blickes und der Wärme ihres Wortes; Blick und Wort dringen sanft in die Seele, beugen und erweichen sie, heben sie über den Tumult der Leidenschaften hinaus und rufen den Mann zur Freude am Guten und am häuslichen Gespräch nach einem langen Tag beständiger und manchmal mühevoller Arbeit in seinem Gewerbe, auf dem Feld, im Handel, in der Industrie. Ihr Auge und ihre Lippen strahlen ein Licht und einen Ton aus, die in einem Blick tausendfach leuchten, in einem Laut tausendfach Zuneigung bergen. Es sind Blicke und Laute, die aus dem Herzen der Mutter dringen, das Paradies der Kindheit schaffen und beleben und immer Güte und Milde verbreiten, auch wenn sie mahnen oder tadeln, weil die jugendlichen, stärker empfindenden Gemüter die Lehren der Liebe innerlicher und tiefer aufnehmen.

Die Gattin ist die Sonne der Familie mit ihrer warmherzigen Natürlichkeit, mit ihrer würdevollen Einfachheit, ihrem christlichen und redlichen Anstand, ebenso in der Sammlung und der Rechtschaffenheit des Geistes wie in der feinen Harmonie ihres Betragens und ihrer Kleidung, ihrer äußeren Erscheinung und ihrer zugleich zurückhaltenden und herzlichen Haltung. Zärtliche Gefühle, anmutiges Spiel der Mienen, harmloses Schweigen und Lächeln, ein liebenswürdiges Neigen des Kopfes verleihen ihr die Grazie einer erlesenen und doch einfachen Blume, die ihren Kelch öffnet, um die Strahlen der Sonne zu empfangen und widerzuspiegeln. Wenn ihr doch erkennen würdet, welch tiefe Gefühle von Zuneigung und Dankbarkeit dieses Bild der Gattin und Mutter im Herzen des Vaters und der Kinder erweckt! O ihr Enge!, die ihr ihr Haus bewacht und ihr Gebet hört, gießet göttliche Kraft aus über diesen Herd christlichen Glücks!

Aber was geschieht, wenn die Familie dieser Sonne beraubt ist? Wenn die Gattin ständig in den intimsten Beziehungen fühlen lässt, wie viele Opfer sie das Eheleben kostet? Wo ist ihre liebevolle Sanftheit, wenn eine übertriebene Härte in der Erziehung, eine unbeherrschte Reizbarkeit und eine böse Kälte in Blick und Wort in den Kindern das Gefühl ersticken, bei der Mutter Freude und glücklichen Trost zu finden? Wenn sie nichts weiter tut als das Zusammenleben im Familienkreise mit rauer Stimme, mit Klagen und Vorwürfen zu stören und zu verbittern? Wo ist jenes großherzige Feingefühl, jene zärtliche Liebe, wenn sie, statt natürlich und umsichtig-einfach eine Atmosphäre freundlicher Ruhe im Heim zu schaffen, das Gebaren einer unruhigen, nervösen, anspruchsvollen Modedame annimmt? Heißt das wohltuend und belebend Sonnenstrahlen verbreiten oder nicht vielmehr den Garten der Familie mit eisigem Nordwind im Frost erstarren lassen? Wer wird sich dann wundern, wenn der Mann, der an diesem Herd nicht mehr findet, was ihn anzieht, zurückhält und aufrichtet, sich so oft er kann, entfernt und damit die Gattin, die Mutter veranlasst, das gleiche zu tun, wenn nicht gar die Untreue der Frau den Mann zum gleichen veranlasst hat; und wenn beide anderswo - unter schwerer sittlicher Gefahr und zum Schaden der Familiengemeinschaft - die Ruhe, die Stille, das Vergnügen suchen, das ihnen das eigene Heim nicht gewährt? Die Unglücklichsten, die darunter zu leiden haben, sind dann ohne Zweifel die Kinder.

Die berufstätige Ehefrau

So weit, ihr Ehefrauen, geht also euer Anteil an der Verantwortung für die Eintracht des häuslichen Glückes. Wenn es eurem Gatten und seiner Arbeit zukommt, das Leben eures Heims zu sichern und zu festigen, steht es bei euch und euer Einsicht, sein gebührendes Wohlergehen und die friedliche gemeinsame Heiterkeit von euer beider Leben zu sichern. Das ist für euch nicht nur ein Gebot der Natur, sondern auch eine religiöse Pflicht und eine christliche Tugendaufgabe, durch deren Betätigung und Verdienste ihr in der Liebe und in der Gnade Gottes wachsen werdet.

"Aber", werden vielleicht manche von euch sagen - "damit fordert man von uns ein Leben des Opfers!" Ja, euer Leben ist ein Leben des Opfers, aber nicht nur des Opfers. Glaubt ihr denn, man könne hienieden ein wahres und beständiges Glück genießen, ohne es durch Entbehrung und Verzicht zu erringen, es finde sich in irgendeinem Winkel dieser Welt die vollkommene Seligkeit eines irdischen Paradieses? Und denkt ihr denn, dass euer Gatte nicht auch Opfer bringen muss, manchmal viele und schwere, um seiner Familie ein ehrenwertes und sicheres Brot zu verdienen? Gerade diese gegenseitigen Opfer, gemeinsam ertragen und zu gemeinsamem Nutzen, geben der ehelichen Liebe und dem Glück der Familie seine Herzlichkeit und Festigkeit, seine heilige Tiefe und jenen erlesenen Adel, der sich in der gegenseitigen Achtung der Gatten ausprägt und sie in der Zuneigung und Dankbarkeit der Kinder erhöht. Wenn das mütterliche Opfer das herbste und schmerzlichste ist, so lindert es die Kraft von oben. Aus ihrem Opfer lernt die Frau das Mitgefühl mit den Schmerzen anderer. Die Liebe zum Glück ihres Hauses wird ihr nicht Anlass, sich in sich selbst zu verschließen; die Liebe zu Gott, die sie in ihrem Opfer über sich selbst hinaushebt, öffnet ihr Herz allem Mitleid und heiligt sie.

"Aber", wird man vielleicht noch einwenden, "die moderne soziale, berufliche, industrielle Struktur treibt in großer Zahl die Frauen, auch verheiratete, aus der Familie in den Bereich der Arbeit und des öffentlichen Lebens." Wir wissen es wohl, geliebte Töchter. Ob das für Verheiratete wirklich ein soziales Ideal ist, ist sehr zweifelhaft. Aber man muss dem Tatbestand Rechnung tragen. Die Vorsehung hat jedoch in die christliche Familie höhere Kräfte hineingelegt, die helfen, die Härte eines solchen sozialen Zustandes zu mildern und zu überwinden und den Gefahren zu begegnen, die er unzweifelhaft in sich birgt. Habt ihr etwa nicht bemerkt, wie das Opfer einer Mutter, die sich aus besonderen Gründen neben ihren häuslichen Pflichten bemühen muss, mit täglicher harter Arbeit für die Ernährung der Familie zu sorgen, in den Kindern die Verehrung und die Liebe zu ihr nicht nur bewahrt, sondern nährt und steigert, und wie sie den Dank für ihre Mühsal um so stärker erfährt, wenn religiöser Sinn und Gottvertrauen das Fundament des Familienlebens sind? Wenn dies in eurer Ehe der Fall ist, dann fügt zum vollen Vertrauen auf Gott, der immer dem hilft, der ihn fürchtet und ihm dient, in Stunden, die ihr gänzlich euren Lieben widmen könnt, mit verdoppelter Liebe jene emsige Sorge hinzu, durch die nicht nur ein Mindestmaß wahren Familienlebens gesichert ist, sondern bewirkt wird, dass von euch in die Herzen eurer Gatten und Kinder leuchtende Sonnenstrahlen ausgehen. Diese werden dann selbst in den Stunden äußerer Trennung die geistige Gemeinschaft des Heims erhalten, beleben und fruchtbar machen (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 25. Februar 1944).

8. DIE MODERNE FRAU

LEBENSWEISE UND BILDUNGSGANG DER FRAU waren einst nach altem Herkommen durch ihr natürliches Wesen bestimmt, das ihr als eigentlichen Bereich ihres Wirkens die Familie zuwies, falls sie nicht aus Liebe zu Christus die Jungfrauschaft vorzog. Zurückgezogen vom öffentlichen Leben und außerhalb der öffentlichen Berufe, war das junge Mädchen behütet und bewacht, wie eine heranwachsende Blume, bestimmt für den Beruf als Gattin und Mutter. An der Seite der eigenen Mutter erlernte sie die Frauenarbeiten, den Haushalt und sonstige Verrichtungen, und half bei der Aufsicht über die jüngeren Geschwister. So entfaltete sie ihre Kräfte und ihre Talente und übte sich in der Leitung des Hauswesens. Manzoni stellt uns in der Gestalt der Lucia den höchsten und lebendigsten literarischen Ausdruck dieser Auffassung dar. Die einfachen und natürlichen Formen, in denen sich das Leben des Volkes abspielte, die gründliche religiöse Erziehung, die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein alles beseelte, der Brauch, früh zu heiraten, was unter den damaligen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen möglich war, der Vorrang, den die Familie im Leben des Volkes genoss, all dies und noch andere Umstände, die sich inzwischen von Grund auf geändert haben, waren erste Nahrung und Stütze für jene Art und Weise weiblicher Bildung.

Heute ist das alte Bild der Frau in rascher Verwandlung begriffen. Ihr seht die Frau, und vor allem das junge Mädchen, aus ihrer Zurückgezogenheit hervortreten und fast alle Berufe ergreifen, die vordem der ausschließliche Lebens- und Tätigkeitsbereich des Mannes waren. Schüchterne Anfänge dieser Umwandlung hatten sich durch die Entwicklung der Industrie schon vor langer Zeit bemerkbar gemacht. Aber seit einigen Jahren ist, einer Flut gleich, die die Dämme durchbrochen hat, jeder Widerstand besiegt. Die Frau ist in alle Bezirke des Volkslebens eingedrungen. Wenn sich dieser Strom auch nicht überall in gleichem Maße ausgebreitet hat, so ist es doch nicht schwer, selbst in dem abgelegensten Gebirgsdorf seinen Lauf zu erkennen. In der Großstadt wie in den Werkstätten und Fabriken haben alter Brauch und Einstellung bedingungslos vor der modernen Bewegung zurückweichen müssen (Aus der Ansprache an die weiblidte Jugend der Katholischen Aktion, 24. April 1943).

Die Würde der Frau

Wir sagen gleich eingangs, dass für Uns das Problem der Frau in seiner Gesamtheit wie in jedem seiner vielfältigen Einzelaspekte ausschließlich in der Erhaltung und der Erhöhung der Würde liegt, die die Frau von Gott empfangen hat. Für Uns ist es also nicht ein rein rechtliches oder wirtschaftliches, pädagogisches oder biologisches Problem, auch keine Frage der Politik oder der Bevölkerungsbewegung, sondern ein Problem, das auch in seiner Gesamtheit durchaus um die Frage kreist: Wie kann man die Würde der Frau unter den Lebensbedingungen, in die sie die Vorsehung heute gestellt hat, aufrechterhalten und stärken? Das Problem anders sehen, es einseitig unter einem der oben erwähnten Gesichtspunkte betrachten, hieße soviel wie es umgehen, ohne Gewinn für irgendwen, am wenigsten für die Frau selber. Die Frage von Gott trennen, von der weisen Ordnung des Schöpfers, von seinem heiligen Willen, hieße sie in ihrem Wesen entstellen, hieße ihr die wahre Würde nehmen, die sie nur durch Gott hat.

Hieraus folgt, dass all jene Systeme nicht imstande sind, die Frauenfrage richtig zu lösen, die Gott und sein Gesetz aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen und der Religion höchstens einen bescheidenen Platz im Privatleben des einzelnen einräumen.

Worin aber besteht die Würde, die die Frau von Gott erhalten hat? Fragt die menschliche Natur, wie sie der Herr gebildet hat, und wie sie erhoben und erlöst ist durch Christi Blut.

In ihrer persönlichen Würde sind alle Kinder Gottes, Mann und Frau, völlig gleich, ebenso im Hinblick auf das letzte Ziel menschlichen Lebens, das die ewige Vereinigung mit Gott in der ewigen Seligkeit ist. Es ist der unvergängliche Ruhm der Kirche, dass sie diese Wahrheit hervorgehoben hat, und die Frau von einer naturwidrigen und erniedrigenden Knechtschaft befreit hat. Aber Mann und Frau können diese ihre gleiche Würde nicht aufrechterhalten und vervollkommnen, wenn sie nicht die besonderen Eigenschaften achten und zur Geltung bringen, die die Natur dem einen wie dem anderen verliehen hat. Diese unzerstörbaren leiblichen und geistigen Eigenschaften kann man nicht umstürzen, ohne dass die Natur selbst sie immer wieder neu herstellte. Die besonderen Merkmale, die die beiden Geschlechter unterscheiden, offenbaren sich vor aller Augen mit solcher Klarheit, dass nur Blindheit oder weltfremde, verhängnisvolle Verbohrtheit ihren Wert in der gesellschaftlichen Ordnung verkennen oder gar übersehen könnte.

Die beiden Geschlechter sind durch ihre besonderen Eigenschaften einander dergestalt zugeordnet, dass diese wechselseitige Zuordnung ihren Einfluss auf all die vielfachen Äußerungen des menschlichen Gemeinschaftslebens ausübt. Wir wollen uns darauf beschränken, auf zwei Punkte wegen ihrer besonderen Bedeutung hinzuweisen: auf den Ehestand und die freiwillige Ehelosigkeit nach dem Rat des Evangeliums.

Freiwilliger Eheverzicht

Seit fast zwanzig Jahrhunderten verzichten in jeder Generation Tausende und aber Tausende von Männern und Frauen, und zwar von den besten, freiwillig auf eine eigene Familie. Sie verzichten auf die heiligen Pflichten und Rechte des Ehelebens, um dem Rat Christi zu folgen.

Wird dadurch etwa das Wohl der Völker und der Kirche in Gefahr gebracht? Im Gegenteil, diese großmütig Gesinnten anerkennen die Ehe als ein hohes Gut. Aber wenn sie auch vom gewöhnlichen Wege abweichen, so lassen sie ihn doch nicht im Stich, sondern weihen sich dem Dienst an der Menschheit in gänzlicher Selbstentäußerung und im Verzicht auf ihren eigenen Vorteil mit unvergleichlich weiterer, allumfassender Tat. Betrachtet diese Männer und Frauen! Seht, wie sie sich Gebet und Buße hingeben, sich um Unterweisung und Erziehung der Jugend und der Unwissenden mühen, sich über die Betten der Kranken und Sterbenden neigen mit offenem Herzen für Elend und Schwäche, um wieder herzustellen, zu trösten, zu erheben und zu heiligen.

Denken wir an die Mädchen und Frauen, die freiwillig auf die Ehe verzichten, um sich einem höheren Leben der Betrachtung, des Opfers und der Nächstenliebe zu widmen, so kommt uns ein strahlendes Wort auf die Lippen: Berufung! Es ist das einzige Wort, das zu so erhabener Gesinnung passt. Berufung: dieser Ruf der Liebe, er ertönt auf verschiedenste Weise, so wie der göttliche Anruf unendlich verschieden ist: unwiderstehliche Aufforderung, liebevoll mahnende Eingebung, sanfter Antrieb. Doch auch die junge Christin, die wider ihren Willen unvermählt geblieben ist, die aber fest an die Vorsehung des himmlischen Vaters glaubt, erkennt in den Wechselfällen des Lebens die Stimme des Meisters: Magister adest et vocat te - Der Meister ist da und ruft dich! Sie antwortet, sie verzichtet auf den Traum ihrer Kindheit und Jugend, einen treuen Gefährten im Leben zu besitzen, eine Familie zu gründen. In der Unmöglichkeit sich zu verheiraten, entdeckt sie ihre Berufung und gibt sich mit ganzem Herzen den Werken der Karitas hin.

Im einen wie im andern Stand erscheint die Aufgabe der Frau deutlich vorgezeichnet durch die Haltung und besonderen Fähigkeiten ihres Geschlechtes. Sie wirkt mit dem Mann zusammen, aber der Art, wie es ihr eigen ist. Die Aufgabe der Frau aber, ihre Eigenart und angeborene Neigung ist Mutterschaft. Jede Frau ist dazu bestimmt, Mutter zu werden, Mutter im physischen Sinne des Wortes oder auch in einem geistigen und erhabeneren, und doch nicht weniger wirklichen Sinn.

Auf diesen Zweck hat der Schöpfer die ganze Eigenart der Frau hingeordnet, ihren Organismus, ihren Geist und vor allem ihre Feinfühligkeit, so dass die echte Frau alle Probleme des menschlichen Lebens nicht anders sehen, noch von Grund auf verstehen kann als unter dem Blickpunkt der Familie. Darum versetzt das empfindsame Gefühl für ihre Würde sie jedes Mal in Besorgnis, wenn die gesellschaftliche oder politische Ordnung ihrer mütterlichen Sendung und dem Wohl der Familie zu schaden drohen.

Versprechungen

Leider sind heute die sozialen und politischen Verhältnisse von vorher geschilderter Art. Ja, sie können für die Heiligkeit des häuslichen Herdes und damit für die Würde der Frau noch unsicherer werden. Eure Stunde hat geschlagen, katholische Frauen und Mädchen: das öffentliche Leben braucht euch. Zu jeder von euch kann man sagen: Tua res Abitur - Deine eigene Sache steht auf dem Spiel. Dass sich das öffentliche Geschehen schon seit langer Zeit auf eine für das wirkliche Wohl der Familie und der Frau ungünstige Weise entwickelt hat, ist eine unleugbare Tatsache. Und viele politische Bewegungen wenden sich an die Frau, um sie für ihre Sache zu gewinnen. Manches totalitäre System macht ihnen wunderbare Versprechungen: Gleichberechtigung mit dem Mann, Schutz der Schwangeren und der Wöchnerinnen, Gemeinschaftsküchen und andere Gemeinschaftsdienste, die sie von der Last der Hausarbeit befreien, öffentliche Kindergärten und andere Einrichtungen, die vom Staat und von den Gemeinden unterhalten und verwaltet werden, und die ihr die mütterlichen Pflichten gegenüber den eigenen Kindern abnehmen, freier Schulbesuch für die Kinder, Hilfe in Krankheitsfällen.

Die Vorteile, die aus der einen oder anderen dieser sozialen Maßnahmen gewonnen werden können, wenn auf rechte Weise angewandt, sollen nicht geleugnet werden. Wir haben selbst bei einer anderen Gelegenheit bemerkt, dass der Frau für dieselbe Arbeit und bei gleicher Leistung dieselbe Entlohnung zusteht wie dem Mann. Es bleibt aber die wesentliche Frage, auf die Wir schon hingewiesen haben: ist die Lage der Frau dadurch besser geworden? Die Gleichberechtigung mit dem Mann hat, mit der Preisgabe des Hauses, in dem sie Königin war, die Frau derselben Arbeitslast und Arbeitszeit unterworfen. Man hat sich nicht um ihre wahre Würde und das feste Fundament aller ihrer Rechte, das heißt um den besonderen Charakter ihres weiblichen Wesens und die innere Zuordnung der beiden Geschlechter gekümmert. Man hat das vom Schöpfer zum Wohl der menschlichen Gesellschaft und vor allem der Familie gewollte Ziel aus dem Auge verloren. Bei den Zugeständnissen, die der Frau gemacht werden, ist leicht zu sehen, dass sie weniger aus der Achtung vor ihrer Würde und Sendung hervorgehen, als aus der Absicht, die wirtschaftliche und militärische Macht des totalitären Staates zu stärken, dem alles unerbittlich untergeordnet werden muss.

Andererseits, kann die Frau ihr wahres Wohlergehen von einem Regime erhoffen, in dem der Kapitalismus vorherrscht? Wir brauchen hier nicht die wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu schildern, die sich daraus ergeben. Ihr kennt die charakteristischen Zeichen und tragt selbst ihre Last. Übermäßige Zusammenballung der Bevölkerung in den Städten, mächtig zunehmendes Anwachsen der Großunternehmen, schwierige Lage der anderen Gewerbebetriebe, besonders im Handwerk und noch mehr in der Landwirtschaft, beunruhigende Ausdehnung der Arbeitslosigkeit.

Die berufstätige Mutter

Die Sendung der Frau und Mutter am häuslichen Herd soweit wie möglich wieder zu Ehren bringen: das ist die Losung, die von vielen Seiten wie ein Alarmruf laut wird, als ob die Welt erwache, fast erschreckt von den Früchten eines materiellen und technischen Fortschritts, auf den sie vordem so stolz war.

Sehen wir, wie die Dinge in Wirklichkeit liegen. Da ist die Frau, die, um das Einkommen des Gatten zu erhöhen, ebenfalls zur Arbeit in die Fabrik geht und während ihrer Abwesenheit das Haus sich selbst überlässt. Und das, vielleicht an sich schon eng und arm, wird durch die mangelnde Pflege noch elender; die Familienmitglieder arbeiten jedes für sich, in den vier Ecken der Stadt und zu verschiedenen Stunden; fast nie finden sie sich zusammen, weder zum Essen noch zur Ruhe nach den Mühen des Tages, noch weniger zum gemeinsamen Gebet. Was bleibt übrig vom Familienleben? Und welche Anziehungskraft kann es auf die Kinder ausüben?

Zu diesen misslichen Auswirkungen des Fernbleibens der Frau und Mutter vom häuslichen Herd kommt eine noch beklagenswertere hinzu: Sie betrifft vor allem die Erziehung der jungen Mädchen und deren Vorbereitung auf das praktische Leben. Gewohnt, die Mutter stets außer Haus und das Haus selbst so traurig in seiner Verlassenheit zu sehen, werden sie nicht imstande sein, irgendeinen Reiz darin zu finden, sie werden keine Neigung für die strengen häuslichen Beschäftigungen spüren; sie werden den Adel und die Schönheit dieser Arbeiten nicht empfinden und nicht wünschen, sich ihnen eines Tages selbst als Frau und Mutter zu widmen.

"Mondäne" und werktätige Frauen

Das gilt für alle Gesellschaftsstufen, in allen Lebensverhältnissen. Die Tochter einer mondänen Frau, die die ganze Leitung ihres Hauses fremden Händen überlässt und die Mutter in leichtfertigen Beschäftigungen und nichtigen Vergnügungen aufgehen sieht, wird dem Beispiel folgen, wird sich so schnell wie möglich selbständig machen und, nach einem sehr traurigen Ausdruck, "ihr eigenes Leben leben" wollen. Wie könnte sie den Wunsch hegen, eines Tages eine wirkliche ,domina' zu werden, das heißt eine Hausfrau in einer glücklichen, blühenden und würdigen Familie? Die Frau der arbeitenden Klasse, die gezwungen ist, ihr tägliches Brot zu verdienen, würde sich, wenn sie recht nachdächte, vielleicht darüber Rechenschaft geben, dass der zusätzliche Verdienst, den sie durch Arbeit außerhalb des Hauses erwirbt, nicht selten durch andere Ausgaben oder auch durch verderbliche Verschwendung für die Familienwirtschaft verlorengeht. Und die Tochter, die gleichfalls zur Arbeit in die Fabrik, in ein Geschäft oder ein Büro geht, wie könnte sie, betäubt von der aufgeregten Welt, in der sie lebt, geblendet von dem Flittergold eines falschen Luxus, begierig geworden nach bedenklichem Vergnügungen, die zerstreuen, aber weder Sättigung noch Erholung bieten - in jenen "Schau"- oder Tanzsälen, die überall hervorsprießen, oft mit dem Nebenzweck von Parteipropaganda, wo die Mädchen verdorben werden, die sich als fortschrittliche Frauen fühlen und die altmodischen Lebensregeln aus dem "neunzehnten Jahrhundert" verachten; wie sollte eine solche Tochter das bescheidene Heim nicht ungastlich finden und noch düsterer, als es in Wirklichkeit ist? Um es anziehender zu machen, um trotzdem zu wünschen, sich selbst eines Tages darin niederzulassen, müsste sie den natürlichen Eindruck mit dem Ernst des geistigen und sittlichen Lebens, mit der Kraft der religiösen Erziehung und des übernatürlichen Ideals auszugleichen wissen. Aber was für eine religiöse Bildung hat sie unter solchen Verhältnissen mitbekommen?

Doch das ist noch nicht alles. Wenn, mit dem Dahineilen der Jahre, ihre vor der Zeit gealterte, von Mühsalen, die über ihre Kraft gingen, von Tränen und Ängsten ausgezehrte und erschöpfte Mutter sie am Abend zu sehr später Stunde nach Hause kommen sieht, dann muss sie, statt an ihr eine Hilfe und Stütze zu finden, sogar bei der Tochter, die ja Frauen- und Hausarbeit nicht gewöhnt und dazu unfähig ist, die Stelle einer Dienstmagd versehen. Nicht glücklicher wird das Schicksal des Vaters sein, wenn ihn in vorgerücktem Alter Krankheiten, Gebrechen, Arbeitslosigkeit zwingen werden, für seinen dürftigen Unterhalt von dem guten oder bösen Willen der Söhne abhängig zu sein. Die heilige Autorität von Vater und Mutter ist da ihrer Würde entkleidet!

Angesichts der Theorien und der Methoden, die auf verschiedenen Wegen die Frau ihrer Sendung entziehen und sie mit der Vorspiegelung einer zügellosen Verselbständigung oder durch Hinweis auf ihr hoffnungsloses Elend, um ihre persönliche Würde bringen, um ihre Würde als Frau, haben Wir den Ruf der Besorgnis vernommen, der so weit als nur möglich ihre tätige Gegenwart am häuslichen Herd fordert.

Freilich wird die Frau nicht nur durch die Verkündigung ihrer Selbständigkeit dem Hause ferngehalten, sondern oft auch durch die Notwendigkeiten des Lebens, durch die ständige Forderung des Broterwerbs. Ihre Rückkehr ins Heim wird man also so lange vergeblich predigen, wie die Verhältnisse andauern, die sie nicht selten zwingen, ihm fernzubleiben.

Und so offenbart sich der erste Teil eurer Sendung im sozialen und im politischen Leben, das sich vor euch auftut. Euer Eintritt in dieses öffentliche Leben ist plötzlich gekommen, durch soziale Umwälzungen, deren Zeugen wir sind. Gleichviel ihr seid berufen, daran teilzunehmen. Wollt ihr etwa anderen, jenen, die sich zu Anstiftern oder Mitschuldigen der Zerstörung des häuslichen Herdes machen, das Alleinrecht der sozialen Organisation überlassen, deren Mittelpunkt die Familie in ihrer wirtschaftlichen, rechtlichen, geistigen und sittlichen Einheit ist? Das Schicksal der Familie, das Schicksal des menschlichen Zusammenlebens steht auf dem Spiel; es liegt in euren Händen, tua res agitur! Jede Frau ohne Ausnahme hat daher die Pflicht, die strenge Gewissenspflicht, nicht beiseite zu stehen, sondern tätig zu sein (in den Formen und in der Weise, die der Lage der einzelnen Frau entsprechen), um die Strömungen einzudämmen, die das Heim bedrohen, die Lehren zu bekämpfen, die seine Fundamente untergraben, und um seine Wiederherstellung vorzubereiten, zu organisieren und zu vollenden.

Zu diesem wichtigen Beweggrund für die katholische Frau, in das Leben einzutreten, das sich heute ihrer Tätigkeit auftut, kommt noch ein anderer hinzu: ihre Würde als Frau. Sie hat mit dem Manne zum Wohl der ,civitas' zusammenzuwirken, in der sie ihm an Würde gleich ist. Jedes der beiden Geschlechter muss den Anteil nehmen, der ihm seiner Natur, seinem Charakter, seinen körperlichen, geistigen und sittlichen Fähigkeiten nach zukommt. Beide haben das Recht und die Pflicht zum Gesamtwohl der Gesellschaft und des Vaterlandes zusammenzuarbeiten. Aber es ist klar: während der Mann durch sein Temperament mehr dazu neigt, die äußeren Angelegenheiten, die öffentlichen Geschäfte zu betreiben, hat die Frau im allgemeinen mehr Scharfblick und einen feineren Takt, um die delikaten Probleme des Haus- und Familienlebens, der Grundlage des ganzen Gemeinschaftslebens zu erkennen und zu lösen. Das schließt nicht aus, dass einzelne Frauen tatsächlich Proben von großer Erfahrung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu geben wissen.

Die Frau in der Wohlfahrtspflege

Das alles ist nicht so sehr eine Frage verschiedener Zuständigkeit, als vielmehr eine Frage der Art zu urteilen, und zu konkreten, praktischen Anwendungen zu kommen. Nehmen wir den Fall der bürgerlichen Rechte: sie sind heute für beide Geschlechter gleich. Aber mit wie viel größerem Unterscheidungsvermögen, mit wie viel größerer Wirksamkeit werden sie benützt, wenn Mann und Frau sich gegenseitig ergänzen! Die Empfindsamkeit und das Feingefühl, die der Frau eigen sind und sie verleiten könnten, ihren Gefühlseindrücken nachzugeben, und die damit der Klarheit und Weite der Anschauungen, dem ruhigen Abwägen der Voraussicht entlegener Folgen schaden könnten, sind im Gegenteil eine wertvolle Hilfe, die Erfordernisse, die Bestrebungen, die Gefahren im häuslichen und religiösen Bereich ins Licht zu rücken.

Die weibliche Tätigkeit umfasst zu einem großen Teil die Arbeiten und Beschäftigungen des häuslichen Lebens, die mehr und wirksamer zum wahren Nutzen der Gemeinschaft beitragen, als man allgemein annimmt. Dieser Nutzen erfordert darüber hinaus jedoch auch Frauen, die über genügend Zeit verfügen, um sich ihm unmittelbar und ausschließlich widmen zu können.

Wer könnten also diese Frauen sein, wenn nicht im besonderen (Wir wollen gewiss nicht sagen: ausschließlich) jene, auf die Wir eben hinwiesen, denen gebieterische Umstände jene geheimnisvolle Berufung auferlegt haben; Frauen, die ihr Schicksal zu einer Einsamkeit gezwungen hat, die nicht in ihrem Denken und Streben lag und sie zu einem nutz- und ziellosen Leben in Selbstsucht zu verurteilen schien? Heute aber offenbart sich ihre Sendung vielfältig und kämpferisch, eine Sendung, die alle ihre Energien aufruft, und solcher Art ist, dass nur wenige andere von denen, die mit der Sorge für die Familie und der Erziehung der Kinder betraut oder unter das heilige Joch der Regel gebeugt sind, in gleicher Weise imstande wären, sie zu erfüllen.

Bislang widmeten sich einzelne dieser Frauen mit einem oft bewundernswerten Eifer den Werken der Pfarrei, andere fanden mit immer größerem Weitblick eine bedeutende moralische und soziale Tätigkeit. Ihre Zahl ist durch den Krieg und das Unglück, das er mit sich brachte, beträchtlich angewachsen. Viele tapfere Männer sind im vergangenen Kriege gefallen, andere sind krank zurückgekehrt. Viele junge Frauen werden daher in ihrem einsamen Hause vergebens auf ihren Mann warten und das Erblühen neuen Lebens. Zugleich aber fordern die heutigen Notwendigkeiten, die durch den Eintritt der Frau in das öffentliche und politische Leben gegeben sind, ihre Mitarbeit. ist das nur ein zufälliges Zusammentreffen oder darf man darin das Walten der göttlichen Vorsehung erblicken?

So ist also der Wirkungskreis, der sich heute der Frau eröffnet, sehr weit, und je nach Charakter und Fähigkeiten kann er geistiger oder mehr praktisch-tätiger Art sein. Platz und Aufgabe der Frau in der Gesellschaft, ihre Rechte und Pflichten erforschen und klarstellen; Erzieherin und Führerin der eigenen Schwestern werden; Ideen darlegen; Vorurteile zerstreuen; Verwirrungen klären; die Lehre der Kirche erläutern und verbreiten, um Irrtum, Täuschung und Lüge sicher zu entlarven, um die Taktik der Gegner der katholischen Glaubens- und Sittenlehre wirksamer zu vereiteln: hierin besteht die weit gesteckte und dringend notwendige Arbeit, ohne die aller apostolische Eifer nur dürftige Ergebnisse erzielen würde. Auch die mittelbare Aktion ist unerlässlich, wenn man nicht will, dass die gesunden Lehren und die gediegenen Überzeugungen, wenn nicht gänzlich platonisch, so doch zum mindesten arm an praktischer Wirkung bleiben.

Dieser mittelbare Anteil, dieses wirksame Mittun bei der sozialen und politischen Tätigkeit, verändert keineswegs die Eigenart des normalen Wirkens der Frau. Teilhaberin am Wirken des Mannes im Bereich des öffentlichen Lebens, wird sie sich vor allem jenen Aufgaben zuwenden, die mehr Takt, Feingefühl, mütterlichen Instinkt erfordern als verwaltungsmäßige Strenge und Härte. Wer wird besser als sie verstehen, was die Würde der Frau, was Unbescholtenheit und Ehre des jungen Mädchens, was Schutz und Erziehung des Kindes erfordern? Und wie viele Probleme auf all diesen Gebieten rufen nach Aufmerksamkeit und Handeln von Regierenden und Gesetzgebern! Nur die Frau wird beispielsweise mit ihrer Güte, ohne Schaden für den Erfolg, die Unterdrückung der Unsittlichkeit zu mildern wissen; sie allein wird die Wege finden, die sittlich verwahrlosten Kinder vor Erniedrigung zu bewahren und sie in Ehrbarkeit und zu religiösen und bürgerlichen Tugenden zu erziehen; sie allein wird fähig sein, das Werk der Fürsorge und der Wiedereingliederung der entlassenen Sträflinge und der gefallenen Mädchen zu verrichten; sie allein wird aus ihrem Herzen das Echo des Rufes der Mütter widertönen lassen, denen ein totalitärer Staat, mit welchem Namen er sich auch schmücken mag, die Erziehung ihrer Kinder rauben möchte.

Die Erziehung zur Frau

So ist das Programm der Pflichten der Frau umrissen, das einen doppelten Gegenstand hat: ihre eigene Vorbereitung und Ausbildung für das soziale und politische Leben, und die Entwicklung und Verwirklichung dieses sozialen und politischen Lebens im privaten und im öffentlichen Bereich.

Es ist einsichtig, dass die Aufgabe der Frau, so begriffen, nicht unvorbereitet erfüllt werden kann. Der mütterliche Instinkt in ihr ist ein menschlicher Instinkt, der von der Natur nicht bis hinein in die Einzelheiten seiner Anwendung bestimmt ist. Er wird vom freien Willen gelenkt, und dieser seinerseits vom Verstand - daher sein sittlicher Wert und seine Würde, aber auch seine Unvollkommenheit, die durch Erziehung ausgeglichen und behoben werden muss.

Die frauliche Erziehung des jungen Mädchens, und nicht selten auch der erwachsenen Frau, ist also eine notwendige Bedingung ihrer Vorbereitung und Ausbildung zu einem ihrer würdigen Leben. Das Ideal wäre natürlich, dass diese Erziehung schon in der Kindheit begänne, in der Traulichkeit eines christlichen Heims und unter dem Einfluss der Mutter. Das ist leider nicht immer der Fall und auch nicht immer möglich. Doch lässt sich dieser Mangel wenigstens zum Teil beheben, indem man dem jungen Mädchen, das außerhalb des Hauses arbeiten muss, eine jener Tätigkeiten verschafft, die in gewissem Sinne die Vorschule und Ausbildung für das Leben sind, zu dem es berufen ist. Dieses Ziel verfolgen auch die Schulen für Hauswirtschaft, die aus dem Kind und dem jungen Mädchen von Heute die Frau und Mutter von Morgen machen wollen.

Solche Einrichtungen verdienen Lob und Ermunterung! Sie sind eine der Formen, in denen sich euer mütterliches Gefühl und euer Eifer in großem Maß üben und auswirken können. Außerdem sind sie eine der wertvollsten, weil das Gute, das ihr hier verrichtet, ins Unendliche weiterwirkt. Denn eure Schutzbefohlenen werden befähigt, in der Familie und draußen, andern das Gute zu tun, das ihr ihnen getan habt. Was soll man noch von so vielen anderen Einrichtungen sagen, mit denen ihr den Familienmüttern zu Hilfe kommt, zur Förderung ihrer geistigen und religiösen Bildung, wie auch in den schmerzlichen oder schwierigen Umständen ihres Lebens?

Der Stimmzettel der Frau

In der politischen und sozialen Tätigkeit hängt viel von der Gesetzgebung des Staates und von der Verwaltung der Gemeinden ab. Daher ist der Stimmzettel in den Händen der katholischen Frau ein wichtiges Mittel, ihre strenge Gewissenspflicht zu erfüllen, vor allem in dieser Zeit. Denn Staat und Politik haben gerade den Auftrag, den Familien aller Kreise die notwendigen Bedingungen zu sichern, damit sie als wirtschaftliche, rechtliche und sittliche Einheiten bestehen und sich entfalten können. Dann wird die Familie wahrhaft die Lebenszelle von Menschen sein, die sich redlich um ihr irdisches und ihr ewiges Wohl bemühen. All dies begreift die Frau, die wirklich Frau ist, sehr wohl. Was sie aber nicht begreift, ist, dass man unter Politik die Herrschaft einer Klasse über die anderen versteht, das ehrgeizige Streben nach immer weiterer Ausdehnung wirtschaftlicher und nationaler Macht. Denn sie, die Frau, weiß, was auch immer als Beweggrund dafür genannt werden mag, dass eine solche Politik dem geheimen oder offenen Bürgerkrieg, der immer drückenderen Last der Rüstungen und der dauernden Kriegsgefahr den Weg bahnt; sie weiß aus Erfahrung, dass diese Politik auf jeden Fall zum Schaden der Familie ausschlägt, den diese mit ihrem Besitz und ihrem Blut teuer bezahlen muss. Daher neigt keine kluge Frau zu einer Politik von Klassenkampf oder Krieg. Ihr Weg zur Wahlurne ist ein Friedensweg. Im Interesse und zum Nutzen der Familie wird darum die Frau diesen Weg gehen und ihre Stimme allen Bestrebungen verweigern - von welcher Seite auch immer sie kommen mögen -, die den inneren und äußeren Frieden des Volkes selbstsüchtigem Machtstreben unterordnen (Aus der Ansprache an die Frauen der Katholisdten Aktion, 21. Oktober 1945).

9. MODE UND TUGEND

MODE TRÄGT NICHTS SCHLECHTES IN SICH; sie ist bedingt aus dem Ursprung menschlicher Geselligkeit, in dem Antrieb, sich mit seinesgleichen und mit der Praxis in Einklang zu fühlen, die von den Menschen geübt wird, in deren Mitte man lebt.

Gott verlangt von euch nicht, dass ihr außerhalb eurer Zeit lebt und die Forderungen der Mode missachtet. Ihr würdet seltsam erscheinen, wenn ihr euch gegen den Geschmack und den gemeinsamen Brauch unserer Zeitgenossinnen kleiden wolltet, ohne euch darum zu kümmern, was heute gefällt. Daher erklärt auch der heilige Thomas, in den äußeren Dingen, die der Mensch gebrauche, sei kein Übel, sondern das Übel komme von dem Menschen, der sie ohne das rechte Maß gebrauche; der sich für seine Person im Vergleich mit der Gewohnheit derer, mit denen er lebt, auf seltsame Weise absondere; oder der die Dinge nach der Gewohnheit oder über die Gewohnheit der anderen hinaus mit ungeordneter Neigung durch ein Übermaß reich geschmückter oder gefallsüchtiger oder mit übertriebenem Eifer gesuchter Kleidung gebrauche, während doch Demut und Einfachheit genügen würden, um die nötige Würde zu behalten. Und derselbe heilige Lehrer sagt sogar in Bezug auf den weiblichen Schmuck, es könne ein verdienstlicher Tugendakt dabei sein, wenn er dem Brauch der Welt, der Person und der rechten Absicht angemessen sei. Die Frauen sollten ruhig nach ihrem Stande und ihrer Würde geziemenden Schmuck tragen und maßvoll sein in dem, was sie dem Brauch ihres Landes gemäß trügen. Dann wird auch das Sichschmücken ein Akt jener Tugend der Bescheidenheit, die dem Gehen und Stehen, der Kleidung und allen äußeren Dingen das rechte Maß verleiht.

Grundsätze der Mode

Auch hier, nämlich wie man die Mode mitmacht, liegt die Tugend in der Mitte. Was Gott verlangt, ist. stets daran zu denken, dass die Mode nicht höchste Regel des Verhaltens ist noch sein kann; dass es über der Mode und ihren Forderungen höhere und wichtigere Gesetze gibt, ewig unveränderliche Grundsätze, die in keinem Falle der Willkür des Vergnügens oder der Laune geopfert werden dürfen, und vor denen der Götze der Mode seine flüchtige Allmacht beugen muss. Diese festen Grundsätze sind von Gott, von der Kirche, von den Heiligen, von der Vernunft und der christlichen Sittenlehre verkündet worden; sind Grenzzeichen, jenseits deren Lilien und Rosen weder sprießen noch blühen, Reinheit, Bescheidenheit, weibliche Würde und Ehre ihren Glanz nicht verbreiten, sondern wo eine ungesunde Luft des Leichtsinns, zweideutiger Sprache, verwegener Eitelkeit, leerer Ruhmsucht des Gemüts nicht weniger als der Kleidung weht und herrscht. Es sind jene Grundsätze, auf die der heilige Thomas von Aquin in Bezug auf den weiblichen Schmuck hinweist, wenn er lehrt, welches die Ordnung unserer Liebe und unserer Neigungen sein soll: das Wohl unserer Seele hat dem des Leibes voranzugehen, und dem Vorteil unseres eigenen Leibes müssen wir das Wohl der Seele unseres Nächsten vorziehen. Sieht man nicht, dass hier eine Grenze ist, die keine Mode überschreiten darf, jenseits welcher die Mode der Ursprung der Zerstörung der eigenen Seele und der Seele des Nächsten wird?

Hygiene der Kleidung

Manches junge Mädchen wird vielleicht sagen, eine bestimmte Art von Kleidung sei bequemer oder auch hygienischer. Wenn sie aber zu einer ernsten, drohenden Gefahr für das Seelenheil wird, dann ist sie sicher nicht hygienisch für den Geist, man hat alsdann die Pflicht. auf sie zu verzichten. Der Gedanke an die Rettung der Seele machte die Märtyrerinnen, wie eine heilige Agnes und eine heilige Cäcilia, inmitten vom Qualen und Zerfleischung ihrer jungfräulichen Leiber zu Heldinnen.

Wenn man um eines bloßen persönlichen Vergnügens willen nicht das Recht hat, das leibliche Wohl anderer in Gefahr zu bringen, ist es dann nicht noch weniger erlaubt, das Heil. ja sogar das Leben ihrer Seelen zu gefährden? Wenn eine gewagte Mode, wie manche Frauen behaupten, auf sie keinen schlechten Eindruck macht, was wissen sie dann von dem Eindruck. den andere davon empfangen? Wer gibt ihnen die Gewissheit, dass andere nicht böse Anregungen daraus ziehen?...

Verantwortung der Eltern

Treffend hat man festgestellt, dass manche christliche Frau, wenn sie von den Versuchungen und Verfehlungen wüsste, die sie in anderen durch Kleidung und Vertraulichkeit hervorruft, worauf sie in ihrem Leichtsinn so wenig achtet, über ihre Verantwortung entsetzt wäre! Wir zögern nicht hinzuzufügen: Ihr christlichen Mütter, wenn ihr wüsstet, welch eine Zukunft inneren Kummers und innerer Gefahren, schlecht verstandener Zweifel und schlecht verhehlter Beschämung ihr euren Söhnen und Töchtern dadurch bereitet, dass ihr sie unklug daran gewöhnt, kaum bekleidet zu leben, wenn ihr sie den natürlichen Sinn für Anstand verlieren lasst, ihr würdet selbst erröten und die Schande fürchten, die ihr euch selber antut, und den Schaden, den ihr den Kindern zufügt, die euch der Himmel anvertraut hat, um sie christlich aufzuziehen. Und was Wir den Müttern sagen, das wiederholen Wir für nicht wenige gläubige und auch fromme Frauen, die mitunter eine gewagte Mode annehmen und eben durch ihr Beispiel letzte Hemmungen beseitigen, die viele ihrer Schwestern fernhalten von einer Mode, die für sie zum Ursprung geistlichen Verderbens werden kann. Solange eine gewisse herausfordernde Kleidung das traurige Vorrecht von Frauen zweifelhaften Rufes bleibt und gleichsam das Zeichen ist, an dem man sie erkennt, wird eine Frau guten Rufs sie nicht für sich übernehmen. Von dem Tage an aber, da Frauen sie tragen, die über jeden Verdacht erhaben sind, wird man nicht mehr zögern, mit dem Strom zu schwimmen, ein Verhalten, das schlimmste Folgen nach sich ziehen kann (Aus der Ansprache an die Delegation der weiblichen Jugend der Katholischen Aktion, 22. Mai 1941).

10. GRUNDSÄTZE BEI EINEM EHEPROZESS

GRUNDSÄTZLICH ist zu sagen, dass die Einheit des menschlichen HandeIns sich aus folgenden Elementen ergibt· einem einzigen Zweck, einem einzigen Streben aller auf diesen Zweck, einer rechtlich-sittlichen Verpflichtung, diesen Weg einzuschlagen und festzuhalten Ihr werdet wohl verstehen, dass von diesen Elementen der einzige Zweck Ausgangspunkt und eigentlicher Zielpunkt ist. sowohl von der objektiven wie von der subjektiven Seite her. Wie jede Bewegung ihre Bestimmung von ihrem Ziel erhält, dem sie zustrebt, so wird auch die bewusste menschliche Tätigkeit von dem Zweck bestimmt, den sie verfolgt.

Das einzige Ziel in der Behandlung ehelicher Streitfälle

Im Eheprozess nun ist das einzige Ziel ein der Wahrheit und dem Recht entsprechendes Urteil, das im Nichtlgkeitsprozess auf das behauptete Nichtbestehen des ehelichen Bandes abzielt; im Informativprozess de vinculo solvendo auf das Bestehen oder Nichtbestehen der nötigen Voraussetzungen für die Lösung des Ehebandes. Mit anderen Worten: Das Ziel ist die amtliche Feststellung und Inkraftsetzung der Wahrheit und des ihr entsprechenden Rechts in Bezug auf das Bestehen oder das Fortbestehen eines Ehebandes.

Die persönliche Ausrichtung ergibt sich aus dem Willen der einzelnen, die an der Behandlung des Streitfalls beteiligt sind, insofern sie all ihr Denken, Wollen und Handeln in Sachen des Prozesses auf die Erreichung jenes Zieles richten und es ihm unterordnen.

Wenn daher alle Beteiligten beständig diese Richtung verfolgen, so ergibt sich daraus als natürliche Folge ihre Einigkeit im Handeln und Zusammenwirken.

Das dritte Element endlich, nämlich die rechtlich-sittliche Verpflichtung, diese Richtung einzuhalten, leitet sich im Eheprozess aus dem göttlichen Recht ab. Denn der Ehevertrag ist seiner Natur nach und unter den Getauften durch seine Erhebung zur Würde des Sakraments nicht vom menschlichen Willen, sondern von Gott geordnet und bestimmt. Es genüge, an das Wort Christi zu erinnern: "Was also Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen", und an die Lehre des heiligen Paulus: "Sacramentum hoc magnum est, ego autem dico in Christo et in Ecclesia." Der hohe Ernst dieser Verpflichtung, die aus göttlichem Recht als letztem und unversieglichem Quell entsprungen ist, muss im Eheprozess im Dienst der Wahrheit kraftvoll behauptet und eingeschärft werden. Nie geschehe es, dass vor den kirchlichen Gerichten in Eheprozessen Täuschungen, Meineide, Bestechungen oder Betrug irgendwelcher Art vorkommen! So müssen alle, die irgendwie daran beteiligt sind, ihr Gewissen wachhalten und, wenn es nötig sein sollte, es wieder erwecken und wieder beleben, um sich daran zu erinnern, dass diese Prozesse im Grunde nicht vor den Gerichten von Menschen geführt werden, sondern vor dem Gericht des allwissenden Gottes, und dass darum die entsprechenden Urteile, die durch einen wesentlichen Betrug verfälscht sind, vor ihm und im Bereich des Gewissens keine Gültigkeit haben.

Recht nach Gesetz und Willen Gottes

Der Gedanke, zum Dienst am Ziel der Kirche zu gehören, überträgt außerdem all jenen, die an ihrer RechtstätigkeIt teilnehmen, auch die notwendige Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit. Zwischen Kirche und Staat besteht, wie Wir in der erwähnten Enzyklika über den mystischen Leib Christi festgestellt haben, obwohl beide im vollen Sinn des Wortes vollkommene Gesellschaften sind, ein tiefer Unterschied. Die Kirche hat einen besonderen und eigentümlichen Charakter göttlichen Ursprungs und göttlicher Prägung. Daraus ergibt sich auch in ihrem Rechtsleben ein ihr eigentümlicher Zug, eine Ausrichtung auf höhere, überweltliche, ewige Gedanken und Güter, bis zu den letzten Konsequenzen. Es ist daher nicht als Meinung, sondern aus verschiedenen Gründen als ein irriges Urteil zu betrachten, wenn einige sagen, das Ideal der kirchlichen Rechtspraxis bestehe in ihrer größtmöglichen Angleichung an die staatliche Rechtsordnung und in der Übereinstimmung damit. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Kirche aus dem wahren Fortschritt der Rechtswissenschaft auch auf diesem Gebiete den Umständen entsprechend Nutzen ziehen kann.

Endlich verleiht der Gedanke der Zugehörigkeit zur höheren Einheit der Kirche und der Unterordnung unter ihr universales Ziel - die "salus animarum" , - das Heil der Seelen - der Rechtsprechung die notwendige Festigkeit, um auf dem sicheren Pfade der Wahrheit und des Rechts voranzuschreiten, und bewahrt sie nicht weniger vor schwächlicher Nachgiebigkeit gegenüber dem ungeordneten Begehren der Leidenschaften wie vor einer harten und ungerechten Unbeugsamkeit. Das Heil der Seelen wird von einer absolut sicheren höchsten Norm geleitet: dem Gesetz und dem Willen Gottes. Nach diesem Gesetz und Willen Gottes wird sich eine Rechtspraxis, die erkennt und weiß, dass sie kein anderes Ziel hat als die Kirche selbst, beständig richten bei der Behandlung der ihr unterbreiteten Einzelfälle. So wird sie in einer höheren Ordnung bekräftigt sehen, was schon auf ihrem eigenen Gebiet ihre grundlegende Maxime war: Dienst und Behauptung der Wahrheit in der Feststellung der wahren Tatsachen und in der Anwendung des Gesetzes und des Willens Gottes auf sie (Aus der Botschaft zur Eröffnung des Gerichtjahrs der Sacra Romana Rota, 2. Oktober 1943).

11. MENSCHENWÜRDE, PSYCHOLOGIE, ANÄSTHESIE

Moralprobleme in der angewandten Psychologie

DIE ANTWORTEN, die Wir Ihnen bis jetzt gegeben haben, erfordern ihrer Vollständigkeit wegen noch die Aufzählung der grundlegenden Prinzipien, aus denen sie abgeleitet sind. Mit Ihrer Hilfe ist es Ihnen, meine Herren, möglich, sich für jeden einzelnen Fall ein völlig richtiges persönliches Urteil zu bilden. Wir sprechen nur von den moralischen Prinzipien, die sowohl den Psychologen als auch den Patienten in dem Ausmaß betreffen, in dem letzterer durch eine freie und verantwortliche Willensentscheidung mitwirkt.

Bestimmte Handlungen stehen im Widerspruch zu der Moral, weil sie die Normen eines positiven Gesetzes verletzen. Andere Handlungen tragen den Widerspruch zur Moral in sich selbst und werden deshalb nie zu sittlich guten Handlungen. Schließlich gibt es Handlungen, die auf Grund bestimmter Umstände unmoralisch werden. So ist es z. B. unmoralisch, sich in Gewissensfragen eines Menschen einzumischen. Doch wird eine solche Handlung sittlich gut, wenn der betroffene Mensch seine Zustimmung dazu gibt. Es kann auch vorkommen, dass einige Handlungen die Gefahr streifen, das Sittengesetz zu verletzen. So läuft man bei der Anwendung von gewissen Tests Gefahr, unsittliche Vorstellungen zu erwecken. Doch wird ihre Anwendung moralisch, wenn die ihr zugeordneten Motive das Risiko rechtfertigen. Man kann somit drei Arten von unmoralischen Handlungen unterscheiden, deren Unterscheidungskriterien drei grundlegenden Prinzipien entstammen: Handlungen, die in sich selbst unmoralisch sind, Handlungen, zu denen der Handelnde kein Recht hat, und Handlungen, die ohne hinreichenden Grund Gefahren heraufbeschwören.

Unmoralische Handlungen in sich selbst sind jene, deren Elemente mit der moralischen Ordnung, das heißt mit der gesunden Vernunft, unvereinbar sind. Das bewusste und freie Handeln steht dabei im Widerspruch zu den wesentlichen Prinzipien der menschlichen Natur oder zu den wesentlichen Beziehungen vom Menschen zum Schöpfer und von Mensch zu Mensch oder auch im Widerspruch zu den Gesetzen, die den Gebrauch der materiellen Dinge in dem Sinne regeln, dass der Mensch nie ihr Sklave sein darf, sondern sie beherrschen muss. Es ist gegen die moralische Ordnung, dass der Mensch seine geistigen Fähigkeiten frei und bewusst den niederen Instinkten unterordnet. Wenn die Anwendung von Tests, der Psychoanalyse oder jeder anderen Methode dahin abgleitet, wird sie unmoralisch und muss ohne Diskussion abgelehnt werden. Selbstverständlich untersteht es der Gewissensentscheidung des Psychologen, zu bestimmen, welche Verhaltensweisen in diesem Bereich zu verwerfen sind. Unmoralische Handlungen auf Grund des Fehlens der Berechtigung bei dem, der sie durchführt, enthalten in sich keine wesentlichen Elemente, die unmoralisch sind, sondern setzen, um erlaubt zu sein, ein explizites oder implizites Recht voraus, wie dies zumeist beim Arzt oder Psychologen der Fall ist. Da jedoch ein solches Recht nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, muss es durch einen positiven Akt zugunsten dessen, der es in Anspruch nimmt, gesetzt und juristisch begründet werden. Solange dies nicht der Fall ist, bleibt die Handlung unmoralisch.

Wenn zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Handlung unter diesem Gesichtspunkt unmoralisch zu sein scheint, so folgt daraus nicht, dass sie es immer bleiben muss. Es kann ja der Fall eintreten, dass die formelle Berechtigung, die fehlte, später erworben wird.

Auf jeden Fall darf man sich eine Berechtigung nicht auf Grund von Vermutungen aneignen. Wie Wir oben dargelegt haben, ist es auch hier die Aufgabe des Psychologen, im konkreten Fall die Entscheidung zu treffen. Man findet dafür in den Veröffentlichungen der angewandten Psychologie manches konkrete Beispiel, ob diese oder jene Handlung unter den Anwendungsbereich dieses Prinzips fällt. Unmoralisch können auch Handlungen durch die Gefährdung sein, die sie in sich bergen, ohne dass das Handlungsmotiv diesen Gefährdungen entspricht. Wir sprechen dabei selbstverständlich von der moralischen Gefährdung des Einzelmenschen und der Gemeinschaft sowohl in persönlicher Hinsicht für Leib, Leben, guten Ruf und gute Sitten als auch in rein materieller Hinsicht. Man kann selbstverständlich nicht jede Gefahr bannen und den Interessen eines jeden schweren Schaden zufügen. Deswegen erlaubt die Moral das Wagnis unter der Bedingung, dass es durch einen zugeordneten Handlungsgrund gerechtfertigt ist, der im richtigen Verhältnis zu den bedrohten Werten und der Größe der Gefahr steht. In den Arbeiten der Psychologie werden öfters die Gefahren herausgestellt, die verschiedene Behandlungsmethoden der angewandten Psychologie, das heißt Psychotherapie, enthalten. Das Prinzip, das Wir aufgezeigt haben, wird behilflich sein, in jedem einzelnen Fall die auftauchenden Schwierigkeiten zu lösen.

Die von Uns formulierten Normen gehören vordringlich der moralischen Wertordnung an. Wenn die Psychologie theoretisch eine Methode oder die Wirksamkeit einer Therapie diskutiert, zieht sie nur ihre eigenen Möglichkeiten in Betracht, um das gesteckte Ziel zu erreichen, und berührt die moralische Ebene nicht. Bei der praktischen Anwendung müssen jedoch die geistigen Werte, die sowohl bei Psychologen und Psychotherapeuten als auch beim Patienten ins Spiel kommen, berücksichtigt werden und die wissenschaftliche und medizinische Sicht in eine Ganzheitssicht der menschlichen Person einbezogen werden. Diese grundsätzlichen Normen sind verpflichtend, weil sie der Natur der Dinge selbst entstammen und zur Wesensordnung des menschlichen Handelns gehören, dessen oberstes und unmittelbar einsichtiges Prinzip heißt: das Gute tun und das Böse meiden (Aus der Ansprache an die Teilnehmer des XIII Internationalen Kongresses für angewandte Psychologie 10 April 1958).

Die Anwendung der Anästhesie in der Medizin

Der IX. Nationalkongress der "Italienischen Gesellschaft für Anästhesiologie", der hier in Rom vom 15. bis 17. Oktober 1956 stattfand, hat Uns durch Vermittlung des Präsidenten seines Organisationskomitees, Prof. Piero Mazzoni. drei Fragen gestellt, die sich auf die religiöse und sittliche Seite der Anästhesie auf Grund des Naturgesetzes und besonders deI christlichen Lehre, wie sie im Evangelium enthalten ist und von der Kirche dargelegt wird, beziehen.

Diese Fragen, deren Wichtigkeit sich nicht bestreiten lässt, müssen bei den Menschen von heute verstandes- und gefühlsbedingte Reaktionen hervorrufen; bei den Christen insbesondere zeigen sich in dieser Hinsicht sehr auseinandergehende Tendenzen. Die einen bejahen die Anwendung schmerzbetäubender Mittel uneingeschränkt; andere neigen eher dazu, sie in Bausch und Bogen zu verwerfen weil sie dem Ideal des christlicher Heroismus widersprächen; wieder andere opfern zwar nichts von diesem Ideal, sind aber doch bereit, eine Komprornisshaltung einzunehmen. Daher hat man Uns gebeten, Unsere Gedanken zu folgenden Punkten zu äußern:

1. Gibt es eine allgemeine sittliche Verpflichtung, die Anästhesie abzulehnen und den physischen Schmerz aus Glaubensgründen anzunehmen?

2. Ist der Verlust des Bewusstseins und des Gebrauchs der höheren Fähigkeiten infolge der Anwendung von Narkotika mit dem Geist des Evangeliums vereinbar?

3. ist die Anwendung von Narkotika bei Sterbenden oder Kranken in Todesgefahr erlaubt, vorausgesetzt, dass es dafür eine medizinische Indikation gibt? Darf man sie auch dann anwenden, wenn zugleich mit der Linderung der Schmerzen wahrscheinlich eine Verkürzung des Lebens eintritt?

Schlussfolgerungen und Antworten auf die erste Frage: Sie werden ohne Mühe aus diesen Antworten nützliche Richtlinien für Ihr praktisches Verhalten gewinnen.

1. Gegen die Grundprinzipien der Anästhesiologie als Wissenschaft und Praxis und den Zweck, den sie verfolgt, erheben sich keine Einwände. Sie bekämpft Kräfte, die in vieler Hinsicht schädliche Wirkungen haben und ein höheres Gut hemmen.

2. Der Arzt, der diese Methoden übernimmt, gerät weder mit der natürlichen Sittenordnung noch mit dem besonderen christlichen Ideal in Widerspruch. Er sucht. nach der Ordnung des Schöpfers (vgl. Gen. 1, 28) den Schmerz der menschlichen Herrschaft zu unterwerfen, und benutzt dazu die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik gemäß den Prinzipien, die Wir aufgezählt haben und die seine Entscheidungen in den einzelnen Fällen leiten werden.

3. Der Patient, der den Schmerz betäuben oder lindern will, kann ohne Gewissensbisse die Mittel benutzen, die die Wissenschaft gefunden hat und die an sich nicht unmoralisch sind. Besondere Umstände können zu einer anderen Haltung verpflichten; aber die Pflicht zum Verzicht und zur inneren Reinigung, die jedem Christen obliegt, ist kein Hinderungsgrund für die Anwendung der Anästhesie, weil man dieser Pflicht auch auf andere Weise nachkommen kann. Die gleiche Regel gilt für die oben ausgeführten Forderungen des christlichen Ideals.

Schlussfolgerung und Antwort auf die zweite Frage: Die Schlussfolgerung der vorangehenden Überlegungen lässt sich also folgendermaßen formulieren: In den angegebenen Grenzen und unter Beobachtung der nötigen Vorbedingungen ist die Narkose, die eine Minderung oder Ausschaltung des Bewusstseins mit sich bringt, durch die natürliche Moral erlaubt und mit dem Geist des Evangeliums vereinbar.

Schlussfolgerung und Antwort auf die dritte Frage: Kurz zusammengefasst fragen Sie Uns: "ist die Ausschaltung des Schmerzes und des Bewusstseins durch Narkotika (wenn die medizinische Indikation sie verlangt) von seiten der Religion und der Moral dem Arzt und dem Patienten erlaubt (auch beim Herannahen des Todes und wenn sich vorhersehen lässt, dass die Anwendung von Narkotika das Leben verkürzen wird)?" Man muss darauf antworten: "Wenn es keine anderen Mittel gibt und unter bestimmten Umständen nicht die Erfüllung anderer religiöser oder moralischer Pflichten verhindert wird: ja."

Wie Wir schon erklärt haben, verpflichtet das Ideal des christlichen Heldentums nicht, zum mindesten nicht allgemein, zur Verweigerung einer im übrigen gerechtfertigten Narkose, selbst nicht beim Herannahen des Todes; alles hängt von den konkreten Umständen ab. Der vollkommenere und heldenhaftere Entschluss kann ebenso wohl auf seiten der Annahme wie auf seiten der Verweigerung liegen.

Schlussermahnung:
Wir wagen zu hoffen, dass diese Überlegungen zur Anästhesie unter religiösem und moralischem Gesichtspunkt Ihnen helfen werden, Ihre Berufspflichten mit einem noch wacheren Gefühl für Ihre Verantwortung zu erfüllen. Sie wünschen, den Forderungen unseres christlichen Glaubens vollkommen treu zu bleiben und Ihr Handeln danach zu richten. Doch weit davon entfernt, diese Forderungen als Einschränkungen oder Behinderungen Ihrer Freiheit und Initiative aufzufassen, sehen Sie darin vielmehr den Aufruf zu einem unendlich viel höheren und schöneren Leben, das wir nicht erwerben können ohne Mühen und Opfer, dessen Fülle und Freude aber schon hienieden für diejenigen fühlbar sind, die in Gemeinschaft mit der Person Christi stehen, der in seiner Kirche lebt und sie durch seinen Geist belebt und der auf alle ihre Glieder seine erlösende Liebe ausgießt, die allein endgültig über Leiden oder Tod triumphieren kann (Aus der Ansprache vor Ärzten, Chirurgen und Anästhesisten, 24 Februar 1957).

Moralische Probleme der Wiederbelebung

Dr. Bruno Haid, Chef der Abteilung für Anästhesie an der chirurgischen Universitätsklinik Innsbruck, hat Uns drei Fragen ärztlicher Moral in Bezug auf die so genannte "Wiederbelebung" (Reanimation) vorgelegt. Es ist Uns, meine Herren, willkommen, auf diesen Wunsch zu antworten, da er das hohe Pflichtbewusstsein, das Sie in Bezug auf Ihre beruflichen Pflichten erfüllt und den Willen, die heiklen Probleme, die sich ergeben, im Lichte der Prinzipien des Evangeliums zu lösen, bezeugt.

Die drei Fragen:
1. Hat der Anästhesist das Recht oder ist er in allen Fällen tiefer Bewusstlosigkeit, selbst solchen, die nach dem Urteil eines kompetenten Arztes völlig hoffnungslos sind, verpflichtet. die modernen Apparate der künstlichen Atmung anzuwenden, selbst gegen den Willen der Angehörigen?

2. Kann der Arzt den Atmungsapparat entfernen, bevor der endgültige Stillstand des Kreislaufes eingetreten ist? Kann er es wenigstens, wenn der Patient bereits die Letzte Ölung empfangen hat? Ist diese gültig, wenn sie in dem Augenblick gespendet wird, in dem der Kreislauf stillsteht oder selbst danach?

3. Wenn der Blutkreislauf und das Leben eines durch eine zentrale Lähmung tief bewusstlosen Patienten nur noch durch die künstliche Atmung aufrechterhalten werden kann, ohne dass sich nach mehreren Tagen irgendwelche Besserung zeigt, in welchem Augenblick betrachtet dann die Katholische Kirche diesen Patienten als "tot" oder muss man ihn nach den Naturgesetzen für tot ansehen (Frage de facto und de lure).

Wir sind sehr gern bereit, auf diese drei Fragen zu antworten, doch bevor Wir auf sie eingehen, möchten Wir die Grundsätze darlegen, die Uns gestatten, eine Antwort zu formulieren. Die natürliche Vernunft und die christliche Moral sagen, dass der Arzt (und wem es immer obliegt, für seinen Nächsten zu sorgen) das Recht und die Pflicht hat, im Falle einer ernsten Krankheit die Maßnahmen zu treffen, die nötig sind, um Leben und Gesundheit zu erhalten. Diese Pflicht, die er gegenüber sich selbst, gegenüber Gott gegenüber der menschlichen Gemeinschaft und häufiger noch gegenüber gewissen ganz bestimmten Personen hat, entspringt der geordneten Nächstenliebe (caritas), dem Gehorsam gegenüber dem Schöpfer, der sozialen Gerechtigkeit und selbst der Gerechtigkeit schlechthin sowie der Rücksicht auf die Angehörigen. Aber sie verpflichtet gewöhnlich nur zum Gebrauch der (entsprechend den Umständen, dem Ort, der Zeit, der Kultur) üblichen Mittel, das heißt der Mittel, die keine außergewöhnliche Belastung für einen selbst oder andere mit sich bringen. Eine strengere Verpflichtung wäre für die Mehrzahl der Menschen zu schwer und würde die Erlangung wichtiger höherer Güter zu sehr erschweren. Leben, Gesundheit und jede Irdische Aktivität sind in der Tat geistigen Zielen untergeordnet. Im übrigen ist es nicht verboten, mehr als das strikt Notwendige zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit zu tun, vorausgesetzt, dass dadurch keine wichtigeren Pflichten versäumt werden.

Was die Spendung der Sakramente an einen in Bewusstlosigkeit liegenden Menschen betrifft, so leitet sich die Antwort von der Lehre und Praxis der Kirche ab, die ihrerseits den Willen des Herrn zur Richtschnur ihres Handeins nimmt. Die Sakramente sind kraft ihrer göttlichen Einsetzung für die Menschen in dieser Welt und für die Dauer Ihres irdischen Lebens bestimmt und setzen, mit Ausnahme der Taufe selber, die Taufe bei dem, der sie empfängt, voraus. Wer kein Mensch ist, es noch nicht oder nicht mehr ist, kann die Sakramente nicht empfangen. Im übrigen kann man sie auch, wenn jemand seine Weigerung bekundet, nicht gegen seinen Willen spenden. Wenn man nicht weiß, ob Jemand die Bedingungen erfüllt, die zum gültigen Empfang des Sakraments notwendig sind, muss man versuchen, den Zweifel zu beseitigen. Gelingt das nicht, so wird das Sakrament bedingungsweise gespendet, zum mindesten mit stillschweigender Klausel (mit der Klausel "Si capax es", die die umfassendste ist). Die Sakramente sind von Christus für die Menschen eingesetzt worden, um ihre Seelen zu retten; darum versucht die Kirche in äußersten Notfällen auch äußerste Maßnahmen, um einem Menschen die Gnade und die Hilfe des Sakraments zuteil werden zu lassen. Die Frage des Eintritts des Todes und die seiner Feststellung, sowohl der Tatsache selber (de facto) wie ihrer rechtlichen Authentizität (de jure), hat durch ihre Folgen selbst auf dem Gebiet der Moral und der Religion eine noch größere Bedeutung. Was Wir über die wichtigsten Voraussetzungen zum gültigen Empfang eines Sakraments gesagt haben, hat das gezeigt; aber die Bedeutung der Sache erstreckt sich auch auf die Folgen für Erbschaftsfragen, Heiratsangelegenheiten, Eheprozesse, auf die Frage von Benefizien (Vakanz eines Benefiziums) und viele andere Fragen des privaten und sozialen Lebens.

Es ist Sache des Arztes und insbesondere des Anästhesisten, eine klare und präzise Definition des "Todes" und des "Augenblicks des Todes" eines Patienten, der in bewusstlosem Zustand stirbt, zu geben. Dafür kann man sich an den üblichen Begriff von der vollständigen und endgültigen Trennung von Leib und Seele halten; aber in der Praxis wird man die Ungenauigkeit der Begriffe" Leib" und" Trennung" in Betracht ziehen müssen. Man kann von der Möglichkeit absehen, dass ein Mensch lebendig begraben wird, da die Wegnahme des Atmungsapparates binnen weniger Minuten den Stillstand des Blutkreislaufes und damit den Tod herbeiführt.

Im Falle eines unlöslichen Zweifels kann man seine Zuflucht auch zu den Präsumptionen de jure und de facto nehmen. Im allgemeinen wird man sich an die Präsumption der Fortdauer des Lebens halten, weil es sich um ein Grundrecht handelt, das der Mensch vom Schöpfer erhalten hat und von dem mit Sicherheit nachgewiesen werden muss, dass es verlorengegangen ist (Aus der Ansprache an Ärzte, Kliniker, Chirurgen und Professoren aus verschiedenen Ländern, 24. November 1957).

12. HELDENTUM

WIE OFT HABT IHR SAGEN HÖREN, dass "das Leben des Menschen auf Erden Kriegsdienst" sei! (Job 7,1). - Wenn das Leben auf Erden Kriegsdienst ist, so hat der Mensch, da er aus Leib und Seele besteht, zwei Schlachtfelder: das leibliche im materiellen Bereich und das geistige im Innern seines Geistes. Jeder Kampf und jedes Schlachtfeld haben ihre Gefahren, ihre Prüfungen, ihre Tugenden, ihre Helden und Heldentaten, ihre heroischen Triumphe und Siegeskränze.

Die leiblichen Kämpfe sind offen und offenkundig; auf den inneren Kampfgebieten aber ist oft alles verborgen. Siege und Siegeskränze bleiben im Dunkeln, sind nur Gott bekannt und werden von ihm belohnt. Ihm allein sind auch die Prüfungen und die Verdienste völlig bekannt, die die Helden der Tugend erheben und auf die Altäre erhöhen. Wie viel Heldenmut erstrahlt auf den Schlachtfeldern, in den Lüften und auf den Meeren, in jener Festigkeit des Gemüts, die der Todesgefahr trotzt! Offenbares Heldentum junger Krieger und furchtloser Führer von Gruppen und Legionen, der Priester, die mitten im Kampfgetümmel Verwundete und Sterbende trösten, der Krankenpfleger und -pflegerinnen, die sich der Krankheiten und Wunden annehmen!

Denn wenn auch jeder Krieg, der zwischen den Völkern auflodert, jedes Herz betrübt und vor Schmerz erschauern lässt, in dem die Liebe Christi, die Freund und Feind umfasst, lebt und drängt und alles entzündet, so ist doch nicht zu leugnen, dass so wilde und blutige Wirrnisse mit den strengen Pflichten, die sie Kämpfern und Nichtkämpfern auferlegen, zuweilen Stunden und Augenblicke heldenhafter Taten zeitigen, in denen sich die oft unvermutete und unerwartete Größe so vieler heroischer Seelen enthüllt, die alles opfern, selbst das eigene Leben, in Erfüllung jener Pflichten, die ihnen das christliche Gewissen diktiert.

Wahres Heldentum

Aber jener würde schwer irren, der glauben wollte, Größe der Seele und Heldentum seien Tugenden, die, wie seltene Blumen, den blutigen Gefilden in Zeiten des Krieges, der Katastrophen, grausamer Verfolgungen und sozialer und politischer Umwälzungen vorbehalten seien. Neben diesen offenkundigen und sichtbaren Beweisen von Heldentum, neben dieser strahlenden Großherzigkeit und Kühnheit, sprießen und wachsen in entlegenen Tälern und Landstrichen, in den Straßen und im Schatten der Städte, vom tristen Gang des Alltagslebens verschleiert, viele nicht weniger heldenhafte Taten, die lautlos aus nicht weniger großen und starken Seelen hervorgehen, in geheimem Wettbewerb mit den schönsten Taten, die sich der allgemeinen Bewunderung erfreuen.

Ist nicht der Geschäftsmann oder der Leiter eines großen Industriewerkes heldenhaft, wenn er sich in Bedrängnis und durch unvorhergesehene widrige Zufälle dem Ruin nahe sieht und obwohl der sichere Weg zur Rettung eines jener Mittel wäre, die die leichtfertige Welt entschuldigt und verzeiht, falls sie zum Erfolg führen, die aber die christliche Moral nicht billigt, dennoch in sich geht, sein Gewissen befragt, dessen Urteil aber nicht übergeht, sondern als gläubiger Christ ein Hilfsmittel verschmäht, das gegen die Gerechtigkeit verstößt, und eignen Ruin und eignes Elend der Beleidigung Gottes und des Nächsten vorzieht?

Ist nicht die arme junge Frau heldenhaft, die Mühe hat, der alten Mutter und den verwaisten Brüdern von dem kargen Lohn, den sie empfängt, ein Stück Brot zu geben, aber jede leichtfertige Nachgiebigkeit verschmäht, ihr Herz und ihre Ehre starkmütig bewahrt und ohne jede Furcht die Gunst eines unmoralischen Arbeitgebers zurückweist, voll Verachtung für reichen und übel erworbenen Verdienst, der sie doch aller Not entreißen würde?

Ist nicht das junge Mädchen heldenhaft, Märtyrerin ihrer Reinheit, die Gott die Lilie ihrer jungfräulichen Tugend, vom eigenen Blute purpurn gefärbt, darbringt?

Dieses Heldentum der Rechtlichkeit, dieses Heldentum der christlichen Frauenwürde, Heldentum, das der Engel würdig ist, dieses verborgene Heldentum ist es, das sich paart mit dem Heldentum des Glaubens, des Gottvertrauens, der Geduld, der Barmherzigkeit in Kliniken und Lazaretten, auf den Wegen der Herolde Christi, in der Heidenmission, wo immer sich Seelenstärke mit der Liebe zu Gott und dem Nächsten verbindet.

So ist es nicht überraschend, dass sich auch zwischen den vier Wänden des Heims das Heldentum der Familie verbirgt und dass auch das Leben der christlichen Eheleute sein geheimes Heldentum hat; ein außerordentliches Heldentum in tragischen, der Welt oft unbekannten Lagen; ein Heldentum des Alltags, eine Folge stündlich erneuerter Opfer, Heldentum des Vaters, Heldentum der Mutter, ein Heldentum beider (Aus der Ansprache an Neuvermählte. 13. August 1941).

Heldentum des Alltags

Wie in den ersten Jahrhunderten des Christentums können sich auch in unseren Zeiten in jenen Ländern der Welt, wo Religionsverfolgungen wüten - offen oder versteckt, jedoch nicht weniger hart -, die bescheidensten Gläubigen von einem Augenblick zum anderen der dramatischen Notwendigkeit gegenübersehen, wählen zu müssen zwischen ihrem Glauben, den unangetastet zu erhalten ihre Pflicht ist, und ihrer Freiheit, den Mitteln zum Lebensunterhalt, ja der Erhaltung des Lebens selbst. Aber auch in normalen Zeiten geschieht es, dass sich Menschen plötzlich vor die Wahl gestellt sehen, eine unumgängliche Pflicht zu verletzen oder sich gefährlichen und drückenden Opfern und Gefahren für Gesundheit, Besitz, Familie und gesellschaftliche Stellung auszusetzen. So sind sie in die Zwangslage versetzt, heldenmütig zu sein und zu handeln, wenn sie ihren Pflichten treu bleiben und in der Gnade Gottes verharren wollen.

Als Unsere hochverehrten Vorgänger, und im besonderen Papst Pius XI. in der Enzyklika Casti connubii, die heiligen und unumgänglichen Gesetze des Ehelebens in Erinnerung riefen, erwogen sie und gaben sie sich durchaus Rechenschaft darüber, dass in nicht wenigen Fällen von den christlichen Eheleuten wahres Heldentum gefordert wird. Ob es sich darum handelt, den von Gott gewollten Zweck der Ehe zu achten, oder darum, den brennenden und verführerischen Verlockungen der Leidenschaften zu widerstehen, die einem unruhigen Herzen einflüstern, anderswo das zu suchen, was es in seiner rechtmäßigen Verbindung nicht gefunden hat oder nicht gänzlich gefunden zu haben glaubt; oder nur darum, nicht das Band der Seelen und der gegenseitigen Liebe zu zerreißen oder erschlaffen zu lassen: die Stunde kommt, da es gilt, zu verzeihen, einen Zwist, eine Beleidigung, eine vielleicht schwere Kränkung zu vergessen. Wie viele persönliche Dramen entstehen doch, deren Bitterkeiten und Wechselfälle sich hinter dem Schleier alltäglichen Lebens abspielen! Wie viele geheime heldenmütige Opfer, wie viel Kümmernisse, um zusammenzubleiben und sich christlich auf seinem Platz und bei seiner Pflicht zu behaupten!

Und wie viel Seelenstärke fordert dieses Alltagsleben so oft. Wenn man jeden Morgen wieder an die gleiche, oft harte und in ihrer Monotonie ermüdende Arbeit gehen muss; wenn man die beiderseitigen Fehler, die nie überwundenen Gegensätze, die kleinen Verschiedenheiten des Geschmacks, der Gewohnheiten, der Ideen, zu denen das gemeinsame Leben nicht selten Anlass gibt, mit einem Lächeln auf den Lippen freundlich und liebenswürdig ertragen muss; wenn man sich mitten in oft unvermeidlichen kleinen Schwierigkeiten und Zwischenfällen nicht die Ruhe und die gute Laune trüben lassen darf; wenn es bei einer kalten Begegnung gilt, schweigen zu können, zur rechten Zeit die Klage zurückzuhalten, das Wort zu ändern und zu mildern, das, unbesonnen ausgestoßen, den gereizten Nerven Luft machen würde, dafür aber schuld wäre, dass in der Atmosphäre der vier Wände sich eine dunkle Wolke ausbreitete! Tausend Kleinigkeiten, tausend flüchtige Augenblicke des täglichen Lebens, von denen jeder nur wenig, fast nichts ist, deren beständige Wiederkehr sie aber schließlich gefährlich macht und mit denen, in wechselseitigem Leiden, der Friede und die Freude eines Heims zu einem großen Teil verflochten und verkettet ist.

Suchet nicht anderswo die Quelle solchen Heldentums! In den Wechselfällen des Familienlebens wie in allen Verhältnissen des menschlichen Lebens hat das Heldentum seine wesentliche Wurzel in einem tiefen und beherrschenden Pflichtgefühl. Mit dieser Pflicht kann man nicht feilschen und handeln; sie hat den Vorrang vor allem und über alles jenes Pflichtgefühl ist für den Christen Bewusstsein und Erkenntnis der Oberherrschaft Gottes, seiner höchsten Autorität, seiner souveränen Güte. Dieses Gefühl lehrt, dass der klar geoffenbarte Wille Gottes keine Diskussionen zulässt, sondern von allen fordert, sich ihm zu beugen; dies Gefühl lehrt uns vor allem andern begreifen, dass dieser göttliche Wille die Stimme einer unendlichen Liebe zu uns ist. So ist es mit einem Wort das Gefühl nicht einer abstrakten Pflicht oder eines unerbittlichen herrischen Gesetzes, das der menschlichen Freiheit des Wollens und Handeins feindlich wäre und sie erdrückte, sondern ein Gefühl, das den Forderungen einer Liebe, einer unendlich großmütigen, überirdischen und doch die vielerlei Zufälle unseres Erdenlebens regierenden Freundschaft entspricht und sich ihnen beugt (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 2. August 1951).

13. STARKE UND SCHWACHE, KINDER UND ALTE

DAS WORT infermo (schwach) - vom lateinischen in-firmus (nicht fest, nicht stark) - bezeichnet ein Wesen ohne Kraft, ohne Festigkeit. Nun gibt es in jeder Familie vor allem zweierlei schwache Wesen, die daher der Zuneigung und Aufmerksamkeit in höherem Maße bedürfen: die Kinder und die Alten.

Der Instinkt flößt auch den unvernünftigen Tieren die Zärtlichkeit gegen die Jungen ein. Wie könnte es also notwendig sein, sie euch, christliche Neuvermählte und künftige Eltern, einzuschärfen? Doch kann es vorkommen, dass ein Übermaß von Strenge, ein Mangel an Verständnis gleichsam eine Schranke zwischen den Herzen der Kinder und denen der Eltern aufrichtet. Der heilige Paulus sagt: "Ich habe mich schwach gemacht mit den Schwachen ... , ich bin allen alles geworden, um alle zu retten" (1. Kor 9, 22).

Es ist ein großer Vorzug, wenn man sich klein zu machen weiß mit den Kleinen, Kind mit den Kindern, ohne dadurch die väterliche oder mütterliche Autorität zu gefährden. Sodann geziemt es sich immer, im Kreis der Familie den Alten jene Achtung, jene Ruhe, Wir möchten sagen, jene zärtliche Rücksicht zu erweisen, deren sie bedürfen.

Die Alten! Man ist manchmal, vielleicht unbewusst, hart gegenüber ihren kleinen Ansprüchen, ihren unschuldigen Seltsamkeiten, Runzeln, die die Zeit in ihre Seelen gegraben hat wie jene, die ihr Gesicht durchfurchen, die sie aber in den Augen der andern um so verehrungswürdiger machen sollten. Man ist leicht geneigt, sie für das zu tadeln, was sie nicht mehr tun, statt ihnen ständig zu sagen, wie sie es verdient hätten, was sie getan haben. Man lächelt vielleicht, weil ihr Gedächtnis schwächer geworden ist, und erkennt nicht immer die Weisheit ihrer Urteile. In ihren von Tränen getrübten Augen sucht man vergebens die Flamme der Begeisterung, aber man versteht nicht in ihnen das Licht der Ergebung zu sehen, in dem schon die Sehnsucht nach dem ewigen Glanz erwacht.

Spricht man jedoch von dem Mitleid mit den Schwachen, so denkt man gewöhnlich an Menschen jeden Alters, die von einem vorübergehenden oder dauernden physischen Übel befallen sind.

Im Garten der Menschheit ist, seit er nicht mehr das irdische Paradies heißt, eine der bitteren Früchte der Erbsünde gereift und wird immer wieder reifen: der Schmerz. Instinktiv verabscheut und meidet ihn der Mensch; am liebsten würde er seinen Anblick und die Erinnerung an ihn austilgen. Aber nachdem sich Christus, indem er Fleisch ward, "vernichtet" hat und Knechtsgestalt annahm (Phil 2,7), nachdem es ihm gefiel, "die schwachen Dinge der Welt zu wählen, um die starken zu beschämen" (1 Kor 1, 27): nachdem der Sinn des Schmerzes und die innige Freude der Selbsthingabe jenen enthüllt ward, die leiden, hat das menschliche Herz in sich unerwartete Abgründe von Zartheit und Barmherzigkeit entdeckt.

Freilich bleibt die Kraft die unbestrittene Herrscherin in der Natur der heidnischen Seelen von heute, die jenen gleichen, die der heilige Apostel Paulus zu seiner Zeit sine affectione, ohne Herz, und sine misericordia, ohne Barmherzigkeit gegen die Armen und Schwachen nannte (Röm 1,31). Für die wahren Christen aber ist die Schwäche ein Anspruch auf Achtung und Krankheit ein Anspruch auf Liebe. Denn im Gegensatz zum Egoismus sucht die Liebe nicht sich selbst, sondern gibt sich hin; je schwächer, elender, hilfsbedürftiger ein Wesen ist, desto mehr erscheint es ihrem gütigen Blick als ein Gegenstand der Zuneigung (Aus der Ansprache an Neuvermählte, "7. Juli 1940).

14. GLAUBE, HOFFNUNG UND LIEBE

WENN DREI NOTEN erforderlich und ausreichend sind, durch ihren Klang die Tonart einer musikalischen Komposition zu bestimmen, so könnte sich das Lied des Frühlings für den Christen in drei Noten verdichten, deren Harmonie seine Seele in Einklang mit Gott selber bringt: Glaube, Hoffnung, Liebe.

Der Glaube ist eine theologische Tugend, durch die wir an Gott glauben, den wir nicht mit leiblichen Augen sehen, an seine unendliche Güte, die seine Gerechtigkeit zuweilen für die Kurzsichtigkeit des Menschen verhüllt, an seine Allmacht, der in dem voreiligen Urteil der Menschen seine geheimnisvolle Langmut zu widersprechen scheint. Wenn Gott veränderlich erscheint, so ist er doch in Wahrheit unveränderlich, weil ewig. Jede seiner Entscheidungen trifft ein, wenn es an der Zeit ist, jeder seiner Pläne erfüllt sich in der Stunde, die seine Vorsehung dafür bestimmt hat.

In der übernatürlichen Ordnung ist die Hoffnung, wie der Glaube, eine theologische Tugend, das heißt eine Tugend, die den Menschen persönlich an Gott bindet. Sie lüftet noch nicht den Schleier des Glaubens, um unseren Augen Gott als den ewigen Gegenstand der himmlischen Anschauung zu zeigen. Aber sie schenkt der Seele, die mit der Gnade mitwirkt, die Versicherung ihres künftigen Besitzes in dem unfehlbaren Versprechen des Erlösers. Sie gibt ihr das Unterpfand und das gleichsam vorweggenommene Beispiel in der Auferstehung des menschgewordenen Gottes.

Die Liebe ist vor allem ein Hymnus der Hingabe. Die wahre und reine Liebe ist die Hingabe seiner selbst. Sie ist Sehnsucht nach gänzlicher Ergießung und Hingebung, die zum Wesen der Güte gehört und durch welche sich Gott, die unendliche Güte, die wesenhafte Liebe, getrieben fühlte, sich in die Schöpfung zu ergießen. Diese mitteilsame Kraft der Liebe ist so groß, dass sie keine Grenzen kennt. Wie der Schöpfer von Ewigkeit her die Geschöpfe liebt, die er in der Zeit dank einem allgewaltigen Streben seiner Barmherzigkeit, aus dem Nichts in das Sein rufen will: "In caritate perpetua dilexi te; ideo attraxi te, miserans - in ewiger Liebe liebte ich dich; darum zog ich dich barmherzig an mich" (Jer 31, 3), so auch das fleischgewordene Wort, da es unter die Menschen gekommen war: "cum dilexisset suos, qui erant in mundo, in finem dilexit eos - da er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, liebte er sie bis ans Ende" (Joh. 13, 1), (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 3. April 1940).

15. DIE ARMUT UND DIE NÄCHSTENLIEBE

ALS GEMEINSAMER VATER der Gläubigen richten Wir auf die Menschheit einen Blick voll tiefen Mitgefühls. Wir sind beeindruckt ob der großen Not, die zu dem jahrhundertealten Leid noch hinzugekommen ist. Aber wir sehen gleichzeitig auch, dass Gott zu den Prüfungen und dem Unheil, die er zugelassen hat, um die schuldige Welt zu läutern, uns immer neue und erfinderischere Formen der Nächstenliebe als Heilmittel aufzeigt.

Der heilige Apostel Jakobus hat - man möchte sagen, nicht ohne Ironie - vermerkt: "Was nützt es, den Bedürftigen zu sagen: Wärmt euch und sättigt euch, wenn man ihnen nicht gibt, was sie zum Leben brauchen ?" Und der Herr erklärt, am jüngsten Tage würden alle Menschen nach der Übung dieser tätigen Karitas beurteilt werden. Wahre Karitas begnügt sich nicht allein zu geben; sie gibt sich selber hin. Um den Armen aufzusuchen, muss man das eigene Heim und das eigene Wohlergehen verlassen; oft muss man auf Bräuche und die übliche Art verzichten. Der Apostel Jakobus mahnt: "Wenn einer die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm."

Der Arme, der ebenso wie der Reiche eine Seele hat, hat auch wie er ein Herz; und wie wenig genügt meist, um einen Betrübten aufzumuntern und die Bitterkeit eines Rebellen zu besänftigen! In nicht wenigen armseligen Behausungen, in die, vielleicht mit bescheidener materieller Hilfe nur, ein Mensch tätig-froher Hingabe eingedrungen ist, wird sich das Wort der Weisheit bewahrheiten: "Milieus est vocari ad olera cum caritate, quam ad vitulum saginatum cum odio? Besser, man wird eingeladen mit Liebe zu Kohl, als mit Hass zu einem gemästeten Kalb." Wer es sich so zur Pflicht macht, vom Gefühl frommen Mitempfindens zu Taten der Nächstenliebe überzugehen, dem macht der Arme zugleich die Notwendigkeit begreiflich, mit der äußeren Tat des Wohltuns herzliche innere Anteilnahme zu verbinden. Der Arme bringt uns Überdies durch sein Beispiel Gott näher. Unter armseligen Dächern blühen zuweilen wunderbare Tugenden.

Der arme Lazarus und die Barmherzige Schwester

Stellt euch vor, es hätte in Jerusalem zur Zeit des armen Lazarus, von dem der Evangelist Lukas spricht, eine Barmherzige Schwester gegeben. Wäre sie ihm begegnet, hätte sie gewiss seine Wunden auf wirksamere und aseptischere Weise behandelt als die guten Hunde, die sie ihm ableckten; und dann wäre sie stolz in den Bankettsaal eingetreten mit ihrer wackeren Almosenbüchse in der Hand; und so wäre es ihr vielleicht gelungen, während sie Lazarus half, den reichen Prasser auf dem Weg zum Himmelreich zu halten. Das ist die beglückende Kühnheit, zu der ein Armer anleitet; solche Kühnheit macht aus jeder anderen eine Mittlerin des Segens, nicht weniger für die Seele der Wohltäter als für die Seele derer, die Wohltaten empfangen.

O Nächstenliebe, du bist wie eine Jungfrau mit leuchtenden Augen, wie eine tröstende Mutter, deren Worte wie Honig träufeln, wie eine barmherzige Schwester mit behutsamen Händen. Du allein machst diese Erde bewohnbar für Unglückliche und die Waisen, für Bedrückte und Obdachlose. Du offenbarst dem Menschen die innerste Güte seines Herzens, zeigst der Erde das schönste Bild Gottes, der wesenhaft Liebe ist. Einzige Tugend, die ewig in der ewigen Seligkeit triumphieren wird, wenn Glaube und Hoffnung ihre Erfüllung gefunden haben. Mögest du auch jetzt in der Welt triumphieren! Wie schön und wie erwünschter denn je erscheinst du in dieser Stunde, in der die Gewalttätigkeit, die Tochter des Hasses, dich ächten zu wollen scheint! Wie gut und mehr denn je nötig bist du für diese gepeinigte, von Fieberschauern geschüttelte Menschheit, die nicht mehr an die Wahrheit glauben will, die nicht mehr an die Gerechtigkeit zu glauben wagt, die sich aber gleichwohl nicht entschließen kann, nicht mehr an die Liebe zu glauben!

Unglücklich und töricht sind jene Menschen, die in ohnmächtiger Raserei diese unsterbliche Tugend töten wollen! Unglücklich die Pharisäer mit der verdorrten Seele und leerem Blick, die den Glanz der Liebe nicht sehen! Unglücklich die Gelehrten mit versteinertem Herzen, die das Echo dieser Stimme nicht hören, die da die Schmerzen der Menschheit zu erleichtern sucht. Unglücklich die falschen Propheten eines allgemeinen Glücks, deren glühende Augen brennen in Betrachtung der Phantasmen einer vollständigen und endgültigen irdischen Gerechtigkeit, und in der Nächstenliebe nur eine ungelegene, aufdringliche Beschimpferin ihrer königlichen Schwester sehen!

Weil die Welt die Nächstenliebe verkannt hat, hat sie den wahren Frieden verloren und wird ihn nicht wieder finden, solange sie nicht den Thron der Barmherzigkeit auf der unerlässlichen Basis der Gerechtigkeit wiederaufgerichtet hat. Von einer neuen Sündflut bedroht, wartet die Menschheit angstvoll. dass die Taube zurückkehre, die den Regenbogen des Friedens verkünde. Aber die geflügelte Botin wird den einzelnen und den Völkern den Weltfrieden nicht bringen, wenn sie nicht auf Erden von neuem den grünen Zweig des Ölbaums findet, der, um wachsen und Frucht tragen zu können, der Sonne der Liebe bedarf (Aus der Ansprache an die Schwestern des heiligen Vinzenz, 13. März 1940).

16. INDUSTRIEZEITALTER UND AUTOMATION

Es IST VOR ALLEM ein klares Prinzip der Weisheit, dass jeder Fortschritt nur dann wahrhaft Fortschritt ist, wenn er neue Eroberungen mit alten zu verbinden weiß, neue Güter mit den in der Vergangenheit erworbenen, mit einem Wort: wenn er Erfahrungen anzusammeln versteht. Nun lehrt die Geschichte, dass andere Formen der Nationalwirtschaft immer einen positiven Einfluss auf das ganze soziale Leben gehabt haben; einen Einfluss, von dem entweder die wesentlichen Institutionen wie die Familie, der Staat. das Privateigentum den Vorteil hatten oder jene, die aus freiem Zusammenschluss entstanden waren. Wir weisen zum Beispiel auf die unbestreitbaren Vorteile hin, die sich überall da erwiesen haben, wo der landwirtschaftliche und handwerkliche Betrieb überwogen.

Ohne Zweifel hat auch das moderne Industrieunternehmen wohltätige Wirkungen gehabt; aber das Problem, das sich heute stellt, ist dieses: Wird eine Welt, die nur die wirtschaftliche Form eines riesigen Produktionsorganismus anerkennt, in gleicher Weise imstande sein, einen glücklichen Einfluss auf das soziale Leben im allgemeinen und auf jene drei grundlegenden Institutionen im besonderen auszuüben? Wir müssen antworten, dass der unpersönliche Charakter einer solchen Welt mit der ganz persönlichen Tendenz jener Institutionen, die der Schöpfer der menschlichen Gesellschaft gegeben hat, im Widerspruch steht. Denn die Ehe und die Familie, der Staat, das Privateigentum zielen ihrer Natur nach darauf hin, den Menschen als Person zu bilden und zu entwickeln, ihn zu schützen und ihn zu befähigen, durch seine freiwillige Mitarbeit und persönliche Verantwortung zur Aufrechterhaltung und gleichfalls persönlichen Entfaltung des sozialen Lebens beizutragen (Aus der Anspradle an das Heilige Collegium. 24. Dezember 1952).

Ist die Automation ein Bild der Zukunft der Menschheit?

Die Schriften und Artikel, die von der Automation handeln, vermitteln häufig den Eindruck, als werde sie eine ganz neue Geschichtsära eröffnen. Bisher galten die "Mechanisierung", die "Rationalisierung" und die "Technisierung" bereits als neueste Mittel zur Steigerung der Produktion, zur besseren Verteilung der Güter und zur besseren Organisation der Arbeitskräfte in Fabriken und Büros. Wenn man also heute mit solchem Nachdruck von der Automation spricht, denkt man offenbar an etwas mehr, an etwas, das nicht nur die Wirtschaft. sondern auch das Leben der Menschen und der Gesellschaft grundlegend ändern könnte. Heute, in dieser an sich schon von Zukunftshoffnungen und -befürchtungen erregten Welt. spaltet das Wert Automation die Geister in Optimisten und Pessimisten in Bezug auf den Menschen und die Welt von morgen. So entsteht das Gefühl, dass man mit ihr etwas zu schaffen vorhat, was die Mechanisierung, Rationalisierung und Automatisierung wesentlich übertrifft…

Gewiss wollen Wir Ihren Eifer in der Untersuchung der drängenden Probleme der Automation nicht mindern, wenn Wir sagen, dass sie mit der größten Objektivität und vor allem unter Vermeidung jeder falschen Auffassung vom Menschen und der Welt untersucht werden müssen. Man sagt, dass die bis heute zu diesem Thema erschienen Publikationen 30000 übersteigen, und doch liest man immer wieder, dass die Gelehrten noch zu keiner befriedigenden Definition gelangt sind. Man kann nur ihre Elemente beschreiben: Gruppen von Arbeitsgängen bei der Herstellung eines Gegenstandes oder auch der ganze Produktionsprozess mit seinen zahlreichen und vielfältigen Stufen werden automatisch ausgeführt. Mehr noch. Damit diese automatische Produktion sicher abläuft, werden Komplexe eingebaut, die sich automatisch einschalten und auswirken: Hydraulische und elektrische Kontrollapparate, optische und akustische MeIdesysteme, Mechanismen, die die Qualität und Quantität der Produktion überwachen und Befehle übermitteln, Elektronenregulatoren für eine bestimmte Serie des auszuführenden Programms. Auf diese Weise werden nicht nur die Muskeln, sondern auch die Nerven und das Hirn des Menschen im Produktionsvorgang überflüssig; schließlich kommt man so weit, sich eine Fabrik ohne Menschen auszudenken oder zu erträumen. Wenn man auch der Meinung sein mag, dass die Entdeckung der Atomenergie größer und wichtiger ist, so bliebe sie doch ohne die Automation unverwendbar; erst diese teilt der Bearbeitung eine Sicherheit und Exaktheit mit, die die direkte menschliche Arbeit niemals erreichen kann, die aber gerade bei der Anwendung von Atomenergie unerlässlich ist.

Das alles ist wahr und flößt vor allem dem Christen eine dankbare Bewunderung der Größe des Schöpfergottes und seiner Werke ein. Aber dass die Automation als solche, als neuer Typ der Organisation der materiellen Produktionskräfte, allein schon imstande sein soll, das Leben der Menschen und der Gesellschaft grundlegend zu ändern, das können vor allem nur die behaupten, die mit dem Marxismus fälschlicherweise der technischen Seite des menschlichen Lebens, der äußeren Seite des Arbeitsvorgangs, eine grundlegende und ausschlaggebende Bedeutung beimessen. Die Gegenwart, die sich gern das technische Zeitalter nennt, neigt dazu, solche Zukunftsideen gelten zu lassen. Die Entwicklung ist jedoch immer bestimmt durch die Gesamtheit des Menschen inmitten der Gesellschaft und also durch die Vielfalt der Faktoren, die mit seiner Einheit zusammenhängen, und nur in diesem Rahmen ist auch der technische Faktor wirksam. Er kann auf die Dauer weder stärker sein als die wirtschaftliche Logik noch als das soziale Leben im ganzen. Wäre es anders, so hätte Ihr Kongress keinen Sinn, und die Arbeitswelt müsste die Automation blind, wie ein unabänderliches Schicksal, hinnehmen. So groß aber der Einfluss der Automation werden kann, er bleibt seiner Natur nach begrenzt; er ist einer der Faktoren der Zukunft, aber für sich allein weder determinierend noch zwingend.

Automation und Nationalwirtschaft

Man kann also nicht uneingeschränkt behaupten, die Automation sei das Bild einer neuen Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Der Mensch mit seinem Drang zur Beherrschung der Welt bleibt immer, und zu seinem eigenen Vorteil, von Schranken begrenzt, die, soweit man sie auch hinausschieben mag, doch immer unübersteigbar bleiben und die ihm von der Natur oder, besser gesagt, von der göttlichen Weisheit selber auferlegt sind, jener Weisheit, die "dem Meer seine Grenzen gab, damit die Wasser das Ufer nicht überschritten" (Spr 8, 29). Doch auch wenn man sie nur als neue Produktionsmethode betrachtet, hört die Automation nicht auf. ein heikles Problem zu sein, das Nachdenken und Klugheit verlangt ...

Ein wichtiger Punkt des sozialen Lebens, der aufmerksam in Erwägung gezogen werden muss, ist die" technische Arbeitslosigkeit", die sich mit großer Wahrscheinlichkeit je nach den Umständen mit der Einführung der Automation einstellen würde. Manche glauben, dass diese Gefahr nur für eine kurze Zeit spürbar wäre, weil sich auf die Dauer mit den neuen Industrien, mit der Anpassung der Arbeitskräfte an andere Posten, der Herabsetzung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn zugleich mit einer Steigerung der Akkordarbeit, bei der gleichzeitig auch die äußerst kostspieligen Einrichtungen Tag und Nacht besser ausgenützt werden können, andere Einstellungsmöglichkeiten für die Arbeitslosen eröffnen würden. Es scheint, dass derartige Mittel mit der Zeit die technische Arbeitslosigkeit besiegen könnten. Doch in Wahrheit würden sie auch die Freiheit des Arbeiters noch mehr beschränken, unter gewissen Umständen die Unterschiede zwischen den Kategorien der Arbeiter steigern und die schon bedrohte gemeinsame Heiligung des Sonntags in der Familie unmöglich machen. Man müsste sich zudem auch fragen, ob diese Dispositionen nicht aus der Automation eine Belastung für die nationale Wirtschaftsproduktion machen würden. Doch selbst wenn all diese Probleme in einer auf die Dauer befriedigenden Weise gelöst werden könnten, müsste beachtet werden, dass das Wachsen der technischen Arbeitslosigkeit auch nur für eine kurze Zeit für einige Länder einen Schaden darstellen würde, den man nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfte. Auch auf diesem Gebiet ist es nicht erlaubt, das falsche Prinzip anzuwenden, das in der Vergangenheit manche Politiker veranlasste, eine ganze Generation im Hinblick auf den großen Vorteil, der daraus für die kommenden Generationen erwachsen würde, zu opfern.

Vor allem die Lohnfrage erfordert neue Gesichtspunkte, sobald erst die Automation die Arbeitswelt stark verändert haben wird. Denn bis jetzt stand die Arbeit im Mittelpunkt des Produktionsprozesses; sie war der - an seinem Ertrag messbare - Beitrag der Muskelkraft und der manuellen Geschicklichkeit; jetzt dagegen steht der einzelne über dem Produktionsprozess und muss ununterbrochen durch seine Aufmerksamkeit und sein technisches Wissen dazu beitragen, dass der Produktionsprozess sich fortlaufend abwickelt und im Fall einer Störung möglichst bald wieder in Gang gesetzt wird. Darum braucht man neue Kriterien, um den Wert der Lohnarbeit zu schätzen, und man muss auch an neue Typen von Arbeitern denken, neue interne Probleme der Gewerkschaften, und vielleicht auch ihrer gegenwärtigen Struktur, zumal wenn man bedenkt, dass die Arbeiterschaft in gewissen Sektoren der Volkswirtschaft auch in Zukunft kaum wesentlich von der Automation berührt werden wird.

Die Vielfalt dieser Fragen einerseits und andererseits, die erstaunliche Technik der Automation, das heißt einer Produktion, die sich ohne Unterbrechung nach einem einheitlichen Programm vollzieht, legt manchen den Gedanken nahe, dass sich die sozialen Probleme in der Ära der Automation nur nach der Formel des Sozialismus lösen lassen und gelöst werden müssen, das heißt durch Abschaffung der Einrichtung des Privateigentums, wenigstens soweit es die Grundlage zur geordneten Ausnutzung der materiellen Güter ist.

Automation und Berufsausbildung

Da sich bei diesem Problem Unsere Aufmerksamkeit vor allem der menschlichen Person zuwendet, insofern sie Subjekt und Objekt jeder sozialen Umwandlung ist, möchten Wir noch einige Gedanken über das Los des Arbeiters in einer Wirtschaftsform, in der die Automation herrscht, hinzufügen. Der Arbeiter kann sich nicht mehr auf ein einziges Gebiet von Funktionen spezialisieren; er wird intellektuell und beruflich wendig sein müssen, um das Funktionieren und die Koordinierung der verschiedenen Apparate überschauen zu können. Dadurch wird, nach den bisher gemachten Erfahrungen, die Zahl der ungelernten Arbeiter zurückgehen, während in umgekehrter Proportion die der gelernten und vollausgebildeten Arbeiter zunimmt. Schon jetzt zeigt der ständige Mangel an gelernten Arbeitern, dass diesen ein immer größeres Arbeitsgewicht aufgelastet wird. Das bedeutet aber, dass immer mehr intellektuelle Wendigkeit, Berufsausbildung, Sicherheit und Raschheit im übernehmen von Verantwortung gesucht werden wird.

Solche Menschen werden aber ihrerseits nicht so rasch durch einen automatischen Unterrichtsprozess geformt. Es braucht Zeit, bis sie in ihrer Berufserziehung, wie in jeder anderen, wachsen. Man kann also nicht auf die lange Lehrlingszeit verzichten, die bis jetzt in den Fabriken selber ebenso in den Berufsschulen durchgemacht wurde.

Diese Erziehung muss sich gewiss den Anforderungen des technischen Fortschritts anpassen und ein gründliches berufliches Wissen und Können sichern. Aber damit sie eine wirkliche Erziehung ist, muss sie den Menschen als Ganzes erfassen, denn bei den Arbeitsvorgängen der modernen Wirtschaft haben die charakterlichen Eigenschaften des Arbeiters eine entscheidende Bedeutung. Da außerdem eine besondere Anpassungsfähigkeit verlangt wird, muss der moderne Arbeiter wenigstens innerhalb gewisser Grenzen fähig sein, den ganzen Komplex der Fabrik, des Produktionszweiges, der Volkswirtschaft in den verschiedenen Einrichtungen, die das moderne Arbeitsrecht geschaffen hat, zu überschauen; die Berufsausbildung und vorher schon die Schule müssen ihm eine ausreichende Allgemeinbildung vermittelt haben (Aus der Ansprache an die Christlichen Arbeitervereine Italiens (ACLI), 7. Juni 1957).

II. ERZIEHUNG / WISSENSCHAFT / KUNST

17. SCHULE UND ERZIEHUNG

UNSER GEIST sieht die unzählbare Schar junger Menschen wie Keime, die sich beim ersten Morgenlicht öffnen. Wunderbar und zauberhaft ist dieses Sprossen der Jugend von einem Geschlecht, das fast dazu verurteilt schien, zu erlöschen - einer neuen Jugend, die, die Augen auf die Zukunft gerichtet, in Frische und Kraft und unbezähmbarem Drang zu höheren Zielen, entschlossen ist, mehr als die Vergangenheit dem Menschen höhere Werte auf Erden zu sichern. Diese unaufhaltbare ständige Bewegung zur menschlichen Vollendung zu leiten, ist Aufgabe und unmittelbare Verantwortung der Erzieher, der Verbündeten der Vorsehung bei der Verwirklichung ihrer Pläne. Von ihnen hängt es weitgehend ab, ob der Strom der Kultur vorwärts oder rückwärts fließt, ob sich seine Kraft verstärkt oder ob sie dahinsiecht, ob er eilig der Mündung zustrebt oder in eitlen Umwegen in sumpfigen und ungesunden Windungen stockt.

Wir selbst, durch göttliche Verfügung Stellvertreter und daher mit den Ämtern dessen betraut, der sich in seinem Erdenwandel gern "Meister" nennen ließ, schließen Uns ein in die Zahl derer, die in verschiedenem Maße die Hand der Vorsehung in der Führung der Menschen zu dem ihnen gesteckten Ziel darstellen.

Ist nicht dieser Unser Stuhl vor allem ein Lehrstuhl? ist nicht Unser erstes Amt das Lehramt? Hat nicht der göttliche Meister und Gründer der Kirche Petrus und den Aposteln die grundlegende Weisung gegeben: Lehret, gewinnt Schüler?

Das Erziehungsrecht ist das der Vaterschaft

Als Erzieher der Seelen fühlen Wir Uns und sind es. Eine erhabene Schule ist die Kirche, und das nicht nur im Nebenamt; denn ein großer Teil der priesterlichen Aufgabe besteht in Lehren und Erziehen. Es konnte auch nicht anders sein in der von Christus eingesetzten neuen Ordnung, die sich ganz auf das Verhältnis zur Vaterschaft Gottes gründet, von der sich jede andere Vaterschaft im Himmel und auf Erden herleitet und von der, in Christus und durch Christus, Unsere Vaterschaft über alle Seelen ausgeht. Wer aber Vater ist, der ist eben dadurch auch Erzieher, denn das Erziehungsrecht stützt sich, wie es der Doctar Angelicus lichtvoll erklärt, auf kein anderes Recht als auf das der Vaterschaft.

Unermesslich ist die Verantwortung, an der wir gemeinsam, obschon in verschiedenem Grad, aber nicht in ganz getrenntem Bereich, teilhaben: die Verantwortung für die Seelen, für die Kultur, für die Besserung und das Glück des Menschen auf Erden und im Himmel.

Wenn Wir heute von einem so weiten Feld wie dem der Erziehung sprechen, so tun Wir es in dem Gedanken, dass nunmehr wenigstens grundsätzlich die irrige Lehre als überwunden betrachtet werden kann, die die Bildung des Verstandes von der des Herzens trennt. Wir müssen sogar beklagen, dass in den vergangenen Jahren die Grenzen des Rechten bei der Auslegung der Norm überschritten worden sind, die Lehrer und Erzieher, Schule und Leben einander gleichsetzt. Einige Staaten, Regimes und politische Bewegungen haben in Anerkennung des mächtigen gewissenbildenden Wertes der Schule in ihr eines der wirksamsten Mittel gesehen, um für ihre Sache all die Helfer zu finden, deren sie bedürfen, um ihre Lebensanschauung zum Siege zu führen. Mit einer ebenso durchtriebenen wie unaufrichtigen Taktik und zu Zwecken, die zu den natürlichen Zielen der Erziehung in Widerspruch stehen, haben einige dieser Bewegungen im vergangenen und im gegenwärtigen Jahrhundert die Schule der Betreuung durch jene Institutionen entziehen wollen, die neben dem Staat ein ursprüngliches Recht auf die Erziehung haben, nämlich die Familie und die Kirche. Sie haben versucht und versuchen immer neu, die Erziehung ausschließlich in Beschlag zu legen durch Errichtung eines Monopols, das, von allem anderen abgesehen, gegen eine der fundamentalsten menschlichen Freiheiten verstößt.

Aber wie der Stuhl Petri als wachsamer Schützer des Heils der Seelen und ihres wahren Fortschritts in der Vergangenheit niemals auf dieses wesentliche Recht verzichtet hat, das er im übrigen zu allen Zeiten mit Hilfe seiner Institutionen, die nicht selten die einzigen waren, die sich dieser Aufgabe widmeten, in ausgezeichneter Weise ausübte, so wird er auch in Zukunft nicht darauf verzichten, weder in der Hoffnung auf irdische Vorteile noch aus Furcht vor Verfolgung. Niemals wird er einwilligen, dass die Kirche an der tatsächlichen Ausübung dieses angeborenen Rechtes behindert werde; denn sie hat es durch göttlichen Auftrag inne, so wie die Familie, die es auf Grund des Naturrechtes für sich fordert. Die Gläubigen der ganzen Welt sind Zeugen der Festigkeit des Apostolischen Stuhls in seinem Kampf für die Freiheit der Schule bei aller Verschiedenheit der Länder, der Verhältnisse und Menschen. Für die Schule hat der Heilige Stuhl, ebenso wie für den Gottesdienst und für die Heiligkeit der Ehe, nie gezögert, allen Schwierigkeiten und Gefahren zu trotzen eben mit dem ruhigen Gewissen dessen, der einer gerechten, heiligen, von Gott gewollten Sache in der festen Überzeugung dient, damit zugleich der bürgerlichen Gesellschaft einen unschätzbaren Dienst zu erweisen.

In Ländern, in denen die Freiheit der Schule durch gerechte Gesetze verbürgt ist, bleibt es Aufgabe der Lehrpersonen, sich auf diese Gesetze zu berufen und ihre tatsächliche Anwendung zu fordern.

Die Schule von heute

Wenn es eine gute Regel ist, sich die von der Erfahrung bestätigten Systeme und Methoden zunutze zu machen, so ist es angebracht, die Theorien und Praktiken der modernen pädagogischen Schulen mit aller Sorgfalt zu sichten, ehe man sie verwertet. Denn nicht immer geben die guten Erfolge, welche vielleicht in Ländern erzielt werden, die durch die Veranlagung ihrer Bevölkerung und vielleicht durch eine höhere Kultur von euch verschieden sind, eine genügende Sicherheit, dass die für sie gültigen Methoden ohne Unterschied überall angewandt werden können.

Die Schule kann nicht mit einem chemischen Laboratorium verglichen werden, in dem das Risiko, mehr oder weniger kostbare Substanzen zu vergeuden, durch die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung ausgeglichen wird. In der Schule steht für jede einzelne Seele Heil oder Untergang auf dem Spiel. Daher werden die Neuerungen, die man für angebracht halten wird, die Auswahl der sekundären pädagogischen Mittel und Richtungen betreffen, unter Wahrung der wesentlichen Ziele und Mittel, die immer dieselben sein werden, wie das letzte Ziel der Erziehung, ihr Subjekt, ihr erster Urheber und Inspirator, Gott der Herr, immer derselbe ist.

Der Erzieher von heute

Als Erzieher, der seine Eingebungen aus der Vaterschaft erhält, deren Ziel es wiederum ist, Wesen seinesgleichen hervorzubringen, wird der Lehrer die Zöglinge weniger durch Vorschriften als durch Beispiel erziehen. Andernfalls wird er mit seinem Werk, um mit dem heiligen Augustinus zu sprechen, "ein Verkäufer von Worten", nicht ein Bildner der Seelen sein. Selbst die sittlichen Unterweisungen berühren den Geist nur an der Oberfläche, wenn sie nicht durch Handlungen bestätigt werden. Nicht einmal die Darlegung der rein schulmäßigen Disziplinen wird von den jungen Menschen völlig angenommen, wenn sie nicht als lebendiger persönlicher Ausdruck von den Lippen des Lehrers kommt: weder Latein noch Griechisch, noch Geschichte, und noch weniger Philosophie werden von den Studierenden mit wirklichem Gewinn gehört werden, wenn sie ohne Begeisterung dargeboten werden, so wie Dinge, die dem Leben und dem Interesse des Lehrenden fremd sind.

Ihr Erzieher von heute, die ihr aus der Vergangenheit sichere Normen zieht, welches Menschenideal wollt ihr für die Zukunft vorbereiten? Seine Grundlagen findet ihr im vollkommenen Christen vorgezeichnet. Und wenn Wir vom vollkommenen Christen sprechen, so wollen Wir damit auf den Christen von heute hinweisen, den Menschen unserer Zeit, Kenner und Pfleger allen Fortschritts, den Wissenschaft und Technik mit sich bringen; den Staatsbürger, der dem Leben, wie es sich heute in seinem Land entfaltet, nicht fremd gegenübersteht. Die Welt wird es nicht zu bereuen haben, wenn sich eine immer größere Zahl solcher Christen im öffentlichen und privaten Leben betätigt. Es ist zu einem großen Teil Sache der Lehrenden, eine solche Betätigung vorzubereiten, indem sie den Geist ihrer Schüler hinlenken auf die Entdeckung der unerschöpflichen Energien des Christentums für das Werk der Besserung und Erneuerung der Völker.

Die Studierenden

Unsere Zeit verlangt, dass in den Studierenden der Sinn für eine wirksamere Gerechtigkeit geweckt werde, und dass sie die angeborene Neigung abtun, sich als privilegierte Kaste zu fühlen und das Leben der Arbeit zu fürchten und zu meiden. Sie sollen sich schon heute als Arbeiter fühlen und Arbeiter sein in der beharrlichen Erfüllung ihrer Schulpflichten, wie sie es morgen sein müssen in den leitenden Stellungen der Gesellschaft. Es ist richtig, dass bei den Völkern, die von der Geißel der Arbeitslosigkeit gepeinigt werden, die Schwierigkeiten nicht so sehr aus dem Mangel an Tüchtigkeit als aus dem Fehlen von Arbeitsmöglichkeiten hervorgehen; es bleibt jedoch immer gleich unerlässlich, dass die Lehrenden ihre Schüler zur Arbeitsamkeit erziehen. Jene sollen sich also an die strenge geistige Arbeit gewöhnen und aus der Arbeit lernen, Härte und Not zu ertragen, um die Rechte des Gemeinschaftslebens zu genießen, mit der gleichen Berechtigung wie die Handarbeiter. Es ist an der Zeit, ihren Gesichtskreis auszuweiten auf eine Welt, die weniger gestört ist von aufeinander neidischen Parteiungen, von überspannten Nationalismen und von der Gier nach Vorherrschaft, unter der die gegenwärtigen Generationen so sehr gelitten haben. Die neue Jugend möge sich dem Atem der Katholizität öffnen und den Zauber jener weltweiten Liebe verspüren, die alle Völker in dem einzigen Herrn umfasst.

Mit dem Bewusstsein der eigenen Persönlichkeit und damit des großen Schatzes der Freiheit; mit gesundem kritischem Sinn, zugleich aber auch mit dem Sinn für eine christliche Demut, wie für gerechte Unterwerfung unter die Gesetze und für die Pflicht der Solidarität, mit Religiosität, Redlichkeit, Bildung, Aufgeschlossenheit und Arbeitsamkeit: so ausgerüstet möchten Wir die jungen Menschen die Schule verlassen sehen (Aus der Ansprache an die Katholische Aktion, 4. September 1949).

18. GEWISSEN UND ERZIEHUNG

lNHALT UND ZIEL der Erziehung in der natürlichen Ordnung ist die Entwicklung des Kindes zum vollendeten Menschen; Inhalt und Ziel der christlichen Erziehung ist die Formung des neuen Menschen, der in der Taufe zum Christen wieder geboren ist.

Wir möchten nun die Aufmerksamkeit auf etwas lenken, das, obwohl es Grundlage und Ansatzpunkt der Erziehung, insbesondere der christlichen Erziehung ist, manchem auf den ersten Blick fast fremd zu sein scheint. Wir möchten von dem Tiefsten und Innersten des Menschen sprechen, von seinem Gewissen. Dazu veranlasst Uns die Tatsache, dass gewisse Strömungen des neuzeitlichen Denkens seinen Begriff zu verfälschen und seinen Wert anzufechten beginnen. Wir sprechen also vom Gewissen als Gegenstand der Erziehung.

Das Gewissen ist gleichsam der innerste und geheime Kern des Menschen. Dorthin zieht er sich zurück mit seinen seelischen Fähigkeiten in gänzlicher Einsamkeit: allein mit sich selbst, oder besser, mit Gott - dessen Stimme im Gewissen widerhallt - und mit sich selbst. In ihm entscheidet er sich für Gut oder Böse, in ihm wählt er zwischen Sieg und Niederlage. Auch wenn er wollte, würde es dem Menschen nie gelingen, das Gewissen loszuwerden. Mit ihm wird er, ob es zustimmt oder verurteilt, seinen ganzen Lebensweg durchlaufen müssen; mit ihm, als wahrheitsliebendem und unbestechlichem Zeugen, wird er sich auch dem Urteil Gottes stellen. Das Gewissen ist daher, um es mit einem ebenso alten wie würdigen Bild zu sagen, ein Heiligtum, auf dessen Schwelle jeder haltmachen muss - auch Vater und Mutter, wenn es sich um ihr Kind handelt. Allein der Priester darf in dies Heiligtum eintreten als Seelsorger und Diener des Sakraments der Buße; aber darum hört das Gewissen nicht auf, ein eifersüchtig bewachtes Heiligtum zu sein, dessen Geheimnis Gott selbst mit dem Siegel des heiligsten Schweigens gehütet wissen wollte.

In welchem Sinne kann man also von der Formung des Gewissens sprechen?

Man muss sich an einige Grundbegriffe der katholischen Lehre erinnern, um recht zu verstehen, dass das Gewissen geformt werden kann und geformt werden muss.

Der göttliche Erlöser hat den unwissenden und schwachen Menschen seine Wahrheit und seine Gnade gebracht, Wahrheit, um ihm den Weg zu zeigen, der zu seinem Ziele führt, Gnade, um ihm die Kraft zu verleihen, es zu erreichen.

Diesen Weg zurückzulegen bedeutet in Wirklichkeit, den Willen und die Gebote Christi anzunehmen und ihnen das Leben anzupassen, das heißt die einzelnen Handlungen, innere wie äußere, die der freie Wille des Menschen wählt und festsetzt. Welches ist nun die geistige Fähigkeit, die in den einzelnen Fällen dem Willen Weisung gibt, damit er die Handlungen wähle und bestimme, die dem göttlichen Willen gemäß sind, wenn nicht das Gewissen? Es ist also der treue Widerhall, der strahlende Widerschein des göttlichen Grundgesetzes menschlichen Handeins. Daher bedeuten Ausdrücke wie "das Urteil des christlichen Gewissens" oder "nach christlichem Gewissen urteilen", dass der Maßstab der letzten und persönlichen Entscheidung für eine sittliche Handlung aus dem Wort und Willen Christi genommen wird. Denn Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, nicht nur für alle Menschen zusammengenommen, sondern für jeden einzelnen. Er ist das Maß für den reifen Menschen, Er das Maß für das Kind wie für den Heranwachsenden.

Bildung des Gewissens und christliches Sittengesetz

Daraus folgt, dass die Bildung des christlichen Gewissens bei einem Kind oder einem jungen Menschen vor allem darin besteht, dass man seinen Geist erleuchte über den Willen Christi, sein Gesetz, seinen Weg, und außerdem, soweit das von außen möglich ist, dass man auf sein Gemüt einwirke, um ihn zum freien und beständigen Vollzug des göttlichen Willens zu führen. Das ist die höchste Aufgabe der Erziehung.

Wo aber werden Erzieher und Zögling im Einzelfall und mit Leichtigkeit und Sicherheit das christliche Sittengesetz finden? Im Gesetz des Schöpfers, das dem Herzen jedes Einzelnen eingeprägt ist, und in der Offenbarung, das heißt in der Gesamtheit der Wahrheiten und der Vorschriften, die der göttliche Meister gelehrt hat. Beides, sei es das Gesetz, das dem Herzen eingeschrieben ist, das heißt das natürliche Sittengesetz, oder seien es die Wahrheiten und Vorschriften der übernatürlichen Offenbarung - beides hat Jesus Christus, als einen sittlichen Schatz der Menschheit, in die Hände seiner Kirche gelegt, auf dass sie es allen Geschöpfen predige, es erläutere, es unversehrt bewahrt vor jedem Makel und jeglichem Irrtum und von Generation zu Generation weitergebe. Gegen diese in langen Jahrhunderten nicht bestrittene Lehre erheben sich heute Schwierigkeiten und Einwände, die geklärt werden müssen.

Wie mit der Glaubenslehre möchte man auch mit der katholischen Sittenlehre gleichsam eine gründliche Überprüfung vornehmen, um daraus eine neue Wertung abzuleiten.

Der erste Schritt oder, besser gesagt, der erste Schlag gegen das Gebäude der christlichen Sittengebote sollte darin bestehen, dass man sie - wie man vorgibt - von der engen und bedrückenden Überwachung durch die Autorität der Kirche frei machte. Damit würde die Moral, ledig der sophistischen Spitzfindigkeiten der kasuistischen Methode, auf ihre ursprüngliche Form zurückgeführt und einfach der Einsicht und der Bestimmung des einzelnen Gewissens überlassen. Jedermann wird leicht einsehen, zu welch verhängnisvollen Folgen ein derartiger Umsturz der Grundlagen der Erziehung selber führen würde.

Lässt man auch die offenkundige Unerfahrenheit und die Unreife des Urteils derer außer acht, die solche Meinungen vertreten, so wird es sich doch empfehlen, den Hauptfehler dieser "neuen Moral" offenzulegen. Indem sie jeden sittlichen Wertmaßstab dem einzelnen Gewissen überlässt, das eifersüchtig in sich verschlossen bleibt und zum unbedingten Richter seiner Entscheidungen gemacht wird, würde sie seinen Weg nicht nur nicht erleichtern, sondern es ablenken von dem Musterweg, der Christus ist.

Der göttliche Erlöser hat seine Offenbarung - und die sittlichen Verpflichtungen machen einen wesentlichen Teil davon aus -, ja nicht den einzelnen Menschen, sondern seiner Kirche übergeben, der er die Sendung überantwortet hat, die Menschen dahin zu führen, dass sie dieses heilige Vermächtnis gläubig annehmen.

In gleicher Weise ist der Kirche, und nicht den einzelnen, die göttliche Hilfe versprochen worden, die die Offenbarung vor Irrtümern und Entstellungen bewahrt. Eine weise Vorsicht auch diese; denn die Kirche kann als lebendiger Organismus mit Sicherheit und zu jeder Zeit auch die sittlichen Wahrheiten einerseits erhellen und vertiefen, und sie andererseits auf die wechselnden Verhältnisse von Orten und Zeiten anwenden bei voller Erhaltung ihrer Substanz.

Wie ist es also möglich, die umsichtige Verfügung des Erlösers, der seiner Kirche den Schatz des christlichen Sittenerbes übertragen hat, mit einer Art Eigengesetzlichkeit des einzelnen Gewissens zu vereinbaren?

Reinheit der Seele und des Leibes

Wo immer der Versuch gemacht wird, dem Gewissen seine gottgewollte natürliche Stellung zu nehmen, werden auch die Taten der Menschen mit innerer Notwendigkeit sittlich schlecht sein.

Die "neue Moral" behauptet, dass die Kirche, statt das Gesetz menschlicher Freiheit und Liebe zu verkünden, und auf ihm als der würdigen Triebkraft des sittlichen Lebens zu bestehen, fast ausschließlich und mit äußerer Starrheit die Festigkeit und Unverbrüchlichkeit der christlichen Sittengesetze betone, wobei sie häufig auf jenes "ihr müsst" und "es ist nicht erlaubt" zurückgreife, das allzu viel von erniedrigender Kleinlichkeit an sich habe.

Statt dessen und in Wirklichkeit will die Kirche - und sie rückt es ausdrücklich ins Licht, wenn es sich darum handelt, die Gewissen zu bilden -, dass der Christ in die unendlichen Reichtümer des Glaubens und der Gnade auf überzeugende Weise eingeführt werde, so dass er geneigt wird, sie tiefer zu durchdringen.

Die Kirche kann aber nicht davon ablassen, die Gläubigen zu ermahnen, dass diese Reichtümer nur um den Preis genauer sittlicher Verpflichtungen erworben und bewahrt werden können. Ein anderes Verhalten würde dazu führen, dass ein beherrschender Grundsatz vergessen wird, auf dem Christus, ihr Herr und Meister, immer bestanden hat. Denn er hat gelehrt, dass, um in das Himmelreich einzugehen, es nicht genüge, "Herr, Herr" zu sagen, sondern dass man den Willen des himmlischen Vaters erfüllen müsse. Er hat von der "engen Pforte" gesprochen und von dem "schmalen Weg", der zum Leben führt, und er hat hinzugefügt: "Mühet euch durch die enge Pforte einzutreten, denn ich sage euch, viele werden versuchen, einzutreten, und es wird ihnen nicht gelingen" (Lk 13, 24).

Als Prüfstein und Kennzeichen der Liebe zu ihm, zu Christus, hat er das Einhalten der Gebote gesetzt. Ähnlich sagt er zu dem reichen Jüngling, der ihn fragt: "Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote!" Und auf die weitere Frage: "Welche?" antwortet er: "Du sollst nicht töten! Du sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen! Du sollst Vater und Mutter ehren! Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" (Mt 19, 17-19). Dem, der ihm nachfolgen will, hat er nahegelegt, sich selbst zu entsagen und jeden Tag sein Kreuz auf sich zu nehmen. Er fordert, dass der Mensch bereit sein solle, für ihn und seine Sache das Teuerste zu verlassen, was er habe, wie Vater und Mutter, die eigenen Kinder, und sogar das letzte Gut, das eigene Leben. Denn er fügt hinzu: "Euch sage ich, meinen Freunden: Fürchtet nicht jene, die den Leib töten und danach nichts vermögen. Ich will euch zeigen, wen ihr fürchten müsst: fürchtet den, der, wenn das Leben von euch genommen ist, die Macht hat. in die Hölle zu verdammen" (Lk 12, 4-5).

So spricht Jesus Christus, der göttliche Erzieher, der gewiss besser als die Menschen in die Seele einzudringen und sie mit den unendlichen Vollkommenheiten seines Herzens, bonitate et amore plenum, dahin zu bringen vermag, dass sie ihn lieben.

Nimmt man also die Worte Christi als Maßstab, müsste man dann nicht sagen, dass die Kirche von Heute eher zur Nachgiebigkeit als zur Strenge geneigt ist, dergestalt, dass die Anklage einer drückenden Härte, die die "neue Moral" gegen die Kirche erhebt, in Wirklichkeit zunächst die anbetungswürdige Person Christi trifft?

Verfehlungen in der Reifezeit

Im Bewusstsein des Rechtes und der Pflicht des Apostolischen Stuhls, wenn es nötig ist in Fragen der Sittlichkeit einzugreifen, erklären Wir den Erziehern und der Jugend selbst: Das göttliche Gebot der Reinheit der Seele und des Leibes gilt ohne Minderung auch für die heutige Jugend. Auch sie hat die sittliche Pflicht, mit Hilfe der Gnade, sich rein zu erhalten. Wir weisen daher als irrig die Behauptung derjenigen zurück, die Verfehlungen in den Jahren der Reifezeit als unvermeidlich erachten, von denen man nicht viel Aufhebens machen sollte, als seien sie keine schwere Schuld, weil, wie sie erklären, für gewöhnlich die Leidenschaft die Freiheit aufhebe, die nötig ist, damit jemand für seine Handlung sittlich verantwortlich sei.

Im Gegenteil, sowenig er es unterlassen darf, den jungen Menschen die edlen Vorzüge der Reinheit vorzustellen, dass sie dieselbe um ihrer selbst willen lieben und begehren, so ist es eine pflichtgemäße und weise Regel, dass der Erzieher das Gebot als solches in seiner ganzen Schwere und seinem ganzen Ernst als göttliche Anordnung klar einschärfe. So wird er die jungen Menschen anspornen, die nächste Gelegenheit zu meiden; er wird sie in dem Kampfe stärken, dessen Härte er ihnen nicht verheimlichen wird; er wird sie anleiten, mutig die Opfer auf sich zu nehmen, die ein tugendhaftes Leben fordert, und er wird sie ermahnen, auszuharren, und nicht in jeder Gefahr die Waffen zu strecken und den verkehrten Gewohnheiten nachzugeben .

Aber nicht nur aus dem rein privaten Leben, sondern noch viel mehr aus dem öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leben, aus dem Wirken verantwortlicher Führer im Inneren und Äußeren, in Krieg und Frieden, möchten heute viele die Herrschaft des Sittengesetzes ausschließen, als habe Gott hier nichts zu sagen, wenigstens nichts Entscheidendes.

Die Verselbständigung menschlichen Tuns - dem in Wissenschaft, Politik und Kunst - von der Moral wird bisweilen philosophisch begründet, und auf Grund der Eigengesetzlichkeit, die sie in ihrem Bereiche hätten, sich ausschließlich nach eigenen Gesetzen zu regieren, wenngleich man zugibt, dass diese gewöhnlich mit den sittlichen Gesetzen übereinstimmen. Man leugnet zum Beispiel nicht nur, dass die Kunst von der Moral abhängt, sondern sogar, dass sie irgendeine Beziehung zu ihr habe. Dagegen behauptet man apodiktisch: die Kunst ist nur Kunst und nicht Moral oder etwas anderes, und sie richtet sich daher allein nach den Gesetzen der Ästhetik. Diese aber werden sich, wenn sie wirklich solche sind, nicht dazu hergeben, der Begehrlichkeit zu dienen. Ähnliches behauptet man von der Politik und der Wirtschaft, die keinen Rat von anderen Wissenschaften anzunehmen hätten, also auch nicht von der Ethik, sondern einzig von ihren eigenen Gesetzen geleitet würden, und dadurch gut und gerecht seien.

Gültigkeit des christlichen Sittengesetzes

Es ist dies, wie man sieht, eine subtile Art, die Gewissen der Herrschaft des Sittengesetzes zu entziehen. Man wird nicht leugnen, dass solche Eigengesetzlichkeiten berechtigt sind, insofern sie die eigentümliche Methode jedes Wissens- oder Kunstzweiges zum Ausdruck bringen und die Grenzen aufzeigen, die ihre verschiedenen Formen in der Theorie trennen. Aber die Trennung in der Methode darf nicht bedeuten, dass Gelehrte, Künstler, Politiker in der Ausübung ihrer Tätigkeit frei seien von sittlichen Verpflichtungen, besonders wenn diese unmittelbare Rückwirkungen im ethischen Bereich haben, wie Kunst, Politik und Wirtschaft. Die scharfe theoretische Trennung hat keinen Sinn im Leben, das immer eine Ganzheit ist. Denn das einzige Subjekt jeder Art von Tätigkeit ist immer derselbe Mensch, dessen freie und bewusste Handlung sich der sittlichen Wertung nicht entziehen kann. Betrachtet man das Problem weiter mit dem umfassenden, praktischen Blick, der bisweilen auch hervorragenden Philosophen fehlt, so werden solche Unterscheidungen und Eigengesetzlichkeiten von der gefallenen menschlichen Natur so gedreht, dass als Gesetze der Kunst, der Politik, der Wirtschaft erscheint, was in Wahrheit der Begehrlichkeit, der Selbstsucht und der Gier gelegen kommt. So wird die theoretische Selbständigkeit gegenüber der Moral in der Praxis zum Aufstand gegen die Moral, und man zerschlägt ebenfalls die den Künsten und Wissenschaften angeborene Harmonie. Die Philosophen dieser Schule stellen dieselbe wohl fest, erklären sie aber für zufällig, während sie doch wesentlich ist, wenn man sie vom Subjekt her betrachtet, das der Mensch ist, und vom Schöpfer aus, der Gott ist.

Wir haben nicht aufgehört, den Grundsatz zu vertreten, dass die von Gott gewollte Ordnung das gesamte Leben umfasse, unter Einschluss des öffentlichen Lebens in all seinen Erscheinungsformen; denn Wir sind überzeugt, dass darin weder eine Beschränkung der wahren menschlichen Freiheit liegt, noch irgend eine Einmischung in die Zuständigkeit des Staates, sondern eine Sicherung gegen Irrtümer und Missbräuche, vor denen die christliche Moral, wenn sie recht angewandt wird, bewahren kann. Diese Wahrheit muss man die jungen Menschen lehren und sie dem Gewissen derer einprägen, die in der Familie oder in der Schule die Pflicht haben, über ihre Erziehung zu wachen und so die Grundlagen einer besseren Zukunft zu schaffen (Aus der Rundfunkbotschaft zum Familientag, 23. März 1952).

19. GRUNDRECHTE DER CHRISTLICHEN FAMILIE

IMMER WIEDER HABEN WIR AUF DIE HEILIGKEIT der Familie hingewiesen, ihre Rechte, ihre Aufgaben als Urzelle der menschlichen Gesellschaft. Ihr Leben, ihr Heil, ihre Kraft, ihr Wirken sichern deshalb Leben, Heil, Kraft und Wirken der ganzen Gesellschaft. Für das Dasein, die Würde, die gesellschaftliche Funktion, die ihr von Gott zufließen, muss die Familie vor Gott einstehen. Unveräußerlich sind ihre Rechte und Vorrechte und unantastbar. Sie hat, zuerst vor Gott und an zweiter Stelle vor der Gesellschaft, die Pflicht, diese Rechte und Vorrechte zu verteidigen, zu beanspruchen und wirksam zu fördern, nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil, sondern zum Ruhme Gottes, zum Wohl der Gemeinschaft.

Wie oft ist das Lob der Mutter gesungen worden, die als das Herz, als die Sonne der Familie betrachtet wird! Aber wenn die Mutter ihr Herz ist, so ist der Vater das Haupt. Die Gesundheit und Wirkkraft der Familie hängen daher in erster Linie von der Fähigkeit, der Tugend, der Aktivität des Vaters ab.

Für den Christen gilt eine Regel, die ihm die Möglichkeit gibt, mit Sicherheit die Ausdehnung der Rechte und Pflichten der Familie in der Gemeinschaft des Staates zu bestimmen. Sie lautet: Die Familie ist nicht für die Gesellschaft da, sondern die Gesellschaft für die Familie. Die Familie ist die Urzelle, das Element, das die staatliche Gemeinschaft begründet. Denn - um die Worte Unseres Vorgängers Pius' XI. seligen Angedenkens zu gebrauchen - "der Staat ist das, was die Familien und die Menschen aus ihm machen, aus denen er besteht, so wie der Leib von den Gliedern gebildet wird". Kraft seines Selbsterhaltungstriebes müsste also der Staat das erfüllen, was wesensmäßig und nach dem Plan des göttlichen Schöpfers und Erlösers seine erste Pflicht ist, nämlich unbedingt die Werte garantieren, die der Familie Ordnung, menschliche Würde, Gesundheit und Glück sichern.

Niemals ist es erlaubt, diese Werte, die die Grundelemente des Gemeinwohls sind, dem zu opfern, was dem Schein nach ein allgemeines Gut sein könnte. Wir wollen nur einige dieser heute schwer bedrohten Werte anführen: die Unauflöslichkeit der Ehe, den Schutz des Lebens vor der Geburt, die ausreichende Wohnung für die Familie, nicht für die Familie mit einem oder zwei Kindern oder die kinderlose Familie, sondern für die normale kinderreiche Familie; die Arbeitsmöglichkeit (denn die Arbeitslosigkeit des Familienvaters bedeutet bitterste Not für die Familie), das Recht der Eltern auf ihre Kinder dem Staat gegenüber; die volle Freiheit der Eltern, ihre Kinder im wahren Glauben zu erziehen, und daher das Recht katholischer Eltern auf die katholische Schule; ein öffentliches Leben, und vor allem eine öffentliche Sittlichkeit, die Gewähr bieten, dass die Familien und vor allem die Jugend nicht mit moralischer Gewissheit dadurch verdorben werden.

In diesem Punkt und in anderen, die an die Grundlagen des Familienlebens rühren, gibt es keine Unterschiede zwischen den Familien. In anderen, wirtschaftlichen und politischen Fragen jedoch können sich sehr verschiedene Lagen ergeben, die manchmal sogar im Wettstreit miteinander oder in Gegensatz zueinander stehen. Gerade dann muss man sich bemühen - und die Katholiken werden Wert darauf legen, hier ein Beispiel zu geben - das Gleichgewicht herzustellen, auch wenn Sonderinteressen im Hinblick auf den inneren Frieden und eine gesunde Wirtschaft geopfert werden müssen.

Die wesentlichen Rechte der Familie aber werden die wahren Gläubigen der Kirche bis zum letzten zu behaupten suchen. Es kann geschehen, dass man gezwungen ist, in manchen Punkten vor der Überlegenheit politischer Kräfte nachzugeben. Aber in diesem Fall wird auch nichts preisgegeben, sondern Toleranz geübt. Ferner muss in solchen Fällen die Lehre unangetastet bleiben, müssen alle wirksamen Mittel eingesetzt werden, um das Ziel, das man nicht aufgegeben hat, allmählich zu erreichen. Eines der stärksten unter diesen wirksamen, wenn auch nicht unmittelbar wirkenden Mitteln ist die Vereinigung der Familienväter, die sich in denselben Überzeugungen, in demselben Willen zusammenfinden.

Ein anderes Mittel, das niemals nutzlos ist und mangels oder in Erwartung eines Erfolges, den man weiterhin erstrebt, seine Früchte trägt, ist das Bemühen um die öffentliche Meinung, um sie aufzuklären und sie allmählich dahin zu bringen, den Sieg der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu unterstützen. Keine Mühe, auf sie einzuwirken, darf gescheut oder vernachlässigt werden.

Eine neue schamlose "Aufklärungs"-Literatur

Es gibt einen Bereich, in dem diese Erziehung, diese gesunde "Orientierung der öffentlichen Meinung, sich mit tragischer Dringlichkeit aufdrängt. Auf diesem Gebiet ist sie von einer Propaganda verkehrt worden, die verhängnisvoll ist.

Wir meinen damit Schriften, Bücher und Artikel, die die sexuelle Aufklärung betreffen, und die heute oft riesige Verkaufserfolge erzielen und die ganze Welt überschwemmen, in die Welt der Kinder eindringen, die neue Generation überfluten, Verlobte und junge Eheleute verwirren.

Die Kirche hat mit allem Ernst, mit all der Aufmerksamkeit und Würde, die der Gegenstand verlangt, das Problem der Unterweisung über diese Fragen behandelt, wie sie die normale physische und psychische Entwicklung der heranwachsenden Jugend nahelegt oder wie sie in besonderen Fällen entsprechend in den verschiedenen individuellen Verhältnissen gefordert wird. Die Kirche kann mit gutem Recht erklären, dass sie in tiefster Achtung der Heiligkeit der Ehe den Eheleuten in Theorie und Praxis Freiheit lässt in Bezug auf das, was der Trieb einer gesunden und anständigen Natur ohne Beleidigung des Schöpfers gutheißt.

Man steht entsetzt vor der unerträglichen Schamlosigkeit dieser Literatur. Während das Heidentum vor dem Geheimnis der ehelichen Intimität respektvoll haltzumachen schien, erlebt man heute die Entschleierung des Geheimnisses, die dem großen Publikum und sogar der Jugend als naturgemäße und lebensnahe Anschauung angeboten wird. Man muss sich wirklich fragen, ob die Grenze zwischen dieser - so genannten katholischen - Aufklärung und der erotischen und obszönen Presse noch hinreichend klar ist, die sich mit Vorbedacht die Verderbnis zum Ziel setzt oder ohne Scham aus gemeinem Eigennutz die niedrigsten Instinkte der gefallenen Natur ausbeutet.

Diese Propaganda bedroht auch das katholische Volk mit einer zweifachen Geißel, um nicht einen stärkeren Ausdruck zu brauchen. Vor allem übertreibt sie über jedes Maß hinaus die Wichtigkeit und Bedeutung des sexuellen Elements im Leben. Selbst wenn man zugibt, dass sich diese Autoren, theoretisch gesehen, an die Grenzen der katholischen Moral halten, so ist doch nicht weniger wahr, dass sie das Geschlechtsleben so darstellen, dass sie ihm in der Auffassung des Lesers und in seinem Urteil die Bedeutung und den Wert eines Selbstzwecks geben. Das wahre, ursprüngliche Ziel der Ehe, die Erzeugung und Erziehung des Kindes und die ernste Pflicht der Eheleute diesem Ziel gegenüber, die die Schriften, von denen Wir sprechen, allzu sehr im Hintergrund lassen, wird dabei aus den Augen verloren.

Außerdem scheint diese Literatur, wenn Wir sie so nennen wollen, der allgemeinen Erfahrung nicht Rechnung zu tragen, die gestern, heute und immer gültig ist, weil sie sich doch auf die Natur gründet, und die bestätigt, dass in der sittlichen Erziehung weder Aufklärung noch Unterweisung an sich irgendeinen Vorteil bringen, dass sie sogar äußerst schädlich sind, wenn sie nicht mit einer dauernden Disziplin, einer kraftvollen Selbstbeherrschung, vor allem mit dem Gebrauch der übernatürlichen Kräfte des Gebets und der Sakramente verbunden sind.

Alle katholischen Erzieher, die dieses Namens und ihrer Berufung würdig sind, kennen die überwiegende Bedeutung der übernatürlichen Kräfte bei der Heiligung des Menschen - sei er jung oder erwachsen, ledig oder verheiratet - sehr wohl. Von all dem liest man in solchen Schriften kaum ein Wort, sofern sie nicht überhaupt ganz davon schweigen. Sogar die Grundsätze, die Unser Vorgänger Pius XI. in seiner Enzyklika Divini illius Magistri hinsichtlich der sexuellen Erziehung und der mit ihr verbundenen Probleme so weise beleuchtet hat, werden - ein trauriges Zeichen der Zeit! - mit einer bloßen Handbewegung oder einem Lächeln beiseite geschoben. Pius XI., so sagt man, schrieb das vor zwanzig Jahren für seine Zeit. Seitdem sei man weitergekommen!

Familienväter, schließt euch - unter der Führung eurer Bischöfe - zusammen. Ruft alle katholischen Frauen und Mütter zu eurer Unterstützung auf, um vereint zu kämpfen, ohne Unsicherheit und menschliche Rücksicht, um derartige Bewegungen einzudämmen und zu zerbrechen, ganz gleich auf welchen Namen und welche Autorität sie sich berufen (Aus der Ansprache an die französischen Familienväter, 18. September 1951).

20. DIE UNMORAL

NICHT ANDERS ALS JEDER CHRIST verwundern sich und erschrecken auch Menschen, die einfach mit Anstand und gesundem, natürlichem Verstand ausgestattet sind, angesichts der wachsenden Flut der Unmoral, die in diesen außerordentlich ernsten Zeiten die Gesellschaft zu überschwemmen droht. Niemand zögert, ihre Ursache insbesondere in den zügellosen Veröffentlichungen und unanständigen Darbietungen zu erkennen, die sich den Augen der Heranwachsenden und der Gereiften, der Jungen und der Alten, der Mütter und der Kinder aufdrängen.

Was soll man ferner von der Kunst, was von der Mode, was von den öffentlichen und privaten Sitten von Mann und Frau sagen? Man sollte es nicht glauben, bis zu welchem Grade der Verderbnis manche Autoren, Verleger, Künstler, Drucker und Verbreiter solcher Werke herabsteigen, indem sie den Gebrauch der Feder und der Kunst, des industriellen Fortschritts und der wunderbaren Erfindungen unserer Zeit in Mittel, Waffen und Verlockungen der Unmoral verkehren. Schriften und Werke, die der Ehre der Literatur und der Kunst unwürdig sind, finden trotzdem Leser und Zuschauer zu Tausenden. Und ihr seht, wie sich junge Männer mit der ganzen Glut erwachender Leidenschaft auf diese Speise für Aug und Ohr stürzen, ihr seht, wie Eltern zu so traurigen Darstellungen ihre Kinder mitnehmen, in deren zarte Herzen und Augen sich statt frommer und unschuldiger Bilder schädliche Vorstellungen und Begierden einprägen, die oft nie wieder zu tilgen sind.

Was soll man also annehmen? Dass die menschliche Natur allgemein und bis in ihre Tiefen verdorben sei und es gegen ihre Gier nach skandalösen Dingen kein Heilmittel gebe? Gewiss nicht; Gott hat in das menschliche Herz als Fundament das Gute gelegt, dem aber der Satan und die ungezügelte Begehrlichkeit nachstellen. Von einer kleinen Minderheit abgesehen, würde das Volk ungesunde Vergnügungen nicht von selber suchen, noch weniger verlangen, wenn sie ihm nicht angeboten und manchmal geradezu aufgedrängt würden.

Wirkliche, gesunde, erzieherische, aber anziehende Kunstwerke

Wenn daher "der böse Wille gegen den besseren kämpft", so ist es von höchster Wichtigkeit, zur Verteidigung der öffentlichen und sozialen Moral in die Schranken zu treten. Das ist kein Kampf mit materiellen Waffen, und in dem Blut vergossen wird, sondern ein Streit der Gedanken und Gefühle zwischen Gut und Böse. Alle, die dazu fähig sind, müssen ihre Bemühungen und ihr ganzes Talent daransetzen, eine Literatur, ein Theater, einen Film zu schaffen, die als wirkliche Kunstwerke nach Idee und Form erzieherisch, gesund und zugleich interessant und anziehend sind. Die verdienstvollen Geister, die sich diesem Unternehmen widmen, können Wir als Apostel des Guten nicht genug loben und ermuntern. Es ist jedoch einsichtig, dass die Bürde eines solchen Apostolats nicht für alle Schultern bestimmt ist.

Und für die anderen gibt es also nichts zu tun? Dürfen sie sich in der Hoffnung wiegen, dass die Anziehungskraft der guten und schönen Werke es schon vermögen werde. Unbesiegliche Abneigung und Ablehnung gegenüber allen Schändlichkeiten hervorzurufen und zu verbreiten? Niemand ist harmlos genug, sich darüber Illusionen zu machen. Stehen also die Guten waffenlos den ruchlosen Ausbeutern der Presse, der Bühne, der Leinwand gegenüber? Das wäre ungerecht und würde jedem als ungerecht erscheinen, der die lobenswerte Gesetzgebung kennt und erwägt, die das Land ehrt. Den achtenswerten Bürgern, den Familienvätern, den Erziehern steht der Weg offen, die wirksame Anwendung dieser heilsamen Gesetze zu sichern, indem sie den staatlichen Behörden in der gebührenden Form Anzeigen einreichen, die sich auf Tatsachen gründen, mit genauen Angaben über Personen, Vorfälle und Worte, damit, was dem Publikum an Verwerflichem geboten wird, verhindert und unterdrückt werde.

Die Arbeit, Wir verheimlichen es nicht, ist riesig und vielfältig. Riesig, das heißt, sie eröffnet ein weites Feld für jeglichen guten Willen; vielfältig, das heißt, sie kommt allen Anlagen entgegen. Aber wenn ihr Umfang vielleicht die Kleinmütigen erschreckt und mutlos macht, so wird er gerade den Eifer der Großherzigen immer mehr entflammen (Aus der Ansprache an katholische Frauen, 20. Februar 1942).

Auge und Ohr sind breite Straßen

Betrachten wir nun unser Thema mehr aus der Nähe! Denn vieles bleibt zu tun und vieles erwartet die Kirche.

Immer lauter und dringlicher erschallen in Europa und jenseits der Meere die Rufe nach Hilfe für die unglückliche Lage der Familie und der jungen Generation. Dass der Krieg daran einen großen Teil Schuld trägt, ist bekannt. Er ist vor allem schuld an der unheilvollen, gewaltsamen Trennung Tausender von Ehegatten und Familien und an der Zerstörung zahlloser Wohnungen.

Sicher ist aber auch, dass die wahre und eigentliche Ursache eines so großen Übels tiefer liegt. Sie muss in dem gesucht werden, was man mit einem umfassenden Begriff "Materialismus" nennt, in der Leugnung oder zum mindesten Vernachlässigung und Verachtung alles dessen, was Religion, Christentum, Unterwerfung unter Gott und sein Gesetz, künftiges Leben und Ewigkeit ist. Wie ein Pesthauch überflutet der Materialismus immer mehr das ganze Leben und zeigt seine schlechten Früchte in Ehe, Familie und Jugend.

Man kann sagen, das Urteil ist einstimmig darüber, dass die Moral vieler junger Menschen in ständigem Zerfall begriffen ist. Und nicht nur der Jugend in der Stadt, auch bei der Landjugend, in der einst eine gesunde und kraftvolle Sittsamkeit blühte, ist die moralische Entartung nicht viel geringer. Vieles von dem, was in der Stadt zu Vergnügen und Luxus treibt, hat auch freien Eingang ins Dorf gefunden.

Es ist unnötig, daran zu erinnern, wie sehr Rundfunk und Film zur Ausbreitung dieses Materialismus gebraucht und missbraucht worden sind und wie sehr sie und das schlechte Buch und die skrupellose illustrierte Zeitung, schamlose Darbietungen auf der Bühne, unsittliche Tänze, die Zügellosigkeit des Badestrands dazu beigetragen haben, Oberflächlichkeit, Weltlichkeit, Sinnlichkeit unter der Jugend zu vermehren. Berichte aus verschiedensten Ländern bezeichnen diese Gelegenheiten als Mittelpunkte der religiösen und der sittlichen Verwahrlosung der Jugend. Aber an erster Stelle ist dafür die Zerrüttung der Ehen verantwortlich, als deren Kennzeichen und verhängnisvolle Konsequenz das sittliche Absinken der Jugend bezeichnet werden muss (Aus der Ansprache an Frauen der Katholischen Aktion, 24. Juli 1949).

Film und Moral

Man fragt sich mitunter, ob die Leiter der Filmindustrie ihre große Macht, das Leben der Gesellschaft in der Familie oder in größeren Gruppen zu beeinflussen, richtig würdigen.

Augen und Ohren sind wie breite Straßen, die unmittelbar in die Seele des Menschen führen und von den Zuschauern eurer Filme, meistens ohne jedes Hindernis, weit offen gehalten werden. Was geht von der Leinwand in die geheimsten Winkel des Geistes ein, dorthin, wo sich Erkenntnisse entfalten und Normen und Motive des Verhaltens formen und läutern, die den endgültigen Charakter der jungen Menschen bilden werden?

Ist es etwas, das dazu beitragen wird, uns einen besseren, arbeitsamen, gesetzestreuen, gottesfürchtigen Staatsbürger zu erziehen, der seine Freude und Erholung in Scherz und Unterhaltung sucht?

Der heilige Paulus hat den alten griechischen Dichter Menander zitiert, als er an die Gläubigen seiner Kirche in Korinth schrieb, dass "das schlechte Gespräch die guten Sitten verderbe" (1 Kor 15, 33). Was damals wahr war, ist es auch heute. Denn die menschliche Natur ändert sich wenig in Jahrhunderten. Und wenn es wahr ist - und es ist wahr -, dass das schlechte Gespräch die Sitten verdirbt, um wie viel wirksamer werden sie dann von dem schlechten Gespräch verdorben, wenn es von einem lebendig dargestellten Verhalten begleitet wird, das den Gesetzen Gottes und des bürgerlichen Anstandes widerstreitet?

Wie viel Gutes kann der Film wirken! Das ist der Grund, warum die bösen Geister, die in dieser Welt immer so tätig sind, dieses Instrument für ihre ruchlosen Zwecke zu verderben begehren; und es ist ermutigend, zu wissen, dass sich euer Komitee dieser Gefahr bewusst ist, und dass es sich immer mehr der schweren Verantwortung vor der Gesellschaft und vor Gott bewusst wird.

Es ist Sache der öffentlichen Meinung, jede rechtmäßige Bemühung redlicher, ehrenwerter Menschen wirkungsvoll und von ganzem Herzen zu unterstützen, die Filme zu säubern und sauber zu erhalten, sie zu verbessern und ihren Nutzen zu vermehren (Aus der Ansprache an amerikanische Filmleute, 14. Juli 1945).

Mode und Sittsamkeit

Mode und Sittsamkeit sollten wie zwei Schwestern miteinander gehen, denn beide Worte haben denselben Ursprung vom lateinischen modus, das heißt das rechte Maß, diesseits und jenseits von welchem das Rechte nicht zu finden ist. Aber sittsam zu sein ist nicht mehr "modern". Ähnlich jenen armen Geisteskranken, die den Instinkt der Selbsterhaltung und den Begriff der Gefahr verloren haben und sich ins Feuer oder ins Wasser stürzen, begeben sich nicht wenige Frauen, die aus ehrgeiziger Eitelkeit die christliche Sittsamkeit vergessen haben, in Gefahren, die ihrer Reinheit den Tod bringen können. Sie unterwerfen sich der Tyrannei der Mode, selbst einer zügellosen und in einem Grade, dass sie ihre Ungebührlichkeit nicht einmal mehr zu ahnen scheinen; sie haben das Bewusstsein der Gefahr, das Gefühl für Sittsamkeit verloren (Aus der Ansprache an die Jugend der Katholischen Aktion, 6. Oktober 1940).

21. ÜBER WESEN UND SENDUNG DER KUNST

WIE VIEL IST SCHON zu dem unerschöpflichen Thema der Kunst gesagt worden!

Die Unruhe einer in ihren Grundfesten erschütterten Welt, die Entfremdung der Geister untereinander, die Gegensätze der Interessen, der Argwohn eines überempfindlichen Individualismus haben, obwohl die äußeren Verbindungen sich vervielfachten und die Vereinsamung des einzelnen verschärft, die inneren Entfernungen erweitert und vertieft. Gerade das Übermaß des Bösen hat allmählich die Notwendigkeit in ein um so helleres Licht gerückt, alle vereinsamten Kräfte der friedliebenden Nationen und Völker zu gemeinsamem Handeln zusammenzufassen.

Ausdauernde und umsichtige Versuche, die Verständigung oder die Zusammenarbeit der verschiedenen Länder herbeizuführen, sind nicht erst von heute oder gestern. Die Ereignisse unserer Zeit haben gewiss nicht die Haltlosigkeit und Nutzlosigkeit dieser Versuche, wohl aber ihre Unzulänglichkeit und Unbeständigkeit unterstrichen. Mit lobenswertem Eifer haben sich daher alle bemüht, den bestehenden Schwierigkeiten zum Trotz, internationale Vereinbarungen politischer, juristischer, wirtschaftlicher, sozialer Art zu fordern. Aber man hat dabei sehr schnell festgestellt, dass noch etwas tiefer Menschliches vonnöten ist; und im Bereich der Technik, der Wissenschaft, der Kultur begannen, wenn schon nicht die Einigkeit, so doch wenigstens Teileinigungen auf Teilgebieten zustande zu kommen.

Im geistigen Bereich nimmt die Gemeinschaft der katholischen Künstler einen der ansehnlichsten Plätze ein. Das ist auch begreiflich, da die Kunst unter gewissen Gesichtspunkten der lebendigste, gefüllteste Ausdruck menschlichen Denkens und Fühlens ist, und zugleich auch der allgemeinverständlichste. Die Kunst spricht unmittelbar zu den Sinnen, sie kennt keine Verschiedenheit der Sprachen, sondern nur die eine höchst ansprechende der Temperamente und der Geisteshaltungen. Überdies dringt die hörbare oder sichtbare Kunst durch ihre Gefälligkeit und Feinheit beim Zuschauer oder Zuhörer in Tiefen des Verstandes und des Gefühls, in die das geschriebene oder gesprochene Wort mit seiner unanschaulichen auflösenden Genauigkeit niemals zu dringen vermag.

Aus diesen beiden Gründen hilft die Kunst den Menschen trotz aller Verschiedenheit der Charaktere, der Erziehung und der Kultur, sich kennenzulernen, sich zu verstehen.

Ausdruckswert und Erhebung der Sinne

Damit die Kunst ein so wünschenswertes Ergebnis hervorbringen kann, ist vor allem erforderlich, dass sie einen Ausdruckswert besitzt, ohne den sie aufhört, wahre Kunst zu sein. Dies zu bemerken ist heute nicht überflüssig, wo in manchen Schulen das Kunstwerk allein für sich nicht genügt, den Gedanken wiederzugeben, GefÜhle auszudrücken, die Seele seines Schöpfers zu offenbaren. Wenn aber das Kunstwerk einer Erklärung in Worten bedarf, verliert es seinen eigentümlichen Wert und dient nur noch dazu, dem Sinn einen rein sinnenmäßigen Genuss zu verschaffen oder dem Geist den Genuss eines subtilen und eitlen Spiels.

Eine andere Bedingung, damit die Kunst mit Würde und Erfolg ihre hohe Sendung der Verständigung, der Eintracht und des Friedens erfülle, ist jene, die Sinne aus den vergänglichen Kleinheiten und Armseligkeiten zu dem zu erheben, was ewig, wahr und schön ist. Zu erheben zum einzig wahren Gut, dem wahren Mittelpunkt, in dem jede Einigung sich vollzieht und die Einheit sich vollendet. Erinnern wir uns hier nicht an die herrliche Vision des Apostels: lnvisibilia enim ipsius a creatura mundi per ea quae facta sunt, intellecta conspiciuntur, sempiterna quoque eius virtus et divinitas? - Lässt sich doch sein unsichtbares Wesen seit Erschaffung der Welt durch seine Werke mit dem Auge des Geistes wahrnehmen: seine ewige Macht, wie seine Göttlichkeit? (Röm 1, 20). Alle Regeln, die dahin führen, die Kunst von ihrem erhabenen Auftrag abzubringen, entweihen sie und machen sie unfruchtbar. "Die Kunst für die Kunst": als ob die Kunst Selbstzweck sein könnte, dazu verurteilt, sich im Bereich der wahrnehmbaren stofflichen Dinge zu bewegen und hinzuschleppen; als ob in der Kunst die Sinne des Menschen nicht einer höheren Berufung gehorchten, als der der einfachen Erkenntnis der stofflichen Natur, nämlich der Berufung, im Verstand und in der Seele dank der Transparenz dieser Natur das Begehren wieder zu erwecken nach den "Dingen, die das Auge nicht gesehen, das Ohr nicht gehört hat, und die nicht bis zu seinem Herzen aufgestiegen sind" (1 Kor 2, 9).

Wir reden hier nicht von einer unmoralischen Kunst, die sich zum Ziele setzt, die geistigen Kräfte der Seele zu erniedrigen und der sinnlichen Leidenschaft dienstbar zu machen. "Kunst" und "Unmoral" sind zwei Begriffe, die in grellem Widerspruch zueinander stehen. Lasst also auf Erden und über der Menschheit den Widerschein der göttlichen Schönheit und des göttlichen Lichtes leuchten: indem ihr dem Menschen helft, alles das zu lieben, "was an Wärme, Reinheit, Recht, Heiligkeit, Liebenswürdigkeit existiert". Alsdann habt ihr einen großen Beitrag zum Werk des Friedens geleistet "und der Gott des Friedens wird mit Euch sein" - et Deus pacis erit vobiscum (Phil 4, 8), (Aus der Ansprache an den 1. Kongreß katholischer Künstler, 3. Sept. 1950).

22. PFLICHTEN DER ÄRZTE

DER CHRISTLICHE ARZT verliert niemals aus den Augen, dass sein Kranker, sein Verletzter, der dank seinen Bemühungen für eine mehr oder weniger lange Zeit weiterleben wird, oder trotz seiner Bemühungen sterben wird, auf dem Wege zu einem unsterblichen Leben ist und dass auch von ihm seine ewige Verdammnis oder Seligkeit abhängt.

Aus Stoff und Geist zusammengesetzt, selbst ein Bestandteil der universalen Ordnung der Wesen, ist der Mensch in der Tat auf seinem Wege hienieden auf ein Ziel gerichtet jenseits der Zeit, auf ein Ziel das über der Natur liegt. Aus dieser Durchdringung von Stoff und Geist in der vollkommenen Einheit des Menschenwesens, aus dieser Teilnahme an der Bewegung der ganzen sichtbaren Schöpfung folgt, dass der Arzt oft berufen ist, Ratschläge zu erteilen, Bestimmungen zu treffen, Grundsätze zu formulieren, die zwar unmittelbar auf die Pflege und die Heilung des Leibes, seiner Glieder und seiner Organe zielen, aber auch die Seele und ihre Fähigkeiten angehen, das übernatürliche Schicksal des Menschen und seine gesellschaftliche Sendung.

Der Arzt, der nicht beständig diese Zusammensetzung des Menschen, seine Stellung und seinen Auftrag in der universellen Ordnung der Wesen, seine geistliche und übernatürliche Bestimmung in seinem Denken gegenwärtig hat, würde leicht Gefahr laufen, sich in mehr oder weniger materialistischen Vorurteilen zu verfangen und ihren verhängnisvollen Folgen zu verfallen, wie denen des Utilitarismus, des Hedonismus und der absoluten Unabhängigkeit vom Sittengesetz ...

Der Mensch ist nur der Nutznießer seines Leibes

Die Komplexität jener Zusammensetzung von Stoff und Geist, wie auch die der universalen Ordnung ist derart, dass der Mensch sich nicht auf das totale und einzige Ziel seines Seins und seiner Persönlichkeit einzustellen vermag, es sei denn durch die harmonische Betätigung seiner vielfachen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Auch kann er seinen Platz nicht behaupten, weder wenn er sich von der übrigen Welt isoliert noch wenn er sich in ihr verliert, so wie sich in einer gestaltlosen Anhäufung Myriaden von gleichartigen Molekülen verlieren. Diese reale Komplexität, diese notwendige Harmonie bieten ihre Schwierigkeiten und diktieren dem Arzt seine Pflicht.

Als Gott den Menschen schuf, hat er jede seiner Funktionen geregelt. Er hat sie auf die verschiedenen Organe verteilt; er hat damit selbst den Unterschied bestimmt zwischen denen, die lebenswichtig sind, und denen, die nur die Unversehrtheit des Leibes, so kostbar diese auch ist, seine Tätigkeit, sein Wohlbefinden, seine Schönheit betreffen. Zu gleicher Zeit hat er den Gebrauch einer jeden festgelegt, vorgeschrieben und begrenzt; er kann also dem Menschen nicht erlauben, sein Leben und die Funktionen seiner Organe nach seinem Belieben zu ordnen, im Gegensatz zu den inneren und immanenten Zwecken, die ihnen zugewiesen sind. Denn der Mensch ist nicht der Eigentümer, der absolute Herr seines Leibes, sondern nur der Nutznießer. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von Grundsätzen und Normen, die den Gebrauch der Organe und der Glieder des Leibes und das Recht, über sie zu verfügen regeln, und die in gleicher Weise dem Betroffenen und dem von ihm zu Rate gezogenen Arzt auferlegt sind ...

Dieselben Regeln müssen außerdem Wegweiser sein für die Lösung der Konflikte zwischen widerstreitenden Interessen, nach der Rangordnung der Werte, doch stets im Einklang mit den Geboten Gottes. Daher wird es niemals erlaubt sein, die ewigen Interessen zeitlichen Gütern zu opfern, auch nicht den geschätztesten, wie es auch nicht erlaubt sein wird, diese letzteren den niedrigen Launen und den Forderungen der Leidenschaften nachzusetzen. In solchen, manchmal tragischen Krisen sieht sich der Arzt oft in der Lage, der berufene Ratgeber und gleichsam der Schiedsrichter zu sein.

Schon in der Beschränkung auf die in ihrer Einheit so komplexe Person rufen die unvermeidlichen Konflikte zwischen widerstreitenden Interessen sehr delikate Probleme hervor. Um wie viel schwieriger sind dann jene, die die Gesellschaft aufwirft, wenn sie Rechte auf den Leib, auf seine Unversehrtheit, selbst auf das Leben des Menschen geltend macht. Theoretisch die Grenzen zu bestimmen ist manchmal recht schwer. In der Praxis kann sich der Arzt ebenso wie der einzelne unmittelbar Betroffene in die Notwendigkeit versetzt sehen, solche Ansprüche und Forderungen zu prüfen und genauestens abzuwägen, ihre Moralität und verpflichtende ethische Kraft zu messen und zu würdigen ...

Unversehrtheit des Körpers

Hier ziehen Vernunft und Glaube in gleicher Weise die Grenzen zwischen den jeweiligen Rechten der Gesellschaft und des Einzelmenschen. Ohne Zweifel ist der Mensch durch seine Natur dazu bestimmt, in Gesellschaft zu leben; aber - wie auch schon allein die Vernunft lehrt - ist grundsätzlich die Gesellschaft für den Menschen geschaffen, nicht der Mensch für die Gesellschaft. Nicht von ihr, sondern von dem Schöpfer selbst hat er das Recht auf den eigenen Leib und auf sein Leben, und vor dem Schöpfer verantwortet er den Gebrauch, den er davon macht. Daraus folgt, dass die Gesellschaft ihn nicht unmittelbar dieses Rechtes berauben kann, solange er nicht durch ein entsprechend schweres Verbrechen die Strafe einer solchen Beraubung verwirkt hat.

Im Hinblick auf den Leib, das Leben und die leibliche Unversehrtheit der einzelnen Menschen ist die rechtliche Stellung der Gesellschaft wesentlich verschieden von der Stellung der Einzelmenschen selber. Die, wenn auch beschränkte, Macht des Menschen über seine Glieder und seine Organe ist eine unmittelbare Macht, weil diese konstitutive Teile seines physischen Wesens sind. Da ihre Differenzierung innerhalb einer vollkommenen Einheit keinen anderen Zweck hat als das Wohl des gesamten physischen Organismus, ist es klar, dass jedes dieser Organe und Glieder geopfert werden kann, wenn es das Ganze in eine Gefahr bringt, die anders nicht gebannt werden kann. Ganz anders liegt der Fall bei der Gesellschaft, die kein physisches Wesen ist, dessen Teile die einzelnen Menschen wären, sondern eine einfache Gemeinschaft von Tätigkeit und Zweck. Auf diesen Titel hin kann sie von denen, aus denen sie sich zusammensetzt und die man ihre Glieder nennt, alle Dienste verlangen, die das wahre Gemeinwohl notwendigerweise erfordert.

Das sind die Grundlagen, auf die sich jedes Urteil über den moralischen Wert der Handlungen und Eingriffe in den menschlichen Körper, in das Leben und die Unversehrtheit der Person gründen müssen, die von den öffentlichen Gewalten erlaubt oder befohlen werden...

Schmerz und Tod

Die bis hierher dargelegten Wahrheiten können allein mit dem Licht der Vernunft erkannt werden. Aber es gibt ein fundamentales Gesetz, das sich vor allen anderen dem Blick des Arztes darbietet, und dessen ganzer Sinn und Zweck nur durch das Licht der Offenbarung erleuchtet und kundgemacht werden kann: Wir meinen den Schmerz und den Tod.

Ohne Zweifel hat der physische Schmerz auch eine natürliche und heilsame Funktion. Er ist ein Alarmsignal, das das Entstehen und die oft heimtückische Entwicklung des verborgenen Übels anzeigt und dazu antreibt, das Heilmittel dagegen zu suchen. Aber der Arzt begegnet dem Schmerz und dem Tod im Laufe seiner wissenschaftlichen Forschungen unvermeidlich als einem Problem, zu dem sein Geist den Schlüssel nicht hat, und in der Ausübung seines Berufes als einem unwandelbaren geheimnisvollen Gesetz, demgegenüber sein Können oft machtlos und sein Mitleid unfruchtbar ist. Er kann wohl seine Diagnose nach allen Grundbegriffen des Laboratoriums und der Klinik stellen, seine Prognose nach allen Erfordernissen der Wissenschaft formulieren, aber im Grunde seines Gewissens, seines Herzens als Mensch und als Wissenschaftler fühlt er, dass die Erklärung dieses Rätsels ihm hartnäckig entflieht. Er leidet darunter, und Kummer quält ihn unerbittlich, solange er nicht vom Glauben eine Antwort verlangt, die, wenn sie auch nicht vollständig ist - das liegt im Geheimnis der Ratschlüsse Gottes und wird in der Ewigkeit offenbar werden -, doch sein Gemüt beruhigen kann.

Hier ist diese Antwort: Als Gott den Menschen schuf, hatte er ihn durch seine Gnade vom Naturgesetz aller körperlichen und empfindenden Lebewesen ausgenommen. Er hatte Schmerz und Tod nicht in sein Schicksal hineinlegen wollen; die Sünde hat sie hinein gebracht. Aber er, der Vater der Barmherzigkeit, hat Schmerz und Tod in seine Hand genommen, hat sie durch den Leib, die Adern, das Herz seines geliebten Sohnes, der Gott ist wie er und Mensch geworden ist, um der Erlöser der Welt zu sein, hindurchgehen lassen. So sind Schmerz und Tod für jeden Menschen, der Christus nicht zurückweist, Mittel der Erlösung und der Heiligung geworden. So führt der Weg des Menschengeschlechts, der sich in seiner ganzen Länge unter dem Zeichen des Kreuzes und unter dem Gesetz des Schmerzes und des Todes abwickelt, während er die Seele hienieden reift und reinigt, zur grenzenlosen Seligkeit eines Lebens, das kein Ende kennt.

Leiden, Sterben: Es ist, um den kühnen Ausdruck des Völkerapostels zu gebrauchen, die "Torheit Gottes", eine Torheit, die weiser ist als alle Weisheit der Menschen. Im bleichen Schein seines schwachen Glaubens konnte der arme Dichter singen: "L'homme est un apprenti, la douleur est son maître - et nul ne se connait tant qu'il n'a pas souffert! Der Mensch ist ein Lehrling, der Schmerz ist sein Meister, und keiner kennt sich selbst, solange er nicht gelitten hat." Im Lichte der Offenbarung konnte der fromme Verfasser der Nachfolge Christi das erhabene zwölfte Kapitel seines zweiten Buches De regia via sanctae Cntcis (über den königlichen Weg des heiligen Kreuzes) schreiben, das ganz von wunderbarstem Verständnis und der höchsten christlichen Lebensweisheit erstrahlt.

Welche Antwort kann sich also der Arzt gegenüber dem gebieterischen Problem des Schmerzes selbst geben und welche dem Unglücklichen, den die Krankheit mit finsterer Erstarrung schlägt oder der sich in eitler Rebellion gegen das Leiden und den Tod auflehnt? Nur ein Herz, das von tiefem, lebendigem Glauben durchdrungen ist, wird den vertrauten, aufrichtigen und überzeugenden Ton zu finden wissen, der imstande ist, die Antwort des göttlichen Meisters annehmbar zu machen: Es ist notwendig, zu leiden und zu sterben, um so in die Glorie einzugehen. Der Arzt wird mit allen Mitteln und Kunstgriffen seiner Wissenschaft und seiner Geschicklichkeit gegen Krankheit und Tod kämpfen, nicht mit der Resignation eines verzweifelten Pessimismus, nicht mit der erbitterten Entschlossenheit, die eine moderne Philosophie preisen zu müssen glaubt, sondern mit der ruhigen Gelassenheit dessen, der sieht und weiß, was Schmerz und Tod in den Heilsplänen des allwissenden und unendlich gütigen und barmherzigen Herrn darstellen ...

Gibt es eine christlich orientierte Wissenschaft?

Es ist daher offenkundig, dass die Person des Arztes wie sein ganzes Wirken sich beständig im Bereich der sittlichen Ordnung und unter der Herrschaft ihrer Gesetze bewegt. In keiner Erklärung, keinem Ratschlag, keiner Maßnahme, keinem Eingriff kann sich der Arzt außerhalb des Gebiets der Moral befinden, frei und unabhängig von den Prinzipien der Ethik und der Religion. Und es gibt keine Handlung und kein Wort, für das er nicht vor Gott und dem eigenen Gewissen verantwortlich wäre.

Es ist freilich richtig, dass manche den Begriff einer "christlichen ärztlichen Wissenschaft" in Theorie und Praxis als absurd und als eine Schimäre zurückweisen. Nach ihrer Meinung kann es keine christliche Medizin geben, so wie es keine theoretische oder angewandte christliche Physik oder Chemie gebe; die Herrschaft der exakten und experimentellen Wissenschaften dehnt sich - wie sie sagen - außerhalb des religiösen und ethischen Bereichs aus, und daher kennen und anerkennen sie nur ihre eigenen immanenten Gesetze. Eine seltsame und ungerechtfertigte Einschränkung des Blickfeldes unseres Problems! Sehen sie denn nicht, dass die Gegenstände dieser Wissenschaften nicht isoliert im Leeren schweben, sondern ein Teil der universellen Welt der Wesen sind? Dass sie in der Ordnung der Güter und Werte einen bestimmten Platz und Rang haben? Dass sie in beständiger Berührung mit den Gegenständen der anderen Wissenschaften stehen, und dass sie insbesondere unter dem Gesetz der immanenten und transzendenten Zweckbestimmtheit stehen, das sie zu einem geordneten Ganzen verbindet? Wir geben jedoch zu, dass, wenn man von einer christlichen Orientierung der Wissenschaft spricht, man nicht so sehr die Wissenschaft an sich meint, als vielmehr ihre Träger und Jünger, in denen sie lebt, sich entwickelt und sich kundgibt. Auch Physik und Chemie, die gewissenhafte Fachleute dem Wohl und Vorteil der Einzelmenschen und der Gesellschaft dienstbar machen, können in der Hand verderbter Menschen Mittel und Werkzeug der Verderbnis und des Untergangs werden. Um so klarer ist, dass im Falle der Medizin das oberste Interesse der Wahrheit und des Guten sich einer vorgeblichen objektiven oder subjektiven Befreiung von den vielfachen Beziehungen und Bindungen widersetzt, die sie in der allgemeinen Ordnung halten ...

Tod und Todesstrafe

Das Fünfte Gebot: - Non occides - diese Synthese der Pflichten gegenüber dem Leben und der Unversehrtheit des menschlichen Körpers, ist reich an Belehrung, sowohl für den Dozenten auf dem akademischen Lehrstuhl als auch für den praktischen Arzt. Solange ein Mensch nicht schuldig ist, ist sein Leben unantastbar, und daher ist jede Handlung verboten, die direkt darauf hinzielt, es zu vernichten; ob es sich um das Leben des Embryos handelt oder um voll entwickeltes Leben, oder um ein Leben, das an seinem Ziel angelangt ist. Über das Leben eines Menschen, der nicht eines mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens schuldig ist, ist nur Gott Herr! Der Arzt hat nicht das Recht, über das Leben des Kindes oder das der Mutter zu verfügen; und niemand auf der Welt, keine Privatperson, keine menschliche Obrigkeit, kann ihn zur unmittelbaren Vernichtung des Lebens ermächtigen. Seines Amtes ist es nicht, Leben zu zerstören, sondern Leben zu retten. Das sind grundlegende und unveränderliche Prinzipien, die wiederholt zu proklamieren, und zwar mit aller Klarheit gegen entgegengesetzte Meinungen und Methoden, die Kirche sich im Laufe der letzten Jahrzehnte genötigt sah. In den Entschließungen und Dekreten des kirchlichen Lehramtes findet der katholische Arzt in dieser Hinsicht einen sicheren Führer für sein theoretisches Urteil und sein praktisches Verhalten.

Aber es gibt in der sittlichen Ordnung ein weites Feld, das vom Arzt besondere Klarheit der Grundsätze und eine besondere Sicherheit des Handelns verlangt: jenes, in dem die geheimnisvollen Kräfte gären, die Gott in den Organismus des Mannes und der Frau gesenkt hat, damit neues Leben aus ihnen ersprieße. Das ist eine natürliche Kraft, deren Struktur und wesentliche Betätigungsformen der Schöpfer bestimmt hat mit einem präzisen Zweck und entsprechenden Pflichten, denen der Mensch bei jedem bewussten Gebrauch dieser Fähigkeiten unterworfen ist. Der erste Zweck (dem die sekundären Zwecke wesensmäßig untergeordnet sind), der Zweck, der von der Natur bei ihrem Gebrauch gewollt ist, ist die Fortpflanzung des Lebens und die Erziehung des Nachwuchses. Nur die Ehe, die Gott selbst in ihrem Wesen und ihrer Eigenart geordnet hat, sichert das eine wie das andere zu Wohl und Würde sowohl der Nachkommen wie der Eltern. Das ist die einzige Norm, die diese ganze delikate Materie beleuchtet und regiert, die Norm, auf die man in allen konkreten Fällen, in allen Einzelfragen zurückgreifen muss, die Norm endlich, deren treue Beobachtung die sittliche und physische Gesundheit der einzelnen und der Gesellschaft in diesem Punkte verbürgt ...

Der Arzt und die Versuchungen

Dem Arzt sollte es nicht schwerfallen, diese tief in der Natur verwurzelte, immanente Zweckbestimmtheit zu verstehen, und sie in seiner wissenschaftlichen und praktischen Tätigkeit aus innerer Überzeugung zu bejahen und anzuwenden. Ihm wird man nicht selten mehr Glauben schenken als selbst dem Theologen, wenn er daran erinnert und warnt, dass, wer immer die Gesetze der Natur verletzt und übertritt, früher oder später die traurigen Folgen in seinem persönlichen Wert und in seiner körperlichen und seelischen Integrität wird erleiden müssen.

Da ist der junge Mann, der unter dem Antrieb der keimenden Leidenschaften zum Arzt kommt. Da sind die Verlobten, die ihn im Hinblick auf ihre bevorstehende Vermählung um Rat bitten, und die häufig leider Wünsche haben, die der Natur und der Ehrbarkeit zuwiderlaufen. Da sind die Ehegatten, die bei ihm Belehrung und Hilfe suchen oder noch öfter nachsichtiges Einverständnis, weil sie behaupten, sie fänden keine andere Lösung, keinen anderen Ausweg in den Konflikten des Lebens außer der gewollten Verletzung der Bande und der Pflichten, die der Gebrauch der Ehe in sich schließt. Sie werden dann versuchen, alle möglichen Gründe oder Vorwände geltend zu machen, medizinische, eugenische, moralische, soziale, um den Arzt dazu zu bringen, dass er ihnen einen Rat gibt oder eine Hilfe leistet, die die Befriedigung des natürlichen Triebes erlaubt, sie aber der Möglichkeit beraubt, das Ziel der lebenzeugenden Kraft zu erreichen. Wie wird er gegenüber all diesen Bedrängnissen fest bleiben können, wenn ihm selbst die klare Erkenntnis und die persönliche Überzeugung fehlen, dass der Schöpfer selbst zum Wohl des Menschengeschlechts den willentlichen Gebrauch jener natürlichen Kräfte mit einem unlöslichen Bande, das kein Nachlassen und kein Zerreißen erlaubt, an ihr immanentes Ziel gebunden hat? .. ,

Darf der Arzt lügen?

Das Achte Gebot hat gleichfalls seinen Platz in der ärztlichen Pflichtenlehre. Nach dem Sittengesetz ist die Lüge niemandem erlaubt. Es gibt jedoch Fälle, in denen der Arzt auch auf Befragen nicht die ganze Wahrheit schonungslos offenbaren darf, vor allem wenn er weiß, dass der Kranke nicht die Kraft hätte, sie zu ertragen. Doch darf er auch dann nichts positiv Falsches sagen. Aber es gibt andere Fälle, in denen er ohne Zweifel die Pflicht hat, offen zu sprechen, eine Pflicht, der jede andere ärztliche oder humanitäre Erwägung zu weichen hat. Es ist nicht erlaubt, den Kranken oder seine Angehörigen in eine trügerische Sicherheit zu wiegen, und möglicherweise dadurch sein ewiges Heil oder die Erfüllung der Pflichten der Gerechtigkeit oder der Nächstenliebe zu gefährden. Man wäre im Irrtum, wenn man ein solches Verhalten mit dem Vorwand rechtfertigen oder entschuldigen wollte, dass sich der Arzt immer auf die von ihm im Interesse des Kranken für zuträglicher gehaltene Art ausdrücke, und dass es die Schuld der anderen sei, wenn sie seine Worte allzu wörtlich nähmen.

Das Berufsgeheimnis

Unter den Pflichten, die sich aus dem Achten Gebot herleiten, ist auch die Wahrung des Berufsgeheimnisses zu nennen, das nicht nur dem privaten Interesse dient oder dienen soll, sondern noch mehr dem allgemeinen Nutzen. Auch in diesem Bereich können Konflikte zwischen dem privaten und dem öffentlichen Wohl entstehen, oder auch zwischen den verschiedenen Elementen und Gesichtspunkten des Gemeinwohls selbst, Konflikte, in denen es mitunter sehr schwer sein kann, das Für und Wider zwischen den Gründen, die für Schweigen oder für Reden sprechen, gerecht abzuwägen. In solcher Unschlüssigkeit nimmt der gewissenhafte Arzt aus den Grundsätzen der christlichen Ethik die Normen, die ihm helfen werden, den rechten Weg zu beschreiten. Wenn diese auch, und zwar vor allem im Interesse des Gemeinwohls, die Pflicht des Arztes zur Wahrung des Berufsgeheimnisses festlegen, so erkennen sie demselben doch keinen absoluten Wert zu. Denn es wäre gerade mit dem Gemeinwohl nicht zu vereinbaren, wenn dieses Geheimnis in den Dienst des Verbrechens oder des Betrugs gestellt würde (Aus der Ansprache an die Mikrobiologische Vereinigung St. Lukas, 12. November 1943).

23. VERNICHTUNG KEIMENDEN LEBENS

DER HERR hat alle Dinge auf Erden für den Menschen gemacht, und der Mensch selbst, was sein Sein und Wesen angeht, ist für Gott geschaffen und nicht für irgendein Geschöpf, wenngleich er, was sein Wirken betrifft, auch der Gemeinschaft verpflichtet ist. "Mensch" ist nun aber auch das Kind, auch das noch nicht geborene im gleichen Grade, aus dem gleichen Rechtsgrund wie die Mutter.

Außerdem hat jedes menschliche Wesen, auch das Kind im Mutterschoß, das Recht auf das Leben unmittelbar von Gott, nicht von den Eltern noch von irgendeiner menschlichen Obrigkeit. Daher gibt es keinen Menschen, keine Behörde, keine Wissenschaft, keine medizinische, eugenische, soziale, wirtschaftliche, moralische "Indikation", die einen gültigen Rechtsanspruch auf eine unmittelbare, vorsätzliche Verfügung über ein unschuldiges Menschenleben verleihen könnte, das heißt eine Verfügung, die auf seine Zerstörung, sei es als Zweck, sei es als Mittel zu einem anderen Zweck abzielt, der an sich vielleicht keineswegs unerlaubt ist. So ist es zum Beispiel ein sehr edler Zweck, das Leben der Mutter zu retten, aber die unmittelbare Tötung des Kindes als Mittel zu diesem Zweck ist nicht erlaubt. Die direkte Vernichtung des so genannten "lebensunwerten Lebens", des geborenen oder nichtgeborenen, die vor einigen Jahren in großer Zahl ausgeübt wurde, kann in keiner Weise gebilligt werden. Als man damit anfing, hat daher die Kirche ausdrücklich erklärt, dass es dem natürlichen und positiven göttlichen Recht zuwiderlaufe, jene zu töten (sei es auch auf Befehl der öffentlichen Autorität hin), die zwar schuldlos, aber wegen physischer oder psychischer Mängel dem Volke nicht nützlich seien, sondern eher eine Last für es würden. Das Leben eines Unschuldigen ist unantastbar; und jeder Anschlag darauf ist eine Verletzung eines der Grundgesetze, ohne welche ein sicheres Zusammenleben der Menschen nicht möglich ist.

Schmerzen der Mutterschaft

Auch die Schmerzen, die die Mutter als eine der Folgen der Erbsünde erleiden muss, um ihr Kind zur Welt zu bringen, machen das Band nur fester, das beide verbindet. Sie liebt ihr Kind um so mehr, je mehr Schmerzen es sie gekostet hat. Das hat mit tiefer und ergreifender Einfachheit jener gesagt, der das Herz der Mütter geformt hat: "Wenn das Weib gebiert, leidet es Schmerzen, weil seine Stunde gekommen ist; aber wenn es das Kind zur Welt gebracht hat, gedenkt es nicht mehr der Wehen über der Freude, dass ein Mensch in die Welt geboren ist" (Joh16, 21). Der Heilige Geist zeigt im Briefe des heiligen Apostel Paulus die Größe und die Freude der Mutterschaft. Gott gibt der Mutter das Kind, aber indem er es ihr gibt, lässt er sie wirksam beteiligt sein an der Erschließung der Blüte, deren Keime er in ihren Schoß gesenkt hatte, und daraus wird ein Leben, das sie zu ihrem ewigen Heil führt: "Das Weib wird das Heil dadurch finden, dass es Kinder gebiert" (1 Tim 2, 15).

Unser Vorgänger Pius XI. seligen Andenkens hat in seiner Enzyklika Casti Connubii vom 31. Dezember 1930 von neuem feierlich das Grundgesetz des ehelichen Aktes und der ehelichen Beziehungen verkündigt: dass bei der Ausführung des ehelichen Aktes oder in der Entwicklung seiner natürlichen Folgen jeder Versuch der Ehegatten, der zum Ziele hat, den Akt der ihm innewohnenden Kraft zu berauben und die Zeugung eines neuen Lebens zu verhindern, unsittlich ist, und dass keine "Indikation" oder Notwendigkeit eine innerlich unsittliche Handlung in eine sittlich erlaubte verwandeln kann.

Diese Vorschrift ist in voller Geltung, heute wie gestern und wird es morgen und immer sein, weil es nicht eine einfache Vorschrift menschlichen Rechtes ist, sondern Ausdruck eines natürlichen und göttlichen Gesetzes.

Sterilisation

Es wäre mehr als ein bloßer Mangel an Bereitschaft im Dienst am Leben, wenn der Versuch des Menschen nicht nur auf den einzelnen Akt zielte, sondern den Organismus selbst antastete mit dem Ziel, ihn durch Sterilisation der Fähigkeit zur Zeugung neuen Lebens zu berauben.

Die direkte Sterilisation - das heißt jene, die als Mittel oder als Zweck die Zeugung unmöglich zu machen sucht - ist eine schwere Verletzung des Sittengesetzes und ist daher unerlaubt. Auch die öffentliche Autorität hat kein Recht, sie unter dem Vorwand irgendeiner "Indikation" zu erlauben noch viel weniger, sie vorzuschreiben oder zum Schaden von Unschuldigen ausführen zu lassen. Dieser Grundsatz ist schon in der oben erwähnten Enzyklika Pius Xl. über die Ehe ausgesprochen. Als vor einem Jahrzehnt die Sterilisation in immer größerem Maße angewandt wurde, sah sich daher der Heilige Stuhl vor die Notwendigkeit gestellt, ausdrücklich und öffentlich zu erklären, dass die direkte Sterilisation, sei es für immer oder für bestimmte Zelt, sei es beim Mann oder der Frau, unerlaubt ist auf Grund des Naturgesetzes, von dem, wie ihr wisst auch die Kirche nicht zu dispensieren vermag.

Heute stellt sich außerdem das ernste Problem dar, ob und inwieweit die Pflicht der Bereitschaft zum Dienst der Mutterschaft mit der immer weiter verbreiteten Ausnützung der Zeiten der natürlichen Sterilität (der so genannten Perioden der Empfängnisunfähigkeit) der Frau vereinbar sei.

Natürliche, zeitweilige Sterilität

Man muss da vor allem zwei Voraussetzungen erwägen. Wenn die Anwendung dieser Theorie nichts weiter bedeuten soll, als dass die Ehegatten ihr eheliches Recht auch an den Tagen der natürlichen Unfruchtbarkeit ausüben können, so ist dagegen nichts einzuwenden. Denn damit hindern oder beeinträchtigen sie durchaus nicht den Vollzug des natürlichen Aktes und seine späteren natürlichen Folgen. Gerade hierin unterscheidet sich die Anwendung der Theorie, von der Wir sprechen, wesentlich von dem angedeuteten Missbrauch, der in der Verkehrung des Aktes selbst besteht. Geht man Jedoch weiter, das heißt, erlaubt man, dass der eheliche Akt ausschließlich an jenen Tagen ausgeführt werde, so muss das Verhalten der Eheleute aufmerksamer geprüft werden.

Und hier bieten sich abermals unserer Überlegung zwei Annahmen dar. Wenn schon bei Schließung der Ehe wenigstens einer der Ehegatten die Absicht gehabt hätte, das eheliche Recht - und nicht nur seinen Gebrauch - auf die Zeiten der Unfruchtbarkeit zu beschränken, dergestalt. dass der andere Ehegatte an anderen Tagen nicht einmal das Recht hätte, den Akt zu verlangen, so würde dies einen wesentlichen Mangel des Ehewillens bedeuten, der die Ungültigkeit der Ehe zur Folge hätte. Denn das Recht das sich aus dem Ehevertrag ableitet, ist ein dauerndes, ununterbrochenes, nicht auf Zeit aussetzendes Recht jedes der beiden Gatten gegenüber dem anderen.

Wenn sich jedoch diese Beschränkung des Aktes auf die Tage der natürlichen Unfruchtbarkeit nicht auf das Recht selbst, sondern nur auf den Gebrauch des Rechtes bezieht, so kann die Gültigkeit der Ehe nicht bestritten werden Die sittliche Zulässigkeit eines solchen Verhaltens der Ehegatten wäre aber zu bejahen oder zu verneinen je nachdem, ob die Absicht, jene Zeiten beständig einzuhalten, auf ausreichende und sichere sittliche Beweggründe gegründet ist oder nicht. Die bloße Tatsache, dass die Ehegatten nicht gegen die Natur des Aktes verstoßen und auch bereit sind das Kind anzunehmen und aufzuziehen, das trotz ihrer Vorsichtsmaßregeln zur Welt kommt, würde für sich allein nicht genügen, die Rechtlichkeit der Absicht und die sittliche Unanfechtbarkeit der Beweggründe zu verbürgen.

Der Grund ist, dass die Ehe zu einem Lebensstande verpflichtet, der bestimmte Rechte auf den anderen Ehepartner überträgt aber auch die Erfüllung eines positiven Werkes auferlegt das eben diesen Stand selbst betrifft. In einem solchen Fall kann man den allgemeinen Grundsatz anwenden, dass eine positive Leistung unterlassen werden kann, wenn ernste Gründe, unabhängig von dem guten Willen jener, die zu ihr verpflichtet sind, zeigen, dass diese Leistung untunlich ist, und beweisen, dass sie billigerweise nicht verlangt werden kann.

Der Ehevertrag, der den Ehegatten das Recht einräumt, die Neigung der Natur zu befriedigen. setzt sie in einen bestimmten Lebensstand ein, eben den Ehestand. Den Gatten nun, die von jenem Recht mittels des spezifischen Aktes dieses ihres Standes Gebrauch machen, legen Natur und Schöpfer die Funktion auf, für die Erhaltung des Menschengeschlechts zu sorgen, Dies ist die charakteristische Leistung, die den eigentümlichen Wert ihres Standes, das Bonus prolis (das Gut der Nachkommenschaft) ausmacht. Einzelmensch und Gesellschaft. Volk und Staat, die Kirche selbst hängen in ihrem Dasein nach der von Gott gesetzten Ordnung von der fruchtbaren Ehe ab. In den Ehestand einzutreten, die ihm eigene und nur in ihm erlaubte Möglichkeit ständig zu benützen und sich andererseits immer und mit Überlegung ohne ernsten Grund seiner Hauptpflicht zu entziehen, das hieße, sich gegen den Sinn des Ehelebens selbst zu vergehen.

Medizinische, eugenische, soziale "Indikation"

Von dieser positiven, pflichtmäßigen Leistung können, auch für lange Zeit, sogar für die ganze Dauer der Ehe, ernste Gründe befreien, wie etwa jene, die nicht selten in der so genannten medizinischen, eugenischen und sozialen "Indikation" vorliegen. Daraus folgt, dass die Einhaltung der unfruchtbaren Zeiten unter sittlichen Gesichtspunkten erlaubt sein kann und unter den angeführten Bedingungen auch tatsächlich erlaubt ist. Wenn aber auf Grund eines vernünftigen und billigen Urteils solche ernsten persönlichen oder aus äußeren Umständen hervorgehenden Gründe nicht vorliegen, dann kann der Wille der Ehegatten, die Fruchtbarkeit ihrer Vereinigung gewohnheitsmäßig zu vermeiden, obgleich sie ihre Sinnlichkeit weiterhin vollauf befriedigen, nur aus einer falschen Einschätzung des Lebens und aus Beweggründen herrühren, die den echten sittlichen Normen fremd sind.

In sehr schwierigen Fällen, in denen das Risiko der Mutterschaft nicht gefordert werden kann, ja sogar unbedingt vermieden werden muss, und in denen andererseits die Einhaltung der empfängnisfreien Tage entweder keine genügende Sicherheit bietet oder aus anderen Gründen unterlassen werden muss, ist jede vorbeugende Maßnahme und jeder direkte Anschlag auf das Leben und die Entwicklung des Keimes im Gewissen verboten und ausgeschlossen, und es bleibt nur ein Weg offen, nämlich der Weg der Enthaltung.

Enthaltung

Man wird aber einwenden, eine solche Enthaltung sei unmöglich, ein solcher Heroismus sei nicht zu verwirklichen. Diesen Einwand werdet ihr heute überall hören und lesen, sogar von solchen, die von Berufs wegen in der Lage sein sollten, ganz anders zu urteilen. Als Beweis bringt man den folgenden Satz vor: "Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet, und kein vernünftiger Gesetzgeber maßt sich an, mit seinem Gesetz auch zum Unmöglichen zu verpflichten. Für die Ehegatten ist aber eine langwährende Enthaltung unmöglich. Also sind sie nicht zur Enthaltung verpflichtet; diesen Sinn kann das göttliche Gesetz nicht haben."

So leitet man aus zum Teil wahren Obersätzen einen falschen Schluss ab. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, die Ausdrücke des Beweisganges umzukehren: Gott verpflichtet nicht zum Unmöglichen. Aber Gott verpflichtet die Ehegatten zur Enthaltung, wenn ihre Verbindung nach den Regeln der Natur nicht vollzogen werden kann. Also ist in diesem Falle die Enthaltung möglich. - Als Bestätigung dieses Arguments haben wir die Lehre des Konzils von Trient, das in dem Kapitel über die notwendige und mögliche Beachtung der Gebote unter Bezugnahme auf ein Wort des heiligen Augustinus lehrt: "Gott befiehlt nichts Unmögliches, sondern indem er gebietet, mahnt er sowohl zu tun, was du vermagst, als auch um das zu bitten, was du nicht vermagst, und hilft, auf dass du es vermagst" (Aus der Ansprache an die Hebammen, 29. Oktober 1951).

24. VERERBUNG, EUGENIK UND SCHMERZLOSE GEBURT

FÜR UNS MENSCHEN sind die Gesetze der Vererbung von hoher Bedeutung. Die Erstzelle des neuen Menschen ist schon im ersten Augenblick und Stadium ihres Daseins von einem wundervollen Bau und einer unglaublich reichen Spezifizierung der Anlagen. Sie ist voll teleologischer Dynamik, die gesteuert wird von den Genen, und in diesen Genen liegt so viel Glück oder Unglück, Lebensfrische oder Siechtum, Können oder Versagen begründet. Diese Einsicht macht es verständlich, dass die Erforschung der Vererbung immer mehr Beachtung und Verwendung findet. Man sucht das Wertvolle und Gute zu wahren, zu sichern, zu fördern und zu vervollkommnen. Schädigungen der Erbanlage sollen verhütet, das in ihnen bereits vorhandene Negative nach Möglichkeit eingedämmt werden; soweit es geht, soll verhütet werden, dass minderwertige Erbanlage noch verschlimmert werde durch Verschmelzung mit der gleichgerichteten minderwertigen Erbanlage des anderen Partners. Umgekehrt soll gesorgt werden, dass hochwertige positive Anlage zur Verschmelzung mit hochwertigem Erbgut eines andern Partners gelange.

Die praktische Bedeutung der Genetik

Die Genetik hat neben der theoretischen eine eminent praktische Bedeutung. Sie stellt sich die Aufgabe, dem Wohl des einzelnen wie der Gemeinschaft, dem Gemeinwohl, zu dienen. Sie will diese Aufgabe erfüllen hauptsächlich auf zwei Betätigungsgebieten, dem der Genetikphysiologie und jenem der Genetikpathologie.

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass die natürlichen Anlagen, die guten wie die mangelhaften, die Erziehung des Menschen wie sein späteres Verhalten sehr stark beeinflussen. Gewiss ist der Leib mit seinen Organen und Anlagen nur das Instrument, gewiss kann die Seele des Künstlers, der es spielt, seine Fertigkeit manche Mängel des Instrumentes ausgleichen; aber besser und leichter spielt es sich auf einem vollkommenen Instrument; und wenn dessen Güte unter einer bestimmten Linie liegt, lässt sich auf ihm überhaupt nicht mehr spielen - ganz abgesehen davon, dass über jeden Vergleich hinweg Seele und Leib, Materie und Geist im Menschen zur substantiellen Einheit verbunden sind.

Um jedoch bei jenem Vergleich zu bleiben: Die Genetik lehrt uns das Instrument in seinem Bau und in seinen Schwingungen besser verstehen und zweckentsprechender zum Ziel herrichten. Aus der Abstammung eines Menschen lässt sich innerhalb gewisser Grenzen eine Diagnose anstellen über seine mit dem Erbgut empfangenen Anlagen, und auch eine Prognose, welche ererbten Merkmale in Erscheinung treten werden, gute oder, was von noch größerer Bedeutung ist, auch jene, die eine erbliche Belastung darstellen.

So gering die direkte Beeinflussung des Erbgutes sein mag, so wird die praktische Genetik keineswegs auf rein passives Zuschauen eingeengt. Schon das tägliche Leben zeigt, dass sich ein gewisses Tun der Eltern in der natürlichen Weitergabe des Lebens äußerst schädigend auswirkt. Solch Verhalten mit seinen Intoxikationen und Infektionen ist nach Möglichkeit zu unterbinden, und die Genetik sucht und zeigt Wege zu diesem Ziel. Besonders gibt die Genetik Aufschluss darüber, welche Kombinationen von Erbgut verschiedener Ahnenreihen zu begünstigen sind, welche toleriert werden können, welche unter der Sicht der Genetik und Eugenik widerraten werden müssen.

Die Grundtendenz der Genetik und Eugenik, den Erbgang zu beeinflussen, um das Gute zu fördern und das Schädigende auszuschalten - diese Grundtendenz ist vorn sittlichen Standpunkt unwidersprochen. Ethisch zu beanstanden sind freilich gewisse Wege zu dem angegebenen Ziel, also bestimmte Abwehrmaßnahmen, und darüber hinaus die unrichtige Bewertung der genetischen und eugenischen Ziele.

Lassen Sie Uns hier die Worte eines der bedeutendsten heutigen Genetiker anführen, der es bedauert, dass die Genetik trotz ihres enormen Fortschrittes "in technischer und analytischer Hinsicht sich verloren hat in vielfachen Lehrirrtümern; dazu gehört der Rassismus, der auf die Phylogenese angewandte Mutationismus, um in modernen Ausdrücken die Darwinsche Entwicklungstheorie zu erklären, die Geburtenkontrolle der Belasteten oder der als belastet Angenommenen unter Anwendung von Präventivmitteln und Schwangerschaftsunterbrechung, die Verpflichtung des vorehelichen ärztlichen Zeugnisses usw.".

In der Tat sind es gewisse genetisch-eugenische Abwehrmaßnahmen, auf die - nach der grundsätzlichen Seite wie nach dem praktischen Vorangehen - das gesunde sittliche Empfinden wie vor allem die christliche Ethik mit einem entschiedenen "Nein" antworten.

Eheverbot und Sterilisation

Zu den Maßnahmen, die gegen die Sittenordnung verstoßen, gehört der erwähnte "Rassismus", wie auch die "eugenische Sterilisation", Unser Vorgänger Pius XI. und Wir selbst haben Uns veranlasst gesehen, jedwede - nicht nur die eugenische - direkte Sterilisation Schuldloser, ob definitiv oder nur zeitweilig, ob des Mannes oder der Frau, als dem Naturgesetz widersprechend zu erklären. Unsere Stellungnahme gegen die Sterilisation war und bleibt unerschütterlich, weil der Wille und Versuch, sich vermittels der Sterilisation gegen erbkranken Nachwuchs zu schützen, mit dem Ende des "Rassismus" keineswegs verschwunden ist.

Ein anderer Weg zu demselben Ziel: das Verbot der Ehe oder ihre physische Verhinderung durch Internierung des erblich Belasteten ist ebenso abzulehnen. Der angestrebte Zweck ist in sich gut, aber das Mittel zum Zweck verstößt gegen das persönliche Recht auf Eingehung und Gebrauch der Ehe. Wenn ein Erbkranker menschlichen Handelns und damit der Eingehung der Ehe nicht fähig oder wenn er später unfähig geworden ist, das durch eine gültige Ehe erworbene Recht durch freie Willensäußerung geltend zu machen, mag man ihn auf erlaubte Weise an der Betätigung zur Weckung neuen Lebens hindern; sonst ist der aus biologischen, genetischen und eugenischen Gründen vollzogene Ausschluss aus der Ehe und dem ehelichen Verkehr ein Unrecht, gleichgültig, wer diesen Ausschluss vollzieht, ob Private oder die öffentliche Gewalt.

Gewiss hat man Grund und meistens auch die Pflicht, die erblich Schwerbelasteten darauf aufmerksam zu machen, welche Bürde sie sich, dem Ehegefährten und der Nachkommenschaft aufzuladen im Begriffe stehen, eine Bürde, die sie später vielleicht unerträglich drückt. Aber Abraten ist kein Verbieten. Es kann andere Gründe, besonders sittlich-persönlicher Natur, geben, die so sehr überwiegen, dass sie das Eingehen und den Gebrauch der Ehe auch unter den bezeichneten Umständen freigeben,

Zur Rechtfertigung der Alternative: direkte eugenische Sterilisierung oder Internierung, führt man an: das Recht zur Ehe und ehelicher Betätigung werde durch die Sterilisation nicht berührt, auch wenn sie vorehelich, total und nicht mehr rückgängig zu machen sei. Dieser Rechtfertigungsversuch ist erfolglos. Ist der besagte Tatbestand für ein verständiges Urteil zweifelhaft, so ist auch die Eheuntauglichkeit zweifelhaft, und es findet der Grundsatz Anwendung, dass das Recht auf die Ehe so lange als vorhanden anzusehen ist, solange das Gegenteil nicht mit Sicherheit bewiesen wird. Darum ist in einem solchen Fall die Ehe zuzulassen, wobei die Frage ihrer objektiven Gültigkeit offenbleibt. Ist jedoch der genannte Tatbestand der Sterilisation unzweifelhaft, so ist die Behauptung, das Recht auf die Ehe werde trotzdem nicht in Frage gestellt, vorschnell und hat jedenfalls die ernstesten Bedenken gegen sich (Aus der Ansprache an die Teilnehmer des Primum Symposium Genetische Medicae, 8. September 1953).

Die schmerzlose Geburt

Die Gesetze, die Theorie und Technik der naturgemäßen Niederkunft ohne Schmerzen, sind zweifellos wertvoll, aber sie wurden von Gelehrten erarbeitet, die sich zum guten Teil zu einer materialistischen Weltanschauung bekennen und einer materialistischen Kultur angehören; diese sind nicht deshalb wahr, weil die vorerwähnten wissenschaftlichen Ergebnisse es sind. Es ist noch viel weniger zutreffend, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse wahr und als solche erwiesen sind, weil ihre Urheber und die Kulturen, denen sie entstammen, eine materialistische Ausrichtung haben. Der überzeugte Christ findet in seinem Gedankengut und in seiner Kultur nichts, was ihn hindern würde, sich ernsthaft, theoretisch und praktisch, mit der psycho-prophylaktischen Methode zu befassen ...

Zwei Punkte verdienen es, hier hervorgehoben zu werden: das Christentum deutet Leid und Kreuz nicht nur im negativen Sinne. Wenn die neue Technik ihr die Schmerzen der Niederkunft erspart oder sie lindert, kann die Mutter das ohne jedes Gewissensbedenken annehmen, aber sie ist nicht dazu verpflichtet. Im Falle eines halben Erfolgs oder eines Misserfolgs weiß sie, dass das Leid eine Quelle des Guten werden kann, wenn man es erträgt in Vereinigung mit Gott und aus Gehorsam gegen seinen Willen. Das Leben und das Leiden des Herrn, die Leiden, die so viele große Menschen ertragen und sogar gesucht haben, an denen sie gereift und emporgewachsen sind bis auf die Gipfel des christlichen Heroismus, die alltäglichen Beispiele ergebungsvoller Annahme des Kreuzes, die Wir vor Augen haben: all das offenbart den Sinn des Leidens, der geduldigen Hinnahme des Schmerzes in der gegenwärtigen Heilsordnung, während dieser irdischen Lebenszeit (Aus der Ansprache an eine Gruppe von Ärzten des Internationalen Sekretariats der Katholischen Ärzte und der AMCI, 8. Januar 1956).

25. ÜBER DIE KÜNSTLICHE BEFRUCHTUNG

OB ER SICH MIT DEM KÖRPER oder dem Menschen in seiner Ganzheit befasst, der christliche Arzt wird sich immer gegen den Zauber der Technik wehren müssen, gegen die Versuchung, die eigene Wissenschaft und Erfahrung zu anderen Zwecken zu gebrauchen als zur Behandlung der ihm anvertrauten Patienten.

Er wird sich noch dazu gegen eine andere verbrecherische Versuchung zur Wehr setzen müssen, nämlich, die von Gott in den Schoß der Natur gesenkten Gaben für schändliche Interessen, schmutzige Leidenschaften und unmenschliche Attentate zu missbrauchen. Leider brauchen wir nicht sehr weit in die Vergangenheit zurückzugehen, um konkrete Zeugnisse für so beklagenswerte Missbräuche zu finden.

Eines ist, zum Beispiel, die Atomspaltung und die Erzeugung von Atomenergie, ein anderes ihr Gebrauch im Dienste der Zerstörung, der sich jeder Kontrolle entzieht. Eines ist der großartige techische Fortschritt der modernen Luftfahrt und etwas anderes die massenhafte Verwendung von Bombengeschwadern, wenn nicht die Möglichkeit besteht, ihre Wirkung auf militärische und strategische Ziele zu beschränken. Etwas ist, vor allem, die ehrfürchtige Forschung, die die Schönheit Gottes im Spiegel seiner Werke enthüllt, seine Macht in den Kräften der Natur; etwas anderes die Vergottung dieser Natur und der materiellen Kräfte in der Leugnung ihres Urhebers.

Der Arzt und seine Pflichten

Was tut hingegen nun der Arzt, der seines Berufes würdig ist? Er bemächtigt sich dieser Kräfte, dieser Eigenschaften der Natur, um durch sie Heilung, Gesundheit, Kraft zu vermitteln und oft, was noch wertvoller ist, vor Krankheiten, Ansteckung, Seuchen zu bewahren. In seinen Händen ist die furchtbare Kraft die Radioaktivität gefesselt und bestimmt, Übel zu heilen, die jeder anderen Behandlung widerstehen; die Eigenschaften der krankheitserregenden Gifte dienen ihm zur Bereitung wirksamer Heilmittel. Noch besser, die Keime der gefährlichsten Infektionen werden in der Serumtherapie, bei Impfungen auf mannigfache Weise verwertet.

Die natürliche und die christliche Sittenlehre endlich behält überall ihre unverjährbaren Rechte, und aus ihnen, nicht aus Erwägungen des Gefühls oder einer materialistischen, naturalistischen Philanthropie, leiten sich die wesentlichen Grundsätze der ärztlichen Pflichtenlehre ab: Würde des menschlichen Leibes, Vorrang der Seele vor dem Leib, Brüderschaft unter allen Menschen, oberste Herrschaft Gottes über Leben und Schicksal.

Ein wichtiges Problem, das nicht weniger dringend als die anderen das Licht der katholischen Sittenlehre erfordert, ist die künstliche Befruchtung. Wir können diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne in großen Zügen die sittliche Beurteilung kurz zu umreißen, die sich in dieser Frage hier aufdrängt.

Die Praxis der künstlichen Befruchtung kann, sobald es sich um den Menschen handelt, weder ausschließlich noch hauptsächlich vom biologischen und ärztlichen Gesichtspunkt aus betrachtet werden unter Vernachlässigung der sittlichen und rechtlichen Seite.

Die künstliche Befruchtung außerhalb der Ehe muss ausnahmslos und einfachhin als unsittlich beurteilt werden.

Das natürliche und das positive göttliche Gesetz gehen dahin, dass die Erzeugung eines neuen Lebens nur die Frucht der Ehe sein kann. Einzig die Ehe verbürgt die Würde der Gatten (in diesem Fall insbesondere der Frau), ihr persönliches Wohl. Sie allein sichert das Wohl und die Erziehung des Kindes.

Daraus folgt, dass über die Verwerfung der künstlichen Befruchtung außerhalb der ehelichen Verbindung keinerlei Meinungsverschiedenheit unter Katholiken zulässig ist. Das unter solchen Umständen empfangene Kind wäre ohne weiteres unehelich.

Die künstliche Befruchtung in der Ehe, mittels des ,Semen' eines Dritten, ist ebenfalls unsittlich und als solche unwiderruflich zu verurteilen. Einzig die Eheleute haben ein gegenseitiges Recht über ihren Körper, um ein neues Leben zu erzeugen - ein ausschließliches, nicht abtretbares, unveräußerliches Recht. Und das muss so sein, auch in Anbetracht des Kindes, Jedem, der einem kleinen Wesen das Leben gibt, legt die Natur in Kraft dieses Bandes die Pflicht auf, es zu erhalten und zu erziehen. Aber zwischen dem rechtmäßigen Gatten und dem Kind, das dem ,Semen' eines Dritten entsprossen ist (auch wenn es mit Zustimmung des Gatten geschah), besteht kein Band der Herkunft, kein sittliches und rechtliches Band ehelicher Erzeugung.

Künstliche Befruchtung innerhalb der Ehe?

Was die Erlaubtheit der künstlichen Befruchtung in der Ehe betrifft, so genüge es für den Augenblick, an die folgenden Grundsätze des Naturrechts zu erinnern: Die bloße Tatsache, dass das gewünschte Ergebnis auf diesem Wege erreicht wird, rechtfertigt nicht schon den Gebrauch des Mittels. Auch der an sich durchaus rechtmäßige Wunsch der Eheleute, ein Kind zu haben, genügt nicht, die Rechtmäßigkeit einer künstlichen Befruchtung zu beweisen, die diesen Wunsch erfüllen würde.

Es wäre irrig, zu denken, dass die Möglichkeit, auf dieses Mittel zurückzugreifen, die Ehe zwischen Personen gültig machen könnte, die wegen des impedimentum impotentiae (des Hindernisses der Zeugungsunfähigkeit) unfähig sind, eine Ehe einzugehen.

Andererseits ist es überflüssig, darauf hinzuweisen, dass das aktive Element niemals Erlaubterweise mit Hilfe von widernatürlichen Handlungen beschafft werden darf.

Obgleich man neue Methoden nicht von vornherein nur wegen ihrer Neuheit ablehnen darf, muss man doch hinsichtlich der künstlichen Befruchtung nicht etwa nur äußerst behutsam sein, sondern man muss sie unbedingt ablehnen. Damit wird nicht notwendigerweise der Gebrauch gewisser künstlicher Mittel verboten, die nur dazu bestimmt sind, den natürlichen Akt zu erleichtern oder die Erreichung des Zwecks bei einem normal durchgeführten natürlichen Akt zu sichern.

Man vergesse niemals: Einzig die Erzeugung eines neuen Lebens nach dem Willen und Plan des Schöpfers zieht in einem erstaunlichen Grade von Vollkommenheit die Erreichung der gesetzten Ziele nach sich. Sie entspricht gleichzeitig der leiblichen und geistigen Natur und der Würde der Ehegatten, wie der gesunden und normalen Entwicklung des Kindes (Aus der Ansprache an die Ärzte, 29. September 1949).

26. PFLICHTEN DES KATHOLISCHEN JURISTEN

OHNE ZWEIFEL IST DER JURIST durch seinen Beruf nicht dazu berufen, sich der theologischen Spekulation zu widmen, um den Gegenstand seines Studiums zu erkennen. Aber wenn er sich nicht zur Anschauung der höchsten übersinnlichen Wirklichkeit zu erheben vermag, aus deren Willen sich die Ordnung des sichtbaren Weltalls und jenes kleinen Teils von ihm herleitet, welcher das Menschengeschlecht mit den ihm innewohnenden und moralisch notwendigen Gesetzen ist, dann wird es ihm unmöglich sein, die Verflechtung der sozialen Beziehungen, die den Bereich des Rechts ausmachen, denen das Recht übergeordnet ist, in ihrer wunderbaren Einheit und ihren innersten geistlichen Tiefen zu sehen. Wie der große römische Rechtskundige und Redner behauptete, kann die Natur und das Wesen des Rechts nur aus der Natur des Menschen selbst abgeleitet werden "natura iuris ... ab hominis repetenda (est) natura" . Andererseits kann aber diese Natur auch nicht annähernd in ihrer Vollkommenheit, ihrer Würde und Erhabenheit und in den Zwecken, die ihre Handlungen leiten und sie sich unterordnen, ohne die seinsmäßige Verbindung erkannt werden, durch die sie an ihre transzendente Ursache gebunden ist. So ist es klar, dass es dem Juristen nicht möglich sein wird, einen gesunden Begriff des Rechtes zu erarbeiten oder diesem Recht eine zusammenhängende Ordnung zu geben, es sei denn, er gebe es auf, den Menschen und die menschlichen Dinge außerhalb des Lichtes zu sehen, das von der Gottheit herniederströmt, um ihm den mühsamen Weg seiner Forschung zu erhellen.

Der Irrtum des modernen Rationalismus hat gerade in dem Anspruch bestanden, das System der menschlichen Rechte und die allgemeine Theorie des Rechts aufstellen zu wollen, indem man die menschliche Natur als eine auf sich selber stehende Wesenheit betrachtete, der jede notwendige Beziehung auf ein übergeordnetes Wesen fehlt, von dessen schöpferischem und ordnendem Willen es in seinem Sinn und Handeln abhängt, Es ist bekannt, in welch unentwirrbarem Durcheinander sich das zeitgenössische juristische Denken wegen dieser anfänglichen Abirrung befangen sah, und wie der Jurist, der sich der von dem so genannten Positivismus aufgestellten Rechtslehre anschloss, sein Werk verfehlt hat, indem er mit der rechten Erkenntnis der menschlichen Natur die gesunde Auffassung des Rechts verlor, der jener zwingende Einfluss auf das menschliche Gewissen fehlte, welcher seine erste und wichtigste Wirkung ist. Die göttlichen und die menschlichen Dinge, die nach der Definition Ulpians den allgemeinsten Gegenstand der Rechtswissenschaft bilden, sind so innig miteinander verbunden, dass man die einen nicht vernachlässigen kann, ohne die genaue Wertung der anderen einzubüßen.

Der besondere Gegenstand der Rechtswissenschaften

Das ist um so wahrer, als der besondere Gegenstand der Rechtswissenschaft das Gerechte und das Ungerechte ist, iusti atque iniusti scientia, oder die Gerechtigkeit in ihrer hohen Aufgabe des Ausgleichs zwischen den Forderungen der einzelnen und denen der Gemeinschaft. Gerechtigkeit ist nicht nur ein abstrakter Begriff, ein äußeres Ideal, dem sich die Einrichtungen anpassen müssen, soweit es in einem gegebenen geschichtlichen Augenblick möglich ist, sondern sie ist auch, und vor allem, etwas dem Menschen, der Gesellschaft und ihren Einrichtungen Innewohnendes. Wegen jener Summe von praktischen Prinzipien, die sie diktiert und auferlegt, wegen jener allgemeinen Grundsätze des Verhaltens, welche ein Teil der objektiven menschlichen und bürgerlichen, vom hohen Sinn des Schöpfers festgesetzten Ordnung sind.

Die Wissenschaft vom Gerechten und Ungerechten setzt also eine höhere Weisheit voraus, welche darin besteht, die Ordnung des Geschaffenen und folglich auch seinen Ordner zu erkennen. Das Recht ist, wie der Aquinate lehrte, - der Gegenstand der Gerechtigkeit - est obiectum iustitiae. Es ist die Norm, in der die große und fruchtbare Idee der Gerechtigkeit Gestalt annimmt und sich verwirklicht und als solche, wenn sie zu Gott führt - der ewigen und unveränderlichen Gerechtigkeit seinem Wesen nach -, von Gott Licht und Klarheit, Kraft und Stärke, Sinn und Inhalt empfängt.

Der Jurist bewegt sich also in der Ausübung seines Berufes zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen, zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, und in dieser notwendigen Bewegung besteht der Adel der Wissenschaft, deren Pflege er sich widmet. Die anderen Titel, die ihn vor der menschlichen Gemeinschaft adeln, können als Folge des schon Angedeuteten betrachtet werden.

Das Subjekt seiner Forschung, der Mensch

Wenn der Gegenstand seiner Forschung die Rechtsnormen sind, so ist das Subjekt, für das sie bestimmt sind, der Mensch, die menschliche Person, welche solchergestalt in den Bereich seiner Zuständigkeit fällt. Wohlgemerkt, nicht der Mensch in seinem niedrigen und weniger edlen Teil, der von anderen Wissenschaften erforscht wird, welche ebenfalls nützlich und bewunderungswürdig sind, sondern der Mensch in seiner Eigentümlichkeit als vernunftbegabtes Wesen. Um den Gesetzen seiner Vernünftigkeit zu entsprechen, muss er sein Wirken unter die Leitung von Verhaltungsregeln stellen, die ihm entweder unmittelbar von seinem Gewissen, dem Widerschein und Herold eines höheren Gesetzes, diktiert oder von der menschlichen Autorität vorgeschrieben werden, die das Gemeinschaftsleben regelt. Allerdings bietet sich der Mensch dem Blick des Juristen nicht immer von den erhabensten Seiten seiner Natur dar, sondern er zeigt seinem Bemühen oft die weniger wertvollen Seiten, seine schlechten Neigungen, seine traurigen Entartungen, Schuld und Vergehen; wenn nun auch bisweilen der Glanz der vernunftbegabten Natur verblasst ist, so muss der echte Jurist immer jenen menschlichen Grund sehen, in dem Schuld und Vergehen niemals das Siegel auslöschen können, das ihm die Hand des Schöpfers aufgeprägt hat.

Betrachtet man dann das Subjekt des Rechts, den Menschen, mit dem Auge des christlichen Glaubens, welch einen Kranz von Licht sieht man dann um sein Haupt, jenen Kranz, mit dem ihn die Erlösungstat Christi geschmückt hat, das zu seiner Rettung vergossene Blut, das übernatürliche Leben, das er ihm zurückgegeben und zu dessen Teilhaber er ihn gemacht hat, und das letzte Ziel, das er seinem irdischen Wege gesetzt hat. In der neuen Heilsordnung ist das Subjekt des Rechtes nicht der Mensch der reinen Natur, sondern der von der Gnade des Erlösers in die übernatürliche Ordnung erhobene Mensch, der eben hierdurch mit der Gottheit mittels eines neuen Lebens in Berührung gebracht worden ist, welches das Leben Gottes selber ist, an dem der Mensch teilnimmt. Seine Würde wächst also in unendlichen Proportionen, und im gleichen Verhältnis wächst der Adel des Juristen, der diesen Menschen zum Gegenstand seiner Wissenschaft macht.

Gewissenskonflikte

Die unlösbaren Gegensätze zwischen dem hohen Begriff des Menschen und dem des Rechtes nach den christlichen Grundsätzen einerseits und dem juristischen Positivismus andererseits können im Berufsleben Quellen innerster Bitterkeit werden. Wir wissen wohl, wie oft in der Seele des katholischen Juristen, der dem christlichen Rechtsbegriff die Treue halten möchte, Gewissenskonflikte entstehen, besonders wenn er sich in die Lage versetzt sieht, ein Gesetz anwenden zu müssen, das das Gewissen selbst als ungerecht verdammt. In Wahrheit haben sich seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts - besonders in den Ländern, in denen die Kirche verfolgt wurde - die Fälle gemehrt, in denen sich katholische Richter vor das bedrängende Problem gestellt sahen, ungerechte Gesetze anwenden zu müssen. Daher benützen Wir die Gelegenheit, das Gewissen der katholischen Juristen zu erhellen, indem Wir einige grundlegenden Richtlinien aufzeigen.

Für jedes Urteil gilt der Grundsatz, dass der Richter die Verantwortung für seine Entscheidung nicht einfach ablehnen kann, indem er sie ganz auf das Gesetz und seine Urheber abwälzt. Gewiss sind diese als erste verantwortlich für die Folgen des Gesetzes selbst. Aber der Richter, der es durch sein Urteil auf den Einzelfall anwendet, ist Mit-Ursache, und daher mit-verantwortlich für die Wirkung.

Der Richter kann niemals jemanden durch seine Entscheidung zu irgendeiner innerlich unsittlichen Handlung verpflichten, das heißt zu einer Handlung, die ihrer Natur nach dem Gesetz Gottes und der Kirche zuwiderläuft.

Er kann in keinem Falle das ungerechte Gesetz ausdrücklich anerkennen und billigen (das übrigens niemals Grundlage eines im Gewissen und vor Gott gültigen Urteils sein könnte). Daher kann er kein Strafurteil aussprechen, das einer solchen Billigung gleichkäme. Seine Verantwortlichkeit wäre noch größer, wenn sein Urteil ein öffentliches Ärgernis verursachen würde.

Jedoch nicht jede Anwendung eines ungerechten Gesetzes kommt seiner Anerkennung oder Billigung gleich. In diesem Fall kann der Richter - und muss es sogar manchmal - dem ungerechten Gesetz seinen Lauf lassen, wenn dies nämlich das einzige Mittel ist, um ein viel größeres Übel zu verhüten. Er kann, um Schaden zu verhüten oder ein Gut von sehr viel höherer Wichtigkeit zu schützen, eine Strafe für die Übertretung eines ungerechten Gesetzes auferlegen, wenn sie so beschaffen ist, dass derjenige, der von ihr getroffen wird, vernünftigerweise fähig ist, sie zu ertragen, und wenn der Richter weiß und vernünftigerweise annehmen kann, dass diese Strafe von dem Übertreter aus höheren Gründen auch hingenommen wird. In Zeiten der Verfolgung haben sich oft Priester und Laien ohne Widerstand - und sogar von katholischen Richtern, - wegen Übertretung ungerechter Gesetze zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilen lassen, wenn dadurch ermöglicht wurde, dem Volk ein redliches Richtertum zu erhalten und von der Kirche und den Gläubigen viel furchtbareres Unheil abzuwenden.

Je schwerer die Folgen eines Richterspruches sind, um so wichtiger und allgemeiner muss natürlich auch das Gut sein, das geschützt, oder der Schaden, der verhütet werden soll. Es gibt jedoch Fälle, in denen der Gedanke eines Ausgleichs vermittelst der Wahrung höherer Güter oder der Abwendung größerer Übel nicht zulässig ist, wie etwa bei einer Verurteilung zum Tod. Im besonderen wird der katholische Richter auch keine bürgerliche Scheidung, wo sie Geltung hat, einer vor Gott und der Kirche gültigen Ehe aussprechen können. Er darf nicht vergessen, dass ein solches Urteil praktisch nicht nur die zivilrechtlichen Wirkungen betrifft, sondern dass es in Wirklichkeit vielmehr dazu führt, das bestehende Band irrigerweise als gelöst und das neue als gültig und verpflichtend zu betrachten (Aus der Ansprache auf dem Ersten Landeskongress katholischer Juristen Italiens, 6. November 1949).

27. WISSENSCHAFT UND RELIGION

DIE WUNDER DER SCHÖPFUNG haben seit Jahrhunderten das Staunen aller Völker erregt, und ihr Verstand mühte sich ab, ihre Rätsel zu lösen. Die vielfältigen Lösungsversuche wurden in den Hallen und Schulen der Akademie, der Peripatetiker und der Stoiker vorgetragen; von den Büchern hierüber sind die antiken und die modernen Bibliotheken voll, der Streit über die Wege zu einer Enträtselung des Weltalls hat Kämpfe unter den gelehrten Erforschern der Natur, der Materie und des Geistes heraufbeschworen. All diese Spannungen und Auseinandersetzungen sind aber nichts anderes als die Suche nach der Wahrheit, die sich in dem Rätsel der Schöpfung verbirgt. Was begehrt die menschliche Seele anderes, was begehrt sie mehr als die Wahrheit?

Wie wir nicht die Natur schaffen, so schaffen wir auch nicht die Wahrheit; unsere Zweifel, unsere Meinungen, unsere Behauptungen und Verneinungen verändern sie nicht. Wir sind weder das Maß der Wahrheit der Welt, noch unser selbst, noch des hohen Zieles, für das wir bestimmt sind. Unser scharfsichtiges Auge misst die Wahrheit, d. h. Zuverlässigkeit unserer Werkzeuge und Instrumente, unserer Geräte und Apparate, verwandelt und fesselt und zähmt die Materie, die uns die Natur bietet, aber unsere technische Fertigkeit schafft sie nicht; und sie muss sich damit begnügen, der Natur zu folgen, wie der Schüler dem Lehrer, dessen Werk er nachahmt. Fügt sich unser Verstand nicht der Wirklichkeit der Dinge oder ist er taub gegen die Stimme der Natur, so phantasiert er im Reich der Träume und läuft einem Trugbild nach.

Aber nicht nur unsere technischen Fertigkeiten kommen von Gott, sondern auch die Erkenntniskraft unseres Verstandes, weil sie sich auf der Stufenleiter der Seinsordnung, sozusagen auf der dritten Stufe in absteigender Folge unter der Natur und unter Gott befindet. Zwischen Gott und uns steht die Natur ...

Die Kirche und der Fortschritt der Wissenschaften

Als Freundin der Wahrheit bewundert und liebt die Kirche den Fortschritt des Wissens ebenso wie den der Künste und des gesamten Lebensbereiches.

Ist nicht die Kirche selbst der göttliche Fortschritt in der Welt und die Mutter des höchsten geistigen und sittlichen Fortschritts der Menschheit und des gesitteten Lebens der Völker? Sie schreitet voran durch die Jahrhunderte als Lehrerin der Wahrheit und der Tugend; sie kämpft gegen die Irrtümer, nicht gegen die Irrenden, sie zerstört nicht, sondern baut auf, sie pflanzt Rosen und Lilien, ohne Oliven- und Lorbeerbäume zu fällen. Wie oft behütet und heiligt sie Denkmale und Tempel des heidnischen Roms und Griechenlands. Wenn in ihren Museen Mars und Minerva keine Verehrer mehr haben, so sprechen in ihren Klöstern und Bibliotheken noch Homer und VergiI, Demosthenes und Cicero. Sie verschmäht es nicht, neben Augustinus, den Adler von Hippo, und Thomas, die Sonne von Aquin, Plato und AristoteIes zu stellen. Jede Wissenschaft ladet sie in die von ihr gegründeten Universitäten ein, jede Kunst, die sich durch den Glanz von Wahrheit auszeichnet. Zu Ehren Christi wetteifert sie mit den Basiliken der Cäsaren und sucht sie durch gewaltige Kuppeln, Ornamente, Bilder und Statuen, die den Namen dessen verewigen, der sie vollendet, zu übertreffen.

Wie jede Kunst dient auch jede Wissenschaft Gott, weil Gott scientiarum dominus (der Herr der Wissenschaften) ist und docet hominem scientiam (den Menschen die Wissenschaft lehrt). In seiner hohen Schule hat der Mensch zwei Bücher. In dem Buch des Weltalls studiert die menschliche Vernunft in ihrer Suche nach der Wahrheit die herrlichen Dinge, die Gott geschaffen hat; im Buch der Bibel und des Evangeliums müht sich der Verstand und der gute Wille um Erkenntnis einer Wahrheit, die über der Vernunft ist, erhaben wie das innerste Geheimnis Gottes, das nur ihm bekannt ist. In der Schule Gottes begegnen sich Philosophie und Theologie, das Wort Gottes und die Paläontologie, die Trennung des Lichts von der Finsternis und die Astronomie, die ewig feststehende Erde und ihr Umlauf um die Sonne, der Blick Gottes und der Blick des Menschen. Die Güte Gottes stammelt gleichsam wie eine Mutter die menschliche Sprache, damit der Mensch die erhabene Wahrheit behalte, die sie ihm offenbart, um ihn zu erheben und im Studium der Natur und des Glaubens zum Schüler Gottes zu machen. Auch diese Schule hat die Kirche zu ihrer Schule und zu ihrem Lehramt gemacht ...

Vernunft und Glaube

Der Gehorsam der Vernunft gegenüber dem Glauben erniedrigt die Vernunft nicht, sondern ehrt und erhebt sie, weil es höchste Ehre einer fortgeschrittenen Kultur ist, den Weg des Glaubens durch die Welt zu erleichtern. Der Glaube ist nicht hochmütig, er ist kein Herr, der die Vernunft tyrannisiert oder ihr widerspricht. Das Siegel der Wahrheit hat Gott dem Glauben und der Vernunft nicht auf verschiedene Weise aufgeprägt. Denn, wie Wir schon andeuteten, beide widersprechen sich nicht nur nicht, sondern sie helfen sich gegenseitig, da die rechte Vernunft die Grundlagen des Glaubens aufzeigt und in seinem Lichte seine Inhalte klärt. Und der Glaube bewahrt die Vernunft vor Irrtümern, erlöst sie aus ihrer Begrenzung und erweitert den Kreis ihrer Erkenntnisse (Aus der Ansprache zur Eröffnung des IV. Jahres der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 3. Dezember 1939).

Es ist eine Tatsache, dass eine beträchtliche Zahl von Menschen mit hoher Kultur dem christlichen Gedanken fernstehen. Die Universitäten und die "Studia Generalia" sind nicht von heute und gestern, sie sind im Mittelalter aus dem Schoße und unter dem Schutz der Kirche erwachsen. Auch in jener Zeit findet ihr mitunter Irrtümer, Irrlehren und antisoziale Theorien. Aber in jener Zeit regte der christliche Gedanke in den Universitäten als Bildner und Führer des Geistes seine Flügel. Es leuchtete ihm die Fackel des Glaubens, der den Geist nicht erniedrigt, und wenn er ihn niederzuknien zwingt, ihn nur noch größer macht vor der Wahrheit und Wahrhaftigkeit Gottes. Denn Gott ist es ja, der durch die wunderbare Übereinstimmung von Wissenschaft und Theologie den menschlichen Verstand den Engeln ähnlich macht. Was aber ist aus der langsamen geistigen Auflösung, die der mit dem Heidentum sympathisierende Humanismus verursachte, aus der Aufklärung, aus der Philosophie des achtzehnten Jahrhundert, aus dem Idealismus und dem Positivismus des neunzehnten, gegen die die Wirklichkeit des Menschen und der Welt sich auflehnt, was ist aus all dem geworden? Welche Vorteile und Fortschritte hat die Gesellschaft, die Familie, die menschliche Person daraus gezogen? Werft einen Blick auf die Universitätsbildung ! Wie viele Studiengebiete und wissenschaftliche Forschungen haben sich entwickelt ohne jede Verbindung mit katholischem Gedankengut, ohne auch nur die Tatsache der übernatürlichen Offenbarung irgendwie in Rechnung zu stellen, und sind, wenn nicht immer religionsfeindlich, so doch wenigstens der Religion gegenüber gleichgültig geworden? Daher die verhängnisvolle Entchristlichung des Geistes bei so vielen Älteren, die berufen sind, ihre Brüder zu leiten, andere zu erleuchten, für sie zu denken, sie im Leben zu führen, mit jenen bitteren Früchten, die uns die Gegenwart zu kosten gibt.

Durch diese Trennung und diesen Widerstreit zwischen Wissenschaft und Religion kann die Wahrheit nicht verfinstert oder von ihrem Lichtthron herabgestürzt werden, weil sie selbst Licht und Thron ist, Spur und Glanz des unzugänglichen Lichtes, in dem Gott seinen Thron hat, und von dem herab zum Menschen, wie zwei Ströme aus einer einzigen Quelle, die Wahrheiten der Vernunft und die Wahrheiten des Glaubens herniederströmen, niemals in Widerspruch miteinander, sondern Schwestern von ungleicher Schönheit. Die einen wie die anderen Wahrheiten verschmähen es nicht, sondern lieben es sogar, sich im menschlichen Geiste, der begierig ist nach jedem Aufleuchten des offenen oder verborgenen Wahren, als Freundinnen zu erweisen: daher verstanden es große und erhabene Geister der christlichen Jahrhunderte, ihre Vernunft zur Dienerin des Glaubens zu machen, und ihre Stirne zu neigen vor der "Schmach von Golgatha" (Aus der Ansprache an die akademische Jugend, 20. Apiil 1941).

Wiederentdeckung Gottes durch die Wissenschaft

Die echte Wissenschaft entdeckt, entgegen unbesonnenen Behauptungen der Vergangenheit, je weiter sie fortschreitet, um so mehr Gott, so als ob gleichsam er selbst hinter jeder Türe warte, die die Wissenschaft öffnet. Wir möchten sogar sagen, dass von dieser fortschreitenden Entdeckung Gottes, die sich im Anwachsen des Wissens vollzieht, nicht nur der Gelehrte den Vorteil hat, wenn er als Philosoph denkt - und wie könnte er sich dessen enthalten? -, sondern dass daraus auch alle jene Nutzen ziehen, die an den neuen Funden teilhaben und sie zum Gegenstand ihrer Betrachtungen machen. Im besonderen fällt solcher Nutzen den eigentlichen Philosophen zu, weil sie von den wissenschaftlichen Errungenschaften den Anstoß zu ihren rationalen Spekulationen nehmen und daraus eine größere Sicherheit in ihren Schlussfolgerungen gewinnen, deutlichere Erhellungen in den möglichen Dunkelheiten, überzeugendere Hilfsmittel, um auf die Schwierigkeiten und Einwände eine immer befriedigendere Antwort zu geben.

Natur und Grundlagen der Gottesbeweise

So ausgerichtet, tritt der menschliche Verstand an jenen Beweis des Daseins Gottes, den die christliche Weisheit in den philosophischen, im Laufe der Jahrhunderte von Geistesriesen geprüften Beweisgründen sieht und der Ihnen wohl bekannt ist in der Gestalt der "fünf Wege", die der Doctor Angelicus, der hl. Thomas, gleichsam als unbehinderten und sicheren Reiseweg des Geistes zu Gott darbietet. Philosophische Beweisgründe, haben Wir gesagt; aber deswegen nicht apriorische, wie ein engherziger und sich selbst widersprechender Positivismus behauptet. Sie gründen sich auf konkrete, von den Sinnen und der Wissenschaft festgestellte Wirklichkeiten, wenn ihnen auch erst das Denkvermögen der natürlichen Vernunft Beweiskraft verleiht.

Solcherart gehen Philosophie und Naturwissenschaft mit analogen und miteinander zu vereinbarenden Verfahren und Methoden vor, machen sich Elemente der Erfahrungswelt und des Verstandes in verschiedenem Maße zunutze und streben in harmonischer Einheit nach der Entdeckung der Wahrheit.

Wenn aber schon die einfache Erfahrung der Alten dem Verstande hinreichende Argumente für den Erweis des Daseins Gottes bieten konnte, so leuchtet nun - bei größerer Weite und Tiefe des Feldes eben jener Erfahrung - strahlender und reiner die Spur des Ewigen in der sichtbaren Welt auf. So scheint es daher nicht überflüssig, auf der Grundlage der neuen wissenschaftlichen Entdeckungen die klassischen Beweise des Doctor Angelicus zu überprüfen, vorzüglich die, die er aus der Bewegung und Ordnung des Weltalls ableitet. Nicht überflüssig ist es gewiss auch nicht zu umgrenzen, ob und in welchem Maße die tiefere Erkenntnis der Struktur des Makro- und Mikrokosmos dazu beiträgt, die philosophischen Argumente zu erhärten. Nicht überflüssig erscheint es weiterhin, zu überdenken, ob und inwieweit diese erschüttert sind, wie man nicht selten behauptet, da die moderne Physik fundamentale Prinzipien formuliert, alte Begriffe beseitigt oder modifiziert habe, deren Sinn in der Vergangenheit vielleicht als fest und unverrückbar galt, wie etwa die von Zeit und Raum, Bewegung, Kausalität und Substanz. Alle diese Begriffe sind höchst wichtig für die Probleme, die uns gegenwärtig beschäftigen. Es geht daher nicht um eine Revision der philosophischen Beweise, sondern vielmehr darum, die physikalischen Grundlagen zu überdenken, von denen sich jene Argumente ableiten, Aus Zeitmangel müssen wir uns dabei notwendig auf nur einige wenige Hinweise beschränken. Dabei sind keine Überraschungen zu befürchten: Die Wissenschaft selbst bleibt bodenständig in dieser Welt, die sich gestern wie heute in jenen fünf Seinsarten darstellt, aus denen die philosophische Beweisführung der Existenz Gottes Beweggründe und Kraft nimmt.

Zwei charakteristische Wesensmerkmale des Kosmos

Von diesen Seinsarten der uns umgebenden Welt sind es zwei, die - mehr oder weniger tief, aber dennoch gleich evident, ob vom Philosophen oder vom einfachen Menschenverstand erfasst - die moderne Wissenschaft erstaunlich ergründet, gesichert und über jeden Zweifel erhaben vertieft hat:

Die Veränderlichkeit der Dinge mit Einschluss ihres Entstehens und Vergehens.

Die Ordnung der Zielstrebigkeit, die aus jedem Winkel des Kosmos erstrahlt.

Der Beitrag, den die Wissenschaften diesen beiden philosophischen Beweisführungen beisteuerten, ist höchst bedeutsam. Auf ihnen ruhen der erste und der fünfte Weg.

Für den ersten Weg ist vor allem die Physik eine unerschöpfliche Fundgrube von Erfahrungen, indem sie die Tatsache der Veränderlichkeit bis in die letzten Tiefen der Natur enthüllte, deren Existenz und Umfang bisher kein menschlicher Verstand zu ahnen vermochte, und gleichzeitig vielfältige Erfahrungstatsachen als eine höchst kräftige Stütze für das philosophische Denken lieferte.

Wir sagen Stütze. Denn es will Uns scheinen, dass die Richtung dieser Umwandlungen, wenn einmal von der modernen Physik festgestellt, den Wert einer einfachen Bestätigung übersteigt und fast die Struktur und den Grad eines physischen Argumentes bekommt, das zum großen Teil neu, und für viele annehmbarer und überzeugender ist.

In gleicher Fülle lieferten die Wissenschaften, besonders die Astronomie und die Biologie, in der letzten Zeit für den Gottesbeweis aus der Ordnung der Schöpfung eine solche Fülle von Erkenntnissen und sozusagen eine solch überwältigende Schau ideenmäßiger Einheit, die den Kosmos beseelt, und der Zielstrebigkeit, die seinen Gang leitet, dass der moderne Mensch jene Freude vorwegnehmen kann, die der Dichter im obersten Himmel sich vorstellte, als er schaute wie in Gott: "s'interna legato con amore in un valurne, - ciò che per l'universo si squaderna" (Dante, Par. 33, 85-87).

In seiner Tiefe sah ich innerlich
in einem Liebesbunde, was sich draußen
im Universum auseinanderfaltet.

Die göttliche Vorsehung hat es jedoch gefügt, dass der Gottesbegriff, der so wesentlich für das Leben eines jeden Menschen ist, leicht durch einen einfachen Blick auf die sichtbare Welt gewonnen werden kann, so dass es Torheit bedeutet, diese Stimme der Natur nicht zu verstehen. Diese Gotteserkenntnis findet ihre Erhärtung durch Vertiefung und Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Wenn Wir daher hier einen kurzen Überblick bieten wollen über den wertvollen Dienst, den die modernen Wissenschaften für die Beweisführung der Existenz Gottes liefern, so beschränken Wir Uns zunächst auf die Tatsache der Veränderungen, indem Wir hauptsächlich die Fülle, die Ausdehnung und sozusagen die Totalität der Veränderungen hervorheben, die die moderne Physik im unbelebten Kosmos antrifft; dann verweilen Wir bei der Bedeutung ihrer Richtung, wie sie ebenfalls festgestellt worden ist. Es wird sein, als ob Wir mit Unserem Ohr hinlauschen auf ein Konzert des unermesslichen Weltalls, welches das "Lob dessen singt, der alles bewegt und durchdringt" (Par. :1, 1).

Die Veränderlichkeit des Kosmos

Mit Recht setzt uns auf den ersten Blick die Feststellung in Erstaunen, wie die Erkenntnis der Tatsache der Veränderlichkeit sowohl des Makrokosmos wie des Mikrokosmos immer mehr an Boden gewonnen hat, und wie gleichsam parallel mit dem wissenschaftlichen Fortschritt durch neue Beweise die Lehre Heraklits bestätigt wurde: "Alles ist im Fluss, panta rhei."

Bekanntlich zeigt uns die tägliche Erfahrung eine ungeheure Zahl von Umbildungen in der nahen und fernen Welt, die uns umgibt, vor allem örtliche Bewegungen von Körpern. Aber neben diesen wahren und eigentlichen Bewegungen gibt es auch vielfältige physikalisch-chemische Veränderungen, die ebenfalls leicht wahrnehmbar sind, z. B. die Veränderung des physischen Aggregatzustandes des Wassers in seine drei Phasen: Dampf, Flüssigkeit und Eis; die tiefgreifenden chemischen Wirkungen mit Hilfe des Feuers, dessen Kenntnis zurückreicht bis in das prähistorische Zeitalter; die Verwitterung der Gesteine und die Verwesung der pflanzlichen und tierischen Körper. Dieser gewöhnlichen Erfahrungsquelle muss man die naturwissenschaftliche Erkenntnis hinzufügen, die uns lehrte, diese und ähnliche Vorgänge zu verstehen als Zerstörungs- oder Aufbauprozesse körperlicher Substanzen in ihre chemischen Elemente, d. h. in ihre kleinsten Teile: die chemischen Atome.

Ja noch mehr. Die Naturwissenschaft schritt noch weiter voran und lehrte uns, wie diese physisch-chemische Veränderlichkeit keineswegs sich nur auf die irdischen Körper erstreckt, wie man in der Antike glaubte, sondern dass sie sich ausdehnt auch auf alle Körper unseres Sonnensystems und des gesamten Weltalls, die nach dem Zeugnis des Teleskops, und noch mehr des Spektroskops, aus den gleichen Atomarten aufgebaut sind,

Gegenüber der unbestreitbaren Veränderlichkeit auch der unbelebten Natur blieb gleichwohl das Rätsel des noch unerforschten Mikrokosmos bestehen.

Es schien in der Tat, dass die anorganische Materie, zum Unterschied von der belebten Welt, in gewissem Sinn unveränderlich wäre. Ihre kleinsten Teile, die chemischen Atome, konnten sich freilich untereinander in der verschiedensten Weise verbinden. Aber es schien, als hätten sie das Privileg einer ewigen Beständigkeit und Unzerstörbarkeit, indem sie aus jeder chemischen Synthese und Analyse unverändert hervorgingen. Noch vor 100 Jahren hielt man die Elementarteilchen für einfach, unteilbar und unzerstörbar. Dasselbe hielt man von den Energien und materiellen Kräften des Kosmos, vor allem auf Grund der Fundamentalgesetze von der Erhaltung der Masse und der Energie. Manche Naturwissenschaftler glaubten sich sogar berechtigt, im Namen ihrer Wissenschaft das Phantasiegebilde einer monistischen Philosophie aufzustellen, deren unrühmliche Erinnerung u. a. mit dem Namen von Ernst Haeckel verknüpft ist. Aber gerade zu seiner Zeit, gegen Ende des letzten Jahrhunderts, wurde auch diese allzu primitive Auffassung des chemischen Atoms von der modernen Wissenschaft hinweggefegt. Die nun zunehmende Erkenntnis des periodischen Systems der Chemischen Elemente, die Entdeckung der Strahlungen der radioaktiven Elemente, und viele ähnliche Tatsachen haben gezeigt, dass der Mikrokosmos des chemischen Atoms in den Dimensionen des zehnmillionsten Millimeters der Schauplatz fortgesetzter Veränderungen ist, nicht weniger als der Makrokosmos.

In der Elektronensphäre

Zuerst wurde der Charakter der Veränderlichkeit in der Elektronensphäre festgestellt: Von der Elektronenhülle des Atoms gehen Licht- und Wärmestrahlungen aus, welche von den umgebenden Körpern absorbiert werden, und zwar entsprechend der Energie der Elektronenbahnen. In dem Außenbereich dieser Sphäre vollzieht sich auch die Ionisierung des Atoms und die Umwandlung der Energie in der Synthese und Analyse der chemischen Verbindungen. Man konnte jedoch dann annehmen, dass diese chemisch-physikalischen Umwandlungen der Stabilität noch einen Ruheplatz belassen würden, indem sie den Atomkern selbst, Sitz der Masse und der positiven elektrischen Ladung, nicht erreichen könnten. Durch diese wird nämlich der Platz des chemischen Atoms im natürlichen System der Elemente bestimmt, wo man fast den Eindruck hatte, den Typus des absolut Festen und Unveränderlichen gefunden zu haben.

Im Kern

Schon am Anfang dieses Jahrhunderts ist man jedoch durch die Beobachtung der radioaktiven Prozesse, die letzten Endes auf den spontanen Zerfall des Kerns zurückzuführen sind, dazu gekommen, einen solchen Typus auszuschließen. Obwohl man nämlich bis in die tiefsten Tiefen der bekannten Natur das Mutabilitätsgesetz erfüllt sah, so stand man dennoch erstaunt vor der Tatsache, dass das Atom - wenigstens für die menschlichen Kräfte - unangreifbar schien. Anfangs waren nämlich alle Versuche, seinen naturgemäßen radioaktiven Zerfall zu beschleunigen oder aufzuhalten, wie auch alle Versuche der Zertrümmerung nichtradioaktiver Kerne ergebnislos geblieben. Die erste, übrigens recht bescheidene Zertrümmerung des Kerns (des Stickstoffs) ist vor kaum drei Jahrzehnten erreicht worden, und erst seit einigen Jahren - und zwar nach ungeheuren Anstrengungen - ist es gelungen, eine größere Anzahl von Kernaufbau- und Zerfallprozessen zu verwirklichen. Obwohl dieses Ergebnis, soweit es sich um seine Dienstbarmachung zu Friedenszwecken handelt, einen Ruhm für unser Jahrhundert darstellt, so ist damit auf dem Gebiet der praktischen Kernphysik doch nur der erste Schritt gemacht worden. Es steht allerdings auch damit schon für uns eine bedeutsame Schlussfolgerung fest: Die Atomkerne sind zwar nach Größenordnungen fester und beständiger als die gewöhnlichen chemischen Verbindungen, nichtsdestoweniger sind auch sie grundsätzlich ähnlichen Transformationsgesetzen unterworfen und folglich veränderlich.

Zugleich konnte festgestellt werden, dass solche Prozesse eine außerordentlich große Bedeutung haben im Energiehaushalt der Fixsterne. Im Zentrum unserer Sonne geht z. B., nach Bethe, in einer Temperatur, die ungefähr zwanzig Millionen Grad erreicht, eine in sich zurückkehrende Kettenreaktion vor sich, in der sich vier Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern vereinigen. Die Energie, die dabei frei wird, kompensiert den von der Strahlung der Sonne bedingten Verlust. Auch in den modernen physikalischen Laboratorien kann mittels der Bombardierung durch Teilchen hoher Energie oder durch Neutronen die Transformation der Kerne erreicht werden, wie dies z. B. beim Uraniumatom der Fall ist. Diesbezüglich ist es zweckmäßig, hier auch das Ergebnis der kosmischen Strahlung zu erwähnen, durch die auch die schwersten Atome zertrümmert werden können und so nicht selten ganze Schauer von subatomaren Teilchen frei gemacht werden.

Wir wollten nur einige Beispiele anführen, an denen man mit voller Sicherheit die Veränderlichkeit der anorganischen Welt feststellen kann, der großen wie der kleinen: die tausendfachen Transformationen der Energieformen, besonders in den chemischen Zerfalls- und Bindungsprozessen im Makrokosmos, und nicht weniger die Veränderlichkeit der chemischen Atome bis in die subatomaren Teile ihrer Kerne.

Der ewig Unveränderliche

Der Wissenschaftler von heute sieht tiefer in das innere Wesen der Natur als sein Vorgänger vor hundert Jahren, und weiß, dass die anorganische Welt sozusagen bis in das innerste Mark hinein mit dem Merkmal der Veränderlichkeit gezeichnet ist, und dass also ihr Sein wie ihr Dasein das Postulat einer anderen Realität in sich trägt, die ganz verschieden ist von der ihrigen und dem Wesen nach unveränderlich sein muss.

Wie in einem "Chiaroscuro" (Helldunkel) die Gestalten sich von dem dunklen Hintergrund abheben und dadurch erst wirklich den Eindruck plastischen Lebens erwecken, so ersteht aus dem Strome, der alles Materienhafte im Makro- wie im Mikrokosmos unwiderstehlich mit sich reißt, und mit der nie ruhenden inneren Veränderlichkeit erfüllt, klar und glänzend das Bild desjenigen, der ewig unveränderlich ist.

Der Wissenschaftler, der am Ufer dieses machtvollen Stromes steht, findet Frieden in jenem Aufschrei der Wahrheit, mit dem Gott sich selbst definiert hat: "Ich bin, der ich bin" (Ex 3, 14), Gott, an den der Apostel seinen Lobgesang richtet: "Pater luminum, apud quem non est transmutatio neque vicissitudinis obumbratio". "Der Vater des Lichtes, bei dem es keinen Wandel gibt und keinen Schatten der Veränderung" (Jak 1, 17).

In welcher Richtung verläuft die Umwandlung?

Die moderne Wissenschaft hat aber nicht nur unsere Kenntnisse über die Tatsächlichkeit und den Umfang der Veränderlichkeit des Kosmos erweitert und vertieft, sondern sie bietet uns auch wertvolle Aufschlüsse über die Richtung, in der die Naturprozesse sich vollziehen. Während man noch vor hundert Jahren, besonders nach der Entdeckung des Konstanzgesetzes, annahm, dass die Naturprozesse reversibel seien, und man deshalb nach dem Prinzip der geschlossenen Naturkausalität eine immer wiederkehrende Erneuerung und Verjüngung des Kosmos für möglich hielt, so kam man durch das Gesetz der Entropie, das von Rudolf Clausius entdeckt wurde, zur Erkenntnis, dass die spontanen Naturprozesse immer mit einer Verminderung freier und nutzbarer Energieverbunden sind, eine Tatsache, die dann letztlich in einem geschlossenen physikalischen System zum Aufhören der Prozesse im großen führen muss. Dieses verhängnisvolle Geschick, das nur allzu willkürliche Hypothesen wie jene der stetigen Neuschöpfung mit Gewalt in Abrede stellen wollen, das hingegen aus der positiven wissenschaftlichen Erfahrung hervorgeht, fordert eindringlich die Existenz eines notwendigen Wesens.

Im Mikrokosmos hat dieses Gesetz, das im Grunde ein statistisches ist, keine Anwendung. Zudem wusste man zur Zeit seiner Formulierung fast noch nichts von der Struktur und dem Verhalten des Atoms. Immerhin ermöglichten die jüngste Atomforschung und die unerwartete Entwicklung der Astrophysik auf diesem Gebiete überraschende Entdeckungen. Das Ergebnis kann hier nur kurz angedeutet werden, und es besteht darin, dass auch dem subatomaren und inneratomaren Geschehen klar ein Richtungssinn vorgezeichnet ist. Um diese Tatsache zu beleuchten, wird der Hinweis auf das bereits erwähnte Beispiel der Energieprozesse in der Sonne genügen. Die Elektronenhülle der chemischen Atome in der Photosphäre der Sonne strahlt jede Sekunde eine unvorstellbar große Energiemenge in den sie umgebenden Raum aus, von wo sie nicht zurückkehrt. Der Verlust wird vom Sonneninneren durch Bildung von Helium aus Wasserstoff kompensiert. Die auf diese Weise frei werdende Energie entsteht aus der Masse der Wasserstoffkerne, die in diesem Prozesse zu einem kleinen Teil (sieben Prozent) in äquivalente Strahlung umgewandelt werden. Der Prozess geht also auf Kosten der freien Energie, die in den Wasserstoffkernen ursprünglich als Masse vorliegt und so im Laufe der Jahrmilliarden langsam, aber unwiederbringlich verstrahlt. Ähnliches vollzieht sich in allen radioaktiven Prozessen, und zwar sowohl in den natürlichen wie in den künstlichen. Wir treffen also auch hier im strikten Mikrokosmos einen Satz, der die Richtung des Geschehens angibt und dem Entropiesatz im Makrokosmos analog ist. Die Richtung des spontanen Geschehens ist gegeben durch die Abnahme der freien Energie des Atoms in Hülle und Kern, und es sind bislang keine Prozesse bekannt, die diesen Abbau kompensieren oder durch spontane Bildung hochwertiger Kerne rückgängig machen könnten.

Das Universum und seine Entwicklung

Wenn also der Wissenschaftler seinen Blick vom gegenwärtigen Zustand des Universums in die Zukunft richtet - und wäre diese auch noch so ferne -, so sieht er sich gezwungen festzustellen, dass die Welt altert, sowohl im Makrokosmos wie im Mikrokosmos. Im Verlauf von Jahrmilliarden verarmen auch die scheinbar unerschöpflichen Vorräte der Atomkerne an nutzbarer Energie, und die Materie wird, um bildhaft zu sprechen, einem erloschenen und verschlackten Vulkan immer ähnlicher. Es drängt sich der Gedanke auf: Wenn der gegenwärtige Kosmos, so voll pulsierenden Lebens und Rhythmus, wie wir gesehen haben, sich nicht aus sich selber erklären kann, so wird das um so weniger jener Kosmos vermögen, über den sich einmal auf seine Weise der Todesschatten legen wird.

Wenden wir nun unseren Blick auf die Vergangenheit. Je mehr wir zurückgehen, um so mehr bietet sich uns die Materie als reich an freier Energie dar und als Schauplatz großer kosmischer Umwälzungen. So scheint alles darauf hinzuweisen, dass das materielle Universum vor endlicher Zeit einen kraftvollen Anfang genommen hat, da es ausgestattet war mit einem unvorstellbar großen Vorrat an freier Energie, vermöge deren es sich zuerst in schneller und dann aber immer abnehmender Geschwindigkeit entwickelt hat.

Damit drängen sich uns unwillkürlich zwei Fragen auf: ist die Wissenschaft in der Lage anzugeben, wann dieser machtvolle Anfang des Kosmos erfolgt ist? Und welches war das Anfangsstadium, der Urzustand des Kosmos?

Die bekanntesten Wissenschaftler der Atomphysik bemühten sich, in Zusammenarbeit mit Astronomen und Astrophysikern in diese beiden schwierigen, aber ungemein interessanten Probleme Licht zu bringen.

Der Anfang in der Zeit

Wenn Wir nun einige Zahlen nennen, die nur größenordnungsmäßig über den zeitlichen Beginn unseres Weltalls orientieren wollen, so verfügt die Wissenschaft über verschiedene, voneinander ziemlich unabhängige Wege, die wesentlich zum gleichen Ergebnis führen. Sie sollen im folgenden kurz angegeben werden.

Aus der Flucht der Spiralnebel (Milchstraßensysteme)

Die Erforschung zahlreicher Spiralnebel, die vor allem Edwin E. Hubble im Mount Wilson Observatory ausgeführt hat, zeitigte das bemerkenswerte Ergebnis, das allerdings mit einigem Vorbehalt aufzunehmen ist, dass diese fernen Milchstraßensysteme mit großer Geschwindigkeit auseinander streben, so dass sich in etwa 1300 Millionen Jahren ihr Abstand verdoppelt. Wenn man diesen Prozess des "Expanding Universe" zeitlich zurückverfolgt, so kommt man zum Resultat, dass vor etwa ein bis zehn Milliarden Jahren die Materie sämtlicher Nebel auf einem verhältnismäßig engen Raum zusammengedrängt war, als das kosmische Geschehen seinen Anfang nahm.

Aus dem Alter der festet! Erdkruste

Um das Alter der ursprünglichen radioaktiven Substanzen zu berechnen, benützt man die genauen Daten aus der Umwandlung dieser Substanzen in die entsprechenden Blei-Isotope, z. B. die Umwandlung des Uran-Isotopes 238 in Radium G, des Uran-Isotopes 235 in Actinium D, und des Thorium-Isotopes 232 in Thorium D. Auch die dabei entstehende Heliummenge kann zur Kontrolle dienen. Als Durchschnittsalter für die ältesten Mineralien erhält man höchstens fünf Milliarden Jahre.

Aus dem Alter der Meteoriten

Wenn man die eben genannte Methode auf die Meteoriten anwendet, um deren Alter zu berechnen, so kommt man zu dem gleichen Ergebnis von fünf Milliarden Jahren. Dieses Resultat erhält besondere Bedeutung durch den Umstand, dass man heute fast allgemein den interstellaren Ursprung der Meteoriten annimmt. Auch sind sie neben den irdischen Mineralien die einzigen Exemplare von Himmelskörpern, die man in den wissenschaftlichen Laboratorien studieren kann.

Aus der Stabilität der Doppelsternsysteme und der Sternhaufen

Die Schwankungen der Gravitationskraft innerhalb dieser Systeme, sowie die Gezeitenreibung beschränken die Stabilität solcher Systeme wieder auf etwa fünf bis zehn Milliarden Jahre.

Wenn diese Zahlen auch Staunen erregen, so vermitteln sie doch selbst dem ganz einfachen Gläubigen keine unerhörten und neuen Begriffe, die verschieden wären von jenen, die er aus den ersten Worten der Genesis gewonnen hat: "In principio", die den Anfang der Dinge in der Zeit verkünden. Diesen Worten geben obige Zahlen einen konkreten und fast mathematischen Ausdruck, während sie denen eine Bekräftigung bedeuten, die mit dem Apostel die Ehrfurcht für die Heilige Schrift teilen, die infolge ihrer göttlichen Inspiration immer nützlich ist "ad docendum, ad argumendum, ad corripiendum, ad erudiendum - um zu belehren, zu beweisen, zu erfassen, zu bilden" (2 Tim 3, 16).

Zustand und Beschaffenheit der Urmaterie

Mit gleichem Eifer und gleicher Begeisterung für die freie Erforschung der Wahrheit haben die Gelehrten neben der Frage über das Alter des Kosmos mit genialem Wagemut die Beantwortung der anderen bereits angedeuteten und sicherlich noch schwierigeren Frage in Angriff genommen, nach dem Zustand und der Beschaffenheit der Urmaterie.

Je nach den zugrunde gelegten Theorien weichen die diesbezüglichen Berechnungen manchmal ziemlich beträchtlich voneinander ab. Dennoch stimmen die Wissenschaftler darin überein, dass in der Urmaterie außer der Masse auch die Dichte, der Druck und die Temperatur ganz außergewöhnlich hohe Werte erreicht haben, wie dies aus der unlängst erschienenen Arbeit von A. Unsöld, Direktor des Kieler Observatoriums, hervorgeht. Nur unter solchen Bedingungen kann man die Bildung der schweren Kerne und ihre relative Häufigkeit im periodischen System der Elemente verstehen.

Andererseits fragt sich der wahrheitsuchende menschliche Geist mit Recht, wie denn die Materie überhaupt in einen nach unserer gegenwärtigen Erfahrung so unwahrscheinlichen Zustand gekommen ist und was ihm vorausging. Vergeblich würde man eine Antwort von der Naturwissenschaft erwarten, die ganz offen erklärt, vor einem unlösbaren Rätsel zu stehen. Es ist wohl wahr, dass man damit zuviel von der Naturwissenschaft als solcher verlangt; aber es ist auch gewiss, dass der menschliche Verstand tiefer in das Problem einzudringen vermag, wenn er im philosophischen Denken bewandert ist. Es lässt sich nicht leugnen, dass ein Geist, der im Lichte der Erkenntnisse der modernen Wissenschaften unvoreingenommen dieses Problem erwägt, dazu hingeführt wird, das Vorurteil einer völlig unabhängigen und aus sich selbst hervorgegangenen Materie - sei sie nun ungeschaffen oder aus sich selbst hervorgebracht - zu sprengen und den göttlichen Schöpfergeist im Universum anzuerkennen. Mit dem gleichen klaren und kritischen Blick, mit dem er die naturwissenschaftlichen Tatsachen untersucht und beurteilt, durchdringt und erkennt er auch das Werk der schöpferischen Allmacht, deren Kraft, getragen von dem mächtigen Fiat, das vor Milliarden von Jahren vom Schöpfergeist gesprochen wurde, sich im Weltall entfaltete und die mit verschwenderischer Energie ausgestattete Materie in großmütiger Liebestat schuf. Es scheint, dass es in der Tat der modernen Wissenschaft gelungen ist, durch geniales Zurückgreifen um Hunderte von Jahrmillionen irgendwie Zeuge zu sein von jenem am Uranfang stehenden Fiat lux, als die Materie ins Dasein trat und ein Meer von Licht und Strahlung aus ihr hervorbrach, während sich die chemischen Elementarteilchen absonderten und zu Millionen von Milchstraßensystemen vereinigten.

Es ist wohl wahr, dass die Tatsachen, die bisher über die Schöpfung in der Zeit festgestellt worden sind, keinen absolut zwingenden Schluss zulassen, im Gegensatz zu den Tatsachen der Metaphysik und Offenbarung, wenn es sich um die Schöpfung schlechthin, und der Offenbarung allein, wenn es sich um die Schöpfung in der Zeit handelt. Die naturwissenschaftlichen Tatsachen, von denen wir eben gesprochen haben, fordern noch weitere Forschungsarbeiten und Bestätigungen. Die Theorien, die sich auf sie gründen, bedürfen noch weiterer Entwicklung und Begründung, um einen sicheren Ausgangspunkt zu finden für eine Beweisführung, die in sich außerhalb des eigentlichen Bereiches der Naturwissenschaft liegt.

Dessen ungeachtet ist bemerkenswert, dass die heutigen Naturwissenschaften die Schöpfungsidee des Universums als durchaus vereinbar betrachten mit ihren wissenschaftlichen Auffassungen, und dass sie durch ihre Forschungsarbeiten geradezu dahin geführt werden, während noch vor wenigen Jahrzehnten eine solche "Hypothese" als absolut unvereinbar mit dem damaligen Stand der Wissenschaft verworfen wurde. Noch im Jahre 1911 erklärte der berühmte Physiker Svante Arrhenius, dass "die Auffassung, etwas könne aus dem Nichts entstehen, absolut im Gegensatz zur heutigen Wissenschaft steht, nach der die Materie unveränderlich ist". (Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten, 1911, S. 362.) Eine gleiche Behauptung stammt von Plate: "Die Materie existiert. Aus nichts wird nichts: folglich ist die Materie ewig. Die Erschaffung der Materie können wir nicht zugeben ... "

Schlussfolgerung: Der Kosmos ging aus der Hand des Schöpfers hervor

Worin liegt also die Bedeutung der modernen Wissenschaft für jenen Gottesbeweis, der auf der Veränderlichkeit des Kosmos beruht?

Durch ihre exakten und in das einzelne gehenden Forschungsarbeiten im Makrokosmos und Mikrokosmos haben die modernen Wissenschaften jene Erfahrungsgrundlage beachtlich erweitert und vertieft, auf welche jene Beweisführungen sich gründen und von wo aus man auf die Existenz eines "Ens a se" schließt, das seiner Natur nach unveränderlich ist.

Außerdem ist die moderne Wissenschaft dem Lauf und der Richtung der kosmischen Entwicklungen gefolgt, und wie sie deren schicksalhaftes Ende erschaut hat, so hat sie deren Anfang in die Zeit vor ungefähr fünf Milliarden Jahren festgelegt. Sie bestätigte auf diese Weise mit der physikalischen Beweisführungen eigenen Anschaulichkeit die Kontingenz des Universums und die begründete Schlussfolgerung, dass in jener Zeitepoche das Weltall aus der Hand des Schöpfers hervorging.

Die Erschaffung also in der Zeit; und deshalb ein Schöpfer; und folglich ein Gott. Das ist die Kunde, die Wir, wenn auch nicht ausdrücklich und abgeschlossen, von der Wissenschaft verlangten und welche die heutige Menschheit von ihr erwartet. Das ist die Kunde, die uns zuteil wird aus der gründlichen und ruhigen Betrachtung des Universums unter einem Gesichtspunkt, nämlich seiner Veränderlichkeit. Aber diese Kunde ist schon hinreichend, dass die gesamte Menschheit, die vernunftbegabte Herrscherin im Makro- und Mikrokosmos, sich ihres hohen Erschaffers bewusst wird, sich in Zeit und Raum als sein Eigentum fühlt und, vor seiner erhabenen Majestät auf die Knie fallend, seinen Namen anruft: "Rerum, Deus, tenax vigor, - immotus in Te permanens, - lucis diurnae tempoTll - succes si bus determinans" (aus dem Hymnus der Terz). Die Erkenntnis Gottes als einzigen Schöpfers, gemeinsamer Besitz vieler Wissenschaftler, bedeutet freilich die äußerste Grenze, wohin die menschliche Vernunft vordringen kann. Aber sie ist nicht, wie Sie wohl wissen, die letzte erreichbare Wahrheit. Der gleiche Schöpfer, auf den schon die Naturwissenschaften bei ihren Arbeiten stoßen, ist auch Gegenstand der Philosophie und noch mehr der Offenbarung, die in harmonischer Zusammenarbeit sein Wesen erschauen, seine Umrisse enthüllen, sein Bild entwerfen - sind doch alle drei Erkenntnisweisen Instrumente der Wahrheit, wie die Strahlen einer und derselben Sonne.

Vor allem ist es die Offenbarung, die uns die Gegenwart Gottes gleichsam unmittelbar, lebendig und liebevoll vor Augen führt, so wie sie der schlichte Gläubige oder auch der Wissenschaftler im Innern seiner Seele empfindet, wenn er mit unerschütterlicher Überzeugung die markanten Worte des Apostolischen Glaubensbekenntnisses wiederholt: "Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer Himmels und der Erde." (Aus der Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, 22. November 1951).

28. DIE WELT VON HEUTE

Das System der Naturgesetze

WENN MAN BIS VOR KURZEM zwei konstante Gesetze kannte: das von der Erhaltung der Masse und das von der Erhaltung der Energie, so haben die jüngsten Forschungen durch immer überzeugendere Tatsachen und Argumente bewiesen, dass jede Masse einer bestimmten Energiemenge äquivalent ist und umgekehrt. Daher sind die beiden alten Gesetze der Erhaltung strenggenommen spezielle Anwendungen eines höheren allgemeinen Gesetzes, das besagt: In einem geschlossenen System bleibt trotz aller Veränderungen, auch wenn eine beträchtliche Umwandlung von Masse in Energie stattfindet oder umgekehrt, die Summe beider konstant. Dieses höhere Gesetz der Erhaltung ist einer der Schlüssel, deren sich heute der Atomphysiker bedient, um in die Geheimnisse des Atomkerns einzudringen.

Ein solch reichverknüpftes und wohlorganisiertes wissenschaftliches System des Makrokosmos enthält ohne allen Zweifel viele Gesetze der Statik, welche jedoch, betrachtet man die Vielheit der Elemente, Atome, Moleküle, Elektronen, Protonen usw., an Sicherheit und Exaktheit nicht geringer sind als die rein dynamischen Gesetze. Auf jeden Fall sind sie begründet und gleichsam verankert in streng dynamischen Gesetzen des Mikrokosmos, wenn auch die Kenntnis der mikrokosmischen Gesetze uns in ihren Einzelheiten noch fast ganz verborgen ist, trotz der großen Anstrengungen, die von neuen kühnen Forschern gemacht worden sind, um in die geheimnisvolle Aktivität im Innern des Atoms einzudringen. Über kurz oder lang können hier die Schleier fallen; dann wird der scheinbar unkausale Charakter der mikrokosmischen Phänomene verschwinden. Ein neues wunderbares Reich der Ordnung, der Ordnung auch in den kleinsten Teilchen, wird entdeckt sein.

Das Phänomen Max Plancks

Und wahrhaft überraschend bieten sich uns diese innersten Prozesse der Erforschung des Atoms dar, nicht nur weil sie unserem Blick die Erkenntnis einer Welt eröffnen, die bis dahin unbekannt war und deren Reichtum, Vielfalt und Regelmäßigkeit in gewissem Sinne mit der erhabenen Größe des Firmaments zu wetteifern scheinen, sondern auch durch die unvorhersehbar großartigen Wirkungen, die die Technik davon erwarten kann. In dieser Hinsicht können Wir Uns nicht enthalten, ein wunderbares Phänomen zu erwähnen, von dem der Nestor der theoretischen Physik, Unser Akademiker Max Planck, in seinem kürzlich erschienenen Artikel "Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft" geschrieben hat. Die merkwürdigen Umwandlungen des Atoms haben durch lange Jahre nur die Forscher der reinen Wissenschaft beschäftigt. Ohne Zweifel war die Größe der Energie überraschend, die sich zuweilen entfaltete. Aber da die Atome unendlich klein sind, dachte man nicht ernstlich daran, dass sie jemals für die Praxis Bedeutung gewinnen könnten. Heute jedoch hat die Frage im Gefolge der künstlichen Radioaktivität eine unerwartete Bedeutung erhalten. Denn man hat erkannt, dass bei der Spaltung eines Uranatoms, das von einem Neutron bombardiert wird, zwei oder drei Neutronen frei werden, von denen jedes seinerseits ein anderes Uranatom treffen und zertrümmern kann. So vervielfacht sich die Wirkung, und es kann geschehen, dass der beständig wachsende Zusammenstoß von Neutronen mit Uranatomen in kurzer Zeit die Zahl der frei gewordenen Neutronen und im Verhältnis dazu die Summe der Energie, die sich aus ihnen entwickelt, bis zu einem ungeheuren, kaum vorstellbaren Grade vermehrt. Aus einer speziellen Berechnung hat sich ergeben, dass sich auf solche Weise in einem Kubikmeter Uranoxydstaub in weniger als einer Hundertstelsekunde eine Energie entwickelt, die hinreicht, um ein Gewicht von einer Milliarde Tonnen 27 Kilometer hoch zu heben; eine Summe von Energie, die für viele Jahre die Leistung aller großen elektrischen Zentralen der ganzen Welt ersetzen könnte.

Planck schließt mit der Bemerkung, dass, obgleich man noch nicht daran denken könne, einen so stürmischen Prozess technisch zu verwerten, er doch den Weg zu ernsthaften Möglichkeiten eröffne, so dass der Gedanke an die Konstruktion einer Uranmaschine nicht als bloße Utopie erachtet werden könne. Vor allem jedoch sei es wichtig, dass man einen solchen Prozess nicht in Gestalt einer Explosion ablaufen lasse, sondern dass man den Verlauf durch geeignete chemische Mittel abbremse. Andernfalls könnte nicht nur am Ort des Vorgangs selbst, sondern auch für unseren ganzen Planeten eine gefährliche Katastrophe eintreten.

Höhere Gesetze des Lebens

Wenn wir uns nun aus den endlosen Bereichen des anorganischen in die Ordnung des vegetativen und sensitiven Lebens erheben, so sehen wir uns einer neuen Welt von Gesetzen gegenüber, in der Eigenart, der Vielfalt, der Verschiedenartigkeit, der Schönheit, der Ordnung, der Beschaffenheit und der Nützlichkeit der Naturen, die den Erdkreis erfüllen. Neben vielen Gesetzen der anorganischen Welt, finden wir auch höhere Gesetze wieder, besondere Gesetze des Lebens, die nicht auf die rein physisch-chemischen Gesetze zurückgeführt werden können, so dass es unmöglich ist, die Lebewesen als bloße Summen physisch-chemischer Komponenten zu betrachten. Die Natur eröffnet uns hier einen neuen, wunderbaren Horizont; und Wir möchten als Beispiele nur anführen: die Gesetze der Entwicklung der Organismen, die Gesetze der äußeren und inneren Empfindungen, und vor allem anderen das grundlegende psychophysische Gesetz. Auch das höhere geistige Leben wird von Naturgesetzen geregelt, die meistens so beschaffen sind, dass ihre genaue Definition um so schwieriger wird, je höher sie in der Ordnung des Seins stehen.

Das verborgene Wirken der Naturgesetze

Dieses wunderbare und geordnete System qualitativer und quantitativer, besonderer und allgemeiner Gesetze des Makrokosmos und des Mikrokosmos steht heute in seiner Verflechtung zum großen Teil entschleiert vor dem Auge des Gelehrten. Und warum sagen Wir entschleiert? Weil es nicht von uns in die Natur hinein projiziert oder konstruiert worden ist, dank einer angeblich angeborenen subjektiven Form der menschlichen Erkenntnis oder des menschlichen Verstandes, oder auch künstlich geschaffen zum Vorteil und Gebrauch einer solchen Ökonomie des Denkens und Studierens, das heißt, um unsere Erkenntnis der Dinge zu erleichtern. Es ist auch nicht die Frucht oder die Folgerung von Einverständnissen oder Verabredungen weiser Naturforscher. Die Naturgesetze bestehen sozusagen, verkörpert und im Verborgenen wirkend, im Innersten der Natur, und wir suchen und entdecken sie durch Beobachtung und Experiment.

Man kann nicht sagen, die Materie sei keine Wirklichkeit, sondern eine von der Physik geformte Abstraktion; die Natur sei an sich unerkennbar, unsere wahrnehmbare Welt sei eine andere Welt für sich, wo das Phänomen, als Schein der äußeren Welt, uns die Realität der Dinge ahnen lässt, die es verbirgt. Nein: Die Natur ist Wirklichkeit, und erkennbare Wirklichkeit. Wenn die Dinge stumm scheinen und sind, so haben sie doch eine Sprache, die zu uns spricht und die aus ihrem Inneren kommt wie Wasser aus einem ewigen Brunnen. Diese Sprache ist ihre Kausalität, die an unsere Sinne trifft mit dem Anblick der Farben und der Bewegung, mit dem Klang der Metalle, dem Brausen der Stürme und dem Schrei der Tiere, mit der Süße und der Bitterkeit von Honig und Galle, mit dem Duft der Blumen, mit dem Gewicht und der Wärme ihres Stoffes, ein Bild oder Gleichnis einprägt, das unserem Verstand als Mittel dient, uns zur Wirklichkeit der Dinge zurückzuführen. Daher spricht man nicht von dem Bild oder dem Gleichnis unseres Verstandes, sondern von den Dingen selbst; und man weiß die Erscheinung der wahrnehmbaren Welt von der Substanz der Dinge zu unterscheiden, den Schein des Goldes vom Gold selbst, wie den Schein des Brotes vom Brot selbst, dessen Substanz wir zur Speise machen, um sie der Substanz unseres Körpers anzugleichen und in eins zu verbinden. Die Bewegung der Dinge zu uns verursacht in uns ein Bild. Ohne Bild kann es keine Übereinstimmung zwischen unserem Verstand und den wirklichen Dingen geben, und ohne Bild wird die Erkenntnis unmöglich. Wir können kein Ding als wahr bezeichnen, wenn es nicht auf irgendeine Weise unserem Verstande angeglichen ist. Die Dinge, aus denen unser Verstand sein Wissen nimmt, messen unseren Verstand und die Gesetze, die wir in ihnen finden und aus ihnen entnehmen, aber sie selber werden gemessen von jenem ewigen göttlichen Verstand, in dem alle geschaffenen Dinge sind, wie im Geist des Künstlers jedes seiner Werke ist. Was tun die Hand und der Geist des Gelehrten? Er entdeckt sie, enthüllt sie, unterscheidet und klassifiziert sie, nicht wie einer, der fliegenden Vögeln nachschaut, sondern wie einer, der in ihrem Besitz ist, und ihre Natur und Eigenart zu erforschen sucht.

Als Lothar Meyer und Mendelejew im Jahre 1869 die chemischen Elemente in jenes einfache Schema einordneten, das heute als das natürliche System der Elemente bezeichnet wird, waren sie tief überzeugt, eine regelmäßige Ordnung gefunden zu haben, die auf die Eigenart und die inneren Tendenzen der Elemente gegründet sei, eine Klassifikation, die von der Natur eingegeben war und deren fortschreitende Weiterentwicklung die tiefgründigsten Entdeckungen über Zusammensetzung und Sein der Materie versprach. In der Tat ist die moderne Atomforschung von diesem Punkte ausgegangen. Zur Zeit der Entdeckung kam die so genannte "geistige Ökonomie" nicht in Betracht, da das ursprüngliche Schema noch viele Lücken aufwies; aber es konnte sich auch nicht um eine Konvention handeln, da die Eigenschaften der Materie selbst diese Ordnung auferlegten. Dies ist nur ein Beispiel unter vielen, wie die genialsten Gelehrten der Vergangenheit und der Gegenwart zu der edlen Überzeugung gekommen sind, Herolde einer Wahrheit zu sein, die ein und dieselbe ist für alle Völker und Rassen, die über den Erdboden stapfen und die zum Himmel aufblicken; einer Wahrheit, die sich in ihrem Wesen auf eine adaequatio rei et intellectus stützt, die nichts anderes ist als die mehr oder weniger vollkommene, erworbene Übereinstimmung unseres Verstandes mit der objektiven Wirklichkeit der natürlichen Dinge, worin die Wahrheit unseres Wissens besteht.

Aber man täusche sich nicht, wie jene Philosophen und Männer der Wissenschaft, die der Meinung sind, unsere Erkenntnisfähigkeiten erkennten nur die eigenen Veränderungen und Empfindungen, und die so dazu kommen zu sagen, unserem Verstand werde es nur gelingen, das Wissen der Bilder zu erwerben, die er den Dingen entnehme, nicht das der Dinge selbst, und daher seien nur die Abbilder der Dinge, nicht die Dinge selbst Gegenstand unserer Wissenschaft und der Gesetze, die wir in Bezug auf die Natur formulieren. Ein offenkundiger Irrtum!

Die Wissenschaft, die ein Kopernikus, ein Galilei, ein Kepler und ein Newton, ein Volta und ein Marconi und andere berühmte und verdiente Erforscher der physischen Welt preisen, die uns äußerlich umgibt, wäre ein schöner Traum bei wachem Geist, und ein schönes Trugbild des physischen Wissens. Der Schein träte an die Stelle der Wirklichkeit und Wahrheit der Dinge, und eine Sache behaupten wäre dasselbe, wie sie leugnen. Nein: Wissenschaft kennt keine Träume und auch keine bloßen Erscheinungen der Dinge, sondern die Dinge selbst durch Vermittlung der Bilder, die wir von ihnen gewinnen, weil, wie der Doctor Angelicus nach Aristoteles lehrte, der Stein nicht in unserer Seele sein kann, wohl aber das Bild oder die Form des Steins - das Bild, das er in unseren Sinnen und dann in unserem Verstand, sich selbst ähnlich, erzeugt, damit er durch dieses Gleichnis in unserer Seele und in unserem Studierzimmer sei und uns zu ihm selber zurückkehren lässt, indem es uns zur Wirklichkeit zurückführt. Auch die neueren Forschungen der experimentellen Psychologie bezeugen oder besser: bestätigen, dass diese Bilder nicht ein bloßes Produkt einer autonomen subjektiven Aktivität sind, sondern psychische Reaktionen auf vom Subjekt unabhängige Reize, die von den Dingen selbst kommen; Reaktionen, die den verschiedenen Eigenschaften und Eigenarten der Dinge entsprechen, und die sich gemäß den Veränderungen des Reizes ändern.

Die Bilder, die die natürlichen Dinge entweder durch Licht oder Wärme oder durch Schall, durch Geschmack und Geruch oder auf eine andere Weise unseren Sinnesorganen einprägen, und die durch die inneren Sinne in unseren Verstand gelangen, sind also nur das Instrument, das uns die Natur, unsere erste Lehrerin des Wissens, geliefert hat, um sich für uns erkennbar zu machen. Nicht weniger wahr ist, dass wir dieses Instrument prüfen, studieren, erforschen und über diese Bilder und über das, was sie uns von der Natur zeigen, und über den Weg nachdenken können, auf dem unsere Erkenntnisse in der Welt, die uns umgibt, zustande kommen. Von dem Akt, durch den unser Verstand den Stein erkennt, gehen wir zu dem anderen über, zu erkennen, wie unser Verstand den Stein erkennt, einem Akt, der den ersten unterstützt. Denn der Mensch, der ohne angeborene Ideen und ohne die Rückerinnerungen eines früheren Lebens geboren wird, tritt unberührt von Bildern und von Wissenschaft in die Welt ein, geboren und geschaffen - wie Wir schon erwähnt haben -, "nur mit den Sinnen, das zu lernen, was er alsdann mit würdigem Verstande tut".

Das Theater der Erde

Bewundert, ihr Forscher der Natur und der Gesetze, die sie regieren, im Mittelpunkt des stofflichen Weltalls die Größe des Menschen, für dessen erste Begegnung mit dem Licht, von ihm mit kindlicher Freude begrüßt, Gott das Schauspiel der Erde und des Firmaments mit all den Wundern offen hält, die ihn entzücken und seine unschuldigen Augen anziehen!

Dieses Schauspiel, was ist es anderes als das grundlegende erste Objekt jeder menschlichen Erkenntnis, die von da mit tausend und aber tausend Forschungen anhebt, die die Lehrmeisterin Natur wieder und wieder in unsere verlangenden Sinne eingießt? Ihr schaut voll Staunen in euch selber hinein; ihr erforscht eure inneren Akte, ihr zieht euch in euch selbst zurück, um ihre Quellen zu erkennen, und ihr findet sie in jenen inneren Sinnen, in jenen Vermögen und Fähigkeiten, die ihr zum Gegenstand einer neuen Wissenschaft über euch selbst macht, über eure innerste vernunftbegabte Natur, über eure Sinne, euren Verstand und euren Willen. Das ist die Wissenschaft vom Menschen und seinen körperlichen und geistigen Gesetzen: das ist die Anatomie, die Physiologie, die Medizin, die Psychologie, die Ethik, die Politik, und jene Summe von Wissenschaften, die, auch in ihren Irrtümern, ein Hymnus an Gott sind, der, als er den Menschen erschuf, ihm einen Lebensgeist einhauchte, der dem der anderen Lebewesen überlegen und nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen ist. So spricht der äußere materielle Makrokosmos von sich ein großes Wort zum inneren geistigen Mikrokosmos. Beide werden in ihrer tätigen Kraft souverän von dem Urheber der Gesetze der Materie und des Geistes geregelt, von welchen Wir, ebenso wie von der obersten Weltregierung Gottes, um ihre Aufmerksamkeit nicht allzu lange in Anspruch zu nehmen, Uns vorbehalten, wenn es dem Herrn gefällt, bei einer anderen Gelegenheit zu sprechen.

Aber die Wandlungen des Geistes, der die Stimme und die Wunder des Weltalls vernimmt, sind zuweilen schrecklich, zuweilen verursachen sie ihm Schwindel, zuweilen erheben sie ihn und lassen ihn auch auf dem Wege der Wissenschaft Schritte tun, die riesiger sind als die regelmäßigen Bewegungen der Planeten und der Sternbilder des Himmels, bis sie ihn aus der physischen, materiellen Welt seines "Studiums" in die geistige Welt jenseits der erschaffenen entrücken, um die Liebe zu preisen, "die bewegt die Sonne und die anderen Sterne .

Das eine Ziel aller Forschung

Diese Liebe, die das Weltall erschaffen hat, bewegt und regiert, regiert und leitet auch die Geschichte und den Fortschritt der ganzen Menschheit, und lenkt alles zu einem Ziele, das im Nebel der Jahre unserem Denken verborgen ist, das aber von ihr seit Ewigkeit festgesetzt ist zu jener Glorie, die die Himmel von ihr rühmen und die sie von der Liebe des Menschen erwartet, dem sie gestattet hat, die Erde zu erfüllen und durch seine Arbeit zu unterwerfen. Möge diese Liebe das Verlangen und den guten Willen der Mächtigen und aller Menschen dahin bewegen, dass sie sich verbrüdern, dass sie in Frieden und Gerechtigkeit wirken, sich am Feuer der unermesslichen und wohltätigen Liebe Gottes entzünden und aufhören, diese Erde mit Blut zu röten und Wehklagen und Zerstörungen da zu säen, wo wir alle, unter welchem Himmelsstrich auch immer, berufen sind, als Kinder Gottes für ein in Ewigkeit glückliches Leben zu streiten (Aus der Ansprache gelegentlich der Eröffnung des VII. Jahres der päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 21. Februar 1943).

29. DAS ATOMZEITALTER

VOR UNSEREN AUGEN erscheint auf der Erden als Herr und Gebieter über alle natürlichen Lebewesen der Mensch, dem Gott aufgegeben hat, sich zu vermehren und die Erde zu bevölkern und sich durch seine Arbeit das Brot zu verdienen, von dem er lebt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Aristoteles die Seele des Menschen mit der Hand vergleicht, dem Organ der Organe. Denn alles verdanken wir der Hand; Städte und Festungen, Denkmäler, die Bücher der Weisheit, der Wissenschaft, der Kunst und der Poesie, die Erbschaft und das Vermächtnis der Bibliotheken und der menschlichen Kultur. Ähnlich ist dem Menschen die Seele verliehen, sozusagen an Stelle des Wesens aller Dinge, um sich in gewisser Weise in alle Dinge zu verwandeln, insofern unsere Seele mit den Sinnen und dem Verstand alle Formen oder Bilder der Dinge selbst aufnimmt.

Kenntnis der Naturgesetze und Beherrschung der Naturkraft

Das echte Naturgesetz, das der Gelehrte in geduldiger Beobachtung und Sorgfalt in seinem Laboratorium formuliert, ist mehr und besser als eine bloße Beschreibung oder Bereicherung des Verstandes, die sich nur um Erscheinungen und nicht um wirkliche Substanzen mit ihren Eigenschaften bemüht. Es macht nicht halt vor dem Schein und Bild der Sinne und gibt sich nicht mit ihm zufrieden, sondern dringt in die Tiefen der Wirklichkeit ein, sucht und entdeckt die verborgenen inneren Kräfte der Phänomene, macht ihr Wirken und ihre Beziehungen offenkundig. Daher ist leicht zu begreifen, dass die Kenntnis der Naturgesetze dem Menschen ermöglicht, die Naturkräfte zu beherrschen und sie in den Dienst der fortgeschrittenen modernen Technik zu stellen. Nur auf solche Art kann sich der menschliche Gedanke dazu aufschwingen, zu verstehen, wie die regelmäßige Ordnung der Spektrallinien, die der Physiker heute in seinem Laboratorium beobachtet und unterscheidet, vielleicht morgen dem Astrophysiker eine tiefere Anschauung und Erkenntnis der Geheimnisse der Zusammensetzung und Entwicklung der Himmelskörper eröffnet.

So schreitet der Gelehrte von der Grundlage des Naturgesetzes, der tätigen Hilfe der modernen Technik, von der positiven und wahrhaften Erkenntnis der inneren Tendenzen der Elemente und ihrer Wirkungen in den Phänomenen der Natur, allen Schwierigkeiten und Hindernissen zum Trotz, zu neuen Entdeckungen fort, indem er beständig und ausdauernd bei seinen Forschungen verharrt.

Großartiges Beispiel und furchtbare Waffe

Das großartigste Beispiel für den Erfolg so intensiven Bemühens scheint in der Tatsache vorzuliegen, dass es den unermüdlichen Anstrengungen des Menschen endlich gelungen ist, zu einer tieferen Kenntnis der Gesetze vorzudringen, welche die Bildung und die Zerlegung des Atoms betreffen, und zwar dergestalt, dass man im Experiment bis zu einem gewissen Grad imstande ist, die mächtige Energie zu entfesseln, die in vielen dieser Prozesse auftritt, und all dies nicht in mikroskopischen Mengen, sondern in wahrhaft riesigem Ausmaß. Die Verwendung eines großen Teils der inneren Energie des Urankerns ist Wirklichkeit geworden und hat ihre Anwendung in der Konstruktion der "Atombombe" oder der "Bombe mit Nuklearenergie" gefunden, der furchtbarsten Waffe, die der menschliche Geist bis heute ersonnen hat.

Bei dieser Sachlage können Wir Uns nicht enthalten, einen Gedanken auszusprechen, der beständig auf Unserem Geiste lastet wie auf dem Geiste aller, die den wahren Sinn für Humanität haben; und dazu erinnern Wir Uns der Worte des heiligen Augustinus in seinem Werk De civitate Dei, wo er von den Gräueln des Krieges, auch des gerechten, spricht. "Wollte ich" - so schreibt er - "von diesen Übeln berichten, wie es sich gehört, von den vielen und vielfältigen Verwüstungen, den grausamen Ängsten, wann würde ich wohl mit der langen Aufzählung zu Ende kommen? ... Wer immer diese grausigen, unheilvollen Dinge mit Schmerz betrachtet, muss das Elend des Krieges bekennen; aber wer sie erträgt und an sie ohne Beängstigung des Gemütes denkt, glaubt sich auf noch viel elendere Weise glücklich, weil er auch das menschliche Gefühl verloren hat."

Wunderbare Eroberungen des menschlichen Verstandes

Wenn schon die Kriege von damals eine so ernste Bemerkung des großen Lehrers rechtfertigten, mit welchen Worten müssten Wir dann in der Gegenwart jene verurteilen, die unsere Generationen erschüttert und eine unvergleichlich fortgeschrittenere Technik in den Dienst ihres Zerstörungs- und Vernichtungswerkes gestellt haben? Welches Unheil müsste die Menschheit von einem künftigen Krieg erwarten, wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, der Verwendung immer neuer und immer überraschenderer wissenschaftlicher Entdeckungen Einhalt zu gebieten?

Doch sehen Wir im Augenblick von der kriegerischen Verwendung der Atomenergie ab und hegen Wir vertrauensvoll die Hoffnung, dass sie einzig zu Werken des Friedens gebraucht werde, so muss man ihre Entdeckung wirklich als eine geniale Erforschung und Anwendung jener Naturgesetze betrachten, die das innerste Wesen und Wirken der unorganischen Materie bestimmen.

Denn eigentlich handelt es sich hier um ein einziges großes Naturgesetz, das sich vor allem in dem so genannten "periodischen System der Elemente" offenbart.

Bis vor kurzem hatten sich Wissenschaft und Technik fast ausschließlich mit den Problemen der Synthese und der Analyse der Moleküle und der chemischen Verbindungen befasst; nun aber konzentriert sich das Interesse auf die Synthese und die Analyse des Atoms und seines Kerns. Vor allem werden die Gelehrten nicht rasten, bis sie eine sichere und leichte Art gefunden haben, den Prozess der Spaltung des Atomkerns zu lenken, so dass seine reichen Energiequellen der Kultur nutzbar gemacht werden können.

Wunderbare Eroberungen des menschlichen Verstandes, der die Gesetze der Natur erforscht und aufspürt und die Menschheit mit sich auf neue Wege führt! Könnte man einen edleren Gedanken hegen?

Idee und Plan Gottes

Aber Gesetz heißt Ordnung, und ein universales Gesetz bedeutet Ordnung in den großen wie in den kleinen Dingen. Es ist eine Ordnung, die sich unmittelbar aus den innersten Tendenzen der natürlichen Dinge herleitet, eine Ordnung, die kein Ding sich aus eigenem geben oder erschaffen kann, so wie es sich das Sein nicht selbst geben kann; eine Ordnung, die ordnende Vernunft in einem Geiste besagt, der das Weltall geschaffen hat und von dem "der Himmel und die ganze Natur" abhängt; eine Ordnung, die jene Tendenzen und Energien mit dem Sein empfangen haben, und durch die die einen wie die anderen zu einer wohl geordneten Welt mitwirken. Was ist dieses wunderbare Gefüge der Naturgesetze, die der menschliche Geist durch unermüdliche Beobachtung und sorgfältiges Studium entdeckt hat, indem er Sieg auf Sieg über die verborgenen Widerstände der Naturkräfte häufte? Was ist es anderes als ein wenn auch blasses und unvollkommenes Bild der großen Idee und des großen göttlichen Planes, der im Geiste Gottes des Schöpfers als Gesetz dieses Universums seit den Tagen seiner Ewigkeit ausgedacht ist?

Damals bereitete er in dem unerschöpflichen Gedanken seiner Weisheit die Himmel und die Erde, dann, mit der Erschaffung des Lichtes über den Abgründen des Chaos, der Wiege des von ihm geschaffenen Alls, setzte er die Bewegung und den Flug der Zeit und der Jahrhunderte in Gang und rief alle Dinge nach ihrer Art und Gattung bis zum unwägbarsten Atom zum Sein, Leben und Wirken auf. Mit wie viel Recht muss jeder Verstand, der die Himmel betrachtet und durchdringt, die Gestirne und die Erde wägt, zu Gott gewendet, ausrufen: Omnia in mensura et numero et pondere disposuisti! - Alles hast du nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet!

Der Gelehrte fühlt gleichsam den Pulsschlag dieser ewigen Weisheit, wenn ihm seine Forschungen enthüllen, dass das Weltall wie in einem Wurf in der unendlichen Schmiede der Zeit und des Raums gebildet worden ist. Nicht nur strahlen die gestirnten Himmel in der Zusammensetzung derselben Elemente, sondern sie gehorchen, wo immer sie erscheinen, denselben großen fundamentalen kosmischen Gesetzen in ihrem inneren und äußeren Wirken. Dieselben Gesetze der Gravitation und des Strahlungsdrucks bestimmen die Quantität der Masse für die Bildung der Sonnen in der Unermesslichkeit des Weltalls bis zu den fernsten Spiralnebeln; dieselben geheimnisvollen Gesetze des Atomkerns regeln mit Hilfe der Zusammensetzung und Zerlegung des Atoms die Energiewirtschaft aller Fix-sterne.

Diese absolute Einheit des Plans und der Lenkung, die sich in der unorganischen Welt offenbart, findet man nicht weniger großartig in den lebendigen Organismen. Was zeigt nicht alles ein einfacher Blick auf das gemeinsame universale Gefüge der Organismen und auf die jüngsten Entdeckungen und Schlussfolgerungen der vergleichenden Anatomie und der Physiologie! Hier sieht man den Bau des Skeletts der höheren Lebewesen mit analogen Organen, und im besonderen die Anordnung und Funktion der Sinnesorgane, zum Beispiel des Auges, von den einfachsten Formen bis zu dem vollkommenen Sehorgan des Menschen: hier sieht man im ganzen Reich der Lebewesen die fundamentalen Gesetze der Assimilation, des Stoffwechsels und der Zeugung. Erweist all dies nicht eine allgemeine großartige Einheit, die in vielerlei Formen und auf die verschiedensten Arten verwirklicht ist? ist dies nicht die geschlossene und absolut feste Einheit der Naturgesetze?

Die göttliche Regierung des Weltalls und die Wunder

Ja, es ist Einheit, die mit dem Schlüssel jener universalen Ordnung der Dinge geschlossen ist, gegen welche Gott selbst, insofern sie von der "Erstursache" des Schöpfergottes abhängt, nicht wirken kann; weil er, wenn er es täte, gegen seine eigene Voraussicht oder seinen eigenen Willen oder seine eigene Güte wirken würde; aber in ihm ist "weder Wechsel noch der Schatten einer Veränderung". Betrachtet man jedoch diese Ordnung, insoweit sie von den zweiten Ursachen abhängt, so besitzt Gott den Schlüssel zu ihr und kann sie verschlossen lassen oder öffnen und über sie hinaus wirken. Hat sich etwa Gott, als er das All erschuf, der Ordnung der untergeordneten zweiten Ursachen unterworfen? Ist diese Ordnung etwa nicht ihm unterworfen, als von ihm ausgehend, nicht aus Naturnotwendigkeit, sondern aus Willenswillkür? Daher kann er über die gesetzte Ordnung hinaus wirken, wann er will; zum Beispiel indem er Wirkungen der zweiten Ursachen ohne sie bewirkt oder andere Wirkungen hervorbringt, auf die diese sich nicht erstrecken. Was für Werke sind dies denn? Es sind Werke, zu denen Gott allein den Schlüssel in seinem Geheimnis besitzt und die er sich vorbehält im Ablauf der Zeiten inmitten der besonderen Ordnung der untergeordneten Ursachen.

Vor solchen Werken, die ungewöhnlich sind entweder in Hinsicht auf die Substanz der Tatsache selber oder in Anbetracht der Person, an der sie auftreten, oder wegen der Art und der Ordnung, in denen sie sich vollziehen, stehen das Volk und der Gelehrte verwundert. Denn das Wunder ist da, wenn die Wirkungen offenkundig und die Ursachen verborgen sind. Aber die Unkenntnis der verborgenen Ursache, die den Ungläubigen in Erstaunen setzt, schärft das Auge des Gläubigen und des Weisen, der in gewissen Grenzen weiß und ermisst, bis wohin das Werk der Natur mit seinen Gesetzen und Kräften gelangt, und jenseits derselben erkennt er eine höhere verborgene und allmächtige Hand. Jene Hand, die die universale Ordnung der Dinge schuf, und in dem Verlauf der besonderen Ordnungen der Ursachen und Wirkungen den Augenblick und die Umstände seines wunderbaren Eingreifens vorzeichnete.

Diese göttliche Regierung des Weltalls muss gewiss ein Gefühl der Bewunderung und der Begeisterung in dem Gelehrten erwecken, der bei seinen Forschungen die Spuren der Weisheit des Schöpfers und höchsten Gesetzgebers des Himmels und der Erde entdeckt und erkennt, der mit der Hand des unsichtbaren Steuermanns alle Naturen "nach verschiedenen Häfen geleitet - über das große Meer des Seins, und jede - durch den ihr verliehenen Instinkt, der sie trägt".

Und doch, was sind die gewaltigen Naturgesetze anderes als ein Schatten und eine bloße Idee der Tiefe und der Unermesslichkeit des göttlichen Planes in dem grandiosen Tempel des Universums? Oft - man muss die menschliche Schwäche eingestehen - trübt sich dieser Gedanke und weicht zurück vor der Schau der Dinge und der Bilder unserer Sinne. Aber wenn der Gedanke Gottes in die Arbeit des Gelehrten eintritt, verwechselt er ihn nicht mit den Bewegungen und den Bildern, die er in sich oder außerhalb seiner sieht. Und diese Einstellung des Gemüts, Gott aufzuspüren und zu erkennen, gibt ihm in seinen Studien den rechten Antrieb und den reichen Lohn für alle Mühen, die er für Forschungen und Entdeckungen ertragen hat, und lehren ihn, weit entfernt, ihn stolz und hochmütig zu machen, bescheiden und demütig zu sein.

Sicher wird der Jünger des Wissens und der Wissenschaft, je tiefer er seine Forschung in die Wunder der Natur hineintreibt, desto stärker das eigene Ungenügen erfahren, den Reichtum des göttlichen Bauplans und der Gesetze und Normen, die ihn regieren, zu durchdringen und auszuschöpfen ...

Weitere Fortschritte der Wissenschaft

Rastlos schreitet die Wissenschaft fort. Es ist wohl richtig, dass die späteren Stadien ihres Vorrückens immer dem Weg gefolgt sind, der von den ersten Beobachtungen und Entdeckungen direkt zur Hypothese, von der Hypothese zur Theorie und schließlich zur sicheren und unzweifelhaften Erreichung der Wahrheit führt. Dagegen gibt es Fälle, in denen die Forschung eher einer Kurve folgt, das heißt solche, in denen Theorien, die schon die Welt erobert und den Scheitelpunkt unbestrittener Doktrinen erreicht zu haben schienen, und denen anzuhängen einem Achtung im Bereich der Wissenschaft verschaffte, in den Stand der Hypothese zurückfallen, um dann vielleicht völlig aufgegeben zu werden.

Aber trotz der unvermeidlichen Ungewissheiten und der Täuschungen, die jede menschliche Bemühung mit sich bringt, kennt der Fortschritt der Wissenschaften weder Pausen noch Sprünge.

Auf neuen und breiteren Wegen rückt die Menschheit vor, aber sie wandert immer der tieferen Erkenntnis der Gesetze des erforschten und des unerforschten Weltalls entgegen, wie der natürliche Durst nach Wahrheit sie antreibt. Aber auch noch nach Jahrtausenden werden die menschlichen Kenntnisse der inneren Normen und der bewegenden Kräfte im Werden und Fortschreiten der Welt, und noch mehr des göttlichen Plans und Impulses, der alles durchdringt, bewegt und leitet, ein blasses und unvollkommenes Bild der göttlichen Ideen sein und bleiben. Angesichts der Wunder der ewigen Weisheit, welche mit unbeirrbarer Ordnung im Meer des Seins alles zu verborgenen Häfen leitet und lenkt, sind die forschenden Gedanken des Gelehrten blind und stumm, und an ihre Stelle tritt jene demütige, bewundernde Anbetung, die vor sich das Wunder der Schöpfung fühlt, bei dem keine Menschenhand mitgewirkt hat und das die Hand des Menschen nicht nachahmen kann, in dem aber sein Auge unversehens die Macht Gottes aufleuchten sieht. Vor den vielen unerforschlichen Rätseln der Ordnung und der Verknüpfung der Gesetze des unermesslich großen und des unermesslich kleinen Kosmos muss der menschliche Geist den Ruf wiederholen: O altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei: quam incomprehensibilia sunt iudicia eius et investigabiles viae eius! - O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege (Röm 11,33)!

Glücklich der Gelehrte, der auf seinem Weg durch die weiten Bereiche des Himmels und der Erde im großen Buch der Natur zu lesen und den Ruf jenes Wortes zu hören versteht, das den Menschen die Spur weist, die der Schritt Gottes in der Schöpfung und in der Geschichte des Weltalls hinterlassen hat! Die Spuren seines Fußes und die Silben, die der Finger Gottes geschrieben hat, sind unauslöschlich: keine Menschenhand vermag sie zu tilgen. Spuren und Silben sind die Tatsachen, aus denen das Göttliche zu aller Verstand spricht; und gerade für die weisen, forschenden Geister scheinen die Worte des Lehrers der Völker geschrieben: Quod notum est Dei, manifestum est in illis; Deus enim illis manifestavit. Invisibilia enim ipsius a creatura mundi, per ea quae facta sunt, intellecta conspiciuntur, sempiterna quoque eius virtus et divinitas. - Was von Gott erkennbar ist, das ist ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen geoffenbart. Lässt sich doch sein unsichtbares Wesen seit Erschaffung der Welt durch seine Werke mit dem Auge des Geistes wahrnehmen: seine ewige Macht wie seine Göttlichkeit (Röm 1, 19-20), (Aus der Botschaft zur Eröffnung des XII. Jahrs des Pontifikats, an die Akademie der Wissenschaften, 8. Februar 1948).

30. EINE NEUE WELTORDNUNG

AM VORABEND der ersten Erscheinung Christi, als die römische Welt der ganze Erdkreis zu sein schien, erwartete man bereits eine neue Ordnung, und der große Vergil besang die große Hoffnung auf sie und die Rückkehr der jungfräulichen Göttin der Gerechtigkeit: Magnus ab integro saeculorum nascitur ordo; iam redit et Virgo. Noch heute empfindet die ganze Welt das Bedürfnis nach einer Wiedergeburt der Ordnung, in der jeder auf seine Weise, an seinem Platz und für seinen Teil arbeiten kann. Betrachtet die Staatsmänner: Was ist und kann denn ihre edle Aufgabe sein? Doch nur die, in der zeitlichen Ordnung für das Gemeinwohl zu sorgen, in Übereinstimmung mit den Forderungen der ewigen und übernatürlichen Ordnung. Betrachtet auf der anderen Seite die Kirche: Sie hat die noch höhere Sendung, das Reich Gottes im Schoße der menschlichen Gesellschaft wieder herzustellen, zu fördern und auszubreiten, außer halb dessen sich niemals jene wahre und aufrichtige, beständige und ruhige Ordnung behaupten kann, die die rechte Definition des Friedens ist (Aus der Allokution an das Heilige Collegium, 24. Dezember 1940).

Das christliche Sittengesetz ist die Voraussetzung

Diese neue Ordnung, die alle Völker nach den Prüfungen und Verwüstungen dieses Krieges verwirklicht sehen möchten, muss auf dem unerschütterlichen und unwandelbaren Felsen des Sittengesetzes errichtet werden, das der Schöpfer selbst durch die natürliche Ordnung geoffenbart und mit unauslöschlichen Schriftzeichen in die Herzen der Menschen eingegraben hat, des Sittengesetzes, dessen Beachtung durch die öffentliche Meinung aller Völker und aller Staaten einmütig gefordert werden muss, so dass niemand wagen kann, es in Zweifel zu ziehen oder seine bindende Kraft zu schwächen.

Wie ein Leuchtturm muss es mit den Strahlen seiner Prinzipien das Wirken der Menschen und der Staaten lenken, die seine mahnenden, heilsamen und nutzbringenden Anweisungen zu befolgen haben, wenn sie nicht alle Arbeit und Bemühung zur Errichtung einer neuen Ordnung dem Sturm und dem Schiffbruch überantworten wollen. Indem Wir daher wieder aufgreifen und ergänzen, was Wir bei anderer Gelegenheit dargelegt haben, weisen Wir auch jetzt mit Nachdruck auf wesentliche Voraussetzungen einer internationalen Ordnung hin, die allen Völkern einen gerechten und dauerhaften Frieden sichern und Wohlstand und Gedeihen hervorbringen kann.

Das Recht auf Neutralität

In dem Bereich einer auf sittliche Prinzipien gegründeten neuen Ordnung ist kein Platz für die Verletzung der Freiheit, der Integrität und der Sicherheit anderer Nationen, welches auch immer ihre territoriale Ausdehnung und ihre Verteidigungskapazität sein mögen. Wenn es unvermeidlich ist, dass die Großstaaten wegen ihrer größeren Möglichkeiten und ihrer Macht den Weg zur Bildung von Wirtschaftsgruppen zwischen sich und den kleineren und schwächeren Nationen bahnen, so ist nichtsdestoweniger das Recht auf Achtung ihrer Freiheit im politischen Bereich unbestreitbar wie auch das Recht auf wirksamen Schutz jener Neutralität in den Streitigkeiten zwischen den Staaten, die ihnen nach dem ius naturale (Naturrecht) und dem Völkerrecht zukommt. Ferner das Recht auf Schutz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, da sie nur so auf angemessene Weise das Gemeinwohl, das materielle und geistige Gedeihen des eigenen Volkes verwirklichen können.

Die Rechte der Minderheiten

Im Bereich einer auf die sittlichen Prinzipien gegründeten neuen Ordnung ist kein Platz für offene oder versteckte Unterdrückung kultureller und sprachlicher Eigenarten der nationalen Minderheiten, die Behinderung und Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Fähigkeiten und die Begrenzung oder Abschaffung ihrer natürlichen Fruchtbarkeit. Je gewissenhafter die zuständige Staatsautorität die Rechte der Minderheiten beachtet, desto sicherer und wirkungsvoller kann sie von ihren Mitgliedern die loyale Erfüllung der Bürgerpflichten fordern, die diese mit den anderen Bürgern gemein haben.

Der Zugang zu den Rohstoffen

Im Bereich einer auf die sittlichen Prinzipien gegründeten neuen Ordnung ist auch kein Platz für beschränkte egoistische Berechnungen, die darauf abzielen, sich der wirtschaftlichen Quellen und der dem allgemeinen Gebrauch dienenden Rohstoffe zu bemächtigen, um die von der Natur weniger begünstigten Nationen von ihnen auszuschließen. In dieser Hinsicht ist es Uns höchster Trost, zu sehen, wie die Auffassung von der Notwendigkeit einer Teilnahme aller an den Gütern der Erde sich auch bei den Nationen behauptet, die bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes zu jenen gehören, die geben, und nicht zu denen, die empfangen.

Aber es ist eine Sache der Billigkeit, dass eine Lösung dieser Frage, die für die Weltwirtschaft entscheidend ist, methodisch und fortschrittlich die nötigen Garantien bietet, und dass sie sich die Fehler und die Unterlassungen der Vergangenheit zur Lehre nimmt. Wenn man in dem künftigen Frieden diesen Punkt nicht entschlossen ins Auge fassen würde, dann bliebe in den Beziehungen zwischen den Völkern ein Keim zu bitterem Zwiespalt und heftiger Eifersucht, die schließlich zu neuen Konflikten führen müssten. Es ist jedoch zu beachten, dass eine befriedigende Lösung dieses Problems eng mit einer anderen fundamentalen Seite einer neuen Ordnung verknüpft ist, von der Wir nunmehr sprechen möchten.

Wettrüsten

Im Bereich einer auf die sittlichen Prinzipien gegründeten neuen Ordnung ist - wenn erst einmal die gefährlichsten Klippen bewaffneter Konflikte beseitigt sind - weder Platz für den totalen Krieg noch für ein Wettrüsten. Es darf nicht zugelassen werden, dass das Unglück eines Weltkriegs mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Verwüstungen und seinen moralischen Verirrungen und Verwirrungen zum dritten Male über die Menschheit hereinbricht. Um sie für lange Zeit vor einer solchen Geißel zu schützen, ist es nötig, dass man ernsthaft und redlich zu einer fortschreitenden, angemessenen Beschränkung der Rüstungen gelange. Das Missverhältnis zwischen einer übermäßigen Rüstung der mächtigen Staaten und der mangelhaften Rüstung der Schwachen schafft eine Gefahr für die Erhaltung der Ruhe und des Friedens der Völker und fordert eine starke, proportionierte Begrenzung in der Herstellung und dem Besitz von Angriffswaffen.

Verträge und die Möglichkeit ihrer Revision

In dem Maße, in dem die Abrüstung verwirklicht wird, sind dann geeignete, für alle ehrenvolle und wirksame Maßnahmen zu treffen, um dem Grundsatze pacta sunt servanda - Verträge sind einzuhalten - die vitale sittliche Funktion wiederzugeben, die ihm in den rechtlichen Beziehungen zwischen den Staaten zukommt. Dieser Grundsatz, der in der Vergangenheit bedenkliche Krisen und unleugbare Verletzungen erlitten hat, ist bei verschiedenen Völkern und den sie regierenden auf ein fast unheilbares Misstrauen gestoßen. Damit das gegenseitige Vertrauen wieder erwache, müssen Institutionen entstehen, die sich allgemeine Achtung erwerben und sich der edlen Aufgabe widmen, die aufrichtige Einhaltung der Verträge zu garantieren und wünschenswerte Korrekturen und Revisionen nach den Grundsätzen des Rechts und der Billigkeit zu fördern.

Wir übersehen nicht den Berg von Schwierigkeiten, der zu überwinden ist, und auch nicht, dass von allen Teilen eine fast übermenschliche Kraft des guten Willens gefordert wird, wenn es gelingen soll, die doppelte hier umrissene Aufgabe zu einer glücklichen Lösung zu führen. Aber diese gemeinsame Arbeit ist für einen dauerhaften Frieden so notwendig, dass nichts die verantwortlichen Staatsmänner abhalten darf, sie anzugehen und mit den Kräften ihres guten Willens zusammenzuarbeiten, der mit dem Blick auf das künftige Wohl die schmerzlichen Erinnerungen an missglückte Versuche in der Vergangenheit besiegt und sich nicht abschrecken lässt von der Erkenntnis, welch gewaltige Anstrengung zu diesem Werke erforderlich ist.

Verfolgung der Religion

Im Bereich einer auf die sittlichen Prinzipien gegründeten neuen Ordnung ist kein Platz für die Verfolgung der Religion und der Kirche. Aus dem lebendigen Glauben an einen persönlichen, transzendenten Gott strömt reine, bleibende sittliche Kraft, die den ganzen Ablauf des Lebens bestimmt. Denn der Glaube ist nicht nur eine Tugend, sondern die gottgegebene Pforte, durch die alle anderen Tugenden in die Seele eintreten und durch die im Menschen jener starke und beständige Charakter heranreift, der auch den stärksten Belastungen der Vernunft und des Willens standhält. Das gilt immer; aber es muss noch heller erstrahlen, wenn von dem Staatsmann ebenso wie von dem letzten Staatsbürger ein Höchstmaß von Mut und sittlicher Energie gefordert wird, um ein neues Europa und eine neue Welt auf den Trümmern aufzurichten, die der Weltkrieg mit seinen Gewalttaten, seinem Hass und der Spaltung der Geister angehäuft hat (2).

Hasspropaganda des Krieges

Eine andere unumgängliche Voraussetzung für eine solche neue Ordnung ist der Sieg über den Hass, der heute die Völker trennt; daher der Verzicht auf Systeme und Praktiken, aus denen er immer neue Nahrung zieht.

Zur Zeit herrscht in manchen Ländern eine zügellose Propaganda, die nicht vor offenkundigen Entstellungen der Wahrheit zurückschreckt und der öffentlichen Meinung Tag für Tag und fast Stunde für Stunde die gegnerischen Nationen in einem verfälschten und beleidigenden Lichte zeigt. Aber wer wirklich das Wohlergehen des Volkes wünscht, wer sich danach sehnt, dazu beizutragen, dass die geistigen und sittlichen Grundlagen der künftigen Zusammenarbeit der Völker vor unberechenbarem Schaden bewahrt bleiben, wird es als eine heilige Pflicht und als eine hohe Aufgabe betrachten, die natürlichen Ideale der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit, der Ritterlichkeit, der Zusammenarbeit im Guten und vor allem das erhabene übernatürliche Ideal der brüderlichen Liebe, das Christus in die Welt gebracht hat, im Gedächtnis und im Gefühl der Menschen nicht verlorengehen zu lassen (Aus der Enzyklika "Summi Pontificatus", 20. Oktober 1939).

Die totale Macht des Staates

Die Konzeption, die dem Staat eine unbegrenzte Macht zuweist, ist nicht nur verderblich für das innere Leben der Nation, ihr Gedeihen und das immer größere, geordnete Anwachsen ihres Wohlergehens, sondern sie beeinträchtigt auch die Beziehungen zwischen den Völkern, weil sie die Einheit der übernationalen Gesellschaft durchbricht, dem Völkerrecht Wert und Grundlage entzieht, den Weg zur Verletzung der Rechte anderer eröffnet und Verständigung und friedliches Zusammenleben erschwert.

Denn obschon sich das Menschengeschlecht nach der von Gott gesetzten natürlichen Ordnung in soziale Gruppen, Nationen oder Staaten teilt, die in der Organisation und Leitung ihres inneren Lebens voneinander unabhängig sind, ist es doch durch gegenseitige sittliche und rechtliche Bande zu einer großen Gemeinschaft verbunden, die zum Besten aller Völker geordnet und durch besondere Gesetze, die ihre Einheit schützen und ihr Gedeihen fördern, geregelt ist.

Jedermann weiß jedoch, wie die behauptete absolute Eigengesetzlichkeit des Staates in offenem Widerspruch zu diesem immanenten natürlichen Gesetz steht, es sogar radikal leugnet, indem sie die internationalen Beziehungen dem Willen der Regierenden überlässt und die Möglichkeit einer wahren Einigung und einer fruchtbaren Zusammenarbeit im allgemeinen Interesse beseitigt.

Denn damit dauerhafte harmonische Kontakte und fruchtbare Beziehungen bestehen, müssen die Völker jene Prinzipien des natürlichen internationalen Rechts anerkennen und befolgen, die ihre natürliche Entwicklung und ihr Verhalten regeln. Diese Prinzipien fordern Achtung vor dem Recht auf Unabhängigkeit, auf Leben und auf die Möglichkeit einer fortschreitenden Entfaltung auf kulturellem Gebiet; sie fordern außerdem Treue zu den Verträgen, die nach den Normen des Völkerrechts geschlossen wurden und in Kraft getreten sind.

Völkerrecht und göttliches Recht

Kein Zweifel, dass die unumgängliche Voraussetzung jedes friedlichen Zusammenlebens zwischen den Völkern das gegenseitige Vertrauen ist, die Voraussicht und Überzeugung der gegenseitigen Treue zum gegebenen Wort, die Gewissheit, dass beide Seiten überzeugt sind, dass Weisheit besser ist als Kriegswaffen, und dass man geneigt sei zu diskutieren und nicht zur Gewalt oder zur Drohung mit der Gewalt zu greifen, sobald sich Verzögerungen, Hindernisse, Veränderungen und Streitfälle ergeben sollten, die alle nicht aus bösem Willen, sondern aus den veränderten Umständen oder sich widersprechenden realen Interessen herrühren können.

Andererseits aber ist eine Loslösung des Völkerrechts von dem Anker des göttlichen Rechts mit der Absicht, es auf den autonomen Willen der Staaten zu gründen, eine Entthronung eben dieses Rechtes. Es hieße ihm die edelsten und gültigsten Gründe nehmen und es der unseligen Dynamik des Privatinteresses und des Kollektivegoismus überlassen, nur um die eigenen Rechte zur Geltung zu bringen und die der anderen zu missachten.

Änderung geschlossener Abkommen

Im Laufe der Zeit und im Wandel der Umstände, die beim Abschluss nicht vorhergesehen wurden und auch nicht vorhergesehen werden konnten, kann ein Vertrag oder einige seiner Bestimmungen ungerecht oder unrealisierbar oder allzu drückend für eine der Parteien werden oder erscheinen, und es ist einsichtig, dass man, wenn dies der Fall ist, rechtzeitig zu einer loyalen Diskussion schreiten sollte, um den Vertrag zu ändern oder durch einen neuen zu ersetzen. Wollte man aber die Verträge grundsätzlich als vorübergehend betrachten und sich stillschweigend die Möglichkeit vorbehalten, sie einseitig aufzuheben, sobald sie einem nicht mehr zusagen, so würde man jedes gegenseitige Vertrauen zwischen den Staaten zerstören. Es hieße die natürliche Ordnung aus den Angeln heben und zwischen den Völkern und Nationen würde sich eine nicht mehr zu überbrückende Kluft auftun.

Heute sehen alle mit Entsetzen den Abgrund, an den die von Uns gekennzeichneten Irrtümer und ihre praktischen Folgen geführt haben. Gefallen sind die stolzen Illusionen eines unbegrenzten Fortschritts, und wer noch nicht erwacht sein sollte, den rüttelt die tragische Gegenwart mit den Worten des Propheten auf: "Höret, ihr Tauben, und sehet, ihr Blinden" (Jes 42,18). Was äußerlich als Ordnung erschien, war nichts als überflutende Verwirrung: der Normen des sittlichen Lebens, die sich von der Majestät des göttlichen Gesetzes gelöst und alle Bereiche menschlicher Tätigkeit verunstaltet hatten.

Wehe den Besiegten!

Doch lassen wir die Vergangenheit, und richten wir den Blick auf jene Zukunft, die nach den Versprechungen der Mächtigen dieser Welt, nach Beendigung der blutigen Streitigkeiten in einer neuen Ordnung bestehen wird. Wird es wirklich eine wahrhaft andere, wird es vor allem eine bessere Zukunft sein? Werden die Friedensverträge, die neue internationale Ordnung von Gerechtigkeit und Billigkeit gegen alle beseelt sein von jenem Geist, der befreit und befriedet, oder werden sie eine klägliche Wiederholung alter und neuer Irrtümer sein? Entscheidende Veränderungen ausschließlich vom Krieg und seinen Ausgang erhoffen, ist töricht, und die Erfahrung beweist es uns. Die Stunde des Sieges ist eine Stunde des äußeren Triumphes für den, der ihn erringt, aber es ist zugleich die Stunde der Versuchung, in der der Engel der Gerechtigkeit mit dem Dämon der Gewalt kämpft. Allzu leicht verhärtet sich das Herz des Siegers; Mäßigung und weitschauende Weisheit erscheinen ihm als Schwäche. Die Aufwallung der Volksleidenschaften, geschürt durch die Opfer und ertragenen Leiden, trübt oft auch den Blick der Verantwortlichen und lässt sie die Stimme der Menschlichkeit und der Billigkeit missachten, die von der Unmenschlichkeit überlistet oder erstickt wird: Wehe den Besiegten! Die Gefahr ist groß, dass Beschlüsse und Entscheidungen, die unter solchen Umständen gefasst werden, nichts weiter als Ungerechtigkeit unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit sind.

Wiedererziehung der Menschheit

Nein, nicht von äußeren Mitteln kommt das Heil zu den Völkern, nicht vom Schwert, das Friedensbedingungen auferlegen kann, aber nicht den Frieden schafft. Die Kräfte, die das Antlitz der Erde erneuern sollen, müssen von innen heraus wirken, vom Geiste aus. Die neue Ordnung der Welt, des nationalen und internationalen Lebens wird, wenn einmal die Bitterkeiten und die grausamen Kämpfe der Gegenwart vorüber sind, nicht mehr auf dem Flugsand wandelbarer und ephemerer Richtlinien ruhen dürfen, die der Willkür des individuellen und kollektiven Egoismus überlassen bleiben. Sie müssen sich vielmehr auf das unerschütterliche Fundament, den unzerstörbaren Felsen des Naturrechts und der göttlichen Offenbarung stützen. Hier muss der menschliche Gesetzgeber jenen Geist des Gleichgewichts, jenen Scharfsinn für sittliche Verantwortung entwickeln, ohne den er leicht die Grenzen zwischen dem rechtmäßigen Gebrauch und dem Missbrauch der Macht verkennt. Nur so werden seine Entscheidungen inneren Bestand, edle Würde und religiöse Sanktion haben und werden nicht von Leidenschaft und Egoismus bestimmt sein. Denn wenn es wahr ist, dass die Übel, an denen die heutige Menschheit leidet, zum Teil aus den wirtschaftlichen Störungen und aus dem Streit der Interessen um eine gerechtere Verteilung der Güter herrührte, die Gott dem Menschen als Mittel für seinen Unterhalt und seinen Fortschritt gewährt hat, so ist es nicht weniger wahr, dass ihre Wurzel tiefer im Innern liegt. Sie ist zu suchen im religiösen Glauben und in den sittlichen Überzeugungen, die sich mit der fortschreitenden Loslösung der Völker von der Einheit der Lehre und des Glaubens, der Bräuche und der Moral abgewandelt haben, die einst durch das unermüdliche wohltätige Wirken der Kirche gefördert wurden. Wenn die Wiedererziehung der Menschheit irgendeine Wirkung erzielen soll, dann muss sie vor allem geistig und religiös sein und daher von Christus als ihrem unerlässlichen Fundament ausgehen, von der Gerechtigkeit verwirklicht und von der Liebe gekrönt werden.

Zwischen den Gesetzen, die das Leben der gläubigen Christen regeln und den Forderungen einer echten Menschlichkeit gibt es keinen Gegensatz, sondern Gemeinschaft und gegenseitige Stützung. Im Interesse der leidenden und materiell wie geistig tief erschütterten Menschheit haben Wir keinen glühenderen Wunsch als diesen: dass die gegenwärtigen Nöte vielen die Augen öffnen mögen, damit sie Jesus Christus und die Sendung der Kirche auf dieser Erde in ihrem wahren Licht sehen, und dass alle, die irdische Macht ausüben, sich entschließen mögen, der Kirche den Weg freizugeben für die Arbeit an der Formung der Generationen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Friedens.

Die Einheit von Religion und Sittengesetz

Wenn die Kirche auf der einen Seite nicht auf die Ausübung dieser ihrer Sendung verzichten kann, deren letztes Ziel es ist, hienieden den göttlichen Plan zu verwirklichen, alle Dinge, die himmlischen wie die irdischen, in Christus herzustellen, so erweist sich auf der anderen Seite ihr Wirken heute mehr als zu jeder anderen Zeit als notwendig, da die traurige Erfahrung lehrt, dass die bloß äußeren Mittel und menschlichen Vorkehrungen und die politischen Auswege keine wirksame Milderung der Übel bringen, von denen die Menschheit gepeinigt wird.

Belehrt gerade durch den schmerzlichen Zusammenbruch der menschlichen Versuche, die Stürme zu beschwichtigen, die die Kultur in ihren Wirbel zu ziehen drohen, wenden viele mit erneuerter Hoffnung ihren Blick auf die Kirche, den Felsen der Wahrheit, auf diesen Stuhl Petri, von dem, wie sie fühlen, dem Menschengeschlecht jene Einheit der religiösen Lehre und des Sittengesetzes wiedergegeben werden kann, die zu anderen Zeiten den friedlichen Beziehungen zwischen den Völkern Bestand verlieh (Aus der Enzyklika "Summi Pontificatus", 20. Oktober 1939).

Die Lehren des Krieges

Wir hegen die zuversichtliche Hoffnung, dass die Völker, die alle durch die Schule der Leiden gegangen sind, es verstanden haben, hieraus ihre ernsten Lehren zu ziehen. Und in dieser Hoffnung trösten Uns die Worte von Menschen, die in besonders hohem Grade die Leiden des Krieges verspürt haben, und die hochherzige Worte gefunden haben, um mit der Vertretung ihrer eigenen Forderungen nach Sicherheit gegen jede künftige Aggression ihre Achtung für die Lebensrechte der anderen Völker und ihre Abneigung gegen jeden Übergriff auf eben diese Rechte auszudrücken. Es wäre vergeblich, zu erwarten, dass dieses weise Urteil, das von der Erfahrung der Geschichte und von einem hohen politischen Sinn diktiert wird, von der öffentlichen Meinung oder auch nur von der Mehrheit allgemein angenommen werde,- solange noch die Gemüter erhitzt sind. - Der Hass und das Unvermögen, sich gegenseitig zu verstehen, hat zwischen den Völkern, die gegeneinander gekämpft haben, allzu dichte Schatten aufkommen lassen, als dass man hoffen könnte, die Stunde sei schon gekommen, in der ein Lichtstrahl das tragische Dunkel auf beiden Seiten erhellen könnte. Aber eines wissen Wir, dass der Augenblick kommen wird, vielleicht früher als wir denken, in dem die einen und die anderen erkennen werden, dass es richtig gesehen nur einen Weg aus der Verstrickung gibt, in die Streit und Hass die Welt geschlagen haben, nämlich die Rückkehr zu einer allzu lange vergessenen Solidarität, einer Solidarität, die sich nicht auf diese oder jene Völker beschränkt, sondern die allumfassend universal ist, gegründet auf die enge Verknüpfung ihrer Geschicke und Rechte, die ihnen in gleicher Weise zukommen.

In einer Zeit, in der die Völker sich Aufgaben gegenübergestellt sehen, wie sie ihnen vielleicht noch nie in ihrer Geschichte begegnet sind, fühlen sie in ihren gepeinigten Herzen den ungestümen und gleichsam angeborenen Wunsch, die Zügel des eigenen Schicksals mit größerer Unabhängigkeit als in der Vergangenheit in die Hand zu nehmen, in der Hoffnung, es werde ihnen auf diese Weise gelingen, sich gegen den gelegentlichen Einbruch der Gewalt zu verteidigen, die wie ein Strom feuriger Lava nichts von dem verschont, was ihnen heilig und teuer ist.

Durch ihr eigenes Dasein erhebt sich die Kirche vor der Welt wie ein Leuchtturm, der beständig an diese göttliche Ordnung mahnt. Ihre Geschichte spiegelt klar ihre von der Vorsehung gewollte Sendung wider. Die Kämpfe, die sie, durch den Missbrauch der Macht gezwungen, hat bestehen müssen, um die Freiheit zu verteidigen, die sie von Gott empfangen hat, waren zugleich Kämpfe für die wahre Freiheit des Menschen.

Die Kirche hat die Aufgabe, der Welt, die sich nach einer besseren und vollkommeneren Form der Demokratie sehnt, die höchste und notwendigste Botschaft zu verkünden, die es geben kann, die Würde des Menschen, die Berufung zur Kindschaft Gottes (Aus der Rundfunkbotschaft an die Welt, 24. Dezember 1944).

31. LEHREN NATURWISSENSCHAFTLICHER FORSCHUNG

Es IST kaum eineinhalb Jahrhunderte her, dass man, von rein vernunttmäßigen Überlegungen ausgehend, die ersten Arbeitshypothesen aufstellte über den nicht-kontinuierlichen Aufbau der Materie, über das Bestehen kleinstmöglicher Teilkörperchen, die als letzte Bestandteile der Körper betrachtet wurden. Seither hat man die MolekeIn gezählt, gewogen und analysiert. Dann wurde das Atom, das zuerst als unteilbar galt, in seine Bestandteile zerlegt, untersucht und die Erforschung seines inneren Aufbaues in Angriff genommen. Man bestimmte die elektrische Grundladung; die Masse des Protons, das Neutron, die Mesonen, das Positron, und noch eine Reihe von Grundbestandteilen wurde festgestellt und ihre Wesensmerkmale genau bestimmt. Man hat Mittel gefunden, um diese Teilchen zu lenken, sie zu beschleunigen und mit ihnen den Atomkern zu beschießen. Aber hauptsächlich unter der Verwendung der Neutronen erreichte man die künstliche Radioaktivität, die Kernspaltung, die Umwandlung eines Elementes in andere und die Freimachung ungeheurer Energiemengen.

Geniale Theorien und Weltbilder wurden entwickelt, man schuf neue mathematische Hilfsmittel und ganz neue Systeme der Geometrie. Wir möchten hier nur die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie erwähnen, ferner die Quantentheorie, die Wellenmechanik, die Quantenmechanik und endlich die neuesten Ideen über die Natur der Kernkräfte, die Theorien über den Ursprung der kosmischen Strahlen und die Hypothesen über die Quelle der Astralenergie.

Aber der Optimismus, der den Geist angesichts solcher Ergebnisse überkommt, wird gedämpft durch ein Gefühl der Beklemmung und Sorge bei denen, die als Verantwortliche den Gang der Entwicklung verfolgen. Sorge und Beklemmung sind hier im höchsten Sinne zu verstehen als Zeichen des Trachtens nach einer immer vollkommeneren Ordnung des menschlichen Denkens und nach einer immer größeren Klarheit in ihren Perspektiven. Denn gerade die glänzenden Erfolge der Naturwissenschaften verlangen, dass zwei Forderungen gestellt werden, auf die wir bereits hingewiesen haben.

Schranken der Naturwissenschaft

Es handelt sich vor allem darum, den inneren Aufbau der materiellen Wesen zu ergründen und die Fragen zu erörtern, die den Grund ihres Seins und HandeIns berühren. Von selbst stellt sich dann die Frage: Kann die experimentelle Naturwissenschaft aus sich allein diese Fragen lösen? Gehören sie zu ihrem Aufgabengebiet und fallen sie in den Bereich ihrer experimentellen Forschungsmethoden? Die Antwort muss negativ sein. Die Naturwissenschaft geht von Sinneswahrnehmungen aus, die von Natur aus bloß äußerlich sind, und mit ihrer Hilfe steigt sie dann durch den Denkprozess immer tiefer in die verborgenen Schichten der Dinge hinab. Aber an einem gewissen Punkt muss sie haltmachen, wenn nämlich Fragen auftauchen, die man unmöglich mittels der Sinnesbeobachtung lösen kann.

Wenn der Wissenschaftler die Erfahrungsgegebenheiten deutet und bemüht ist, Erscheinungen zu erklären, die ihren Sitz in der materiellen Natur als solcher haben, braucht er ein Licht, das ihm den umgekehrten Weg weist, nämlich vom Absoluten zum Relativen, vom Notwendigen zum Zufälligen, und das imstande ist, ihm jene Wahrheit zu offenbaren, die die Naturwissenschaft mit ihren eigenen Methoden nicht erreichen kann, da sie sich nämlich der Sinneswahrnehmung gänzlich entzieht. Dieses Licht ist die Philosophie, d. h. die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen, die für jedes Wesen gelten und darum auch für den Bereich der Naturwissenschaften über die der Erfahrungswissenschaft zugänglichen Gesetze hinaus ihre Geltung bewahren.

Die zweite Forderung ergibt sich aus der Eigenart des menschlichen Geistes, der nach einer zusammenhängenden, einheitlichen Schau der Wahrheit verlangt. Wenn man sich begnügt, die einzelnen Sonderwissenschaften mit ihren Nebenzweigen wie ein Mosaik nebeneinanderzusetzen, erhält man eine Art anatomisches Bild, aus dem jedes Leben entflohen scheint. Der Mensch verlangt aber, dass ein Hauch lebendiger Einheit seine Kenntnisse belebe; nur so wird die Naturwissenschaft fruchtbar und bringt die Kultur einer organischen Lehre hervor. Von da aus stellt sich eine zweite Frage, da das Wissen sich aufteilt in unzählige Teilgebiete: Welche von den Einzelwissenschaften wäre wohl befähigt, diese Gesamtschau zu verwirklichen? Wir glauben auch hier, dass die Eigenart der Naturwissenschaft selbst ihr nicht erlaubt, eine solche alles umfassende Schau zu verwirklichen. Diese Zusammenfassung verlangt ein sehr tiefes und festes Fundament als Grundlage ihrer Einheit, das gleichzeitig auch die Wahrheiten allgemeiner Art trägt. Die verschiedenen Teile des so vereinheitlichten Gebäudes müssen in diesem Fundament Elemente finden, die die Grundlagen ihres Wesens selbst ausmachen. Eine höhere Kraft ist hier erforderlich: vereinheitlichend durch ihren alles in sich schließenden Geltungsbereich, klar in ihrer Tiefe, fest, da sie von keiner anderen Wissenschaft abhängig ist, wirksam, da alle sie brauchen. Um es noch einmal zu sagen: diese Kraft ist die Philosophie.

Naturwissenschaft und Philosophie

Seit einer gewissen Zeit haben sich leider Naturwissenschaft und Philosophie auseinandergelebt. Es würde schwerfallen, die Gründe und die Verantwortlichkeiten für eine so nachteilige Tatsache festzustellen. Sicher aber ist die Ursache für diese Scheidung nicht zu suchen in der Eigenart der beiden Wege, die zur Wahrheit führen, sondern in den geschichtlichen Zufälligkeiten und in den Menschen, die nicht immer über den guten Willen und die Sachkenntnis verfügten, die notwendig gewesen wären.

Die Wissenschaftler haben in einem gegebenen Augenblick geglaubt, dass die Naturphilosophie ein nutzloser Ballast sei, und haben sich geweigert, sich von ihr die Richtung weisen zu lassen. Andererseits haben die Philosophen nicht mehr Schritt gehalten mit den Fortschritten der Naturwissenschaft und sich auf Scheinstellungen verschanzt, die sie hätten aufgeben können. Aber zur Stunde, da sich, wie Wir gezeigt haben, unabweisbar die Notwendigkeit für eine ernsthafte Deutungsarbeit geltend macht und ebenso sehr für die Ausarbeitung einer umfassenden Synthese, sind die Gelehrten dem Einfluss der Philosophie erlegen, die Gunst oder Ungunst des Augenblicks ihnen zur Verfügung stellte. Viele unter ihnen sind sich womöglich gar nicht klar bewusst geworden, dass ihre wissenschaftlichen Forschungen die Nachwirkungen besonderer philosophischen Strömungen aufwiesen.

So hat beispielsweise die mechanistische Betrachtungsweise lange Zeit für die wissenschaftliche Deutung der beobachteten Tatsachen den Kurs bestimmt. Die Anhänger dieser philosophisch gefärbten Einstellung glaubten, dass sich jede Naturerscheinung auf ein Zusammenspiel von physischen, chemischen und mechanischen Kräften zurückführen lasse, wobei Veränderungen und Tätigkeit nur das Ergebnis sowohl einer verschiedenen Anordnung der Teilchen im Raume sei wie der Kräfte und Bewegungen, denen jedes derselben ausgesetzt ist. Daraus ergab sich die Folgerung, dass man theoretisch jedwede zukünftige Wirkung mit Sicherheit voraussehen konnte, unter der einen Bedingung, dass man am Ausgangspunkt alle geometrischen und mechanischen Gegebenheiten kannte.

Nach dieser Lehre wäre die Welt nichts anderes als eine riesige Maschine, die aus einer endlosen Reihe von andern untereinander verbundenen Maschinen zusammengesetzt ist.

Die weiteren Fortschritte der wissenschaftlichen Forschung haben jedoch die Unrichtigkeit dieser Hypothesen erwiesen. Die von den Tatsachen des Makrokosmos abgeleitete Mechanik ist außerstande, alle Erscheinungen des Mikrokosmos zu erklären und zu deuten. Es treten hier andere Elemente auf, die sich jeder mechanistisch gearteten Erklärung entziehen.

Das brennende Verlangen nach der Wahrheit

Der Misserfolg der mechanistischen Theorie hat andere Denker auf grundverschiedene Hypothesen gebracht, die sich eher durch eine Art wissenschaftlichen Idealismus hervortun, bei dem die Beachtung des handelnden Subjekts die Hauptrolle spielt. Zum Beispiel die Quantenmechanik und ihr Grundprinzip des Unbestimmtseins, mit der dabei vorausgesetzten Kritik des Kausalprinzips, erscheinen als wissenschaftliche Hypothesen, die von philosophischen Gedankengängen beeinflusst sind.

Weil aber diese Hypothesen selbst das Verlangen nach einer vollständigen Klarheit nicht erfüllen, sind viele berühmte Denker im Angesicht der philosophischen Fragen, die mit der Naturwissenschaft verknüpft sind, zu Skeptikern geworden. Sie behaupten, man müsse sich mit einfachen Feststellungen der Tatsachen zufrieden geben und versuchen, sie auf zusammenfassende einfache Formeln zu bringen, zwecks Voraussicht der möglichen Entwicklungen eines physikalischen Systems von den Anfangsgegebenheiten aus. Diese Geisteshaltung bedeutet, dass man auf die das Innere durchdringende Schau und die begriffliche Erfassung verzichtet und die Hoffnung verliert, geniale allumfassende Synthesen aufzustellen. Wir glauben jedoch nicht, dass ein solcher Pessimismus berechtigt ist. Wir halten eher dafür, dass die Naturwissenschaften in ständiger Berührung mit einer Philosophie des kritischen Realismus, wie er immer bei der philosophia perennis in ihren hervorragendsten Vertretern zu finden war, zu einer Gesamtschau der sichtbaren Welt gelangen können, die doch in irgendeiner Weise das Suchen und das brennende Verlangen nach der Wahrheit zufrieden stellt.

Es ist aber notwendig, noch einen anderen Punkt zu unterstreichen. Wenn die Naturwissenschaft verpflichtet ist, ihren Zusammenhang zu suchen und sich dabei von der gesunden Philosophie beeinflussen zu lassen, so darf diese sich jedoch niemals anmaßen, die Wahrheiten bestimmen zu wollen, die ausschließlich in das Gebiet der Erfahrung und der wissenschaftlichen Methode gehören. Denn nur die Erfahrung, in weitestem Sinne verstanden, kann anzeigen, welches in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Größen und der möglichen Gesetze des Stoffes die sind, die der Schöpfer tatsächlich hat verwirklichen wollen (Aus der Ansprache an die Plenarversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 24. April 1955).

32. RECHTSPRECHUNG ODER KOLLEKTIVSCHULD

DIE EINZELNEN STAATEN und Völker haben je ihr eigenes Strafrecht. Diese Strafrechte sind durch Zusammenfassung vieler einzelner Teile zustande gekommen, und es herrscht immer noch eine mehr oder minder große Verschiedenheit zwischen ihnen. Da man heute so leicht den Wohnsitz wechselt und häufig von einem Staat in den andern übergeht, ist es wünschenswert, dass zum mindesten die schwersten Delikte überall und wenn möglich gleich streng bestraft werden, so dass sich die Schuldigen nirgendwo der Strafe entziehen oder ihr entzogen werden können ...

Wenn das, was Wir gesagt haben, schon in normalen Zeiten gilt, so wird es ganz besonders dringlich in Kriegszeiten und bei heftigen politischen Wirren, wenn Bürgerkriege im Innern eines Staates ausbrechen. Der politische Rechtsbrecher stört die soziale Lebensordnung ebenso sehr wie der Rechtsbrecher nach gemeinem Recht; weder der eine noch der andere darf sich sicher vor Strafe fühlen ...

Die Lehren der beiden Weltkriege

Unsere Erfahrungen umfassen zwei Weltkriege mit ihren Nachwirkungen. In ihrem Verlauf haben sich im Innern der Länder und zwischen den Ländern und als sich die politischen Totalitdrismen frei entfalten konnten, Dinge ereignet, deren einziges Gesetz Gewalt und Erfolg war; es zeigte sich damals ein unter normalen Umständen unvorstellbarer Zynismus bei der Erreichung der erstrebten Ziele und der Lahmlegung des Gegners. Dieser wurde allgemein nicht mehr als Mensch betrachtet. Nicht blinde Naturkräfte, sondern Menschen haben bald in blinder Leidenschaft, bald mit kalter Berechnung unbeschreibliche Leiden, Elend und Vernichtung über einzelne, Gemeinschaften und Völker gebracht.

Diejenigen, die so handelten, fühlten sich sicher oder versuchten, sich die Zusicherung zu verschaffen, dass sie nirgends und durch niemanden zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Wenn sich das Glück gegen sie wandte, blieb ihnen immer noch der Ausweg, ins Ausland zu fliehen. Das war die Geistesverfassung derer, die sich selber wie Verbrecher benahmen oder die kraft ihrer Macht anderen befahlen, sie zu handeln zwangen oder zuließen, dass sie Verbrechen begingen, obgleich sie sie hätten daran hindern können, wie sie verpflichtet waren.

Bei den Betroffenen schuf dies den Eindruck, es gebe kein Recht und keinen Schutz mehr und sie seien der Willkür und brutalen Gewalt ausgeliefert. Aber es enthüllte auch eine Rechtslücke: Jene Schuldigen, von denen Wir gesprochen haben, müssen ohne Ansehen der Person gezwungen werden können, Rechenschaft abzulegen und ihre Strafe auf sich zu nehmen, und nichts darf sie der Bestrafung ihrer Taten entziehen, weder der Erfolg noch selbst der "höhere Befehl", den sie erhalten haben.

Der angeborene Gerechtigkeitssinn des Menschen verlangt eine solche Bestrafung und erblickt in der Androhung einer Strafe, die auf alle angewandt wird, eine, wenn nicht unfehlbare, so doch wenigstens nicht zu missachtende Garantie gegen solche Delikte. Dieser Gerechtigkeitssinn hat im großen und ganzen genügenden Ausdruck im Strafrecht der einzelnen Staaten gefunden, was die Delikte des gemeinen Rechts anbetrifft, in geringerem Maße im Falle politischer Gewalttaten im Inneren der Staaten und bisher nur ganz ungenügend für die Kriegsereignisse zwischen den Staaten und Völkern.

Und doch stellt ein ausgeglichener Rechtssinn hier keine weniger evidenten, weniger dringenden Forderungen auf. Und wenn sie erfüllt werden, wird man deren vorbeugende Kraft nicht weniger spüren. Die durch Verträge bestätigte Gewissheit, dass man Rechenschaft ablegen muss - selbst wenn der kriminelle Akt gelingt, selbst wenn man das Verbrechen im Ausland begeht, selbst wenn man nach seiner Begehung ins Ausland flieht -, diese Gewissheit ist eine nicht zu unterschätzende Garantie. Die Einsicht in diese Zusammenhänge lässt selbst den Mann von der Straße die Bedeutung des internationalen Strafrechtes erkennen. Bei diesem handelt es sich in der Tat nicht mehr nur um Forderungen der menschlichen Natur und der sittlichen Pflicht, sondern um die Ausarbeitung von klar bestimmten Rechtsnormen mit Zwangscharakter, die auf Grund formeller Verträge für die Vertrags schließenden Staaten bindendes Recht werden ...

Wenn schon das gewöhnliche Strafrecht den Grundsatz anwenden muss, dass es sich nicht auf alle Akte erstrecken kann, die gegen die Moral verstoßen, sondern nur auf diejenigen, die die Ordnung des Gemeinschaftslebens ernstlich bedrohen, so verdient dieser Grundsatz eine ganz besondere Beachtung bei der Ausarbeitung eines internationalen Strafrechts (Vgl. Thomas von Aquin, S. Theol. 1a 2ae p • q. 96a • 2 und 1). Es würde den Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilen, wenn man internationale Konventionen für alle auch noch so geringen Rechtsbrüche schaffen wollte. Man kann sich hier nur an die besonders schweren, ja nur an die allerschwersten Delikte halten. Nur in Bezug auf diese kann man das Strafrecht zwischen den Staaten uniformieren.

An erster Stelle steht das Verbrechen des modernen Krieges, der nicht durch die unbedingte Notwendigkeit, sich zu verteidigen, gefordert ist und der - Wir können es, ohne zu zaudern, sagen - unvorstellbare Zerstörungen, Leiden und Schrecken mit sich bringt. Die Völkergemeinschaft muss mit gewissenlosen Verbrechern rechnen, die zur Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Pläne nicht davor zurückscheuen, einen totalen Krieg zu entfesseln. Darum müssen sich die anderen Völker, wenn sie ihre Existenz und ihre kostbaren Güter beschützen und nicht zulassen wollen, dass der internationale Übeltäter tut, was er will, wohl oder übel auf den Tag vorbereiten, wo sie sich verteidigen müssen. Dieses Recht, sich in der Verteidigung zu halten, kann man selbst heute keinem Staat verweigern. Das ändert im übrigen absolut nichts an der Tatsache, dass der ungerechte Krieg an die erste Stelle der schwersten Verbrechen zu stellen ist, die das internationale Strafrecht auf die schwarze Liste setzt und mit den schwersten Strafen belegt und deren Urheber auf jeden Fall schuldig und der vorgesehenen Strafe verfallen sind.

Kriegsverbrechen

Die Weltkriege, die die Menschheit erlebt hat, und die Ereignisse, die sich in den totalitären Staaten abspielen, haben noch viele andere, zum Teil sehr schwere Untaten gezeitigt, die ein internationales Strafrecht unmöglich machen oder von denen es die Staatengemeinschaft befreien sollte. So sind auch in einem gerechten und notwendigen Krieg nicht alle wirksamen Mittel für einen Menschen mit gesundem und vernünftigem Rechtsempfinden annehmbar. Die Massenerschießung Unschuldiger als Repressalie für den Fehler eines einzelnen ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern eine strafbare Ungerechtigkeit; unschuldige Geiseln zu erschießen wird nicht dadurch ein Recht, dass man es als Kriegnotwendigkeit hinstellt. In den letzten zehn Jahren hat man Massenmorde aus Rassenhass gesehen; man hat angesichts der ganzen Welt die Schrecken und Grausamkeiten der Konzentrationslager begangen; man hat vor der "Liquidierung" von Hunderttausenden gehört, die als "Lebensunfähiges Leben" bezeichnet wurden, von erbarmungslosen Deportationen, deren Opfer oft mit Weib und Kind dem Elend ausgeliefert wurden, von der Vergewaltigung einer riesigen Zahl von schutzlosen jungen Mädchen und Frauen, von organisierter Menschenjagd in der Zivilbevölkerung, um Arbeiter oder besser Arbeitssklaven zu rekrutieren.

Die Verwaltung der Gerechtigkeit entartete hie und da bis zur völligen Willkür sowohl im Untersuchungsverfahren wie bei der Urteilsfällung oder Ausführung der Sentenz. Um sich an jemandem zu rächen, dessen Taten vielleicht moralisch untadelhaft waren, hat man sich gelegentlich nicht einmal gescheut, sich an dessen Angehörigen zu vergreifen.

Diese wenigen Beispiele - Sie wissen, es gibt noch viele andere - mögen genügen, um zu zeigen, welche Art von Delikten den Gegenstand internationaler Verträge bilden müssten, Verträgen, die imstande wären, einen wirksamen Schutz zu bilden; sie müssten die zu verfolgenden Straftaten exakt angeben und ihre Merkmale mit juristischer Genauigkeit festlegen.

Recht und Maß der Strafe

Der dritte Punkt, der zum mindesten eine kurze Erwähnung verlangt, betrifft die durch das internationale Strafrecht zu beantragenden Strafen. Hier kann eine allgemeine Bemerkung genügen.

Es gibt eine Art zu strafen, die das Strafrecht geradezu lächerlich macht, aber es gibt eine andere, die jedes vernünftige Maß überschreitet. Wo mit dem menschlichen Leben ein verbrecherisches Spiel getrieben wird, wo Hunderte und Tausende von Menschen dem äußersten Elend überliefert und zur Verzweiflung getrieben werden, da würde eine bloße Aberkennung der bürgerlichen Rechte eine Beleidigung der Gerechtigkeit sein. Wenn dagegen die Übertretung einer Polizeivorschrift oder ein unbedachtes Wort gegen die Obrigkeit durch Erschießung oder lebenslängliche Zwangsarbeit bestraft wird, empört sich der Gerechtigkeitssinn. Die Festlegung der Strafen im Strafrecht und ihre Anwendung auf den Einzelfall müssen der Schwere des Deliktes entsprechen.

Verteidigung

Zu den Garantien der Rechtsprechung gehört auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte sich wirklich und nicht nur der Form nach verteidigt. Es muss ihm sowohl wie seinem Verteidiger erlaubt sein, dem Gericht alles zu unterbreiten, was zu seinen Gunsten spricht; es ist nicht zulässig, dass die Verteidigung nur das vorbringen kann, was dem Gerichtshof und einer parteiischen Rechtsprechung angenehm ist.

Zu den Garantien des Rechts gehört als ein wesentlicher Faktor die unparteiische Zusammensetzung des Gerichtshofs. Der Richter darf nicht Partei sein, weder persönlich noch für den Staat. Ein Richter, der den echten Gerechtigkeitssinn besitzt, wird von sich aus auf die Ausübung seines Richteramtes verzichten, wo er sich als Partei betrachten müsste. Die "Volksgerichte", die in den totalitären Staaten ausschließlich aus Mitgliedern der Partei zusammengesetzt wurden, boten keinerlei rechtliche Garantien.

Die Unparteilichkeit des Richterkollegiums muss auch und vor allem dann gesichert sein, wenn die internationalen Beziehungen in die Strafverfahren hineinspielen. In einem solchen Fall kann es notwendig sein, sich an einen internationalen Gerichtshof zu wenden oder wenigstens gegenüber einem nationalen Gerichtshof beim internationalen Gericht Berufung einzulegen. Einem unbeteiligten Dritten bereitet es Unbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluss der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger gegenüber dem Besiegten ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat. Die Besiegten können zweifellos schuldig sein; ihre Richter können ein offenbares Rechtsgefühl und den Willen zu völliger Objektivität haben; trotzdem verlangt in solchen Fällen oft das Interesse des Rechts und das Vertrauen, das für das Urteil beansprucht wird, die Zuziehung von neutralen Richtern zum Gerichtshof, so dass die entscheidende Mehrheit von diesen abhängt. Der neutrale Richter darf es in solchen Fällen nicht als seine Aufgabe betrachten, den Angeklagten freizusprechen; er muss das bestehende Recht anwenden und sich demgemäß verhalten. Aber diese Zuziehung gibt allen unmittelbar Interessierten, allen neutralen Dritten und der Weltöffentlichkeit eine größere Gewissheit, dass "Recht" gesprochen worden ist. Gewiss stellt sie eine gewisse Begrenzung der eigenen Souveränität dar, aber dieser Verzicht wird mehr als aufgewogen durch den Zuwachs an Prestige, an Achtung und Vertrauen gegenüber den richterlichen Entscheidungen des Staates, der so vorgeht ...

Die Nachkriegsprozesse

Das alles findet man schon im gewöhnlichen Strafprozess. Aber die zahlreichen Kriegs- und Nachkriegsprozesse bis auf den heutigen Tag haben dem Problem eine besondere Physiognomie gegeben. Der Richter musste dabei und muss noch den Fall derjenigen untersuchen, die auf Befehl anderer ein Verbrechen begangen haben oder die es nicht verhindert haben, obgleich sie es gekonnt oder gesollt hätten. Noch häufiger erhob sich die Frage der Verschuldung derjenigen, die Verbrechen nur auf Befehl ihrer Vorgesetzten oder sogar von diesen unter Androhung der schwersten Strafen und oft des Todes gezwungen, begangen haben. Die Angeklagten haben sich in diesen Prozessen häufig auf diesen Umstand berufen, dass sie nur auf Befehl "höherer Instanzen" gehandelt haben.

Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen zu erreichen, dass einerseits die Vorgesetzten rechtlich außerstand gesetzt werden, Verbrechen zu befehlen, und dass sie bestraft werden, wenn sie derartige Befehle erteilt haben, und dass andererseits ihre Untergebenen davon dispensiert werden, solche Befehle auszuführen, und dass sie strafbar werden, wenn sie gehorchen? Wird es möglich sein, durch internationale Abkommen den rechtlichen Widerspruch zu beseitigen, nach dem ein Untergebener in seinem Besitz, seinen Gütern und seinem Leben bedroht ist, wenn er nicht gehorcht, und wenn er gehorcht, fürchten muss, dass nach Beendigung der Feindseligkeiten die beleidigte Partei, wenn sie den Sieg davonträgt, ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht stellt? Wie klar auch die moralische Norm in all diesen Fällen sein mag - keine höhere Instanz ist berechtigt, einen unmoralischen Akt zu befehlen; es gibt kein Recht, keine Verpflichtung, keine Erlaubnis, einen an sich unmoralischen Akt auszuführen, selbst wenn er befohlen ist, selbst wenn die Weigerung, zu handeln, die schlimmsten persönlichen Schädigungen nach sich zieht ...

Die Kollektivschuld

Dieselbe Notwendigkeit einer internationalen Regelung besteht im Hinblick auf das so oft in diesen letzten Jahren angeführte und angewandte Prinzip der bloß kollektiven Schuld, auf Grund dessen der Richter im Prozess über die Verschuldung des Angeklagten urteilen sollte und das öfter noch dazu diente, Verwaltungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Die Staaten und die Gerichte, die im Prinzip der Kollektivschuld eine Rechtfertigung für ihre Ansprüche und ihr Vorgehen finden, beriefen sich darauf theoretisch und wandten es als Richtschnur des Handelns an. Die Gegner bestritten es und betrachteten es sogar als in jeder nur von Menschen aufgestellten Ordnung für unannehmbar, weil es sowohl in sich wie auch vom juristischen Standpunkt aus Widersprüche enthält. Aber auch hier handelt es sich im Augenblick nicht um das ethische und philosophische Problem der bloß kollektiven Schuld; es handelt sich vielmehr darum, eine praktische Formel zu finden und rechtlich zu fixieren, die in einem Konfliktfall, besonders einem internationalen Konflikt, wo die Kollektivschuld von entscheidender Bedeutung zur Feststellung der Schuld sein kann und mehr als einmal gewesen ist, angewandt werden kann. Die Garantie eines regelmäßigen juristischen Vorgehens fordert hier, dass das Handeln der Regierungen und der Tribunale der Willkür und der rein persönlichen Meinung entzogen wird und eine solide Grundlage juristisch klarer Normen erhält, eine Grundlage, die der gesunden Vernunft und dem allgemeinen Rechtsempfinden entspricht und der die vertragschließenden Regierungen ihre Autorität und ihre Zwangsgewalt zur Verfügung stellen können (Aus der Ansprache an die Teilnehmer des 6. Internationalen Kongresses für Strafrecht, 3. Oktober 1953).

33. ÜBER DAS THEATER

EIN ZIEMLICH WEIT VERBREITETES ALTES VORURTEIL bringt Kirche und Theater in einen Gegensatz, beinahe in eine gegenseitige Feindschaft. Diese irrige Auffassung ist unbegründet und ungerecht ...

Das Publikum, bezaubert, vergessend, dass es gekommen ist, zu sehen und zu hören, lebt das Bühnengeschehen mit und wird in gewissem Sinne mehr zu seinem Darsteller als zu seinem Zeugen. Es lebt, fühlt, vibriert, schaudert mit allen Kräften in der ganzen Lebendigkeit der Eindrücke. Und diese Erregung seines ganzen Wesens wird von den Autoren, Schauspielern und Schauspielerinnen des Theaters und des Films in Bewegung gesetzt und gehalten. Zumeist ist der Eindruck von Dauer, manchmal unauslöschlich. Der Zuschauer trägt, wenn er den Saal verlässt, tiefe Überzeugungen oder zähe Vorurteile, hohe Bestrebungen oder verwerfliche Begehrlichkeiten mit sich und in sich fort.

Wenn schon die Geschichte in der Hand verschiedener Autoren bei der Heraufbeschwörung derselben Tatsachen tendenziös und parteiisch werden, wenn sie der Verbreitung entgegengesetzter Thesen dienen kann, was soll man dann vom Drama sagen, das so unmittelbar auf das Gemüt des Zuschauers, auf seine Sinne, seine Phantasie, seine Eindrucksfähigkeit, oft mehr als auf seine Vernunft und sein Urteil wirkt?

Es ist eine drückende, zugleich aber auch hohe und edle Verantwortung. Wie kommt es aber, dass andere sie so leicht und skrupellos nehmen und ihr Handeln und ihren Einfluss auf Geist und Herz des Menschen, insbesondere des jungen Menschen, nur gebrauchen, um zu verderben und zu erniedrigen?

Versuchungen für Autor und Darsteller

Wir glauben zwei Hauptursachen dieser verhängnisvollen Unordnung zu erkennen. Die erste ist der Mangel an Charakter und Energie, der dazu führt, dass man den Wünschen und Forderungen eines verwöhnten Publikums nachgibt, seinen Leidenschaften und schlechten Neigungen schmeichelt und als Gegenleistung um seinen Beifall, sein schallendes Gelächter und vor allem den reichlichen Gewinn bittet, mit dem solche Schaustellungen belohnt werden. Allzu leichte große Erfolge treiben an, immer Neues zu bieten, und diese Darbietungen erfordern wenig Geist vom Verfasser und ebenso wenig Anmut und Geschick von dem Aufführenden. Aber inzwischen fordert der an sich schon niedere Geschmack, der immer nur noch gröber wird, ein stärkeres Gift und sinkt so immer tiefer!

Die andere Ursache des Übels könnte weniger gefährlich und schädlich erscheinen: so subtil und so menschlich ist sie! Die Versuchung für einen Autor ist sehr groß, die Feinheit und Tiefe seiner psychologischen Einfühlung hervorzuheben, indem er die Analyse der Charaktere und auch der zartesten Gefühle oder der wildesten Leidenschaften bis zum äußersten treibt; desgleichen die Reichtümer seiner Palette in der Schilderung der Handlungen und der Sitten zu verschwenden. Es ist eine große Versuchung für den Schauspieler, die Darstellung zu forcieren oder abzuschwächen, um das Werk eines anderen nach dem eigenen Charakter zu modellieren; bis an die Grenzen der Diskretion zu streifen - unter der Gefahr, sie zu überschreiten - um die eigene Begabung und die eigene, auch die physische Anziehungskraft zur Geltung zu bringen ...

Cicero erzählt im zweiten Buch seines Traktats "Der Redner" er selbst habe oft gesehen - saepe ipse vidi - wie die Augen eines Schauspielers glühten, wenn er gewisse Verse des Pacuvius rezitierte, und dass derselbe Schauspieler nie das Wort paternurn aspecturn (Anblick des Vaters) aussprach, ohne dass er, Cicero, den Eindruck hatte, er stehe dem wirklichen Telamon gegenüber, den der Schmerz über den Tod seines Sohnes wahnsinnig gemacht hatte. Wenn dann der Schauspieler, den Ausdruck der Stimme wechselnd, in bewegtem Ton seine Rede wiederaufnahm, inflexa ad miserabilern sonum voce, mischten sich Tränen und Seufzer in seine Worte. "Wenn ein Schauspieler diese Verse nicht ohne lebhafte Bewegung deklamieren konnte, glaubt ihr", so schließt der große römische Redner, "dass Pacuvius, als er sie schrieb, ruhig und unbewegt geblieben sei?"

Welch herrliches Feld des Wirkens!

Es ist einsichtig, dass jeder Mitarbeiter am dramatischen Werk, der sich den Forderungen des Publikums ergibt, statt sie zu beherrschen, der sich kleinlicher Eitelkeit überlässt oder sich von der Gier nach einem Gewinn unterjochen lässt, den das Gewissen tadelt, nicht nur etwas von seiner eigenen Würde verliert, sondern auch die Kunst beleidigt. Er zeigt dadurch, dass er sie nicht stark genug liebt, um den Launen des schlechten Geschmacks zu widerstehen, und dass er auch nicht selbstlos genug ist, um sie den Lockungen eitler Ruhmsucht oder des Gewinns vorzuziehen ...

Welch herrliches Tätigkeitsfeld bietet sich doch den Autoren von Dramen, Regisseuren wie Theaterkritikern! Ihnen obliegt es, den Kontakt zwischen dem Publikum und den schönen und edlen Schöpfungen des menschlichen Genius zu festigen, an der Neubildung guten Geschmacks und einer sittlich einwandfreien Darbietung mitzuarbeiten.

Was aber Schauspieler und Schauspielerinnen angeht, so sind die Freude und der Stolz natürlich und verständlich, welche Gemüt und Herz bei rauschendem Beifall durchfluten! Ehre denen, die im Bewusstsein ihrer schweren Verantwortung und der Würde ihrer Sendung und in dem Einfluss auf die Seelen nur ein Mittel erblicken, um sie über das Irdische fort zum Ideal hin zu erheben! Solche Schauspieler und Darstellerinnen betreten die Bühne nicht, ohne vorher ihre Gedanken und ihren Vorsatz zu Gott zu erheben. Es überrascht daher nicht, zu sehen, wie Christus mitunter aus ihren Reihen überlegene Geister erwählt, sie erleuchtet und zu den mystischen Höhen eines Lebens der Vollkommenheit führt (Aus der Ansprache an das Katholische Theaterzentrum, 26. August 1945).

34. GUTE UND SCHLECHTE BÜCHER

DER ERSTE MENSCH, der aus dem Wunsche, seine Gedanken anderen Menschen in einer Form mitzuteilen, die dauerhafter wäre als der flüchtige Klang der Worte, in die Wände einer Höhle, vielleicht mit einem rauen Kieselstein, bestimmte Zeichen eingrub, deren Bedeutung er festlegte und erklärte, erfand die Schrift und zugleich die Kunst des Lesens. Lesen heißt vermittels mehr oder weniger komplizierter graphischer Zeichen in die Gedanken eines anderen eintreten. Da aber "die Gedanken der Gerechten Gerechtigkeit sind und die Ratschläge der Gottlosen trügerisch", so folgt daraus, dass manche Bücher ebenso wie manche Worte Quellen des Lichts, der Kraft, der geistlichen und sittlichen Freiheit sind, während andere nichts als Nachstellungen und Gelegenheiten zur Sünde bringen. So lehrt die Heilige Schrift: "Cogitationes iustorum iudicia, et consilia impiorum fraudolenta. Verba impiorum insidiantur sanguini; os iustorum liberabit eos. - Der Gerechten Denken geht nur aufs Rechte; der Frevler Ränke einzig nach Trug. Die Worte der Gottlosen sind ein Lauern auf Blut; der Mund der Gerechten aber wird sie befreien" (Spr 12, 5-6). Es gibt also gute und schlechte Lektüre, wie es gute und schlechte Worte gibt.

Denkt einmal aufmerksam nach und überlegt ehrlich, woher das Beste in euch kommt. Warum glaubt ihr an Gott, an seinen Sohn, der Fleisch geworden ist zur Erlösung der Welt, an seine Mutter, die auch eure Mutter ist? Warum gehorcht ihr seinen Geboten, liebt ihr eure Eltern, euer Vaterland, euren Nächsten? Warum seid ihr entschlossen, einen Hausstand zu gründen, dessen König Jesus sein soll und dessen Schatz an christlichen Tugenden ihr euren Kindern überliefern wollt? Gewiss deshalb, weil ihr den christlichen Glauben in der Taufe erhalten habt, weil eure Eltern, euer Pfarrer, eure Lehrer und Lehrerinnen in der Schule euch mit Wort und Beispiel gelehrt haben, Gutes zu tun und das Böse zu meiden. Aber forscht noch besser nach. Zu den besten und entscheidendsten Erinnerungen werden wahrscheinlich die an einige Bücher gehören, die euch innerlich bereichert haben: den Katechismus, die biblische Geschichte, das Evangelium, das Messbuch, euer Kirchenblatt, die Nachfolge Christi, die Geschichte der Heiligen und ähnliche (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 21. Juli 1940).

Der Index

Jeder von euch weiß aber auch, dass es schlechte Bücher gibt, Bücher, die schlecht für jeden sind, ähnlich jenen Giften, gegen die sich keiner für gefeit halten kann. Wie in jedem Menschen das Fleisch der Schwäche unterworfen ist und der Geist zur Auflehnung neigt, so ist derlei Lektüre für jeden eine Gefahr. Die Apostelgeschichte berichtet, dass während der Predigt des heiligen Paulus in Ephesus viele von denen, die bis dahin eitlen und abergläubischen Künsten nachgegangen waren, ihre Bücher öffentlich verbrannten. In der Folge trugen die Päpste Sorge, einen Katalog oder Index derjenigen Bücher herauszugeben, deren Lektüre den Gläubigen untersagt ist.

Es ist ebenso noch zu bemerken, dass viele andere Bücher, obgleich sie nicht ausdrücklich durch den Index genannt werden, unter dasselbe Verbot fallen, weil sie dem Glauben und den guten Sitten schädlich sind ...

Wenn Wir an dies erinnern, so deshalb, weil in der Gegenwart die Buchproduktion ständig wächst, und viele sich die Freiheit anmaßen, alles zu lesen. Aber es kann keine Freiheit geben, alles zu lesen, wie es auch keine Freiheit gibt, alles, was man gerade zur Hand hat, zu essen und zu trinken, wie etwa Kokain oder Blausäure.

Gewiss wird nicht untersagt, den Zauber von Erzählungen reiner und gesunder menschlicher Zärtlichkeit auf sich wirken zu lassen. Selbst die Heilige Schrift bietet Szenen dieser Art, die durch Jahrhunderte ihre idyllische Frische bewahrt haben, wie die Begegnung Jakobs und Rachels oder die Verlobung des jungen Tobias. Es gibt genug geistvolle Autoren, die gute und sittlich wertvolle Romane geschrieben haben. Aber neben diesen reinen Blüten, welch üppiges Sprießen giftiger Gewächse in dem weiten Reich der Werke der Phantasie! Allzu oft werden diese, weil leichter zugänglich und auffallend dargeboten, gepflückt und wegen ihres schärferen und berauschenden Dufts eingeatmet.

"Ich bin kein Kind mehr" - sagt die junge Frau - "und kenne das Leben; daher habe ich den Wunsch und das Recht, es noch besser kennenzulernen. " Die Arme merkt gar nicht, dass sie die Sprache Evas im Anblick der verbotenen Frucht spricht. Glaubt sie etwa, dass man, um das Leben zu kennen, zu lieben, zu nützen, seine Missbräuche und seine Missbildungen erforschen muss?

"Ich bin kein Kind mehr" - sagt auch der junge Mann - "in meinem Alter richten sinnliche Schilderungen und lüsterne Szenen keinen Schaden mehr an." ist er dessen wirklich sicher? Wenn es wahr wäre, wäre es bereits ein Zeichen unbewusster Verderbtheit, die oft die Frucht schlechter Lektüre ist.

Glaubet aber nicht, junge Männer und junge Frauen, die ihr euch manchmal hinreißen lasst, bedenkliche Bücher, vielleicht insgeheim, zu lesen, dass dies ohne Wirkung auf euch bliebe. Fürchtet vielmehr, dass die Wirkung, wenn sie nicht sofort eintritt, um so bösartiger ist. In tropischen Ländern gibt es Insekten, wie die Tsetsefliege, deren Stich keinen plötzlichen Tod verursacht, sondern nur eine vorübergehende Reizung, dafür aber zerstörende Tripanosomen in das Blut einführt ...

Gefahren schlechter Lektüre

Unter gewissen Gesichtspunkten ist die Gefahr der schlechten Lektüre noch verhängnisvoller als die der schlechten Gesellschaft, weil sie sich in hinterhältiger Weise vertraut zu machen versteht. Wie viele junge Mädchen und Frauen lassen sich von einem Buch, das gerade Mode ist, schlechtweg Dinge sagen, die sie anderen in ihrer Gegenwart nicht einmal zu flüstern erlauben würden; oder lassen sich von ihm Szenen schildern, deren Mitwirkende oder Opfer sie um nichts in der Welt sein möchten! So aber bereiten sie sich vor, es morgen selbst zu sein! Andere Christen, die seit ihrer Kindheit auf rechtem Weg gewandelt, sehen sich mit Schrecken plötzlich Versuchungen gegenüber, die sie bedrücken und vor denen sie sich immer schwächer fühlen. Vielleicht müssten sie zugeben, würden sie ihr Gewissen aufrichtig befragen, dass sie einen schlechten Roman gelesen oder eine unmoralische Zeitschrift durchgeblättert haben! Können diese armen Menschen sich mit Recht beklagen, dass die Schlammflut sie zu ersticken droht, nachdem sie einem Ozean von Gift die Deiche geöffnet haben? ... (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 21. Juli 1940).

35. FILM, RUNDFUNK UND FERNSEHEN

DIE KIRCHE, die Hüterin der Lehre des Heils und aller Heiligungsmittel, hat das ursprüngliche und unveräußerliche Recht auf die Weitergabe des ihr durch den göttlichen Auftrag anvertrauten Schatzes. Diesem geheiligten Recht entspricht notwendig eine Verpflichtung der Träger öffentlicher Gewalt, der Kirche zur Weitergabe von Wahrheit und sittlichen Werten den Zugang zu diesen Kommunikationsmitteln offen zu halten ...

Wenn Wir aber das Recht der Kirche so betonen, so wollen Wir doch nicht der staatlichen Gesellschaft das Recht bestreiten, unter Verwendung dieser technischen Möglichkeiten jene Nachrichten und Aufklärungen zu verbreiten, die im Sinne des Gemeinwohls der menschlichen Gesellschaft notwendig oder nützlich sind. Darüber hinaus steht auch allen einzelnen Bürgern das Recht zu, immer in angemessener Rücksicht auf die jeweiligen Umstände und unter Rücksichtnahme auf die Forderung des Gemeinwohls, nach besten Kräften beizutragen zur Erweiterung ihrer und ihrer Mitmenschen geistigen und seelischen Bildung in Auswertung dieser neuen Möglichkeiten.

Irrige Meinungen über die Freiheit

Der christlichen Lehre und dem höheren Zweck der genannten publizistischen Mittel widerspricht jedoch die Einstellung aller, die diese Erfindung lediglich in den Dienst der Politik und ihrer Propaganda oder des wirtschaftlichen Fortschritts stellen wollen, also diesen hochwertigen Gegenstand nur unter rein kommerziellem Gesichtspunkt betrachten.

Ebenfalls kann die Anschauung jener nicht gebilligt werden, die auf einer schrankenlosen Freiheit der Darstellung und der Verbreitung bestehen. Es liegt doch offen zutage, in welchem Umfang in den vergangenen Jahren Schäden für Leib und Seele aus diesen Grundsätzen erwachsen sind. Hier handelt es sich nämlich nicht mehr um die recht verstandene Freiheit, von der Wir oben gesprochen haben, sondern vielmehr um die zügellose Willkür, alles und jedes ohne irgendeine Hemmung an andere heranzutragen, sei es auch gegen die guten Sitten und eine schwere Gefahr für die Seelen.

Die Kirche, die alles pflegt und fördert, was Geist und Herz wahrhaft veredelt und bereichert - hegt und hütet sie doch Wissenschaft und Kunst -, kann nicht die Verletzung jener Grundsätze und Normen dulden, die den Menschen auf Gott, das höchste Ziel, hinordnen und hinführen. Niemand wundere sich deshalb, wenn sie auch in dieser Frage, in der viel Vorsicht geboten ist, besonnen und umsichtig vorgeht nach dem Wort des Apostels: "Prüfet alles; was gut ist, behaltet. Von jeder Art Bösem haltet euch fern."

Zweifelsohne sind deshalb die abzuweisen, die immer und immer wieder behaupten, die Darstellung all dieser Dinge sei unbedingt zu fördern, auch von Gegenständen, die eindeutig dem Sittengesetz widersprechen, falls sie nur technisch und künstlerisch einwandfrei sind. Wir haben aus Anlass der Fünfhundertjahrfeier des Todes von Fra Angelico Unseren Zuhörern kurz ins Gedächtnis gerufen: "Zwar brauchen die freien Künste nicht ausdrücklich auf sittliche oder religiöse Zwecke ausgerichtet zu sein. Wenn jedoch die Gestalt der menschlichen Künste in Wort, Ton und Bild trügerische, hohle oder verwirrende Maßstäbe hat, die dem göttlichen Schöpfungsplan nicht entsprechen; wenn sie gar, statt in Geist und Herz edlen Sinn zu wecken, im Gegenteil niedere Gier und Leidenschaft aufreizt, dann kann sie zwar die Menschen ansprechen, weil es um nicht immer gerade gehaltvolle Sensation geht, oder auch um jenes Körnchens Wahrheit wegen, das in jedem Ding beschlossen liegt. Aber solcherart Kunst verliert ihren Rang und irrt weit ab von ihrem ursprünglichen und unentbehrlichen Prinzip. Darum kann sie nicht allumfassend weit und ewig sein, wie der menschliche Geist, an den sie sich wendet."

Filmverleih und Filmvertrieb

Unsere Aufforderungen an die Filmtheaterleiter möchten Wir auch an die Filmverleiher richten. Bei der Produktion von Filmen leisten sie häufig finanzielle Hilfe und haben dadurch größeren Einfluss. Um so schwerer sind sie verpflichtet, auf einwandfreie Filme zu drängen. Der Filmverleih ist nämlich durchaus nicht lediglich eine technische Funktion, denn der Film - Wir sagten es schon öfter - ist nicht nur eine Ware, sondern weit mehr: er ist geistige Kost sowie Schule seelischer und sittlicher Bildung des Volkes. Darum hat der Filmverleih und der Filmvertrieb in gleicher Weise Anteil an Verantwortung und Verdienst, je nachdem es sich um Filme mit guten oder schlechten Wirkungen handelt.

Darsteller, Produzent und Regisseur

Nicht gering ist auch die Gewissenspflicht der Filmdarsteller bei der Verwirklichung besserer Grundsätze im Filmwesen. Im Bewusstsein ihrer Würde als Menschen und Künstler sollen sie wissen, dass sie sich nicht dazu hergeben dürfen, ihre Gestaltungskraft für einzelne Szenen oder ganze Filme, die den guten Sitten widersprechen, zur Verfügung zu stellen. Jeder durch künstlerische Begabung oder Leistung anerkannte Schauspieler muss sein Ansehen in der Öffentlichkeit benutzen, um das Publikum zum Guten und Edlen zu führen. Er möge auch an seine vornehme Verpflichtung denken, in seinem Privatleben für andere beispielhaft zu sein. In einer Ansprache an Schauspieler sagten Wir einmal: "Jedermann versteht die heftige Gemütsbewegung, die euch erfasst und euch mit Freude und Stolz erfüllt, wenn das Publikum auf euch schaut, euch begrüßt, euch zujubelt und euch umtobt." Solches Empfinden ist durchaus berechtigt. Doch sollte ein christlicher Darsteller von der Menge nicht solcherart Ovationen entgegennehmen, die schon fast einem Götzendienst ähnlich sehen. Denn auch von ihm gilt das Wort des Erlösers: "So leuchte euer Licht vor den Menschen, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater preisen, der im Himmel ist."

Die Hauptlast der Verantwortung, obschon in verschiedener Richtung, tragen die Produzenten und Regisseure. Indessen bildet diese Gewissensbelastung kein Hindernis für ihren wertvollen Beruf. Sie ist eher dazu angetan, denen Mut zu machen, die mit bestem Wollen, den notwendigen finanziellen Mitteln und der erforderlichen Begabung Filme herstellen.

Nicht selten geraten Autoren und Regisseure in ernste Konflikte zwischen der Eigengesetzlichkeit der Kunst und den Forderungen von Religion und Sittlichkeit. In diesem Falle sollte man vor der Fertigstellung des Films oder während der Dreharbeiten ein sachverständiges Urteil und Gutachten einholen, um sowohl dem geistigen Nutzen der Zuschauer als auch der Vollendung des Werkes gerecht zu werden. Man sollte kein Bedenken tragen, die katholische Stelle für Filmfragen zu Rate zu ziehen. Sie wird im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe gern zur Verfügung stehen und auch gegebenenfalls, unter der notwendigen Sicherung, einen katholischen Sachverständigen zur Verfügung stellen.

Geltung und Ansehen der Filmschaffenden werden durch ihr Vertrauen zur Kirche nicht gemindert. "Er (der Glaube) wird den Persönlichkeitswert des Menschen bis zum Letzten verteidigen." Auch auf dem Felde des künstlerischen Schaffens wird die menschliche Persönlichkeit vom Licht der christlichen Lehre und der rechten sittlichen Norm bereichert und vollendet ...

Man müsste also die Bemühungen und Unternehmungen fördern und steigern, um das geistige Leben der Filmschaffenden zu nähren und zu vertiefen. Vor allem aber sollte man in diesem Zusammenhang besondere Sorge der christlichen Bildung junger Menschen widmen, die das Filmschaffen als Beruf erwählen wollen.

Zum Schluss dieser besonderen Ausführungen über den Film fordern Wir die öffentlichen Behörden auf, in keiner Weise die Produktion oder Verbreitung minderwertiger Filme zu unterstützen, vielmehr durch geeignete Richtlinien zu helfen, dass anständige und anerkennenswerte Filme, besonders für die Jugend, geschaffen werden. Da für die Volksbildung bedeutende Summen ausgegeben werden, darf hier der Beitrag zur positiven Lösung eines derart wichtigen Problems nicht fehlen.

Der Funk

Mit nicht geringer Sorge wollen Wir auch, Ehrwürdige Brüder, auf das andere publizistische Mittel eingehen, den Rundfunk, der in der gleichen Zeit aufkam wie der Film.

Obwohl der Rundfunk weder über die Fülle szenischer Darstellungsmöglichkeiten noch über die vorteilhaften Umweltbedingungen verfügt, wie der Film, stehen ihm doch andere Möglichkeiten offen, die bis jetzt noch nicht alle ausgeschöpft sind.

"Der Rundfunk hat" - so führten Wir vor den Mitgliedern einer Rundfunkgesellschaft aus - "den Vorzug, sozusagen freier und ledig von jenen Bindungen zu sein, die uns Raum und Zeit auferlegen, und die alle anderen Mittel, um den Kontakt zwischen den Menschen herzustellen, behindern oder aufhalten. Mit unendlich beschwingteren Flügeln als die Schallwellen bringt der Rundfunk, indem er in einem Augenblick jede Grenze überschreitet, die ihm anvertrauten Botschaften überallhin und zu jedem."

Durch immer neue Erfindungen fast unübertrefflich vervollkommnet, leistet der Rundfunk auf verschiedenen Gebieten der Technik überaus nützliche Dienste; werden doch durch Funkwellen sogar Maschinen ohne Piloten an den vorausbestimmten Ort ferngesteuert. Wir glauben aber nicht zu Unrecht, dass die größte Aufgabe, auf die der Rundfunk sehen muss, darin liegt: die Menschen zu belehren und zu erziehen, Herz und Sinn immer mehr zum Erhabenen und übersinnlichen zu erheben.

Nun aber entspricht es einem innersten Streben des Menschen, auch innerhalb der eigenen Wände durch das Wort mit anderen Menschen verbunden zu sein, ferne Ereignisse mitzuverfolgen und am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen.

"Welches Vorrecht und welche Verantwortung ist es" - so haben Wir vor einiger Zeit ausgeführt - "für die Menschen der Gegenwart und welcher Unterschied zu früheren Zeiten, als die Verkündigung der Wahrheit, die Pflege der Bruderliebe, die Verheißung der ewigen Seligkeit nur langsam durch die Apostel zu den Menschen auf den mühseligen Pfaden jener Zeit gelangte, während in unseren Tagen die Heilsbotschaft Gottes in dem Augenblick Millionen und Abermillionen Menschen erreichen kann!" Es ist darum gut, dass die Gläubigen von dieser Errungenschaft unserer Zeit Gebrauch machen und an den Gaben der Bildung, Erholung und Kunst, ja des Wortes Gottes selbst über den Rundfunk sich bereichern und damit ihr Wissen und ihren Gesichtskreis erweitern.

Jedermann weiß um den Bildungswert sittlich einwandfreier Wort- und Musiksendungen des Rundfunks. Doch entsteht aus dem Gebrauch dieses Gerätes genau wie bei den übrigen technischen Errungenschaften eine Gewissensverantwortung. Es kann zum Guten oder zum Schlechten verwandt werden. Darum lassen sich auf den Rundfunk die Worte der Heiligen Schrift anwenden: "In ihm preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihm verfluchen wir die Menschen, die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind. Aus ein- und demselben Mund kommen Segen und Fluch."

Sonderprobleme des Fernsehens

Das Fernsehen hat aber über das hinaus, was ihm mit den beiden anderen bereits behandelten Publikationsmitteln gemeinsam ist, auch eine ihm eigentümliche Wirkungskraft. Das Fernsehen ermöglicht nämlich, dass die Zuschauer entfernte Ereignisse mit Auge und Ohr zur gleichen Zeit, da sie geschehen, aufnehmen können. Sie geraten dadurch so in ihren Bann, als ob sie tatsächlich dabei wären, und das Gefühl der Nähe wird noch gesteigert durch die Atmosphäre des häuslichen Raumes. Diese besondere Anziehungskraft, die das Fernsehen für die geheiligte Intimsphäre der Familie besitzt, ist sicherlich ein hoher Wert. Sie ist ein Beitrag zum religiösen Leben, zur Bildung und Gesittung der Familienmitglieder, besonders der Jugendlichen, die der Zauber dieser Erfindung zweifellos ganz besonders anspricht. Das Wort: "Ein wenig Sauerteig durchsäuert die ganze Masse", entspricht wirklich der Wahrheit. Wenn schon Ansteckungskeime im Körper des Jugendlichen sein Wachstum zur Vollreife der Kraft verhindern können, dann vermag erst recht ein Störungsfaktor in seiner Erziehung die ganzen Kräfte seines religiösen Lebens anzuschlagen und die normale sittliche Reife zu hemmen. Jeder weiß, wie oft junge Menschen auf der Straße einer ansteckenden Krankheit entgehen, während sie, wenn sie zu Hause selbst auftritt, ihr nicht entrinnen können. Die Heiligkeit des häuslichen Zusammenlebens darf nie gefährdet werden. Die Kirche setzt sich darum ihrem Recht und ihrer Verpflichtung entsprechend, mit aller Kraft immer dafür ein, dass nicht durch schlechte Fernsehdarbietungen diese heilige Schwelle irgendwie verletzt wird ...

Darum wenden Wir uns in väterlicher Liebe an die katholischen Kreise, die über eine entsprechende Ausbildung, Kenntnis und den notwendigen Sachverstand verfügen, insbesondere an den Klerus und die Mitglieder der religiösen Orden und Genossenschaften mit dem Wunsch, dass sie diesem neuen Lebensbereich ihre Aufmerksamkeit schenken und sich ihm einmütig widmen, damit das, was frühere Zeiten und ein Fortschritt der Kultur an Werten erarbeitete, auch ausstrahlt zu Nutz und Frommen des Fernsehwesens.

Darum müssen weiterhin die verantwortlichen Programmgestalter nicht nur auf die uneingeschränkte Wahrung der religiösen und sittlichen Grundsätze achten, sondern auch gewissenhaft auf die Gefährdung der Jugendlichen bei einer möglichen Teilnahme an Sendungen, die sich an Erwachsene wenden.

Für "Schau"-Darbietungen, wie sie im Film und Theater gezeigt werden, treffen die meisten Kulturnationen wohlüberlegte, dem Gemeinwohl dienende Maßnahmen, dass Jugendliche von unziemlichen Darbietungen ferngehalten werden. Jeder sieht ein, dass auch das Fernsehwesen, ja dieses im besonderen Maße, derartiger Schutzmaßnahmen bedarf ...

Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, dass gute Vorsätze und ein rechtes Pflichtbewusstsein bei denen, die das Fernsehen gestalten, genügen, um all das Gute zu verwirklichen, was das Wunderwerk des Fernsehschirms ermöglicht. Hinzukommen muss nämlich auch die umsichtige Wachsamkeit der Benutzer des Fernsehgeräts, das rechte Maßhalten beim Fernsehen, die rechte Klugheit bei der altersgerechten Zulassung der Jugendlichen zum Fernsehen, die richtige Bewertung der angeschauten Darbietungen und schließlich der Ausschluss Jugendlicher von allem, was ihnen weniger angemessen ist: alles Pflichten, die schwer auf dem Gewissen der Eltern und der Erziehungspflichtigen lasten. Wir wissen sehr wohl, dass besonders, was Wir zuletzt erwähnt haben, unter Umständen sehr schwierig und lästig sein kann. Aber das Bewusstsein ihrer erzieherischen Verantwortung wird nicht selten von den Eltern verlangen, ihren Kindern ein Beispiel zu geben und unter persönlichen Opfern sich gewisser verlockender Sendungen zu enthalten (Aus der Enzyklika Miranda prorsus vom 8. September 1957).

Die Film-Selbstkontrolle

Wahrlich, wie könnte ein Mittel sich selbst überlassen oder nur vom wirtschaftlichen Vorteil abhängig gemacht werden, das in sich sehr achtenswert ist, aber auch ebenso fähig, die Geister zu erheben wie sie zu verderben? Ein Fahrzeug so schnell das Gute zu bringen, aber auch das Schlechte zu verbreiten?

Die Wachsamkeit und die Gegenmaßnahmen der öffentlichen Behörden, die vollständig gerechtfertigt sind durch das Recht, das bürgerliche und sittliche Gemeingut zu verteidigen, äußern sich in verschiedenen Formen: durch die bürgerliche und kirchliche Beurteilung der Filme und, wenn nötig, durch ihr Verbot, durch die von dazu beauftragten Prüfungskommissionen veröffentlichten Listen von Filmen, deren Bewertung zur Kenntnisnahme und Richtschnur dem Publikum vorgelegt wird. Es ist wohl wahr, dass der Geist unserer Zeit, der mehr als recht unduldsam ist gegen das Einschreiten der öffentlichen Gewalt, eine Verteidigung vorziehen würde, die unmittelbar von der Gemeinschaft ausginge. Gewiss wäre es wünschenswert, zu einer übereinstimmenden Einheit der Guten zu kommen gegen den verderblichen Film, wo immer er sich zeigt, um ihn mit den zu ihrer Verfügung stehenden rechtlichen und sittlich erlaubten Mitteln zu bekämpfen. Immerhin genügt ein solches Vorgehen für sich allein nicht.

Die Begeisterung und der private Eifer kann erlahmen, und tatsächlich erlahmt er auch sehr schnell, wie die Erfahrung zeigt. Im Gegensatz dazu erlahmt aber nicht die kämpferische Gegenpropaganda, die aus dem Film häufig große Gewinne zieht und die oft einen leicht zu gewinnenden Verbündeten gerade im Innern des Menschen findet, d. h. im blinden Instinkt mit seinen Lockungen oder seinen rohen und niedrigen Trieben.

Wenn deshalb das bürgerliche und sittliche Wohl des Volkes und der Familien mit sicherer Wirkung geschützt werden soll, ist es mehr als recht, dass die öffentliche Gewalt in gebührender Weise einschreitet, um die gefährlichen Einflüsse zu verhindern oder zu zügeln.

Die erste Eigenschaft, die den idealen Film auszeichnen muss, ist die Achtung vor dem Menschen. Es gibt in der Tat keinen Grund, der ihn der allgemeinen Norm entziehen könnte, wonach von Ehrfurcht für den Menschen erfüllt sein muss, wer mit Menschen zu tun hat (Aus der Ansprache an die Vertreter der Filmindustrie Italiens vom 21. Juni 1955).

36. DER SPORT

ALLES, WAS LEIBESÜBUNGEN, Wettstreit, Sport ist, begeistert die Jugend von heute und zieht sie an. Aber die jungen Christen wissen auch, dass der Wettlauf nach dem geistigen Licht, der Vorstoß in das geheimnisvolle und schwierige Gebiet der Offenbarung, das Streben nach Güte und Heiligkeit um so schöner, edler und begehrenswerter sind, als Wissen und Tugend der Betätigung der Muskelkräfte und der hinfälligen Behendigkeit der Glieder voranstehen und sie übertreffen.

Die Körperkraft, die die Blüte der Jugend verschönt, wird durch das Streben nach religiöser Bildung nicht vermindert oder erniedrigt, sondern erhöht und geadelt (Aus der Ansprache an die Jugend der Katholischen Aktion, 10. November 1940).

Es irrt, wer der Kirche vorwirft, sie kümmere sich nicht um den Leib und die Leibesübungen, wie auch der, welcher ihre Zuständigkeit und ihr Wirken allein auf die "rein religiösen" Dinge einschränken möchte. Als ob der Leib, gleichermaßen Schöpfung Gottes wie die Seele, mit der er verbunden ist, nicht Anteil an der Huldigung des Schöpfers haben müsste! "Ob ihr esst, ob ihr trinkt, ob ihr etwas anderes tut, tut alles zur Ehre Gottes" (1. Kor 10, 31). Paulus spricht hier von leiblichem Tun; der Sport erscheint in den Worten: "ob ihr etwas anderes tut." Manchmal spricht er sogar ausdrücklich davon; er spricht von Rennen und von Wettkämpfen nicht mit Worten der Kritik oder des Tadels, sondern als Kenner, der sie christlich erhebt und adelt.

Kirche und Leibeserziehung

Denn was ist der Sport, wenn nicht eine Form der Leibeserziehung? Diese Erziehung steht in enger Beziehung zur Sittlichkeit. Wie könnte die Kirche ihr gegenüber gleichgültig bleiben!

Tatsächlich hat die Kirche immer ihre Sorge um den Körper bekundet, wie sie der Materialismus nie an den Tag gelegt hat. Und das ist ganz natürlich, da dieser im Körper nur das Materielle, das Fleisch, sieht und kennt, dessen Kraft und Schönheit geboren werden und blühen, um zu welken und zu sterben, wie das Gras auf dem Felde. Ganz anders die christliche Auffassung. Der menschliche Körper ist Meisterwerk Gottes in der Ordnung der sichtbaren Schöpfung. Der Herr hat ihn dazu bestimmt, hienieden zu blühen, um sich in der Glorie des Himmels als unsterblich zu erweisen. Er hat ihn mit dem Geist in der Einheit der menschlichen Natur vereinigt, um die Seele den Zauber der Werke Gottes verspüren zu lassen, um in diesem Spiegel ihren gemeinsamen Schöpfer zu schauen, zu erkennen, anzubeten und zu lieben!

Denn nicht Gott hat den Körper zur Sterblichkeit bestimmt, sondern die Sünde. Nur durch die Sünde muss der Leib, der aus Erde geschaffen ist, einmal zur Erde zurückkehren ...

Der Apostel Paulus führt uns zu einer noch höheren Schau: "Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und der euch von Gott gegeben worden und nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid um einen hohen Preis erkauft worden. Rühmt also Gott in eurem Leibe" (1. Kor 6, 19-20).

Was ist daher in erster Linie Aufgabe und Ziel des gesunden und christlich verstandenen Sports, wenn nicht Würde und Harmonie des Menschenleibes, seine Gesundheit und Kraft, seine Beweglichkeit und Anmut?

Erzieherische Werte des Sports

Man werfe dem heiligen Paulus nicht seine energischen Worte vor: "Castigo corpus meum et in servitutem redigo - Ich züchtige meinen Körper und mache ihn mir untertan" (1. Kor 9, 27). Denn an derselben Stelle beruft er sich auf das Beispiel der Anhänger des Sports. Der mit Maß geübte Sport stärkt den Körper und macht ihn gesund, frisch und kraftvoll. Um dieses erzieherische Werk zu vollenden, unterwirft er ihn strenger und oft harter Disziplin, die ihn beherrscht und wahrhaft untertan erhält: mühevolles Training, Widerstand gegen Schmerz, Gewöhnung an strenge Mäßigung und Enthaltsamkeit sind unerlässliche Vorbedingungen für den, der den Sieg erringen will. Der Sport ist ein wirksames Gegengift gegen Schlaffheit und untätiges Leben, er erweckt den Sinn für Ordnung, erzieht zur Selbstprüfung, zur Selbstbeherrschung und Furchtlosigkeit. So übertrifft er die bloß körperliche Robustheit und führt zur sittlichen Kraft und Größe. Aus dem Geburtsland des Sports stammt das sprichwörtliche fair play, der Begriff des ritterlich-ehrlichen Wettkampfs, der die Geister über die Kleinheit der Ränke argwöhnischer Eitelkeit erhebt und sie vor den Ausschreitungen eines engen und starren Nationalismus bewahrt. Der Sport ist Schule zur Loyalität, zu Mut, Ausdauer, Entschlossenheit und Brüderlichkeit. All das sind natürliche Tugenden, die den übernatürlichen Tugenden ein solides Fundament liefern und sie dazu befähigen, das Gewicht einer schweren Verantwortung ohne Schwäche zu tragen.

Den Körper auf gesunde Weise ermüden, um den Geist ausruhen zu lassen und zu neuer Arbeit fähig zu machen, die Sinne zu verfeinern, um eine größere Intensität der geistigen Fähigkeiten zu erwerben, die Muskeln zu üben und sich an Anstrengung zu gewöhnen, um den Charakter zu bändigen und sich einen Willen zu bilden, stark und geschmeidig wie Stahl: das war die Vorstellung, die sich der Bergsteigerpriester (Gemeint ist Papst Pius XI. [A. d. Ü.]) vom Sport gemacht hatte ... (Aus der Ansprache an die Jugend der Katholischen Aktion, 10. November 1940).

Der Sport ist nicht Zweck sondern Mittel

So verstanden, ist der Sport kein Selbstzweck, sondern ein Mittel; als solches muss er dem Zweck zugeordnet sein und bleiben, der in der vollkommenen und ausgewogenen Bildung und Erziehung des ganzen Menschen besteht, dem der Sport Hilfe zur schnellen und freudigen Pflichterfüllung ist, im Arbeits- wie im Familienleben.

Im Dienste gesunden und kraftvollen Lebens, im Dienste fruchtbarerer Tätigkeit bei der Erfüllung der Pflichten des eigenen Standes, kann und muss der Sport im Dienste Gottes stehen. Denn er macht die Gemüter geneigt, die leiblichen Kräfte und sittlichen Tugenden, die er zu diesem Ziel entwickelt, zu leiten ...

Denn wozu wäre überhaupt der physische Mut und die Energie des Charakters nütze, wenn sie der Christ nur für irdische Zwecke gebrauchte, um einen "Pokal" zu gewinnen oder sich das Ansehen eines Übermenschen zu geben; wenn er nicht eher, wenn es nötig ist, seinen Schlaf um eine halbe Stunde abkürzen oder eine Verabredung im Stadion verschieben könnte, statt der Sonntagsmesse nicht beizuwohnen; wenn er es nicht fertigbrächte, die Menschenfurcht zu überwinden, um seinen religiösen Pflichten nachzukommen und die Religion zu verteidigen; wenn er sein Ansehen und seine Autorität nicht zu gebrauchen wüsste, um durch Blick, Wort und Gebärde einem Fluch, schlechter Rede oder einer Unanständigkeit Einhalt zu gebieten; um die Jüngeren und Schwächeren gegen Herausforderungen in Schutz zu nehmen; wenn er sich nicht gewöhnte, seine sportlichen Erfolge zu beschließen mit einem Lob und Dank an Gott, den Schöpfer und Herrn der Natur und aller ihre Kräfte? Bleibt euch immer bewusst, dass es höchste Ehre und heiligste Bestimmung des Leibes ist, Wohnung der Seele zu sein, die in sittlicher Reinheit erstrahlt und von der göttlichen Gnade geheiligt ist (Aus der Ansprache an die Jugend der Katholischen Aktion, 20. Mai 1945).

Christlich verstanden, ist der Sport von sich aus eine wirksame Schule für jene große Prüfung, die das Leben auf Erden ist, dessen Ziele in der Vervollkommnung der Seele bestehen, im Preis der Seligkeit, im unvergänglichen Ruhm der Heiligen. Von diesem viel erhabeneren Kampf ist der Sport nur ein blasses Abbild, aber mit welchen Unterschieden! Die Teilnahme an den sportlichen Kämpfen ist frei, in den geistlichen Kampf müssen alle eintreten und müssen darin aushalten; in jenen erringt nur einer unter vielen den Siegespreis, in diesem ist der Sieg gewillt, alle und jeden zu krönen; aber, und vor allem, während in jenen Kämpfen beim Versagen der Kräfte nichts anderes übrig bleibt als sich zurückzuziehen und für besiegt zu erklären, ist in diesem Streit jederzeit die Kraft Gottes selber zur Stelle, um die schwankenden Kräfte wieder aufzurichten und zu stählen - Gott, der alle Menschen heil und als Sieger will (Aus der Ansprache zur Zehnjahrfeier des Italienischen Sportverbandes, 9. Oktobe 1956).

III. KIRCHE / RELIGION

37. DIE KIRCHE

Die Kirche ist der mystische Leib Christi

ZUR BETRACHTUNG DIESER LEHRE regt zunächst das Apostelwort an: "Als die Sünde übergroß geworden war, wurde die Gnade noch überwältigender" (Röm 5, 20). Der Stammvater des ganzen Menschengeschlechtes war, wie bekannt, von Gott in einen so erhabenen Stand versetzt, dass er seinen Nachkommen zugleich mit dem irdischen auch das überirdische Leben der himmlischen Gnade übermitteln sollte. Aber nach dem traurigen Falle Adams verlor die gesamte Menschheitsfamilie, von der Erbschuld angesteckt, die Teilnahme an der göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1,4), so dass wir alle Kinder des Zornes wurden (Eph 2,3). Doch der erbarmungsreiche Gott "hat so ... die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab", und das Wort des ewigen Vaters hat mit der gleichen göttlichen Liebe aus der Nachkommenschaft Adams eine menschliche Natur angenommen, freilich eine sündenlose und von jedem Makel freie, damit von dem neuen, himmlischen Adam die Gnade des Heiligen Geistes auf alle Kinder des Stammvaters niederströme. Diese waren durch die Sünde des ersten Menschen der göttlichen Kindschaft verlustig gegangen. Jetzt aber hatten sie durch das menschgewordene Wort, dem Fleische nach Brüder des eingeborenen Sohnes Gottes geworden, die Macht erlangt, Kinder Gottes zu werden. So hat denn Christus durch seinen Tod am Kreuze nicht bloß der verletzten Gerechtigkeit des ewigen Vaters Genüge getan, sondern er hat uns als seinen Brüdern zugleich eine unaussprechliche Fülle von Gnaden verdient. Diese hätte er selbst unmittelbar dem gesamten Menschengeschlecht zuteilen können; er wollte es aber tun durch die sichtbare Kirche, zu der die Menschen sich vereinigen sollten, damit so bei der Verteilung der göttlichen Erlösungsfrüchte alle ihm gewissermaßen Helferdienste leisten könnten. Wie nämlich das Wort Gottes unsere Natur gebrauchen wollte, um durch seine Schmerzen und Pein die Menschen zu erlösen, so gebraucht es ähnlicherweise im Laufe der Jahrhunderte die Kirche, um dem begonnenen Werk Dauer zu verleihen.

Bei einer Wesenserklärung dieser wahren Kirche Christi, welche die heilige, katholische, apostolische, römische Kirche ist, kann nichts Vornehmeres und Vorzüglicheres, nichts Göttlicheres gefunden werden als jener Ausdruck, womit sie als "der mystische Leib Jesu Christi" bezeichnet wird. Dieser Name ergibt sich und erblüht gleichsam aus dem, was in der Heiligen Schrift und in den Schriften der heiligen Väter häufig darüber vorgebracht wird.

Die Kirche ist der sichtbare Leib

Dass die Kirche ein Leib ist, sagen die heiligen Bücher des öfteren. "Christus" - so der Apostel - "ist das Haupt des Leibes, der Kirche" (Kol 1, 18). Wenn aber die Kirche ein Leib ist, so muss sie etwas Einziges und Unteilbares sein nach dem Worte des hl. Paulus: "Viele zwar, bilden wir doch nur einen Leib in Christus" (Röm 12,5). Doch nicht bloß etwas Einziges und Unteilbares muss sie sein, sondern auch etwas Greifbares und Sichtbares, wie Unser Vorgänger seligen Angedenkens Leo XIII. in seinem Rundschreiben "Satis cognitum" feststellt: "Deshalb, weil sie ein Leib ist, wird die Kirche mit den Augen wahrgenommen." Infolgedessen weicht von der göttlichen Wahrheit ab, wer die Kirche so darstellt, als ob sie weder erfasst noch gesehen werden könnte, als ob sie, wie man behauptet, nur etwas "Pneumatisches" wäre, wodurch viele christliche Gemeinschaften, obgleich voneinander im Glauben getrennt, doch durch ein unsichtbares Band untereinander vereint wären.

Aber ein Leib verlangt auch eine Vielheit von Gliedern, die so untereinander verbunden sein müssen, dass sie sich gegenseitig Hilfe leisten. Und gleichwie in unserem sterblichen Leib, wenn ein Glied leidet, alle andern mitleiden und die gesunden Glieder den kranken zu Hilfe kommen, so leben auch in der Kirche die einzelnen Glieder nicht einzig für sich, sondern unterstützen auch die andern, und alle leisten sich gegenseitig Hilfsdienste, zu gegenseitigem Trost, wie besonders zum weiteren Aufbau des ganzen Leibes.

Wie außerdem in der Natur ein Leib nicht aus einer beliebigen Zusammensetzung von Gliedern entsteht, sondern mit Organen ausgestattet sein muss, das heißt mit Gliedern, die verschiedene Aufgaben haben und die in geeigneter Ordnung zusammengesetzt sind, so muss die Kirche hauptsächlich deshalb ein Leib genannt werden, weil sie aus einer organischen Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen, aufeinander abgestimmten Gliedern versehen ist. Nicht anders beschreibt der Apostel die Kirche, wenn er sagt: "Gleichwie ... wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder den gleichen Dienst verrichten, so sind wir viele ein Leib in Christus, die einzelnen aber untereinander Glieder" (Röm 12,4).

Man darf jedoch nicht glauben, dieser organische Aufbau des Leibes beziehe und beschränke sich allein auf die Stufenfolge der kirchlichen Amter, noch auch, wie eine entgegengesetzte Meinung behauptet, sie bestehe einzig aus Charismatikern, wenngleich solche mit wunderbaren Gaben ausgestattete Menschen niemals in der Kirche fehlen werden. Gewiss ist unbedingt festzuhalten, dass die mit heiliger Vollmacht in diesem Leibe Betrauten dessen erste und vorzügliche Glieder sind, da durch sie in Kraft der Sendung des göttlichen Erlösers selbst die Ämter Christi, des Lehrers, Königs und Priesters für immer fortgesetzt werden. Aber mit vollem Recht haben die Kirchenväter, wenn sie die Dienstleistungen, Stufen, Berufe, Stellungen, Ordnungen und Ämter dieses Leibes hervorheben, nicht nur jene vor Augen, die heilige Weihen empfangen haben, sondern auch alle jene, die nach Übernahme der evangelischen Räte ein tätiges Leben unter den Menschen, oder ein in der Stille verborgenes führen, oder auch beides je nach ihrer besonderen Verfassung zu verwirklichen trachten; ferner jene, die, obgleich in der Welt lebend, doch sich eifrig in Werken der Barmherzigkeit betätigen, um andern seelische oder leibliche Hilfe zu leisten; endlich auch jene, die in keuscher Ehe vermählt sind. Ja, es ist zu beachten, dass, zumal in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen, die Familienväter und -mütter, auch die Taufpaten und namentlich jene, die als Laien zur Ausbreitung des Reiches Christi der kirchlichen Hierarchie hilfreiche Hand bieten, einen ehrenvollen, wenn auch oft unansehnlichen Platz in der christlichen Gemeinschaft einnehmen, ja dass auch sie mit Gottes Huld und Hilfe zur höchsten Heiligkeit aufsteigen können, die gemäß den Verheißungen Jesu Christi niemals in der Kirche fehlen wird.

Die heiligen Sakramente

Wie aber der menschliche Leib offensichtlich mit eigenen Werkzeugen ausgerüstet ist, mit denen er für das Leben, die Gesundheit und das Wachstum seiner selbst und der einzelnen Glieder sorgen kann, so hat der Heiland den Menschen in seiner unendlichen Güte wunderbar für seinen mystischen Leib ausgerüstet, indem er ihn mit Sakramenten bereicherte, um dadurch die Glieder gleichsam in ununterbrochener Gnadenfolge von der Wiege bis zum letzten Atemzuge zu erhalten und zugleich für die sozialen Bedürfnisse des ganzen Leibes reichlich zu sorgen. Durch das Bad der Taufe werden die in dieses sterbliche Leben Geborenen nicht nur aus dem Tode der Sünde wieder geboren und zu Gliedern der Kirche gemacht, sondern auch mit einem geistlichen Merkmal gezeichnet und dadurch befähigt und instandgesetzt, die übrigen heiligen Sakramente zu empfangen. Durch die Salbung der Firmung wird den Gläubigen neue Kraft verliehen, dass sie die Mutter Kirche und den Glauben, den sie von ihr erhielten, tapfer schützen und verteidigen. Durch das Sakrament der Buße wird den Gliedern der Kirche, die in Sünde fielen, ein wirksames Heilmittel geboten, womit nicht nur für deren eigenes Heil gesorgt, sondern zugleich von den andern Gliedern des mystischen Leibes die Gefahr der Ansteckung ferngehalten und ihnen überdies ein Ansporn und ein Tugendbeispiel gegeben wird. Doch nicht genug. Durch die heilige Eucharistie werden die Gläubigen mit einem und demselben Mahle genährt und gestärkt, sowie untereinander und mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes durch ein unaussprechliches, göttliches Band geeint. Und zuletzt steht die liebevolle Mutter Kirche dem Todkranken bei, um ihm durch das heilige Sakrament der Ölung, wenn Gott will, die Genesung dieses sterblichen Leibes zu spenden, wenn nicht, so doch der wunden Seele ein himmlisches Heilmittel zu reichen und so dem Himmel neue Bürger und sich selbst neue Anwälte zu schenken, die Gottes Güte für ewig genießen.

Für die sozialen Bedürfnisse der Kirche hat Christus sodann durch zwei von ihm eingesetzte Sakramente noch in besonderer Weise Sorge getragen. Durch die Ehe, in welcher die Brautleute sich gegenseitig Spender der Gnade sind, wird die äußere und geordnete Zunahme der christlichen Gemeinschaft und, was noch wichtiger ist, die rechte religiöse Kindererziehung gewährleistet, ohne die der mystische Leib aufs schwerste bedroht wäre. Durch die heilige Priesterweihe aber werden jene Gott völlig zum Dienste geweiht, welche die eucharistische Hostie opfern, die Schar der Gläubigen mit dem Brote der Engel und mit der Speise der Lehre nähren, sie mit den göttlichen Geboten und Räten leiten und mit den übrigen himmlischen Gaben stärken sollen.

Dabei ist dies zu bedenken: Wie Gott zu Beginn der Zeit den Menschen mit einer überaus reichen körperlichen Ausstattung bedachte, kraft deren er die Schöpfung sich unterwerfen und sich vermehrend die Erde erfüllen sollte, so hat er am Anfang des christlichen Zeitalters die Kirche mit den nötigen Mitteln ausgestattet, dass sie nach Überwindung schier unzähliger Gefahren nicht nur den ganzen Erdenkreis, sondern auch den Himmel erfülle.

Den Gliedern der Kirche aber sind in Wahrheit nur jene zuzuzählen, die das Bad der Wiedergeburt empfingen, sich zum wahren Glauben bekennen und sich weder selbst zu ihrem Unsegen vom Zusammenhang des Leibes getrennt haben noch wegen schwerer Verstöße durch die rechtmäßige kirchliche Obrigkeit davon ausgeschlossen worden sind. "Denn", so sagt der Apostel, "durch einen Geist wurden wir alle zu einem Leibe getauft, ob Juden oder Heiden, ob Sklaven oder Freie" (1 Kor. 12, 13).

Es gibt nur einen Glauben

Wie es also in der wahren Gemeinschaft der Christgläubigen nur einen Leib gibt, nur einen Geist, einen Herrn und eine Taufe, so kann es auch nur einen Glauben in ihr geben (vgl. Eph 4,5); und deshalb ist, wer die Kirche zu hören sich weigert, nach dem Gebot des Herrn als Heide und öffentlicher Sünder zu betrachten (vgl. Mt 18, 17). Aus diesem Grund können die, welche im Glauben oder in der Leitung voneinander getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus seinem einen göttlichen Geiste leben.

Es wäre aber auch falsch zu glauben, dass der Leib der Kirche deshalb, weil er den Namen Christi trägt, schon hienieden, zur Zeit seiner irdischen Pilgerschaft, nur aus heiligmäßigen Gliedern, oder nur aus der Schar derer bestehe, die von Gott zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt sind. In seiner unendlichen Barmherzigkeit versagt nämlich unser Heiland in seinem mystischen Leib auch denen den Platz nicht, welchen er ihn einst beim Gastmahle nicht versagte. Denn nicht jede Schuld, mag sie auch ein schweres Vergehen sein, ist dergestalt, dass sie, wie dies die Folge der Glaubensspaltung, des Irrglaubens und des Abfalls vom Glauben ist, ihrer Natur gemäß den Menschen vom Leib der Kirche trennt. Auch gehen die nicht allen übernatürlichen Lebens verlustig, die zwar durch ihre Sünde die Liebe und heiligmachende Gnade verloren haben und deswegen unfähig geworden sind zu übernatürlichem Verdienst, die aber den Glauben und die christliche Hoffnung bewahren und durch himmlisches Licht erleuchtet, durch die Einsprechungen und inneren Antriebe des Heiligen Geistes zu heilsamer Furcht gebracht und zum Gebet und zur Reue über ihren Fall angespornt werden.

So möge denn jeder vor der Sünde zurückschrecken, da durch sie die mystischen Glieder des Erlösers befleckt werden. Wer aber das Unglück gehabt hat zu sündigen, ohne sich durch Verstocktheit der Gemeinschaft der Christgläubigen unwürdig gemacht zu haben, dem soll man mit größtem Wohlwollen begegnen und in ihm in echter Liebe nichts anderes sehen als ein krankes Glied Jesu Christi. Es ist nämlich besser, wie der Bischof von Hippo bemerkt, "im Lebenszusammenhang mit der Kirche geheilt, als aus ihrem Körper als unheilbares Glied ausgeschnitten zu werden". "Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und geheilt werden" (Aus der Enzyklika "Mystici Corporis Christi", 29. Juni 1943).

Der Heilige Geist

So hatte er also die Kirche durch sein Blut gegründet. Am Pfingstfeste aber stärkte er sie mit der ihr eigenen Kraft vom Himmel. Denn als er den schon früher zu seinem Stellvertreter bestimmten Apostelfürsten feierlich in sein erhabenes Amt eingesetzt hatte, war er zum Himmel gefahren und wollte nunmehr, sitzend zur Rechten des Vaters, seine Braut durch die sichtbare Herabkunft des Heiligen Geistes unter dem Brausen eines gewaltigen Sturmes und unter feurigen Zungen offenbaren und kundmachen. Christus der Herr war ja selber beim Beginn seiner Lehrtätigkeit von seinem ewigen Vater durch den Heiligen Geist, der in leiblicher Gestalt gleich einer Taube herabkam und über ihm blieb, geoffenbart worden. So sandte nun auch er, als die Apostel ihr heiliges Predigtamt antreten sollten, seinen Geist vom Himmel herab, der sie mittels feuriger Zungen berührte und auf die übernatürliche Sendung und das übernatürliche Amt der Kirche wie mit göttlichem Finger hinweisen sollte.

Christus ist das Haupt des Leibes

Dass der mystische Leib, den die Kirche bildet, Christi Namen trägt, geht an zweiter Stelle daraus hervor, dass Christus tatsächlich von allen als Haupt der Kirche angesehen werden muss. "Er ist", wie Paulus sagt, "das Haupt des Leibes, der Kirche". Er ist das Haupt, von dem der ganze Leib in passender Ordnung zusammengehalten wird, heranwächst und zunimmt in seinem Aufbau.

Es ist euch wohlbekannt, ehrwürdige Brüder, wie lichtvoll und klar die Meister der Scholastischen Theologie, und vor allem der engelgleiche, allgemeine Lehrer, über diese Wahrheit gehandelt haben. Ihr wisst auch sicher, dass die von St. Thomas vorgebrachten Beweise den Ansichten der heiligen Väter getreu entsprechen, die übrigens nichts anderes wiedergaben und erläuterten als die Aussprüche der Heiligen Schrift.

Dennoch möchten Wir hier zum allgemeinen Nutzen diesen Punkt genauer besprechen. Zunächst ist es klar, dass Gottes und der seligen Jungfrau Sohn wegen seiner einzigartigen Stellung Haupt der Kirche genannt werden muss. Nimmt doch das Haupt die höchste Stelle im Leibe ein. Wer ist aber höher gestellt als Christus, unser Gott, der, das Wort des ewigen Vaters, als der "Erstgeborene aller Schöpfung" (Kol 1,15) angesehen werden muss? Wer steht auf erhabenerem Gipfel als Christus der Mensch, der, von der makellosen Jungfrau geboren, wahrer und wirklicher Sohn Gottes ist und nach seinem Sieg über den Tod durch die wunderbare, glorreiche Auferstehung der "Erstgeborene unter den Toten" ward?

Christus leitet seine Kirche vom Himmel

Aber unser göttlicher Erlöser lenkt und leitet auch selbst unmittelbar die von ihm gegründete Gesellschaft. Er selber regiert nämlich im Geiste und Herzen der Menschen, beugt und spornt nach seinem Wohlgefallen sogar den widerspenstigen Willen. "Das Herz des Königs ist in der Hand des Herrn. Er lenkt es, wohin er will." Durch diese innere Leitung sorgt er nicht nur als "Hirte und Bischof unserer Seelen" für die einzelnen, sondern trägt auch Fürsorge für die Gesamtkirche. Bald erleuchtet und stärkt er ihre Vorsteher, damit jeder von ihnen getreu und fruchtbar sein Amt ausübe. Bald - und dies zumal in schwierigeren Zeitumständen - erweckt er im Schoße der Mutter Kirche Männer und Frauen, die durch den Glanz ihrer Heiligkeit hevorleuchten, um den übrigen Christgläubigen zum Beispiel zu dienen für das Wachstum seines geheimnisvollen Leibes. Mit besonderer Liebe aber blickt Christus vom Himmel auf seine makellose Braut, die hier auf Erden in der Verbannung leidet. Sieht er sie in Gefahr, so entreißt er sie persönlich, oder durch seine Engel, oder durch sie, die wir als Hilfe der Christen anrufen, und durch andere himmlische Helfer der Sturmflut. Haben sich dann die Wogen gelegt und beruhigt, dann tröstet er sie mit jenem Frieden, "der alle Vorstellung übersteigt".

Der Papst: Sichtbarer Stellvertreter Christi

Man darf aber nicht glauben, er leite sie nur auf unsichtbare oder außerordentliche Weise. Unser göttlicher Erlöser übt auch eine sichtbare, ordentliche Leitung über seinen mystischen Leib aus durch seinen Stellvertreter auf Erden. Ihr wisst ja, ehrwürdige Brüder, dass Christus unser Herr während seiner irdischen Pilgerfahrt "die kleine Herde" persönlich und auf wahrnehmbare Weise regiert hat. Als er aber die Welt dann verlassen und zum Vater zurückkehren wollte, hat er die sichtbare Leitung der ganzen von ihm gegründeten Gemeinschaft dem Apostelfürsten übertragen. In seiner Weisheit konnte er ja den von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Leib der Kirche keineswegs ohne sichtbares Haupt lassen. Man kann auch nicht, um diese Wahrheit in Abrede zu stellen, behaupten, durch den in der Kirche aufgestellten Rechtsprimat sei dieser mystische Leib mit einem doppelten Haupte versehen. Denn Petrus ist kraft des Primates nur der Stellvertreter Christi, und daher gibt es nur ein einziges Haupt dieses Leibes, nämlich Christus. Er hört zwar nicht auf, die Kirche auf geheimnisvolle Weise in eigener Person zu regieren. Auf sichtbare Weise jedoch leitet er sie durch den, der auf Erden seine Stelle vertritt. Bereits nach seiner glorreichen Himmelfahrt war die Kirche nicht nur auf ihm selber, sondern auch auf Petrus als dem sichtbaren Grundstein erbaut. Dass Christus und sein Stellvertreter auf Erden nur ein einziges Haupt ausmachen, hat Bonifaz VIII., Unser Vorgänger unvergesslichen Andenkens, durch das apostolische Schreiben Unam Sanctam feierlich erklärt, und seine Nachfolger haben diese Lehre immerfort wiederholt.

In einem gefährlichen Irrtum befinden sich also jene, die meinen, sie könnten Christus als Haupt der Kirche verehren, ohne seinem Stellvertreter auf Erden die Treue zu wahren. Denn wer das sichtbare Haupt außer acht lässt und die sichtbaren Bande der Einheit zerreißt, der entstellt den mystischen Leib des Erlösers zu solcher Unkenntlichkeit, dass er von denen nicht mehr gesehen noch gefunden werden kann, die den sicheren Port des ewigen Heiles suchen.

Die Stellung der Bischöfe innerhalb der Kirche

Was wir aber hier von der allgemeinen Kirche sagen, das muss auch von den besonderen christlichen Gemeinschaften, den Diözesen, gesagt werden, sowohl von den orientalischen wie von den lateinischen, aus denen die eine Katholische Kirche besteht und sich zusammensetzt. Jede von ihnen wird von Jesus Christus durch das Wort und die Regierungsgewalt ihres eigenen Bischofs geleitet. Deshalb sind die kirchlichen Oberhirten nicht bloß als die vorzüglicheren Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz spezielles Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes verbunden und daher mit Recht "die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn" genannt werden, sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene ihm anvertraute Herde. Bei dieser Tätigkeit sind sie freilich nicht völlig eigenen Rechtes, sondern der dem Römischen Papst gebührenden Gewalt unterstellt, wiewohl sie eine ordentliche Jurisdiktionsgewalt besitzen, die ihnen unmittelbar gleichfalls vom Papste erteilt wird. Deshalb müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher Einsetzung vom Volke verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind, das Schriftwort: "Vergreifet euch nicht an meinem Gesalbten!" ... (Aus der Enzyklika "Mystici Corporis Christi", 29. Juni 1943).

Die Kirche als mystischer Leib Christi

Gehen wir nun einen Schritt weiter, und erörtern wir den Punkt, der den Grund, warum Christi Leib, die Kirche, mystisch, d. h. geheimnisvoll, genannt werden muss, in das rechte Licht rücken soll. Diese Benennung, die schon bei mehreren Kirchenschriftstellern der Frühzeit üblich war, wird durch nicht wenige Dokumente der Päpste bestätigt. Aber nicht bloß aus einem Grund ist dieses Wort berechtigt. Es unterscheidet zunächst den gesellschaftlichen Leib der Kirche, dessen Haupt und Lenker Christus ist, von dessen physischem Leib, der, aus der jungfräulichen Gottesmutter geboren, jetzt zur Rechten des Vaters thront und unter den eucharistischen Gestalten verborgen ist. Ebenso, - und dies ist wegen der Zeitirrtümer von großer Bedeutung - schließt diese Bezeichnung jeden natürlichen Leib, sei es einen physischen, sei es einen so genannten moralischen, aus.

In einem natürlichen Leibe nämlich verbindet das einigende Prinzip die einzelnen Teile derart, dass sie kein eigenes Fürsichsein mehr besitzen. Im mystischen Leib dagegen verbindet das einigende Prinzip, obschon es bis ins Innerste geht, die Glieder so untereinander, dass die einzelnen ihre Eigenpersönlichkeit vollauf bewahren. Wenn Wir sodann das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Ganzen und den einzelnen Gliedern betrachten, so ergibt sich folgendes: In jedem lebendigen physischen Leibe sind alle einzelnen Glieder in letzter Linie einzig zum Wohle des ganzen Organismus da, während jede gesellschaftliche Gliederung von Menschen, wenn man auf deren letzten Nützlichkeitswert sieht, hinge ordnet ist, auf den Nutzen aller und zugleich jedes einzelnen Gliedes, da diese ja Personen sind. Um also auf unsere Frage zurückzukommen, wie der Sohn des ewigen Vaters um des ewigen Heiles unser aller willen vom Himmel herabgestiegen ist, so hat er den Leib der Kirche gebildet und mit dem göttlichen Geiste beseelt zu dem Zwecke, das ewige Glück der unsterblichen Seelen zu wirken und zu sichern, gemäß dem Ausspruch des Apostels: "Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott." Wie nämlich die Kirche zum Wohl der Gläubigen da ist, so hat sie die Bestimmung, Gott, und den er gesandt hat, Jesus Christus zu verherrlichen.

Vergleichen wir sodann den mystischen Leib mit einer so genannten moralischen Körperschaft, so müssen wir auch da einen keineswegs geringfügigen, sondern höchst bedeutungsvollen und schwerwiegenden Unterschied feststellen. In der moralischen Körperschaft nämlich ist das einigende Prinzip nichts anderes als der gemeinsame Zweck und das gemeinsame Zusammenwirken aller zu demselben Zweck mittels einer gesellschaftlichen Obrigkeit. Im mystischen Leibe dagegen, von dem Wir handeln, kommt zu diesem Zusammenwirken noch ein anderes, inneres Prinzip, das sowohl dem ganzen Organismus wie den einzelnen Gliedern wirklich und kraftvoll innewohnt und von solcher Erhabenheit ist, dass es, in sich betrachtet, alle einigenden Bande, die einen physischen oder einen moralischen Leib zusammenhalten, unermesslich weit überragt. Dieses Prinzip gehört, wie oben gesagt, nicht der natürlichen, sondern der übernatürlichen Ordnung an, ja es ist in sich selber geradezu unendlich und unerschaffen: der Geist Gottes, der, wie der hI. Thomas, der engelgleiche Lehrer, sagt, "der Zahl nach ein und derselbe. die ganze Kirche erfüllt und einigt".

Die Kirche ist ihrem übernatürlichen Wesen nach höherer Ordnung als der Staat

Die richtige Bedeutung der Bezeichnung "mystisch" erinnert also daran, dass die Kirche, die als eine in ihrer Art vollkommene Gesellschaft anzusehen ist, nicht bloß aus gesellschaftlichen und rechtlichen Bestandteilen und Beziehungen besteht. Sie ist ja weit vorzüglicher als irgendwelche andern menschlichen Körperschaften, die sie überragt, wie die Gnade die Natur hinter sich lässt und wie das Unsterbliche alles Vergängliche. Jene rein menschlichen Gesellschaften, namentlich der Staat, sind gewiss nicht zu verachten oder gering zu schätzen. Allein die Kirche als Ganzes gehört nicht der Ordnung dieser Dinge an, gleichwie der Mensch als Ganzes nicht mit dem Gebilde unseres sterblichen Leibes zusammenfällt. Denn die rechtlichen Beziehungen, auf welchen die Kirche ebenfalls beruht und welche zu ihrem Bestandteil gehören, stammen zwar aus ihrer göttlichen von Christus gegebenen Verfassung und haben ihren Anteil bei Erreichung ihres übernatürlichen Zieles. Doch was die Kirche über jedwede natürliche Ordnung hoch hinaushebt, ist der Geist unseres Erlösers, der als Quelle aller Gnaden, Gaben und Charismen fortwährend und zu innerst die Kirche erfüllt und in ihr wirkt. Wie der Bau unseres sterblichen Leibes zwar ein wundervolles Werk unseres Schöpfers ist, jedoch weit unter der erhabenen Würde unserer Seele zurückbleibt, geradeso hat das gesellschaftliche Gefüge der christlichen Gemeinschaft, wie sehr es auch die Weisheit seines göttlichen Meisters verkündet, doch nur einen ganz untergeordneten Rang, sobald man es vergleicht mit den geistlichen Gaben, mit denen die Kirche ausgestattet ist und von denen sie lebt, sowie mit deren göttlichem Ursprung.

Aus alledem, was Wir in Unserem Schreiben an euch, ehrwürdige Brüder, bisher dargelegt haben, geht klar hervor, dass sich jene in einem schweren Irrtum befinden, die sich nach eigener Willkür eine verborgene, ganz unsichtbare Kirche vorstellen, ebenso wie jene, die sich die Kirche als eine Art menschlicher Organisation denken mit einer bestimmten satzungsmäßigen Ordnung und mit äußeren Riten, aber ohne Mitteilung übernatürlichen Lebens. Nein, wie Christus, das Haupt und Urbild der Kirche, "nicht ganz ist, wenn man in ihm entweder nur die menschliche, sichtbare ... oder bloß die göttliche, unsichtbare Natur betrachtet , sondern wie er einer aus bei den und in beiden Naturen ist : so sein mystischer Leib"; hat doch das Wort Gottes eine menschliche leidensfähige Natur angenommen, damit nach der Gründung einer sichtbaren und mit dem göttlichen Blute geweihten Gesellschaft "der Mensch durch eine sichtbare Leitung den Weg zum Unsichtbaren zurückfinde".


Rechtskirche und Liebeskirche

Deshalb bedauern und verwerfen Wir auch den verhängnisvollen Irrtum jener, die sich eine selbstersonnene Kirche erträumen, nämlich eine nur durch Liebe aufgebaute und erhaltene Gesellschaft, der sie - mit einer gewissen Verächtlichkeit - eine andere, die sie die Rechtskirche nennen, gegenüberstellen. Eine solche Unterscheidung einzuführen ist ganz verfehlt. Sie verkennt, dass der göttliche Erlöser die von ihm gegründete Gemeinschaft von Menschen als eine in ihrer Art vollkommene Gesellschaft mit allen rechtlichen und gesellschaftlichen Bestandteilen gerade zu dem Zwecke wollte, damit sie dem Heilswerk der Erlösung hier auf Erden dauernden Bestand sichere, und dass er sie zur Erreichung desselben Zweckes vom Tröster - Geist mit himmlischen Gnaden und Gaben reich ausgestattet wissen wollte. Gewiss, sie sollte nach dem Willen des ewigen Vaters "das Reich des Sohnes seiner Liebe" sein, dabei aber in Wahrheit ein solches Reich, in welchem alle durch ihren Glauben eine vollkommene Unterwerfung des Verstandes und Willens darbringen und in Demut und Gehorsam dem ähnlich werden sollten, der für uns "gehorsam ward bis zum Tode". Es kann also kein wirklicher Gegensatz oder Widerspruch bestehen zwischen der unsichtbaren Sendung des Heiligen Geistes und dem rechtlich von Christus empfangenen Amt der Hirten und Lehrer. Beide ergänzen und vervollkommnen einander wie in uns Leib und Seele und gehen von einem und demselben aus, unserm Erlöser: Er hat gewiss seinen Aposteln den göttlichen Odem eingehaucht mit den Worten: "Empfanget den Heiligen Geist", aber er hat ihnen auch den klaren Auftrag erteilt: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch", und in gleichem Sinne gesagt: "Wer euch hört, der hört mich."

Schwäche und Sünde sind nicht ausgeschlossen

Wenn man aber in der Kirche einiges wahrnimmt, was die Schwäche unserer menschlichen Natur verrät, so fällt das nicht ihrer rechtlichen Verfassung zur Last, sondern vielmehr der beklagenswerten Neigung der einzelnen zum Bösen. Diese Schwäche duldet ihr göttlicher Stifter auch in den höheren Gliedern seines mystischen Leibes deswegen, damit die Tugend der Herde und der Hirten erprobt werde und in allen die Verdienste des christlichen Glaubens wachsen. Denn, wie oben gesagt, Christus wollte die Sünder aus der von ihm gegründeten Gemeinschaft nicht ausgeschlossen wissen. Wenn also manche Glieder an geistlichen Gebrechen leiden, so ist das kein Grund, unsere Liebe zur Kirche zu vermindern, sondern vielmehr mit ihren Gliedern größeres Mitleid zu haben.

Ohne Fehl erstrahlt unsere verehrungswürdige Mutter in ihren Sakramenten, durch die sie ihre Kinder gebiert und nährt, im Glauben, den sie jederzeit unversehrt bewahrt, in ihren heiligen Gesetzen, durch die sie alle bindet, und in den evangelischen Räten, zu denen sie ermuntert, endlich in den himmlischen Gaben und Charismen, durch die sie in unerschöpflicher Fruchtbarkeit unabsehbare Scharen von Märtyrern, Jungfrauen und Bekennern hervorbringt. Ihr kann man es nicht zum Vorwurf machen, wenn einige ihrer Glieder krank oder wund sind. Sie fleht ja in deren Namen selbst täglich zu Gott: "Vergib uns unsere Schuld", und widmet sich ihrer geistlichen Pflege mit mütterlich starkem Herzen unablässig.

Wenn wir also den Ausdruck "mystischer" Leib Christi gebrauchen, so liegen schon in der Bedeutung dieses Wortes sehr ernste Lehren für uns. Solche Mahnung klingt an in den Worten des heiligen Leo: "Erkenne, Christ, deine Würde, und der göttlichen Natur einmal teilhaftig geworden, kehre nicht durch unwürdiges Betragen zum alten erbärmlichen Zustand zurück! Denke daran, wessen Hauptes und wessen Leibes Glied du bist!" (Aus der Enzyklika "Mystici Corporis Christi", 29. Juni 1943).

Aufforderung zur Rückkehr in das gemeinsame Vaterhaus

Wie euch sicher bekannt ist, ehrwürdige Brüder, haben Wir von Anfang unseres Pontifikats an auch die, die nicht zur sichtbaren Gemeinschaft der Katholischen Kirche gehören, Gottes Schutz und Leitung empfohlen und feierlich versichert, dass Uns in Nachahmung des Beispiels des guten Hirten nichts mehr am Herzen liegt, als dass auch sie das Leben haben und es in Fülle besitzen. Wir wünschen diese Unsere feierliche Versicherung durch diese Enzyklika, die der Ehre "des großen und glorreichen Leibes Christi" geweiht ist, zu wiederholen, nachdem Wir soeben um die Gebete der ganzen Kirche nachgesucht haben. Alle jene und jeden einzelnen von ihnen laden Wir mit liebendem Herzen ein, den inneren Antrieben der göttlichen Gnade freiwillig und freudig zu entsprechen und sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des eigenen ewigen Heiles nicht sicher sein können. Denn mögen sie auch aus einem unbewussten Sehnen und Wünschen heraus schon in einer Beziehung stehen zum mystischen Leib des Erlösers, so entbehren sie doch so vieler wirksamer göttlichen Gaben und Hilfen, deren man sich nur in der Katholischen Kirche erfreuen kann. Möchten sie also eintreten in den Kreis der katholischen Einheit und, alle mit uns in der gleichen Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi geeint, an das eine Haupt sich wenden in ruhmreicher Liebesverbundenheit. In unablässigem Flehen zum Geiste der Liebe und der Wahrheit erwarten Wir sie mit ausgebreiteten Armen, nicht als Fremde, sondern als solche, die in ihr eigenes Vaterhaus einkehren.

Nur ein freiwilliger Eintritt

Doch wenn es auch Unser Wunsch ist, es möchten unaufhörlich die Gemeinschaftsgebete des ganzen mystischen Leibes um möglichst baldigen Eintritt aller Irrenden in die eine Hürde Jesu Christi zu Gott emporsteigen, so müssen Wir doch betonen, dass solch ein Schritt aus freiem Willensentschluss geschehen muss, da niemand glauben kann, der es nicht freiwillig tut. Sollten also Menschen, die nicht glauben, wirklich zum Eintritt in den äußerlichen Bau der Kirche, zum Hintreten an den Altar und zum Empfang der Sakramente genötigt werden, so können dies gewiss keine wahren Christgläubigen sein. Denn der Glaube, ohne den man Gott unmöglich gefallen kann, muss eine völlig freie "Hingabe des Verstandes und Willens" sein. Sollte daher einmal der Fall eintreten, dass jemand gegen die beständige Lehre dieses Apostolischen Stuhles wider seinen Willen zum katholischen Glauben gezwungen würde, so müssten Wir dies im Bewusstsein Unserer Amtspflicht unbedingt zurückweisen. Weil aber die Menschen einen freien Willen haben und ihre Freiheit infolge ihrer verkehrten Neigungen und Leidenschaften auch missbrauchen können, kann nur der Vater der Erleuchtung sie durch den Geist seines geliebten Sohnes wirksam zur Wahrheit bewegen. Wenn also bedauerlicherweise so viele Menschen noch außerhalb der Wahrheit des katholischen Glaubens stehen und dem Walten der göttlichen Gnade ihre Freiheit nicht unterwerfen, so hat dies seinen Grund nicht nur darin, dass sie selbst (vgl. August. In Joh. ev.), sondern auch darin, dass die Christgläubigen keine glühenderen Gebete um diese Gnade an Gott richten. Stets aufs neue wiederholen Wir darum Unsere Mahnung, dass alle in brennender Liebe zur Kirche und nach dem Beispiel des göttlichen Heilandes solche Gebete beharrlich verrichten.(Aus der Enzyklika "Mystici Corporis Christi", 29. Juni 1943).

Die Katholische Kirche ist also das große sichtbare Geheimnis, weil ihr Oberhaupt auf Erden, der Stellvertreter Christi, sichtbar ist, weil ihre Diener sichtbar sind, weil ihr Leben sichtbar ist, ihr Kult, ihr Handeln und Wirken zum Heil und zur Vervollkommnung der Menschen. Sichtbar ist auch ihre Unzerstörbarkeit, soweit sie geschichtlich beweisbar ist, indes ihr Weg in der Vergangenheit Unterpfand ihrer Zukunft ist. Daher hat ein großer nichtkatholischer Geschichtsschreiber des vergangenen Jahrhunderts, nachdem er gegen seinen Willen anerkannt hatte, dass die Katholische Kirche" voll Leben und jugendlicher Kraft" geblieben sei, bemerkt: "Wenn wir an die schrecklichen Angriffe denken, die sie überstanden hat, so finden wir es schwer, uns vorzustellen, wie sie untergehen könnte." Aber wenn man auch diese Unzerstörbarkeit aus der Erfahrung aufweisen kann, so ist sie doch ein Geheimnis, weil sie nicht auf natürliche Weise erklärbar ist, es sei denn durch die Tatsache, die wir aus der göttlichen Offenbarung kennen, dass Christus, der sie gegründet hat, in allen Drangsalen mit ihr ist bis ans Ende der Zeiten (Aus der Ansprache an die Fastenprediger, 13. März 1943).

Die Kirche altert nicht

Die Kirche hatte und hat ihren Frühling, wunderbar wie sie selbst. Die drei großen Feste: Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, in der Jahreszeit, in der die Natur, zu neuem Leben erwachend, sich mit Grün und Blüten schmückt und sich mit inneren Wehen darauf vorbereitet, ihre Ernten und ihre Früchte zu schenken, sind jene Feste etwa nicht ein geistlicher Frühling, der uns den Frühling der Natur süßer und teurer und schöner macht? Sie sind gleichsam eine Sonne, in der die drei höchsten Wahrheiten aufleuchten, die drei überwältigenden geschichtlichen Tatsachen, die drei Geheimnisse höchsten Glanzes im Werk der Erlösung; sie sind drei unerschütterliche Grundpfeiler des gewaltigen Gebäudes der heiligen Kirche. In ihrem Lichte, in ihrer übernatürlichen Festigkeit erleuchten diese Wahrheiten, gleich gegenwärtig in jedem Jahrhundert der Kirchengeschichte und gleich offenkundig für alle Geschlechter, mit ihrer geschichtlichen Wirklichkeit den Frühling des Christentums, sein Grünen, Wachsen und Blühen auch in Sturm und Ungewitter; denn das Christentum ist als Riese geboren, die Stirn umgürtet mit den Strahlen jener drei Wahrheiten, welche die mit Recht als heroisch bezeichnete Epoche einleiten: die drei Jahrhunderte von der Gründung der Kirche bis zum Frieden mit dem Römischen Reich im Jahre 312, zur Zeit Konstantins.

Diese drei grundlegenden Geheimnisse, als der leuchtendste Glanz jenes Lichtes der Welt, das Christus ist, leiten und begleiten den Weg der jungen Braut Christi, der Kirche, wachen über ihre Schritte und flößen ihr Mut ein, sich aufrechtzuhalten in dem dunklen Wald des Heidentums, um den Berg ihrer vorbestimmten Größe zu erreichen. Den Sinn mit zäher Beharrlichkeit dem Glauben verhaftet an die neue Welt und die eigene Auferstehung, das Auge mit heiligem Verlangen auf den Verherrlichten gerichtet, der zur Rechten des Vaters sitzt im himmlischen Jerusalem, der ewigen, glückseligen Heimstatt jener, die treu bleiben werden bis in den Tod, die Seele beherrscht von der Gewissheit der stärkenden Gegenwart des Geistes, den Jesus versprochen und gesandt hatte: So seht ihr die ersten Christen hervorragen durch die Größe ihres Denkens, die Kraft ihres Handeins, durch Mut und Wetteifer in sittlichem Heldentum, in der Behauptung des Glaubens, in Kämpfen und Leiden, ein Beispiel hinterlassend, dessen erobernde Macht sich offenbart und fortpflanzt von Jahrhundert zu Jahrhundert bis in unsere Tage - unsere Tage, da es mehr denn je gilt, die christliche Ehre zu retten und den christlichen Namen zu bewahren, Kämpfe und Prüfungen zu bestehen, die denen von damals nicht unähnlich sind. Vor solchen Helden, auf deren Haupt sich mit dem Siegeslorbeer des christlichen Kämpfertums oft die Palme des Martyriums verschlingt, verschwindet jede Ungewissheit und jedes Zögern. Genügt die Mahnung, die ihr Heldenleben uns mit so mächtiger Stimme erteilt, etwa nicht, den Nebel in den Geistern zu zerteilen, die Herzen wieder zu kräftigen, die Stirnen der Christen von heute wieder aufzurichten, da ihnen ihre hohe Würde ins Bewusstsein gerufen wird, das Verlangen nach erhabener Größe in ihnen geweckt und sie an die Verantwortung erinnert werden, die ihnen das christliche Bekenntnis auferlegt?

Das geistige Profil dieser ersten Christenheit, in deren Anfänge uns das Fest der Auferstehung und das Pfingstfest demnächst zurückführen werden, ist gekennzeichnet durch vier charakteristische und unverwechselbare Wesenszüge:

1. Eine unerschütterliche Siegesgewissheit, die sich auf einen tiefen Glauben stützt;

2. eine grenzenlos heitere Bereitschaft zu Opfer und Leiden;

3. eine eucharistische Glut und Innerlichkeit, die aus der Überzeugung von der sozialen Wirksamkeit des eucharistischen Gedankens auf alle Formen des gesellschaftlichen Lebens hervorbricht;

4. ein Streben nach immer festerer und unzerstörbarer Einheit im Geiste und in der Hierarchie.

Dieses vierfache Wesensbild der jungen Kirche bedeutet in jedem seiner beherrschenden Merkmale einen Weckruf und zugleich eine Hoffnung und ein Versprechen für die Christenheit unserer Tage. Aber das wahre Christentum von Heute ist von dem anfänglichen nicht verschieden. Die Jugend der Kirche ist ewig, denn die Kirche altert nicht, wenn sie ihren Schritt auf dem Wege zur Ewigkeit je nach den Umständen der Zeit ändert; die Jahrhunderte, die sie zählt, sind für sie ein Tag, wie die Jahrhunderte, die sie erwartet, ein Tag sind. Ihre Jugend zur Zeit der Cäsaren ist dieselbe, die zu uns spricht (Aus der Rundfunkbotschaft, 13. Mai 1943).

Übernationalität der Kirche

Die Katholische Kirche ist ihrem Wesen nach übernational. Das schließt einen zweifachen Sinn ein, einen negativen und einen positiven. Die Kirche ist Mutter, Sancta Mater Ecclesia, wahre Mutter, Mutter aller Nationen und aller Völker nicht weniger als aller einzelnen Menschen, und eben weil sie die Mutter aller ist, gehört sie nicht und kann sie nicht ausschließlich diesem oder jenem Volk angehören und auch nicht einem Volke mehr und einem anderen weniger, sondern allen gleich. Sie ist Mutter, und daher ist sie an keinem Ort eine Fremde und kann es nicht sein, denn sie lebt oder soll wenigstens ihrer Natur nach in allen Völkern leben. Während indessen die Mutter mit ihrem Gatten und ihren Kindern eine Familie bildet, ist die Kirche kraft einer unvergleichlich engeren Einheit mehr und etwas Besseres als eine Familie, nämlich der mystische Leib Christi. Die Kirche ist also übernational, weil sie ein unsichtbares, allumfassendes Ganzes ist.

Die Kirche verbindet alle Zonen und alle Zeiten der erlösten Menschheit ohne Ausnahme.

Kraftvoll begründet mittels einer so tiefreichenden Wurzel, steht die Kirche, mitten in der Geschichte des Menschengeschlechts, auf dem bewegten und aufgewühlten Feld auseinanderstrebender Kräfte und widerstreitender Richtungen; und mag sie auch immer wieder Angriffen gegen ihre unteilbare Einheit ausgesetzt sein, sie ist weit davon entfernt, dadurch erschüttert zu werden. Im Gegenteil, aus ihrem Leben in Ganzheit und Einheit strahlen und ergießen sich immer neue heilbringende und einigende Kräfte auf die zerrissene und entzweite Menschheit, Kräfte der einigenden göttlichen Gnade, Kräfte des einigenden Geistes, nach dem alle hungern, Wahrheiten, die immer und überall gelten, Ideale, die immer und überall leuchten.

Daraus erhellt, dass es ein frevelhafter Anschlag gegen den totus Christus, gegen Christus in seiner Ganzheit ist, und zugleich ein unheilvoller Schlag gegen die Einheit des Menschengeschlechts, wenn man gewagt hat und immer wieder wagt, die Kirche gleichsam zur Gefangenen und Sklavin dieses oder jenes bestimmten Volkes zu machen, sie in die engen Grenzen einer Nation einzuschließen oder sie daraus zu verbannen. Eine solche Zerreißung der Einheit der Kirche hat in den Völkern, die ihre Opfer waren, das Gut ihres wirklichen und vollen Lebens mehr und mehr verringert und verringert es noch. - Aber der nationale und staatliche Individualismus der letzten Jahrhunderte hat nicht nur das Interesse der Kirche zu verletzen, ihre einigenden Kräfte zu schwächen und zu hemmen gesucht, die doch eine Zeit hindurch wesentlichen Anteil an der Bildung der Einheit des europäischen Abendlandes gehabt haben. Ein abgestandener Liberalismus wollte die Einheit einer laizistischen Kultur und eines säkularisierten Humanismus ohne und gegen die Kirche schaffen. Hier wie dort ist ihm als Frucht seiner zersetzenden Tätigkeit und zugleich als Feind der Totalitarismus nachgefolgt. Mit einem Wort: Was war nach wenig mehr als einem Jahrhundert das Ergebnis aller dieser Bemühungen ohne und oft genug gegen die Kirche? Untergang der gesunden menschlichen Freiheit; Zwangsorganisationen; eine Welt, die an Brutalität und Barbarei, an Trümmern und Zerstörung, vor allem aber an verhängnisvoller Spaltung und Unsicherheit nicht ihresgleichen kennt.

In einer bewegten Zeit wie der unseren muss die Kirche zu ihrem eigenen Wohl und zum Wohl der Menschheit alles tun, um ihre ungeteilte und unteilbare Einheit zur Geltung zu bringen. Sie muss heute mehr denn je übernational sein. Dieser Geist muss ihr sichtbares Oberhaupt erfüllen und durchdringen, das Heilige Collegium, das ganze Handeln des Heiligen Stuhls, auf dem gerade heute schwere, nicht nur die Gegenwart, sondern noch mehr die Zukunft betreffende Aufgaben lasten.

Es handelt sich hier in der Hauptsache um eine Tat des Geistes, nämlich darum, den rechten Sinn für die Übernationalität zu haben und ihn nicht nach mathematischen Proportionen oder auf Grund strenger statistischer Grundsätze über die Nationalität einzelner Personen zu messen oder zu bestimmen. In dem langen Zeitraum, in dem durch Anordnung der Vorsehung die italienische Nation mehr als andere der Kirche ihr Oberhaupt und viele Mitarbeiter an der Zentralregierung des Heiligen Stuhls gegeben hat, hat die Kirche in ihrer Gesamtheit doch immer ihren übernationalen Charakter gewahrt.

Übernational, weil mit derselben Liebe alle Nationen und Völker umfassend, ist die Kirche auch, weil sie an keinem Ort eine Fremde ist. Sie lebt und entfaltet sich in allen Ländern der Welt, und alle Länder der Welt tragen bei zu ihrem Leben und ihrer Entfaltung.

So vollendet sich in der Kirche von Heute immer mehr das, was der heilige Augustinus in seiner Civitas Dei (dem Gottesstaat) verherrlicht hat: "Die Kirche" - so schreibt er- "ruft ihre Bürger aus allen Stämmen: in allen Sprachen vereinigt sie, die eine Pilgerin ist, ihre Gemeinschaft auf Erden. Nicht kümmert sie, was verschieden ist an Sitten, Gesetzen, Einrichtungen. Nichts davon hebt sie auf, nichts zerstört sie, sondern sie erhält es und befolgt es. Auch was verschieden ist an den verschiedenen Nationen, richtet sich doch auf das eine gleiche Ziel des irdischen Friedens, wenn es nicht die Verehrung des einzigen höchsten und wahren Gottes verhindert."

Wie ein mächtiger Leuchtturm wirft die Kirche in ihrer allumfassenden Ganzheit ihr Lichtbündel in die dunklen Tage, durch die wir gehen.

Was Uns angeht, so verlangen Wir selbst danach, dieses Haus immer fester, immer wohnlicher für alle ohne Ausnahme zu machen. Daher wollen Wir nichts unterlassen, was die Übernationalität der Kirche sichtbar ausdrücken kann, als Zeichen ihrer Liebe zu Christus, den sie sieht, und dem sie dient in dem Reichtum ihrer über die ganze Welt verstreuten Glieder (Aus der Allokution an das Heilige Collegium, 24. Dezember 1945).

Die Kirche ist Mutter

Die Kirche, die vom göttlichen Erlöser zu allen Völkern gesandt worden ist, um sie zu ihrem ewigen Heil zu führen, hat nicht die Absicht, in Streitigkeiten über rein irdische Dinge einzugreifen. Die Kirche ist Mutter. Verlangt von einer Mutter nicht, für das eine oder das andere ihrer Kinder Partei zu ergreifen, hier zu begünstigen, da zu bekämpfen. Alle müssen in ihr in gleicher Weise jene großherzige, klarsehende Liebe finden, jene innige und unwandelbare Zärtlichkeit, die ihren getreuen Kindern die Kraft gibt, mit festerem Schritt auf dem königlichen Wege der Wahrheit und des Lichtes zu wandeln, und die den Verirrten und Irrenden die Sehnsucht einflößt, unter ihre mütterliche Leitung zurückzukehren (Aus der Allokution an das Heilige Collegium, 24. Dezember 1946).

Jeder aufmerksame Beobachter, der die gegenwärtigen Umstände in ihrer konkreten Wirklichkeit zu erwägen und abzuschätzen weiß, bleibt zwangsläufig betroffen angesichts der großen Hindernisse, die sich dem Apostelamt der Kirche entgegenstellen. Wie der Fluss der glühenden Lava, der Meter um Meter den Hang des Vulkans herunterfließt, so dringt die zerstörende Woge des Weltgeistes drohend vor und breitet sich über alle Bereiche des Lebens, über alle Gesellschaftsklassen aus.

Ihr Gang und ihr Rhythmus nicht weniger als ihre Wirkungen wechseln nach den verschiedenen Ländern, von einem mehr oder weniger bewussten Verkennen des sozialen Einflusses der Kirche bis zum systematischen Misstrauen, das in einigen Regierungsformen den Charakter offener Feindseligkeit oder Verfolgung annimmt (Aus der Allokution an das Heilige Collegium, 23. Dezember 1950).

Die Kirche kann sich nicht untätig in die Stille ihrer Gotteshäuser zurückziehen und so die von der göttlichen Vorsehung ihr zugewiesene Sendung aufgeben, nämlich den ganzen Menschen zu bilden und dadurch rastlos mitzuarbeiten am Bau des festen Fundaments der Gesellschaft. Diese Sendung gehört zu ihrem Wesen selbst. So betrachtet, kann sich die Kirche die Gesellschaft derer nennen, die unter dem übernatürlichen Einfluss der Gnade, in der Vervollkommnung ihrer persönlichen Würde als Kinder Gottes und in der harmonischen Entfaltung aller menschlichen Anlagen und Kräfte, den mächtigen Bau des menschlichen Zusammenlebens errichten.

Kollektiv- und Individualschuld

So ist der vornehmliche Sinn der Übernationalität der Kirche der, über alle Grenzen von Raum und Zeit hinweg dauernd am Fundament der menschlichen Gesellschaft zu gestalten und zu formen. Ein hartes Werk, besonders in unseren Tagen, wo das gesellschaftliche Leben den Menschen schier zum Rätsel, zu unentwirrbarem Knäuel geworden zu sein scheint. Es gehen verhängnisvolle Irrtümer um, die einen Menschen für schuldig und verantwortlich erklären, nur weil er Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft ist, ohne dass man sich die Mühe nimmt zu prüfen oder festzustellen, ob seinerseits wirklich eine persönliche, schuldhafte Handlung oder Unterlassung vorliegt. Das heißt, die Rechte Gottes, des Schöpfers und Erlösers sich anmaßen, der allein in den geheimnisvollen Ratschlüssen seiner immer liebevollen Vorsehung absoluter Herr der Ereignisse ist und als solcher, wenn er es in seiner unendlichen Weisheit so beschließt, die Geschicke von Schuldigen und Unschuldigen, von Verantwortlichen und Nichtverantwortlichen verkettet. Dazu kommt, dass vor allem die wirtschaftlichen und militärischen Verwicklungen aus der Gesellschaft gleichsam eine riesige Maschine gemacht haben, die der Mensch selber nicht mehr meistert und die er geradezu fürchtet. Die Kontinuität hatte stets als eine Wesenseigenschaft des gesellschaftlichen Lebens gegolten, und es hatte den Anschein, als könne man sich dieses soziale Leben nicht vorstellen, wenn man den Menschen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft loslöse. Nunmehr ist aber gerade dies der unheimliche Vorgang, deren Zeugen wir sind. Allzuoft weiß man von der ganzen Vergangenheit nahezu nichts oder kaum so viel, um die wirren Runen in ihren Trümmerhaufen zu erahnen. Die Gegenwart ist für viele nur wie die jagende Flucht eines Gießbachs, der die Menschen wie Treibholz in die dunkle Nacht einer Zukunft stürzt, in der sie sich mitsamt dem reißenden Strom verlieren, der sie dahinträgt.

Die Kirche allein kann den Menschen aus dieser Finsternis ins Licht zurückzuführen; nur sie kann ihm das Bewusstsein einer kraftvollen Vergangenheit wiedergeben, die Meisterung der Gegenwart, die Sicherheit für die Zukunft. Aber ihre Übernationalität wirkt sich nicht aus wie ein Imperium, das seine Fühler nach allen Seiten ausstreckt und nach Weltherrschaft strebt. Wie eine Familienmutter vereinigt sie täglich ihre in der Welt verstreuten Kinder im vertrauten Kreis; sie schließt sie zusammen in der Einheit ihres göttlichen Lebensprinzips (Aus der Allokution an die neuen Kardinäle, 20. Februar 1946).

38. DAS PAPSTTUM

CHRISTUS hat seinen Willen, eine einige und unzerstörbare Kirche zu gründen, durch das Versprechen an Petrus mit der Einsetzung des Primates, also des Papsttums, verwirklicht. Die auf Petrus und seine Nachfolger gegründete Kirche, und nur sie sollte die Kirche Christi sein, einig in sich und bis ans Ende der Zeiten dauernd in Abhängigkeit und unter Leitung eines sichtbaren persönlichen Oberhauptes.

Es war eine Fügung der göttlichen Vorsehung, dass Petrus Rom als seinen Bischofssitz wählte. Hier ist er im Zirkus des Nero - dafür besitzen wir unbestreitbare archäologische Zeugnisse - als Bekenner Christi gestorben; unter dem Mittelpunkt der Kuppel von St. Peter war und ist die Stätte seines Grabes. Seine Nachfolger, die Päpste, haben seine Sendung bis in die Gegenwart weitergeführt.

In der Reihe der römischen Päpste hat es viele gegeben, die wie der Apostelführer ihren Glauben an den, dessen sichtbare Stellvertreter sie waren, mit ihrem Blute besiegelt haben. Viele sind groß gewesen durch ihre Heiligkeit, durch ihre überragende Begabung, durch die Autorität ihrer Person. Es hat einige gegeben, deren rein menschliche Eigenschaften weniger der Hoheit ihres Oberhirtenamtes entsprachen. Aber die furchtbarsten Stürme, die seit den Zeiten des Apostels Petrus bis in unsere Tage herein gewütet haben, haben weder die Kirche erschüttern noch die göttliche Sendung der Päpste beeinträchtigen können. Jeder Papst empfängt sie in dem Augenblick, in dem er seine Wahl annimmt, unmittelbar von Christus, zusammen mit den ihm von Gott gegebenen Vollmachten und mit dem Privileg der Unfehlbarkeit.

Der Untergang Roms bedeutete nicht den Untergang des Papsttums

Wenn je einmal - Wir sprechen dies als reine Hypothese aus das materielle Rom untergehen sollte, ja wenn sogar die vatikanische Basilika, Symbol der einen, unbesiegbaren Katholischen Kirche, unter ihren Trümmern die geschichtlichen Schätze, die verehrungswürdigen Gräber, die sie in sich birgt, begraben sollte, so wäre die Kirche auch dann weder niedergeworfen noch zerschlagen. Es würde immer noch das Versprechen Christi an Petrus wahr bleiben, und es würde immer das Papsttum fortdauern: die eine, unzerstörbare, auf dem Papst gegründete Kirche (Aus der Ansprache an römische Studenten, 30. Januar 1949).

Die Nachfolger Petri, auch sie sterblich wie alle Menschen, gehen vorüber. Aber der Primat Petri wird immer bestehen, unter jenem besonderen Beistand, der ihm verheißen wurde, als Jesus ihm auftrug, seine Brüder im Glauben zu stärken. Wie auch Name, Antlitz und Ursprung eines jeden Papstes sein mögen, immer lebt Petrus in ihm, immer lenkt und regiert Petrus, überall lehrt Petrus und verbreitet auf der Welt das Licht der befreienden Wahrheit. Dies ließ einen großen heiligen Redner sagen. Gott habe in Rom einen ewigen Lehrstuhl aufgerichtet: "Petrus wird in seinen Nachfolgern leben; Petrus wird immer von seinem Lehrstuhl aus sprechen" (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 17. Januar 1940).

Als Stellvertreter dessen, der in einer entscheidenden Stunde vor dem Vertreter der höchsten irdischen Gewalt von damals das große Wort sprach: "Ich bin geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen; wer immer für die Wahrheit einsteht, hört auf meine Stimme", fühlen Wir Uns Unserem Amte wie auch Unserer Zeit gegenüber zu nichts mehr verpflichtet als dazu, mit apostolischer Festigkeit Zeugnis abzulegen für die Wahrheit: testimonium perhibere veritati. Diese Pflicht schließt notwendig die Bloßstellung und Widerlegung von Irrtümern und menschlichen Verfehlungen in sich, die man erkennen muss, damit Behandlung und Heilung möglich seien: ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen. In Erfüllung dieser Unserer Pflicht werden Wir Uns weder von irdischen Erwägungen beeinflussen lassen, noch werden Wir Uns durch Misstrauen und Widerstand, durch Ablehnung und Unverständnis, durch Furcht vor Verkennungen und falschen Auslegungen davon abhalten lassen. Wir werden sie vielmehr immer erfüllen, beseelt von jener väterlichen Liebe, die, während sie unter den Übeln leidet, von denen ihre Kinder gepeinigt werden, ihnen das Heilmittel weist, das heißt, indem Wir Uns bemühen, das göttliche Vorbild der Hirten, den guten Hirten Jesus Christus nachzuahmen, der Licht und Liebe zugleich ist (Aus der Enzyklika "Summi Pontificatus", 24. Dezember 1939).

Der Schaden der Abspaltung

Der göttliche Auftrag, der von dem ersten Petrus durch die lange Reihe der römischen Päpste bis zu Uns, ihrem unwürdigen Nachfolger, gelangt ist, umschließt in der verwirrten und entzweiten Welt von Heute ein noch größeres Maß von heiliger Verantwortung und stößt auf Hemmungen und Widerstände, die von der Kirche in ihrem sichtbaren Oberhaupt und in ihren Gliedern vermehrten Eifer und erhöhte Wachsamkeit fordern.

Heute enthüllt sich mehr denn je dem Auge jedes klarsichtigen und gerechten Beobachters die traurig passive Bilanz, die die Spaltungen von der Mutterkirche im Lauf der Jahrhunderte der Christenheit eingebracht haben. In einer dunklen und leidvollen Zeit wie der unseren, in der die Menschheit dabei ist, die Konsequenzen eines geistigen Niedergangs zu ziehen, der sie in den Abgrund gestürzt hat, und in allen Nationen sich Stimmen erheben, die zu dem riesigen Werk der Neuordnung neben den äußeren Garantien auch die unerlässlichen rechtlichen und sittlichen Grundlagen fordern, wird es von entscheidender Wichtigkeit sein zu erkennen, welchen Einfluss der Strom der Ideen und Normen des christlichen Lebens auf Inhalt und Geist dieser künftigen Ordnung und gegen eine Wiederkehr falscher und verhängnisvoller Strömungen ausüben wird. Die römisch-katholische Mutterkirche, die der von ihrem göttlichen Stifter empfangenen Verfassung treu geblieben ist und die auch heute fest auf dem Felsengrund steht, auf den sie sein Wille gebaut hat, besitzt im Primat Petri und seiner rechtmäßigen Nachfolger die durch göttliches Versprechen verbürgte Sicherheit, die ganze Summe von Wahrheit und Gnade, die in der Erlösermission Christi enthalten ist, durch Jahrhunderte und Jahrtausende bis ans Ende der Zeiten ganz und unverletzt zu hüten und weiterzugeben. Und während sie in dem anspornenden und tröstlichen Bewusstsein dieses doppelten Besitzes die Kraft findet, die alle Trübungen des Irrtums und sittliche Verirrungen besiegt, entfaltet sie ihr Wirken zum Vorteil nicht nur der Christenheit, sondern der ganzen Welt, indem sie in die großen Streitigkeiten, in denen sich oft Segen und Unheil, üppige Saaten und armselige Ernten nebeneinander finden, Gefühle versöhnender Gerechtigkeit und echter brüderlicher Liebe einfließen lässt.

Rationalismus

Aber wie viel stärker und wirksamer wären die Ausstrahlungen des christlichen Denkens und Lebens auf die Grundlagen der künftigen Pläne für Frieden und sozialen Wiederaufbau, gäbe es nicht die weite Teilung und Zerstreuung der religiösen Bekenntnisse, die sich im Lauf der Zeiten von der Mutterkirche getrennt haben! Wer vermöchte heute nicht zu erkennen, wie viel Standhaftigkeit im Glauben, wie viel innere Widerstandskraft gegen die religionsfeindlichen Einflüsse durch diese Spaltungen in zahllose Gruppen verloren gegangen sind!

Ein sprechender Beweis für diese schmerzliche Wirklichkeit ist unter vielen anderen die Geschichte des Rationalismus und des Naturalismus in den letzten zwei Jahrhunderten. Da, wo das Amt, das dem Träger des Primates anvertraut ist, confirma fratres tuos (bestärke deine Brüder), seine schützende und vorbeugende Wirkung nicht ausüben kann, ist das Unkraut des Rationalismus mit seinen schädlichen Halmen und Samenkapseln in tausend verschiedenen Arten in das Denken vieler eingedrungen, die sich Christen nennen, und hat vergiftet, was in ihnen noch von der geoffenbarten Wahrheit geblieben war; vor allem verursachte er eine Verdunkelung, Spaltung und wachsende Preisgabe des Glaubens an die Gottheit Christi.

Das Band von Caesarea Philippi

Zwischen Christus und Petrus besteht seit dem Tage der Verheißung bei Caesarea Philippi und seiner Erfüllung am See Tiberias ein geheimnisvolles, aber bedeutsam reales Band, das in der Zeit geknüpft worden, seine Wurzeln aber in die ewigen Ratschlüsse des Allmächtigen senkt. Der himmlische Vater, der Simon, dem Sohn des Jonas, das Geheimnis der göttlichen Sohnschaft Christi enthüllte und ihn dadurch fähig machte, auf die Frage des Erlösers mit einem klaren und bejahenden Bekenntnis zu antworten, hatte den Fischer von Bethsaida von Ewigkeit her zu seinem einzigartigen Amte vorherbestimmt. Christus selbst erfüllte nur den Willen des Vaters, als er bei der Verheißung und bei der Übertragung des Primates Worte gebrauchte, die für immer die Einzigartigkeit der privilegierten Stellung festlegen sollten, die Petrus zugeteilt wurde.

Jene, die - wie es vor kurzem von einigen Vertretern religiöser Bekenntnisse, die sich als christlich bekennen, behauptet (vielmehr: wiederholt) worden ist - erklären, es gebe keinen Stellvertreter Christi auf Erden, weil Christus selbst verheißen habe, er werde bei seiner Kirche bleiben als ihr Oberhaupt und Herr bis ans Ende der Welt, verkennen und entstellen daher - abgesehen davon, dass sie jedem bischöflichen Amt seine Grundlagen entziehen - den tiefen Sinn des päpstlichen Primates, der nicht Leugnung, sondern Erfüllung jener Verheißung ist. Denn wenn es auch wahr ist, dass Christus in der Fülle seiner göttlichen Macht über die mannigfaltigsten Formen der Erleuchtung und Heiligung verfügt, in denen er wirklich bei jenen ist, die sich zu ihm bekennen, so ist nicht weniger gewiss, dass er Petrus und seinen Nachfolgern Führung und Regierung der Weltkirche und die Schätze der Wahrheit und der Gnade seines Erlösungswerkes anvertrauen wollte.

Stellvertreter Christi

Die Worte Christi an Petrus lassen keinen Zweifel über ihren Sinn: so haben es Orient und Okzident in gefahrloser Zeit anerkannt und in wunderbarer Übereinstimmung geglaubt. Einen Gegensatz zwischen Christus als Oberhaupt der Kirche und seinem Stellvertreter schaffen und in der Bejahung des einen die Verneinung des anderen sehen wollen heißt die klarsten und lichtvollsten Seiten des Evangeliums verkennen. Es heißt das die Augen schließen vor den ältesten und verehrungswürdigsten Zeugnissen der Überlieferung und die Christenheit jenes kostbaren Erbes berauben, dessen rechte Kenntnis und Achtung in dem Augenblick, den Gott allein kennt, und dank dem Licht der Gnade, die er allein spendet, in den abgetrennten Brüdern die Sehnsucht nach dem Vaterhaus und den tatkräftigen Willen erwecken wird, dorthin zurückzukehren.

Wenn Wir jedes Jahr am Vorabend des Festes des Apostelfürsten Unsere Patriarchal-Basilika im Vatikan besuchen, um am Grabe des ersten Petrus die Kraft zu erflehen, der Herde zu dienen, die Uns nach den Plänen und Zielen des Ewigen Hohenpriesters anvertraut ist, dann erscheinen in der Kuppel dieses erhabenen Tempels vor Unserem Blick in leuchtendem Mosaik die machtvollen Worte, mit denen Christus seine Absicht ausgesprochen hat, die Kirche auf den Felsen Petri zu bauen, und erinnern Uns an Unsere unvergängliche Pflicht, dieses unvergleichliche Erbe des göttlichen Erlösers unangetastet zu erhalten. Während Wir dann vor Uns die strahlende ,Glorie' Berninis erblicken, und über der Kathedra, die von den riesigen Figuren eines Ambrosius und eines Augustinus, eines Athanasius und eines Johannes Chrystostomus getragen wird, in herrlichem Lichte das Symbol des Heiligen Geistes herrschen und leuchten sehen, erfahren Wir in ganzer Fülle den heiligen Charakter dieser übermenschlichen Sendung, die der Wille des Herrn mit der Hilfe des von ihm verheißenen und von ihm gesandten Geistes dem Mittelpunkt der Kirche Gottes, columna et firmamentum veritatis (Säule und Stütze der Wahrheit), übertragen hat (Aus der Ansprache an das Heilige Collegium, 2. Juni 1944).

Die großartigen Kolonnaden Berninis strecken mit symbolischer Gebärde ihre Arme aus, gleichsam als wollten sie Reisenden und Pilgern aller Zungen und Nationen sagen, dass dieser gewaltige Tempel bereit ist, sie alle in der Wahrheit und in der Liebe zu umfangen (Aus der Homilie zum 1. Jahrestag des Pontifikats, 3. März 1940).

39. DAS GEBET

EINE HOHE TUGEND ist die Frömmigkeit, Hilfe jeder anderen Tugend, ihr schönster und sprechendster Ausdruck aber ist das Gebet. Es ist für den Menschen, der Geist und Leib ist, die tägliche Nahrung seines Geistes, wie das tägliche Brot Speise seines Leibes ist ...

Beten heißt vor allem, sich vor Gott sammeln. Um Gott zu suchen und ihn zu finden, bedarf es nur, dass ihr in euch selbst Einkehr haltet, am Morgen, am Abend, an irgendeinem Augenblick des Tages. Wenn ihr froh im Stande der Gnade seid, werdet ihr im Innersten eures Gemütes mit den Augen des Glaubens Gott immer gegenwärtig als unendlich gütigen Vater erblicken, der bereit ist, eure Bitten aufzunehmen und euch zu sagen, was er von euch erwartet. Habt ihr aber das Unglück, außerhalb der Gnade zu leben, so geht aufrichtig in euch. Ihr werdet Gott finden als barmherzigen, zum Verzeihen geneigten Richter, besser noch, als den Vater des verlorenen Sohns, der die Arme und das Herz öffnen wird, wenn ihr reumütig bekennt: "Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen dich." Wie viele Seelen haben sich vor Verstockung und Sünde bewahrt, vor Herzensverhärtung und ewigem Verderben, allein durch die kurze Gewissenserforschung am Abend, wie viele verdanken ihr ewiges Heil dem täglichen Gebet!

Aufschwung der Seelen

Die Übung christlicher Frömmigkeit heißt nicht, das Haus in eine Kirche oder einen Betsaal verwandeln; es ist einzig ein heiliger Aufschwung der Seele, die in sich die Kraft und das Leben des Glaubens fühlt. Auch im alten heidnischen Rom hatte die Wohnstätte der Familie Heiligtum und Altar, der den Laren geweiht war. Er wurde besonders an Festtagen mit Blumengirlanden geschmückt; an ihm wurden Gebete und Opfer dargebracht. Es war ein Kult, der freilich durch den Irrtum der Vielgötterei befleckt war; aber in Erinnerung an ihn müssten gar viele Christen erröten, die mit dem Zeichen der Taufe auf der Stirn weder in ihren Zimmern Platz finden, das Bild Christi darin aufzustellen, noch in den vierundzwanzig Stunden ihres Tages Zeit finden, vor ihm ihre Familie im Gebet zu versammeln.

Nichts hilft so sehr zu vertrauensvollem Gebet als die persönliche Erfahrung wirksamer Gebete, auf die die Vorsehung liebevoll geantwortet hat, indem sie voll und reich gewährte, um was gebetet worden war.

Und doch scheint für manche, die beten, die göttliche Gnade allzu lange zu zögern. Worum sie bitten, das scheint ihnen gut, nützlich, notwendig, und gut nicht nur für den Leib, sondern auch für ihre Seele wie auch für die Seelen derer, die ihnen teuer sind. Sie beten mit Eifer Wochen, Monate hindurch und haben noch nichts erreicht. Einer Mutter ist die Gesundheit noch nicht gewährt worden, die sie braucht, um für die Familie zu sorgen; ein Sohn, eine Tochter, deren Verhalten ihr ewiges Heil in Gefahr bringt, sind noch nicht zu besserer Gesinnung zurückgekehrt; materielle Bedrängnisse, in denen sich die Eltern abquälen und mühen, um den Kindern ein Stück Brot zu verschaffen, werden, anstatt zu verschwinden, noch härter und drohender. Die Kirche vervielfacht in allen Völkern ihre Gebete, das Ende des unseligen Krieges zu erlangen, der auf der ganzen menschlichen Familie lastet, und doch will sich der gerechte Friede nicht nähern, der so dringlich gerufen, gewünscht, ersehnt wird und der so notwendig erscheint für das Wohl aller und zumal zum Wohl der Seelen.

Erfüllung

Unter der Last solcher Gedanken schauen viele überrascht auf die heiligen Altäre, vor denen gebetet wird, und stoßen sich vielleicht daran und sind verwirrt, wenn sie in der heiligen Liturgie unaufhörlich das Versprechen des göttlichen Erlösers wiederholen hören: "Was immer ihr im Gebet gläubig erbitten werdet, das werdet ihr erlangen." "Bittet und ihr werdet empfangen ... Wer immer bittet, empfängt." "Was immer ihr von dem Vater in meinem Namen erbittet, das werde ich tun ... Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was immer ihr vom Vater in meinem Namen erbittet, das wird er euch gewähren." Könnten die Verheißungen des Erlösers deutlicher, klarer, feierlicher sein? Werden da nicht manche versucht sein, in ihnen fast einen bitteren Spott zu sehen angesichts des Schweigens Gottes gegenüber ihren Bitten?

Aber Gott lügt nicht und kann nicht lügen; was er versprochen hat, wird er halten; was er gesagt hat, wird er tun (Aus der Ansprache an Neuvermählte, 2. Februar 1941 und 17. April 1942).

Christus, der Herr, hat jedoch nirgends versprochen, uns auf dieser Welt unter allen Umständen glücklich zu machen. Er hat uns versprochen - so lesen wir im Evangelium - uns zu erhören wie der Vater seinen Sohn, dem er, selbst wenn er darum bäte, nicht einen Stein, eine Schlange oder einen Skorpion zur Speise geben wird, sondern Brot, Fisch oder Ei, womit er sich nähren und wodurch er weiter leben und wachsen wird. Was Jesus, unser Erlöser, uns als Frucht unserer Gebete sicher zu gewähren versprochen hat, sind nicht die Gunstbezeigungen, die die Menschen oft in Unkenntnis dessen erbitten, was ihrem Heil wirklich zuträglich ist, sondern jener "gute Geist", jenes Brot der übernatürlichen Gaben, die für unsere Seelen notwendig und voll Nutzen sind, jener Fisch, den er bereitet hat und den der auferstandene Heiland als sein künftiges Sinnbild an den Ufern des Sees von Tiberias den Aposteln als Speise darbot; jenes Ei, Nahrung für die Kleinen in der Andacht und Frömmigkeit, das die Menschen oft nicht unterscheiden von den Steinen, die dem ewigen Heil so sehr schaden und die ihnen Satan, der Versucher, anbietet ...

Das Gebet erniedrigt nicht, sondern erhöht

Das Gebet soll also ein Bitten um das sein, was für unsere Seele gut ist, ein inständiges Bitten darum, aber auch ein frommes Bitten.

Das fromme Gebet! Es ist nicht das Gebet des bloßen Klangs von Worten, bei dem Geist und Herz und Auge umherschweifen, sondern ist gesammeltes Beten, das vor Gott mit kindlichem Vertrauen beseelt, das erleuchtet ist mit lebendigem Glauben, durchtränkt mit Liebe zu Gott, zu den Brüdern und Schwestern. Es ist Gebet, das in der Gnade Gottes verrichtet wird, immer verdienstvoll fürs ewige Leben, immer demütig gerade in seinem Vertrauen; es ist Gebet, das, wenn ihr vor den Altären oder dem Bild des Gekreuzigten und der Allerseligsten Jungfrau in eurem Hause niederkniet, nicht den Hochmut des Pharisäers kennt, der sich für besser hält als die anderen Menschen, sondern das euch, dem armen Zöllner gleich, in eurem Herzen fühlen lässt, dass alles, was ihr empfangen werdet, Barmherzigkeit Gottes gegen euch ist ...

Das Gebet ist also ein Gut des Menschen; es verdemütigt und erniedrigt nicht, es erhöht vielmehr und macht groß. Die besten Künstler, die Meister der bildlichen Psychologie, haben nichts geschaffen, was das Gemüt machtvoller ergreift als die Darstellung des Menschen im Gebet. In jener Haltung des Betenden offenbart er seinen höchsten Adel, so dass man treffend behauptet hat, dass "der Mensch nur groß ist, wenn er kniet" (Aus der Ansprache in der Allgemeinen Audienz, 2. Juli 1941).

Das Privatgebet

Manche sprechen auch unsern Gebeten alle wirkliche Kraft ab oder suchen andern die Meinung beizubringen, die privaten Gebete hätten vor Gott geringe Bedeutung; vielmehr komme den öffentlichen, im Namen der Kirche verrichteten Gebeten der wahre Wert zu, weil sie vom mystischen Leibe Jesu Christi ausgehen. Das ist durchaus nicht richtig. Der göttliche Erlöser steht nicht nur in der engsten Lebensgemeinschaft mit seiner Kirche als der vielgeliebten Braut, sondern in ihr ist er auch aufs innigste vereint mit der Seele jedes einzelnen Gläubigen und sehnt sich danach, vor allem nach der heiligen Kommunion, traute Zwiesprache mit ihr zu führen. Obgleich das öffentliche Gebet, da es von der Mutter Kirche selbst verrichtet wird, wegen der Würde der Braut Christi jedes andere übertrifft, so entbehren doch auch alle andern, selbst die ganz privaten Gebete, nicht der Würde und Kraft. Sie tragen sogar viel bei zum Nutzen des ganzen mystischen Leibes. Denn in ihm wird kein gutes Werk, kein Tugendakt von einzelnen Gliedern vollbracht, der nicht infolge der Gemeinschaft der Heiligen auch der Gesamtheit zugute käme. Es ist den einzelnen Menschen auch nicht verwehrt, deswegen, weil sie Glieder dieses Leibes sind, besondere, auch rein zeitliche Gaben, für sich selbst zu erbitten, wenn dabei nur die demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes gewahrt wird: sie bleiben ja selbständige Personen und ihren persönlichen Bedürfnissen unterworfen. Welche Hochschätzung endlich alle der Betrachtung himmlischer Wahrheiten entgegenbringen sollen, geht aus den amtlichen Äußerungen der Kirche sowie aus der Übung und dem Vorbild aller Heiligen hervor.

An wen soll sich das Gebet richten?

Schließlich kann man auch der Auffassung begegnen, wir dürfen unsere Gebete nicht unmittelbar an die Person Jesu Christi richten; sie müssten sich vielmehr durch Christus an den Ewigen Vater wenden, da unser Heiland als Haupt seines mystischen Leibes nur als "der Mittler zwischen Gott und Menschen" angesehen werden dürfe. Aber eine solche Behauptung widerspricht nicht nur dem Geist der Kirche und der Gewohnheit der Gläubigen, sondern widerstreitet auch der Wahrheit. Christus ist nämlich, um Uns ganz klar zu fassen, mit bei den Naturen zugleich das Haupt der ganzen Kirche; und im übrigen hat er auch selbst feierlich erklärt: Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bitten werdet, werde ich es tun (Joh 14, 14). Zwar werden zumal beim heiligen Messopfer, wo Christus zugleich Opferpriester und Opferlamm ist und so in besonderer Weise das Mittleramt ausübt, die Gebete meist durch den eingeborenen Sohn an den Ewigen Vater gerichtet. Doch auch hier, selbst bei der heiligen Opferhandlung, wendet sich nicht selten das Gebet auch an den göttlichen Erlöser. Es sollte doch allen Christen bekannt und selbstverständlich sein, dass der Mensch Jesus Christus zugleich Gottes Sohn und Gott selber ist. Und so antwortet gewissermaßen die streitende Kirche, wenn sie das makellose Lamm und die konsekrierte Hostie anbetet und anfleht, auf die Stimme der triumphierenden Kirche, die nicht aufhört zu singen: "Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme sei Preis und Ehre und Herrlichkeit und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit" (Geh. Offbg. 5, 18). (Aus der Enzyklika "Mystici Corpus Christi", 23. Juni 1943).

40. ÜBER DIE ZEHN GEBOTE

CHRISTUS IST NICHT GEKOMMEN, wie er selbst gesagt hat, um das Gesetz aufzuheben und zu beseitigen, sondern vielmehr um es zu erfüllen und zu vervollkommnen; und erfüllt worden sind von ihm, durch seinen Geist und seine Lehre die Zehn Gebote, die Gott auf Sinai dem Volke Israel verkündet hatte.

Von den Geboten Gottes im allgemeinen

Die Zehn Gebote sind ein von Gott selbst gegebenes Gesetz, in dem sich auch die Kraft der menschlichen Vernunft und die Einsicht der Weisen spiegelt; und doch, wer die religiösen und sittlichen Verhältnisse der gegenwärtigen Stunde prüft, was findet er anderes als einen schmerzlichen Widerspruch zwischen dem höchsten Grad religiöser Bildung, die heute dem Volk angeboten wird, auf der einen Seite, und auf der anderen den geringen Gewinn, den man daraus zieht, und die wenig wirksame Antriebskraft, die von da in die Praxis des Lebens herkommt? Es gab Zeiten in der Kirchengeschichte, in denen die allgemeine religiöse Unterweisung meist viel einfacher, dafür aber der gesamte Ablauf des menschlichen Lebens von zahlreichen heiligen Bräuchen beherrscht, von der Furcht Gottes und von der unabweisbaren Pflicht, seine Gebote zu halten, durchsetzt war.

Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat sich nicht nur die katholische Wissenschaft mit bewundernswertem Schwung immer weiter entwickelt, sondern gerade auch das kirchliche Lehramt selbst hat den katholischen Glauben in jeder Hinsicht aufs großartigste und ausführlichste dargelegt und erhellt und sittliche Normen für die verschiedensten Verhältnisse des Lebens sowohl der einzelnen wie der Gemeinschaft gegeben und so in der bestmöglichen Weise den Reichtum geistlichen Lichtes den Seelen vermittelt. Fragt man sich aber, ob der Stand der religiösen Bildung und der sittlichen Haltung im katholischen Volk gleichen Schritt gehalten habe, so kann die Antwort leider nicht bejahend sein. In beklagenswertem Gegensatz zu jener hohen Entfaltung der Lehre hat sich die Wirksamkeit und Kraft des religiösen Impulses immer mehr verringert und aufgelöst.

Es ist nicht zu leugnen, im Gegenteil, es tritt sogar klar zutage, dass es auch heute an Katholiken nicht fehlt, die nach wie vor den Geboten Gottes treu sind; an christlichem Heldentum und an Heiligkeit mangelt es nicht. Hierin bleibt unser Zeitalter nicht hinter früheren Zeiten zurück, und Wir fürchten Uns nicht, zu behaupten, dass es in manchem dieselben sogar übertrifft. Werfet jedoch einen Blick auf das öffentliche Leben und ihr werdet finden, dass es vielfach entchristlicht ist, während Missachtung der christlichen Lebensart und Abkehr von ihr sich weithin ausgebreitet haben. Eine übermächtige antireligiöse Strömung stellt sich den gläubigen Menschen entgegen, die ihr ganzes Leben, das persönliche, das Leben in der Familie und in der Öffentlichkeit nach dem Gesetz Gottes gestalten wollen. Sie stoßen auf ernste Schwierigkeiten und Hindernisse, ihre Glaubensüberzeugung anderen mitzuteilen und ihr Achtung zu gewinnen; daher erliegen viele oder sie werden in der Ausübung der Religion schwach. Um in der verdorbenen Luft der modernen Großstädte zu atmen und in ihnen christlich zu leben, ohne das Gift in sich aufzunehmen, bedarf es eines tiefen Glaubensgeistes und der Widerstandskraft, die Bekennern eigen ist.

Die Schuld der Sünde

Es ist eine Tatsache, die sich in der Kirchengeschichte immer wiederholt, dass dann, wenn der christliche Glaube und die christliche Moral auf feindliche Strömungen von Irrtümern und Leidenschaften stoßen, Versuche gemacht werden, die Schwierigkeiten durch einen bequemen Kompromiss zu überwinden, sie zu umgehen oder ihnen auszuweichen.

Auch in Bezug auf die Gebote Gottes hat man einen Ausweg zu finden geglaubt. In der Moral, so hat man gesagt, komme Feindschaft mit Gott, Verlust des übernatürlichen Lebens, schwere Schuld im eigentlichen Sinne, nur dann vor, wenn die Handlung, die man zu verantworten hat, nicht allein mit dem klaren Bewusstsein begangen worden ist, dass sie sich gegen das Gebot Gottes richtet, sondern auch in der ausdrücklichen Absicht, mit ihr den Herrn zu beleidigen, die Verbindung mit ihm zu zerreißen, ihm die Liebe aufzusagen. Liegt diese Absicht nicht vor, hat der Mensch nicht von sich aus die Freundschaft mit Gott abbrechen wollen, so könne ihm die einzelne Handlung nicht schaden. Um ein Beispiel anzuführen: Die vielfachen Verstöße gegen das sechste Gebot wären für den Gläubigen, der im übrigen mit Gott vereint bleiben und sich seine Freundschaft erhalten will, weder eine schwere Verfehlung, noch würden sie eine tödliche Schuld mit sich bringen. Eine wahrhaft verblüffende Lösung! Wer sieht da nicht ein, dass in der klaren Erkenntnis, wonach eine bestimmte menschliche Handlung gegen das Gebot Gottes sich richtet, auch mitenthalten ist, dass sie nicht auf den Zweck der Einigung mit Gott ausgerichtet sein kann, da sie ja gerade die Abkehr oder die Entfernung der Seele von Gott und seinem Willen (aversio a Deo fine ultimo) einschließt, eine Abkehr, die die Einigung und die Freundschaft mit ihm zerstört, wie es gerade die schwere Schuld tut? Oder ist es nicht wahr, dass Glaube und Theologie lehren, jede Sünde sei eine Beleidigung Gottes und darauf ausgerichtet, ihn zu beleidigen, weil die der schweren Schuld innewohnende Absicht gegen den Willen Gottes sich richtet, wie er in dem Gebot niedergelegt ist, das übertreten wird? Sagt der Mensch "ja" zu der verbotenen Frucht, so sagt er "nein" zu Gott, der sie verbietet; wenn er sich selbst und seinen Willen dem Gesetz Gottes voranstellt, entfernt er sich von Gott und dem göttlichen Willen; darin besteht die Abkehr von Gott und das innerste Wesen der schweren Schuld.

Die Bosheit einer menschlichen Handlung rührt daher, dass sie sich nicht an ihrer Richtschnur misst, die eine zweifache ist: die eine, die nächstliegende, ist die menschliche Vernunft selbst, die andere ist die oberste Richtschnur, das ewige Gesetz, das man Vernunft Gottes nennen könnte, deren Licht in dem menschlichen Gewissen widerstrahlt, wenn es uns den Unterschied von Gut und Böse sehen lässt. Der wahrhaft gläubige Mensch weiß sehr wohl, dass die Absicht, die sich auf den Gegenstand der Todsünde richtet, nicht von der Absicht zu trennen ist, die den göttlichen Willen und das göttliche Gesetz verletzt und jede Freundschaft mit Gott abbricht - mit ihm, der die guten und die bösen Absichten der menschlichen Handlungen zu erkennen und mit seiner durchdringenden Gerechtigkeit zu belohnen und zu bestrafen weiß.

Es gibt nur einen Weg

Es gibt nur einen Weg, um die Liebe Gottes zu erlangen und sich in der Vereinigung und der Freundschaft mit ihm zu erhalten: die Beobachtung seiner Gebote. Worte zählen wenig; was gilt, sind die Taten. Daher hat der Erlöser gesagt: "Nicht alle, die zu mir sagen: ,Herr, Herr' werden in das Himmelreich eingehen; aber wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist, der wird ins Himmelreich eingehen" (Mt 7, 21).

Gott bekennen in der Erfüllung seines heiligen Willens in allen seinen Geboten und ihnen gemäß zu handeln, ja, unseren Willen mit seinem Willen gleichzurichten und das Einswerden unseres Willens mit dem seinen: das, das allein ist der Weg zum Himmel. Der heilige Paulus spricht dieses Grundgebot des sittlichen Lebens mit energischen Worten aus: "Hütet euch davor, in Irrtum zu fallen: weder die Hurer, noch die Götzendiener, noch die Ehebrecher, noch die Weichlinge, noch jene, die gegen die Natur sündigen, noch die Diebe, noch die Geizhälse, noch jene, die sich der Trunksucht ergeben, noch die Missetäter, noch die Räuber werden das Reich Gottes erben" (1 Kor 6, 9-10).

Der Völkerapostel hatte nicht nur den Abfall von Gott in der absichtlichen Leugnung des Glaubens und im ausdrücklichen Hass Gottes vor Augen, sondern auch jede schwere Verletzung der sittlichen Tugenden; dies gilt nicht nur für die Gewohnheit zu sündigen, sondern auch für alle einzelnen Handlungen gegen Moral und Gerechtigkeit, die Todsünden sind und ewige Verdammnis nach sich ziehen. Wenn man ausgerechnet dem religiösen Menschen eine Art Freibrief von der Schuld gibt in Bezug auf alles, was er gegen die Gebote Gottes tut, so könnte das gewiss nicht als Erlösung gelten und Erlösung von dem sittlichen Elend sein, das zu beheben heute als Aufgabe vor der Kirche steht.

Neuheidentum

Heute scheint das Heidentum wiedererstanden zu sein; viele haben es schon in ihren Werken und in ihren Gedichten gegen das Christentum gepriesen. Aber die Kirche hat schon seit ihrem Erscheinen in der Welt mit der Lehre des Evangeliums und mit der Tugend ihrer Apostel und ihrer Gläubigen gegen jede Scheinweisheit und gegen jede hinterhältige oder offene Verfolgung durch das Heidentum Stellung genommen. Bei ihrem Kampf ging sie immer den geraden Weg, indem sie den heidnischen Verirrungen die erleuchtete Kraft der Gebote und der christlichen Tugenden entgegenstellte.

Nicht nur die Briefe des heiligen Paulus geben ein klares Zeugnis von der Größe der sittlichen Verpflichtungen, die die Religion Christi mit sich gebracht hat, und von dem Kampf, den die Gläubigen bestehen müssen, um sie zu erfüllen, sondern am Ende des apostolischen Zeitalters sind die Sendschreiben der Geheimen Offenbarung an die sieben Kirchen ein ebenso leuchtender Ausdruck desselben: "Vincenti ... Qui vicerit ... ": "Dem Sieger werde ich vom Baume des Lebens zu essen geben, ihm werde ich das verborgene Manna geben; ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Sieger sein wird, der wird nicht von dem zweiten Tode betroffen werden" (Apk. 2,7,11,17,26; 3, 5, 12,21).

Die Kirche hilft allen

Der glühende Eifer der Christen in den ersten Jahrhunderten trieb sie an, ihren Glauben eher zu freimütig als zu wenig zu bekennen, so dass mitunter ihre sittliche Strenge die Grenzen des vernünftigen Maßes überschritt, wie es der Geist des Evangrliums verlangt. Die Kirchenväter zögerten nicht, Schauspiele, Gladiatorenkämpfe, Theater, Tänze, Feste und Unterhaltungen, die doch der heidnischen Gesellschaft natürlich erschienen, wegen der Unordnung, die sie verursachten, mit großer Strenge zu bekämpfen. Es ist daher kein Wunder, dass der Glaube die Sitten dessen, der mit ihm in Berührung kam, von Grund auf umformte und besserte.

Wenn darum heute so oft der Ruf erhoben wird: Zurück zum Urchristentum!, so fange man doch mit der Besserung und der Erneuerung der Sitten an. Dieser Ruf sei kein leerer Schall, sondern eine ernste und wirksame Umkehr, wie sie die Erfordernisse des sittlichen Handelns und Lebens gerade auch für unsere Zeiten notwendig verlangen.

Den Heroismus hat Christus nicht in allen Menschen vorgefunden; wer aber auch nur einen Funken von gutem Willen zeigte, dem streckte er die Hand entgegen und flößte ihm Mut ein; gleichzeitig unterließ er es aber nicht, die höchsten Anforderungen auszusprechen:

"Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme jeden Tag sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Lk 9, 23). "Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist" (Mt 5,48). Um die Menschen einem so hohen Ziel entgegenzuführen, steht die Kirche allen bei, immer in der Absicht, alle, die an Christus glauben und seine Lehre und seine Gebote befolgen, mehr und mehr der Vollkommenheit des himmlischen Vaters näherzubringen.

Die Kirche steht, allen sichtbar, auf dem Berge, "Mutter der Heiligen, Abbild der himmlischen Stadt", wenngleich es auch ersichtlich ist, dass die Entchristlichung um sie herum Raum gewonnen hat und noch immer zu gewinnen scheint.

Die Kirche steht auf festem Grund, unbeugsam trotz Abfalls und aller Verfolgungen, denn sie ist die Kraft Gottes und Kraft Christi. Man hat gesagt, wenn es Gott nicht gäbe, so müsste man ihn erfinden; ohne einen Gott, der den Menschen den Unterschied und die Grenzen von Gut und Böse zeichnet, würde der menschlichen Vernunft auf dieser Erde kein Sittengesetz leuchten. Dort, wo der Glaube an einen persönlichen Gott herrscht, bleibt die sittliche Ordnung fest, bestimmt von den Zehn Geboten Gottes; wo nicht, bricht sie früher oder später schmählich zusammen.

Von den Geboten Gottes im besonderen

Betrachten wir nun die Gebote Gottes im einzelnen, so darf man wohl sagen, dass jedes von ihnen ein Warnruf geworden ist, dass jedes auf schwere sittliche Gefahren hinweist. Auch die Vergangenheit hat ernste Unordnungen gesehen; wer könnte es leugnen? Aber einige Säulen, die die sittliche Ordnung aufrechterhielten, vor allem der Glaube an Gott, die Autorität der Eltern und der öffentlichen Mächte, blieben doch immer fest und unerschüttert stehen. Heute ist der ganze Bau der Moral untergraben, gefährdet und verkehrt. Ein Kennzeichen dieses Zerfalls ist, dass mit dem Schwinden des Glaubens an Gott und mit der gleichzeitigen Übertreibung und dem Missbrauch, der nicht selten mit der öffentlichen Gewalt geübt wurde, nicht nur die konkreten Formen, sondern auch das Prinzip der Autorität zum "Stein des Anstoßes" wird und auf Ablehnung stößt.

Wir glauben jedoch, dass, um diesen Zustand der Dinge zu heilen und zu bessern, zwei Mittel besonders anzuraten sind. An erster Stelle setze man die Autorität der Eltern wieder in alle ihre Rechte ein, auch da, wo sie eingeschränkt und aufgesogen worden ist, zum Beispiel im Bereich der Schule und der Erziehung. So dann mögen alle jene, die öffentliche Autorität besitzen, alle führenden Klassen bis zu den Arbeitgebern und den Erziehern der Jugend, mit dem Beispiel eines gottesfürchtigen Lebens vorangehen und die ihren Ämtern innewohnende Gewalt gemäß den Gesetzen der Gerechtigkeit und der Liebe ausüben. Vor einem solchen Beispiel von Rechtschaffenheit würde die Welt in Staunen versetzt werden, da sie der wunderbaren Werke des öffentlichen Friedens und Vertrauens innewerden würde.

Im Bereich der gegenseitigen Loyalität und Wahrhaftigkeit herrscht und macht sich eine verdorbene Atmosphäre breit, die den Menschen guten Glaubens das Gefühl des Erstickens gibt. Wer hätte erwartet, dass nach all der ganzen stolzen Zivilisation und der hohen Kultur, die der Ruhmestitel der vorangegangenen Jahrhunderte waren, die Achtung vor dem Rechte Gefahren und Prüfungen und Verletzungen begegnen würde, wie sie nur die dunkelsten Zeiten der Geschichte kannten? Auch hierin ist der Schlüssel zu jeder Lösung mit dem Glauben an einen persönlichen Gott gegeben, der die Quelle der Gerechtigkeit ist und sich das Recht über Leben und Tod vorbehalten hat. Nichts anderes als dieser Glaube wird imstande sein, die sittliche Kraft zu verleihen, um die gebührenden Grenzen einzuhalten gegenüber allen Nachstellungen und Versuchungen, sie zu überschreiten, indem er nämlich vor Augen führt, dass das menschliche Leben unantastbar ist, ausgenommen die Fälle rechtmäßiger Notwehr, eines gerechten Krieges, der mit gerechten Mitteln geführt wird, und der Todesstrafe, wenn sie von der öffentlichen Gewalt wegen genau bestimmter und erwiesener schwerster Verbrechen verhängt wird.

Die Gebote verpflichten

Über die Gebote, die man die "Gebote der ersten Tafel" nennt, die sich auf Gott beziehen, scheinen Uns zwei Bemerkungen besonders angebracht.

Die erste betrifft den Sinn der Verehrung, die Gott zu erweisen ist; denn dieser Sinn hat sich in den letzten hundert Jahren auch inmitten der Gläubigen zu verdunkeln begonnen. Wenn es auch zu allen Zeiten vorkommt, dass die Menschen im Bereich ihres persönlichen religiösen Lebens das eigene Interesse suchen und sich bemühen, es zu fördern, so sah man dies in maßloser Weise verwirklicht unter dem Einfluss der hochmütigen, eitlen materialistischen Kultur, die die heutigen Generationen beherrscht. Man wollte die Beziehungen zwischen Gott und Mensch auf die Hilfe Gottes in den materiellen und irdischen Bedürfnissen beschränken; im übrigen wollte der Mensch sich selbst helfen, so, als bedürfe er der göttlichen Stütze nicht. Die Gottesverehrung wurde eine Sache der Nützlichkeit; aus dem Bereich des Geistes fiel die Religion in den der Materie. Die religiöse Praxis tat nichts weiter, als Gnaden vom Himmel für irdische Bedürfnisse zu erbitten, indem sie gleichsam eine Rechnung mit Gott aufmachte. Der Glaube wurde wankend, wenn die Hilfe nicht dem Verlangen entsprach. Dass Religion und Glaube vor allem anderen Anbetung und Dienst Gottes bedeuten; dass es Gebote Gottes gibt, die immer verpflichten, an jedem Ort und unter allen Umständen; dass für den Christen das künftige Leben das irdische beherrscht und bestimmt: diese Begriffe und Wahrheiten, die den Verstand und den Willen des Gläubigen ausrichten und führen, waren dem Denken und Fühlen des menschlichen Geistes fremd geworden.

Welches Heilmittel soll man nun solchen Verirrungen entgegensetzen? Die großen Wahrheiten und die großen Begriffe des Glaubens müssen als Leben und Wirklichkeit in alle Klassen des Volkes wiederkehren, in die höheren noch mehr als in die enterbten, die von Bedürftigkeit und Not hienieden heimgesucht sind. Eine dringendere Aufgabe als diese gibt es zur Zeit in der religiösen Erziehung wohl kaum; sie wird heute nicht nur gefordert, sondern sogar erleichtert; denn was die Menschheit jetzt wegen des Verfalls der Moral und der Gerechtigkeit an Übel und Unheil erfährt, ist eine ganz offenkundige und schmerzliche Züchtigung der falschen Vorstellung von Gott und der Religion, die in ihrer Verwirklichung verkehrt worden ist.

Man hat gesagt, das Wunder dieser Jahre seien die Millionen von Gläubigen, die Gott ehren und ihm dienen, gehorsam seinen Geboten, obgleich sie sich in einer Lage unsagbarer Einschränkungen befinden. Gewiss gibt es solche frommen und furchtlosen Christen, die der Ruhm der Kirche sind.

Die Heiligung der Feiertage und der Sport

Die Gottesverehrung, die im Ablauf des menschlichen Lebens jeden Tag einleiten und beschließen sollte, legt besondere Pflichten auf hinsichtlich der Heiligung der Feiertage; und darauf richtet sich Unsere zweite Bemerkung. Man kann der Kirche gewiss nicht den Vorwurf machen, dass sie das Sonntagsgebot mit übertriebener Härte anwenden will, sie, die es bestimmt und mit jener "Milde und Menschenfreundlichkeit" regelt, deren Beispiel ihr der göttliche Stifter gegeben hat. Aber der Entweihung und der Verweltlichung des heiligen Tages des Herrn, den man in wachsendem Maße seines religiösen Charakters beraubt und dadurch die Menschen von Gott entfernt - diesem Treiben muss sich die Kirche, als Hüterin des göttlichen Gesetzes, mit heiliger Festigkeit widersetzen.

Front machen muss die Kirche gegen die Aufsaugung und Zerstreuung durch den übertriebenen "Sport", der keine Zeit mehr für das Gebet, für Sammlung und Ruhe lässt, der die Familienmitglieder zwangsläufig voneinander trennt und die Kinder dem Heime entfremdet und der Aufsicht ihrer Eltern entzieht. Furchtlos muss sich die Kirche zur Wehr setzen gegen jene Unterhaltungen, die, wie unmoralische Filme, den Sonntag in einen Tag der Sünde verwandeln. Schließlich muss man sich die gebührende Ruhe und feiertägliche Erholung gönnen, die vor allem der religiösen Erhebung, der geistlichen Erneuerung und der einträchtigen Entfaltung des Familienlebens zugute kommen.

Gebote und "Filmehe"

Gott, der Name Gottes und die Verehrung Gottes machen die "erste Tafel" aus; der Nächste, die Pflichten und die Rechte des menschlichen Lebens, erscheinen auf der "zweiten Tafel", die mit der ersten zusammen den Dekalog bildet, fast auf die gleiche Weise, wie die Liebe Gottes und die Liebe des Nächsten sich zu einer einzigen Liebe vereinen, die sich nächst Gott auf den Mitmenschen ergießt. Zahlreicher sind die Gebote, die auf dieser "zweiten Tafel" enthalten sind, wozu vieles zu bemerken wäre. Doch wie könnten Wir es unterlassen, an die Worte zu erinnern: Non moechaberis - Du sollst nicht ehebrechen -? Sagen Wir zuviel, wenn Wir bedauern, dass gerade die Länder, die sich höherer Kultur rühmen, hinsichtlich dieses Gebotes ein Schauspiel tiefster sittlicher Verwüstung bieten, und wenn wir hinzufügen, dass ihre Spuren auch in der Ewigen Stadt sichtbar sind?

Wir wissen wohl, wie viel auch die wirtschaftlichen und die sozialen Reformen mit beitragen müssen, um die Ehe und die Familie zu retten; aber diese Rettung bleibt letzten Endes eine religiöse Pflicht und eine religiöse Aufgabe, deren Heilungsverlauf seine Antriebe an der Wurzel erhalten muss. Die ganze Auffassung des Lebensbereichs, der unter das sechste Gebot fällt, ist angesteckt von dem, was man die "Filmehe" nennen könnte, die aber nichts weiter ist als eine unehrerbietige und schamlose Schaustellung der Eheverwirrungen und der ehelichen Untreuen. Der Film stellt die Ehe dar, losgelöst von jeder sittlichen Bindung, nur noch als Schauplatz und Quelle sinnlichen Begehrens und nicht als ein Werk Gottes, als eine heilige Einrichtung, als Dienst der Natur und lauteres Glück, in dem das geistige Element stets überragt und herrschen soll, als Schule und zu gleicher Zeit als Triumph der Liebe, die treu ist bis zum Grabe, bis an die Pforte der Ewigkeit. ist es nicht eine Pflicht der Seelsorge, diese christliche Schau der Ehe unter den Gläubigen wiederaufleben zu lassen?

Das Eheleben muss von neuem mit jener Ehrfurcht erfüllt werden, mit der die gesunde, unverdorbene Natur und die Offenbarung es von Anfang an geschmückt haben: Ehrfurcht vor den Kräften, die Gott auf wunderbare Weise in die Natur hineingelegt hat, um neues Leben zu wecken, um die Familie zur Erhaltung des Menschengeschlechts aufzubauen. Die Erziehung der Jugend zur Keuschheit der Gedanken und der Gefühle, zur Enthaltsamkeit vor der Ehe, ist nicht das letzte Ziel, nach dem die christliche Pädagogik strebt und auf das sie hinzielt, wohl aber der Erweis ihrer Fähigkeit, den Geist gegen die Gefahren zu festigen, die das Leben belauern. Der junge Mensch, der den Kampf um die Reinheit kämpft und siegreich besteht, wird auch die übrigen Gebote Gottes beobachten und wird imstande sein, eine Familie nach den Absichten des Schöpfers zu gründen. Wie könnte man aber Keuschheit und eheliche Treue von einem jungen Menschen erhoffen und erwarten, der es niemals verstand, sich selbst zu besiegen und seine Leidenschaften zu beherrschen, die schlechten Verlockungen und bösen Beispiele zu verachten, und der sich vor der Hochzeit jede sittliche Unordnung erlaubt hat?

Wenn der Seelsorger - wie es vor Gott und der Kirche seine heilige Pflicht ist - den Sieg über die beiden Krebsübel des Familienlebens erringen will, den Missbrauch der Ehe und die Verletzung der ehelichen Treue, so muss er mit dem Licht des Glaubens ein Geschlecht heranbilden und erziehen helfen, das von den ersten Jahren an gelernt hat, heilig zu denken, keusch zu leben und sich zu beherrschen.

Heilig zu denken vor allem von der Frau. Die "Filmehe" hat in dieser Hinsicht vielleicht besonders verhängnisvoll gewirkt; sie hat dem Mann die Achtung vor der Frau genommen, und dann der Frau die Achtung vor sich selbst. Möge es der Erziehung und der Seelsorge gelingen, die Geister und die Herzen zum alten und reinen Ideal der Frau zurückzuführen, indem sie auf die Unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter Maria hinweisen, deren zarte und vertrauensvolle Verehrung zu allen Zeiten Wahrung und Heil der Frauenehre gewesen ist!

Krieg, Nachkrieg - und Unredlichkeit

Ein letztes Wort muss noch über das siebte Gebot hinzugefügt werden angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die der Wirbel des Krieges so unheilvoll erschüttert hat. Hierüber möchten Wir Uns die Ermahnung des heiligen Paulus zu eigen machen: "Keiner übervorteile oder betrüge seinen Bruder in Geschäften, weil der Herr über all dies Gerechtigkeit üben wird." Wenn eine solche Mahnung schon in einer ruhigen, normalen Verfassung des gesellschaftlichen Lebens am Platz ist, so ist sie unter den heutigen verwirrten und aufgeregten Umständen des menschlichen Zusammenlebens aus einem zweifachen Grunde noch angebrachter und notwendiger.

Vor allem erfordern die Zeiten wirtschaftlicher Erschütterungen und Verwirrungen - wie es die gegenwärtigen sind - doppelt die genaue Beobachtung des siebten und des fünften, die Güter und das Leben des Nächsten betreffenden Gebotes, weil sonst die Gefahr zu groß wird, dass Treue und Ehrlichkeit im Verhalten der Menschen zueinander verschwinden und das bürgerliche Leben gleichsam unmöglich und unerträglich wird. Wenn ein Damm unter dem Andrang der Flut zu brechen droht, macht man ihn nicht schwächer, sondern verstärkt ihn.

An zweiter Stelle ist es bei dem ungeheuren Elend, dem Mangel an Wohnung und an Nahrung, in den die Grausamkeit des Krieges Millionen von Menschen gestürzt hat, kein Wunder, dass die Unredlichkeit in der Handhabung der Geschäfte, die verwegene, naturwidrige Ausbeutung der bestehenden Schwierigkeiten, insbesondere die Forderung überhöhter Preise und der gesetzwidrige Aufkauf lebensnotwendiger Dinge, leichter als in ruhigen und friedlichen Zeiten zu einem Verstoß gegen die Gemeinschaft des Volkes und zu schreienden Verletzungen gegen die Gerechtigkeit werden. Jeder sieht und begreift, wie nötig es ist, solchen Versuchungen zuvorzukommen und auf sich selber achtzuhaben, nicht nur mit gewissenhafter Rechtschaffenheit in Bezug auf Mein und Dein, sondern auch mit offenem Herzen und freigebiger Hand für alles, was christliche Nächstenliebe und die soziale Gerechtigkeit fordern.

Hängt nicht von den Werken der Barmherzigkeit: die Hungernden speisen, die Dürstenden tränken, die Nackten kleiden, die Obdachlosen beherbergen, die Kranken besuchen und die Eingekerkerten befreien - hängt nicht von diesen Werken der feierlichen Versicherung Christi beim Jüngsten Gericht Segen oder Fluch, Freude oder Schmerz ab für die ganze Ewigkeit? Ja, zur Herrlichkeit oder zu ewigem Unglück führt die Unterlassung oder das Werk der Barmherzigkeit: und dasselbe glauben wir behaupten zu können bezüglich der vollbrachten oder unterlassenen Werke der sozialen Gerechtigkeit (Aus der Ansprache an die Fastenprediger, 23. Februar 1944).

41. IRRLEHREN UNSERER ZEIT

SEIT DEM ERSTEN DÄMMERN der Vernunftspekulation, da der Mensch begann, über das äußere Weltall und über seine innere Welt nachzudenken, hat sich der Philosoph nie damit zufriedengegeben, die sichtbare Oberfläche der Dinge zu beobachten, die unmittelbar der Erfahrung unterliegen, sondern er hat sich immer bemüht, ihre äußere Hülle zu durchbrechen, in ihre Seele einzudringen, ihr Wesen zu erfassen, ihre Natur und innere Verfassung zu erraten, bis er imstande war, sich einen von den zufälligen Einzelheiten abstrahierten Begriff zu machen und ihnen so eine geistige Existenz in seinem Denken zu geben. Auf diese Weise entdeckt die Philosophie, während sie das Wirkliche vergeistigt und adelt, auch, wie viel Vernünftiges sich im Wirklichen, der Wahrnehmung durch die Sinne unzugänglich, verbirgt; zuletzt verharrt sie bei dem eigentlichen Gegenstand des Geistes, bestrebt, ihn in weiter und durchdringender Schau zu umfassen.

Sie entkleidet nicht nur sozusagen alle Dinge ihrer stofflichen Greifbarkeit, sondern überflutet sie auch mit dem Licht ihrer Universalität. Wie sich der menschliche Geist nicht mit dem äußeren Schein begnügt, nicht bei den Phänomenen stehenbleibt, so findet er auch keine Ruhe bei der abgerissenen und bruchstückartigen Betrachtung der Teile des Weltalls, solange er nicht ihre Zusammenhänge sieht, nicht die Ursachen und die Wirkungen findet, nicht die Prinzipien aufspürt, die sie lenken, sie zusammenfügen, sie zu einem vollendeten Bild harmonischer Einheit unter- und beiordnen. Niemand denkt daran, den Wert der Analyse, welcher der moderne Fortschritt so viel verdankt, zu verkennen oder in Zweifel zu ziehen. Aber ist es etwa nicht wahr, dass die Forderung der gegenwärtigen Stunde die Synthese ist? Fühlt man nicht schon die Gefahr, dass die heutige Wissenschaft, insofern sie Erzeugerin und Schützerin der Kultur ist, versinkt und sich in der Zersplitterung, in der Verengung, in der absoluten Vorherrschaft der Spezialisierung verliert?

Die Unruhe, die Angst des Menschen kann für einen Augenblick durch den Anblick und das Studium gelehrter und geistvoller Konstruktionen abgelenkt werden. Ablenkung eines Augenblicks, wie ein Traum in unruhigem Schlaf, wenn die Konstruktion, so geschickt und scheinbar ausgeglichen sie sein mag, nicht auf Fels aufruht. Solange er nicht eine endgültige und befriedigende Antwort auf die Fragen erhält: Was ist der Sinn des Lebens? der Sinn des Schmerzes? der Sinn des Todes? - wird er den nur allzu wirklichen Eindruck haben, dass ihm der Boden unter den Füßen wankt. Kann aber die Philosophie diese Antwort geben, wenn sie sich nicht selbst auf das Absolute gründet, auf einen persönlichen Gott, den Anfang und das Ende aller Dinge?

Eine rein deterministische und materialistische Erklärung des Seins und der Geschichte, die unvereinbar ist mit den elementarsten psychologischen, moralischen und historischen Wahrheiten, könnte den Menschen nicht befriedigen, noch ihm Glück und Frieden geben (Aus der Ansprache an den Philosophischen-Kongress, 29. November 1946).

Wahrheiten, die viel verlangen

Die Uneinigkeit der Menschen in Dingen der Religion und Moral wie auch ihr Abirren von der Wahrheit war von jeher für alle Guten, besonders die Gläubigen und aufrechten Söhne der Kirche, der Grund und die Ursache allertiefsten Schmerzes. Heute gilt das ganz besonders, da Wir überall Angriffe gegen die Grundlagen der christlichen Kultur wahrnehmen.

Es wundert Uns zwar nicht, dass eine solche Uneinigkeit und solche Irrtümer sich immer außer halb der Kirche Christi fanden. Denn wenn auch der menschliche Verstand mit seinen natürlichen Erkenntniskräften an sich zur wahren und sicheren Erkenntnis des einen persönlichen Gottes kommen kann, der durch seine Vorsehung die Welt stützt und regiert, sowie des Naturgesetzes, das der Schöpfer in unser Herz legte, so bestehen doch für ihn nicht wenige Hindernisse, von seiner ursprünglichen Fähigkeit einen wirklich fruchtbaren Gebrauch zu machen. Denn alle Dinge, die sich auf Gott beziehen und das zwischen Gott und den Menschen bestehende Verhältnis angehen, ruhen in Wahrheiten, die die Welt der Sinne überragen. Diese verlangen vom Menschen die Eigenhingabe und Selbstverleugnung, wenn sie auf die Lebensführung Einfluss gewinnen und sie bestimmen.

Der menschliche Verstand wird in der Erkenntnis solcher Wahrheiten behindert durch die Gewalt der Sinne und der Einbildungskraft wie auch durch die verkehrten Leidenschaften, die ihren Ursprung in der Erbsünde haben. Darum reden sich Menschen in diesen Dingen gerne ein, es sei das falsch oder zweifelhaft, was sie nicht wahrhaben möchten.

Darum muss gesagt werden, dass die göttliche "Offenbarung" moralisch notwendig ist, damit, was in Fragen der Religion und der Sitten dem Verstand an sich nicht verborgen ist, auch bei dem gegenwärtigen Zustande des Menschengeschlechtes von allen leicht, mit fester Gewissheit und ohne jeglichen Irrtum erkannt werden kann.

Monismus, dialektischer Materialismus, Existenzialismus

Ja, zuweilen kann der menschliche Verstand Schwierigkeiten haben mit der Bildung eines sicheren Urteils der "Glaubwürdigkeit" des katholischen Glaubens selbst, obwohl so zahlreiche und wunderbare Zeichen von Gott kamen, auf Grund derer schon in der Kraft des natürlichen Verstandes der göttliche Ursprung der christlichen Religion sicher bewiesen werden kann. Der Mensch kann ja, entweder durch Vorurteile betört oder durch Leidenschaft und schlechten Willen angestachelt, sowohl die Evidenz der äußeren Zeichen leugnen, die feststeht, wie auch den übernatürlichen Eingebungen widerstehen, durch die Gott zu unseren Herzen spricht.

Wer heute die Welt außerhalb der Hürde Christi beobachtet, kann leicht die Hauptwege erkennen, die nicht wenige Gelehrte wählten. Einige lassen unklug und urteilslos die so genannte Entwicklungslehre, die auf dem eigenen Gebiet der Naturwissenschaften noch nicht sicher bewiesen ist, für den Ursprung aller Dinge zu und verlangen sie; vermessentlich huldigen sie der monistischen und pantheistischen Auffassung, dass das Weltall einer ständigen Entwicklung unterworfen sei. Die Freunde des Kommunismus aber benützen mit Freuden diese Ansicht, um ihren "dialektischen Materialismus" wirkungsvoller zu verteidigen und zu verbreiten, wobei sie jeden Gedanken an Gott aus den Herzen entfernen.

Die Behauptungen dieser Entwicklungslehre, die alles, was absolut fest, unveränderlich ist, leugnet, haben dem Irrtum einer neueren Philosophie, die mit dem "Idealismus", "Immanentismus" und "Pragmatismus" wetteifert und sich "Existenzialismus" nennt, die Wege bereitet; er kümmert sich nicht um das unveränderliche Wesen der Dinge und wendet seine Aufmerksamkeit nur der "Existenz" der Einzelgegenstände zu.

Dazu kommt noch ein falscher "Historizismus", der nur auf das Geschehen im menschlichen Leben achtet und die Grundlagen jeder Wahrheit und jedes allgemeingültigen Gesetzes vernichtet, sowohl für die Philosophie wie auch für die christlichen Glaubenssätze.

Bei einer solchen Verwirrung der Meinungen tröstet es Uns ein wenig, zu sehen, dass solche, die in den Grundsätzen des "Rationalismus" erzogen wurden, heute nicht selten zu den Quellen der göttlichen Offenbarung zurückzukehren wünschen und das Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift enthalten ist, als Grundlage der Theologie anerkennen und verkünden. Zugleich aber ist es zu beklagen, wie nicht wenige von ihnen, je fester sie dem Worte Gottes anhängen, desto mehr die menschliche Vernunft herabsetzen, und je höher sie in ihrer Begeisterung die Autorität der göttlichen Offenbarung erheben, desto heftiger das Lehramt der Kirche verachten, das Christus der Herr einsetzte, um die von Gott geoffenbarten Wahrheiten zu bewahren und zu erklären. Das steht aber nicht nur in offenem Widerspruch zur Heiligen Schrift, sondern erweist sich auch in der Erfahrung als falsch; häufig nämlich beklagen sich diese, die sich von der wahren Kirche getrennt halten, über ihre eigene Uneinigkeit in dogmatischen Fragen, so dass sie gegen ihren Willen die Notwendigkeit des lebendigen Lehramtes bezeugen.

Auch die Irrlehren kennen

Es ist aber Pflicht der katholischen Theologen und Philosophen, die die große Aufgabe haben, die göttliche und menschliche Wahrheit zu verteidigen und den Herzen der Menschen einzupflanzen, diese mehr oder weniger vom rechten Weg abirrenden Ansichten zu kennen und zu beachten. Ja, diese Lehrmeinungen selbst sollen ihnen gut bekannt sein, weil schon Krankheiten nicht gut geheilt werden können, wenn sie nicht richtig erkannt sind, dann auch, weil in falschen Ansichten häufig ein Körnchen Wahrheit liegt; endlich auch drängen diese dazu, eifriger zu untersuchen und durchzudenken.

Wenn unsere Philosophen und Theologen aus der gründlichen Untersuchung dieser Lehren nur solche Früchte suchen wollten, hätte das kirchliche Lehramt keinen Grund, Einspruch zu erheben. Aber wenn Wir auch wissen, dass die katholischen Lehrer sich im allgemeinen vor diesen Irrtümern hüten, so fehlt es doch heute, wie in den apostolischen Zeiten, nicht an solchen, die allzu sehr das Neue suchen oder aber auch fürchten, in den Dingen des wissenschaftlichen Fortschritts für unwissend gehalten zu werden, und darum sich der Leitung des heiligen Lehramtes zu entziehen trachten; so laufen sie Gefahr, sich unmerklich von den geoffenbarten Wahrheiten zu entfernen und auch andere mit sich in den Irrtum zu ziehen!

Es zeigt sich auch eine andere Gefahr, die um so größer ist, als sie mehr vom Anschein der Tugend verhüllt ist. Viele, die den Zwiespalt und die Verirrung der Geister betrauern, lassen sich von einem unklugen Eifer treiben, von ihrem Innern drängen und brennen in unüberlegtem Verlangen, die Umzäumungen zu entfernen, durch die gute und aufrechte Menschen voneinander getrennt sind; sie geben sich einem solchen "Irenismus" hin, dass sie unter Beiseitesetzung der trennenden Fragen nicht nur auf den Atheismus schauen, den sie mit vereinten Kräften bekämpfen, sondern auch auf die Beseitigung der Gegensätze in den Glaubenslehren. Und wie es eine Zeit gab, da sich manche fragten, ob nicht die herkömmliche Apologetik mehr ein Hindernis sei, die Seelen für Christus zu gewinnen, so fehlt es auch heute nicht an solchen, die so weit zu gehen wagen, dass sie ernstlich die Frage vorlegen, ob nicht die heutige Theologie und ihre Methode, die von der kirchlichen Autorität gebilligt werden, nicht nur vervollkommnet, sondern ganz reformiert werden müssten, damit das Reich Christi auf der ganzen Welt, unter Menschen jeder Kultur und jeder religiösen Anschauung, wirkungsvoller verbreitet werden könne.

Unkluger Übereifer

Wenn diese nur die Absicht hätten, durch Einführung irgendeiner Neuerung die kirchliche Lehre und ihre Methode den modernen Verhältnissen und Anforderungen anzupassen, gäbe es kaum einen Grund zur Besorgnis. Aber in dem unklugen Übereifer ihres "Irenismus" halten anscheinend einige auch die Dinge für Hindernisse der brüderlichen Verständigung, die auf den Gesetzen und Grundsätzen Christi und den von ihm gegründeten Einrichtungen selbst beruhen oder die als Bollwerk und Stütze des unversehrten Glaubens dastehen; wenn diese fallen, dann ist zwar alles geeint, aber nur zum allgemeinen Ruin.

Moderne Ansichten dieser Art, ob sie nun aus der traurigen Sucht nach Neuerungen hervorgehen oder einen lobenswerten Grund haben, werden nicht immer in der gleichen Abstufung, derselben Deutlichkeit oder den gleichen Ausdrücken vorgelegt, auch nicht immer unter einmütiger Zustimmung ihrer Urheber; denn was heute von einigen mit gewissen Einschränkungen und Unterscheidungen in mehr verdeckter Weise gelehrt wird, das bringen morgen andere, die weniger zurückhaltend sind, offen, in übertriebener Weise vor; und zwar zum Ärgernis für viele, besonders für den jüngeren Klerus, und zum Schaden der kirchlichen Autorität. Was bei Veröffentlichungen in Buchform mit mehr Vorsicht behandelt wird, das wird offener dargelegt in privat verbreiteten Schriften, in Manuskripten und Besprechungen. Diese Auffassungen finden ihre Verbreitung nicht nur beim Welt- und Ordensklerus und in den Seminarien, sondern auch in Laienkreisen, besonders bei den Jugenderziehern.

In der Theologie aber gehen einige darauf aus, den Begriff der Dogmen möglichst abzuschwächen; das Dogma selbst möchten sie von der in der Kirche seit langem üblichen Ausdrucksweise und den Begriffen der katholischen Philosophie frei machen, um bei der Erklärung der katholischen Lehre zu den Formulierungen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter zurückzukehren. So hoffen sie, dass das Dogma, gereinigt von allen Bestandteilen, die nach ihren Worten äußerliche Bestandteile der göttlichen Offenbarung sind, zu einem fruchtbaren Vergleich kommt mit den Glaubenssätzen der von der Kirche Getrennten, um dann so den Weg zu finden, das katholische Dogma und die von ihm abweichenden Ansichten einander anzugleichen.

Haben sie dann die katholische Lehre auf diesen Stand gebracht, so glauben sie, wäre der Weg bereitet, auf dem, den modernen Bedürfnissen entsprechend, das Dogma auch in den Begriffen der heutigen Philosophie ausgedrückt werden könne, ganz gleich, ob es der "Immanentismus" , "Idealismus", "Existenzialismus" oder irgendein anderes System ist. Es könne und müsse das deshalb auch geschehen, behaupten manche mit einiger Kühnheit, weil die Geheimnisse des Glaubens sich niemals in Begriffe fassen lassen, die vollständig der Wahrheit entsprechen, sondern nur in Ausdrücke, die "annäherungsweise" wahr und ständig Veränderungen unterworfen sind; diese deuten die Wahrheiten zwar einigermaßen, gestalten sie aber auch notwendigerweise um. Darum halten sie es nicht für abwegig, sondern für durchaus notwendig, dass die Theologie, entsprechend den verschiedenen Philosophien, deren sie sich im Laufe der Zeit als Instrument bediente, neue Begriffe an die Stelle der alten setze, so dass sie auf verschiedene Weise, die unter sich sogar in gewissem Sinn in Widerspruch stehen, aber, wie sie sagen, das gleiche bedeuten, die gleichen göttlichen Wahrheiten in menschlicher Art ausdrücken. Sie fügen noch hinzu, die Geschichte der Dogmen bestehe in der Wiedergabe der verschiedenen aufeinanderfolgenden Formen, in die die Wahrheit sich gekleidet habe, entsprechend den verschiedenen Lehren und Ansichten, die im Laufe der Zeiten entstanden.

Die scholastischen Begriffe und das Lehramt der Kirche

Die bisherigen Ausführungen zeigen deutlich, dass diese Versuche nicht nur zum so genannten dogmatischen "Relativismus" führen, sondern ihn bereits enthalten; er ist auch allzu sehr begünstigt durch die Verachtung der gewöhnlich überlieferten Lehre sowie der Worte, mit denen sie sich ausdrückt. Es leugnet wohl niemand, dass die Bezeichnungen für diese Begriffe, wie sie in der Schule und vom kirchlichen Lehramt benützt werden, verbessert und gefeilt werden können; außerdem ist bekannt, dass sich die Kirche im Gebrauch dieser Ausdrücke nicht immer gleichblieb. Klar ist auch, dass sie sich nicht an irgendein kurzlebiges philosophisches System binden kann; die Begriffe und Bezeichnungen, die von den katholischen Gelehrten nach gemeinsamer Übereinkunft im Laufe mehrerer Jahrhunderte geprägt wurden, um eine Glaubenslehre verständlich zu machen, stützen sich wahrhaftig nicht auf ein so hinfälliges Fundament. Sie stützen sich im Gegenteil auf Prinzipien und Begriffe, die aus wahrheitsgemäßer Erkenntnis der geschaffenen Welt abgeleitet wurden; allerdings erleuchtete die geoffenbarte Wahrheit durch die Kirche wie ein heller Stern den Verstand des Menschen. Es wundert Uns darum nicht, wenn einige von diesen Begriffen von den Allgemeinen Konzilien nicht nur angewandt, sondern auch feierlich bestätigt wurden; es ist darum unrecht, sie fallenzulassen.

Es wäre sehr töricht, die Begriffe und Bezeichnungen - an denen Menschen außergewöhnlicher Geisteskraft und Heiligkeit unter der Aufsicht des kirchlichen Lehramtes nicht ohne Erleuchtung und Leitung des Heiligen Geistes jahrhundertelang geformt und gefeilt haben, um geistige Glaubenswahrheiten noch stets genauer in Worte zu fassen - zu vernachlässigen, zu verwerfen oder ihres Wertes zu berauben, um an ihre Stelle mutmaßliche Begriffe zu stellen und Worte einer neuen Philosophie, die weder eine feste Form noch Gestalt hat, Begriffe, die wie die Blumen des Feldes heute bestehen und morgen fallen. Diese Auffassung macht das Dogma zu einem Rohr, das vom Winde hin und her getrieben wird. Die Verachtung der Bezeichnungen und Begriffe, die die scholastische Theologie gebraucht, führt auch von selbst zur Schwächung der spekulativen Theologie, der sie keine Sicherheit zuschreibt, weil sie sich auf theologische Beweisgründe stützt.

Leider gehen diese Neuerer von der Verachtung der scholastischen Theologie sehr leicht dazu über, das Lehramt der Kirche selbst, das diese Theologie mit ihrer Autorität so sehr stützt, nicht zu beachten oder sogar zu verachten. Sie stellen dieses Lehramt als ein Hemmnis für den Fortschritt und als ein Hindernis für die Wissenschaft hin. Einige Nichtkatholiken aber sehen es als ungerechten Zwang an, der Theologen von höherer Bildung davon abhält, ihre Lehrmeinungen zu reformieren. Und wenn auch dieses heilige Lehramt für einen jeden Theologen in Dingen des Glaubens und der Sitten die nächste und allgemeine Norm sein muss (da Christus der Herr ihm den ganzen Glaubensschatz anvertraut hat, d. h. die Heilige Schrift und die göttliche Überlieferung, um ihn zu behüten, zu verteidigen und zu erklären), so gerät doch immer wieder in Vergessenheit, als wenn sie nicht bestände, die Pflicht der Gläubigen, ebenfalls diese Irrtümer zu fliehen, die sich mehr oder weniger der Häresie nähern, und also "auch die Konstitutionen und Erlasse zu beachten, mit denen der Heilige Stuhl falsche Ansichten dieser Art verworfen und verboten hat." Mit Absicht haben sich einige daran gewöhnt, das nicht zu beachten, was die Rundschreiben der Römischen Päpste über die Natur und die Einrichtung der Kirche sagen, nur um eine mehr unbestimmte Auffassung vorherrschen zu lassen, die sie aus den Schriften der alten Väter, besonders der griechischen, geschöpft zu haben behaupten. Die Päpste, so pflegen sie zu sagen, wollen kein Urteil abgeben in den Fragen, über die die Theologen disputieren, und darum sei es nötig, zu den ersten Quellen zurückzugehen und die neueren Konstitutionen und Erlasse des kirchlichen Lehramtes nach den Schriften der Alten zu erklären.

Wann lehrt der Papst »ex cathedra«?

Wenn das auch geistreich gesagt zu sein scheint, es liegt doch ein Irrtum darin. Wahr ist, dass die Päpste im allgemeinen den Theologen die Freiheit lassen in den Fragen, in denen hervorragende Geisteslehrer verschiedener Meinung sind; die Geschichte lehrt aber auch, dass in verschiedenen Fragen, die vorher umstritten waren, nachher keine Verschiedenheit der Meinungen zugelassen wurde.

Man darf ebenfalls nicht annehmen, man brauche den Rundschreiben nicht zuzustimmen, weil die Päpste darin nicht ihr höchstes Lehramt ausüben. Sie sind aber doch Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, von dem auch das Wort Christi gilt: "Wer euch hört, der hört mich" (Lk 10, 16). Sehr häufig gehört das, was die Enzykliken lehren und einschärfen, schon zum katholischen Lehrgut. Wenn die Päpste in ihren Akten ein Urteil über eine bislang umstrittene Frage aussprechen, dann ist es für alle klar, dass diese nach der Absicht und dem Willen dieser Päpste nicht mehr der freien Erörterung der Theologen unterliegen kann.

Wahr ist ebenfalls, dass die Theologen ständig auf die Quellen der göttlichen Offenbarung zurückgreifen sollen; es ist ja ihre Aufgabe, aufzuzeigen, inwiefern das, was das lebendige Lehramt vorbringt, sich in der Heiligen Schrift und in der göttlichen "Überlieferung" entweder ausdrücklich oder einschließlich findet. Sicher ist, dass dieser doppelte Quell der Lehre göttlicher Offenbarung so viele und so große Schätze der Wahrheit enthält, dass er nie wirklich ganz ausgeschöpft werden kann. Darum erneuern auch die heiligen Wissenschaften durch das Studium der heiligen Quellen ihre Kraft, während die Spekulation, die eine weitere Untersuchung des Glaubensschatzes vernachlässigt, wie Wir durch Erfahrung feststellen konnten, ohne Frucht bleibt. Aus diesem Grunde kann auch die so genannte positive Theologie nicht einfach mit der Geschichtswissenschaft gleichgestellt werden, da Gott der Kirche zusammen mit diesen heiligen Quellen das lebendige Lehramt schenkte, um auch die Wahrheiten zu erklären und zu entfalten, die im "Depositum fidei" nur dunkel und gleichsam eingehüllt enthalten sind. Diesen Glaubensschatz hat der Heiland weder den einzelnen Christgläubigen noch auch den Theologen selbst zur authentischen Erklärung hinterlassen, sondern allein dem kirchlichen Lehramt. Wenn aber die Kirche dieses ihr Amt, wie es im Laufe der Zeiten häufig geschehen ist, durch einen ordentlichen oder außerordentlichen Akt ausübt, so steht als sicher fest, dass die Methode falsch ist, nach der man klare Wahrheiten aus unklaren beweisen will; im Gegenteil müssen alle den entgegengesetzten Weg gehen. Darum fügte Unser unvergesslicher Vorgänger, Pius IX., bei der Erklärung, dass es vornehmste Aufgabe der Theologie sei, zu zeigen, wie die von der Kirche feierlich aufgestellte Lehre in den Quellen enthalten sei, nicht ohne wichtigen Grund die Worte hinzu: "in dem gleichen Sinn, wie die Kirche sie definiere."

Grundsätze der Schrift-Erläuterung

Kehren wir zu den neuen Ansichten zurück, die oben berührt wurden. Mehrere Dinge werden von einigen vorgetragen und den Herzen eingeflößt zum Schaden der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift. Sie verdrehen kühn den Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift und erneuern den bereits öfters verworfenen Satz, nach dem sich die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift nur auf die Gegenstände bezieht, die über Gott und Fragen der Moral und der Religion handeln. In falscher Weise sprechen sie über einen menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem nach ihrer Erklärung der göttliche Sinn verborgen liege, der allein nach ihrer Auffassung unfehlbar sei. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift wollen sie der Analogie des Glaubens und der "Überlieferung" der Kirche keine Rechnung tragen, so dass eher die Lehre der heiligen Väter und des kirchlichen Lehramtes zu messen sei nach der Heiligen Schrift - die von den Exegeten in rein menschlicher Weise erklärt werden müsse -, als die Heilige Schrift zu erklären sei nach dem Sinn der Kirche, die aber von Christus dem Herrn als Hüterin und Erklärerin des ganzen von Gott geoffenbarten Glaubensschatzes aufgestellt ist.

Außerdem müsste der wörtliche Sinn der Heiligen Schrift und ihre Auslegung, die von so vielen und so großen Exegeten unter der Aufsicht der Kirche ausgearbeitet wurde, nach ihrer falschen Ansicht einer neuen Schrifterklärung weichen, die sie die symbolische oder geistige nennen; nach dieser Exegese würden endlich einmal die Bücher des Alten Testamentes, die heute wie ein verschlossener Brunnen in der Kirche verborgen lägen, allen geöffnet werden. Auf die gleiche Weise, so behaupten sie, verschwinden alle Schwierigkeiten, die nur für solche ein Hindernis bilden, die am wörtlichen Sinn der Heiligen Schrift festhalten.

Jeder sieht, wie sich alle diese Ansichten von den Grundsätzen und Normen der Schrifterklärung entfernen, die mit Recht aufgestellt wurden von Unsern Vorgängern seligen Angedenkens, von Leo XIII. in der Enzyklika "Providentissimus", von Benedikt XV. in der Enzyklika "Spiritus Paraclitus" und von Uns selbst in der Enzyklika "Divino afflante spiritu".

Es braucht uns nicht zu wundern, dass das Gift dieser Neuerungen in alle Teile der Theologie gelangte. So wird in Zweifel gezogen, dass der menschliche Verstand ohne Hilfe der göttlichen Offenbarung und der Gnade mit Beweisen aus der Schöpfung die Existenz eines persönlichen Gottes beweisen könne; geleugnet wird, dass die Welt einen Anfang hat, und gezeigt, dass die Schöpfung notwendig ist, da sie aus der notwendigen Freigebigkeit der göttlichen Liebe hervorgehe; verneint wird ebenfalls das ewige und unfehlbare Vorherwissen Gottes um die freien Handlungen der Menschen. All diese Ansichten stehen im Widerspruch zu den Erklärungen des Vatikanischen Konzils.

Das Wesen des mystischen Leibes Christi

Einige werfen auch die Frage auf, ob die Engel persönliche Geschöpfe sind, ob Stoff und Geist sich wesentlich unterscheiden. Andere verwerfen es, dass die übernatürliche Ordnung ein freies Geschenk Gottes sei, mit der Behauptung, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie auf die Anschauung der Seligen hinzuordnen und sie dazu zu berufen. Damit nicht genug: Der Begriff der Erbsünde wird, unter Außerachtlassung der Entscheidungen des Konzils von Trient, ebenso wie der der Sünde im allgemeinen, als Beleidigung Gottes vernichtet wie auch der Begriff der Genugtuung, die Christus für uns leistete. Es finden sich auch solche, die behaupten, die Lehre von der Wesensverwandlung, die sich auf den veralteten philosophischen Begriff der Substanz stütze, müsse so verändert werden, dass die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie auf einen gewissen Symbolismus zurückgeführt werde. Demnach sollen die heiligen Gestalten nur wirksame Zeichen sein der geistigen Gegenwart Christi und seiner innigen Vereinigung mit den gläubigen Gliedern im geheimnisvollen Leibe Christi.

Einige halten sich nicht gebunden an die vor einigen Jahren in einem Rundschreiben erklärte Lehre, die sich auf die Quellen der "Offenbarung" stützt und erklärt, dass der geheimnisvolle Leib Christi und die Römische Katholische Kirche ein und dasselbe seien.

Andere schwächen die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zur wahren Kirche, um das ewige Heil zu erlangen, zu einer bloßen Formel ab. Schließlich tun wieder andere dem Charakter der "Glaubwürdigkeit" des christlichen Glaubens, der dem Verstand einsichtig ist, Gewalt an. Es steht fest, dass diese und ähnliche Irrtümer sich in die Herzen einiger Unserer Söhne einschlichen, die sich täuschen ließen von einem unklugen Seeleneifer oder einer Wissenschaft, die diesen Namen nicht verdient; traurigen Herzens sind Wir mit schwerer Sorge gezwungen, diesen bereits bekannte Wahrheiten zu wiederholen und offenbare Irrtümer wie ihre Gefahren anzuzeigen.

Die Vernunft der Lehre der Kirche

Es ist allen bekannt, wie hoch die Kirche den Wert der menschlichen Vernunft stellt, der es zukommt, die Existenz des einen persönlichen Gottes mit Sicherheit zu beweisen wie auch die Grundlagen des christlichen Glaubens unwiderleglich durch göttliche Zeichen aufzuzeigen. Gleicherweise soll sie auch das Gesetz, das der Schöpfer in die Herzen der Menschen schrieb, in das rechte Licht stellen; endlich auch zu einer begrenzten, aber äußerst fruchtbaren Erkenntnis der Geheimnisse kommen. Aber dieser Aufgabe kann die Vernunft nur dann in entsprechender Weise und mit Sicherheit gerecht werden, wenn sie nach Gebühr ausgebildet wird, wenn sie also von jener gesunden Philosophie geführt wird, die wie ein Erbteil früherer christlicher Jahrhunderte überliefert ist, also auch ein höheres Ansehen besitzt, weil das Lehramt der Kirche selbst ihre Grundsätze und wesentlichsten Behauptungen, die von geistvollen Männern allmählich aufgedeckt und bestimmt wurden, zum Maßstab der göttlichen "Offenbarung" gemacht hat. Diese gleiche Philosophie, von der Kirche anerkannt und zugelassen, verteidigt den wirklichen Wert der menschlichen Erkenntnis, die unerschütterlichen Grundgesetze der Metaphysik - vom hinreichenden Grund, von der Ursächlichkeit und Zweckhaftigkeit - und endlich die Erreichung der sicheren und unveränderlichen Wahrheit.

In dieser Philosophie gibt es sicherlich verschiedene Fragen, die sich weder unmittelbar noch mittelbar auf den Glauben und die Sitten beziehen und die von der Kirche der freien Erörterung der Fachgelehrten überlassen werden; aber für verschiedene andere Dinge, besonders die Grundsätze und Hauptlinien, die wir oben erwähnten, kann nicht die gleiche Freiheit gelten. Jedoch kann auch in diesen wesentlichen Fragen der Philosophie ein mehr entsprechendes und reicheres Gewand angelegt werden; man kann ihre Kraft vergrößern durch die Formung neuer, zweckentsprechender Ausdrücke, sie von weniger passenden, schulmäßigen Dingen frei machen, sie auch - aber mit Vorsicht - bereichern mit bestimmten Anteilen des Fortschritts menschlichen Geistes. Nie aber hat man das Recht, sie zugrunde zu richten oder sie mit falschen Grundsätzen zu verunstalten oder sie als ein gewaltiges, aber doch veraltetes Monument zu achten; denn die Wahrheit und jede ihrer philosophischen Äußerungen kann nicht täglichen Veränderungen unterworfen werden. Das gilt besonders, wenn es sich um - der menschlichen Vernunft an sich bekannte - Grundsätze handelt oder um jene Sätze, die sich auf die Weisheit von Jahrhunderten wie auch auf die Zustimmung und das Fundament der göttlichen Offenbarung stützen. Die Wahrheiten, die der menschliche Verstand in ehrlichem Suchen entdecken wird, vermögen nicht im Gegensatz zu stehen zu einer bereits entdeckten Wahrheit. Gott, die höchste Wahrheit, hat den menschlichen Verstand erschaffen und leitet ihn, aber nicht so, dass er der in ehrlichem Streben erworbenen Wahrheit täglich neue Erkenntnisse entgegenstellt, sondern um, nach Entfernung etwaiger menschlicher Irrtümer, das Wahre durch andere neue Erkenntnisse zu überhöhen, in der gleichen Ordnung und Verbindung, in der wir die Natur selbst, aus der wir die Wahrheit schöpfen, aufgebaut sehen. Darum soll der Christ, Philosoph oder Theologe, nicht eilfertig und leichtsinnig all die neuen Ideen in sich aufnehmen, die täglich ausgedacht werden, sondern er muss sie mit größter Sorgfalt prüfen und nach rechtem Maß abwägen, um nicht die bereits erworbene Wahrheit mit großer Gefahr und großem Schaden für seinen Glauben zu verlieren oder zu verderben.

Die Lehren des Aquinaten

Nach diesen Überlegungen versteht man leicht, warum die Kirche verlangt, dass ihre zukünftigen Priester in den philosophischen Fächern unterrichtet werden "nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des ,Englischen Lehrers' ". Sie weiß ja nach einer Erfahrung von Jahrhunderten gut, dass die Methode des Aquinaten sich vor andern bewährt sowohl im Unterricht wie auch in der Suche nach verborgenen Wahrheiten, dass seine Lehre fernerhin in Harmonie mit der göttlichen Offenbarung steht und in wirkungsvoller Weise sichere Fundamente des Glaubens legt, wie sie auch mit Nutzen und Sicherheit die Früchte eines gesunden Fortschritts bringt.

Darum ist es sehr zu beklagen, dass man die Philosophie, die von der Kirche angenommen und anerkannt ist, heute von mancher Seite so sehr geringschätzt, als veraltet in der Form und - wie sie sagen - rationalistisch in der Denkweise. Die Gegner behaupten, dass diese unsere Philosophie irrtümlicherweise die Meinung verteidige, es gebe eine absolut gültige Metaphysik während sie im Gegenteil sagen, die Wahrheiten, besonders die transzendenten, könnten keinen geeigneteren Ausdruck finden als in ganz verschiedenen Lehrsätzen, die sich ergänzen, obwohl sie untereinander in gewisser Weise im Gegensatz stehen. Darum geben sie auch zu, dass die auf unseren Schulen gelehrte Philosophie mit ihrer klaren Beschreibung der Fragestellung und Lösung, mit der genauen Bestimmung der Begriffe und ihren klaren Unterscheidungen wohl nützlich sein könne zum Studium der scholastischen Theologie, die sich der Denkungsart des mittelalterlichen Menschen in hervorragender Weise anpasste; aber - so fügen sie hinzu - sie kann keine philosophische Methode bieten, die unserer modernen Kultur mit ihren Bedürfnissen entspricht. Sie wenden ferner ein, dass die "philosophia perennis" nur eine Philosophie der unveränderlichen Wesenheiten sei, während das moderne Denken interessiert sein müsse an der "Existenz" der Einzeldinge und dem stets fließenden Leben. Während sie aber diese Philosophie verachten, preisen sie andere Systeme hoch, alte oder neue, solche östlicher oder westlicher Völker, in einer Art, die andeuten zu wollen scheint, jede beliebige Philosophie oder Meinung könne unter Beifügung - wenn das notwendig ist - einiger Verbesserungen oder Ergänzungen mit dem katholischen Dogma vereint werden. Aber kein Katholik kann daran zweifeln, dass dieses ein ganz großer Irrtum ist, besonders da es sich um Systeme handelt wie den "Immanentismus", "Idealismus", den geschichtlichen oder dialektischen "Materialismus" oder auch den "Existenzialismus", entweder in der Form des Atheismus oder wie er sich wenigstens gegen den Wert der metaphysischen Schlussfolgerung wendet.

Welche Kraft haben Wille und Gefühl?

Schließlich werfen sie der Philosophie unserer Schulen noch vor, dass sie im Erkenntnisvorgang nur den Verstand berücksichtige, die Tätigkeit des Willens aber und der Gemütsbewegungen vernachlässige. Das entspricht nicht der Wahrheit. Denn niemals hat die christliche Philosophie den Nutzen und die Wirksamkeit geleugnet, die die gute Verfassung der Gesamtseele für die volle Erkenntnis und Erfassung der religiösen und sittlichen Wahrheiten hat; im Gegenteil, sie hat immer gelehrt, dass das Fehlen einer solchen Verfassung der Grund dafür sein kann, dass der Verstand unter dem Einfluss der Leidenschaften und des bösen Willens so verdunkelt wird, dass er nicht mehr richtig sieht. Mehr noch, der "Doctor Communis" glaubt, dass der Verstand in irgend einer Weise die höheren Güter der natürlichen oder übernatürlichen Sittenordnung begreifen könne, insofern als er in seinem Innern eine gewisse gemütsmäßige natürliche oder gnadenhafte "Naturgleichheit" (Connaturalitas) mit diesen Gütern verspürt. Es versteht sich, wie sehr diese, wenn auch nur im Unterbewusstsein liegende Erkenntnis, den Bemühungen der Vernunft helfen kann. Den Willensaffekten die Kraft zuerkennen, der Vernunft zu helfen, zu einer sichereren und festeren Erkenntnis der sittlichen Wahrheiten zu kommen, bedeutet aber nicht, was diese Neuerer behaupten, dass nämlich der Wille und das Gefühl eine gewisse intuitive Kraft haben und dass der Mensch, wo er durch Verstandestätigkeit nicht mit Sicherheit die Wahrheit erkennen kann, sich an den Willen wendet, mit dem er einen freien Entschluss und eine Wahl zwischen entgegengesetzten Meinungen treffen kann; dabei vermischt er in übler Weise die Erkenntnis und den Willensakt miteinander.

Die Entscheidungen Leo XIII. und Pius X.

Es nimmt nicht wunder, dass diese neuen Ansichten zwei philosophische Disziplinen in Gefahr bringen, die ihrer Natur nach sehr eng mit dem Glaubensunterricht verbunden sind, die natürliche Gotteserkenntnis (Theodizee) und die natürliche Sittenlehre (Ethik). Sie sind der Ansicht, dass es nicht die Aufgabe dieser beiden Gebiete sei, mit Sicherheit irgendeine Wahrheit über Gott oder ein anderes transzendentes Wesen zu beweisen, sondern vielmehr zu zeigen, wie doch die Wahrheiten, die der Glaube über den persönlichen Gott und seine Gebote lehrt, so eng mit den Bedürfnissen des Lebens zusammenhängen und wie diese Wahrheiten darum von allen anzunehmen seien, um der Verzweiflung aus dem Wege zu gehen und das ewige Heil zu erreichen. Alle diese Behauptungen und Ansichten stehen in offenem Widerspruch mit den Entscheidungen Unserer Vorgänger Leo XIII. und Pius X.; sie sind auch unvereinbar mit den Verordnungen des Vatikanischen Konzils.

Es wäre unnötig, diese Irrtümer zu beklagen, wenn alle, auch auf dem Gebiet der Philosophie, mit gebührender Ehrfurcht auf das Lehramt der Kirche schauten. Seine Aufgabe ist es - nach göttlicher Anordnung -, nicht nur den Glaubensschatz der Offenbarung zu bewahren und zu erklären, sondern auch über die philosophischen Disziplinen zu wachen, damit die katholischen Glaubenslehren durch diese Irrtümer keinen Schaden leiden.

Entwicklungslehre und Genesis

Es ist jetzt noch zu den Fragen Stellung zu nehmen, die aus den positiven Wissenschaften entspringen und mehr oder weniger mit den Wahrheiten des christlichen Glaubens zusammenhängen. Nicht wenige bitten ja dringend darum, die katholische Religion möge diesen Wissenschaften möglichst stark Rechnung tragen. Es ist das lobenswert, soweit es sich um bewiesene Tatsachen handelt; es heißt aber, vorsichtig voranzugehen, wenn es sich mehr um Hypothesen handelt (auch wenn sie irgendwie wissenschaftlich begründet sind), mit denen Lehren der Heiligen Schrift oder der Tradition in Berührung stehen. Wenn diese Hypothesen sich direkt oder indirekt gegen die Offenbarung wenden, so können sie in keiner Weise zugelassen werden.

Aus diesem Grund verbietet das Lehramt der Kirche nicht, dass in Übereinstimmung mit dem augenblicklichen Stand der menschlichen Wissenschaften und der Theologie die Entwicklungslehre Gegenstand der Untersuchungen und Besprechungen der Fachleute beider Gebiete sei, insoweit sie Forschungen anstellen über den Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden, lebenden Materie, obwohl der katholische Glaube uns verpflichtet, daran festzuhalten, dass die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen sind. Es sollen diese Verhandlungen in der Weise geschehen, dass die Gründe für beide Ansichten, also dieser, die der Entwicklungslehre zustimmt, wie jener, die ihr entgegensteht, mit dem nötigen Ernst abgewogen und beurteilt werden, vorausgesetzt, dass alle bereit sind, das Urteil der Kirche anzunehmen, der Christus das Amt anvertraut hat, die Heilige Schrift authentisch zu erklären und die Grundsätze des Glaubens zu schützen. Einige überschreiten nun verwegen diese Freiheit der Meinungsäußerung, da sie so tun, als sei der Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden und lebenden Materie - durch bis jetzt gefundene Hinweise und durch Schlussfolgerungen aus diesen - bereits mit vollständiger Sicherheit bewiesen; ebenso tun sie, als ob aus den Quellen der Offenbarung kein Grund vorliege, der auf diesem Gebiet nicht die allergrößte Mäßigung und Vorsicht geböte.

Wenn es sich aber um eine andere Hypothese handelt, den so genannten Polygenismus, lässt die Kirche nicht die gleiche Freiheit. Darum können Gläubige sich nicht der Meinung anschließen, nach der es entweder nach Adam hier auf Erden wirkliche Menschen gegeben habe, die nicht von ihm, als dem Stammvater aller, auf natürliche Weise abstammen, oder dass Adam eine Menge von Stammvätern bezeichne, weil auf keine Weise klar wird, wie diese Ansicht in Übereinstimmung gebracht werden kann mit dem, was die Quellen der Offenbarung und die Akten des kirchlichen Lehramtes über die Erbsünde sagen; diese geht hervor aus der von Adam persönlich und individuell begangenen Sünde, die durch die Zeugung auf alle überging und jedem einzelnen zu eigen ist.

Wie in den biologischen und anthropologischen Wissenschaften, so missachten auch in der Geschichte einige kühn die von der Kirche vorsichtig gezogenen Grenzen. In besonderer Weise gibt ein System Anlass zu Besorgnis, das die geschichtlichen Bücher des Alten Testamentes mit allzu großer Freiheit erklärt. Um ihre Gründe zu verteidigen, berufen sich die Vertreter dieses Systems auf ein Schreiben, das vor nicht langer Zeit von der Päpstlichen Bibelkommission an den Erzbischof von Paris gerichtet wurde. Es weist ausdrücklich darauf hin, dass die ersten elf Kapitel des Buches der Schöpfung doch in einem wahren Sinn, der von den Exegeten noch weiter zu erforschen und zu erklären ist, geschichtlich sind, wenn sie auch eigentlich nicht der Methode der Geschichtsschreibung entsprechen, die von den besten griechischen und lateinischen Autoren, auch von den Fachleuten unserer Zeit, angewandt wurde. Die gleichen Kapitel, so heißt es weiter, berichten in ihrer einfachen und bildhaften, der Denkart eines wenig gebildeten Volkes angepassten Sprache die Hauptwahrheiten, die für unser Heil von grundlegender Bedeutung sind; zugleich geben sie aber auch einen volkstümlichen Bericht vom Ursprung des Menschengeschlechtes und des auserwählten Volkes.

Die Schrift schöpft auch aus volkstümlichen Überlieferungen

Wenn auch die alten Verfasser der heiligen Bücher einiges aus den volkstümlichen Erzählungen nahmen - was ruhig zugegeben werden kann -, so darf man doch nie vergessen, dass sie es taten unter dem Beistand göttlicher Eingebung, der sie bei der Wahl und der Wertung dieser Zeugnisse vor allem Irrtum bewahrte. Es können auch die der Heiligen Schrift eingefügten volkstümlichen Erzählungen in keiner Weise mit Mythologien oder dergleichen auf die gleiche Stufe gestellt werden, da diese mehr Frucht einer ausschweifenden Einbildungskraft sind als des Strebens nach Wahrheit und Einfachheit, das in den Büchern des Alten Testamentes so sehr hervorleuchtet; darum muss auch von ihren Verfassern gesagt werden, dass sie alle Profanschriftsteller eindeutig übertreffen.

Die Verpflichtung der Bischöfe zur Wachsamkeit

Wir wissen nun gut, dass die meisten katholischen Lehrer, die die Früchte ihrer Studien den Universitäten, Seminarien und religiösen Kollegien zukommen lassen, weit von diesen Irrtümern entfernt sind, die heute offen oder versteckt durch Neuerungssucht oder übertriebenen apostolischen Eifer Verbreitung finden. Wir wissen aber auch, dass diese neuen Auffassungen die Unvorsichtigen anlocken können; darum wollen Wir ihnen lieber gleich beim Beginn entgegentreten, als dann erst die Heilmittel verordnen, wenn das Übel bereits eingewurzelt ist.

Um daher Unserer heiligen Pflicht nachzukommen, schreiben Wir nach reiflicher Überlegung im Herrn den Bischöfen und Obern der Ordensgenossenschaften unter schwerer Verpflichtung für ihr Gewissen vor, mit allem Eifer dafür zu sorgen, dass weder in der Schule, bei Zusammenkünften, in Schriften irgendwelcher Art solche Meinungen vorgebracht, noch sie auch Klerikern oder Christgläubigen auf irgendeine Weise vorgetragen werden.

Alle, die in kirchlichen Anstalten lehren, sollen wissen, dass sie das ihnen anvertraute Lehramt nicht ruhigen Gewissens ausüben können, wenn sie die von Uns erlassenen Lehrnormen nicht in religiösem Geist annehmen und beim Unterricht genauestens befolgen. Diese schuldige Ehrfurcht und diesen Gehorsam, die sie fortwährend in ihrem Wirken dem kirchlichen Lehramt entgegenbringen müssen, sollen sie auch dem Verstand und dem Herzen ihrer Schüler einprägen.

Sicher sollen sie mit aller Kraft und Anstrengung ihr Lehrfach fördern, sich aber auch davor hüten, die von Uns zum Schutz der Wahrheit des Glaubens und der katholischen Lehre gezogenen Grenzen zu missachten. Die neuen Fragen, wie sie die moderne Kultur und der Fortschritt aufwirft, sollen sie sehr genau, aber auch mit der gebotenen Klugheit und Vorsicht untersuchen. Schließlich sollen sie nicht in einer falschen Friedensliebe (oder "Irenismus") glauben, die Getrennten und Irrenden könnten anders glücklich in den Schoß der Kirche zurückgeführt werden als dadurch, dass sie ehrlich die ganze Wahrheit der Kirche, ohne jegliche Entstellung und jeden Abstrich entgegennehmen (Aus der Enzyklika "Humani generis", 12. August 1950).

42. DER ATHEISMUS

DIE GEGENWART HAT, indem sie den Irrlehren der Vergangenheit neue Irrtümer hinzufügte, diese zu Extremen getrieben; aus ihnen konnte nichts anderes als Verwirrung und Zerstörung folgen. Denn die tiefste und letzte Wurzel der Übel, die Wir an der modernen Gesellschaft beklagen, ist die Leugnung und Ablehnung einer allgemeingültigen sittlichen Norm, sei es für das Leben des einzelnen, sei es für das der Gesellschaft und für die internationalen Beziehungen; das heißt die in unserer Zeit so weit verbreitete Verkennung und das Vergessen des Naturgesetzes selbst, das seinen Grund in Gott hat; in Gott, dem allmächtigen Schöpfer und Vater aller, dem obersten und unbedingten Gesetzgeber, dem allwissenden und gerechten Vergelter der menschlichen Handlungen. Wenn Gott geleugnet wird, dann wird jede Grundlage der Sittlichkeit erschüttert, wird die Stimme der Natur erstickt oder wenigstens erheblich geschwächt, die sogar die unbelehrten und nicht zu einer höheren Bildungsstufe gelangten Völker lehrt, was gut und was böse, was erlaubt und was verboten ist, und die die Verantwortlichkeit für das Handeln vor einem höchsten Richter in der eigenen Seele fühlen lässt.

Die Leugnung der Grundlage der Sittlichkeit hatte in Europa ihre erste Wurzel in der Loslösung von der Lehre Christi, deren Wahrer und Verkünder der Stuhl Petri ist, einer Lehre, die einst Europa geistigen Zusammenhalt verlieh, jenem Europa, das durch Christi Kreuz erzogen, geadelt und veredelt und zu einem solchen Grade bürgerlichen Fortschritts gelangt war, dass es die Lehrerin anderer Völker und anderer Kontinente wurde. Durch die Loslösung vom unfehlbaren Lehramt der Kirche jedoch sind viele der getrennten Brüder so weit gekommen, dass sie das zentrale Dogma des Christentums, die Göttlichkeit des Erlösers, umstürzten und damit den Prozess der geistigen Auflösung beschleunigten.

Ein Trugbild schillernder Sätze

Viele hatten vielleicht, als sie sich von der Lehre Christi entfernten und diese Trennung als Befreiung von einer Knechtschaft proklamierten, keine volle Erkenntnis davon, dass sie von einem schillernden Trugbild genarrt wurden. Sie sahen auch nicht die bitteren Folgen des Tausches voraus zwischen der Wahrheit, die befreit, und dem Irrtum, der knechtet; noch dachten sie daran, dass sie sich mit dem Verzicht auf das unendlich weise und väterliche Gesetz Gottes und die einigende und erhebende Liebeslehre Christi der Willkür einer armseligen und unbeständigen menschlichen Weisheit unterstellten. Sie sprachen von Fortschritt, während sie rückwärts schritten; von Erhebung, da sie herabsanken; vom Aufstieg zur Reife, da sie in Knechtschaft fielen. Sie sahen nicht, wie eitel alle menschlichen Bemühungen sind, an die Stelle des Gesetzes Christi irgendein anderes Gesetz zu stellen.

Nachdem der Glaube an Gott und an Jesus Christus geschwächt worden war und das Licht der sittlichen Grundsätze sich in den Seelen verdunkelt hatte, war das einzige und unersetzbare Fundament jener Festigkeit und Ruhe, jener inneren und äußeren, privaten und öffentlichen Ordnung untergraben, das allein die Wohlfahrt der Staaten bewirken und sichern kann (Aus der Enzyklika "Summi Pontificatus", 20. Oktober 1939).

Wo findet die Seele des Menschen Frieden?

Im staunenerregenden materiellen Fortschritt, in den Siegen des menschlichen Geistes über die Geheimnisse der Natur, über die Kräfte der Elemente von Erde, Meer und Himmel, in dem gierigen Wettstreit, erreichte Leistungen zu übertreffen, auf dem Felde kühner Forschung, in den Errungenschaften von Wissenschaft und Industrie, in Laboratorien, Werkstätten, in der Jagd nach Gewinn und Vergnügen, in der Spannung gegenüber einer überragenden Macht, mehr gefürchtet als erstrebt, mehr beneidet als erreicht, in dem Aufruhr des ganzen modernen Lebens: wo findet da die von Natur aus christliche Seele des Menschen noch Frieden? Etwa darin, dass sie sich mit sich selber zufrieden gibt? Vielleicht in dem eitlen Ruhm, Herrin des Universums geworden zu sein? In dem nebelhaften Wunschgedanken und der Täuschung, die den Stoff mit dem Geist, das Menschliche mit dem Göttlichen, das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt? Nein, in solch aufwühlenden Träumen findet der Sturm der Seele und des Gewissens keine Ruhe. Nähert euch diesen Menschen, befragt sie! Sie werden euch antworten in der Sprache des Kindes, nicht in der des Erwachsenen. Sie hatten keine Mutter, die sie auf einen Vater im Himmel hinwies, sie wuchsen auf zwischen Wänden ohne Kruzifix, in Häusern, in denen die Religion verstummt, in Gegenden fern von Altar und Kirche; sie lasen Bücher, die den Namen Gottes und Christi nicht enthalten; sie hörten Priester und Ordensleute beschimpfen; sie gingen vom Lande, aus den Städten, vom häuslichen Herd in die Werkstatt, in den Laden, in die Hörsäle der Universität, zu jedwedem Handwerk, zu jeglicher Arbeit, ohne je eine Kirche zu betreten, ohne ihren Pfarrer zu kennen, ohne einen guten Gedanken im Herzen (Aus der Ansprache an die Leiter der Katholischen Aktion, 3. Mai 1951).

Allzu bekannt sind die geistigen und sittlichen Gefahren und Verlockungen, die heute mehr denn je die christlichen Glaubens- und Lebensgrundsätze in den Seelen bedrohen. Eine ungeordnete Menge neuer und gegensätzlicher Meinungen, Eindrücke und Anreize beunruhigen sie die Volksmassen und dringen auch in Kreise ein, die in ruhigeren Zeiten gewillt waren, sich von klaren und weisen Normen beraten und leiten zu lassen. Sie legen dem christlichen Gewissen eine beständige und unermüdliche Wachsamkeit auf, seiner Richtung und Berufung treu zu bleiben.

In den leidenschaftlichen Wirbel der Ereignisse hineingezogen, ist der Mensch heute in Gefahr, dass seine Bereitschaft, die Ereignisse nach den reinen und unerschütterlichen Lehren des göttlichen Gesetzes zu beurteilen, geschwächt und verdunkelt wird. Und doch muss der Christ, stark im Glauben und ohne in seiner Pflicht nachzulassen, bereit sein, an den Ereignissen, den Aufgaben und den Opfern des Tages teilzunehmen. Nicht weniger muss er bereit sein, die Irrtümer seiner Zeit zurückzuweisen, und zwar so, dass er sich um so mutiger zeigen muss und um so bereitwilliger, das Licht Christi erstrahlen zu lassen, dem Irrenden Führer, Lenker und Geleit hin zu dem von so vielen vergessenen oder verlassenen geistlichen Erbe zu sein, je mehr sich die Finsternis des Unglaubens und des Bösen verdichtet. Er wird, unzugänglich den Umgarnungsversuchen anderer, voranschreiten, ohne in der Nacht der irdischen Dunkelheit vom Weg abzuirren. Er wird den Blick zu den Sternen erheben, die am Firmament der Ewigkeit funkeln, dem trostvollen Ziel und Lohn seiner Hoffnung. Je härter und beschwerlicher die Opfer sein werden, die von der Menschheit gefordert werden, um so kräftiger und tätiger wird er in der eigenen Seele die Kraft des göttlichen Gebots der Liebe werden lassen und den brennenden Wunsch, sie zur Führerin seines Trachtens zu machen. Und wenn an ihn der gottlose Atheismus die Frage stellt: Ubi est spes tua? - wo ist deine Hoffnung? - dann wird er ohne Furcht für Gegenwart und Zukunft mit den Gerechten des Alten Bundes antworten: "Führt nicht solche Reden! Wir sind Kinder der Heiligen und erwarten das Leben, das Gott denen geben wird, die in ihrer Treue von ihm niemals ablassen" (Tob 2,16,18). Nolite ita loqui; quoniam filii sanctorum sumus, et vitam illam expectamus, quam Deus daturus est his, qui fidem suam nunquam mutant ab eo. -

Der Glaube an Gott und die unwandelbare Treue zu ihm ist das Fundament der Hoffnung der christlichen Helden, jener Hoffnung, die nicht zuschanden wird. Alle jene, die ihr Glück hienieden im Sturm des Krieges haben untergehen sehen, alle jene, die als Opfer unvorstellbarer äußerer und innerer Leiden dahinsiechen, die leidenden Brüder der ersten Gläubigen weisen Wir hin auf die Schar alter und neuer Helden und Heidinnen, und wir rufen mit dem Völkerapostel: "Fratres ... non contristemini, sicut et ceteri, qui spem non habent. - Brüder, seid nicht traurig wie jene, die keine Hoffnung haben" (1. Thess 4, 13). - ist nicht der stärkste Trost die Hoffnung, die uns verheißen ist, und die wir als sicheren und festen Anker der Seele besitzen, die bis jenseits des Schleiers vordringt, der den Himmel verhüllt, in den als unser Vorläufer Jesus Christus eingegangen ist? (Aus der Ansprache an das Heilige Kollegium, 2. Juni 1940).

ÜBER DIE HEILIGE SCHRIFT

Derzeitiger Stand und Aufgaben der Bibelwissenschaft

JEDERMANN KANN UNSCHWER WAHRNEHMEN, wie sehr sich in den letzten fünfzig Jahren die Lage der Bibelwissenschaft und ihrer Hilfsfächer geändert hat. Denn als Unser Vorgänger die Enzyklika Providentissimus Deus herausgab, hatte man kaum einige wenige Orte Palästinas durch Ausgrabungen zu dem genannten Ziel zu erforschen begonnen. Heute jedoch sind derartige Forschungen viel zahlreicher geworden und werden mit strenger Methodik und mit einer durch die Erfahrung verfeinerten Technik durchgeführt, so dass die Ergebnisse reichhaltiger und gesicherter sind. Wie viel Licht aus diesen Forschungen gewonnen wird, um die heiligen Bücher besser und gründlicher zu verstehen, das wissen die Fachleute und wissen alle jene, die diese Studien pflegen. Der Wert der erwähnten Forschungen wird noch erhöht durch die vielfache Auffindung von Schriftdenkmälern, die wesentlich dazu beitragen, uns die älteren Sprachen, die Literaturen, die Geschichte, Sitten und Formen der Gottverehrung bekanntzumachen.

Die Papyrusfunde

Von nicht geringerer Wichtigkeit ist die in unseren Tagen so häufige Entdeckung und Untersuchung von Papyri, die soviel Licht in die Kenntnis der Literatur und in die Einrichtungen des öffentlichen und privaten Lebens, insbesondere zur Zeit unseres Heilandes, brachten. Außerdem hat man alte Handschriften der heiligen Bücher gefunden und sorgfältig veröffentlicht; die Schrifterklärung der Kirchenväter wurde gründlicher und allgemeiner untersucht. Die Art, wie vergangene Jahrhunderte sprachen, erzählten, schrieben, wurde durch unzählige Beispiele in volles Licht gerückt. All diese Ergebnisse, die unsere Zeit nicht ohne den vorausschauenden Ratschluss Gottes erzielt hat, laden sozusagen die Erklärer der Heiligen Schrift ein und mahnen sie, so viel neues Licht mit Eifer zu benutzen, um das Wort Gottes gründlicher zu erforschen, heller zu beleuchten und klarer darzulegen.

Studium der biblischen Sprachen

Dem katholischen Exegeten, der sich zu dem Werk rüstet, die Heilige Schrift zu verstehen und zu erklären, haben schon die Kirchenväter, und in erster Linie der heilige Augustinus, das Studium der alten Sprachen und die Heranziehung der Urtexte empfohlen. Freilich waren damals die Verhältnisse so, dass nur wenige, und auch diese nur unvollkommen, die hebräische Sprache beherrschten. Im Mittelalter dann, als die scholastische Theologie in höchster Blüte stand, war auch die Kenntnis des Griechischen im Abendland so weit geschwunden, dass sich auch die größten Lehrer jener Zeit bei der Erklärung der Heiligen Schrift ausschließlich auf die lateinische Übersetzung der Vulgata stützen mussten. In unseren Tagen hingegen ist nicht nur die griechische Sprache, die mit der Renaissance sozusagen zu neuem Leben erwachte, fast allen Kennern des Altertums und der Literatur vertraut, sondern auch die Kenntnis des Hebräischen und anderer orientalischer Sprachen ist unter den Gelehrten weit verbreitet. Es gibt so viele Hilfsmittel zur Erlernung dieser Sprachen, dass ein Bibelerklärer, der sie vernachlässigen und sich damit selbst den Weg zu den Urtexten versperren würde, dem Vorwurf der Leichtfertigkeit und Bequemlichkeit nicht entgehen könnte ...

Wichtigkeit der Textkritik

Welche Bedeutung der Textkritik beizumessen ist, gibt der heilige Augustinus zu bedenken, wenn er unter den Regeln, die er für das Studium der Bücher aufstellt, an erster Stelle die Sorge für einen kritisch richtigen Text erwähnt. "Die Handschriften zu verbessern" - so schreibt dieser erleuchtete Lehrer der Kirche - "darauf müssen vor allem jene sorgsam bedacht sein, die die Heilige Schrift kennenzulernen wünschen; die fehlerhaften Handschriften müssen den verbesserten weichen." Heute wird diese Kunst, die man Textkritik zu nennen pflegt und die man bei der Herausgabe von Profanschriften rühmlich und mit Erfolg anwendet, mit vollem Recht auch auf die heiligen Bücher angewandt, gerade um der Ehrfurcht willen, die dem Worte Gottes gebührt. Denn ihre Aufgabe besteht darin, den heiligen Text mit aller nur möglichen Genauigkeit in seinem ursprünglichen Wortlaut wiederherzustellen und ihn von den Entstellungen zu reinigen, die durch die Unzuverlässigkeit der Abschreiber eingedrungen sind. Außerdem soll die Textkritik die Zusätze und Lücken beseitigen, die Umstellungen von Wörtern, die Wiederholungen und andere derartige Fehler, die sich in Schriftwerke, die durch viele Jahrhunderte handschriftlich überliefert wurden, einzuschleichen pflegen. Freilich haben noch vor einigen Jahrzehnten nicht wenige diese Kritik oft in einer Weise missbraucht, dass man hätte meinen können, sie wollten ihre vorgefassten Meinungen in den heiligen Text hineintragen. Heute aber - es ist kaum nötig, es zu bemerken - hat die Textkritik eine derartige Festigkeit und Sicherheit in ihren Regeln erreicht, dass sie ein treffliches Werkzeug geworden ist, um die Heilige Schrift reiner und genauer herauszugeben, und dass sich andererseits jeder Missbrauch leicht feststellen lässt ...

Der Literalsinn und seine Erforschung

Ausgestattet mit der Kenntnis der alten Sprachen und den Hilfsmitteln der Textkritik, soll der katholische Exeget an die Aufgabe herangehen, die von allen die höchste ist: nämlich den wahren Sinn der heiligen Bücher aufzufinden und zu erklären. Hierbei sollen sich die Schrifterklärer vor Augen halten, dass es ihre vordringlichste Sorge sein muss, klar zu erkennen und zu bestimmen, welches der so genannte Literalsinn der biblischen Worte ist. Diesen Literalsinn der Worte sollen sie mit aller Sorgfalt durch die Kenntnisse der Sprachen ermitteln unter Zuhilfenahme des Zusammenhangs und des Vergleichs mit ähnlichen Stellen; Hilfsmittel, die man alle auch bei der Erklärung profaner Schriften heranzuziehen pflegt, damit der Gedanke des Schriftstellers klar zum Ausdruck kommt. Die Erklärer der Heiligen Schrift aber dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dass es sich hier um das inspirierte Gotteswort handelt, das Gott selbst der Kirche zur Obhut und zur Erklärung anvertraut hat, und sie werden daher mit nicht geringerer Gewissenhaftigkeit den Erklärungen und Bestimmungen des kirchlichen Lehramtes Rechnung tragen, wie den Auslegungen der heiligen Väter und auch der "Analogie des Glaubens", von der Leo XIII. in der Enzyklika "Providentissimus Deus" mit höchster Weisheit gesprochen hat. Mit besonderem Eifer werden sie darauf bedacht sein, sich nicht - wie Wir es bei einigen Kommentaren beklagen müssen - auf die Dauerstellung der Dinge zu beschränken, die der Geschichte, der Archäologie, der Philosophie und anderen derartigen Wissenschaften angehören. Gewiss sollen sie auch das vorbringen, soweit es zur Exegese beitragen kann; aber in erster Linie sollen sie zeigen, welches der theologische Lehrgehalt der einzelnen Bücher und Texte in Fragen des Glaubens und der Sitten ist. Auf solche Weise wird ihre Schrifterklärung nicht nur den Professoren der Theologie von Nutzen sein, um die Glaubenslehren darzulegen und zu beweisen, sondern sie wird auch den Priestern helfen, wenn sie dem Volk die christliche Lehre erklären, und endlich werden auch alle Gläubigen daraus Nutzen ziehen, um ein heiliges, eines Christen würdigen Leben zu führen.

Der geistige Sinn und seine richtige Verwendung

Eine solche in der Hauptsache theologische Schrifterklärung wird, wie Wir gesagt haben, ein wirksames Mittel sein, um jene zum Schweigen zu bringen, die behaupten, sie fänden in den biblischen Kommentaren kaum etwas, was den Geist zu Gott erhebe, die Seele nähre und das innere Leben fördere, und die als einzigen Ausweg eine Art geistiger und, wie sie sagen, mystischer Schrifterklärung angeben. Wie wenig gerechtfertigt eine solche Behauptung ist, beweist die Erfahrung so vieler, die durch wiederholte Betrachtung und Erwägung des Wortes Gottes ihre Seele vervollkommnet und sich mit glühender Liebe zu Gott entzündet haben. Das gleiche zeigen klar auch die beständigen Anweisungen der Kirche und die Mahnungen der angesehensten Lehrer.

Sicherlich ist nicht jeder geistige Sinn aus der Heiligen Schrift ausgeschlossen. Aussprüche und Geschehnisse des Alten Testamentes hat Gott in höchster Weisheit so angeordnet und eingerichtet, dass das Vergangene geistigerweise das vorausbedeutete, was im Neuen Bund der Gnade geschehen sollte. Daher muss der Exeget, genauso wie er gehalten ist, den Literalsinn der Worte, den der heilige Schriftsteller beabsichtigt und ausgedrückt hat, zu erforschen und zu erklären, seine Sorge auf die Erforschung des geistigen Sinnes verwenden, sofern nur gebührend feststeht, dass Gott diesen Sinn wirklich hineingelegt hat.

Denn nur Gott konnte diesen geistigen Sinn kennen und uns offenbaren. Einen solchen Sinn zeigt und lehrt uns in den heiligen Evangelien der göttliche Heiland selber; ihn verkünden auch nach dem Beispiel des Meisters die Apostel in Wort und Schrift; auf ihn weist die beständige Überlieferung der Kirche hin; ihn beweist endlich die uralte Verwendung in der Liturgie, wo immer der bekannte Grundsatz mit Recht angewandt werden kann: "Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens."

Diesen von Gott selbst gewollten und angeordneten geistigen Sinn also sollen die katholischen Exegeten mit der Sorgfalt aufhellen und darlegen, welche die Würde des Wortes Gottes fordert. Doch mögen sie sich gewissenhaft davor hüten, andere übertragene Bedeutungen als ursprünglichen Sinn der Heiligen Schrift vorzutragen. Gewiss kann es nützlich sein, besonders in der Predigt, die christlichen Glaubens- und Sittenlehren durch einen weitgehenden, mit Übertragenen Wortbedeutungen arbeitenden Gebrauch des heiligen Textes zu erläutern und zu empfehlen, sofern es nur mit Maß und Nüchternheit geschieht. Aber man darf nie vergessen, dass ein solcher Gebrauch der Worte der Heiligen Schrift gewissermaßen äußerlich und zusätzlich und, vor allem heute, nicht ohne Gefahr ist. Denn die Gläubigen, vor allem wenn sie in den heiligen und profanen Wissenschaften gebildet sind, wollen wissen, was Gott selbst in der Heiligen Schrift uns lehrt, nicht das, was ein beredter Prediger oder Schriftsteller mit geschickter Verwendung der Bibelworte vorträgt ...

Gegenwärtiger Stand der Exegese

Mit vollem Recht können auch wir von unserer Zeit erwarten, dass sie etwas zur tieferen und genaueren Auslegung der Heiligen Schrift beitragen wird. Denn nicht wenige Fragen, besonders auf geschichtlichem Gebiet, wurden von den Erklärern der vergangenen Jahrhunderte kaum oder nur ungenügend erörtert, weil ihnen die notwendigen Kenntnisse zu einer genaueren Behandlung solcher Gegenstände fehlten. Wie schwierig und fast unzugänglich selbst für die Kirchenväter gewisse Punkte geblieben sind, zeigen, um anderes zu übergehen, die wiederholten Ansätze zur Erklärung der erstenKapitel der Genesis, die manche von ihnen machten, und auch die wiederholten Versuche des heiligen Hieronymus, die Psalmen so zu übersetzen, dass ihr Literal- oder Wortsinn klar zutage träte. Bei anderen Büchern oder Stellen hat erst die Neuzeit vorher unvermutete Schwierigkeiten entdeckt, nachdem eine tiefere Kenntnis des Altertums neue Fragen aufgeworfen hatte, die einen tieferen Einblick in den Gegenstand geben. Zu Unrecht behaupten daher einige, die den Stand der Bibelwissenschaft nicht genau kennen, dem katholischen Exegeten unserer Tage bleibe nichts mehr hinzuzufügen zu dem, was das christliche Altertum geleistet habe. Im Gegenteil, unsere Zeit hat vieles vorgebracht, was einer neuen Prüfung und neuer Untersuchungen bedarf und den heutigen Schriftforscher nicht wenig zur Tätigkeit anspornt ...

Venvendung der Bibel in der Seelsorge

Es sind gewaltige Anstrengungen, die die katholische Exegese durch fast zweitausend Jahre hindurch unternommen hat, damit das Wort Gottes, das den Menschen in der Heiligen Schrift geschenkt worden ist, immer tiefer und vollkommener verstanden und stets inniger geliebt werde. Wer diese Arbeit betrachtet, wird sich leicht davon überzeugen, dass es für die Gläubigen und im besonderen für die Priester eine ernste Pflicht ist, den in so vielen Jahrhunderten von den höchsten Geistern gesammelten Schatz nun auch ausgiebig und treu zu benützen. Denn Gott hat die heiligen Bücher den Menschen nicht gegeben, um ihre Neugier zu befriedigen oder ihnen Stoff für Studien und Forschungen zu geben, sondern, wie der Apostel lehrt, damit diese göttlichen Worte uns "durch den Glauben an Jesus Christus zum Heil unterweisen" und damit "der Mann Gottes vollkommen und gerüstet sei zu jeglichem guten Werk" (2 Tim 15,17).

Die Priester also, die von Amts wegen gehalten sind, für das ewige Heil der Gläubigen zu sorgen, sollen zunächst selbst in eifrigem Studium die heiligen Bücher durchforschen und durch Gebet und Betrachtung sich zu eigen machen. Dann aber sollen sie den himmlischen Reichtum des göttlichen Wortes eifrig austeilen in Predigten, Homilien und Ansprachen, die christliche Lehre durch Worte aus der Heiligen Schrift bekräftigen und sie mit passenden Beispielen aus der heiligen Geschichte, besonders aus dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus, erläutern. Bei all dieser Tätigkeit mögen sie mit gewissenhafter Sorgfalt Akkomodationen meiden, die nur aus privater Willkür stammen und weit hergeholt sind - und die nicht Gebrauch, sondern Missbrauch des göttlichen Wortes sind. - Sie sollen alles mit solcher Beredsamkeit und Klarheit vortragen, dass die Gläubigen sich nicht nur bewegt und angespornt fühlen, das eigene Leben zu bessern, sondern dass sie auch mit einer tiefen Verehrung für die Heilige Schrift erfüllt werden. Damit diese Verehrung in den ihrer Hirtensorge anvertrauten Gläubigen immer mehr wachse und sich vervollkommne, werden die Bischöfe alle jene Unternehmen fördern, wodurch apostolisch gesinnte Männer die Kenntnis und Liebe der Heiligen Schrift unter den Katholiken zu wecken und zu heben suchen. Sie mögen also ihre Gunst und Unterstützung den frommen Vereinen zuwenden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Ausgaben der Heiligen Schrift, besonders der heiligen Evangelien, unter den Gläubigen zu verbreiten und deren tägliche fromme Lesung in den christlichen Familien eifrig zu fördern (Aus der Enzyklika "Divino afflante spiritu", 30. September 1943).

44. AN DIE PRIESTER

ZU JENER HOHEN AUFFASSUNG vom Priestertum, die Uns der Völkerapostel vor Augen stellt, erheben Wir Unseren Blick, Unser Streben und preisen inmitten des christlichen Volkes Unsere Würde als Mittler und Gesandter Christi. Wer steht in der heiligen Hierarchie dem Volke näher als der Pfarrer, dessen Sendung drei Worte umschreiben: Apostel, Vater, Hirt!

Amt und Pflichten des Pfarrers

In jedem Pfarrer lebt ein Apostel; vor allem aber muss der Priester in der Großstadt in sich die Flamme apostolischen und missionarischen Geistes sowie den echten Eroberungseifer des heiligen Paulus fühlen. In den gegenwärtigen Zeiten mit ihren politischen und religiösen Umwälzungen, mit ihren vielfältigen philosophischen und wissenschaftlichen Abirrungen in Unterricht und religiöser Erziehung werdet ihr bald begreifen, dass sich die früheren geistigen Verhältnisse der Gesellschaft derart geändert haben, dass man selbst von diesem Unserem Rom nicht mehr als von einem rein katholischen Gebiet sprechen kann; denn neben der großen Zahl derer, die im Glauben fest geblieben sind, fehlen auch nicht solche, die der Kirche gegenüber gleichgültig geworden sind oder sich ihr entfremdet haben. Diese bilden ein Missionsgebiet, das für Christus zurückerobert werden muss.

Der gute Hirte

Der Pfarrer ist Hirt und Vater, nämlich Seelenhirt und geistlicher Vater. Wir müssen uns immer gegenwärtig halten, geliebte Söhne, dass das ganz dem Reich Gottes zugewendete Wirken der Kirche nicht von dieser Welt ist. Wenn es nicht unfruchtbar werden, sondern sich belebend, gesund und wirkungsvoll erweisen soll, dann muss es als vornehmstes Ziel anstreben, dass die Menschen in der Gnade Gottes leben und sterben. Die Gläubigen im christlichen Denken unterweisen, den Menschen in der Nachfolge Christi erneuern, den freilich immer schmalen Weg zum Himmelreich ebnen und seinen Pfarrbezirk wahrhaft christlich machen, das ist die eigentlichste Aufgabe des Pfarrers als Lehrer, Vater und Hirt seiner ihm anvertrauten Pfarrei.

Lasset euch nicht in der Erfüllung dieser Pflichten durch die Verwaltungsarbeiten ablenken und hemmen. Vielleicht haben nicht wenige von euch täglich einen harten Kampf zu führen, um nicht von Verwaltungsaufgaben erdrückt zu werden und die unerlässliche Zeit für die wahre Seelsorge zu finden. Wenn Organisation und Verwaltung auch ohne Zweifel wertvolle Mittel des Apostolates sind, so müssen sie doch dem geistlichen Dienst und dem wahren und eigentlichen tätigen Hirtenamt angepasst und untergeordnet werden.

Durch göttlichen Ratschluss gilt auch vom Priester wie von jedem Bischof das Wort: "Ex hominibus assumptus, pro hominibus constituitur in iis quae sunt ad Deum, ut offerat dona et sacrificia pro peccatis - Aus den Menschen genommen, für die Menschen bestellt in ihren Angelegenheiten bei Gott, auf dass er Gaben und Opfer für ihre Sünden darbringe" (Hebr 5, 1). Daher offenbart, entfaltet, ja erhebt und steigert sich sein Weihecharakter, vermittelnd zwischen Gott und den Menschen, umgeben und umhüllt vom höchsten Licht seines Geheimnisses im heiligen Messopfer und der Spendung der Sakramente. Am Altar, in der Taufkapelle, im Beichtstuhl, an der Kommunionbank, bei der Trauung, am Krankenbett, unter den Kindern, in den Familien und in der Schule, in den Krankenhäusern, auf der Kanzel und in der Versammlung ist der Priester der Diener und wirksamstes Werkzeug der Macht, der Liebe, des Verzeihens, die Gott der gefallenen Menschheit gewährt hat ...

Tragt daher Sorge, dass eure Würde immer vor eurem Volke erstrahle, und dass die Gläubigen mit lebendigem Glauben Wert und Bedeutung des heiligen Opfers und der Sakramente, die von euch verwaltet werden, erkennen und verstehen, und in lebendiger persönlicher Teilnahme den heiligen Handlungen und der unvergleichlichen Schönheit der heiligen Liturgie zu folgen vermögen.

Spendung der Sakramente

Nach dem heiligen Opfer ist wichtigstes und beglückendes Amt die Sendung des Sakraments der Buße, das die rettende Planke nach dem Schiffbruch genannt wird. Seid bereit und großherzig, den Seefahrern auf dem stürmischen Meer des Lebens diese Planke zu reichen. Widmet euch dieser Aufgabe mit besonderem Eifer und voll Hingabe. Sitzet in diesem göttlichen Gericht von Anklage, Reue und Verzeihung als Richter, die in ihrer Brust das Herz eines Vaters und Freundes, eines Arztes und Lehrers tragen. Und wenn es das wesentliche Ziel dieses Sakramentes ist, den Menschen mit Gott zu versöhnen, so vergesst nicht, dass, um dieses hohe Ziel zu erreichen, jene geistliche Leitung erforderlich ist, durch welche die Seelen, die hier das Wort des Priesters leichter als sonst aufnehmen, ihre Schwierigkeiten, ihre Verwirrungen und Zweifel ihm vertrauensvoll in die Hände legen und seine Ratschläge und Ermahnungen erwarten. Das christliche Volk hat drängendes Bedürfnis nach Beichtvätern, die durch theologische und aszetische Ausbildung und Tugend, durch Reife und Überlegung imstande sind, erleuchtete und sichere Richtlinien für das Leben, auf einfache und klare Weise, mit Takt und Wohlwollen, zu geben.

Die Predigt

Was Wir bis jetzt gesagt haben, betrifft im besonderen den Dienst der Frömmigkeit und Wachsamkeit des Pfarrers. Daneben aber ist es eine strenge Pflicht, das Wort Gottes zu verkünden, eine wesentliche Pflicht des Apostels, dem das verbum reconciliationis (das Wort der Versöhnung) nicht weniger anvertraut ist als das ministerium reconciliationis (der Dienst der Versöhnung) "Vae enim mihi, si non evangelizavero - Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!" (1 Kor 9, 16). Denn "fides ex auditu, auditus autem per verbum Christi ... Quomodo credent ei, quem non audierunt? Quomodo autem audient sine praedicante? - Der Glaube kommt aus dem Hören, das Hören aber durch das Wort Christi ... Wie sollen sie dem glauben, den sie nicht gehört haben? Wie aber sollen sie hören ohne einen, der predigt?" (Röm 10, 14-17). Wie der Verstand Leuchte des Willens ist, so ist Wahrheit die des guten Handelns. Das Wort ist der Träger der Wahrheit, aber leider auch des Irrtums, die beide an die Türe des Verstandes und des Willens klopfen. Ihr begreift, warum die Ermahnungen des Apostels Glauben und Hören, das Hören und den Prediger miteinander verbinden und warum es, um die Blindheit der Welt zu heilen in der Erkenntnis Gottes, der aus der leuchtenden Weisheit des Universums spricht: "placuit Deo per stultitiam praedicationis salvos facere credentes" (es Gott gefiel, durch die Torheit der Predigt die Gläubigen zu retten) (1 Kor 1, 21.). Eine erhabene Torheit ist dieses, die weiser ist als die Menschen, und die "Schande von Golgatha" ist der Ruhm Christi. Diese Wahrheiten passen gleich den Ermahnungen des Apostels gut in unsere Zeit, in der die Unwissenheit in religiösen Dingen tief und gefahrvoll ist ...

Mit den Großen und Reifen seid nach dem Vorbild des Apostels Paulus Väter und Lehrer der Vollkommenheit, mit den Kleinen und der Jugend macht euch klein nach Art der Mütter. Glaubt nicht, dass ihr euch mit den Kleinen und Unwissenden erniedrigt.

Die Katechese

Der Predigt gleich an Wert ist die Katechese, die Unterweisung der Kinder wie die der Erwachsenen. Bei dieser Aufgabe kann der Pfarrklerus sicher auf die Unterstützung und Mitwirkung katholischer Laien rechnen. Und all denen, die an diesem heiligen Werke mitarbeiten, senden Wir froh mit väterlichem Gefühl Unseren tiefen Dank und den Apostolischen Segen. Vergesst nicht, dass die Vorschriften des Kirchenrechts diese wichtige Aufgabe als erste und natürliche Sorge ansehen, an die jener Hand anlegen muss, der als Seelsorger bestellt ist. Der Eifer des Priesters und seine Geschicklichkeit werden den Mitarbeitern aus dem Laienstand Ansporn und Vorbild sein; und die Katechismusstunde wird dem Pfarrer günstige Gelegenheit geben, sich mit der Jugend der Pfarrei zusammenzufinden. Lasst euch die Gelegenheit nicht entgehen, die Kinder, wenn ihr es möglich machen könnt, persönlich auf die erste Beichte und Kommunion vorzubereiten. Es ist die erste stille Begegnung von euch und Christus, dem göttlichen Kinderfreund, mit den unschuldigen Seelen, die sich euch und dem Altare nähern und sich wie Frühlingsblumen dem ersten Sonnenstrahl öffnen. Sie werden die Erinnerung daran im wechselvollen Ablauf ihres Lebens unvergessen bewahren. Endlich wollen Wir einen charakteristischen Zug in der Gestalt des guten Hirten nicht übergehen: Er war nicht nur das wahre Licht, das bei seinem Kommen in die Welt jeden Menschen erleuchtet, er, die Wahrheit, der Weg und das Leben. Er strahlte auch in reichem Maße die Heilkraft für die Leiber aus und für jegliches menschliches Elend, bene faciendo et sanando omnes (allen Gutes tuend und alle heilend). So hinterließ er seinen Aposteln und seiner Kirche die barmherzige Liebe zu den Armen, den Leidenden, den Verlassenen als Auftrag, weil das Leben hienieden ein Auf und Nieder von Gut und Böse, von Wehklagen und Freude, von Nöten und Hilfeleistungen, von Fall und Wiederaufstehen, von Kämpfen und Siegen ist. Aber die Liebe zu den Brüdern, die alle von Christus erlöst worden sind, ist der geheimnisvolle Balsam für jeden Schmerz und alles Elend (Aus der Ansprache an die Pfarrer und Fastenprediger, 6. Februar 1940).

Priester und Politik

Die Ausübung des Wahlrechts ist ein Akt hoher sittlicher Verantwortung, vor allem wenn es sich darum handelt, jene Kandidaten zu wählen, die berufen sein sollen, dem Lande eine Verfassung und Gesetze zu geben, insbesondere jene, die die Heiligung der Feste, die Ehe, die Familie, die Schule oder die Regelung der vielfachen sozialen Verhältnisse zum Gegenstand haben. Daher obliegt es der Kirche, den Gläubigen die sittlichen Pflichten zu erklären, die sich aus dem Wahlrecht ergeben.

Der katholische Priester kann nicht einfach mit einem Staatsbeamten gleichgestellt werden, der mit der öffentlichen Gewalt, einer zivilen oder militärischen Funktion betraut ist. Diese sind Angestellte oder Vertreter des Staates, sie hängen von ihm ab, vorbehaltlich des göttlichen Gesetzes, und vertreten seine rechtmäßigen Interessen. Der Staat kann daher Verfügungen über ihr Verhalten erlassen, auch in Fragen der Politik. Der Priester dagegen ist Diener der Kirche und hat eine Sendung, die sich, wie Wir schon andeuteten, auf den ganzen Umkreis der religiösen und sittlichen Pflichten der Gläubigen erstreckt und in deren Erfüllung er daher selbst verpflichtet sein kann, Ratschläge oder Belehrungen zu erteilen, die auch das öffentliche Leben betreffen. Nun ist es einleuchtend, dass eventuelle Missbräuche einer solchen Sendung nicht einfachhin dem Urteil der Staatsgewalt überlassen werden können; sonst würden die Seelsorger zusätzlich noch Behinderungen oder Belästigungen ausgesetzt, die von Gruppen, die der Kirche nicht wohlgesinnt sind, unter dem billigen Vorwand verursacht würden, den Klerus von der Politik trennen zu wollen. Man vergesse nicht, dass der Nationalsozialismus, dem es in Wahrheit nur darauf ankam, die Kirche zu vernichten, gerade unter dem Vorwand, den so genannten "politischen Katholizismus" zu bekämpfen, das ganze Aufgebot von Verfolgung, Schikanen und Bespitzelung gegen die Kirche in Bewegung setzte, wogegen sich leitende Männer der Kirche, deren Mut heute noch von der ganzen Welt bewundert wird, auch von der Kanzel aus verteidigen und mutig zur Wehr setzen mussten (Aus einer Ansprache vom 16. März 1946).

45. DAS LAIENAPOSTOLAT

MAN PFLEGT HÄUFIG ZU WIEDERHOLEN, die Kirche sei in den letzten vier Jahrhunderten ausschließlich "klerikal" gewesen, und zwar aus Reaktion auf die Krise, die im 16. Jahrhundert die Hierarchie schlechthin beseitigen wollte. Aus diesen Voraussetzungen will man dann folgern, dass es an der Zeit sei, ihre Kader zu erweitern.

Ein solches Urteil ist der Wirklichkeit fern, da ja gerade seit dem Tridentinischen Konzil die Laienschaft angefangen hat, sich in die apostolische Aktion der Kirche einzufügen und einen immer intensiveren Anteil an ihr zu nehmen. Man kann sich davon leicht überzeugen; es genügt, sich allein an zwei geschichtliche Tatsachen zu erinnern: An die marianischen Männerkongregationen, die das Laienapostolat in allen Bezirken des öffentlichen Lebens ausüben, und an die zunehmende Teilnahme der Frau am neuzeitlichen Apostolat. Dabei ist es wohl angezeigt, zweier großer Gestalten zu gedenken. Maria Wards, der unvergleichlichen Frau, die das katholische England der Kirche in seinen dunkelsten und blutigsten Stunden geschenkt hat, und des heiligen Vinzenz von Paul, ohne Zweifel eines der größten Gründer und Förderer der Werke katholischer Caritas.

Man sollte auch den wohltuenden Einfluss nicht übersehen, der von dem Band ausging, das bis zur Französischen Revolution in der katholischen Welt die beiden von Gott eingesetzten Autoritäten in engen Wechselbeziehungen zusammenschloss, die Kirche und den Staat. Die Enge ihrer Beziehungen auf dem gemeinsamen Gebiet des öffentlichen Lebens schuf im allgemeinen eine Atmosphäre christlichen Geistes, die zu einem guten Teil Priester und Laien von der schwierigen Arbeit befreite, der sie sich heute unterziehen müssen, und die in der wirksamen Verteidigung des Glaubens und seinem Durchsetzen im Leben besteht.

Entwicklung der Trennung von Kirche und Staat

Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts kommt noch ein neuer Faktor hinzu. Auf der einen Seite die Bildung der Vereinigten Staaten von Nordamerika - die sich außerordentlich schnell entwickelten und in denen die Kirche sehr schnell beträchtlich an Lebenskraft zunehmen sollte -, auf der anderen die Französische Revolution, die in ihren Auswirkungen innerhalb Europas und jenseits der Ozeane schließlich die Kirche vom Staat trennte.

Die Trennung hatte, obgleich sie nicht überall in der gleichen Zeit und auf die gleiche Weise zustande kam, doch das logische Ergebnis, dass die Kirche ausschließlich mit ihren eigenen Mitteln ihr Wirken, die Erfüllung ihres Auftrags, die Verteidigung ihrer Rechte und ihrer Freiheit sicherstellen musste. Dies war der Ursprung der so genannten katholischen Bewegungen, die, von Priestern und Laien geleitet und gestützt auf die Geschlossenheit und die aufrichtige Treue ihrer Mitglieder, die große Masse der Gläubigen zu Kampf und Sieg führen wollen. Ist dies etwa keine Einführung und Eingliederung der Laien in das Apostolat?

Der gestaltlose Haufen der Lauen

Freilich gibt es eine ganze Schar von Lauen, Unentschlossenen und Ungefestigten, denen die Religion vielleicht noch etwas bedeutet, aber etwas sehr Unbestimmtes, das nicht den geringsten Einfluss auf das Leben hat. Dieser gestaltlose Haufen kann, wie die Erfahrung lehrt, von einem Tag zum andern der Notwendigkeit gegenüberstehen, eine Entscheidung treffen zu müssen.

All diesen gegenüber hat die Kirche eine dreifache Sendung zu erfüllen: die Gläubigen so zu führen, dass sie den Forderungen unserer Zeit entsprechen; jene, die auf der Schwelle zögern, in die gesunde und heilbringende Nähe des häuslichen Herdes zu führen, jene schließlich, die sich von der Religion entfernt haben, und die man keineswegs ihrem beklagenswerten Los überlassen darf, zurückzuführen. - Eine schöne Aufgabe für die Kirche, die aber dadurch sehr erschwert wird, dass sie sich zwar im ganzen gesehen stark ausgebreitet, dass sich aber ihr Klerus nicht im gleichen Maße vermehrt hat. Der Klerus muss sich dazu vor allem anderen der Ausübung des Priesteramtes selbst widmen, die ihm kein Laie abnehmen kann.

Der Beitrag der Laien ist also unumgänglich notwendig. Die Erfahrung der Brüderlichkeit, die unter den Waffen, in Gefangenschaft oder bei anderen Begebenheiten des Lebens sich vorzüglich im Religiösen entwickelt, bezeugt den Wert und den tiefen und wirksamen Einfluss der Gemeinsamkeit von Beruf, sozialer Lage und Lebensbedingungen. Diese und andere Faktoren, die sich aus den Verhältnissen der Umwelt und der Einzelperson ergeben, haben der Mitarbeit der Laien am Apostolat der Kirche die Tore weit aufgetan.

Alle Gläubigen ohne Ausnahme sind Glieder des mystischen Leibes Jesu Christi. Daraus folgt, dass das Naturgesetz, und noch mehr das Gesetz Christi, sie verpflichten, das gute Beispiel eines wahrhaft christlichen Lebens zu geben: "Christi bonus odor sumus Deo in iis qui salvi fiunt et in iis qui pereunt - Wir sind der Wohlgeruch Christi vor Gott unter jenen, die gerettet werden, und jenen, die verlorengehen" (2 Kor 2, 15). Alle sind daher gehalten, und heute ganz besonders, in Gebet und Opfer nicht nur an ihre persönlichen Nöte zu denken, sondern auch an die großen Ziele Gottes in der Welt, gemäß dem Geist des Vaterunser, das uns Jesus Christus selbst gelehrt hat.

Nicht alle sind zum Apostel berufen

Kann man behaupten, dass alle in gleicher Weise zum Apostolat im strengen Sinn des Wortes berufen sind? Gott hat nicht allen die Möglichkeit noch die Anlagen dazu gegeben. Man kann nicht verlangen, dass sich den Werken dieses Apostolats die Ehefrau widme, die Mutter, die die eigenen Kinder christlich erzieht und überdies im Hause tätig ist, um dem Gatten die Familie ernähren zu helfen. Nicht alle sind also berufen, Apostel zu sein.

Es ist gewiss schwierig, die Grenzen des Aktionsfeldes des eigentlichen Laienapostolats abzustecken. Soll man zum Beispiel die Erziehung mit einbeziehen, die die Mutter in der Familie erteilt, oder die Lehrer und Lehrerinnen, die voll heiligen Eifers sind in der Ausübung ihres Erzieherberufes? Oder das Wirken des als solchen bekannten, entschieden katholischen Arztes, dessen Gewissen keine Zugeständnisse macht, wo das natürliche und göttliche Gesetz in Frage steht, und der mit allen Kräften für die christliche Würde der Eheleute wirkt, für die heiligen Rechte ihrer Nachkommen eintritt? Oder auch das Wirken eines katholischen Staatsmannes zugunsten einer großzügigen Wohnungspolitik für die weniger Begünstigten?

Vieles könnte für eine negative Antwort sprechen, wenn man nämlich in all diesem nur die einfache, höchst lobenswerte, aber pflichtgemäße Erfüllung der Standesaufgaben erblickt.

Wir wissen jedoch, welchen mächtigen, unersetzlichen Wert diese einfache Erfüllung der Standespflicht durch Millionen und aber Millionen von gewissenhaften und vorbildlichen Gläubigen für das Heil der Seelen hat.

Das Laienapostolat in seiner wahren Bedeutung ist ohne Zweifel zum großen Teil in der Katholischen Aktion und in anderen von der Kirche gebilligten Werken der apostolischen Tätigkeit organisiert; aber außerhalb dieser Organisationen kann es geben und gibt es Laienapostel, Männer und Frauen, die nicht allein das Gute, das zu tun ist, und die Mittel, es zu verwirklichen, sehen, sondern es auch tun, um dadurch andere Seelen zur Wahrheit und zur Gnade zu führen. Wir denken auch an viele vortreffliche Laien, die in den Ländern, wo die Kirche so wie in den ersten Jahrhunderten verfolgt wird, und die so gut sie es vermögen, selbst unter Gefahr ihres eigenen Lebens an die Stelle eingekerkerter Priester treten, Christenlehre erteilen, über das religiöse Leben und Denken anderen Anweisung geben, zum Empfang der Sakramente und zum Besuch der eucharistischen Andachten anregen. Alle diese Laien seht ihr am Werk; fragt nicht erst, welcher Organisation sie angehören, bewundert vielmehr und erkennt mit herzlicher Dankbarkeit das Gute an, das sie wirken.

Fern von Uns sei der Gedanke, die Organisationen in ihrer Bedeutung zu unterschätzen oder sie als Mittel des Apostolats gering zu werten; Wir schätzen sie hoch ein, insbesondere in einer Welt, in der die Gegner der Kirche diese mit der geballten Macht eigener Organisationen bedrängen. Aber sie dürfen nicht zu einer kleinlichen Ausschließlichkeit führen, zu dem, was der Apostel explorare libertatem, die Freiheit belauern, nennt ... (Gal 2, 4).

Unterordnung und Einordnung

Es versteht sich von selbst, dass das Laienapostolat der kirchlichen Hierarchie, die eine göttliche Einrichtung ist, untergeordnet sein muss. Anders denken, hieße vom Fundament her die Mauer untergraben, auf die Christus selbst seine Kirche gebaut hat.

Es wäre demnach ein Irrtum, im Bereich der Diözese das Laienapostolat auf eine Linie zu stellen, die parallel zum hierarchischen Apostolat verläuft, so dass selbst der Bischof das Pfarrapostolat der Laien nicht dem Pfarrer unterstellen könnte. Er kann es sehr wohl, und er kann sogar als Regel aufstellen, dass die Werke des Laienapostolats in der Pfarrei der Autorität des Ortspfarrers unterstehen. Der Bischof hat diesen als Hirten der ganzen Pfarrei eingesetzt, und als solcher ist er für das Heil seiner ganzen Herde verantwortlich.

Dass es andererseits Werke des Laienapostolats geben kann, die außerhalb der Pfarreien und auch außerhalb der Diözesen stehen Wir würden lieber sagen: über den Pfarreien und über den Diözesen - in dem Maße nämlich, in dem es das allgemeine Wohl der Kirche erfordert, ist ebenso wahr und braucht nicht eigens wiederholt zu werden.

Wenn Wir den Laienapostel, oder, genauer gesagt, den kämpfenden Christen der Katholischen Aktion mit einem Werkzeug in der Hand der Hierarchie vergleichen, so soll damit gesagt werden, dass sich die kirchlichen Oberen seiner in der Weise bedienen sollen, in der sich der Schöpfer und Herr der vernunftbegabten Geschöpfe bedient, als Zweitursachen, "mit Milde voller Schonung". Sie mögen sich seiner im Bewusstsein eigener schwerer Verantwortung bedienen, ihn ermutigen, ihm Anregungen geben, und guten Willens seine eigenen Vorschläge aufgreifen, und sie weitherzig gutheißen, wenn immer sie den gegebenen Anforderungen entsprechen. In den entscheidenden Schlachten gehen die glücklichsten Anregungen nicht selten von der Front aus. Die Geschichte der Kirche bietet zahlreiche Beispiele dafür.

Grundlage der apostolischen Arbeit soll das herzliche Einvernehmen zwischen Priestern und Laien sein. Das Apostolat des einen ist keine Konkurrenz für das des andern. Tatsächlich gefällt Uns der Ausdruck "Emanzipation der Laien", von dem man hin und wieder hört, nicht sehr. Er birgt einen Missklang in sich und ist geschichtlich ungenau. Waren denn die großen Führer, auf die Wir hinwiesen, als Wir von der katholischen Bewegung der letzten hundertfünfzig Jahre sprachen, Kinder oder Minderjährige, die auf ihre Emanzipation warten mussten? Im Reich der Gnade werden alle als Erwachsene betrachtet; und darauf kommt es an.

Der Appell an die Mitarbeit der Laien rührt nicht her von dem Schwachwerden oder dem Versagen des Klerus vor der Aufgabe der gegenwärtigen Stunde. Mag es einzelne Schwächen geben, das ist das unvermeidliche Elend der menschlichen Natur, sie finden sich auf beiden Seiten. Aber allgemein ist zu sagen, dass auch der Priester Augen hat, die ebenso wie die der Laien die Zeichen der Zeit zu sehen vermögen, und dass sein Ohr nicht weniger empfindlich ist, um den Schlag des menschlichen Herzens abzuhorchen. Der Laie ist zum Apostolat berufen als Mitarbeiter des Priesters, als ein oft sehr wertvoller Mitarbeiter, der notwendig ist, weil der Klerus, wie Wir sagten, zu gering an Zahl, um seiner Sendung allein zu genügen (Aus der Ansprache an den Kongress über das Laienapostolat, 14. Oktober 1951 ).

46. KATHOLISCHE AKTION

KATHOLISCHE AKTION - dieses Wort "Aktion", klar und umfassend zugleich, zeigt den besonderen Charakter dieser Organisation an und unterscheidet sie zugleich von anderen katholischen Vereinigungen. Nicht als ob diese nicht auch eine Aktion durchführten, aber ihre Aktion zielt im allgemeinen auf ein bestimmtes Ziel, das man durch eine organisierte und beständige Arbeit zu erreichen trachtet. Sei es, dass sie ihre Tätigkeit auf den religiösen und karitativen Bereich ausrichten oder auf den sozialen und wirtschaftlichen oder auf andere Gebiete der Kultur. Daher benennen sich diese Vereinigungen gewöhnlich nach dem besonderen Zweck, den sie sich gesetzt haben.

Sie aber nennt sich schlechthin "Katholische Aktion", denn sie hat ein allgemeines, kein einzelnes Ziel und ist daher keine feste Achse, um die das Triebwerk irgendeiner Organisation kreist, sondern eher eine Stätte der Sammlung, wo die aktiven Katholiken zusammentreffen und sich organisieren ...

Die Katholische Aktion ist der Machtbefugnis der geistlichen Obrigkeit unmittelbar unterstellt, deren Mitarbeiter im Apostolat sie ist. In der Katholischen Aktion Italiens kommt die Leitung sowohl in der Zentrale wie auch in den einzelnen Diözesan- und Pfarrgruppen den Laien zu; diese jedoch werden von geistlichen Beiräten unterstützt und geleitet. In den Marianischen Kongregationen hingegen, die sich auch mit vollem Recht Katholische Aktion nennen können, ist der Pfarrer der Präses. Damit jedoch die Hilfeleistung in den weiblichen Zweigen der Katholischen Aktion wahrhaft heilsam und fruchtbar sei, legen sich die Priester mehr Zurückhaltung auf und überlassen der Obhut kluger und frommer religiöser Frauen all das, was diese von sich aus oft sogar besser tun können, und beschränken sich selbst auf die dem Priestertum allein zukommende Tätigkeit.

Diese Erwägungen über die Organisation der Katholischen Aktion sind Uns ein willkommener Anlass, einige allgemeine Ermahnungen anzufügen, die auch der einen oder anderen verkehrten Zeitströmung erforderlich sind.

Allem voran ein Wort über den Begriff des Apostolats! Es besteht nicht nur in der Verkündigung der frohen Botschaft, sondern auch darin, die Menschen in voller Achtung ihrer Freiheit zu den Quellen des Heils zu führen, sie zu bekehren und ernsthaft bemüht zu sein, die Getauften zu erziehen, damit sie vollkommene Christen werden.

Laien und hierarchisches Apostolat

Es wäre außerdem irrig, wollte man - wie es einige kürzlich behauptet haben - in der Katholischen Aktion etwas wesentlich Neues sehen, eine Veränderung im Aufbau der Kirche, ein neues Apostolat der Laien, das neben dem des Priesters stünde und diesem nicht untergeordnet wäre. In der Kirche hat es immer eine Zusammenarbeit der Laien mit dem hierarchischen Apostolat gegeben in Unterordnung unter den Bischof und unter jene, denen der Bischof unter seiner Leitung die Verantwortung für die Seelsorge anvertraut hat. Die Katholische Aktion hat dieser Zusammenarbeit lediglich eine neue Form und zeitgemäße Organisation geben wollen.

Obwohl die Katholische Aktion ursprünglich wie die Kirche selbst nach Diözesen und Pfarreien organisiert ist, soll damit doch nicht ihre weitere Entwicklung außerhalb und oberhalb der engen Grenzen der Pfarrei behindert werden.

Man muss sogar anerkennen, dass, so wichtig die grundlegenden und unersetzbaren Werte und Energien der Pfarrei sein mögen, die schnell wachsende technische und geistige Komplexität des modernen Lebens kaum dringend eine Ausdehnung der Katholischen Aktion über die Grenzen der Pfarrei hinaus erfordern. Doch bleibt dabei die Katholische Aktion immer ein Apostolat der Laien, das dem Bischof oder seinen Beauftragten unterstellt ist.

Das Wirken der Katholischen Aktion erstreckt sich auf den ganzen religiösen und sozialen Bereich, das heißt, so weit wie die Sendung und das Wirken der Kirche selbst reicht. Nun weiß man, dass das normale Wachsen und Erstarken des religiösen Lebens ein bestimmtes Maß gesunder wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen voraussetzt. Wem wird es nicht bange, wenn er sieht, wie das wirtschaftliche Elend und die sozialen Missstände das christliche Leben nach den Geboten Gottes erschweren und allzu oft von dem, der Christ sein will, heroische Opfer fordern? Doch daraus kann nicht gefolgert werden, dass die Kirche zunächst ihre religiöse Sendung beiseite setzen und vor allem für die Behebung des sozialen Elends sorgen müsse. Wenngleich die Kirche immer mit Eifer die Gerechtigkeit verteidigt und gefördert hat, so hat sie doch seit den Zeiten der Apostel auch angesichts der schwersten sozialen Missstände ihre Sendung erfüllt, und hat versucht, mit der Heiligung der Seelen und der Wandlung der inneren Gesinnung auch die Beseitigung der sozialen Schäden und Missstände einzuleiten; denn sie ist überzeugt, dass die religiösen Kräfte und die christlichen Grundsätze besser als jedes andere Mittel geeignet sind, Gesundung selbst zu erreichen.

Die äußere, wohl disziplinierte Organisation der Katholischen Aktion schließt nicht aus, sondern fördert sogar den persönlichen Scharfblick, den Geist der Vorsorge und Initiative des einzelnen je nach seinen Eigenschaften und Fähigkeiten, - immer jedoch bei ständiger Fühlungnahme mit den Mitgliedern der Katholischen Aktion des einzelnen Ortes oder Kreises. Der einzelne stellt sich willigen Herzens zur Verfügung, sooft sich das Bedürfnis nach einer katholischen Aktivität oder Kampagne spürbar macht. Mit Begeisterung und Hingabe leistet jeder den anderen Vereinigungen und Werken, die seine Mitwirkung wünschen, um ihr eigenes Ziel sicherer und vollkommener zu erreichen, selbstlos seine Hilfe.

Mit anderen Worten: Mit dem Begriff der "Katholischen Aktion" ist diejenige geistige Haltung nicht vereinbar, die die Mitglieder als untätige Räder einer riesigen Maschine betrachtet, unfähig, sich selbst zu bewegen, solange eine zentrale Kraft sie nicht in Bewegung setzt. Ebenso falsch wäre es, die Führer der Katholischen Aktion für Ingenieure einer elektrischen Zentrale vor der Schalttafel zu halten, die nur darauf bedacht sind, den Strom in das weitgespannte Netz zu senden, ihn zu unterbrechen, zu regulieren oder zu lenken.

Vor allem müssen die Mitglieder der Katholischen Aktion einen persönlichen moralischen Einfluss ausüben, der das selbstverständliche Ergebnis von Achtung und Sympathie sein wird, die sie sich zu erwerben verstehen. Nur so werden ihre Ratschläge und die Autorität ihrer Erfahrung Vertrauen wecken, wenn es darum geht, die zum Handeln bereiten katholischen Kräfte in Bewegung zu setzen.

Keine Parteipolitik

Wir brauchen nicht eigens zu betonen, dass die Katholische Aktion nicht berufen ist, eine Kraft im Bereich der Parteipolitik zu sein. Die katholischen Staatsbürger können sich, eben als Staatsbürger, zu einer Vereinigung mit politischen Zielen zusammentun; das ist ihr gutes Recht als Christen wie als Staatsbürger. Dass in ihren Reihen Mitglieder der Katholischen Aktion sind und mitwirken - in dem Sinne und innerhalb der Grenzen, die oben erwähnt wurden -, ist berechtigt und kann durchaus wünschenswert sein. Es darf jedoch nicht zugelassen werden, dass die Katholische Aktion selbst zu einer parteipolitischen Organisation wird.

Die Katholische Aktion hat ihrer Natur nach nicht die Aufgabe, anderen Vereinigungen vorzustehen und eine Art Oberaufsicht auszuüben. Die Tatsache, dass sie der unmittelbaren Leitung der geistlichen Hierarchie unterstellt ist, schließt diese Folgerung nicht ein.

Der besondere Sinn der Katholischen Aktion liegt darin, dass sie der Treffpunkt jener tätigen Katholiken ist, die stets bereit sind im Apostolat der Kirche mitzuarbeiten, jenem Apostolat, das durch göttliche Anordnung hierarchisch ist und unter den Getauften und Gefirmten seine Mitarbeiter findet. Daraus ergibt sich eine Folgerung, die zugleich eine väterliche Mahnung, nicht an die Katholische Aktion eines bestimmten Landes, sondern an die Katholische Aktion aller Länder ist. Ihr Aufbau wird sich in verschiedenen Gegenden den besonderen Umständen des Ortes anpassen müssen, aber in einem Punkte haben alle ihre Mitglieder gleich zu sein: in dem "Fühlen mit der Kirche", in der Hingabe an die Sache der Kirche, im Gehorsam gegenüber jenen, die der Heilige Geist als Bischöfe eingesetzt hat, um die Kirche Gottes zu leiten, in der kindlichen Unterwerfung unter den höchsten Hirten, dessen Sorge Christus selbst seine Kirche anvertraut hat (Aus der Ansprache an die Leiter der Katholischen Aktion, 3. Mai 1951).

Fünf Aufgaben der Katholischen Aktion

Welches sind heute für die Menschen der Katholischen Aktion die wichtigsten Punkte? Welche sind die hauptsächlichen Stätten ihrer Tätigkeit? Wir glauben vor allem fünf aufzeigen zu müssen:

Religiöse Bildung. Tiefe, gründliche Kenntnis des katholischen Glaubens, seiner Wahrheiten, seiner Geheimnisse, seiner übernatürlichen Kräfte. Man hat das Wort von der "Blutarmut des religiösen Lebens" geprägt. Es klingt wie ein Alarmruf. Diese Blutarmut muss man - an erster Stelle und in allen Klassen, der Gebildeten sowohl wie der Handarbeiter - auf die oft fast gänzliche Unwissenheit in religiösen Dingen zurückführen. Diese Unwissenheit muss bekämpft, ausgetilgt und überwunden werden.

Heiligung der Festtage. Der Sonntag muss wieder der Tag des Herrn werden, der Tag der Anbetung und Verherrlichung Gottes, des heiligen Messopfers, des Gebets, der Ruhe, der Sammlung und des Nachdenkens, des fröhlichen Zusammenseins im Kreis der Familie. Eine schmerzliche Erfahrung lehrt, dass der Sonntag für nicht wenige von denen, die während der ganzen Woche redlich arbeiten, der Tag der Sünde geworden ist.

In Wahrheit wird der Ausgang des Kampfes zwischen dem Glauben und dem Unglauben zu einem guten Teil davon abhängen, was die eine oder die andere der beiden entgegengesetzten Fronten aus dem Sonntag zu machen wissen wird: Wird er noch den heiligen Namen des Herrn hell und strahlend auf der Stirn tragen, oder wird dieser weithin verdunkelt und vernachlässigt werden?

Erhalten bleiben muss: die christliche Mutter; Rettung der christlichen Familie, die christliche Erziehung der Jugend, die christliche Schule und schließlich das christliche Heim, diese Burg der Gottesfurcht, des makellosen Glaubens, der Nüchternheit, der Liebe und des Friedens, in welchem jener Geist herrscht, der im Hause Josephs von Nazareth waltete.

Die christliche Familie zu retten ist gerade die Hauptaufgabe des katholischen Mannes. Vergesst nicht: Von dem, was er will, hängt, nicht weniger als von der Frau selbst, das Schicksal der Mutter und der Familie ab.

Soziale Gerechtigkeit: Für die Katholiken ist der Weg zur Lösung der sozialen Frage durch die Lehre der Kirche klar vorgezeichnet.

Eine gerechtere Verteilung des Reichtums ist und bleibt ein Programmpunkt der katholischen Soziallehre.

Ohne Zweifel bringt es der natürliche Lauf der Dinge mit sich und das ist weder wirtschaftlich noch sozial anormal -, dass die irdischen Güter innerhalb gewisser Grenzen ungleich verteilt sind. Aber die Kirche widersetzt sich der Anhäufung dieser Güter in den Händen von verhältnismäßig wenigen überreichen, während weite Kreise des Volkes zur Verarmung und zu einer wirtschaftlichen Lage verurteilt sind, die menschlicher Wesen unwürdig ist.

Im gleichen Geiste muss eine neue sittliche Haltung ihre Verwirklichen finden: Wir meinen die Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit im menschlichen Zusammenleben, das Bewusstsein der Verantwortung für das Gemeinwohl. Es ist beunruhigend zu sehen, bis zu welchem Grad Treue und Redlichkeit in wirtschaftlichem und sozialem Leben als Folge der furchtbaren Erschütterungen der Kriegs- und Nachkriegszeit verschwunden sind. Was sich auf diesem Gebiete breitmacht, ist nicht mehr nur ein äußerer Charakterfehler, sondern verrät eine schwere innere Krankheit, eine geistige Vergiftung, die auch zu einem guten Teil die Ursache jener religiösen Blutarmut ist.

Das wirtschaftliche und finanzielle Chaos, das Ergebnis jedes großen Zusammenbruchs, hat die Gewinnsucht angestachelt und verschärft, die zu bedenklichen Spekulationen und Geschäftskünsten verlockt, zum Schaden der Gesamtbevölkerung. Wir haben solche Umtriebe stets verurteilt, von welcher Seite sie auch kommen mögen, nicht weniger als jeden unerlaubten Handel, jegliche Fälschung, jeglichen Ungehorsam gegenüber den gerechten Gesetzen, die der Staat zum Wohl der bürgerlichen Gemeinschaft erlässt.

Den Menschen der Katholischen Aktion obliegt es also, an der Heilung dieses Übels mit Wort und Tat mitzuwirken, vor allem durch das eigene Beispiel, und alsdann auch mit einer wirksameren Einflussnahme auf die öffentliche Meinung (Aus der Ansprache an die Männervereinigung der Katholischen Aktion, 7. September 1947).

IV. GESELLSCHAFT / POLITIK

47. INDIVIDUUM UND STAAT

WO DIE ABHÄNGIGKEIT DES MENSCHLICHEN RECHTS vom göttlichen geleugnet wird, wo man sich nur noch auf eine unbestimmte Idee rein irdischer Autorität beruft, wo man eine nur auf eine utilitaristische Moral gegründete Autonomie beansprucht, da verliert gerade das menschliche Recht in seinen wichtigsten Anwendungen die sittliche Kraft, die die Hauptbedingung ist, damit es anerkannt wird und auch Opfer fordern kann.

Es ist richtig, dass eine auf so schwache und schwankende Fundamente gebaute Macht mitunter durch zufällige Umstände materielle Erfolge zu erzielen vermag, die bei weniger tiefen Beobachtern Verwunderung hervorrufen. Aber es kommt der Augenblick, in dem das unausweichliche Gesetz triumphiert, das alles trifft, was auf einem verborgenen oder offenen Missverhältnis zwischen der Größe des äußeren materiellen Erfolgs und der Schwäche des inneren Wertes und seines sittlichen Fundaments beruht. Einem Missverhältnis, das immer dann besteht, wenn die öffentliche Autorität die Herrschaft des obersten Gesetzgebers verkennt oder leugnet, der den Regierenden die Gewalt gegeben, aber auch ihre Grenzen bestimmt und gezeichnet hat.

Denn die staatliche Souveränität ist vom Schöpfer gewollt, damit sie das Leben der Gesellschaft nach den Vorschriften einer in ihren universalen Prinzipien unveränderlichen Ordnung regle, dem Menschen in der zeitlichen Ordnung die Erreichung der physischen, geistigen und sittlichen Vollkommenheit erleichtere und ihm helfe, an sein übernatürliches Ziel zu gelangen.

Daher ist es das hohe Vorrecht des Staates, die privaten und individuellen Betätigungen des nationalen Lebens zu kontrollieren, zu unterstützen und zu ordnen, damit sie harmonisch zum allgemeinen Besten zusammenwirken. Das kann nicht von willkürlichen Konzeptionen bestimmt werden. Es empfängt seine Norm auch nicht in erster Linie von dem materiellen Gedeihen der Gesellschaft, sondern vielmehr von der harmonischen Entwicklung und natürlichen Vervollkommnung des Menschen, für den die Gesellschaft vom Schöpfer als Mittel bestimmt worden ist.

Den Staat als Zweck zu betrachten, dem alles untergeordnet werden müsse, kann nicht zum wahren und dauerhaften Gedeihen der Völker führen. Und dies geschieht, wenn entweder eine solche unbegrenzte Herrschaft dem Staat als Sachwalter der Nation, des Volkes oder auch einer Gesellschaftsklasse zugewiesen wird, oder wenn der Staat unabhängig von irgendeinem Mandat sie als absoluter Herrscher beansprucht.

Wenn der Staat die privaten Initiativen an sich zieht und sie ordnet, so können diese, die von genauen, komplexen inneren Normen regiert werden, die die Erreichung ihres eigenen Zieles verbürgen, zum Nachteil des Gemeinwohls geschädigt werden, indem sie ihrem natürlichen Bereich, nämlich der verantwortlichen privaten Tätigkeit, entrückt werden.

Auch die erste und wesentliche Zelle der Gesellschaft, die Familie, ihr Wohl und ihr Gedeihen, würde dann Gefahr laufen, ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der nationalen Macht betrachtet zu werden, und man würde vergessen, dass der Mensch und die Familie von Natur aus vor dem Staat Vorrang haben, dass der Schöpfer beiden Kräfte und Rechte verliehen und eine Sendung zugedacht hat, die unbezweifelbaren natürlichen Forderungen entsprechen.

Einseitige Ausbildung der Jugend

Die Erziehung der neuen Generationen würde nicht auf eine gleichmäßige harmonische Entwicklung der physischen Kräfte und aller intellektuellen und sittlichen Eigenschaften hinzielen, sondern auf eine einseitige Ausbildung jener staatsbürgerlichen Tugenden, die man zur Erreichung politischer Erfolge für nötig hält. Jene Tugenden aber, die der Gesellschaft die Weihe des Adels, der Menschlichkeit und der Achtung verleihen, würden wenig betont werden, so, als ob sie den Stolz des Staatsbürgers beeinträchtigen könnten.

In schmerzvoller Klarheit stehen vor Unserem Auge die Gefahren, die, wie Wir fürchten, für diese und die folgenden Generationen aus der Verkennung, der Verringerung und der fortschreitenden Beseitigung der Eigenrechte der Familie entstehen können. Daher machen Wir Uns zu entschlossenem Verteidiger dieser Rechte im vollen Bewusstsein der Pflicht, die Unser Apostolisches Amt Uns auferlegt.

Die Ängste unserer Zeit, die äußeren wie die inneren, die materiellen wie die geistigen, die vielfachen Irrtümer mit ihren unüberschaubaren Rückwirkungen werden von niemandem bitterer verspürt als von der kleinen edlen Zelle der Familie. Wahrer Mut und ein Heroismus, der in seiner Schlichtheit bewundernde Achtung verdient, sind oft nötig, um die Härte des Lebens, den täglichen Druck des Elends, die in einem nie zuvor erlebten Maße wachsende Bedürftigkeit und Einschränkung zu ertragen, deren Grund und wahre Notwendigkeit oft nicht einzusehen sind. Wer sich um die Seelen müht, wer in den Herzen forschen kann, der weiß um die heimlichen Tränen der Mütter, den resignierten Schmerz vieler Väter, den unermesslichen Kummer, von dem keine Statistik spricht noch sprechen kann. Mit schmerzlichem Blick sieht er die Zahl dieser Dulder immer weiter anwachsen, und er weiß, dass die Mächte des Umsturzes und der Zerstörung darauf lauern, sich ihrer für ihre finsteren Pläne zu bedienen. Niemand, der guten Willens ist und offene Augen hat, wird unter den außerordentlichen Umständen, in denen sich die Welt befindet, dem Staat ein entsprechend ausgedehnteres Ausnahmerecht verweigern können, um den Bedürfnissen des Volkes zu genügen. Aber die von Gott eingesetzte sittliche Ordnung fordert auch in diesem Fall, dass die Zulässigkeit solcher Maßnahmen und ihre tatsächliche Notwendigkeit nach den Normen des Gemeinwohls um so ernster und schärfer geprüft werde.

Recht der Eltern

Je größer die materiellen Opfer sind, die der Staat den Einzelnen und den Familien auferlegt, desto heiliger und unverletzlicher müssen ihm auf jeden Fall die Rechte der Gewissen sein. Er kann Gut und Blut verlangen, aber niemals die von Gott erlöste Seele. Die von Gott den Eltern anvertraute Aufgabe, für das materielle und das geistliche Wohl der Nachkommen zu sorgen und ihnen eine harmonische Bildung zu verschaffen, die von echtem religiösem Geist beseelt ist, kann ihnen nicht ohne schwere Rechtsverletzung entzogen werden. Diese Bildung muss gewiss auch das Ziel haben, die Jugend darauf vorzubereiten, dass sie mit Verstand, Gewissen und Stolz jene Pflichten eines edlen Patriotismus erfüllt, der dem irdischen Vaterland das ganze schuldige Maß an Liebe, Hingabe und Mitarbeit gibt.

Andererseits aber wäre eine Bildung, die vergisst, oder, schlimmer, die es willentlich unterließe, die Augen und Herzen der Jugend auf das übernatürliche Vaterland zu richten, ein Unrecht gegen die Jugend, ein Unrecht gegen die unveräußerlichen Rechte und Pflichten der christlichen Familie, eine Grenzüberschreitung, der auch im Interesse des Volkes und des Staates widersprochen werden muss. Eine solche Erziehung wird vielleicht jenen, die für sie verantwortlich sind, als Quelle vermehrter Kraft und Stärke erscheinen; in Wirklichkeit wäre sie das Gegenteil, und die traurigen Folgen würden es beweisen. Das Verbrechen der Majestätsbeleidigung gegen den König der Könige und den Herrn der Herrschenden, begangen von einer gegen den christlichen Geist gleichgültigen oder ihm abgeneigten Erziehung, die Umkehrung des "Lasset die Kinder zu mir kommen", würde die bittersten Früchte zeitigen. Der Staat jedoch, der von den zerrissenen, blutenden Herzen der christlichen Väter und Mütter die Sorgen nimmt und ihre Rechte wiederherstellt, fördert nur den eigenen inneren Frieden und legt den Grund zu einer glücklicheren Zukunft des Vaterlands. Die Seelen der Kinder, die Gott den Eltern schenkt und die in der Taufe mit dem königlichen Siegel Christi gezeichnet werden, sind ein heiliges Vermächtnis, über das die Liebe Gottes eifersüchtig wacht. Derselbe Christus, der das Wort "Lasset die Kindlein zu mir kommen" gesprochen hat, hat auch trotz seiner Barmherzigkeit und Güte jenen schreckliche Übel angedroht, die den Lieblingen seines Herzens Ärgernis geben. Und welches Ärgernis ist schädlicher für die Generationen und nachteiliger als eine Jugenderziehung, die auf ein Ziel gerichtet ist, das von Christus, dem Weg, der Wahrheit und dem Leben wegführt und hinleitet zu einem offenen oder verborgenen Abfall von Christus?

Dieser Christus, dem man die gegenwärtigen und künftigen jungen Generationen entfremden will, ist derselbe, der von seinem ewigen Vater alle Macht im Himmel und auf Erden empfangen hat. Er hält das Schicksal der Staaten, der Völker und der Nationen in seiner allmächtigen Hand. Ihm kommt es zu, Leben, Wachstum, Gedeihen und Größe zu verkürzen oder zu verlängern. Von allem, was auf Erden ist, hat allein die Seele unsterbliches Leben. Ein Erziehungssystem, das nicht den geweihten Bereich der vom heiligen Gesetz Gottes geschützten Familie achtete, das ihre Grundlagen angriffe, der Jugend den Weg zu Christus, zu den Quellen des Lebens und der Freude des Erlösers versperrte, den Abfall von Christus und der Kirche als Zeichen der Treue zum Volk oder zu einer bestimmten Klasse betrachtete, würde sich selbst das Urteil sprechen und die unerschütterliche Wahrheit der Worte des Propheten erfahren: "Die sich von Dir zurückziehen, werden in den Staub geschrieben" (Jer 17, 13) (Enzyklika "Summi Pontificatus", 20. Oktober 1939).

48. KIRCHE UND STAAT

Wesensunterschieae zwischen der geistlichen und der bürgerlichen Rechtsordnung, nach ihrem Ursprung und ihrer Natur betrachtet

EIN FLÜCHTIGER BLICK auf die Gesetze und die Rechtspraxis könnte glauben machen, dass die kirchliche und bürgerliche Prozessordnung nur sekundäre Unterschiede aufweisen, ähnlich denjenigen, die man bei der Rechtsprechung zweier Staaten der gleichen Rechtsfamilie feststellen kann. Scheint doch auch der unmittelbare Zweck beider Prozessordnungen derselbe zu sein: die Verwirklichung bzw. Sicherung des im Gesetz niedergelegten Rechts, das im Einzelfall bestritten oder verletzt war, mittels Richterspruches oder mittels eines Urteils, aber in Übereinstimmung mit dem Gesetz wiederhergestellt wird. Die verschiedenen Stufen der Rechtsinstanzen sind ebenfalls in beiden vorhanden; das Verfahren zeigt bei beiden die gleichen hauptsächlichen Bestandteile: Antrag auf Eröffnung des Verfahrens, Aufruf und Verhör der Zeugen, Austausch der Schriftstücke, Vernehmung der Parteien, Schluss der Verhandlung, Urteil, Recht der Berufung.

Nichtsdestoweniger wird man über dieser weitgehenden äußeren und inneren Ähnlichkeit die tiefen Unterschiede nicht vergessen, die erstens im Ursprung und in der Natur, zweitens im Gegenstand, drittens im Zweck bestehen (Allokution bei der Eröffnung des Gerichtsjahres der 5. Romana Rota, 2. Oktober 1945).

Totalitarismus, Autoritarismus, Demokratie

Die Rechtsprechung ist ein wesentlicher Teil und eine notwendige Funktion der Macht der bei den vollkommenen Gesellschaften, der geistlichen wie der bürgerlichen. Daher fällt die Frage nach dem Ursprung der Gerichtsbarkeit zusammen mit der Frage nach dem Ursprung der Gewalt selbst.

Aber gerade deswegen hat man außer den bereits angedeuteten Ähnlichkeiten, auch andere, tiefere zu finden geglaubt. Es ist merkwürdig zu sehen, wie manche Anhänger der verschiedenen modernen Auffassungen betreffs der staatlichen Gewalt zur Bestätigung und Bekräftigung ihrer Meinung die vorgeblichen Ähnlichkeiten mit der geistlichen Gewalt angeführt haben. Das gilt nicht weniger für den so genannten "Totalitarismus" und den "Autoritarismus" wie für deren Gegenpol, die moderne Demokratie. In Wirklichkeit aber bestehen diese tieferen Ähnlichkeiten in keinem der drei Fälle, wie eine kurze Prüfung leicht ergeben wird.

Es ist unbestreitbar, dass es eine der lebenswichtigen Forderungen jeder menschlichen Gemeinschaft, daher auch der Kirche und des Staates ist, die Einheit in der Verschiedenheit ihrer Glieder auf dauerhafte Weise zu sichern.

Nun kann der "Totalitarismus" niemals dieser Forderung genügen, da er der Staatsgewalt nach Inhalt und Form eine ungebührliche Ausdehnung auf alle Tätigkeitsbereiche verleiht und so jedes rechtmäßige Eigenleben - das persönliche, das gemeindliche und das berufliche - in eine mechanische Einheit oder Kollektivität zusammenpresst unter dem Stempel des Volkes, der Rasse oder der Klasse.

Wir haben in Unserer Rundfunkbotschaft zu Weihnachten 1942 im besonderen auf die traurigen Folgen dieser Auffassung und Handlungsweise für die Rechtsprechung hingewiesen, welche die Gleichheit aller vor dem Gesetz unterdrückt und die Rechtsentscheidungen dem Spiel eines wandelbaren Kollektivinstinkts ausliefert.

Wer könnte übrigens jemals annehmen, dass solche irrigen Auffassungen, die das Recht verletzen, den Ursprung der geistlichen Gerichte hätten bestimmen oder Einfluss auf ihre Tätigkeit hätten ausüben können? Das ist nie der Fall gewesen und wird nie der Fall sein, weil es der Natur der sozialen Gewalt der Kirche zuwiderläuft, wie wir noch sehen werden.

Aber von der Erfüllung jener grundlegenden Forderung ist auch die andere Auffassung der Staatsgewalt sehr weit entfernt, die man als "Autoritarismus" bezeichnen kann, weil sie die Staatsbürger von jeder wirksamen Teilnahme und jedem Einfluss auf die Bildung des Gemeinwillens ausschließt. Er spaltet das Volk folgerichtig in zwei Klassen, die der Herrscher und die der Beherrschten, deren gegenseitige Beziehungen unter der Herrschaft der Gewalt rein mechanisch sind oder nur eine ausschließlich biologische Grundlage haben.

Der Staat: Eine Gemeinschaft für das Gemeinwohl

Wer sieht nicht, dass solchergestalt die wahre Natur der Staatsgewalt im tiefsten verkehrt wird? Denn diese muss aus sich selbst und mittels der Ausübung ihrer Funktionen danach streben, dass der Staat eine echte Gemeinschaft sei, innig geeint im letzten Ziel, nämlich dem Gemeinwohl. In jenem System wird jedoch der Begriff des Gemeinwohls so schwankend und offenbart sich so deutlich als trügerischer Deckmantel des einseitigen Interesses des Herrschers, dass ein zügelloser gesetzgeberischer "Dynamismus" jede Rechtssicherheit ausschließt und damit ein Grundelement jeder wahren Rechtsordnung unterdrückt.

Niemals wird ein solcher falscher Dynamismus dazu kommen, die wesentlichen Rechte untergehen zu lassen und zu beseitigen, die den einzelnen physischen und moralischen Personen in der Kirche zuerkannt sind. Die Natur der kirchlichen Gewalt hat nichts mit jenem "Autoritarismus" gemein, dem man daher keinerlei Beziehung zu der hierarchischen Verfassung der Kirche nachsagen kann.

Es bleibt noch die demokratische Form der Staatsgewalt zu prüfen, in der einige eine große Ähnlichkeit mit der Gewalt der Kirche erblicken wollen. Wo eine wahre Demokratie in Theorie und Praxis herrscht, da erfüllt sie ohne Zweifel jene lebenswichtige Forderung jeder gesunden Gemeinschaft, auf die Wir hingewiesen haben. Aber das erweist sich oder kann sich unter gleichen Bedingungen auch in den anderen rechtmäßigen Regierungsformen erweisen.

Sicher hat das christliche Mittelalter, das in hervorragender Weise vom Geist der Kirche gestaltet wurde, mit seinem Reichtum an blühenden demokratischen Gemeinschaften gezeigt, dass der christliche Glaube eine wahre und echte Demokratie zu schaffen vermag und sogar ihre einzige dauerhafte Grundlage ist. Denn eine Demokratie ohne die Einheit der Geister, wenigstens in den grundlegenden Lebenswahrheiten und -gesetzen, vor allem hinsichtlich der Rechte Gottes und der Würde der menschlichen Person und der rechtlichen Tätigkeit und persönlichen Freiheit auch in politischen Dingen, eine solche Demokratie wäre mangelhaft und schwankend. Wenn sich also das Volk vom christlichen Glauben entfernt und ihn nicht entschlossen als Grundlage des bürgerlichen Lebens bejaht, dann wird auch die Demokratie leicht entstellt und verzerrt und läuft mit der Zeit Gefahr, dem "Totalitarismus" und dem "Autoritarismus" einer einzigen Partei zu verfallen.

Hält man sich andererseits die Lieblingsthese der Demokratie vor Augen - eine These, die hervorragende christliche Denker zu allen Zeiten verfochten haben -, dass nämlich das ursprüngliche Subjekt der Staatsgewalt, die sich von Gott herleitet, das Volk sei (nicht die "Masse"), so wird der Unterschied zwischen der Konstitution der Kirche und jener des demokratischen Staates immer klarer (Allokution bei der Eröffnung des Gerichtsjahres der 5. Romana Rota, 2. Oktober 1945).

Unterschiede zwischen Staat und Kirche

Wesentlich verschieden von der staatlichen Gewalt ist in der Tat die kirchliche, und daher auch ihre richterliche.

Der Ursprung der Kirche liegt im Gegensatz zu dem des Staates nicht im Naturrecht. Die weiteste und genaueste Analyse der menschlichen Person bietet kein Element für die Folgerung, dass die Kirche ganz wie die bürgerliche Gesellschaft auf natürliche Weise habe geboren werden und sich entwickeln müssen. Sie leitet sich von einem positiven Akte Gottes her, der außer und über der Gemeinschaftsanlage des Menschen steht, wiewohl in vollkommener Übereinstimmung mit dieser. Daher ist die kirchliche Gewalt - und somit auch die ihr entsprechende Gerichtsgewalt - aus dem Willen und dem Handeln entstanden, mit dem Christus seine Kirche gegründet hat. Das schließt aber nicht aus, dass, nachdem die Kirche einmal durch den Erlöser als vollkommene Gesellschaft gegründet war, aus ihrem innersten Wesen viele Elemente ähnlich dem Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft sind.

In einem Punkte jedoch tritt dieser grundlegende Unterschied besonders deutlich hervor. Die Gründung der Kirche als Gemeinschaft ist anders als der Ursprung des Staates, nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten geschehen. Das heißt: Christus, der in seiner Kirche das von ihm angekündigte und für alle Menschen aller Zeiten bestimmte Reich Gottes auf Erden verwirklicht hat, hat nicht der Gemeinschaft der Gläubigen die Sendung als Lehrer, Priester und Hirte, die er vom Vater zum Heil des Menschengeschlechtes empfangen hatte, anvertraut, sondern er hat sie einem Kollegium von Aposteln oder Sendboten übertragen, die er selbst erwählt hatte. Ihre Predigt, zusammen mit ihrem priesterlichen Dienst und der Gewalt ihres Amtes, sollte die Menge der Gläubigen in die Kirche eintreten heißen, um dort geheiligt, erleuchtet und zur vollen Reife der Jünger Christi geführt zu werden.

Prüfet die Worte, mit denen er ihnen seine Vollmachten übergeben hat: die Gewalt, im Gedenken an ihn das Opfer darzubringen, die Gewalt, die Sünden nachzulassen, das Versprechen und die Übertragung der höchsten Schlüsselgewalt an Petrus und seine Nachfolger persönlich, die Übertragung der Macht zu lösen und zu binden an alle Apostel. Erwäget endlich die Worte, mit denen er vor seiner Himmelfahrt den gleichen Aposteln die allumfassende Sendung erteilte, die er vom Vater erhalten hatte. Ist etwa in all dem etwas, das zu Zweifeln oder zu verschiedenen Auslegungen Anlass geben könnte? Die ganze Geschichte der Kirche, von ihren Anfängen bis in unsere Tage, ist immer wieder ein Echo dieser Worte und gibt dasselbe Zeugnis mit einer Klarheit und Genauigkeit, die keine Spitzfindigkeit verwirren oder verschleiern könnte. Nun besagen aber alle diese Worte und Zeugnisse einhellig, dass das Wesen und der Mittelpunkt der kirchlichen Gewalt, nach dem ausdrücklichen Wort Christi, die Sendung ist, die er den Dienern seines Heilswerkes für die Gemeinschaft der Gläubigen und für das ganze Menschengeschlecht übergeben hat.

Kanon 109 des Codex iuris canonici hat dieses wunderbare Gebäude in helles Licht gerückt: Qui in ecclesiasticam hierarchiam cooptantur, non ex populi vel potestatis saecularis consensu aut vocatione adleguntur; sed in gradibus potestatis ordinis constituuntur sacra ordinatione; in supremo pontificatu, ipsomet iure divino, adimpleta conditione legitimae electionis eiusdemque exceptationis; in reliquis gradibus iurisdictionis, canonica missione. ("Die Aufnahme in die kirchliche Hierarchie erfolgt nicht auf Grund der Zustimmung oder Berufung seitens des Volkes oder der weltlichen Gewalt; vielmehr werden die Erwählten in die Weihehierarchie eingereiht durch eine heilige Weihe; die Übertragung der obersten Hirtengewalt erfolgt unmittelbar durch göttliches Recht, nach Erfüllung der Vorbedingung einer rechtmäßigen Wahl und der Annahme dieser Wahl; die Einreihung in die übrigen Grade der Regierungsgewalt erfolgt durch die kirchliche Sendung.")

Verantwortung der Glieder der kirchlichen Hierarchie

"Non ex populi vel potestatis saecularis consensu aut vocatione": Das gläubige Volk oder die weltliche Gewalt können im Lauf der Jahrhunderte oft an der Bezeichnung jener teilgenommen haben, denen die geistlichen Ämter übertragen werden sollten, - zu welchen übrigens, das oberste Pontifikat mit eingeschlossen, sowohl der Spross eines edlen Stammes wie der Sohn der bescheidensten Arbeiterfamilie erwählt werden können. In Wirklichkeit aber haben die Glieder der kirchlichen Hierarchie ihre Amtsgewalt von oben erhalten und erhalten sie immer wieder von oben und müssen sich für die Ausübung ihres Auftrags entweder nur unmittelbar vor Gott verantworten, welchem allein der Papst unterworfen ist, oder, in den anderen Graden, vor den hierarchischen Oberen. Aber sie haben weder dem Volk noch der bürgerlichen Gewalt irgendwie Rechenschaft zu geben, abgesehen davon, dass natürlich jeder Gläubige die Möglichkeit hat, der zuständigen geistlichen Behörde, oder auch unmittelbar der obersten Gewalt der Kirche seine Bitten und seine Beschwerden zu unterbreiten, besonders wenn der Bittsteller oder Beschwerdeführer von Beweggründen geleitet ist, die an seine persönliche Verantwortung für das geistliche Wohl seiner selbst oder anderer rühren.

Aus dem Gesagten ergeben sich in der Hauptsache zwei Folgerungen:

1. In der Kirche ist, anders als im Staat, das ursprüngliche Subjekt der Gewalt, der höchste Richter, die höchste Berufungsinstanz, niemals die Gemeinschaft der Gläubigen. Es gibt also und kann in der Kirche, die von Christus gegründet worden ist, niemals ein Volksgericht oder eine Gerichtsgewalt geben, die vom Volke ausgeht.

2.. Die Frage nach der Reichweite der kirchlichen Gewalt stellt sich gleichfalls auf andere Weise als beim Staat. Für die Kirche gilt in erster Linie der ausdrückliche Wille Christi, der ihr nach seiner Weisheit und Güte größere oder kleinere Mittel und Macht verleihen konnte, ausgenommen immer jenes Mindestmaß, das ihre Natur und ihr Ziel notwendigerweise erfordern. Die Macht der Kirche umfasst den ganzen Menschen, sein Inneres und sein Äußeres, zur Verfolgung des übernatürlichen Zieles, insofern dieser Mensch gänzlich dem Gesetz Christi unterstellt ist, für das die Kirche von ihrem göttlichen Gründer als Wächterin und Vollstreckerin eingesetzt ist, sowohl im äußeren Rechtsbereich als auch für den inneren Bereich des Gewissens. - Eine volle und vollkommene Gewalt also, obschon fern jenem "Totalitarismus", der nicht die ehrliche Berufung auf die klaren und unabweisbaren Weisungen des eigenen Gewissens zulässt noch anerkennt, und der die Gesetze des Einzel- und Gemeinschaftslebens verletzt, die in die Herzen der Menschen eingeschrieben sind. Denn die Kirche zielt mit ihrer Gewalt nicht ab auf die Unterjochung der menschlichen Person, sondern auf die Sicherung ihrer Freiheit und Vervollkommnung, indem sie dieselbe von Schwächen, Irrtümern und Verirrungen des Geistes und des Herzens erlöst, welche früher oder später immer in Entehrung und Versklavung enden.

Der heilige Charakter, der der kirchlichen Gerichtsgewalt aus ihrem göttlichen Ursprung und aus ihrer Zugehörigkeit zur hierarchischen Gewalt zukommt, muss euch, geliebte Söhne, die höchste Achtung für euer Amt eingeben und euch anspornen, seine ernsten Pflichten mit lebendigem Glauben, mit unveränderlicher Rechtlichkeit und immer wachem Eifer zu erfüllen. Aber hinter dem Schleier dieses Ernstes - welcher Glanz tut sich da auf für die Augen dessen, der in der Gerichtsgewalt die Majestät der Gerechtigkeit zu sehen versteht, die in ihrem gesamten Wirken bestrebt ist, die Kirche, die Braut Christi "heilig und makellos" vor ihrem göttlichen Bräutigam und vor den Menschen erscheinen zu lassen! (Allokution bei der Eröffnung des Gerichtsjahres der 5. Romana Rota, 2. Oktober 1945).

Unterschiede geistlicher und bürgerlicher Gerichtsordnung

Was gestern für viele eine Pflicht der Kirche war, und was man von ihr, auch auf ungeordnete Weise, forderte, nämlich den ungerechten Auflagen totalitärer Regierungen, die die Gewissen bedrückten, zu widerstehen, sie vor der Welt anzuklagen und zu verurteilen (was zu tun sie nie unterlassen hat, aber sie tat es aus eigenem, freiem Antrieb und in den gebührenden Formen), ist heute für dieselben Menschen, da sie zur Macht gelangt sind, ein Vergehen und ein unerlaubtes Eindringen in den Bereich der staatlichen Obrigkeit. Und die gleichen Argumente, die die tyrannischen Regierungen von gestern gegen die Kirche und ihren Kampf zur Verteidigung der göttlichen Rechte und der gerechten Würde der menschlichen Person ins Feld geführt haben, werden heute von den neuen Herrschern gebraucht, um ihre ausdauernden Bemühungen zum Schutz der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu bekämpfen. Aber die Kirche wandelt geradeaus auf ihrem Weg, immer nach dem Ziel strebend, für das sie von ihrem göttlichen Gründer eingesetzt worden ist, nämlich die Menschen auf den übernatürlichen Pfaden der Tugend und des Guten zum himmlischen und ewigen Glück zu führen, wodurch sie zu gleicher Zeit auch das friedliche und ersprießliche Zusammenleben der Menschen fördert.

Dieser Gedanke führt uns natürlicherweise dazu, von dem wesensverschiedenen Ziel der beiden Gesellschaften zu sprechen. Der Unterschied im Ziel schließt ohne Zweifel jene erzwungene Unterwerfung, ja Eingliederung der Kirche in den Staat aus, die der Natur beider zuwiderläuft und die jeder Totalitarismus, wenigstens anfänglich, zu erreichen sucht. Sie leugnet jedoch gewiss nicht jede Verbindung zwischen den beiden Gesellschaften, und noch weniger setzt sie zwischen beide eine kalte trennende Linie des Agnostizismus und der Indifferenz. Wer die rechte Lehre so verstehen wollte, wonach Kirche und Staat zwei verschiedene, vollkommene Gesellschaften sind, würde in die Irre gehen. Er vermöchte die vielfältigen, trotz aller Verschiedenheit fruchtbringenden Formen nicht zu erklären, in denen die Verbindung zwischen den beiden Gewalten in Vergangenheit und Gegenwart erscheint; er würde sich vor allem keine Rechenschaft darüber geben, dass Kirche und Staat aus derselben Quelle entspringen, aus Gott, und dass beide sich um denselben Menschen kümmern, seine natürliche oder übernatürliche Personwürde. All dies konnte und wollte Unser glorreicher Vorgänger Leo XIII. nicht vernachlässigen, als er in seiner Enzyklika Immortale Dei vom 1. November 1885 die Grenzen der beiden Gesellschaften auf Grund ihres verschiedenen Zieles klar umriss und bemerkte, dass es dem Staate zunächst und in der Hauptsache obliege, sich um die irdischen Belange zu kümmern, der Kirche, für die himmlischen und ewigen Güter der Menschen zu sorgen, soweit diese nämlich der Sicherheit und Stützung bedürfen, seitens des Staates für die irdischen, seitens der Kirche für die ewigen.

Sehen wir darin nicht eine gewisse Ähnlichkeit zu den Beziehungen zwischen Leib und Seele? Beide wirken in solcher Weise zusammen, dass das seelische Gepräge des Menschen in jedem Augenblick die Folgen seines Temperaments und seiner körperlichen Zustände spürt, während umgekehrt die sittlichen Eindrücke, die Erregungen, die Leidenschaften sich im leiblich-sinnlichen Empfindungsvermögen so mächtig widerspiegeln, dass die Seele auch die Züge des Gesichts bestimmt, denen sie gleichsam ihr Bild aufdrückt.

Das geistliche Gericht

Es besteht also ein Unterschied im Ziel, ein Unterschied, der auf die Kirche und auf den Staat einen verschiedenen und tiefen Einfluss ausübt, vor allem auf die oberste Gewalt beider Gesellschaften. Daher auch auf die richterliche Gewalt, die lediglich ein Teil und eine Funktion davon ist. Unabhängig, ob die einzelnen kirchlichen Richter sich dessen bewusst sind oder nicht, ist und bleibt ihr richterliches Tun eingeschlossen in die Fülle des Lebens der Kirche mit ihrem hohen Ziele: caelestia ac sempiterna bona comparare - die himmlischen und ewigen Güter zu vermitteln -. Dieser finis operis (innere Zweck) der kirchlichen Gerichtsgewalt gibt ihr das objektive Gepräge und macht sie zu einer Einrichtung der Kirche als einer übernatürlichen Gemeinschaft. Und da sich dieses Gepräge aus dem überirdischen Zweck der Kirche herleitet, wird die kirchliche Gerichtsgewalt niemals in die Starrheit und Unbeweglichkeit verfallen, der rein irdische Einrichtungen aus Furcht vor Verantwortung oder aus Trägheit oder auch aus einer schlecht verstandenen Sorge, das gewiss hohe Gut der Rechtssicherheit zu schützen, leicht hörig werden. Das heißt aber nicht, dass es in der kirchlichen Gerichtsordnung einen Bereich gebe, der der bloßen Willkür des Richters in der Behandlung der einzelnen Fälle frei gelassen wäre. Diese Irrtümer einer angeblichen verhängnisvollen "Vitalität" des Rechts sind traurige Erzeugnisse unserer Zeit in Tätigkeiten, die nichts mit der Kirche zu tun haben. Unberührt von einem heute ziemlich verbreiteten Antiintellektualismus bleibt die Kirche fest auf dem Standpunkt, dass der Richter im einzelnen Fall nach dem Gesetz entscheidet, einem Standpunkt, der, ohne einen übertriebenen "juristischen Formalismus" zu begünstigen, doch jene "subjektive Willkür" zurückweist, die den Richter nicht unter, sondern über das Gesetz stellen würde. Die rechtliche Norm klar im Sinne des Gesetzgebers verstehen und den einzelnen Fall gemäß der anzuwendenden Norm richtig zergliedern, diese Verstandesarbeit ist ein wesentlicher Teil der konkreten Rechtsprechungsarbeit. Ohne solches Verfahren wäre das Urteil des Richters ein einfacher Befehl und nicht das, was das Wort "positives Recht" ausdrücken will, nämlich in dem einzelnen und daher konkreten Fall Ordnung in der Welt zu schaffen, die als ein Ganzes von der Weisheit Gottes in der Ordnung und für die Ordnung geschaffen worden ist.

Ist dieses Gebiet der richterlichen Tätigkeit etwa nicht reich an Leben? Mehr noch: Das kirchliche Gesetz gilt dem Gemeinwohl der kirchlichen Gesellschaft und ist daher untrennbar mit dem Ziel der Kirche verbunden. Während also der Richter das Gesetz auf den einzelnen Fall anwendet, arbeitet er daran mit, die Fülle des Ziels zu vollenden, das in der Kirche lebt. Sieht er sich aber zweifelhaften Fällen gegenüber oder lässt ihm die Gesetzgebung Freiheit, so wird ihm die Verbindung der kirchlichen Gerichtsordnung mit dem Ziel der Kirche helfen, die rechte Entscheidung zu finden und zu begründen und sein Amt vor dem Makel reiner Willkür zu bewahren.

Wie auch immer man daher die Beziehung der kirchlichen Gerichtsgewalt zu diesem Ziel betrachten mag, sie erscheint als die sicherste Garantie der wahren Lebenskraft ihrer Entscheidungen, und während sie den kirchlichen Richter in ein von Gott gewolltes Amt einsetzt, weist sie ihn auf sein hohes Verantwortungsbewusstsein hin, das auch in der Kirche über alle gesetzliche Regelung hinaus der unerlässliche Schutz der Rechtssicherheit ist.

Damit wollen wir in keiner Weise die praktischen Schwierigkeiten verkennen, die trotz allem das moderne Leben auch in der kirchlichen Gerichtsgewalt verursacht, unter gewissen Gesichtspunkten sogar noch mehr als im bürgerlichen Bereich. Man denke nur an gewisse geistliche Güter, denen gegenüber sich die richterliche Gewalt des Staates weniger gebunden fühlt oder sogar sich bewusst gleichgültig verhält. Typisch in diesem Sinne sind die Fälle von Vergehen gegen den Glauben oder von Abfall, die die "Gewissensfreiheit" und die "religiöse Toleranz" und die Eheprozesse betreffen. In diesen Fällen kann die Kirche und daher auch der kirchliche Richter sich nicht die neutrale Haltung der Staaten mit verschiedenen religiösen Bekenntnissen zu eigen machen, noch weniger die einer Welt, die dem Unglauben und der religiösen Gleichgültigkeit verfallen ist, sondern sie muss sich allein von dem wesentlichen Ziel leiten lassen, das ihr von Gott gesteckt ist.

So stoßen wir immer wieder auf den tiefen Unterschied, den die Verschiedenheit des Ziels zwischen kirchlicher und bürgerlicher Gerichtsgewalt bewirkt. Ohne Zweifel steht dem nichts im Wege, dass die eine die Ergebnisse der anderen verwendet, die theoretischen Erkenntnisse ebenso gut wie die praktischen Erfahrungen. Doch wäre es irrig, Elemente und Normen der einen mechanisch auf die andere zu übertragen, und noch irriger, sie einfachhin gleichsetzen zu wollen. Die kirchliche Gerichtsgewalt und der kirchliche Richter brauchen ihr Ideal nicht anderswo zu suchen, sondern müssen es in sich selbst tragen; sie müssen sich immer vor Augen halten, dass die Kirche ein übernatürlicher Organismus ist, dem ein göttliches Lebensprinzip innewohnt, ein Prinzip, das auch die Gerichtsbarkeit und das Amt des kirchlichen Richters bewegen und lenken muss.

Richter sind in der Kirche kraft ihres Amtes und durch göttlichen Willen die Bischöfe, von denen der Apostel sagt, dass sie "vom Heiligen Geist eingesetzt sind, um die Kirche Gottes zu lenken". Aber dieses "lenken" schließt das "urteilen" als eine notwendige Funktion ein. Daher beruft nach dem Worte des Apostels der Heilige Geist die Bischöfe nicht weniger zum Richteramt als zur Regierung der Kirche. Vom Heiligen Geist rührt darum der heilige Charakter dieses Amtes her. Die Gläubigen der Kirche Gottes, "die er mit seinem Blute erworben hat", sind diejenigen, auf die sich die richterliche Tätigkeit bezieht. Das Gesetz Christi ist von Grund auf jenes, nach dem in der Kirche die Urteile gefällt werden. Das göttliche Lebensprinzip der Kirche bewegt alle und alles, was in ihr ist, auf ihr Ziel zu, also auch die richterliche Gewalt und den Richter: caelestia ac sempiterna bona comparare (die himmlischen und ewigen Güter zu vermitteln), (Allokution bei der Eröffnung des Gerichtsjahres der S. Romana Rota, 29. Oktober 1947).

49. DIE SOZIALE ORDNUNG

DAS ZIFFERNBLATT DER GESCHICHTE zeigt heute eine ernste, für die ganze Menschheit entscheidende Stunde.

Eine alte Welt liegt in Trümmern. Aus diesen Trümmern so schnell wie möglich eine neue, gesündere, rechtlich besser geordnete Welt erstehen zu sehen: das ist die Sehnsucht der so schwer geprüften Völker.

Sollen etwa den schmerzlichen und verhängnisvollen Irrtümern der Vergangenheit neue, nicht weniger beklagenswerte folgen, und soll die Welt unaufhörlich von einem Extrem ins andere taumeln? Oder wird das Pendel dank dem Wirken weiser Staatenlenker nach Richtlinien und Lösungen, die dem göttlichen Recht nicht widersprechen und nicht im Gegensatz zum menschlichen und zum christlichen Gewissen stehen, ausschlagen?

Von der Antwort auf diese Frage hängt das Schicksal der christlichen Kultur in Europa und der Welt ab - einer Kultur, die, weit entfernt, den vielfältigen besonderen Lebensformen, in denen sich die Eigenart jedes Volkes kundgibt, Abbruch zu tun, sich vielmehr mit ihnen verbindet und dabei ihre höchsten ethischen Grundsätze neu belebt: das Sittengesetz, das der Schöpfer in die Herzen der Menschen geschrieben hat, das Naturrecht, das von Gott kommt, die Grundrechte und die unantastbare Würde der menschlichen Person. Und um den Willen besser unter den Gehorsam gegen sie zu beugen, flößt sie den einzelnen, dem ganzen Volke und der Gemeinschaft der Nationen jene höheren Kräfte ein, die kein menschliches Wirken auch nur entfernt verleihen kann, während sie, gleich den Kräften der Natur, dieselben vor den giftigen Keimen bewahrt, welche die sittliche Ordnung bedrohen, und deren Einsturz verhindert.

Wirken und Segen der christlichen Kultur

So geschieht es, dass die christliche Kultur, ohne die gesunden Elemente der verschiedensten ursprünglichen Kulturen zu ersticken oder zu schwächen, sie in den wesentlichsten Dingen harmonisiert und so eine breite Einheit von Gefühlen und sittlichen Grundsätzen schafft, das festeste Fundament wahren Friedens, sozialer Gerechtigkeit und brüderlicher Liebe zwischen allen Gliedern der großen Menschheitsfamilie.

Das letzte Jahrhundert hat in einer Entwicklung voll von Widersprüchen gesehen, wie auf der einen Seite die Fundamente der christlichen Kultur systematisch untergraben wurden, auf der anderen Seite dagegen sich die christliche Kultur ständig über alle Völker hin ausbreitete. Europa und die anderen Kontinente leben noch in verschiedenem Grade von den Lebenskräften und Prinzipien, die ihnen die Erbschaft des christlichen Gedankens fast wie in einer geistigen Bluttransfusion übermittelt hat. Manche gehen so weit, dieses kostbare Erbe zu vergessen, zu vernachlässigen, ja sogar es zurückzuweisen; aber die Tatsache dieser Erbfolge bleibt bestehen.

Klarsicht, Hingabe und Mut, erfinderischer Genius, brüderliche Liebe aller geraden und redlichen Geister werden bestimmen, in welchem Maße und bis zu welchem Grade es dem christlichen Gedanken gegeben sein wird, das riesige Werk der Wiederherstellung des sozialen, wirtschaftlichen und internationalen Lebens auf einer Ebene aufzurichten, die dem religiösen und sittlichen Inhalt der christlichen Kultur nicht widerstreitet.

Die Hebung des Arbeiterstandes

Loyal und wirksam kann die Zusammenarbeit in allen jenen Bereichen sein, in denen die Schaffung einer besseren rechtlichen Ordnung sich als eine besondere Forderung des christlichen Gedankens erweist. Dies gilt im besonderen für jenen schwierigen Problemkomplex, der die Einsetzung einer wirtschaftlichen und sozialen Ordnung betrifft, die dem ewigen göttlichen Gesetz und der menschlichen Würde besser entspricht. In ihr zielt der christliche Gedanke auf Hebung des Arbeiterstandes als wesentliches Element, deren entschlossene, großherzige Verwirklichung jedem wahren Jünger Christi nicht nur als irdischer Fortschritt, sondern auch als Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung erscheint.

Versprechungen von Staatsmännern, die vielfältige Auffassungen und Vorschläge von Gelehrten und Technikern haben unter den Opfern einer ungesunden Wirtschafts- und Sozialordnung die trügerische Erwartung einer gänzlichen Wiedergeburt der Welt erweckt, eine übersteigerte Hoffnung auf ein tausendjähriges Reich universaler Glückseligkeit.

Ein solches Gefühl bietet der Propaganda der radikalsten Programme ein günstiges Feld und macht die Geister einer sehr verständlichen, aber unvernünftigen und ungerechtfertigten Ungeduld geneigt, die sich nichts mehr von organischen Reformen verspricht, sondern alles von Umsturz und Gewalt erwartet. Gegenüber diesen extremen Tendenzen bleibt der Christ, der über die Bedürfnisse und das Elend seiner Zeit ernsthaft nachdenkt, in der Wahl der Heilmittel den Grundsätzen treu, die Erfahrung, gesunde Vernunft und christliche Sozialethik als Grundlagen und Prinzipien jeder gerechten Reform aufzeigen.

Das Recht des Privateigentums

Schon Unser glorreicher Vorgänger Leo XIII. hat in seiner Enzyklika Rerum Novarum den Grundsatz ausgesprochen, dass für jede rechte Wirtschafts- und Sozialordnung "als unerschütterliches Fundament das Recht des Privateigentums gelegt werden" müsse.

Wenn es wahr ist, dass die Kirche immer "das natürliche Recht des Eigentums und der erblichen Übertragung der eigenen Güter" anerkannt hat, so ist doch nicht weniger gewiss, dass dieses Privateigentum auf besondere Weise die natürliche Frucht der Arbeit ist: das Produkt einer intensiven Tätigkeit des Menschen, das er gewinnt dank seinem energischen Willen, mit seinen Kräften die eigene Existenz und die seiner Familie zu sichern und zu entfalten, sich und den Seinen einen Bereich gerechter Freiheit, und zwar nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer, kultureller und religiöser Freiheit zu schaffen.

Das christliche Gewissen kann eine soziale Ordnung nicht als gerecht gelten lassen, die das natürliche Eigentumsrecht entweder grundsätzlich leugnet oder praktisch unmöglich und vergeblich macht, und zwar sowohl in Bezug auf die Verbrauchsgüter wie auf die Produktionsmittel.

Aber es kann auch jene Systeme nicht annehmen, die das Recht des Privateigentums nach einem völlig falschen Begriff anerkennen und daher zur wahren und gesunden Sozialordnung im Widerspruch stehen.

Kapitalismus

Daher hat die Kirche da, wo sich zum Beispiel der Kapitalismus auf solche irrigen Begriffe gründet und sich ein unbegrenztes Recht über das Eigentum ohne jede Unterordnung unter das Gemeinwohl anmaßt, ihn als dem Naturrecht entgegengesetzt verworfen.

Wir sehen die ständig wachsende Schar der Arbeiter oft jenen übertriebenen Zusammenballungen wirtschaftlicher Güter gegenübergestellt, denen es, häufig unter anonymen Formen versteckt, gelingt, sich ihren sozialen Pflichten zu entziehen. So machen sie es dem Arbeiter beinahe unmöglich, sich ein wirkliches Eigentum zu schaffen.

Wir sehen das kleine und mittlere Eigentum im Leben der Gesellschaft schwinden und schwächer werden, da es zu einem immer härteren und hoffnungsloseren Verteidigungskampf gezwungen ist.

Wir sehen, wie auf der einen Seite riesige Reichtümer die private und öffentliche Wirtschaft und oft auch das staatsbürgerliche Wirken beherrschen, und auf der anderen sehen wir die unzählbare Menge jener, die, jeder direkten oder indirekten Sicherheit der eigenen Existenz beraubt, kein Interesse mehr an den wahren und hohen Werten des Geistes haben, sich dem Streben nach echter Freiheit verschließen, sich irgendeiner politischen Partei in die Arme werfen, als Sklaven eines jeden, der ihnen auf irgendeine Weise Brot und Frieden verspricht. Und die Erfahrung hat gezeigt, zu welcher Tyrannei die Menschheit unter solchen Umständen auch in der gegenwärtigen Zeit fähig ist (Aus der Rundfunkbotschaft an die Welt, 1. September 1943).

Über den Staat und die Steuergelder

Es besteht kein Zweifel hinsichtlich der Pflicht eines jeden Bürgers, sich an den öffentlichen Ausgaben zu beteiligen. Aber der Staat seinerseits hat, insofern es sein Amt ist, das Gemeinwohl der Bürger zu schützen und zu garantieren, die Pflicht, diesen nur notwendige und ihren Einnahmen angemessene Lasten aufzuerlegen. Die Steuer darf also niemals für die öffentliche Macht ein bequemes Mittel werden, ein Defizit auszugleichen, das durch unvernünftige Maßnahmen verursacht worden ist, einen Industrie- oder Handelszweig auf Kosten eines anderen ebenso nützlichen zu begünstigen. Der Staat muss sich alle Verschwendung öffentlicher Gelder versagen ... Die modernen Staaten tendieren heute dahin, ihre Eingriffe auszudehnen und eine steigende Anzahl von Diensten zu übernehmen; sie üben eine genauere Kontrolle über die Wirtschaft aus, greifen häufiger zum sozialen Schutz verschiedener Arbeiterkategorien ein; daher wächst ihr Geldbedarf im Verhältnis der sich aufblähenden Verwaltung. Oft ersticken die zu schweren Belastungen die Privatinitiative, halten die Entwicklung von Industrie und Handel zurück und entmutigen den guten Willen ...

Zusammenfassend kann man sagen, dass die beträchtlichen Dimensionen der heutigen Staaten eine sorgfältige Überprüfung und Neugestaltung der Steuergesetzgebung verlangen, die in mehr als einem Punkt noch auf einem sehr anfechtbaren Empirismus beruhen. Außerdem ist es entscheidend, dass die sittlichen Grundsätze, die eine Steuer rechtfertigen, klar in Erscheinung treten, sowohl für die Herrschenden wie für die der Verwaltung Unterstehenden, und dass sie wirklich angewandt werden (Aus der Ansprache an Teilnehmer der Tagung des Internationalen Verbandes für Steuer· und Finanzrecht, 2 Oktober 1956).

Über die Bedeutung des Mittelstandes

Gewiss stellt der Mittelstand kein neues Element der Gesellschaft dar, im Gegenteil. Aber die Entwicklung des Großkapitalismus einerseits und des Lohnarbeitertums andererseits hat eine Menge von Ordnungen und Institutionen hervorgerufen, bei denen ein wesentlicher Teil der Bürgerschaft eines jeden Landes, nämlich die, die gewöhnlich an der Produktion durch ihre persönliche Arbeit und ihr persönliches Kapital teilnehmen, die Handwerker, selbständigen Kaufleute, kleinen und mittleren Industriellen, die Mehrzahl der Landwirte, die freien Berufe, gewisse Beamten- und Angestelltenschichten und die meisten Rentner, übergangen werden ...

Die Mittelstellung, die Sie besitzen, der zahlenmäßig bedeutende Raum, den Sie in der Bevölkerung einnehmen, die Ihren Schichten eigenen Tugenden machen Sie zu einem Element der Mäßigung und des Gleichgewichts, das erstickt zu werden droht, wenn die Lasten, die ihm auferlegt werden, die tatsächliche Leistungsfähigkeit übersteigen. Durch die persönliche Verantwortung, die Sie gewöhnlich in Ihren Stellungen tragen, durch den oft anzutreffenden Charakter eines Familienbetriebs bei Ihren Unternehmen wird bei Ihnen der Sinn für Qualitätsarbeit, Sparsamkeit und Voraussicht erhalten und entwickelt, glückliche Früchte der relativen Unabhängigkeit, die, wie Sie mit Recht meinen, einen wesentlichen Zug Ihrer sozialen Schicht ausmacht. Man hat festgestellt, dass die Länder, in denen der Mittelstand zu klein oder zu schwach war, den schwersten und gewalttätigsten politischen Exzessen ausgesetzt sind. Sie sind gemäß Ihrer Tradition auf seiten der Stabilität und der auf die distributive Gerechtigkeit gestützten Schiedssprüche. Diese soziale Rolle kennzeichnet Sie; und Sie müssen ihr Sinn geben durch eine hohe Auffassung vom Gemeinwohl ...

Sie sollen auch ein Faktor sittlicher Gesundheit sein, denn Sie besitzen neben der Liebe zu einer gerechten Freiheit auch eine hohe Vorstellung von der persönlichen Würde und der gegenseitigen Achtung, ohne die das soziale Leben zu einem Kampf egoistischer und blinder Leidenschaften entarten würde. Möchten Sie Ihre Überlegungen und Schritte auch nach den Richtlinien jener Weisheit richten, die das Evangelium lehrt. Hat ein glückliches gesellschaftliches Gleichgewicht nicht seine sicherste Grundlage in einer Sittenordnung, die nicht auf kalten logischen Berechnungen beruht und sich vor allem um eine billige Verteilung der materiellen Güter kümmert, sondern auf der Gerechtigkeit und hochherzigen Liebe nach dem Beispiel Christi, das heißt einer selbstlosen Liebe, die mit Selbstvergessenheit, Verzicht und Opfer einhergeht und auf dieser strengen, aber von Gott selbst vorgezeichneten Bahn das einzige Mittel sieht, nach Möglichkeit in dieser Welt mehr Brüderlichkeit und Freude herrschen zu lassen? (Aus der Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses des Internationalen Mittelstandsinstituts, 25. Oktober 1956).

50. STAATSBÜRGER UND DEMOKRATIE

IN EINER STÄNDIG WACHSENDEN SCHAR edler Geister erwacht ein Gedanke, ein immer klarerer und festerer Entschluss: eine durchgreifende Neuordnnng der Welt. Staatsmänner, verantwortliche Vertreter der Völker finden sich zu Besprechungen zusammen mit dem Ziel. die grundlegenden Rechte und Pflichten zu bestimmen, auf denen eine Gemeinschaft der Staaten wiederhergestellt werden sollte, und nm den Weg in eine bessere, sicherere, der Menschheit würdigere Zukunft zu bahnen.

Ohne Zweifel kann man über den Wert, die Durchführbarkeit, die Wirksamkeit dieses oder jenes Vorschlags verschiedener Meinung sein; man kann wohl mit seinem Urteil darüber zurückhalten, aber es bleibt immerhin wahr, dass die Bewegung eingeleitet ist.

Überdies - und das ist vielleicht der wichtigste Punkt - sind die Völker wie aus langer Betäubung erwacht. Sie haben dem Staat, den Regierenden gegenüber eine neue Haltung eingenommen, eine fragende, kritische, misstrauische Haltung. Durch bittere Erfahrung belehrt, widersetzen sie sich mit größerem Nachdruck den ausschließlichen Befugnissen einer unkontrollierbaren und unantastbaren diktatorischen Macht und fordern ein Regierungssystem, das mit der Freiheit und Würde der Bürger besser vereinbar sei.

Diese unruhigen Massen, vom Krieg bis in die untersten Schichten aufgewühlt, sind heute von der - zuerst vielleicht unbestimmten und verworrenen, aber nunmehr unabweisbaren - Überzeugung beherrscht, dass, hätte nicht die Möglichkeit gefehlt, die Tätigkeit der öffentlichen Gewalt zu überwachen und zu berichtigen, die Welt nicht in den verhängnisvollen Wirbel des Krieges gezogen worden wäre und dass es, um für die Zukunft ähnliche Katastrophen zu vermeiden, nötig sei, im Volk selbst wirksame Sicherungen dagegen zu schaffen ...

Die Kirche verwirft keine Regierungsform

Es ist kaum notwendig, daran zu erinnern, dass es nach den Lehren der Kirche "keine Pflichtverletzung ist, eine Staatsverfassung von gemäßigter demokratischer Form vorzuziehen, solange dabei die katholische Lehre über Ursprung und Gebrauch der öffentlichen Gewalt gewährleistet bleibt", und dass "die Kirche keine der verschiedenen Regierungsformen verwirft, sofern sie nur an sich geeignet ist, das Gemeinwohl der Bürger zu sichern".

Wenn Wir also Unsere Aufmerksamkeit dem Problem der Demokratie zuwenden, um zu prüfen, nach welchen Richtlinien sie gestaltet sein muss, um sich eine wahre und gesunde Demokratie nennen zu können, eine Demokratie, die den Verhältnissen der gegenwärtigen Zeit entspricht, so zeigt sich deutlich, dass die Sorge und die Bemühung der Kirche nicht so sehr auf ihren äußeren Aufbau und ihre Gliederung gerichtet ist - die ja von den besonderen Neigungen jedes Volkes abhängen - als vielmehr auf den Menschen als solchen, der, weit entfernt, Gegenstand und passives Element des gesellschaftlichen Lebens zu sein, in Wahrheit dessen Träger, Grundlage und Ziel ist, und sein und bleiben muss.

Vorausgesetzt, dass die Demokratie, im weiteren Sinne verstanden, verschiedene Formen zulässt und sich ebenso gut in Monarchien wie in Republiken verwirklichen kann, bieten sich Uns zwei Fragen zur Prüfung dar:

1. Welche Eigenschaften müssen die Menschen kennzeichnen, die in der Demokratie und unter dem demokratischen Regime leben?

2. Welche Eigenschaften müssen die Männer auszeichnen, die in der Demokratie die öffentliche Gewalt innehaben?

Der Staatsbürger im demokratischen Staat

Die eigene Meinung über die Pflichten und die Opfer aussprechen zu können, die ihm auferlegt werden; nicht gezwungen zu sein zu gehorchen, ohne erst gehört zu werden: das sind zwei Rechte des Staatsbürgers, die in der Demokratie, wie ihr Name sagt, ihren Ausdruck finden. An der Festigkeit, am Einklang und an den guten Folgen dieser Verbindung zwischen Staatsbürgern und Staatsregierung kann man ermessen, ob eine Demokratie wirklich gesund und ausgeglichen ist und wie stark ihre Lebens- und Entwicklungskraft ist. Was sodann Art und Umfang der Opfer betrifft, die von allen Bürgern gefordert werden - besonders noch in unserer Zeit, in der das Wirken des Staates so weit gespannt und entscheidend ist -, so erscheint die demokratische Regierungsform vielen als eine natürliche, von der Vernunft selbst gestellte Forderung. Wenn man aber "mehr Demokratie und bessere Demokratie" verlangt, so kann eine solche Forderung nur bedeuten, es müsse dem Staatsbürger immer mehr die Möglichkeit geboten werden, sich eine eigene, persönliche Meinung zu bilden, ihr Ausdruck zu verleihen und in einer dem Gemeinwohl entsprechenden Weise Geltung zu verschaffen.

Volk und Masse

Daraus ergibt sich ein erster notwendiger Schluss samt seiner praktischen Folgerung. Der Staat enthält und vereinigt in sich nicht mechanisch auf einem gegebenen Gebiet eine gestaltlose Anhäufung von Individuen. In Wirklichkeit ist und muss er die organische und organisatorische Einheit eines echten Volkes sein.

Volk und gestaltlose Menge, oder, wie man zu sagen pflegt, "Masse", sind zwei verschiedene Begriffe. Das Volk lebt und bewegt sich aus eigener Lebenskraft; die Masse ist in sich träge und kann nur von außen bewegt werden. Das Volk lebt aus der Fülle des Lebens der Menschen, die es bilden und von denen jeder - an seinem Posten und der ihm eigenen Art - eine ihrer eigenen Verantwortung und der eigenen Überzeugung sich bewusste Person ist. Die Masse hingegen erwartet den Anstoß von außen, ein leichtes Spielzeug in den Händen jedes beliebigen, der ihre Instinkte und ihre Beeindruckbarkeit auszunutzen versteht; sie ist bereit, heute diesem, morgen jenem Banner zu folgen. Aus der Lebensfülle eines wirklichen Volkes ergießt sich das Leben reich und überströmend in den Staat und alle seine Organe und flößt ihnen mit unaufhörlich erneuerter Kraft das Bewusstsein eigener Verantwortung und den wahren Sinn für das Gemeinwohl ein. Auch der elementaren Kraft der Masse kann sich der Staat bedienen, wenn sie nur geschickt bearbeitet und genutzt wird. In den ehrgeizigen Händen eines einzelnen oder mehrerer, die selbstsüchtige Neigungen künstlich zusammengeführt haben, kann der Staat selbst, gestützt auf die Masse, die darauf beschränkt ist, nicht mehr als eine einfache Maschine zu sein, seine Willkür dem besseren Teil des wirklichen Volkes aufzwingen: Das Gemeinwohl wird dadurch hart und auf lange Zeit getroffen und die Wunde ist oft schwer zu heilen.

Daraus ergibt sich klar eine zweite Schlussfolgerung: Die Masse - wie Wir sie soeben gekennzeichnet haben - ist der Hauptfeind der wahren Demokratie und ihres Ideals von Freiheit und Gleichheit.

Ideal und Zerrbild des Staatsbürgers

In einem Volk, das dieses Namens würdig ist, fühlt der Bürger in sich selbst das Bewusstsein seiner Persönlichkeit, seiner Pflichten und seiner Rechte, seiner eigenen Freiheit, verbunden mit der Achtung vor der Freiheit und der Würde des anderen. In einem Volk, das dieses Namens würdig ist, sind alle die Ungleichheiten, die nicht aus der Willkür, sondern von der eigentlichen Natur der Dinge herrühren, von der Ungleichheit der Bildung, des Besitzes, der sozialen Stellung - wohlgemerkt ohne Nachteil für die Gerechtigkeit und gegenseitige Liebe -, durchaus kein Hindernis für das Bestehen und die Herrschaft eines echten Gemeinschaftsgeistes und einer wahren Brüderlichkeit; ja weit entfernt, auf irgendeine Weise die bürgerliche Gleichheit zu verletzen, verleihen sie ihr sogar ihren wahren Sinn, dass nämlich jeder dem Staate gegenüber das Recht hat, in Ehren das eigene persönliche Leben zu leben auf dem Platz und unter den Bedingungen, in die ihn die Fügung und Führung der göttlichen Vorsehung gestellt hat.

Welches Schauspiel bietet im Gegensatz zu diesem Bild des Ideals der demokratischen Freiheit und Gleichheit in einem Volk, das von redlichen und umsichtigen Händen geleitet wird, ein demokratischer Staat, der der Willkür der Masse ausgeliefert ist! Die Freiheit, insofern sie persönlich sittliche Verpflichtung ist, verwandelt sich in einen tyrannischen Anspruch auf ungehemmte Befriedigung menschlicher Gier und menschlicher Triebe zum Schaden der anderen. Die Gleichheit entartet in eine geistlose Gleichmacherei, in eine eintönige Gleichschaltung. Sinn für wahre Ehre, persönlichen Einsatz, Achtung vor Überlieferung, Würde - mit einem Wort, alles was dem Leben seinen Wert gibt, versinkt nach und nach und verschwindet. übrig nur bleiben auf der einen Seite die getäuschten Opfer des Trugbilds der Demokratie, das sie in ihrer Harmlosigkeit mit dem wahren Geiste der Demokratie, mit Freiheit und Gleichheit verwechselten; und auf der anderen Seite die mehr oder weniger zahlreichen Gewinner, die es verstanden haben, sich mit der Macht des Geldes oder der Organisation eine bevorzugte Stellung, ja die Gewalt über die andern zu sichern.

Menschen, die in der Demokratie die öffentliche Gewalt ausüben

Der demokratische Staat, ob monarchisch oder republikanisch, muss wie jede andere Regierungsform mit wahrer und wirksamer Autorität ausgestattet sein. Die gleiche absolute Ordnung des Seins und der Zwecke, die den Menschen als autonome Persönlichkeit ausweist, das heißt, als Träger unverletzlicher Pflichten und Rechte, als Ursprung und Ziel seines gesellschaftlichen Lebens, schließt auch den Staat als eine notwendige Gesellschaft ein, die mit jener Autorität versehen ist, ohne die sie weder bestehen noch leben könnte. Denn wenn die Menschen unter Berufung auf die persönliche Freiheit jede Abhängigkeit von einer höheren Autorität, die Zwangsgewalt besitzt, ablehnten, so würden sie gleichzeitig auch das Fundament ihrer eigenen Würde und Freiheit untergraben, eben jene absolute Ordnung des Seins und der Zwecke.

Auf diesem nämlichen Grunde errichtet, sind die Person, der Staat, die öffentliche Gewalt mit den entsprechenden Rechten dergestalt miteinander verbunden, dass sie zusammen stehen oder fallen.

Da nun diese unbedingt geltende Ordnung, im Lichte der gesunden Vernunft und vornehmlich des christlichen Glaubens gesehen, keinen anderen Ursprung haben kann als den persönlichen Gott, unseren Schöpfer, so folgt daraus, dass die Würde des Menschen die Würde des Ebenbildes Gottes ist, dass die Würde des Staates die Würde der von Gott gewollten moralischen Gemeinschaft, die Würde der öffentlichen Gewalt ist, und dass die Würde ihrer Teilhabe an der Autorität Gottes ist.

Keine Staatsform kann diese enge, unlösliche Verknüpfung übersehen, am wenigsten von allen die Demokratie. Wenn daher der Inhaber der öffentlichen Gewalt diese Verbindung nicht sieht oder sie mehr oder minder übersehen will, so erschüttert er seine eigene Autorität in ihrer Grundlage selbst. Ebenso wird, wenn er diese Beziehung nicht genügend in Betracht zieht und in seinem Amt nicht die Sendung erblickt, die von Gott gewollte Ordnung zu verwirklichen, die Gefahr entstehen, dass Herrschsucht oder Eigennutz die Oberhand gewinnen über die wesentlichen Forderungen der politischen und sozialen Moral und dass der leere Schein einer reinen Formaldemokratie oft nur als Maske für das dient, was dort in Wirklichkeit am wenigsten demokratisch ist.

Einzig die klare Einsicht in die von Gott jeder menschlichen Gesellschaft gesetzten Ziele, verbunden mit dem tiefen Gefühl für die hohen Aufgaben des sozialen Wirkens, kann jene, denen die Macht anvertraut ist, instandsetzen, ihre Pflichten in Bezug auf Gesetzgebung oder Rechtsprechung oder Exekutive mit jenem Bewusstsein der eigenen Verantwortung, jener Objektivität, jener Unparteilichkeit, jener Loyalität, jener Großherzigkeit, jener Unbestechlichkeit zu erfüllen, ohne die es einer demokratischen Regierung schwerlich gelingt, Achtung, Vertrauen und Zustimmung des besseren Teils des Volkes zu erwerben.

Die Volksvertretung

Das tiefere Erfassen der Grundsätze einer politischen und sozialen Ordnung, die gesund ist und den Normen des Rechts und der Gerechtigkeit entspricht, ist von besonderer Bedeutung für jene, die, in jeder Art von demokratischem Regime, als Volksvertreter die gesetzgebende Gewalt ganz oder zum Teil innehaben. Und da der Schwerpunkt einer richtig aufgebauten Demokratie eben in dieser Volksvertretung liegt, von der aus die politischen Ströme in alle Bereiche des öffentlichen Lebens gehen - zum Bösen wie zum Guten -, so ist die Frage des moralischen Niveaus, der praktischen Eignung, der intellektuellen Fähigkeit der Abgeordneten im Parlament für jedes demokratisch regierte Volk eine Frage, von der Leben und Tod, Wohlstand und Verfall, Gesundung oder dauerndes Siechtum abhängen. Um eine fruchtbare Tätigkeit zu entfalten, um Achtung und Vertrauen zu gewinnen, muss jede gesetzgebende Körperschaft - wie unzweifelhafte Erfahrung beweist - über eine Auslese von geistig hervorragenden, charakterfesten Männern verfügen, die sich als Vertreter des ganzen Volkes betrachten und nicht als Beauftragte einer Gruppe, deren Sondervorteilen leider nur zu oft die wahren Bedürfnisse und die wahren Forderungen des Gemeinwohls geopfert werden. Eine Auslese von Männern muss es sein, die nicht auf irgendeinen Beruf oder Stand beschränkt sein soll, sondern vielmehr das vielfältige Leben des gesamten Volkes widerspiegelt. Eine Auslese von Männern von tiefer christlicher Überzeugung und Gesinnung, von gerechtem und sicherem Urteil, von praktischem und ausgeglichenem Wesen, sich selber treu in allen Lagen; Männer von klarer und gesunder Weltanschauung, beharrlich und gradlinig in ihren Zielen; Männer vor allem, die fähig sind, kraft der Autorität, die von ihrem reinen Gewissen ausgeht und weit um sie ausstrahlt, Führer und Lenker zu sein, besonders in den Zeiten, in denen die dräuende Not die Beeindruckbarkeit des Volkes übermächtig erregt, und es leichter in Gefahr bringt, irregeleitet zu werden und sich zu verlieren; Männer, die in Übergangszeiten, die allgemein von Leidenschaften, Meinungsverschiedenheiten und Programmgegensätzen zerrissen sind, sich doppelt verpflichtet fühlen, in den Adern des Volkes und des Staates, die von tausend Fiebern brennen, das geistige Gegengift klarer Ansichten, zuvorkommender Güte, einer für alle gleich gewogenen Gerechtigkeit und eines auf Einigung und Eintracht des Volkes im Geiste aufrichtiger Brüderlichkeit gerichteten Willens kreisen zu lassen.

Die Völker, deren geistige und sittliche Anlage gesund und fruchtbar ist, finden in sich selbst und können der Welt Herolde und Werkmeister der Demokratie geben, Männer, die in jener inneren Verfassung leben und es verstehen, sie zur Tat werden zu lassen. Wo hingegen solche Männer fehlen, nehmen andere ihren Platz ein und machen aus der politischen Tätigkeit den Kampfplatz ihres Ehrgeizes, ein Rennen nach Gewinn für sich selbst, für ihre Kaste oder Klasse, während die Jagd nach Sonderinteressen sie das wahre Gemeinwohl aus den Augen verlieren lässt und dieses der Gefahr überantwortet.

Der Staatsabsolutismus

Eine gesunde Demokratie, die sich auf die unabänderlichen Grundsätze des Naturgesetzes und der geoffenbarten Wahrheiten gründet, wird geschlossen gegen jene Verderbnis Stellung nehmen, die der Gesetzgebung des Staates eine zügel- und grenzenlose Macht erteilt und die auch aus der demokratischen Staatsform trotz des entgegengesetzten trügerischen Scheins, einfachhin ein absolutistisches System macht.

Der Staatsabsolutismus (der als solcher nicht mit der absoluten Monarchie zu verwechseln ist, von der hier nicht die Rede ist), besteht in der Tat in der irrigen Auffassung, dass die Staatsautorität unbegrenzt sei, und dass es ihr gegenüber - auch wenn sie ihren despotischen Absichten über die Grenzen von Gut und Böse hinweg freien Lauf lässt - keine Berufung auf ein höheres und sittlich verpflichtendes Gesetz gebe.

Ein Mann mit rechten Vorstellungen über den Staat, die Autorität und die Macht, mit der er als Hüter der sozialen Ordnung ausgestattet ist, wird nie daran denken, die Majestät des positiven Gesetzes im Bereich seiner naturgemäßen Zuständigkeit zu verletzen. Aber diese Majestät des positiven menschlichen Rechtes ist nur dann unanfechtbar, wenn es der absoluten Ordnung gemäß ist - oder ihr wenigstens nicht widerstreitet - die der Schöpfer aufgerichtet und durch die Offenbarung des Evangeliums in ein neues Licht gerückt hat. Es kann nur so weit bestehen, wie es das Fundament achtet, auf dem die menschliche Person nicht weniger als der Staat und die öffentliche Gewalt ruht. Dies ist das grundlegende Kennzeichen jeder gesunden Regierungsform einschließlich der Demokratie, der Prüfstein, nach dem der sittliche Wert jedes einzelnen Gesetzes beurteilt werden muss.

Wir wollten zeigen, auf welchen Wegen eine Demokratie, die der menschlichen Würde entspricht, in Übereinstimmung mit dem Naturrecht und mit den Plänen Gottes, die in der Offenbarung kundgetan sind, zu wohltätigen Ergebnissen gelangen kann; denn Wir fühlen tief die hohe Bedeutung dieses Problems für den friedlichen Fortschritt der menschlichen Familie. Zugleich aber sind Wir Uns der hohen Anforderungen bewusst, die diese Regierungsform der sittlichen Reife der einzelnen Staatsbürger auferlegt, einer sittlichen Reife, die gänzlich und mit Sicherheit zu erreichen man vergeblich versuchen würde, wenn nicht das Licht des Stalles von Bethlehem den dunklen Pfad erhellte, auf dem die Völker aus der sturmbewegten Gegenwart einer Zukunft entgegenschreiten, die, wie sie hoffen, glücklicher sein wird (Aus der Rundfunkbotschaft an die Welt, 24. Dezember 1944).

51. DIE ATHEISTISCHEN DIKTATUREN

EIN CHARAKTERISTISCHES MERKMAL, das den Verfolgern zu allen Zeiten gemeinsam ist, besteht darin, dass sie, nicht zufrieden damit, ihre Opfer physisch niederzuwerfen, sie auch noch dem Vaterland und der Gesellschaft verächtlich und verhasst machen wollen.

Wer erinnert sich nicht der ersten römischen Märtyrer, die unter Nero geopfert und als Brandstifter, als verabscheuungswürdige Übeltäter, als Feinde des Menschengeschlechts hingestellt wurden? Die modernen Verfolger erweisen sich als gelehrige Schüler dieser unrühmlichen Schule.

Sie eifern ihren Lehrern und Vorbildern nach, wenn sie dieselben nicht noch an Grausamkeit übertreffen, und überragen sie geschickt, wie sie sind, in der Kunst, die jüngsten Fortschritte der Wissenschaft und der Technik zum Zweck einer Beherrschung und Knechtung des Volkes anzuwenden, wie sie in der Vergangenheit nicht vorstellbar gewesen wäre.

Die Kirche Christi geht den Weg, den ihr der göttliche Erlöser vorgezeichnet hat. Sie weiß sich ewig, sie weiß, dass sie nicht untergehen kann, dass die heftigsten Stürme sie nicht zu überfluten vermögen. Sie bettelt nicht um Gunst, die Drohungen und die Ungnade der irdischen Macht schüchtern sie nicht ein. Sie mischt sich nicht in rein politische und wirtschaftliche Fragen ein, und lässt sich nicht ein in den Streit über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der einen oder der anderen Regierungsform. Im Streben, mit allen in Frieden zu leben, soweit es von ihr abhängt, gibt sie dem Kaiser, was ihm von Rechts wegen zukommt, aber sie kann nicht verraten und aufgeben, was Gottes ist.

Nun ist wohlbekannt, was der totalitäre und religionsfeindliche Staat als Preis für ihre Duldung oder ihre fragliche Anerkennung von ihr verlangt und erwartet.

Darf der Papst dazu schweigen?

Dem Papst aber sind göttliche Verheißungen gegeben. Auch In seiner menschlichen Schwachheit ist er unbesiegbar und unerschütterlich. Als Verkünder der Wahrheit und Gerechtigkeit, als Prinzip der Einheit der Kirche brandmarkt er Irrtümer, alle Formen von Götzendienst und Aberglauben; er verurteilt die Ungerechtigkeiten und ladet alle zu Mildtätigkeit und Tugend ein.

Darf er also schweigen, wenn in einer Nation die Kirchen durch Gewalt und List von Rom, dem Zentrum der Christenheit, mit dem sie verbunden sind, losgerissen werden, wenn man alle griechischkatholischen Bischöfe gefangensetzt, weil sie sich weigern, von ihrem Glauben abzufallen, wenn man Priester und Gläubige verfolgt, weil sie es von sich weisen, sich von ihrer wahren Mutter, der Kirche, zu trennen?

Darf der Papst schweigen, wenn den Eltern das Recht, die eigenen Kinder zu erziehen, von einer Minderheitsregierung genommen wird, die sie von Christus entfernen will?

Darf der Papst schweigen, wenn ein Staat die Grenzen seiner Zuständigkeit überschreitet und sich die Macht anmaßt, die Diözesen aufzuheben, die Bischöfe abzusetzen, die kirchliche Organisation umzustürzen und sie auf einen Zustand zurückzuführen, der unter den Mindestforderungen liegt, die für eine wirksame Seelsorge gesteilt werden müssen?

Darf der Papst schweigen, wenn es so weit kommt, dass man einen Priester mit Kerker bestraft, weil er bezichtigt wird, er habe das heiligste und unverletzlichste der Geheimnisse nicht verletzen wollen, das Geheimnis des Bußsakraments?

Ist dies alles vielleicht unrechtmäßige Einmischung In die politischen Machtbefugnisse des Staates? Wer könnte das redlicherweise behaupten? (Aus der Ansprache an die Bevölkerung von Rom, 2. Februar 1949).

52. WAHLEN UND STIMMRECHT

RECHT UND PFLICHT IST ES, die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf die außerordentliche Wichtigkeit der Wahlen und die sittliche Verantwortung hinzuweisen, die sich aus ihnen für alle ergibt, die Stimmrecht haben. Ohne Zweifel will die Kirche außerhalb und über den politischen Parteien bleiben. Aber wie könnte sie gleichgültig sein gegenüber der Zusammensetzung eines Parlaments, dem die Verfassung die Macht verleiht, Gesetze zu geben in Dingen, die unmittelbar die höchsten religiösen Interessen und die Lebensbedingungen der Kirche selbst angehen?

Auch andere schwierige Fragen, vor allem die wirtschaftlichen Probleme und Kämpfe, berühren unmittelbar das Wohlergehen des Volkes. Insofern sie zeitlicher Art sind (wenngleich auch sie die sittliche Ordnung betreffen), überlassen die Männer der Kirche anderen die Sorge, sie zu erwägen und fachmännisch zu behandeln zum allgemeinen Nutzen des Volkes. Aus all dem folgt:

Das Wahlrecht ist strenge Pflicht für alle Männer wie Frauen, die das Recht dazu haben, sich an den Wahlen zu beteiligen. Wer sich dessen enthält, insbesondere aus Gleichgültigkeit oder Feigheit, begeht an sich eine schwere Sünde, lädt eine tödliche Schuld auf sich.

Jeder hat nach seinem eigenen Gewissen abzustimmen. Nun ist es offenkundig, dass die Stimme des Gewissens jedem echten Katholiken befiehlt, seine Stimme jenen Kandidaten oder jener Liste von Kandidaten zu geben, die wirklich ausreichende Sicherheit bieten für den Schutz der Rechte Gottes und der Seelen wie für das Heil der einzelnen, der Familien und der Gesellschaft nach Gottes Gesetz und der christlichen Sittenlehre (Aus der Ansprache an die Delegierten der Internationalen Konferenz über Auswanderungsfragen, 17. Oktober 1951).

53. DER KLASSENKAMPF

DAS GEWICHT DER GEGENWÄRTIGEN HARTEN VERHÄLTNISSE lastet besonders schwer auf der Masse der Arbeiter; doch wenn auch mehr belastet und gedrückt als andere, tragen sie doch nicht allein daran. Jeder Stand muss seine Bürde tragen; dabei ist die eine mehr, die andere weniger lästig und beschwerlich. Nicht nur die soziale Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen fordert Reformen, sondern die ganze, in ihrem Gefüge schwer erschütterte Gesellschaftsstruktur bedarf der Verbesserung und Wiederherstellung.

Wer sieht aber nicht, dass die Arbeiterfrage wegen der Schwierigkeit und Vielfalt der Probleme, die sie in sich birgt, und wegen der großen Zahl von Menschen, die sie betrifft, von so großer Wichtigkeit ist, dass sie aufmerksame, wachsame und vorausschauende Sorge erfordert? Eine überaus heikle Frage, man möchte sagen der neuralgische Punkt des Gesellschaftskörpers, aber auch zuweilen ein beweglicher und unsicherer Boden, voll leichter Illusionen und eitler, nicht zu verwirklichender Hoffnungen für den, der nicht von vornherein in Verstand und Herz die Lehre der Gerechtigkeit, der Billigkeit, der Liebe, der gegenseitigen Achtung und des Zusammenlebens trägt, wie sie vom Gesetze Gottes und der Stimme der Kirche eingeschärft werden.

Ein Lohn, der die Existenz der Familie sichert und den Eltern die Erfüllung ihrer natürlichen Pflicht ermöglicht, eine gesund genährte und gekleidete Nachkommenschaft heranwachsen zu lassen; eine menschenwürdige Wohnstatt, die Möglichkeit, den Kindern eine gute Ausbildung und eine passende Erziehung zu gewähren, Vorsorge zu treffen für Zeiten der Not, der Krankheit und des Alters: diese Bedingungen gesellschaftlicher Vorsorge müssen erfüllt sein, wenn man will, dass die Gesellschaft nicht ständig von trüben Gärungen und gefährlichen Zuckungen erschüttert werde, sondern ruhig in Harmonie, in Frieden und gegenseitiger Liebe fortschreite.

Aber so lobenswert auch mancherlei Maßnahmen und Zugeständnisse der öffentlichen Gewalt und das großherzige menschliche Gefühl nicht weniger Arbeitgeber sein mag, wer könnte in Wahrheit behaupten, dass diese Wünsche überall erfüllt sind?

Jedenfalls empfinden und wägen die Arbeiter und Arbeiterinnen im Bewusstsein ihrer großen Verantwortung für das Gemeinwohl die Pflicht, das Gewicht der außerordentlichen Schwierigkeiten, von denen die Völker bedrückt werden, nicht zu vergrößern, indem sie in dieser Stunde allgemeiner und gebieterischer Notwendigkeiten ihre Forderungen laut und in unbesonnener Erregung vortragen, sondern ruhig und beherrscht bei der Arbeit ausharren und so eine unschätzbare Stütze für die Ruhe und den Nutzen aller im sozialen Zusammenleben bilden. Solch friedfertiger Eintracht zollen Wir Unser Lob.

Die Kirche, Hüterin und Lehrerin der Wahrheit, die mutig die Rechte des arbeitenden Volkes behauptet und verficht, hat im Kampf gegen den Irrtum wiederholt davor gewarnt, sich von dem Blendwerk gleisnerischer und oberflächlicher Theorien und Visionen künftigen Wohlstandes und von den trügerischen Verlockungen falscher Lehrer eines gesellschaftlichen Wohlstandes täuschen zu lassen, die das Böse gut und das Gute bös nennen und sich als Freunde des Volkes ausgeben, aber zwischen Kapital und Arbeit und zwischen Arbeitgebern und Arbeitern nicht jenes gegenseitige Verständnis wünschen, das die soziale Eintracht zum allgemeinen Fortschritt und Nutzen aufrechterhält und fördert.

Weltrevolution und Diktatur der Arbeiterklasse

Wann haben ihren Worten jemals die Tatsachen entsprochen oder ihre Hoffnungen sich verwirklicht? Betrug und Enttäuschung erlebten und erleben die Einzelnen und die Völker, die ihnen Glauben schenkten und ihnen auf Wegen folgten, die, weit entfernt, zum Besseren zu führen, die Lebensverhältnisse und die materielle und sittliche Entwicklung verschlechtern. Diese falschen Führer erklären, das Heil müsse aus einer Revolution hervorgehen, die den Bestand der Gesellschaft verändert oder nationalen Charakter annimmt.

Die soziale Revolution rühmt sich, sie erhebe die Arbeiterklasse zur Macht. Ein eitles Wort und ein bloßer Schein einer unmöglichen Wirklichkeit! Tatsächlich bleibt das arbeitende Volk an die Macht des Staatskapitalismus gebunden, die alle drückt, unterwirft, die Familie nicht weniger als die Gewissen, und die Arbeiterschaft in eine riesige Arbeitsmaschine verwandelt. Nicht anders als andere soziale Systeme und Ordnungen, die er zu bekämpfen vorgibt, gestaltet er alles in ein furchtbares Kriegsinstrument um, das nicht nur Blut und Gesundheit, sondern auch Besitz und Wohlstand des Volkes fordert. Und wenn die Führenden stolz sind auf diesen oder jenen Vorteil oder irgendeine Verbesserung im Bereich der Arbeit, die sie laut rühmen, so ist ein solcher materieller Gewinn niemals ein angemessener Ausgleich für die jedem einzelnen auferlegten Entsagungen, die die Rechte der Person, die Freiheit in der Leitung der Familie, in der Ausübung des Berufs, in der Stellung als Staatsbürger und besonders in der Ausübung der Religion und sogar das Gewissen verletzen.

Nein, nicht in der Revolution liegt das Heil, und es ist gegen die echte christliche Weltanschauung, wenn man - einzig im Gedanken an den ausschließlichen materiellen Vorteil, der doch immer ungewiss bleibt - nach einer Revolution strebt, die aus der Ungerechtigkeit und der bürgerlichen Insubordination hervorgeht, und die traurige Schuld auf sich lädt, das Blut der Mitbürger zu vergießen und gemeinsame Güter zu vernichten. Wehe dem, der vergisst, dass eine echte nationale Gesellschaft die soziale Gerechtigkeit in sich schließt und eine billige und angemessene Beteiligung aller an den Gütern des Landes fordert. Andernfalls würde die Nation in sentimentaler Heuchelei enden, in wahnhaften Vorwänden, einem Deckmantel gewisser Kreise, die sich den Opfern entziehen wollen, die zur Erhaltung des Gleichgewichts und der Ruhe und Ordnung unumgänglich sind. Und dann, wenn aus der Gesellschaft der Adel verschwunden ist, den ihr Gott verliehen hat, würden der Wettbewerb und die inneren Kämpfe eine furchtbare Drohung für alle werden.

Nicht in der Revolution, sondern in einer einträchtigen Evolution liegen das Heil und die Gerechtigkeit. Gewalttätigkeit hat immer nur zerstört, nie aufgebaut, hat die Leidenschaften nur entflammt, nicht beruhigt, hat Hass und Zerstörung vermehrt, aber nicht die Streitenden versöhnt, und hat Menschen und Parteien gezwungen, nach schmerzlichen Prüfungen auf den Trümmern der Zwietracht langsam wiederaufzubauen. Nur eine fortschreitende, vorsichtige, mutige, der Natur gemäße Evolution, die von den heiligen christlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Billigkeit erleuchtet und geleitet wird, kann zur Erfüllung der gerechten Wünsche und Bedürfnisse des Arbeiters führen.

Statt Abschaffung Ausbreitung des Privateigentums

Also: Nicht zerstören, sondern aufbauen und festigen! Nicht das Privateigentum abschaffen, das Fundament der Festigkeit der Familie, sondern seine Ausbreitung fördern als Frucht der gewissenhaften Mühe jeden Arbeiters und jeder Arbeiterin, so dass sich daraus die allmähliche Verminderung jener unruhigen und verwegenen Volksmassen ergibt, die sich, bald aus finsterer Verzweiflung, bald aus blindem Instinkt, von jedem Wind trügerischer Lehren oder von den arglistigen Künsten skrupelloser Agitatoren verführen lassen.

Nicht das Privatkapital zerstreuen, sondern eine vorsichtig überwachte Ordnung desselben fördern, als Mittel und Stütze zur Erlangung und Erweiterung des wahren materiellen Wohls des ganzen Volkes.

Nicht die Industrie zurückdrängen noch ihr einen ausschließlichen Vorzug geben, sondern ihre harmonische Koordination mit Handwerk und Landwirtschaft herbeiführen, wodurch die vielfältige, notwendige Produktion des nationalen Bodens genutzt wird. - Im Gebrauch der fortschrittlichen technischen Mittel ist nicht einzig der größtmögliche Gewinn im Auge zu behalten, sondern ihre Ergebnisse sind auch dazu zu verwenden, die persönlichen Verhältnisse des Arbeiters zu verbessern, seine Arbeit weniger mühevoll und hart zu machen und die Bindung seiner Familie an den Boden, auf dem er lebt, und an die Arbeit, von der er lebt, zu festigen.

Nicht danach ist zu streben, das Leben der Einzelnen gänzlich von der Willkür des Staates abhängig zu machen, sondern es ist darauf hinzu wirken, dass der Staat, dessen Pflicht es ist, das Gemeinwohl zu fördern, durch soziale Einrichtungen (wie Sozialversicherung und soziale Fürsorge) ergänze, unterstütze und vollende, und so das Wirken der Arbeiterorganisationen fortführe, insbesondere das Wirken der Familienväter und Mütter, die sich und den Ihren mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt erwerben.

Man wird vielleicht sagen, dies sei eine schöne Vision, aber wie wird man sie verwirklichen und ihr mitten im Volke Leben einhauchen können? Dazu bedarf es vor allem einer großen Redlichkeit des Wollens und einer vollkommenen Loyalität der Absichten und des Verhaltens in der Leitung und Regierung des öffentlichen Lebens, sowohl seitens der Bürger wie seitens der Obrigkeit. Dazu ist notwendig, dass ein Geist wahrer Einracht und Brüderlichkeit alle beseele: Hohe und Niedere, Direktoren und Arbeiter, Große und Kleine, mit einem Wort: alle Stände des Volkes (Aus der Ansprache an die Vertreter der italienischen Arbeiter, 13. Januar 1943).

Ist Religion Opium für den Arbeiter?

Der Mensch ist das Ebenbild des einen und dreieinigen Gottes und daher ebenfalls Person, Bruder des Gottmenschen Jesus Christus, und mit ihm und durch ihn ist er Erbe des ewigen Lebens: das ist seine wahre Würde.

Wenn je irgendein Mensch auf der Welt, so muss sich gewiss der Arbeiter immer mehr von dieser Wahrheit durchdringen und überzeugen lassen. Man hat behauptet, und behauptet heute noch, die Religion mache den Arbeiter schlaff im täglichen Leben, in der Verteidigung seiner privaten und öffentlichen Interessen, sie schläfere ihn ein wie Opium, indem sie ihn mit der Hoffnung auf ein Leben im Jenseits gänzlich zur Ruhe bringe.

Ein offenkundiger Irrtum! Wenn die Kirche in ihrer Gesellschaftslehre immer wieder auf der Rücksicht besteht, die der inneren Würde des Menschen geschuldet ist, wenn sie für den Arbeiter im Arbeitsvertrag den gerechten Lohn verlangt, wenn sie für ihn wirksame Hilfe in seinen geistigen und geistlichen Nöten fordert, was anders ist Beweggrund für all das, wenn nicht der, dass der Arbeiter Mensch ist, dass seine Arbeitskraft nicht als "Ware" betrachtet und behandelt werden darf, dass seine Arbeit immer eine persönliche Leistung darstellt?

Gerade jene Welterneuerer, die die Sorge für die Interessen der Arbeiter gleichsam wie ein Monopol für sich beanspruchen, und die erklären, ihr System sei das einzige wirklich soziale, schützen die persönliche Würde des Arbeiters nicht, sondern machen aus seiner Arbeitskraft ein bloßes Objekt, über das die Gesellschaft nach ihrem freien Belieben und mit voller Willkür verfügt.

Die Kirche sagt, dass die menschliche Freiheit ihre Grenzen in dem göttlichen Gesetz und in den vielfältigen Pflichten findet, die das Leben mit sich bringt. Zugleich aber bemüht sie sich darum und wird sich bis zum letzten darum bemühen, dass jeder seine Tage im Glück seines Heims und unter ruhigen und anständigen Bedingungen in Frieden mit Gott und den Menschen verbringen kann. Die Kirche verspricht nicht jene absolute Gleichheit, die andere proklamieren, weil sie weiß, dass das Zusammenleben der Menschen immer wieder und notwendigerweise eine ganze Stufenleiter von Unterschieden in den physischen und den geistigen Eigenschaften, den inneren Anlagen und Neigungen, den Tätigkeiten und den Verantwortlichkeiten hervorbringt. Aber zu gleicher Zeit sichert sie die volle Gleichheit in der menschlichen Würde zu ebenso wie in dem Herzen dessen, der alle zu sich ruft, die mühselig und beladen sind, und sie einlädt, sein Joch auf sich zu nehmen, um Frieden und Ruhe für ihre Seelen zu finden, weil sein Joch süß ist und seine Bürde leicht.

Auf solche Art, um die menschliche Würde und Freiheit zu schützen, und nicht, um die Sonderinteressen dieser oder jener Gruppe zu begünstigen, verwirft die Kirche jeden Staatstotalitarismus und schwächt auch nicht mit dem Gedanken an das Jenseits die gerechte Verteidigung der Rechte der Arbeiter auf Erden. Vielmehr jene Welterneuerer, auf die Wir hindeuteten, opfern, während sie den Augen des Volkes das Trugbild einer Zukunft voll illusorischen Wohlstands und unerreichbaren Reichtums vorspiegeln, mit dem Aberglauben an Technik und Organisation die Würde der menschlichen Person und das häusliche Glück den Götzen eines schlecht verstandenen irdischen Fortschritts.

Konzeption der Lebensbedingungen des Menschen

Die Kirche als erfahrene Erzieherin der menschlichen Familie und getreu der Sendung, die ihr von ihrem göttlichen Stifter anvertraut ist, verkündet die Wahrheit der einzigen vollkommenen Seligkeit, die uns im Himmel bereitet ist. Aber gerade dadurch stellt sie die Gläubigen fest und stark auf den Boden der gegenwärtigen Wirklichkeit. Denn der höchste Richter, der uns am Ende des irdischen Lebens auf der Schwelle der Ewigkeit erwartet, ermahnt alle in hoher und bescheidener Stellung gewissenhaft die Gaben zu gebrauchen, die sie von Gott erhalten haben, jede Ungerechtigkeit zu meiden und jede Gelegenheit zu Werken der Liebe und des Guten zu nutzen. Das ist das einzige Maß jeden Fortschritts, denn dieser ist nur dann echt und nicht fiktiv, wenn er ein Fortschreiten zu Gott und in der Ähnlichkeit mit ihm ist. Alle rein irdischen Maßnahmen des Fortschritts sind eine Illusion, beinahe hätten Wir gesagt: eine Verspottung des Menschen inmitten einer Welt, die unter dem Gesetz der Erbsünde und ihrer Folgen steht und die daher, obgleich sie auch mit dem Licht und der Gnade Gottes unvollkommen ist, ohne dieses Licht und ohne diese Gnade in einen Abgrund von Elend, Unrecht und Selbstsucht stürzen würde.

Nur diese religiöse Auffassung des Menschen kann auch zu einer einheitlichen Auffassung seiner Lebensbedingungen führen. Wo Gott nicht Anfang und Ende ist, wo die Ordnung seiner Schöpfung nicht für alle Richtschnur und Maß der Freiheit und des Handeins ist, da ist die Einheit unter den Menschen nicht zu verwirklichen. Die materiellen Lebens- und Arbeitsbedingungen können für sich allein niemals das Fundament der Einheit der Arbeiterklasse auf der Basis einer angeblichen Gleichförmigkeit der Interessen bilden. Hieße das nicht der Natur Gewalt antun, und würde es nicht nur neue Bedrückungen und neuen Zwiespalt in der menschlichen Familie schaffen, in einem Augenblick, in dem sich jeder redliche Arbeiter nach einer gerechten und friedlichen Ordnung der privaten und öffentlichen Wirtschaft und des ganzen sozialen Lebens sehnt?

Jede rechtmäßige Macht über die Menschen kann ihren Ursprung und ihr Dasein nur aus der Macht dessen ziehen, der sie kraft seiner Natur besitzt im Himmel und auf Erden, ohne Grenzen von Raum und Zeit: Jesu Christi, der über die Großen der Welt herrscht, der uns liebt und der uns mit seinem Blut von der Sünde erlöst hat, dem Ruhm und Macht gebührt in alle Ewigkeit (Offb 1,6), (Aus der Ansprache an die Fiat-Arbeiter, 31. Oktober 1948).

54. KAPITAL UND ARBEIT

MIT WOHLWOLLEN UND INTERESSE sehen Wir immer wieder Arbeiter und Vertreter industrieller Organisationen zu Uns kommen, die mit einem Vertrauen, das Uns tief bewegt, ihre verschiedenen Sorgen darlegen.

Wir sprechen von den Sorgen derer, die an der industriellen Produktion beteiligt sind. Irrig und verhängnisvoll in seinen Folgen ist das leider nur allzu verbreitete Vorurteil, als ob in ihnen ein unauflösbarer Gegensatz widerstreitender Interessen zu erblicken sei. Es handelt sich jedoch nur um einen scheinbaren Gegensatz, denn im wirtschaftlichen Bereich gibt es Aufgaben und Interessen, die Leiter wie Arbeiter eines Unternehmens in gleicher Weise angehen. Diese gegenseitige Verbindung verkennen, sie zerreißen zu wollen, ist das Ergebnis der Willkür eines blinden und vernunftwidrigen Despotismus. Unternehmer und Arbeiter sind keine unversöhnbaren Gegner. Sie sind Mitarbeiter an einem gemeinsamen Werk. Sie essen, möchte man fast sagen, am gleichen Tisch. Denn sie leben schließlich vom Gesamtertrag der Wirtschaft ihres Landes. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Nutzen, und unter diesem Gesichtspunkt versklaven ihre gegenseitigen Beziehungen durchaus nicht die einen gegenüber den anderen.

Der eigene Nutzen

Das Bestreben, den eigenen Nutzen zu suchen, gehört mit zur persönlichen Würde jedes Einzelmenschen, der, in der einen oder anderen Form, als Unternehmer oder als Arbeiter, aktiv an der Produktion der Wirtschaft des Landes mitwirkt. In der Bilanz der Privatindustrie kann die Summe der Löhne und Gehälter als Passivum für den Arbeitgeber erscheinen. Aber in der Wirtschaft eines Landes gibt es nur eine Art von Ausgaben, nämlich die natürlichen Güter, die zur Produktion verwertet werden und daher beständig erneuert werden müssen.

Daraus folgt, dass beide Teile sich so verhalten müssen, dass die Ausgaben dem Ertrag der Produktion des Landes angeglichen sind. Wenn also ihr Interesse das gleiche ist, warum sollte es sich dann nicht auf eine gemeinsame Formel bringen lassen? Warum sollte es nicht erlaubt sein, den Arbeitern einen gerechten Anteil an der Verantwortung für die Gestaltung und die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Landes zuzugestehen, zumal heute, wo der Kapitalmangel, die Schwierigkeit des internationalen Austauschs das freie Spiel der Produktionskosten lähmen? Die jüngsten Sozialisierungsexperimente haben die traurige Wirklichkeit um so offenkundiger gemacht. Es ist einleuchtend, dass sie weder dem bösen Willen der einen zugeschrieben, noch von dem guten Willen der anderen aufgehoben werden kann. Aber warum sollte man nicht, solange es noch Zeit ist, die Dinge im vollen Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung ordnen, so dass die einen vor ungerechtem Misstrauen, die anderen vor Illusionen bewahrt werden, die beide bald zu einer sozialen Gefahr werden müssten?

Unser Vorgänger Pius XI. hatte eine konkrete und zweckmäßige Formel für die Gemeinsamkeit der Interessen und der Verantwortung am Werk der nationalen Wirtschaft vorgeschlagen, als er in der Enzyklika Quadragesimo Anno die "Berufsorganisation" in den verschiedenen Produktionszweigen empfahl. Um den wirtschaftlichen Liberalismus zu überwinden, schien ihm nichts angezeigter für die soziale Wirtschaft als die Annahme einer Satzung öffentlichen Rechtes, das sich gerade auf die gemeinsame Verantwortung aller, die an der Produktion beteiligt sind, gründet. In diesem Punkte der Enzyklika sehen die einen ein Zugeständnis an die neuzeitlichen politischen Strömungen, die anderen einen Rückfall ins Mittelalter. Viel vernünftiger wäre es gewesen, die alteingewurzelten, haltlosen Vorurteile aufzugeben, und sich guten Glaubens und guten Willens an die Verwirklichung der Sache selbst und ihrer vielfachen praktischen Anwendung zu machen.

Verstaatlichung

Es scheint uns jedoch heute dieser Teil der Enzyklika leider ein Beispiel für jene günstigen Gelegenheiten geworden zu sein, die verpasst werden, weil man sie nicht rechtzeitig zu nützen versteht. Zu spät denkt man sich andere Formen einer öffentlichen politischen Organisation der sozialen Wirtschaft aus; unter ihnen stehen zur Zeit die Verstaatlichung und die Rationalisierung der Industrie im Vordergrund. In den rechten Grenzen erlaubt auch die Kirche die Verstaatlichung; sie sagt, dass gewisse Gruppen von Gütern rechtmäßigerweise der Staatsgewalt vorbehalten bleiben können, nämlich jene, die mit solcher Macht ausgestattet sind, dass sie nicht an einzelne übertragen werden können, ohne das Gemeinwohl in Gefahr zu bringen. Aber diese Verstaatlichung zur normalen Regel der öffentlichen Organisation der Wirtschaft zu machen, hieße die Ordnung der Dinge verkehren. Aufgabe des öffentlichen Rechts ist es, dem privaten Recht zu dienen, nicht, es zu absorbieren. Die Wirtschaft ist, wie übrigens ein jeder andere Zweig menschlichen Wirkens, nicht wesentlich eine staatliche Einrichtung, sondern im Gegenteil das lebendige Produkt freier Initiative von einzelnen und von frei gebildeten Gruppen.

Gleichfalls irren würde, wer behaupten wollte, jedes beliebige Einzelunternehmen sei von Natur aus eine Gesellschaft, in der die Beziehungen unter den Gliedern der Gesellschaft von den Normen der verteilenden Gerechtigkeit bestimmt würden und alle ohne Unterschiede - ob Eigentümer der Produktionsmittel oder nicht das Recht auf ihren Anteil am Eigentum hätten oder wenigstens auf den Gewinn daraus. Eine solche Auffassung geht von der Voraussetzung aus, jedes Unternehmen stände seiner Natur nach im Bereich des öffentlichen Rechts. Diese Voraussetzung aber ist ungenau: Mag es als Stiftung oder als Genossenschaft aller Arbeiter in ihrer Eigenschaft als Miteigentümer gegründet worden sein, oder mag es Privateigentum eines einzelnen sein, der mit anderen einen Arbeitsvertrag schließt, beide Male fällt das Unternehmen unter die privatrechtlichen Normen des Wirtschaftslebens.

Kapitalbildung und Lösung der sozialen Frage

Was Wir gesagt haben, gilt für die rechtliche Natur des Unternehmens als solchen, aber für die Angehörigen kann es gleichfalls eine Reihe von Beziehungen persönlicher Art und von gemeinsamer Verantwortung mit sich bringen, über die man sich Rechenschaft geben muss. Wer immer über die Produktionsmittel verfügt - sei es ein Privatmann oder eine Genossenschaft oder eine Stiftung -, muss Herr der eigenen wirtschaftlichen Entschlüsse bleiben, immer in den Grenzen des öffentlichen Rechts der Wirtschaft. Daraus folgt, dass sein eigener Nutzen größer sein muss als der der eigenen Mitarbeiter, aber um so mehr muss ihm das materielle Wohlergehen aller einzelnen, was ja der Zweck der sozialen Wirtschaft ist, zur gleichen Zeit die Pflicht auferlegen, mit der Ersparnis zur Mehrung des Volksvermögens beizutragen. Man darf auch nicht vergessen, dass es höchst nützlich für eine gesunde soziale Wirtschaft ist, wenn diese Mehrung des Vermögens aus möglichst vielen Quellen kommt, und dass es also höchst wünschenswert ist, dass die Arbeiter mit den Früchten ihrer eigenen Ersparnisse zur Bildung des Volksvermögens beitragen können.

Viele Industrielle, katholische wie nichtkatholische, haben ausdrücklich bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt, dass nur die Lehre der Kirche imstande sei, die wesentlichen Elemente zur Lösung der sozialen Frage zu liefern. Ausführung und Anwendung dieser Lehre kann natürlich gewiss nicht von heute auf morgen geschehen. Von allen fordert ihre Verwirklichung ein vorausschauendes und klarsichtiges Verhalten, eine große Dosis gesunden Menschenverstands und guten Willens. Sie fordert vor allem, dass man mit allen Mitteln der Versuchung widerstehe, den eigenen Vorteil zu suchen, sei es auf Kosten der anderen - welcher Art und Natur auch immer die Beteiligung der anderen sein mag-, sei es zum Schaden des Gemeinwohls. Sie fordert endlich jene Uneigennützigkeit, die nur aus echter christlicher Tugend kommen kann, die von der Hilfe und Gnade Gottes gestützt ist (Aus der Ansprache an die Internationale Union des Associations Patronales Catholiques, 27. April 1941).

Die Enzyklika Rerum Novarum spricht über Eigentum und Lebensunterhalt des Menschen Grundsätze aus, die mit dem Ablauf der Zeit nichts von ihrer ursprünglichen Kraft verloren haben und heute, nach fünfzig Jahren, immer noch ihre tiefe und lebenspendende Fruchtbarkeit bewahren. Auf den grundlegenden Punkt derselben haben Wir selbst die allgemeine Aufmerksamkeit in Unserer an die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika gerichteten Enzyklika Sertum Laetitiae hingewiesen. Der grundlegende Punkt liegt, wie Wir sagten, in der unabdingbaren Forderung, "dass die Güter, die Gott für alle Menschen geschaffen hat, allen in gleicher Weise zufließen müssen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Liebe."

Das Recht auf die materiellen Güter

Jeder Mensch hat als lebendiges Vernunftwesen von Natur aus das grundlegende Recht, die materiellen Güter der Erde zu gebrauchen. Daran ändert nichts, dass es dem menschlichen Willen und den Rechtsformen der Völker überlassen ist, die praktische Ausführung näher zu regeln. Dieses Recht des einzelnen darf auf keine Weise unterdrückt werden, auch nicht durch andere sichere und unbestreitbare Rechte auf die materiellen Güter. Ohne Zweifel fordert die von Gott herrührende natürliche Ordnung auch das Privateigentum und den freien gegenseitigen Güterverkehr mit Austausch und Schenkung wie auch die Ordnungsaufgabe der öffentlichen Gewalt diesen bei den Einrichtungen gegenüber. All dies bleibt jedoch dem natürlichen Zweck der materiellen Güter untergeordnet und kann sich nicht von dem ersten und grundlegenden Recht unabhängig machen, das allen deren Gebrauch zugesteht; viel eher hat es dazu zu dienen, dass die Verwirklichung seinem Zweck entsprechend möglich gemacht wird. Nur so kann und muss erreicht werden, dass Eigentum und Gebrauch der materiellen Güter der Gesellschaft fruchtbaren Frieden und Beständigkeit bringen und nicht unsichere Verhältnisse schaffen, die Unfrieden und Eifersucht hervorrufen und der Gewalt eines erbarmungslosen Spiels zwischen Stark und Schwach preisgegeben sind.

Das ursprüngliche Recht auf die Nutznießung der materiellen Güter bietet, da es in enger Verbindung mit der Würde und den übrigen Rechten der menschlichen Person steht, mit den oben angeführten Formen dieser eine sichere materielle Grundlage von höchster Bedeutung zur Erfüllung der sittlichen Pflichten des Menschen. Der Schutz dieses Rechts wird seine persönliche Würde sichern und es ihm erleichtern, in gerechter Freiheit jener Gesamtheit fester Verpflichtungen und Entschließungen nachzukommen, für die er dem Schöpfer unmittelbar verantwortlich ist. Dem Menschen obliegt ja tatsächlich die ganz persönliche Pflicht, sein materielles und geistiges Leben zu erhalten und zur Vollkommenheit zu führen, um das religiöse und sittliche Ziel zu erreichen, das Gott allen Menschen gesteckt und als oberste, immer und in jedem Fall und vor allen anderen Pflichten bindende Richtschnur gegeben hat.

Das Gemeinwohl

Den unantastbaren Bereich der Rechte der menschlichen Person zu schützen und ihr die Erfüllung ihrer Pflichten zu erleichtern, hat wesentliche Aufgabe der öffentlichen Gewalt zu sein. Liegt darin nicht der wirkliche Sinn des Gemeinwohls, das zu fördern der Staat berufen ist? Daraus ergibt sich, dass die Sorge um dieses Gemeinwohl nicht eine so genannte Macht über die Glieder der Gemeinschaft nach sich zieht, als ob es der öffentlichen Gewalt ihretwegen erlaubt wäre, die Entwicklung des oben geschilderten persönlichen Handelns zu schmälern, unmittelbar über Beginn oder (wir sehen hier ab vom Fall der gesetzlichen Strafe) über Ende des menschlichen Lebens zu entscheiden, die Art seiner physischen, geistigen, religiösen und moralischen Bewegung nach eigenem Ermessen im Gegensatz zu den persönlichen Pflichten und Rechten des Menschen zu bestimmen und zu diesem Zweck das natürliche Recht auf die materiellen Güter zu tilgen oder seiner Wirksamkeit zu berauben. Eine solche Ausdehnung der Macht aus der Sorge um das Gemeinwohl abzuleiten, hieße den Sinn des Gemeinwohls verkehren und die irrige Behauptung vertreten, das eigentliche Ziel des Menschen auf Erden sei die Gesellschaft, die Gesellschaft sei Selbstzweck und der Mensch habe kein anderes Leben, das ihn erwarte, wenn das irdische endet.

Reichtum und Armut der Völker

Auch die Wirtschaft eines Landes zielt, da sie die Frucht des Wirkens der Menschen ist, die in der staatlichen Gemeinschaft zusammenarbeiten, demnach auf nichts anderes als darauf, ununterbrochen die materiellen Bedingungen aufrechtzuerhalten, unter denen sich das individuelle Leben der Bürger voll entfalten kann. Wo dies erreicht wird, und zwar für die Dauer, wird ein Volk in Wahrheit wirtschaftlich reich sein, weil das allgemeine Wohlergehen Wirklichkeit wird und somit auch das persönliche Recht aller auf den Gebrauch der irdischen Güter gemäß den Absichten des Schöpfers.

Hieraus ist leicht zu ersehen, dass der wirtschaftliche Reichtum eines Volkes nicht eigentlich in einem Überfluss der Güter besteht, gemessen nach der rein materiellen Berechnung ihres Wertes, sondern darin, dass dieser Überfluss wirklich und wirksam die hinreichende materielle Grundlage für die persönliche Entfaltung seiner Glieder ist. Wenn eine solche gerechte Verteilung der Güter nicht verwirklicht oder nur unvollkommen durchgeführt wird, kann man das wahre Ziel der Wirtschaft nicht erreichen. Denn, so groß auch der Überfluss der verfügbaren Güter wäre, das Volk ist, wenn es nicht an ihm teilhaben darf, wirtschaftlich nicht reich, sondern arm. Wirket also darauf hin, dass eine solche gerechte Verteilung tatsächlich und auf die Dauer durchgeführt werde und ihr werdet ein Volk sehen, das, selbst wenn es über weniger Güter verfügt, wirtschaftlich gesund werden und gesund sein wird!

Diese Grundbegriffe über Reichtum und Armut der Völker zur Erwägung zu empfehlen, scheint Uns heute besonders angebracht; man ist nämlich geneigt, Reichtum und Armut mit rein quantitativen Maßstäben zu messen und den gleichen Gesichtspunkten zu beurteilen wie Raum oder Gütermenge. Erwägt man jedoch das Ziel der Wirtschaft auf die rechte Weise, so wird es zum Licht für die Staatsmänner und Völker und wird sie erleuchten, freiwillig einen Weg zu beschreiten, der nicht beständig Verluste an Gut und an Blut fordert, sondern Früchte des Friedens und des allgemeinen Wohlergehens bringen wird.

Die Arbeit

Mit der Nutzung der materiellen Güter verbindet sich die Arbeit. Die Enzyklika Rerum Novarum lehrt, dass die menschliche Arbeit Eigenschaften hat: sie ist persönlich, und sie ist notwendig. Sie ist persönlich, weil sie durch die Übung der besonderen Kräfte des Menschen vollführt wird; sie ist notwendig, weil ohne sie das nicht geschaffen werden kann, was zum Leben unerlässlich ist, was herbeizuführen und zu bewahren eine natürliche, ernste Pflicht des einzelnen ist. Der persönlichen Pflicht zur Arbeit, die von der Natur auferlegt ist, entspricht das natürliche Recht jedes Einzelmenschen, mit Hilfe der Arbeit das eigene Leben und das der Kinder zu bestreiten; so tief ist der Befehl der Natur auf die Erhaltung des Menschen hingeordnet.

Merket aber wohl, dass diese Pflicht und das ihr entsprechende Recht auf Arbeit dem Einzelmenschen in erster Linie von der Natur zukommt und nicht von der Gesellschaft, als sei der Mensch nichts weiter als einfacher Diener oder Angestellter der Gemeinschaft. Daraus folgt, dass die Pflicht und das Recht, die Arbeit des Volkes zu ordnen, vor allem den unmittelbar Beteiligten zusteht: den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Erfüllen sie ihre Aufgabe nicht oder können sie dieselbe wegen besonderer außerordentlicher Umstände nicht erfüllen, dann ist es Sache des Staates, in den Bereich der Arbeit, ihrer Einteilung und Verteilung einzugreifen, in der Form und in dem Maße, wie es das wohlverstandene Gemeinwohl erfordert.

Auf jeden Fall wird jeder gesetzmäßige und wohltätige Eingriff des Staates in den Bereich der Arbeit Rücksicht darauf nehmen, ihren persönlichen Charakter möglichst weitgehend in den Grenzen des Möglichen zu erhalten und zu achten, sei es im Grundsätzlichen, sei es in der Ausführung. Und dies wird dann der Fall sein, wenn die staatlichen Vorschriften ebenso persönliche Rechte und Pflichten nicht aufheben oder ihre Ausübung unmöglich machen: nämlich das Recht auf die wahre Gottesverehrung, das Recht zur Ehe, das Recht der Ehegatten, des Vaters und der Mutter, ein häusliches Eheleben zu führen; das Recht einer vernünftigen Freiheit in der Standeswahl und in der Ausübung eines richtigen Berufes. Dies letztere ist mehr denn jedes andere ein persönliches Recht des geistigen Menschen, und ein erhabenes, wenn sich mit ihm die höheren und unaufgebbaren Rechte Gottes und der Kirche verbinden, wie bei der Wahl und Ausübung von Priester- und Ordens berufen.

Die Familie

Nach der Lehre der Enzyklika Rerum Novarum hat die Natur das Privateigentum eng mit dem Bestand der menschlichen Gesellschaft und ihrer wahren Kultur und in noch höherem Maße mit dem Bestand der Entwicklung der Familie verbunden. Diese Verbindung ist mehr als offenkundig. Soll denn nicht das Privateigentum dem Familienvater die gesunde Freiheit sichern, die er braucht, um die ihm vom Schöpfer zugewiesenen Pflichten zu erfüllen, die sich auf das leibliche, geistige und religiöse Wohlergehen der Familie beziehen?

In der Familie findet das Volk die natürliche und fruchtbare Wurzel seiner Größe und Macht. Wenn das Privateigentum zum Wohl der Familie führen soll, müssen alle öffentlichen Maßnahmen, auch alle vom Staat erlassenen Normen, die dessen Besitz regeln, nicht nur diese Funktion möglich machen und erhalten - eine Funktion, die in gewisser Hinsicht der natürlichen Ordnung jeder anderen übergeordnet ist-, sondern sie müssen sie auch immer mehr vervollkommnen. Schließlich wäre ein vielgerühmter bürgerlicher Fortschritt unnatürlich, der - entweder durch übermäßige Belastung oder durch allzu viele unmittelbare Einmischungen - den Sinn des Privateigentums aushöhlen würde, indem er praktisch der Familie und ihrem Oberhaupt die Freiheit nimmt, das von Gott gesteckte Ziel eines vollkommenen Familienlebens zu erreichen.

Grund und Boden

Unter allen Gütern, die Gegenstand des Privateigentums sein können, ist nach der Lehre der Enzyklika Rerum Novarum keines der Natur gemäßer als der Grund und Boden, auf dem die Familie lebt und aus dessen Früchten sie ihren Lebensunterhalt ganz oder wenigstens zum Teil bestreitet. Und es liegt im Sinne von Rerum Novarum zu behaupten, dass in der Regel nur die Stabilität, die vom eigenen Grundbesitz kommt, aus der Familie die vollkommenste und fruchtbarste Lebenszelle der Gesellschaft macht, indem sie durch ihren fortwachsenden Zusammenhalt die gegenwärtigen und die zukünftigen Geschlechter wunderbar verbindet. Wenn heute Begriff und Schaffung von Lebensraum im Mittelpunkt der sozialen und politischen Ziele stehen, sollte man dann nicht vor allem an den Lebensraum der Familie denken und den Druck von Verhältnissen von ihr nehmen, die nicht einmal den Gedanken an ein bescheidenes Eigenheim erlauben? (Aus der Radiogedenkrede über die Enzyklika "Rerum Novarum", 1. Juni 1941).

55. AN DIE GEWERKSCHAFTEN

DIE GEWERKSCHAFT und die christlichen Arbeitervereinigungen verfolgen das gemeinsame Ziel, die Lebensbedingungen des Arbeiters zu heben. Die Leiter der neuen Einheitsgewerkschaft haben den "hohen geistigen Beitrag" anerkannt, "den die katholischen Arbeiter zu der Arbeit des Gewerkschaftsbundes leisten".

Welchen Anteil werden die christlichen Arbeitervereinigungen an der neuen Sozialordnung haben? Sehen wir hier von dem gegenwärtigen Stand der Dinge ab. Er ist nicht normal und lässt für den Augenblick nur die Möglichkeit, nach den Regeln von Recht und Billigkeit den jeweiligen Anteil der Last zu bestimmen, den Arbeitgeber und Arbeiter - und diese nach ihren verschiedenen Kategorien - an den erhöhten Kosten der Lebenshaltung zu tragen haben. Im übrigen wissen die christlichen Arbeitervereinigungen, dass es sich auch unter normalen Bedingungen nicht darum handeln kann, den bloßen Vergleich oder ein bloßes Übereinkommen zwischen den beiden Parteien - Arbeitgebern und Arbeitnehmern - als festes Prinzip der sozialen Ordnung aufzurichten, auch wenn dieses von dem reinsten Geist der Billigkeit diktiert wäre. Denn dieses Prinzip wäre von dem Augenblick an fehlerhaft, in dem das Übereinkommen, im Widerspruch zu seinem eigentlichen Sinn, den Pfad der Gerechtigkeit verließe oder sich in Bedrückung oder unerlaubte Ausbeutung des Arbeiters verwandelte, oder wenn es zum Beispiel aus dem, was man heute Nationalisierung oder Sozialisierung des Betriebs und Demokratisierung der Wirtschaft nennt, eine Waffe zum Kampf gegen den privaten Arbeitgeber als solchen machen würde.

Sozialisierung

Die christlichen Arbeitervereinigungen stimmen der Sozialisierung nur in den Fällen zu, in denen sie wirklich als vom Gemeinwohl gefordert erscheint, das heißt als das einzige tatsächlich wirksame Mittel, um einen Missbrauch abzustellen oder um eine Verschwendung der Produktivkräfte des Landes zu vermeiden, die organische Ordnung eben dieser Kräfte zu sichern und sie zum Vorteil der wirtschaftlichen Interessen der Nation zu dem Ziel zu lenken, dass die Wirtschaft des Landes in ihrer normalen und friedlichen Entwicklung den Weg zur materiellen Wohlfahrt des ganzen Volkes öffne, eine Wohlfahrt, die zugleich ein gesundes Fundament für das kulturelle und religiöse Leben bildet. Auf jeden Fall erkennen sie dann an, dass die Sozialisierung die Pflicht zu einer angemessenen Entschädigung einschließt, die also danach berechnet werden muss, was unter den gegebenen Umständen für alle Beteiligten recht und billig ist.

Die Demokratisierung der Wirtschaft ist nicht weniger vom Monopol oder der wirtschaftlichen Despotie einer anonymen Anhäufung von Privatkapital bedroht als von dem Machtübergewicht organisierter Massen, die bereit sind, ihre Gewalt zum Schaden der Gerechtigkeit und des Rechts anderer zu gebrauchen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, die leeren Phrasen aufzugeben und mit der Enzyklika Quadragesimo Anno an eine neue Ordnung der Produktivkräfte des Volkes zu denken. Das heißt, die Menschen müssen über der Unterscheidung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern jene höhere Einheit sehen und anerkennen, die alle untereinander verbindet, die an der Produktion mitarbeiten. Man muss ihre Verbindung und ihre Solidarität in der Verpflichtung sehen, unter der sie stehen, gemeinsam für das Gemeinwohl und die Bedürfnisse der ganzen Gemeinschaft zu sorgen (Aus der Ansprache an die Christlichen Arbeiterverbände Italiens, 11. März 1945).

Jesus Christus wartet nicht, dass ihm der Weg in die sozialen Wirklichkeiten mit Systemen eröffnet wird, die nicht von ihm ausgehen, ob sie sich nun "Laien-Humanismus" oder "vom Materialismus gesäuberter Sozialismus" nennen. Sein göttliches Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit ist auch in den Regionen gegenwärtig, wo der Klassengegensatz ständig die Oberhand zu gewinnen droht. Deshalb beschränkt sich die Kirche nicht darauf, eine gerechtere soziale Ordnung zu verlangen, sondern zeigt auch deren beherrschende Grundsätze auf und spornt die Regierungen, die Gesetzgeber, die Arbeitgeber und die Betriebsleiter an, sie zur Ausführung zu bringen.

Unser Wort wendet sich indes nunmehr besonders an die "Enttäuschten" unter den italienischen Katholiken. Es fehlt tatsächlich nicht an solchen, zumal unter Jungmännern besten Willens, die vom Einsatz der katholischen Kräfte im öffentlichen Leben des Landes mehr erwartet hätten.

Wir reden hier nicht von jenen, deren Begeisterung nicht immer begleitet ist von einem ruhigen und praktisch nüchternen Sinn für bestehende und zu erwartende Gegebenheiten und für die Schwächen des Durchschnittsmenschen. Wir meinen vielmehr jene, die zwar die beachtenswerten Fortschritte anerkennen, die trotz der schwierigen Lage des Landes erreicht worden sind, die es aber schmerzlich empfinden, dass ihre ihnen voll bewussten Möglichkeiten und Fähigkeiten keinen Platz zur Auswirkung finden.

Es wird alles umsonst sein, wenn ...

Wir brauchen auf dieses Thema, das Wir bei andern Gelegenheiten schon genügend behandelt haben, nicht näher einzugehen. Wir möchten jedoch die Aufmerksamkeit jener Enttäuschten darauf lenken, dass weder neue Gesetze noch neue Einrichtungen genügen, um dem einzelnen die Sicherheit des Schutzes vor jeglichem missbräuchlichen Zwang und die Möglichkeit freier Entfaltung im sozialen Leben zu geben. Es wird alles umsonst sein, wenn der einfache Mann in der Angst lebt, der Willkür ausgeliefert zu sein, wenn er sich nicht von dem Gefühl frei zu machen vermag, er sei dem guten oder bösen Willen derer ausgeliefert, welche die Gesetze praktisch ausführen oder als öffentliche Funktionäre von Einrichtungen und Organisationen walten; wenn er feststellt, dass im täglichen Leben alles abhängt von Beziehungen, die er vielleicht nicht hat, die aber andere haben, wenn er hinter der Fassade dessen, was Staat heißt, das getarnte Spiel mächtiger organisierter Gruppen argwöhnen muss.

Der Einsatz der christlichen Kräfte im öffentlichen Leben besagt also ganz gewiss, gute Gesetze und zeitgemäße Einrichtungen voranzubringen. Aber er besagt noch mehr, die Herrschaft der hohlen Phrase und der maskierten Schlagworte zu ächten; er besagt, dass der einfache Mann in seinen rechtmäßigen Forderungen und Erwartungen der Stütze und Hilfe sich sicher fühle. Man muss eine öffentliche Meinung schaffen, die, ohne skandalsüchtig zu sein, mutig und herzhaft auf Personen und Verhältnisse hinweist, die den guten Gesetzen und Einrichtungen nicht entsprechen oder das, was wirklich ist, täuschend verhüllen. Um dem einfachen Bürger Einfluss zu gewähren, genügt es nicht, ihm den Stimmzettel oder andere ähnliche Mittel in die Hand zu geben. Wenn er sich den führenden Schichten beigesellen will, wenn er zum allgemeinen Wohl unter Umständen dem Mangel fruchtbarer Gedanken abhelfen und den eindringenden Egoismus überwinden will, muss er selbst die nötigen inneren Kräfte und den brennenden Willen besitzen, dazu beizutragen, dass in das gesamte öffentliche Wesen eine gesunde Moral einströme.

In der Arbeiterbewegung können wahrhaft enttäuscht nur die sein, die den Blick einzig auf das unmittelbar Politische, auf das Spiel der Mehrheiten richten. Euer Wirken vollzieht sich jedoch auf dem so entscheidenden Vorfeld des Politischen. Für euch handelt es sich darum, den wahren christlichen Arbeiter durch eure "soziale Formung" für das gewerkschaftliche und politische Leben zu bilden und anzuleiten und seine ganze Existenz durch eure "soziale Aktion" und euren "Sozialdienst" zu stützen und zu erleichtern. Setzt also ohne Kleingläubigkeit die bis jetzt geleistete Arbeit fort! Damit werdet ihr Christus einen unmittelbaren Zugang zur Welt des Arbeiters eröffnen und einen mittelbaren auch zu den anderen Gesellschaftsschichten. Das ist der grundlegende "Zugang"; ohne ihn wäre jeder andere "Zugang", jedes andere "Aufgeschlossensein", nach welcher Seite auch immer, nur eine Kapitulation der Kräfte, die sich christlich nennen.

Ja, geliebte Arbeiter, der Papst und die Kirche können sich der göttlichen Sendung nicht entziehen, zu führen, zu schützen, zu lieben, vor allem die Notleidenden, die ihnen um so teurer sind, je mehr sie des Schutzes und der Hilfe bedürfen, ob sie nun Arbeiter oder andere Kinder des Volkes sind.

Am ersten Mai

Diese Pflicht und Aufgabe wünschen Wir, der Stellvertreter Christi, sehr deutlich von neuem herauszustellen, und zwar heute, am 1. Mai, den die Welt der Arbeit sich zuerkannt hat als eigenes Fest mit der Absicht, dass von allen die Würde der Arbeit anerkannt werde und sie dem auf der ausgleichenden Verteilung von Rechten und Pflichten ruhenden gesellschaftlichen Leben und den entsprechenden Gesetzen ihren Geist aufpräge.

Wenn der 1. Mai so von den christlichen Arbeitern aufgefasst wird und sozusagen die christliche Salbung empfängt, ist er weit davon entfernt, als Ursache von Zwietracht, Hass und Gewalttätigkeit zu wirken. Vielmehr wird er eine stets wiederkehrende Einladung an die moderne Gesellschaft sein, zu vollenden, was dem sozialen Frieden noch fehlt. Ein christliches Fest also, d. h. ein Tag des Jubels über den greifbaren und fortschreitenden Triumph der christlichen Ideale der großen Familie der Arbeit.

Damit dieser Sinn euch gegenwärtig sei, und in gewisser Weise als unmittelbare Gegengabe für die zahlreichen und kostbaren Geschenke, die Uns aus allen Gauen Italiens zugekommen sind, teilen Wir freudigen Sinnes Unseren Entschluss mit, das liturgische Fest des hl. Joseph des Handwerkers einzusetzen, und setzen es ein, indem wir ihm eben den 1. Mai zuweisen (Aus der Ansprache an die Christlichen Arbeiterverbände Italiens, 1. Mai 1955).

56. INTERNATIONALISIERUNG DES PRIVATRECHTS

WER SICH IN DER GESCHICHTE DER KULTUR etwas auskennt und über die Natur des Rechts nachgedacht hat, wird sich kaum darüber wundern, dass die Kirche nie aufgehört hat, dem Recht ihre besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

In einer Formel, deren kraftvolle Knappheit das Zeichen seines Genius trägt, fixiert Platon den Gedanken, der dem Geist des ganzen Altertums eigen war, mit folgenden Worten: "Gott ist für uns vor allem Maß aller Dinge, viel mehr, als irgendein Mensch es sein könnte." Eben dies lehrt auch die Kirche, aber in der ganzen Fülle und Tiefe der Wahrheit, wenn sie mit dem heiligen Paulus erklärt, jede Vaterschaft komme von Gott her, und folglich behauptet, dass, um die gegenseitigen Beziehungen im Schoße der großen menschlichen Familie zu regeln, jedes Recht seine eigentliche Wurzel in Gott habe.

Daher umgibt die Kirche, während sie den extremistischen juristischen Positivismus ablehnt, der dem Recht seine eigene und gleichsam autonome "Heiligkeit" zuweist, das Recht mit dem Glanz einer wahrhaftigeren, erhabeneren Heiligkeit, indem sie letztlich jeden Menschen, der von dem Dasein und der Souveränität eines persönlichen Gottes überzeugt ist, zur Treue gegen das Gesetz verpflichtet.

Könnte denn die Kirche, die ein großer gesellschaftlicher Organismus, eine festgegründete übernationale Gemeinschaft ist, etwa ohne ein bestimmtes Recht bestehen? Von dieser Erwägung abgesehen, die von unbestreitbarer Logik, aber rein natürlicher Ordnung ist, weiß sie, dass sie von ihrem göttlichen Stifter als eine sichtbare Gesellschaft gegründet worden ist, die mit einer Rechtsordnung ausgestattet ist. Die Grundlage dieser Ordnung, dieses Rechtsstatuts ist also nichts anderes als das positive göttliche Recht.

Der Zweck des ganzen Lebens der Kirche, ihre Aufgabe, die Menschen zu Gott zu führen, ihre Vereinigung mit Gott zu fördern, liegt ohne Zweifel in der Sphäre des Überirdischen, des Übernatürlichen. Sie ist also etwas, das sich unmittelbar zwischen Gott und dem Menschen abspielt. Ja, aber längs des Weges, auf dem dieses Amt geübt wird und der zu diesem Ziele führt, wandert jeder Gläubige als Mitglied der Kirchengemeinschaft unter der Führung der Kirche unter den besonderen Daseinsbedingungen. Wer aber Gemeinschaft und Führung einer Autorität sagt, der sagt: Macht des Rechts und des Gesetzes.

Ein einfacher Blick auf den Gegenstand des internationalen Privatrechts und auf seine Geschichte genügt, um die Schwierigkeiten einer Koordination der verschiedenen Rechte ersichtlich zu machen.

Paneuropaidee, Europarat

Hätten die vergangenen Geschlechter den technischen Fortschritt der Verkehrsmittel für möglich gehalten oder ihn sich auch nur vorstellen können, der in so kurzer Zeit alle Menschen einander in einem Grade nähergebracht hat, dass die geläufige Redensart, "die Welt sei zu klein geworden", wörtlich richtig geworden ist? Die Welt wird es und wird es immer mehr.

Die Paneuropaidee, der Europarat und andere Bewegungen sind eine Kundgebung der Notwendigkeit, die Starrheit der alten geographischen Grenzen in politischer und wirtschaftlicher Beziehung zu brechen oder zu mildern und zwischen den Ländern große Gruppen gemeinsamen Lebens und Wirkens zu bilden. Man wird von diesen praktischen Erwägungen auch absehen können. Aber als unvermeidliche Kriegsfolgen bringen unter dem Druck der Ereignisse die Übervölkerung gewisser Gegenden und die daraus sich ergebende Arbeitslosigkeit eine wirkliche Bevölkerungsvermischung mit Hilfe von Ein- und Auswanderung mit sich, die in der nächsten Jahrhunderthälfte die Auswanderung nach Amerika im Laufe der letzten 150 Jahre an Bedeutung wahrscheinlich weit übertreffen wird. Wie nützlich wird dann die Koordination des Privatrechts sein!

Die Menschenrechte

Wird es aber immer möglich sein, sie auch für eine bestimmte Gruppe von Staaten auf ihren ganzen Bereich auszudehnen? Würde übrigens eine radikale Gleichstellung überall wirklich vorteilhaft sein? Es ist nicht leicht, das heute zu behaupten. Trotz allem könnten die wirtschaftlichen, sozialen oder allgemeinen kulturellen Verhältnisse in manchen Ländern so verschieden bleiben, dass eine Gleichförmigkeit zwischen allen Nationen und hinsichtlich des gesamten Bereichs des Privatrechts den Forderungen des Gemeinwohls nicht gänzlich entsprechen mag.

Wie dem auch sei. Wir empfehlen die folgenden drei Punkte:

Zuerst den immer aufmerksameren und wirksameren Schutz aller jener, die seiner in höherem Maße bedürfen, insbesondere die verlassenen Kinder und die alleingebliebenen Frauen; ihnen gegenüber vor allem müsste sich der Gesetzgeber nach dem Vorbild des Familienvaters und der Mutter verhalten.

An zweiter Stelle: Vereinfachung des juristischen Status aller jener, die aus Familiengründen gezwungen sind, sich häufig und regelmäßig von einem Land in ein anderes zu begeben.

Schließlich: Anerkennung und direkte und indirekte Verwirklichtung der ursprünglichen Menschenrechte, die, insofern sie der menschlichen Natur innewohnen, immer dem allgemeinen Interesse entsprechen, ja sogar als dessen wesentliche Elemente aufzufassen sind. Daher hat der Staat die Pflicht, sie zu schützen, zu fördern und darauf hinzuwirken, dass sie in keinem Fall einer vorgeblichen Staatsraison geopfert werden können (Aus der Ansprache an den 1. Kongress für internationales Privatrecht, 15. Juli 1950).

57. DER KRIEG UND SEINE FOLGEN

MIT SCHRECKEN HABEN DIE VÖLKER eine neue Vervollkommnung der Mittel und Verfahren zur Zerstörung ohne Maßen erleben müssen und zugleich waren sie Zuschauer eines inneren Verfalls, der durch Erkalten und Abirren der sittlichen Empfindlichkeit immer schneller der gänzlichen Unterdrückung jedes menschlichen Gefühls und einer solchen Verdüsterung der Vernunft und des Gesetzes zueilt, dass er das Wort aus dem Buch der Weisheit wahr macht: "Alle waren von der gleichen Kette der Finsternis umschlungen" (Weish 17,17).

Christus allein kann die verhängnisvollen Geister des Irrtums und der Sünde entfernen, die die Menschheit einer erniedrigenden und tyrannischen Sklaverei unterworfen haben, indem sie sie in den Dienst eines Denkens und Wollens stellten, das von dem unersättlichen Begehren nach Gütern beherrscht wurde.

Christus allein, der uns von der traurigen Dienstbarkeit der Schuld befreit hat, kann uns den Weg lehren und ebnen zu einer edlen und disziplinierten Freiheit, die gestützt und gehalten wird von wahrer sittlicher Rechtschaffenheit und wahrem sittlichem Bewusstsein. Christus allein, "auf dessen Schultern die Herrschaft ruht" (Jes 9,6), kann mit seiner hilfreichen Allmacht das Menschengeschlecht von namenlosen Ängsten erlösen, die es in diesem Leben quälen, und ihm den Weg zur Seligkeit weisen.

Ein Christ, der sich von dem Glauben an Christus nährt und in ihm lebt, in der Gewissheit, dass er allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, trägt seinen Anteil an den Leiden und Widerwärtigkeiten der Welt vor die Krippe des Gottessohns und findet vor dem Neugeborenen einen Trost und eine Stütze, die der Welt unbekannt sind, die ihm Mut und Kraft geben, zu widerstehen und unerschrocken auszuharren, ohne zu unterliegen inmitten der schwersten und qualvollsten Prüfungen (Aus der Weihnachtsbotschaft an die WeIt, 24. Dezember 1943).

Es ist traurig und schmerzlich, daran denken zu müssen, dass unzählige Menschen, die auf der Suche nach einem Glück, das ihnen in dieser Welt Zufriedenheit gibt, die Bitterkeit trügerischer Illusionen und schmerzvoller Enttäuschungen empfinden, ihr Leben jeder Hoffnung verschlossen haben und, fern vom christlichen Glauben lebend, den Weg zurück zu jenem Trost nicht zu finden vermögen, den die Helden des Glaubens in jeglicher Bedrängnis in Überfluss besitzen. Sie sehen das Gebäude des Glaubens, auf den sie menschlicherweise ihr Vertrauen und ihre Hoffnung gesetzt hatten, zertrümmert. Nie aber haben sie jenen einzigen wahren Glauben gefunden, der es vermocht hätte, ihnen Trost und Erneuerung des inneren Menschen zu schenken.

In diesem Schwanken des Verstandes und des Willens ergreift sie eine deprimierende geistige Unsicherheit, und so leben sie in einem Zustande der Untätigkeit, der ihre Seele bedriickt und den nur jener tief verstehen und brüderlich mitempfinden kann, der in dem vertrauten, lebendigen Glanz eines übernatürlichen Glaubens lebt, der über die Stürme aller zeitlichen Zufälligkeiten hinausreicht, um nur ans Ewige zu denken.

Sklaven materieller Reichtümer

Zu der Schar dieser Erbitterten und Enttäuschten kann man ohne weiteres jene rechnen, die ihr ganzes Vertrauen auf die weltweite Ausdehnung des Wirtschaftslebens setzten, das sie allein für fähig erachteten, die Völker brüderlich zu vereinen, und von dessen großartiger, immer mehr verfeinerter und vervollkommneter Organisation sie sich unerhörte und unerwartete Fortschritte für das Wohl der menschlichen Gemeinschaft versprachen.

Mit wie viel Wohlgefallen und Stolz betrachteten sie das Anwachsen des Handels in der ganzen Welt, des Austausches aller Güter zwischen den Kontinenten, den Siegeszug der modernen Technik, die alle Grenzen des Raums und der Zeit überwindet! Aber was erfahren sie heute in der Wirklichkeit? Sie sehen jetzt, dass diese Wirtschaft mit ihren riesigen Beziehungen, weltweiten Verbindungen und der außerordentlichen Teilung und Vervielfältigung der Arbeit auf tausend Arten dazu beigetragen hat, die Krisen der Menschheit noch umfangreicher und schwerer zu machen, während sie, von keinem sittlichen Maß gezügelt und ohne überirdische Erleuchtung, in unwürdiger und erniedrigender Ausbeutung der menschlichen Person und der Natur enden musste, in drückender, trauriger Not auf der einen Seite und hoffärtiger und herausfordernder Üppigkeit auf der anderen, in einem quälenden und unversöhnlichen Zwiespalt zwischen Privilegierten und Habenichtsen.

Diejenigen, die das Wohl der Gesellschaft von dem Mechanismus des Weltwirtschaftsmarktes erwarteten, sind enttäuscht worden, weil sie nicht Herren und Meister, sondern Sklaven der materiellen Reichtümer geworden waren, denen sie gedient hatten, indem sie dieselben von der höheren Bestimmung des Menschen lösten und zum Selbstzweck machten.

Nicht anders dachten und handelten andere, die in der Vergangenheit enttäuscht wurden, da sie Glück und Wohlstand einzig in einer Art von Wissenschaft und Bildung suchten und nicht geneigt waren, den Schöpfer des Weltalls anzuerkennen; nicht jene Pioniere der wahren Wissenschaft, die der wunderbare Widerschein des Lichtes Gottes ist, sondern Anhänger einer hoffärtigen Wissenschaft, die dem Wirken eines persönlichen Gottes, der unabhängig wäre von aller Beschränkung und allem irdischen überlegen, keinen Raum gibt und sich rühmt, die Geschehnisse der Welt einzig mit der starren, deterministischen Verkettung eiserner Naturgesetze erklären zu können.

Aber eine solche Wissenschaft kann kein Glück und kein Wohlstand verleihen. Der Abfall vom göttlichen Wort, durch das alle Dinge erschaffen worden sind, hat den Menschen zum Abfall vom Geist geführt und es ihm dadurch schwer gemacht, Idealen und hochgeistigen, sittlichen Zielen nachzustreben. So sieht sich die vom geistlichen Leben abgefallene Wissenschaft, während sie sich in dem trügerischen Glauben wiegte, durch die Leugnung Gottes volle Freiheit und Eigengesetzlichkeit erobert zu haben, heute durch eine Knechtschaft bestraft, wie sie noch nie erniedrigender gewesen ist. Denn sie ist die Sklavin und gleichsam die automatische Vollstreckerin von Weisungen und Befehlen geworden, die auf die Rechte der Wahrheit und der menschlichen Person keine Rücksicht nehmen. Was dieser Wissenschaft Freiheit schien, wurde zur Fessel der Erniedrigung und Demütigung; sie ist ihrer einstigen Würde beraubt und wird sie nur zurückgewinnen, wenn sie zum ewigen Wort zurückkehrt, dem Quell der Weisheit, den sie so töricht preisgegeben und vergessen hat (Aus der Weihnachtsbotschaft an die WeIt, 24. Dezember 1943).

Das verlorene Lebensideal

Neben jenen, die in tiefer Verstörung über den Zusammenbruch sozialer und intellektueller Richtungen leben, denen Politiker und Männer der Wissenschaft vielfach folgten, steht die nicht weniger zahlreiche Schar derer, die durch die Auflösung ihres persönlichen Lebensideals in große Qual und Sorge geraten sind.

Es ist die große Zahl derer, denen die Arbeit der Zweck des Lebens und eine bequeme materielle Existenz Ziel ihrer Mühen waren, die aber im Kampf um dieses Ziel religiöse Erwägungen weit von sich gewiesen und es versäumt haben, ihrem Dasein eine gesunde und sittliche Ausrichtung zu geben. Der Krieg hat sie aus dieser gewohnten und geliebten Tätigkeit herausgerissen, die Preis und Stütze ihres Lebens war, hat sie ihrem Beruf oder ihrer Beschäftigung entzogen, so dass sie in sich eine beängstigende Leere verspüren. Und wenn auch manche bei ihrer Arbeit bleiben konnten, so hat ihnen doch der Krieg Arbeits- und Lebensbedingungen auferlegt, unter denen jede persönliche Eigenart verschwunden und ein geordnetes Familienleben ebenso wenig möglich ist wie jene Zufriedenheit der Seele, die nur aus der Arbeit entspringt, die von Gott geadelt und gewollt ist Aus der Weihnachtsbotschaft an die WeIt, 24. Dezember 1943).

Unglücklich sind auch jene, die ihre Hoffnungen auf ein Glück gescheitert sehen, das sie rein auf den Genuss des flüchtigen irdischen Lebens gegründet glaubten, das sie ausschließlich als Fülle von körperlichen Energien und Schönheit der Formen oder als Überfluss an Bequemlichkeit oder als Besitz von Macht und Gewalt auffassten.

Die schreckliche Unregelmäßigkeit von Arbeit und Leben, das Fernsein von Gott und seiner Gnade, Verlockungen und Irreleitungen vom schlechten Beispiel, all dies schafft Anlass und Grundlage zu einem verderblichen Erschlaffen der ehelichen und Familienbeziehungen, in der Weise, dass das Gift der Wollust heute viel mehr als einst die heilige Quelle des Lebens zu vergiften sucht. Aus diesen schmerzlichen und gefährlichen Tatsachen ergibt sich mit harter Klarheit, dass zwar die Stärkung der Familie und des Volkes in vielen Nationen als eines der edelsten Ziele betrachtet wurde, in Wahrheit aber ein physischer Zerfall und eine geistige Verderbnis entsetzlich anwuchsen, die nur eine heilende und erzieherische Behandlung durch mehrere Generationen allmählich und zum Teil verschwinden lassen wird.

Wenn der kriegerische Konflikt so viele Zerstörungen an Leib und Seele angerichtet hat, so hat er die nicht verschont, welche nach Üppigkeit und purem Lebensgenuss gierten, die heute stumm und bestürzt vor den Verheerungen stehen, die auch über ihre Güter wie ein vernichtender Orkan hingebraust sind: Reichtümer und Heimstätten, die mit Feuer und Schwert zerstört wurden, das Leben in Bequemlichkeit und Vergnügen, das verschwunden ist; tragisch die Gegenwart, eine Zukunft mit wenig Hoffnungen und vielen Befürchtungen.

Noch trauriger ist die Vision, die jene verwirrt und erschreckt, die nach Macht und Vorherrschaft streben: Jetzt sehen sie mit Schrecken den Ozean von Blut und Tränen, der die Welt überflutet, Gräber und Massengräber in wachsender Zahl überall auf Erden und über die Inseln der Meere hin das langsame Erlöschen der Kultur, das fortschreitende Schwinden auch des materiellen Wohlstandes, die Zerstörung berühmter Denkmäler und edler Gebäude einer hohen Kunst, die man als das gemeinsame Erbe der zivilisierten Welt betrachten konnte, den Hass, der die Völker immer tiefer und schärfer gegeneinander entbrennen und nichts Gutes für die Zukunft erhoffen lässt (Aus der Weihnachtsbotschaft an die WeIt, 24. Dezember 1943).

Wiederaufbau?

Je mehr das Ungeheuer des Krieges die materiellen Mittel an sich reißt und verschlingt, die unerbittlich in den Dienst der von Stunde zu Stunde wachsenden kriegerischen Notwendigkeiten gestellt werden, desto größer wird für die Nationen, die unmittelbar oder mittelbar von dem Konflikt betroffen sind, die Gefahr einer, Wir möchten sagen tödlichen Blutarmut und desto dringender stellt sich die Frage: Wie wird nach dem Krieg eine erschöpfte und entkräftete Wirtschaft die Mittel für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau finden unter Schwierigkeiten, die von allen Seiten ungeheuer vermehrt werden und deren sich die Kräfte und Künste der Unordnung, die im Hinterhalt lauern, zu bemächtigen suchen - in der Hoffnung, den entscheidenden Schlag führen zu können?

Solche Betrachtungen der Gegenwart und der Zukunft müssen auch im Fieber des Kampfes die Regierenden und den gesunden Teil des Volkes anspornen, die Auswirkungen zu prüfen und über die zu rechtfertigenden Ziele und Zwecke des Krieges nachzudenken (Aus der Ansprache an das Heilige Collegium, 24. Dezember 1939).

Kein Volk ist sicher vor der Gefahr, sehen zu müssen, wie manche seiner Kinder sich von Leidenschaften hinreißen lassen und dem Dämon des Hasses opfern. Wichtig ist dabei vor allem das Urteil, das die öffentliche Autorität über solche Ausartungen und Verirrungen des Kampfgeistes fällt, und ihre Bereitschaft, ihnen ein Ende zu machen.

Dem ehrwürdigen Namen der Autorität selbst steht es daher wohl an, dass in der Ausdehnung der Schlachtfelder über die eigenen Grenzen hinaus die ungetrübte Würde der Vernunft nicht untergehe, die jene obersten Grundsätze zur Förderung des Guten und zur Bändigung des Bösen diktiert, die die Anordnungen des Befehlenden stärken und ehren und seinen Untergebenen willig und geneigter stimmen, seinen Willen und sein Wirken unter das Gemeinwohl zu beugen. Je mehr sich die Schrecken derer ausbreiten, die der Krieg unter Fremdherrschaft zwingt, desto dringender wird die Pflicht, die rechtliche Ordnung einzusetzen, die in Übereinstimmung mit den Regeln des Völkerrechts und vor allem mit den Forderungen der Menschlichkeit und der Billigkeit anzuwenden ist (Aus der Ansprache an das Heilige Collegium, 24. Dezember 1939).

Besetzung fremder Länder

Den Mächtigen, die während des Krieges Länder besetzen, sagen Wir, ohne die ihnen gebührende Rücksicht außer acht zu lassen: Euer Gewissen und eure Ehre leite euch bei der Behandlung der Bevölkerung besetzter Länder auf gerechte, menschliche und umsichtige Weise. Bürdet ihnen nicht Lasten auf, die ihr in ähnlichen Fällen als ungerecht empfunden habt oder empfinden würdet. Eine kluge und hilfreiche Menschlichkeit ist Lob und Ruhm weiser Führer, und die Behandlung der Gefangenen und der Bevölkerung besetzter Gebiete ist der sicherste Prüfstein und Gradmesser für die Kultur der Gemüter und der Nationen. Noch mehr aber denkt daran, dass Segen und Fluch Gottes für das eigene Vaterland von der Art und Weise abhängen können, wie ihr gegen jene verfahrt, die das Kriegsglück in eure Hände gegeben hat (Aus der Rundfunkbotschaft vom 13. April 1941).

Neue Waffen und ihre Vergeltung

Die Kriegführenden flehen Wir an, sich des Gebrauches immer mörderischerer Kriegswaffen bis zum letzten zu enthalten; jede Neuerung in solchen Mitteln führt unvermeidlich dazu, dass auch der Gegner dieselbe neue Waffe, und manchmal eine noch schärfere und schlimmere gebraucht (Aus der Rundfunkbotschaft vom 13. April 1941).

Im übrigen gilt eine Pflicht für alle, eine Pflicht, die kein Zögern, keinen Aufschub, keine Ausflucht duldet: nämlich alles Menschenmögliche zu tun, um ein für allemal den Angriffskrieg als rechtmäßige Lösung internationaler Streitigkeiten und als Werkzeug nationaler Aspirationen zu verwerfen und zu ächten. Man hat in der Vergangenheit viele Versuche zu diesem Zweck gesehen. Alle sind gescheitert. Und auch alle weiteren werden scheitern, solange nicht der gesündere Teil der Menschheit den festen, beharrlichen Willen haben wird, als Gewissenspflicht die Sendung zu erfüllen, die die Vergangenheit ohne genügend Ernst und Entschlossenheit begonnen hat.

Krieg dem Kriege!

Wenn je eine Generation aus Gewissensgrund den Ruf gehört hat: "Krieg dem Krieg!", so ist es gewiss die gegenwärtige. Denn sie ist durch einen Ozean von Blut und Tränen gegangen, wie ihn frühere Zeiten vielleicht nie gekannt haben. Sie hat unsagbare Grausamkeiten so stark erlebt, dass die Erinnerung an so große Gräuel ihrem Gedächtnis und im tiefsten Grund ihrer Seele als Bild einer Hölle eingeprägt bleiben muss, deren Pforten für immer zu schließen jeder, der Gefühle der Menschlichkeit in seinem Herzen hegt, den heißesten Wunsch haben muss.

Ohne Zweifel ist der Fortschritt der menschlichen Erfindungen, der die Verwirklichung eines größeren Wohlstands für die ganze Menschheit hätte bezeichnen sollen, statt dessen zur Zerstörung dessen ausgeschlagen, was die Jahrhunderte erbaut hatten. Aber eben dadurch hat sich immer deutlicher die Unsittlichkeit des Angriffskrieges erwiesen, und wenn sich heute mit der Erkenntnis dieser Unsittlichkeit die Drohung eines juristischen Einschreitens der Nationen und einer von der Gesellschaft der Staaten dem Angreifer auferlegten Strafe verbindet, so dass sich der Krieg immer von der Ächtung bedroht, immer von einer vorbeugenden Handlung überwacht fühlt, dann wird die Menschheit aus der dunklen Nacht hervortreten, in die sie so lange getaucht war, und die Morgenröte einer neuen und besseren Epoche ihrer Geschichte grüßen können (Aus der Weihnachtsbotschaft an die Welt, 24. Dezember 1943).

Nichts ist mit dem Frieden verloren

Durch die Macht der Vernunft, nicht durch die der Waffen, bahnt sich die Gerechtigkeit ihren Weg. Und die Reiche, die nicht auf Gerechtigkeit gegründet sind, sind von Gott nicht gesegnet. Die Politik, die sich von der Sittlichkeit löst, verrät jene, die sie so wollen.

Nichts ist mit dem Frieden verloren. Alles kann verloren sein mit dem Krieg. Möchten die Menschen wieder anfangen, sich zu verstehen. Bei gutem Willen und bei Achtung der gegenseitigen Rechte werden sie bemerken, dass solchen aufrichtigen und mühevollen Verhandlungen niemals ein ehrenhafter Erfolg versagt ist.

Und sie werden sich groß fühlen - wahrhaft groß -, wenn sie den Stimmen der Leidenschaft, der kollektiven wie der privaten, Schweigen gebieten und der Vernunft ihren Herrschaftsbereich lassen und dadurch das Blut der Brüder schonen und dem Vaterland Verwüstungen ersparen.

Möge der Allmächtige es geben, dass die Stimme des Vaters der christlichen Familie, dieses Knechts der Knechte, welcher, gewiss Unwürdigerweise, aber in Wahrheit inmitten der Menschen die Person, das Wort, die Autorität Jesu Christi trägt, in den Geistern und den Herzen schnelle und bereitwillige Aufnahme finde.

Mögen Uns die Starken hören, damit sie nicht schwach werden in der Gerechtigkeit. Mögen Uns die Mächtigen hören, wenn sie wollen, dass ihre Macht nicht Zerstörung sei, sondern Stütze für die Völker und Schutz in der Ordnung und in der Arbeit.

Wir flehen sie an um des Blutes Christi willen, dessen siegreiche Kraft die Sanftmut im Leben und im Tode war. Und wenn Wir sie anflehen, so wissen und fühlen Wir, dass Wir alle für Uns haben, die rechtschaffenen Herzens sind, alle, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, alle, die schon infolge der Übel des Lebens jeglichen Schmerz erleiden. Wir haben für Uns die Herzen der Mütter, die mit dem Unseren schlagen; die Väter, die ihre Familien verlassen mussten; die Unschuldigen, auf denen die furchtbare Drohung lastet; die Jugendlichen, die großherzigen Ritter der reinsten und edelsten Ideale. Und mit Uns ist die ganze Menschheit, die Gerechtigkeit, Brot und Freiheit erwartet, nicht Eisen, das tötet und zerstört. Und mit Uns ist jener Christus, der die brüderliche Liebe zu seinem höchsten, grundlegenden Gebot gemacht hat: die Substanz seiner Religion, das Versprechen des Heils für die einzelnen und die Nationen zu sein (Aus der Rundfunkbotschaft an die WeIt, 24. August 1939).

58. ATOMWAFFEN

WENNGLEICH zu weit anderen Zwecken geschaffen, hat der Menschengeist heute Kriegswerkzeuge von solcher Gewalt erdacht und angefertigt, dass jeder redliche Mensch in seiner Seele erschauern muss, vor allem, weil diese Waffen nicht nur die Heere treffen, sondern oft genug auch die Zivilbevölkerung, Kinder, Frauen, Greise, Kranke, und mit ihnen sakrale Gebäude und bedeutende Kunstdenkmäler mit in den Untergang hineinreißen. Wen schaudert nicht bei dem Gedanken, dass neue Friedhöfe sich den vielen aus dem letzten Krieg zugesellen, dass rauchende Trümmer von Dörfern und Städten neue traurige Ruinenfelder schaffen könnten? Wer erzittert nicht bei der Erwägung, dass die Vernichtung neuer Reichtümer jene wirtschaftliche Krise weiter verschärfen kann, unter der dann alle Völker, besonders aber die unteren Volksschichten, zu leiden haben?

Wir, die Wir über dem Walten menschlicher Leidenschaft stehen, hegen väterliche Gefühle für alle Völker und Nationen und wünschen ihnen Unversehrtheit, ruhige Sicherheit und tägliches Wachsen ihrer Wohlfahrt. Jedes Mal, wenn Wir den heiteren Himmel sich mit drohenden Wolken verdüstern und neue Konfliktgefahren über der Menschheit heraufziehen sehen, unterlassen Wir es nicht, Unsere Stimme zu erheben, um alle zu ermahnen, die Zwietracht aufzugeben, Zwistigkeiten beizulegen und jenen wahren Frieden herzustellen, der die anerkannten Rechte der Religion, der Völker und der einzelnen Bürger sichert.

Wir wissen jedoch sehr wohl, dass die menschlichen Mittel einer so hohen Aufgabe nicht gewachsen sind; es gilt daher die Seelen zu erneuern, die Leidenschaften zu beherrschen, den Hass zu besänftigen, die Normen des Rechts wahrhaft zu verwirklichen, eine gerechte Verteilung des Reichtums zu erreichen, die gegenseitige Hilfe anzuspornen und einen jeden zur Tugend zu ermutigen. Um solch hohes Ziel' zu erreichen, kann zweifellos nichts eine größere Hilfe bieten als die christliche Religion. Ihre von Gott gegebene Lehre sagt, dass die Menschen Brüder sind und eine Familie bilden, deren Vater Gott, deren Erlöser und Lebenspender Christus mit seiner himmlischen Gnade und deren unsterbliches Vaterland der Himmel ist. Würden diese göttlichen Lehren wirklich befolgt, so würden gewiss weder Krieg noch Zwietracht noch Unordnung noch Verletzung der bürgerlichen und religiösen Freiheit das öffentliche und private Leben so mühselig machen, sondern stiller und sich gleichbleibender Frohsinn, der auf Gerechtigkeit gegründet ist, würde die Herzen erfüllen, und den Weg zu immer größerem Wohlstand anbahnen.

Freilich ein schwieriges, aber notwendiges Beginnen! Und weil notwendig, darf nicht gezögert, sondern ungesäumt muss ans Werk gegangen werden. Und ist es schwer, geht es über die menschliche Kraft, so muss der Mensch sich mit Gebet und Flehen an den himmlischen Vater wenden, wie es im Laufe der Jahrhunderte unsere Vorfahren in allen Nöten mit Erfolg getan (Aus der Enzyklika "Mirabelle illud", 6. Dezember 1950).

Die einzige Rechtfertigung der Kriegführung

Möge im internationalen Bereich jeder Krieg bestraft werden, der nicht durch die unbedingte Notwendigkeit gerechtfertigt ist. Zum Krieg kann man allein gezwungen sein, um sich gegen eine schwere Ungerechtigkeit zu verteidigen, die die Gemeinschaft trifft und die man nicht mit anderen Mitteln abwenden kann, weil sonst an Stelle internationaler Beziehungen brutale Gewalt und Gewissenlosigkeit freien Lauf hätten. Es genügt daher nicht, dass man sich gegen irgendeine Ungerechtigkeit verteidigen will, wenn man zu den Waffen greift. Wenn die Schäden, die der Krieg mit sich bringt, in keinem Verhältnis zu der ertragenen Ungerechtigkeit stehen, kann es Pflicht sein, das Unrecht hinzunehmen.

Das gilt vor allem für den ABC-Krieg (den Atombomben-, den biologischen und den chemischen Krieg). Es genügt für den Augenblick, sich die Frage zu stellen, ob er notwendig werden kann, um sich gegen einen ABC-Krieg zu verteidigen. Die Antwort wird sich aus denselben Grundsätzen ergeben, die heute entscheidend dafür sind, einen Krieg im allgemeinen für erlaubt zu halten. Auf jeden Fall stellt sich da ganz besonders dringend eine andere Frage: ist es möglich, auf dem Weg internationaler Vereinbarungen den ABC-Krieg wirksam zu bannen und zu vermeiden?

Nach den Gräueln zweier Weltkriege haben Wir nur daran zu erinnern, dass jede Verherrlichung des Krieges als Verirrung des Geistes und des Herzens verurteilt werden muss. Gewiss, Mut und Tapferkeit, die bis zur Hingabe des Lebens gehen, wenn die Pflicht es erfordert, sind hohe Tugenden; aber den Krieg heraufzubeschwören, weil er die Schule der großen Tugenden und eine Gelegenheit ist, sie zu verwirklichen, muss als Verbrechen und Wahnsinn bezeichnet werden.

Was Wir gesagt haben, zeigt, in welcher Richtung die rechte Antwort auf jene andere Frage zu finden ist: Darf der Arzt seine Wissenschaft und sein Wirken in den Dienst des ABC-Krieges stellen? Die Ungerechtigkeit kann er niemals unterstützen, wäre es auch, um seinem eigenen Lande zu dienen; und wenn ein solcher Krieg eine Ungerechtigkeit darstellt, kann der Arzt an ihm nicht mitwirken (Aus der Ansprache an die Militätärzte, 19. Oktober 1953).

59. TECHNIZISMUS UND MATERIALISMUS

DIE TECHNIK verhilft in der Tat dem heutigen Menschen zu einer nie dagewesenen Höhe der Beherrschung der materiellen Welt. Die moderne Maschine gestattet eine Produktionsweise, die die menschliche Arbeitskraft ersetzt und ins Riesenhafte steigert, sich überhaupt vom Einsatz der organischen Kräfte loslöst und ein Höchstmaß an extensiver und intensiver Energie, zugleich aber auch an Genauigkeit sichert ...

Die "technische Gesinnung"

Trotzdem scheint es unleugbar, dass gerade die Technik, die in unserem Jahrhundert den Gipfel des Ruhmes und des Ertrages erreicht hat, sich durch von außen kommende Umstände in eine schwere geistige Gefahr verwandelt. Sie scheint dem modernen Menschen, der sich vor ihrem Altar zu Boden wirft, ein Gefühl des Sichselbstgenügens, der Erfüllung seines Verlangens nach grenzenloser Erkenntnis und Macht zu verleihen. Mit ihrer vielfachen Anwendung, dem uneingeschränkten Vertrauen, das sie einflößt, den unerschöpflichen Möglichkeiten, die sie verspricht, eröffnet die Technik um den Menschen von heute eine so weite Schau, dass sie von vielen mit dem Unendlichen verwechselt wird. Infolgedessen wird ihr eine unmögliche Eigengesetzlichkeit zugeschrieben, die sich ihrerseits in einem bestimmten Denken, in eine irrige Weltanschauung umwandelt, die man mit dem Namen "Technische Gesinnung" bezeichnet hat. Aber worin besteht sie genau? Darin, dass man es für den höchsten Wert des Menschen und des Lebens hält, den größtmöglichen Nutzen aus den Kräften und Grundstoffen der Natur zu ziehen, dass man sich die technisch möglichen Methoden mechanischer Erzeugung vor aller anderen menschlichen Betätigung zum Ziele setzt, und dass man in ihnen die Vollkommenheit der Kultur und des irdischen Glückes erblickt.

Sie sucht den Blick des Menschen nur auf die Materie einzuengen ...

Vor allen Dingen liegt in dieser vom angeblichen Geist der Technik verkehrten Weltanschauung ein fundamentaler Irrtum. Die Gesamtschau - auf den ersten Blick grenzenlos -, die die Technik vor den Augen des modernen Menschen entfaltet, bleibt doch nur ein Teilausschnitt der ganzen Wirklichkeit, so ausgedehnt er auch sein mag, denn er erfasst sie nur in ihrer Beziehung zur materiellen Welt: Ein blendendes Panorama, gewiss, das den zu leicht an die Unermesslichkeit und Allmacht der Technik glaubenden Menschen am Ende in ein zwar weiträumiges, aber begrenztes Gefängnis einschließt, das deshalb dann auf lange Sicht für seine echte Geistigkeit unerträglich wird. Sein Blick, weit davon entfernt, zur unendlichen Wirklichkeit vorzudringen, die eben nicht nur Materie ist, wird sich peinvoll beengt fühlen von den Schranken, die diese ihm notwendig entgegensetzt. Daher stammt auch die geheime Qual des heutigen Menschen, der blind geworden ist, weil er sich freiwillig mit Finsternis umgeben hat .

... sie macht blind für die religiöse Wahrheit

Noch viel schwerer sind die Schäden der "technischen Gesinnung" für den von ihr berauschten Menschen auf dem Felde der eigentlich religiösen Wahrheit und seiner Beziehungen zum Übernatürlichen. Das sind auch die Finsternisse, auf die der hl. Evangelist Johannes anspielt, die das fleischgewordene Wort Gottes zu zerstreuen gekommen ist und die das geistige Verständnis der göttlichen Geheimnisse verhindern.

Nicht als ob die Technik in sich folgerichtig die Leugnung der religiösen Werte fordere. Nein, sie führt, wie Wir gesagt haben, im Gegenteil zu ihrer Entdeckung. Aber es ist die "technische Gesinnung", die den Menschen in einen Zustand versetzt, der dem Suchen, Sehen und Annehmen der übernatürlichen Wahrheiten und Werte ungünstig ist. Der Geist, der sich verführen lässt von der "technischen Lebensauffassung" , bleibt unempfindlich, nicht angesprochen und schließlich blind gegenüber den Werken Gottes, die wie die Geheimnisse des christlichen Glaubens ihrer Natur nach von der Technik ganz verschieden sind. Das Heilmittel, das in einem verdoppelten Bemühen bestünde, den Blick über die Schranken der Finsternis hinaus zu richten und in der Seele das Verlangen nach den übernatürlichen Wirklichkeiten zu fördern, wird schon am Ausgangspunkt von eben dieser "technischen Gesinnung" unwirksam gemacht, denn sie nimmt dem Menschen den kritischen Sinn für die eigenartige Unruhe und Oberflächlichkeit unserer Zeit: ein Versagen, das als eine ihrer Folgen leider auch die zugeben müssen, die wirklich und aufrichtig den Fortschritt der Technik billigen.

Die von der "technischen Gesinnung" erfüllten Menschen finden nur schwer noch jene Ruhe, Klarheit und Innerlichkeit, die Vorbedingung sind, wenn man den Weg zum menschgewordenen Gottessohn finden soll. Sie werden so weit kommen, den Schöpfer und sein Werk anzuklagen, indem sie die Menschennatur als Fehlkonstruktion bezeichnen werden, wenn die notwendig begrenzte Leistungsfähigkeit des Gehirns und der anderen menschlichen Organe die Verwirklichung technologischer Berechnungen und Pläne verhindert. Noch weniger vermögen sie die tiefen Geheimnisse des göttlichen Lebens und Heilswirkens zu verstehen und zu werten, wie etwa das Weihnachtsgeheimnis, in dem die Verbindung des Ewigen Wortes mit der Menschennatur noch ganz andere Wirklichkeiten und Größen schafft als die von der Technik ins Auge gefassten. Ihr Denken folgt anderen Wegen und anderen Methoden unter dem einseitigen Einfluss jener "technischen Gesinnung", die als Wirklichkeit nur anerkennt und schätzt, was sich in Zahlenverhältnissen und Nützlichkeitsberechnungen ausdrücken lässt. Sie glauben so die Wirklichkeit in ihre Elemente aufzulösen, aber ihr Erkennen bleibt an der Oberfläche haften und bewegt sich nur in einer Richtung. Es leuchtet ein, dass die Anwendung der technischen Methode als des einzigen Mittels der Wahrheitssuche darauf verzichten muss, etwa in die tiefen Wirklichkeiten des organischen und mehr noch des geistigen Lebens einzudringen, in die lebendigen Wirklichkeiten des Einzelmenschen und der menschlichen Gesellschaft, weil diese sich ja nicht in Mengenverhältnisse auflösen lassen. Wie soll man von einer solchen Einstellung Zustimmung und Bewunderung für die gewaltige Wirklichkeit erwarten, in die wir durch Jesus Christus, seine Menschwerdung und sein Erlösungswerk, seine Offenbarung und seine Gnade emporgehoben sind? Auch abgesehen von der religiösen Blindheit als Folge der "technischen Gesinnung", bleibt der von ihr besessene Mensch verkümmert in seinem Denken, gerade insofern er ein Ebenbild Gottes ist. Gott ist die unendlich umfassende Erkenntniskraft, während die "technische Gesinnung" alles tut, im Menschen das freie Ausstrahlen des Erkennens zu hemmen. Dem lehrenden wie dem lernenden Menschen der Technik, der sich vor dieser Geistesverkümmerung retten will, muss man nicht nur eine tie fgehende geistige Erziehung, sondern vor allem auch eine religiöse Bildung wünschen, die ganz im Gegensatz zu geläufigen Behauptungen der beste Schutz der Erkenntnis gegen einseitige Beeinflussung ist. Dann wird die Enge seines Erkennens gesprengt; dann offenbart sich ihm die Schöpfung in allen ihren Ausmaßen, besonders wenn er vor der Krippe zu begreifen sucht, was es ist um die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und die Erkenntnis der Liebe Christi (vgl. Eph 3, 18-19). Sonst wird das technische Zeitalter die Ungeheuerlichkeit vollbringen, den Menschen zum Riesen der physischen Welt zu machen - auf Kosten seines Geistes, den sie zum Zwerg der Welt des Übernatürlichen und Ewigen einschrumpfen lässt.

Der Einfluss der "technischen Gesinnung" auf die natürliche Lebensordnung der heutigen Menschen und ihre gegenseitigen Beziehungen ...

Aber der Einfluss des technischen Fortschritts macht hier noch nicht halt, wenn er einmal in das Bewusstsein als etwas Autonomes, als Selbstzweck aufgenommen ist. Niemand entgeht der Gefahr einer "technischen Lebensauffassung", d. h. der Haltung, das Leben ausschließlich zu betrachten unter der Rücksicht seiner technischen Werte, als technischen Stoff und als technische Kraft. Sie wirkt sich aus auf die Lebensweise der modernen Menschen und ihre gegenseitigen Beziehungen.

Achtet einmal darauf, wie sie daran ist, sich im Volk auszubreiten, und erwägt besonders, wie sie den menschlichen und christlichen Begriff der Arbeit umgewandelt hat, dann, welchen Einfluss sie ausübt in Gesetzgebung und Verwaltung. Das Volk hat mit gutem Recht den Fortschritt begrüßt, weil er die Last der Arbeit erleichtert und ihre Ergiebigkeit erhöht. Man muss aber offen sagen, dass, wenn diese Haltung nicht innerhalb der rechten Grenzen bleibt, die menschliche und christliche Auffassung vom Begriff der Arbeit notwendig Schaden leidet. Gleicherweise führt die falsche technische Lebensauffassung und darum auch eine solche von der Arbeit dazu, die Freizeit als Selbstzweck zu betrachten, anstatt sie anzusehen und auszunützen als Erholung und Kräftesammlung, wesentlich gebunden an den Rhythmus eines geordneten Lebens, in dem Ruhe und Arbeit sich in eins verflechten und gegenseitig ebenmäßig ergänzen. Noch deutlicher wird der Einfluss der "technischen Gesinnung" auf die Arbeit, wenn dem Sonntag seine einzigartige Würde als Tag der Gottesverehrung und der leiblichen wie seelischen Ruhe für den einzelnen wie für die Familie verlorengeht und wenn er statt dessen lediglich einer der durch die Woche gleitenden freien Tage wird, für jedes Glied der Familie vielleicht ein anderer, entsprechend dem größeren Gewinn, der sich von der technischen Kombination materieller und menschlicher Energie erhoffen lässt, oder wenn die Berufsarbeit so in den Gang der Maschine und Apparatur eingeschaltet wird, dass der arbeitende Mensch schnell verbraucht wird, wie wenn ein einziges Jahr der Berufsausübung die Kraft von zwei oder mehr Jahren eines normalen Lebens verbraucht hätte.

... auf ihre persönlichen Würden und ebenso auf die Weltwirtschaft ...

Wir wollen nicht weiter darauf eingehen, wie dieses System, das ausschließlich auf technische Gesichtspunkte achtet, gegen alle Erwartung ein Raubbau ist an den materiellen Hilfsquellen wie ebenso an den vornehmsten Energiequellen - zu denen sicher der Mensch zu rechnen ist - und sich folgerichtig auf die Dauer als kostspielige Belastung der Weltwirtschaft herausstellen muss. Wir können aber nicht umhin, auf die neue Form des Materialismus aufmerksam zu machen, den die "technische Gesinnung" in das Leben hineinträgt.

Es mag genügen, anzudeuten, dass sie das Leben seines Inhalts beraubt, denn die Technik ist ausgerichtet auf den Menschen und die Gesamtheit der geistigen und materiellen Werte, die seiner Natur und seiner menschlichen Würde zukommen. Wo die Technik uneingeschränkt autonom herrscht, würde sie alsbald die menschliche Gesellschaft in eine farblose Masse umwandeln, in etwas Unpersönliches und Schematisches, im Gegensatz also zum deutlichen Zweck der Natur und zur Absicht des Schöpfers .

... und auf die Familie ...

Ohne Zweifel sind große Teile der Menschheit noch nicht erfasst von der so genannten "technischen Lebensauffassung". Aber es steht zu befürchten, dass überall, wo der technische Fortschritt ohne Sicherungen eindringt, auch bald die Gefahr der angezeigten Unordnungen auftaucht. Wir denken mit besonderer Sorge an die Gefahr, die der Familie droht. Die Familie ist im sozialen Leben die sicherste Grundlage der Ordnung, insofern sie in ihren Gliedern eine täglich sich wiederholende Fülle persönlicher Dienste zu wecken weiß, sie mit Banden des Gemüts an Haus und Herd fesselt und in der Erzeugung wie im Bewahren von Dingen des Gebrauchs in jedem von ihnen die Liebe zur Familientradition weckt. Wo aber die technische Lebensauffassung eindringt, verliert die Familie das persönliche Band ihrer Einheit, es schwindet ihre Wärme und ihre Beständigkeit. Sie bleibt Einheit nur, insoweit die Erfordernisse der immer stärker zunehmenden Massenproduktion es erzwingen. Die Familie bedeutet nicht mehr ein Werk der Liebe und eine Zuflucht der Herzen, sondern je nach den Umständen eine trostlose Sammelstelle von Arbeitskräften für jene Erzeugung oder von Verbrauchern der erzeugten materiellen Güter.

Die "technische Lebensauffassung" als besondere Form des Materialismus

Die "technische Lebensauffassung" ist also nichts anderes als eine besondere Form des Materialismus, insofern sie als letzte Antwort auf die Frage nach dem Dasein eine mathematische Formel und eine Nützlichkeitsberechnung bietet. Deshalb offenbart die heutige Entwicklung der Technik - wie wenn sie sich bewusst der Finsternis wäre, die sie umhüllt, Unruhe und Angst. Sie melden sich besonders in den Maßnahmen derer an, die sich in der fieberhaften Suche nach immer verwickelteren und gewagteren Systemen abmühen. Eine so gelenkte Welt kann nicht behaupten, erleuchtet zu sein von dem Licht, noch belebt von dem Leben, die den Menschen zu bringen das Wort, der Abglanz der Herrlichkeit Gottes (vgl. Hebr.1., 3), in seiner Menschwerdung gekommen ist.

Im Morgengrauen der Kirchengeschichte, unter der Herrschaft Trajans, schrieb der heilige Ignatius von Antiochien einen Gedanken nieder, der auch die modernen Gemüter als Entdeckung eines zweitausendjährigen Erfahrungsschatzes fasziniert: "In den Zeiten, in denen das Christentum der Gegenstand des Hasses der Welt ist, kommt es nicht auf überzeugende Worte an, sondern auf Größe."

In der religiösen Krise unserer Zeit - vielleicht der schwersten, die die Menschheit seit den Anfängen des Christentums durchgemacht hat - genügt die vernunftgemäße wissenschaftliche Darlegung der Glaubenswahrheiten an sich nicht mehr, so wirksam sie auch in Wirklichkeit sein mag oder ist. Und es würde auch nicht das allzu oft so kärgliche Maß eines christlichen Lebens genügen, das vom Herkommen und der Gewohnheit diktiert wird. Heute ist die Größe eines in seiner Fülle mit ausdauernder Standhaftigkeit gelebten Christentums nötig, nötig ist die kühne und tapfere Schar jener Männer und Frauen, die, inmitten der Welt lebend, jeden Augenblick bereit sind, für ihren Glauben, für das Gesetz Gottes, für Christus zu kämpfen ...

Kirche und technischer Fortschritt

Man hat auch neuerdings dem Christentum den Rat gegeben wenn es noch eine gewisse Bedeutung behalten, wenn es den toten Punkt überwinden wolle -, sich dem modernen Leben und Denken anzupassen, den wissenschaftlichen Entdeckungen und der außerordentlichen Macht der Technik, der gegenüber seine geschichtlichen Formen und seine alten Dogmen nichts anderes mehr als fast erloschene Lichter der Vergangenheit wären.

Welch ein Irrtum, und wie deckt er die eitle Täuschung oberflächlicher Geister auf! Sie wollen anscheinend die Kirche in die engen Belange der rein menschlichen Organisationen wie in ein Prokrustesbett zwängen. Als ob die neue Gestaltung der Welt, als ob die gegenwärtige Herrschaft der Wissenschaft und der Technik das ganze Feld besetzt hielten und keinen Raum mehr für das übernatürliche Leben ließen, das überall aufbricht! Sie sind nicht imstande, es abzuschaffen oder aufzusaugen; im Gegenteil, jene wunderbaren wissenschaftlichen Entdeckungen (welche die Kirche begünstigt und fördert) lassen mit größerer Stärke und Wirkung als zuvor Gottes ewige Macht erkennen.

Aber das moderne Denken und Leben muss für Christus wiedergewonnen und zu ihm zurückgeführt werden. Christus, seine Wahrheit, seine Gnade, sind notwendig für die Menschheit unserer Zeit, für die von gestern und vorgestern und aller vergangenen und künftigen Jahrhunderte. Er ist die einzige Quelle des Heils.

Keine Trennung zwischen Religion und Leben

Eine scharfe Trennungslinie zwischen Religion und Leben, zwischen Übernatürlichem und Natürlichem, zwischen Kirche und Welt ziehen wollen, so als hätten sie nichts miteinander zu tun, als hätte das Reich Gottes keine Geltung in der ganzen vielfältigen Wirklichkeit des täglichen Lebens, des menschlichen und des sozialen Lebens, das ist dem katholischen Denken völlig fremd, das ist offen antichristlich. Je mehr also dunkle Mächte ihren Druck verstärken, je mehr sie sich bemühen, die Kirche und die Religion aus der Welt und aus dem Leben zu verbannen, um so mehr ist auf seiten der Kirche ein einziges, ausdauerndes Bemühen nötig, alle Bereiche des menschlichen Lebens der milden Herrschaft Christi zurückzugewinnen und zu unterwerfen, damit sein Geist dort weiter wehe, sein Gesetz souveräner herrsche, seine Liebe siegreicher triumphiere (Aus der Weihnachtsbotschaft vom 24. Dezember 1953).

60. AN DIE CHRISTEN IN RUSSLAND

ALS DER LETZTE FURCHTBARE KRIEG ausbrach, haben Wir alles unternommen, was in Unserer Macht lag, durch Wort, Ermahnung und Tat dazu beizutragen, damit die Zwistigkeiten durch einen gerechten Frieden beigelegt würden und alle Nationen freundschaftlich zusammenwirkten, um ein besseres Wohlergehen der Völker zu erreichen. Niemals, auch in jenen Zeiten nicht, ist aus Unserem Munde ein Wort gekommen, das einem Teil der Kriegführenden ungerecht oder hart erscheinen konnte. Sicherlich haben Wir, wie es Unsere Pflicht war, jede Ungerechtigkeit und jede Rechtsverletzung getadelt. Aber Wir taten dies so, dass Wir mit peinlicher Sorgfalt alles vermieden, was Ursache größerer Leiden für die unterdrückten Völker hätte werden können. Und als Uns von manchen Seiten nahegelegt wurde, Wir sollten mündlich oder schriftlich jenen Krieg gutheißen, der im Jahre 1941 gegen Russland unternommen worden war, haben Wir niemals dies zu tun eingewilligt, und haben das in einer Ansprache vor dem Heiligen Collegium und dem diplomatischen Korps am 25. Februar 1946 offen ausgesprochen.

Verteidigung der Religion in Sowjetrussland

Wenn es sich darum handelt, die Sache der Religion, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der christlichen Kultur zu verteidigen, so dürfen Wir gewiss nicht schweigen. Unsere Gedanken und Absichten sind immer darauf gerichtet, dass alle Völker nicht mit Waffengewalt, sondern durch das Recht regiert werden. Jedes Volk möge in bürgerlicher und religiöser Freiheit im eigenen Innern in Eintracht und Frieden leben. Unsere Worte und Ermahnungen gehen alle Völker an, und daher auch euch, die ihr Unserem Herzen immer nahe seid, und deren Nöte und Bedürfnisse Wir nach Kräften zu erleichtern wünschen. Jene, die nicht die Lüge, sondern die Wahrheit lieben, wissen, dass Wir Uns während des gesamten Verlaufs des letzten Krieges unparteiisch gegen alle Kriegführenden gezeigt haben, und haben dies oft in Wort und Tat bewiesen. Wir haben in Unsere Liebestätigkeit alle Völker eingeschlossen, auch jene, deren Regierung sich als Feinde des Heiligen Stuhles bekennen, und sogar jene, in denen die Feinde Gottes alles Christliche und Göttliche bekämpfen und es aus den Herzen ihrer Bürger auszutilgen suchen. Denn nach dem Auftrag Jesu Christi, der dem heiligen Petrus - dessen unwürdiger Nachfolger Wir sind - die gesamte Herde des christlichen Volkes anvertraut hat, lieben Wir mit inniger Liebe alle Völker und wünschen die irdische Wohlfahrt und das ewige Heil eines jeden. Daher werden alle, ob sie nun untereinander mit Waffen Krieg führen oder durch ernste Streitigkeiten entzweit sind, von Uns als gleichgeliebte Kinder betrachtet. Und Wir flehen zu Gott in Unseren Gebeten für sie um nichts anderes als um wechselseitige Eintracht, um den gerechten und wahren Frieden und um eine immer größere Wohlfahrt ...

Wir haben, wie es die Pflicht Unseres Amtes erfordert, die Irrtümer zurückgewiesen und verurteilt, die von den Verfechtern des atheistischen Kommunismus gelehrt und zum großen Schaden der Völker verbreitet werden. Wir sind aber weit davon entfernt, die Irrenden zurückzustoßen, sondern wünschen vielmehr, dass sie zur Wahrheit zurückfinden und auf den rechten Weg zurückkehren. Wir haben auch jene Lügen bloßgestellt und getadelt, die recht oft unter dem falschen Anschein von Wahrheit angepriesen werden, und dies gerade, weil Wir euch gegenüber eine väterliche Zuneigung hegen und nur euer Bestes anstreben ...

Wir wissen, dass viele von euch in ihrem Innersten den christlichen Glauben bewahren und sich auf keine Weise verführen lassen, den Feinden der Religion zu weichen, ja dass sie vielmehr glühend begehren, die christliche Lehre, das einzige und sichere Fundament des gesitteten Lebens, bekennen zu dürfen, und das nicht nur im privaten Leben, sondern ganz offen, wie es freien Menschen zukommt. Es ist für Uns so dann eine tiefe Freude und gereicht Uns zu größtem Trost, dass ihr mit inniger Liebe der Jungfrau Maria und Gottesmutter anhängt, sie liebt und ihre Bilder verehrt. Es ist Uns bekannt, dass sogar im Kreml eine Kirche erbaut worden ist - die heute leider dem göttlichen Kult entzogen ist - welche der in den Himmel aufgenommenen allerseligsten Jungfrau Maria geweiht war. Das ist ein offenes Zeugnis der Liebe, die eure Vorfahren und ihr der erhabenen Mutter Gottes entgegenbringt.

Die Gottesmutter und Russland

Wir wissen, dass die Hoffnung auf Errettung da nicht zuschanden werden kann, wo sich die Herzen in aufrichtiger und innigster Frömmigkeit der Allerseligsten Gottesmutter zuwenden. Denn wie sehr sich auch die Menschen mühen mögen, und seien sie noch so skrupellos und mächtig, aus den Herzen der Staatsbürger Religion und christliche Tugend auszumerzen, wie sehr auch Satan selbst versuchen mag, diesen gotteslästerlichen Kampf mit allen Mitteln voranzutreiben, gemäß dem Worte des Völkerapostels: " ... wir haben nicht gegen Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Mächte und Gewalten, gegen die finsteren Weltherrscher, gegen die bösen Geister ... " (Eph 6,12), so werden doch, wenn Maria mit ihrem machtvollen Schutze dazwischentritt, die Pforten der Hölle nicht die Oberhand behalten können. Denn sie ist die allergütigste und mächtigste Mutter Gottes und unser aller Mutter, und nie hat man gehört, dass sich einer flehend an sie gewandt und nicht ihre mächtige Hilfe erfahren hätte. Fahrt also fort, sie, wie ihr es gewohnt seid, mit glühender Frömmigkeit zu verehren, sie innig zu lieben und sie mit den Worten anzurufen, die euch vertraut sind: "Nur dir, heiligste und reinste Mutter Gottes, ist es gewährt, immer erhört zu werden."

Wir aber erheben zusammen mit euch Unsere flehenden Anrufungen zu ihr, auf dass die christliche Wahrheit, Zierde und Stütze des menschlichen Gemeinschaftslebens, stärker werde und in Kraft sei unter den Völkern Russlands; aller Trug der Feinde der Religion, alle ihre Irrtümer und gleisnerischen Künste mögen von euch weit zurückgewiesen werden. Öffentliche und private Sittlichkeit mögen zum Einklang mit den Geboten des Evangeliums zurückkehren, damit insbesondere jenen unter euch, die sich als Katholiken bekennen und, wenn auch ihrer Oberhirten beraubt, mit furchtlosem Starkmut den Angriffen der Ruchlosigkeit widerstehen - wenn nötig, bis in den Tod -, damit jene gerechte Freiheit, die der menschlichen Person, den Staatsbürgern und den Christen zukommt, aber auch sonst allen zurückgegeben wird, wie es ihr Recht ist. Vor allem auch der Kirche, die den göttlichen Auftrag hat, die Menschen in den religiösen Wahrheiten und in der Tugend zu unterweisen. Dadurch erstrahle endlich wahrer Friede für die gesamte Menschheit, der, auf Gerechtigkeit gegründet und von Liebe genährt, alle Stämme glücklich zu jenem gemeinsamen Gedeihen der Menschen und Völker hinführe, das sich aus echter Eintracht der Herzen ergibt.

Möge es unserer liebevollsten Mutter gefallen, mit gütigen Augen auch auf jene zu schauen, die die Scharen der kämpfenden Atheisten organisieren und bemüht sind, ihren Unternehmungen jeden nur möglichen Ansporn geben. Möge sie ihre Geister mit dem Licht erleuchten, das von oben kommt, und ihre Herzen mit der göttlichen Gnade zum Heile lenken.

Flehentlich bitten sodann wir die allergütigste Mutter, sie möge jedem von euch in der gegenwärtigen Not beistehen und von ihrem göttlichen Sohn für euch jenes Licht erlangen, das vom Himmel kommt, und euch jene Tugend und jene Stärke erflehen, mit der ihr, von der göttlichen Gnade aufgerichtet, die Gottlosigkeit und den Irrtum siegreich überwinden könnt (Aus dem Apostolischen Brief "Sacro Vergente Anno", 7. Juli 1952).

61. DIE KIRCHEN DES OSTENS

ALLE OSTKIRCHEN sind - wie die Geschichte lehrt - von den römifschen Päpsten stets mit großer Liebe umgeben worden. Aus Schmerz über ihre Trennung von der einen Herde Christi und getrieben, nicht von menschlichen Interessen, sondern allein von der göttlichen Barmherzigkeit und von der Sehnsucht nach dem gemeinsamen Heil, haben die Päpste sie zu wiederholten Malen eingeladen, doch möglichst bald zu jener Einheit zurückzukehren, von der sie sich unglücklicherweise getrennt haben. Denn die Päpste wissen aus Erfahrung, welche Fülle von Segen aus dieser glücklich wiederhergestellten Einheit für die ganze christliche Gesellschaft und insbesondere für die Ostkirchen selbst ersprießen wird. Und in der Tat muss aus der vollen und vollkommenen Einheit aller Christen ein machtvolles Gedeihen für den mystischen Leib Jesu Christi und seine einzelnen Glieder hervorgehen.

Kein Verzicht auf Riten und Bräuche

Hierzu ist zu bemerken, dass die Orientalen in keiner Weise zu fürchten brauchen, sie würden bei der Rückkehr zur Einheit des Glaubens und der kirchlichen Leitung gezwungen, ihre rechtmäßigen Riten und Bräuche aufzugeben: dies haben Unsere Vorgänger mehr als einmal offen ausgesprochen. "Es besteht also kein Grund zu der Befürchtung, dass Wir oder Unsere Nachfolger irgend etwas von eurem Rechte, von den Privilegien der Patriarchen und von den rituellen Bräuchen der Kirchen fortnehmen werden."

Obgleich der glückverheißende Tag noch nicht gekommen ist, an dem es Uns vergönnt sein wird, mit väterlicher Liebe alle Völker des Orients zu umfangen, die zur einen Herde Christi zurückgekehrt sind, so sehen Wir doch mit Freude, dass nicht wenige Kinder dieser Gebiete, die den Stuhl Petri als den Felsen der katholischen Einheit erkannt haben, mit Standhaftigkeit darin beharren, eben diese ihre Einheit zu verteidigen und zu befestigen (Aus der Enzyklika "Orientales omnes Ecclesias", 23. Dezember 1945).

Die Ostkirchen sind in der jüngsten Zeit, und auch in der unseren, immer auf ganz besondere Weise der Gegenstand Unserer Hirtensorge gewesen, wie allen bekannt ist. In der Tat haben Wir, kaum dass Wir, ohne alles Verdienst, durch den geheimen Ratschluss Gottes auf den Stuhl des Apostelfürsten erhoben worden waren, Unseren Sinn und Unser Herz denen zugewandt, die "außerhalb der katholischen Kirche leben" und von denen Wir aufs sehnlichste wünschen, dass sie so bald wie möglich zur Hürde des gemeinsamen Vaters, der Heimstatt ihrer Vorväter, zurückkehren mögen. Verschiedenste Erweise väterlichen Wohlwollens haben Wir ihnen während Unseres Pontifikats gegeben. Jetzt aber rufen leider auch andere Gründe nach Unserer Sorge und Anteilnahme. Denn in vielen Gebieten, in denen der orientalische Ritus vorherrschend verbreitet ist, ist ein neuer Sturm losgebrochen, der blühende christliche Gemeinden zu verheeren und zu vernichten sucht. Wenn in den vergangenen Jahrhunderten ein einzelnes Dogma der katholischen Lehre angegriffen wurde, so geht man heute mit Verwegenheit weit darüber hinaus. Man sucht aus der bürgerlichen Gemeinschaft, aus den Familien, den Universitäten, den Schulen und aus dem Leben des Volkes alles das zu tilgen, was göttlich ist oder eine Beziehung zur Gottheit aufweist, als ob es sich um Fabeln und unheilvolle Dinge handelte, und Rechte, Einrichtungen und heilige Gesetze werden mit Füßen getreten. Wir wissen, dass es sehr viele Christen des orientalischen Ritus gibt, die heute bitter weinen, wenn sie sehen, wie ihre Bischöfe getötet oder vertrieben oder in ihrem Amt behindert werden, dass sie nicht mehr frei das Wort an ihre Herde richten noch ihre Autorität über sie ausüben können, wie es sich gebührt; wenn sie sehen, wie nicht wenige ihrer Gotteshäuser weltlichem Gebrauch übergeben werden oder elend verwahrlosen; wenn sie sehen, dass sich aus diesen Kirchen nicht mehr die wunderbar nach den Regeln ihrer Liturgie modulierten Stimmen all derer zum Himmel erheben können, die beten, um den Tau der himmlischen Gnaden herabzuflehen zur Erhebung der Geister, zur Tröstung der Herzen und zur Heilung so übergroßer Übel.

Wir wissen, dass viele in Kerker oder Konzentrationslager geworfen worden sind oder, wenn sie zu Haus~ leben, nicht mehr ihre geheiligten Rechte ausüben können. Es handelt sich hier nicht nur um das Recht, den Glauben im innersten Heiligtum des Gewissens zu bekennen, sondern auch das weitere, ihn im Kreis der Familie zur rechten Erziehung der Nachkommen und in der Schule zur rechten Ausbildung der Jugend verteidigen und verbreiten zu können.

Wir wissen aber auch, dass die Söhne der Ostkirchen, in brüderlicher Verbundenheit mit den Gläubigen des lateinischen Ritus, in Festigkeit die Kämpfe der gegenwärtigen Verfolgungen ertragen und gemeinsam des Martyriums, wie auch des Triumphes und der Glorie, die ihnen folgen, teilhaftig sind. Mit heldenhaftem Mut harren sie aus in ihrem Glauben; sie widerstehen den Feinden des Christentums mit derselben unbesiegten Stärke, mit der einst ihre Vorfahren widerstanden. Sie senden ihr Flehen zum Himmel empor, wenn nicht in aller Öffentlichkeit, so doch wenigstens jeder für sich; sie bleiben dem Papst treu und ihren Oberhirten verbunden.

Alsdann verehren sie in ganz besonderer Weise die heilige Jungfrau Maria, die liebevolle und mächtige Königin des Himmels und der Erde, deren unbeflecktem Herzen Wir sie alle geweiht haben. All dies ist ohne Zweifel ein Vorzeichen des sicheren künftigen Sieges, der aber nicht aus dem Blute von Menschen entspringt, die einander bekämpfen, der nicht von zügelloser Gier nach irdischer Macht genährt wird, sondern der sich auf die wahre, rechtmäßige Freiheit gründet, auf Gerechtigkeit, die nicht durch Worte, sondern durch Taten geübt wird, und zwar den Staatsbürgern wie den Völkern und Nationen gegenüber; des Sieges, der gegründet ist auf frieden und brüderliche Liebe, die alle durch Bande der Freundschaft vereinen; auf die Religion vor allem, die in rechter Weise die Sitten ordnet, die Bestrebungen der einzelnen mäßigt, indem sie diese in den Dienst des Gemeinwohls stellt, den Geist zum Himmel erhebt und endlich die bürgerliche Gemeinschaft und die Eintracht aller schützt.

Dies ist Gegenstand Unserer lebhaftesten Hoffnungen. Unterdessen sind jedoch die Nachrichten, die zu Uns gelangen, solcher Art, dass sie Unseren Schmerz noch bitterer machen. Tag und Nacht wenden Wir Unseren Geist und Unser Herz mit väterlicher Sorge jenen zu, die Uns durch göttlichen Auftrag anvertraut worden sind, und von denen Wir wissen, dass sie an manchen Orten auf so unwürdige Weise behandelt werden, dass sie wegen ihrer unerschütterlichen Anhänglichkeit an den katholischen Glauben Gegenstand von Verleumdungen sind und ihrer gesetzlichen Rechte beraubt werden.

Ihr habt die Welt besiegt

All dies ist für Uns Grund bitteren Schmerzes. Wir können die Tränen nicht zurückhalten, wenn Wir den gütigen Gott und Vater der Barmherzigkeit bitten, er möge diejenigen, die für diese traurige Lage verantwortlich sind, erleuchten und so vielen Übeln ein Ende setzen.

Jedoch inmitten des großen Unheils, das Uns wie euch betrübt, finden Wir dennoch manchen Trost in den Nachrichten, die zu Uns gelangen. Es ist Uns bekannt, dass alle, die sich in so beklagenswerten Verhältnissen befinden, dennoch in ihrem Glauben mit furchtloser Standhaftigkeit ausharren. Sie erwecken Unsere und aller Aufrechten Bewunderung. Ihnen allen gilt Unser väterliches Lob; ihre Kraft möge sich immer mehr festigen, sie mögen fest davon überzeugt sein, dass Wir als ihr gemeinsamer Vater, den die Sorge um alle Kirchen bewegt und "die Liebe Christi antreibt", jeden Tag flehende Bitten zum Himmel emporsenden, auf dass das Reich Christi, der den Seelen, den Völkern und Nationen den Frieden bringt, überall siegreich herrsche.

Bei dem traurigen Anblick all dieser Leiden, die nicht nur Unsere Kinder im Laienstand, sondern vor allem die Priester getroffen haben - damit wahr werde, was in der Heiligen Schrift zu lesen: "Ich will den Hirten schlagen, dann werden sich die Schafe der Herde zerstreuen" (Mt 26,31), können wir nicht umhin, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass im Lauf der Jahrhunderte bei allen Völkern die Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen immer mit gebührender Verehrung umgeben worden sind. Als uns dann der göttliche Erlöser, nachdem die Finsternisse des Irrtums zerstreut waren, die himmlische Wahrheit gelehrt hatte und uns in unendlicher Güte an seinem ewigen Priestertum teilnehmen ließ, da wuchs diese Verehrung machtvoll an, dass Bischöfe und Priester wie Väter betrachtet wurden, die nach nichts anderem streben als nach dem Wohl des ihnen anvertrauten Volkes.

Jedoch derselbe göttliche Erlöser hat auch gesagt: "Kein Jünger ist über dem Meister"; "Wie sie mich verfolgt haben, so werden sie auch euch verfolgen"; "Selig seid ihr, wenn sie euch beschimpfen und verfolgen und um meinetwillen euch Lügnerisch alles Böse nachsagen. Freuet euch und frohlocket, denn groß wird euer Lohn im Himmel sein" (Mt 1.0,24, Mt. 5,11-12).

Christenverfolgung

Es besteht also kein Grund, sich zu wundern, wenn in unseren Tagen, und vielleicht sogar mehr als in den vergangenen Jahrhunderten, die Kirche Jesu Christi und im besonderen ihre Diener Verfolgung, Lügen, Verleumdung und Betrübnisse jeder Art erleiden; aber Wir setzen Unsere Hoffnung um so mehr auf ihn, der das künftige Unheil vorhergesagt, aber uns zugleich mit diesen Worten im voraus ermahnt hat: "In der Welt werdet ihr zu leiden haben; aber fasset Mut, ich habe die Welt überwunden" (Joh 16,33).

Wenn Wir auch für die unzählbaren Scharen, die in jenen Gebieten Krankheit, Schmerzen und Ängste erdulden oder im Kerker schmachten, die Worte Christi nicht in die Tat umsetzen können:

"Ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Kerker und ihr seid zu mir gekommen" (Mt 25, 36), so können Wir doch eines tun: Mit Gebeten und Bußübungen können Wir von dem allbarmherzigen Gott erbitten, er möge seine trostbringenden Engel zu jenen leidenden Brüdern, Unseren Söhnen und Töchtern, senden und ihnen reichste himmlische Gaben spenden, die ihre Seelen trösten und stärken und zu himmlischen Dingen erheben.

Insbesondere wünschen Wir, dass alle Priester, die täglich das eucharistische Opfer darbringen, all jener Bischöfe und Priester gedenken, die, fern von ihren Kirchen und Gläubigen, keine Möglichkeit haben, an den Altar zu treten, um das Opfer Christi zu feiern und sich und ihre Gläubigen mit göttlicher Speise zu nähren, aus der unsere Seele eine Süßigkeit schöpft, die alles Verlangen übersteigt, und jene Kraft empfängt, die zum Siege führt (Aus der Enzyklika "Orientales Ecclesias", 23. Dezember 1952).

62. AUFGABEN DER CHRISTLICHEN PRESSE

DIE PRESSE MUSS GRADLINIG der Wahrheit treu sein, soll sich ihr ungeheurer Einfluss nicht zugunsten des Irrtums auswirken. Die Wahrheit, von der Wir sprechen, ist die Wahrheit der Anschauung, die man von den Ereignissen hat, und die Wahrheit der Darstellung, die sich dann verwirklicht, wenn die Ereignisse getreu dargestellt werden, wie sie gesehen worden sind, und wenn sie einzig im Lichte der Gerechtigkeit und der Liebe gedeutet werden.

Die Wahrheit ist leidenschaftslos, nicht parteiisch, sie ist konkret und nicht phantastisch. Die Wahrheit ist nicht käuflich. Sie fürchtet nicht die Öffentlichkeit, sie verlangt nur, in dem hellen, klaren Licht der Objektivität dargestellt zu werden und nicht in irgendeiner Spektralfarbe des Vorurteils oder der Vermutung. Die Wahrheit ist auch diskret und weiß, dass die Wirklichkeit zuweilen mit Vorbehalten umschrieben werden muss, dass das Böse nicht ausgeschmückt werden darf, während das Gute besudelt wird. Die Wahrheit ist bescheiden und weiß, dass der Tod durch die Fenster der Augen in die Seele eintreten kann. Lehrt nicht leider die Erfahrung, dass aus einer Presse ohne ethisches Niveau, die die Forderungen der Wahrheit aus den Augen verliert, unberechenbarer Schaden für die bürgerliche Gesellschaft und die häusliche Gemeinschaft entstehen kann? (Aus der Ansprache an die Vertreter der Presse der Vereinigten Staaten, vom 27. April 1946).

Der katholische Publizist

Der moderne Mensch gefällt sich darin, unabhängig und unbefangen zu scheinen. Aber sehr oft ist das nur eine Fassade, hinter der sich armselige, leere, schlaffe Wesen verbergen, ohne geistige Kraft, die Lüge zu entlarven, ohne die Stärke, der Gewalttätigkeit jener zu widerstehen, welche fähig sind, alle Errungenschaften der modernen Technik, die ganze raffinierte Kunst der Überredung aufzubieten, sie der Freiheit des Denkens zu berauben und sie den gebrechlichen "Schilfrohren im Winde" ähnlich zu machen.

Könnte man ohne Furcht behaupten, die Mehrheit der Menschen sei fähig, Tatsachen und Strömungen nach ihrem wahren Wert zu beurteilen und zu verstehen, und zwar so, dass ihre Meinung von der Vernunft geleitet wird?

Zahlreich sind diejenigen Menschen, deren begrenztes Gesichtsfeld nicht über das eigene beschränkte Spezialwissen oder die rein technische Fähigkeit hinausreicht. Gewiss nicht von solchen Menschen kann man normalerweise eine Erziehung der öffentlichen Meinung und Festigkeit einer listigen Propaganda gegenüber erwarten, die sich das Vorrecht anmaßt, die öffentliche Meinung zu formen, wie es ihr beliebt. In dieser Hinsicht sind die Menschen von christlichem Geist, der schlicht, rechtschaffen und klar ist, obgleich oft ohne viel gelehrte Bildung, ihnen weitaus überlegen.

Daher sehen sich die Menschen, denen die Aufgabe überlassen werden sollte, die öffentliche Meinung zu bilden und zu führen, oft in einer Lage - die einen aus schlechtem Willen oder Unfähigkeit, andere, weil es ihnen unmöglich gemacht wird oder sie behindert werden - die es ihnen schwer macht, ihre Aufgabe frei und glücklich zu lösen. Diese ungünstige Lage schadet vor allem der katholischen Presse in ihrem Wirken im Dienst an der öffentlichen Meinung ...

Wie die katholische Presse sein soll

Hier liegt also das Übel, das der katholische Publizist am meisten zu fürchten hat: Kleinmut und Mutlosigkeit. Schaut auf die Kirche! Seit fast zwei Jahrtausenden hat sie sich durch die mannigfaltigsten Schwierigkeiten, durch Widersprüche, Unverständnis, versteckte oder offene Verfolgung niemals niederdrücken lassen, niemals hat sie den Mut verloren. Nehmt euch ein Beispiel an ihr! Betrachtet in all den beklagenswerten Mängeln, die Wir angedeutet haben, das doppelte Bild dessen, was die katholische Presse nicht sein darf, und dessen, was sie sein soll.

In jeder Situation gegenwärtig und bereit zu handeln, muss sie dem wachsenden Rückschritt, dem Schwinden der Grundbedingungen für eine gesunde öffentliche Meinung ein unüberwindliches Hindernis entgegenstellen und all das konsolidieren und stärken, was noch am Leben geblieben ist. Sie verzichte gern auf unsichere Vorteile eines vulgären Interesses oder einer niedrigen Popularität. Sie widerstehe mit Energie und edler Würde allen direkten oder indirekten Versuchungen der Korruption. Sie habe den Mut - auch um den Preis finanzieller Opfer - aus ihren Spalten ohne Klage jede Anzeige, jede Publizität zu verbannen, die den Glauben und die Moral beleidigt. Wenn sie so verfährt, wird sie an innerem Wert gewinnen, sie wird sich schließlich Achtung und dann Vertrauen erwerben; sie wird die oft wiederholte Parole rechtfertigen: "In jedes katholische Heim die katholische Zeitung!"

Die Bildung der Meinung

Selbst wenn die öffentliche Meinung sich unter besten äußeren und inneren Voraussetzungen entwickeln und ausbreiten kann, ist sie nicht unfehlbar und kann beeinflusst werden.

Die Komplexität oder die Neuheit der Ereignisse und der Situationen kann einen merklichen Einfluss auf ihre Gestaltung ausüben, ganz abgesehen davon, dass sich viele leicht von den vorgefassten Urteilen und von dem herrschenden Strom der Ideen befreien, auch wenn die Gegenströmung objektiv gerechtfertigt wäre oder sich geradezu aufdrängte. Hier hat die Presse eine hervorragende Aufgabe zu erfüllen, um die Meinung zu bilden, nicht um sie zu beherrschen, sondern um ihr mit Nutzen zu dienen.

Diese heikle Aufgabe setzt bei allen, die sich mit der katholischen Presse befassen, Urteilsvermögen, Allgemeinbildung, vor allem philosophische und theologische Bildung, stilistische Begabung und psychologischen Takt voraus. Über an erster Stelle ist dafür ein edler Charakter unerlässlich, das heißt die tiefe Liebe und unwandelbare Achtung vor der göttlichen Ordnung, die alle Gebiete des Lebens umfasst und durchdringt; eine Liebe und eine Achtung, die der katholische Journalist nicht nur geheim im eigenen Herzen, fühlen und nähren darf, sondern im Herzen seiner Leser pflegen muss. Oft wird die so entzündete Flamme genügen, um den fast erloschenen Funken von Überzeugung und Gefühl, die auf dem Grunde des Gewissens schlummern, wieder anzufachen und zu beleben. In anderen Fällen wird ihnen die Großzügigkeit seiner Ansichten und seines Urteils die Augen öffnen, die allzu ängstlich in veralteten Vorurteilen befangen waren.

Wir glauben, dass diese katholische Auffassung von der Bildung der öffentlichen Meinung, ihrer Pflege und von den Diensten, die ihr die Presse erweist, auch geeignet und notwendig ist, um den Menschen gemäß eurem Ideal den Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens zu weisen ...

Diese katholische Auffassung der öffentlichen Meinung und des Dienstes, den ihr die Presse leistet, ist auch eine sichere Bürgschaft des Friedens. Dieser erhält Bestand durch die rechte Freiheit des Denkens und durch das Recht der Menschen auf das eigene Urteil, jedoch im Lichte des göttlichen Gesetzes.

Wo sich die öffentliche Meinung nicht mehr frei ausdrücken kann, ist der Friede in Gefahr.

Öffentliche Meinung gibt es auch im Bereich der Kirche

Endlich möchten Wir noch ein Wort über die öffentliche Meinung im Bereich der Kirche selbst hinzufügen in Bezug auf jene Fragen, die der freien Diskussion überlassen sind. Darüber kann sich nur wundern, wer die Kirche nicht oder nur schlecht kennt. Denn sie ist ein lebendiger Organismus, und ihrem Leben würde etwas fehlen, wenn es in ihm nicht eine öffentliche Meinung gäbe, deren Fehlen den Seelsorgern und Gläubigen zur Last zu legen wäre. Aber auch hier kann die katholische Presse sehr nützliche Dienste leisten. Vor allem jedoch muss in diesem Dienste der Journalist jenen Charakter haben, von dem Wir sprachen, und der aus unwandelbarer Achtung und tiefer Liebe zur göttlichen Ordnung gebildet ist. Das heißt im vorliegenden Fall zur Kirche, nicht nur, wie sie in den ewigen Plänen besteht, sondern auch im konkreten Leben hienieden, in Raum und Zeit; gewiss göttlich, aber aus menschlichen Gliedern und menschlichen Organen gebildet.

Hat er diesen Charakter, so wird sich der katholische Publizist vor stummem Servilismus ebenso zu hüten wissen wie vor unkontrollierter Kritik. Mit fester Umsicht wird er zur Bildung einer katholischen Meinung in der Kirche beitragen, vor allem, wenn, wie es heute vorkommt, diese Meinung zwischen den beiden gleich gefährlichen Polen eines illusionären und irrealen Spiritualismus und eines defaitistischen und materialistischen Realismus hin und her schwankt. Die katholische Presse wird, wenn sie sich diesen beiden Extremen fern hält, unter den Gläubigen ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben müssen. Nur so können alle falschen Ideen über Sendung und Möglichkeiten der Kirche in der zeitlichen Ordnung sowie, heute vor allem, in der sozialen Frage und dem Problem des Friedens ausgeschaltet werden (Aus der Ansprache an den Kongress der Internationalen katholischen Presse, Vom 1. Februar 1950).

63. DIE EUROPÄISCHE EINIGUNG

ALS NACH DEM LETZTEN KRIEG die führenden Männer einiger Länder beschlossen, internationale Einrichtungen ins Leben zu rufen, welche die Aufgabe haben sollten, den Frieden zu organisieren, lastete die grausame Erfahrung des vergangenen halben Jahrhunderts auf ihren Beratungen und erinnerte sie unaufhörlich daran, dass eine große Idee nicht genüge, die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs zu verbürgen. Die praktische Verwirklichung der Einigung Europas, deren Dringlichkeit alle bemerkten, nach der sie sich fast instinktiv orientierten, stieß auf zwei Haupthindernisse: das eine ist mit der Struktur des Staates gegeben, das andere ist psychologischer und moralischer Art. Das erste bringt eine Reihe von wirtschaftlichen, sozialen, militärischen und politischen Problemen mit sich. Die Länder, die sich zu vereinigen wünschen, stehen auf verschiedenen Stufen, sei es unter dem Gesichtspunkt natürlicher Reichtümer industrieller Entwicklung, sei es unter dem Gesichtspunkt der sozialen Verwirklichungen: Sie können kein gemeinsames Leben beginnen, ohne zuerst für die nötigen Mittel zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Gleichgewichts gesorgt zu haben. Aber als viel wichtiger erweist sich die Forderung des so genannten europäischen Geistes, des Bewusstseins der inneren Einheit, gegründet nicht auf die Befriedigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten, sondern auf die Wahrnehmung gemeinsamer geistiger Werte, die klar genug ist, um den festen Willen zum Leben in Einigkeit zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten.

Der europäische Geist

Da Wir nicht alle die vielfachen Gesichtspunkte untersuchen können, möchten Wir wenigstens einen hervorheben, der zu den größten Anliegen und täglichen Sorgen Unserer Aufgabe als Seelenhirt gehört. Wir haben auf den europäischen Geist hingewiesen. Es besteht kein Zweifel, dass er ein Ziel von entscheidender Wichtigkeit ist, ohne das nichts Dauerhaftes errichtet werden kann. Es sei Uns erlaubt, die Bedingungen hervorzuheben, unter denen er verwirklicht werden kann.

Es ist leicht, zu erkennen, dass alle Befürworter eines geeinten Europa ernste Zugeständnisse fordern: Verlegung von Industrien, Qualifikation der Arbeitskraft, Schwankungen und örtliche Schwierigkeiten in bestimmten Sektoren der Produktion: Das sind einige Möglichkeiten, denen sich Regierungen und Völker gegenüber sehen werden. Es können zeitweilige Schwierigkeiten entstehen, aber auch dauernde, die sicher nicht immer in kurzer Frist durch wirtschaftliche Vorteile ausgeglichen werden, so wie innerhalb eines Landes die ärmeren Gegenden lediglich durch den Beitrag der reicheren in den Genuss des gleichen Lebensstandards kommen. Man wird daher der öffentlichen Meinung jeder Nation Verzichtleistungen, vielleicht sogar solche für immer, annehmbar machen, ihr die Notwendigkeit erläutern, ihr den Wunsch einflößen müssen, dennoch mit den anderen vereint zu bleiben und ihnen weiter zu helfen.

Gemeinsame Verteidigung und Behauptung geistiger Werte

Die natürliche Reaktion der Egoismen ist leicht zu erraten, das fast instinktive Sich-in-sich-selbst-verschließen, eine gefährliche Waffe in den Händen der Opponenten und aller jener, deren zweideutige Ziele aus den Klagen anderer Nutzen ziehen wollen. Man muss daher von Anfang an überzeugt sein, dass die Aussicht auf materielle Vorteile nicht den Willen zu den Opfern verbürgen wird, die für ein gutes Gelingen unerlässlich sind. Früher oder später wird sich diese Aussicht als trügerisch und falsch erweisen. Man wird die Interessen der gemeinsamen Verteidigung anführen: die Furcht ruft ohne Zweifel eine heftige, aber gewöhnlich nur kurze Reaktion ohne konstruktive Kraft hervor, die unfähig ist, die verschiedenen Energien auf ein und dasselbe Ziel hinzuleiten und zu koordinieren.

Sucht man sichere Garantien für die Zusammenarbeit zwischen den Völkern, wie übrigens für jede menschliche Zusammenarbeit im privaten oder im öffentlichen Bereich, in begrenzten Sektoren wie auf internationaler Ebene - so werden sich nur die Werte geistiger Ordnung als wirksam erweisen. Nur sie werden es ermöglichen, über die Wechselfälle zu triumphieren, die zufällige Umstände oder, häufiger, die menschliche Schlechtigkeit alsbald hervorrufen werden. Ob zwischen Nationen oder zwischen Individuen: nichts dauert an ohne wahre Freundschaft (Aus einer Ansprache an die Vertreter der Europa-Union aus Brügge 15. März 1953).

Ernst der gegenwärtigen Stunde, besonders für Europa

Unsere schwere Sorge um Europa hat ihren Grund in den unaufhörlichen Enttäuschungen, in denen nun schon seit Jahren der sehnliche Wunsch seiner Völker nach Frieden und Entspannung gerade durch die materialistische Ausrichtung der Friedensfrage Schiffbruch leidet. Wir denken besonders an die, für die der Friede eine Frage der Technik ist und die das Leben der einzelnen wie der Nationen nur unter technisch-wirtschaftlicher Rücksicht betrachten. Diese materialistische Lebensauffassung droht zur Richtschnur geschäftiger Friedensmacher und das Rezept ihrer Friedenspolitik zu werden.

Nach ihrer Meinung liegt das Geheimnis der Lösung darin, allen Völkern materielle Wohlfahrt durch ständige Erhöhung der Ergiebigkeit der Arbeit und der Lebenshaltung zu geben, genau wie vor hundert Jahren eine andere ähnliche Losung das unbedingte Vertrauen der Staatsmänner fand: durch Freihandel zum ewigen Frieden.

Der geeignete Weg zum Frieden

Aber kein Materialismus war je ein geeigneter Weg zum Frieden, da dieser vor allem eine Geisteshaltung ist und erst in zweiter Linie ein ausgeklügeltes Gleichgewicht äußerer Kräfte. Es ist also ein Grundirrtum, den Frieden dem modernen Materialismus anzuvertrauen, der den Menschen in seiner Wurzel verdirbt und sein persönliches wie geistiges Leben erstickt. Zu demselben Misstrauen führt übrigens auch die Erfahrung, die auch für unsere Zeit wieder den Beweis liefert, dass das kostspielige Potential technischer und wirtschaftlicher Kräfte, wenn es sich mehr oder weniger gleichmäßig auf beide Seiten verteilt, zur gegenseitigen Abschreckung dient. Was herauskäme, wäre ein Friede der Furcht, nicht aber der Friede einer gesicherten Zukunft. Das ist unaufhörlich zu wiederholen, und die im Volk sind davon zu überzeugen, die sich leicht den Irrtum vorspiegeln lassen, der Friede bestehe im Überfluß an Gütern, während doch der sichere und beständige Friede vor allem eine Frage geistiger Einheit und sittlicher Gesinnung ist. Er verlangt bei Strafe einer neuen Katastrophe der Menschheit, dass man die trügerische Autonomie der materiellen Kräfte aufgebe, die sich in der modernen Zeit wenig von den eigentlichen Kriegswaffen unterscheiden. Die augenblickliche Lage wird keine Wendung zum Besseren nehmen, wenn nicht alle Völker die gemeinsamen geistigen und sittlichen Ziele der Menschheit anerkennen, wenn sie sich nicht helfen, sie zu verwirklichen, und sich infolgedessen nicht gegenseitig dazu bereitfinden, dem zersetzenden Missverhältnis entgegenzutreten, das unter ihnen in Sachen der Lebenshaltung und der Produktivität der Arbeit herrscht.

Die Einigung der Völker Europas

All dieses kann geschafft werden, ja es muss vordringlich verwirklicht werden in Europa, durch die Einigung seiner Völker, die zwar unter sich verschieden sind, aber geographisch und geschichtlich zusammenhängen. Eine starke Ermutigung zu solcher Einigung ist der offenbare Zusammenbruch der entgegengesetzten Politik und die Tatsache, dass die Völker selbst in ihren unteren Schichten ihre Verwirklichung erwarten, sie für notwendig und durchführbar halten. Die Zeit scheint also reif, die Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb ermahnen Wir zur Tat vor allem die christlichen Politiker, die man nur daran zu erinnern braucht, dass jede Art friedlicher Einigung der Völker immer eine Aufgabe des Christentums war. Warum noch zögern? Das Ziel ist klar, die Nöte der Völker liegen vor aller Augen. Wer im voraus eine absolute Gewähr des Erfolges verlangte, dem müsste man antworten, dass es sich gewiss um ein Wagnis handelt, jedoch um ein notwendiges; ein Wagnis, aber im Bereich der heutigen Möglichkeiten; ein vernünftiges Wagnis. Es braucht zweifelsohne behutsames Vorangehen, ein Vorangehen in wohl überlegten Schritten. Aber warum gerade jetzt Misstrauen hegen gegen den hohen Stand der politischen Wissenschaft und Praxis, die doch genugsam die Hindernisse vorauszusehen und die Gegenmittel anzuwenden wissen? Zur Tat dränge vor allem die Gefahr drohende Stunde, in der Europa sorgenvoll steht: für Europa gibt es keine Sicherheit ohne Wagnis. Wer unbedingte Sicherheit verlangt, beweist nicht den guten Willen zu Europa ...

Echte christliche Soziallehre

Der christliche Politiker dient also nicht dem inneren und folglich auch nicht dem äußeren Frieden, wenn er die feste Grundlage der sachlichen Erfahrung und der klaren Grundsätze aufgibt, sich gleichsam in einen charismatischen Verfechter einer neuen sozialen Welt verwandelt und dadurch beiträgt zu noch schlimmerer Verwirrung der schon unsicheren Gemüter. Dessen macht sich schuldig, wer glaubt, mit der sozialen Ordnung Experimente anstellen zu können, und besonders, wer nicht entschlossen ist, in allen Schichten die rechtmäßige Autorität des Staates und die Einhaltung der gerechten Gesetze zur Geltung zu bringen. Muss man vielleicht noch beweisen, dass die Schwäche der Autorität mehr als alle anderen Schwierigkeiten die Festigkeit eines Landes untergräbt und dass die Schwäche eines Landes die Schwächung Europas nach sich zieht und den allgemeinen Frieden in Gefahr bringt?

Die Autorität des Staates

Es ist also notwendig, der irrigen Meinung entgegenzutreten, als ob das rechte Behaupten der Autorität und der Gesetze notwendig der Tyrannei den Weg bahne. Wir selbst haben vor einigen Jahren beim gleichen Anlass wie heute (am 24. Dezember 1944), als Wir von der Demokratie sprachen, darauf hingewiesen, dass in einem demokratischen Staat, nicht weniger als in jedem anderen wohl geordneten Staat, die Autorität wahr und wirksam sein muss. Die Demokratie will zweifellos das Ideal der Freiheit verwirklichen, ideal ist aber nur jene Freiheit, die sich von jeder Zügellosigkeit fern hält, jene Freiheit, die mit dem Bewusstsein des eigenen Rechts die Achtung vor der Freiheit, der Würde und dem Recht der anderen verbindet und sich der eigenen Verantwortung für das allgemeine Wohl bewusst ist. Natürlich kann solche echte Demokratie nur leben und gedeihen in einer Atmosphäre der Ehrfurcht vor Gott und der Beobachtung seiner Gebote, wie der christlichen Solidarität oder Bruderliebe (Aus der Weihnachtsbotschaft 24. Dezember 1953).

Beziehungen zwischen Gemeinden

Eine unwiderstehliche Bewegung zwingt heute die Völker sich zusammenzuschließen, um ihrer Sicherheit willen oder um ihre wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten. Kein Land kann es sich heute gestatten, abseits zu stehen ohne ernste Gefahren für seinen eigenen Bestand und ohne Schaden für die Gesamtheit, die auf seinen Beitrag zählt. Man sollte annehmen, dass die Gemeinden keinen Grund haben, sich in solche Fragen einzuschalten, die ihren Rahmen sprengen. Das wäre ein Irrtum. Das gesellschaftliche Gefüge gleicht insoweit den Lebewesen: seine Gesundheit hängt ab von der normalen Leistung der Aufbauzellen; versagen einzelne davon, leidet der Gesamtkörper darunter, zum mindesten aber ergibt sich daraus eine dauernde Bedrohung für die Zukunft. Sie betonen mit Recht, dass eine Einheit ohne Risse in der Grundschicht die Bedingung für die Standfestigkeit des europäischen Raumes ist.

Aber über die Einrichtungen selber hinaus, die sozusagen das Knochengerüst des gesellschaftlichen Aufbaus bilden, gilt es auch dem Geist sein Augenmerk zu widmen, das heißt, der Gesamtheit der seelischen Bedingungen, die für eine wirksame Zusammenarbeit und ein dauerndes gutes Einvernehmen unentbehrlich sind: die Achtung vor dem andern, der Wunsch, ihn besser kennenzulernen, Opferbereitschaft zu seinen Gunsten, weil man erkannt hat, dass es niemals wirklichen Gegensatz zwischen den echten Interessen der Menschen und der menschlichen Gesellschaften gibt, besonders nicht auf geistigem und sittlichem Gebiet ...

Schon haben gewisse Gemeinden aus verschiedenen Ländern, sogar über den Ozean hin, damit begonnen, Freundschaftsbande untereinander zu knüpfen, kulturellen Austausch zu pflegen, im Notfall sich gegenseitig zu helfen. Derartige Verbindungen fördern nicht nur den berechtigten Stolz jedes einzelnen im Hinblick auf die Traditionen seiner Heimatstadt, sondern tragen auch dazu bei, Vorurteile wegzuräumen, Empfindlichkeiten zu mildern, die Bewunderung und die Zuneigung zu vergrößern, die man für die andern empfindet. Wenn man einen europäischen Geist entwickeln will, so muss man zuerst die Verbindungen zwischen den Gemeinden von einem Land zum andern in Rechnung stellen, mehr als die Beziehungen von zu engen Körperschaften oder von Regierungsorganen. Daher glauben Wir auch, dass der unmittelbare Austausch zwischen den Gemeinden dem europäischen Gedanken den idealen Kulturboden liefert mit seinem Reichtum an Jahrhunderte alten Traditionen, die der Bildung der modernen Staaten weit voraus sind.

Übrigens steht nichts im Wege, dass derartige Verbindungen über den europäischen Rahmen hinausgreifen.

Die Gefühle aufrichtiger Zuneigung kennen keine politischen Grenzen und keine Unterschiede von Rasse oder Kultur. Die christliche Liebe hat derartige Schranken nie anerkannt und erkennt sie auch weiterhin nicht an. Denn sie empfindet unmittelbar in jedem einzelnen und in jedem Zusammenschluss von Menschen das Vorhandensein einer nämlichen Würde und der gleichen Verantwortung vor dem Schöpfergott und den übrigen Gliedern der Gesellschaft. Auch die Menschheit selbst wird sich klarer bewusst, dass sie eine gemeinsame Bestimmung hat, zu der die gegenwärtigen Bemühungen keineswegs im Missverhältnis stehen; sie bewegen sich schon jetzt auf dieses Ziel hin und gewinnen dadurch eine hohe Bedeutung (Aus der Ansprache an den 12. Internationalen Gemeindekongress, 30. September 1955).

Stand und Aufgaben der Europäischen Einigung

Ihr Kongress hat sich mit der zukünftigen Entwicklung befasst und an erster Stelle den entscheidenden Punkt geprüft, von dem die Konstituierung einer "Gemeinschaft" im eigentlichen Sinne abhängt; die Begründung einer europäischen politischen Autorität, die wirkliche Gestalt besitzt und sich ihrer Verantwortung gemäß einsetzt. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die Exekutive der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einen Rückschritt dar im Vergleich zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, bei der die Hohe Behörde relativ umfassende Vollmachten hat und nicht vom Ministerrat abhängig ist, außer in gewissen genau bestimmten Fällen. Unter den Aufgaben, die Sie jetzt erwarten, steht im Vordergrund die Ratifikation der vorgenannten, am 25. März in Rom unterzeichneten Verträge durch die verschiedenen Parlamente; ferner werden Sie die Mittel zu finden haben, um für eine Stärkung der Exekutive in den bestehenden Gemeinschaften zu sorgen und damit die Konstituierung eines einheitlichen politischen Organismus ins Auge zu fassen.

Sie haben auch die Frage einer gemeinsamen Außenpolitik studiert und zu diesem Punkt festgestellt, dass sie, um anwendbar zu sein, und glückliche Resultate zu schaffen, nicht notwendigerweise zur Voraussetzung hat, dass die wirtschaftliche Integration als bereits vollendete Tatsache im voraus besteht. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik, die durchaus gewisse Differenzierungen einschließen kann, je nachdem sie im Kader der oder jener internationalen Organisation erfolgt, gründet sich ebenso auf das Bewusstsein gemeinsamer wirtschaftlicher, als auch gemeinsamer geistiger und kultureller Interessen. Sie wird unerlässlich in einer Welt, die sich in mehr oder minder kompakte Blöcke zu gruppieren neigt. Glücklicherweise fehlen auch die Ansatzpunkte nicht, um sie in den bestehenden europäischen Institutionen ins Werk zu setzen, aber sie bedarf auch eines wirksamen Instrumentes der Ausarbeitung und Anwendung.

Schließlich haben Sie auch die Fragen der Verbindung zwischen Europa und Afrika beraten, denen der jüngste Vertrag des Gemeinsamen Marktes einen bemerkenswerten Platz eingeräumt hat.

Es scheint Uns notwendig, dass Europa in Afrika die Möglichkeit behält, seinen erzieherischen und bildenden Einfluss auszuüben, und dass es auf der Grundlage dieser Tätigkeit eine ausgebreitete und verständnisvolle materielle Hilfe entfaltet, die dazu beitragen kann, den Lebensstandard der afrikanischen Völker zu heben und die natürlichen Reichtümer dieses Kontinents zu erschließen. So wird es beweisen, dass sein Wille, eine Staatengemeinschaft zu gründen, kein egoistisches Sichabschließen bedeutet, dass er nicht aus einem Verteidigungstrieb gegen äußere Mächte hervorgeht, die seine Interessen bedrohen, sondern vor allem aus konstruktiven und selbstlosen Gründen (Aus der Ansprache an den Europa-Kongress, 13. Juni 1957).

64. KIRCHE UND GESCHICHTE

Die Geschichte ist eine alte Wissenschaft. Sie hat sich jedoch erst in den letzten Jahrhunderten durch Systematisierung der kritischen Geschichtsforschung auf die Höhe ihrer Entwicklung emporgearbeitet, auf der sie nunmehr voranschreitet. Dem hohen Grad von Genauigkeit, die ihre Methode erreicht hat, und dem unermüdlichen Forscherdrang ihrer Fachleute haben wir es heute zu danken, dass wir die Vergangenheit genauer kennen und richtiger zu beurteilen vermögen als irgendwelche unserer Vorfahren. Das alles erhöht in Unseren Augen die Bedeutung der Stunde, die Wir mit Ihnen zusammen verleben.

Die Geschichte gehört zu den Wissenschaften, die mit der Katholischen Kirche in enger Beziehung stehen. Dies ist so wahr, dass Wir soeben nicht einmal Unser Wort der Begrüßung an Sie richten konnten, ohne diese Tatsache oder diesen Umstand fast unwillkürlich zu berühren. Die Katholische Kirche ist selber eine geschichtliche Tatsache und damit Gegenstand der Geschichte; ein Gegenstand, den man nicht übersehen kann, man mag zur Kirche stehen, wie man will. Wie ein gewaltiges Gebirge zieht sie sich durch die Geschichte der letzten zweitausend Jahre hin. Die Beurteilung, die sie erfährt, ist sehr verschieden; sie geht von stärkster Bejahung bis zu schärfster Ablehnung. Vom Historiker, dessen Aufgabe es ist, die Tatsachen, Ereignisse und Zustände möglichst so zu sehen und darzustellen, wie sie wirklich waren, sein Urteil über sie mag schließlich lauten, wie es will - vom Historiker glaubt die Kirche aber verlangen zu können, dass er auf jeden Fall Kenntnis nehme vom geschichtlichen Bewusstsein der Kirche, von der Art also, wie sie sich selber als geschichtliche Tatsache und wie sie ihr Verhältnis zur Menschheitsgeschichte sieht.

Über dieses Selbstbewusstsein der Kirche möchten Wir ein Wort zu Ihnen sprechen, wobei Wir Tatsachen, Phänomene und Auffassungen zur Sprache bringen, die Uns mehr grundsätzlicher Natur zu sein scheinen.

Gott ist der Herr der Geschichte

Gleich zu Beginn ein Wort zu einem Einwand, der sozusagen im Vorfeld unserer Erörterung erhoben wird. Das Christentum, so konnte oder kann man hören, steht der Geschichte notwendig feindlich gegenüber, weil es in ihr eine Offenbarung des Bösen und der Sünde sieht. Katholizismus und Historismus sind antithetische Begriffe. - Zunächst werden in dem so formulierten Einwand Geschichte und Historismus (oder Historizismus) begrifflich einander gleichgestellt; jedoch zu Unrecht. "Historismus" bezeichnet ein philosophisches System, jenes nämlich, das in allem Geistigen: im Wahrheitserkennen, in Religion, Sittlichkeit und Recht nur Wandel und Entwicklung sieht, also alles Bleibende, ewig Gültige und Absolute verneint. Ein solches System ist freilich unvereinbar mit der katholischen Weltanschauung und überhaupt mit jeder Religion, die einen persönlichen Gott anerkennt.

Die Katholische Kirche ist sich bewusst, dass der ganze geschichtliche Ablauf unter dem Wollen oder Zulassen der göttlichen Vorsehung sich vollzieht und dass Gott mit der Geschichte seine Ziele erreicht, wie es der große Augustinus in klassischer Kürze ausgedrückt hat: Was Gott beabsichtigt, "hoc fit, hoc agitur: etsi paulatim agitur, indesinenter agitur" - "das geschieht, das wird getan: und wenn es nur nach und nach getan wird, so wird es doch unablässig getan". Gott ist der Herr der Geschichte.

Damit ist die Antwort auf jenen Einwand selbst eigentlich schon vorweggenommen. Zwischen Christentum und Geschichte besteht kein Gegensatz in dem Sinn, als ob die Geschichte nur Ausfluss oder Offenbarung des Bösen wäre. Die Katholische Kirche hat solches nie gelehrt. Sie hat vom christlichen Altertum, von der Väterzeit her, ganz besonders aber in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Protestantismus und Jansenismus sich entschieden eingesetzt für die Natur, dass sie durch die Sünde nicht einfach verderbt, dass sie auch im gefallenen Menschen innerlich intakt geblieben ist, dass auch der vorchristliche und nichtchristliche Mensch Gutes tun und tugendhaft handeln konnte und kann, ganz abgesehen davon, dass die ganze Menschheit, auch die vorchristliche, unter der Gnade Christi steht.

Die Kirche als geschichtliche Tatsache

Die Kirche anerkennt gerne das Gute und Große, das auch im vor- oder außerchristlichen Raum geschehen ist oder geschieht. Auch Augustinus, auf den man sich von der anderen Seite gerne beruft in Missverständnis seiner Civitas Dei und der selbst aus seinem weitgehenden Pessimismus kein Hehl macht, auch er ist hier eindeutig: "Deus enim", schreibt er an den kaiserlichen Tribun und Notar Flavius Marcellinus "sic ostendit in opulentissimo et praeclaro imperio Romanorum quantum valerent civiles, etiam sine vera religione virtutes; ut intelligeretur, hac addita, fieri homines alterius civitatls, cuius rex veritas, cuius lex caritas, cuius modus aetemitas" - "denn Gott zeigt so an dem reichen und glänzenden Reich der Römer, wie viel die bürgerlichen Tugenden, wenn auch ohne die wahre Religion, wert waren; damit man begreife, wie nach deren Hinzutritt die Menschen eines anderen Staates sein würden, dessen König die Wahrheit, dessen Gesetz die Barmherzigkeit, dessen Weise die Ewigkeit ist". Augustinus hat damit die beständige kirchliche Auffassung ausgesprochen.

Die Ausgrabungen unter St. Peter

Doch nunmehr zur Kirche selbst als einer geschichtlichen Tatsache: Bei voller Bejahung ihrer göttlichen Stiftung und ihres übernatürlichen Charakters ist die Kirche sich gleichzeitig bewusst, dass sie als geschichtliche Tatsache in die Menschheit eingetreten ist. Ihr göttlicher Stifter Jesus Christus ist eine geschichtliche Persönlichkeit. Sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung sind geschichtliche Tatsachen. Es liegt der Fall vor, dass dieselben, welche die Gottheit Christi leugnen, seine Auferstehung von den Toten zugeben, weil sie geschichtlich zu gut bezeugt sei; wollte man sie leugnen, müsste man die ganze antike Geschichte streichen, denn besser als die Auferstehung Christi sei keine ihrer Tatsachen bezeugt. Die Mission und Ausbreitung der Kirche sind geschichtliche Tatsachen. Um hier in Rom Petrus und Paulus zu erwähnen: Paulus gehört, rein geschichtlich gesehen, gewiss zu den hochwertigsten Gestalten der Menschheit. Was den Apostel Petrus und seine Stellung in der Kirche Christi angeht, so haben Wir, wiewohl der monumentale Nachweis des Aufenthalts und Todes Petri in Rom für die Katholische Kirche glaubensmäßig nicht von wesentlichem Belang ist, doch die bekannten Ausgrabungen unter St. Peter vornehmen lassen. Die Methode derselben ist von der Kritik gebilligt, das Ergebnis, dass unter der Kuppel, senkrecht unter dem heutigen Papstaltar das Grab Petri liegt, von der starken Mehrzahl der Kritiker anerkannt worden; und selbst die schärfsten Skeptiker waren nicht wenig beeindruckt von dem, was die Ausgrabungen zutage gefördert haben. Übrigens haben Wir Grund zu der Annahme, dass die weiteren Forschungen und Studien noch zu neuen und wertvollen Kenntnissen führen werden.

Geschichtliche Aufgabe der Kirche: Erziehung des Menschen

Die Ursprünge des Christentums und der Katholischen Kirche sind geschichtliche Tatsachen, nach Ort und Zeit belegt und bestimmt. Dessen ist die Kirche sich bewusst.

Bewusst ist sie sich auch, dass ihre Sendung, so sehr deren Sinn und deren eigentliche Ziele im Religiös-Sittlichen, im Jenseitigen und Ewigen liegen, mitten und tief in die Geschichte der Menschheit hineingreift. Jederzeit und überall will sie den persönlichen Menschen, den einzelnen und möglichst alle einzelnen, aber deshalb auch die sittlichen Grundlagen des Zusammenlebens des Menschen nach dem Gesetz Christi formen, sich im übrigen den Verhältnissen von Raum und Zeit immer und immer wieder anpassend. Das Ziel der Kirche ist der natürlich gute Mensch, durchtränkt, veredelt und stark gemacht durch die Wahrheit und Gnade Christi.

Die Kirche will Menschen schaffen "festgefügt in ihrer unverletzlichen Ganzheit als Ebenbilder Gottes, ihrer persönlichen Würde und gesunden Freiheit sich stolz bewusste Menschen, Menschen, die in dem, was das Innerste der Menschenwürde ausmacht, zurecht auf Ebenbürtigkeit mit ihren Mitmenschen halten, in ihrem Boden und in ihren Sitten fest verankerte Menschen" - so haben Wir selbst es zusammengefasst in Unserer Ansprache vom 20. Februar 1946 anlässlich der Inthronisation der damals neu-kreierten Kardinäle: "Im gegenwärtigen und vorausgehenden Jahrhundert, wo die Probleme um die Familie, die Gesellschaft, den Staat, die soziale Ordnung sich höher und höher und schließlich berghoch erhoben, hat die Kirche alles daran gesetzt, um das Ihrige zur Lösung jener Fragen beizutragen, und Wir glauben nicht ohne allen Erfolg. Die Kirche ist sich jedoch bewusst, dass das Beste, was sie zur Lösung jener Fragen beitragen kann, immer der in der genannten Art geformte Mensch ist und sein wird."

Auf ihre Ziele arbeitet die Kirche hin nicht nur als "Denksystem" . Man bezeichnet sie freilich auch als Denksystem mit dem ihr selbst nicht geläufigen und nicht gerecht werdenden Ausdruck "Katholizismus". Sie ist immer mehr als nur ein Denksystem; sie ist eine Wirklichkeit wie die sichtbare Natur, wie das Volk, wie der Staat. Sie ist ein sehr lebendiger Organismus mit eigener Entelechie, eigenem Lebensprinzip. Auf der unwandelbaren Grundlage der Verfassung, der Struktur, die ihr göttlicher Stifter selbst ihr gegeben hat, nahm und nimmt sie die Stoffe auf, die sie zu ihrem Aufbau und ihrer Wirksamkeit benötigt oder für nutzbringend hält: Menschen und menschliche Institutionen, philosophische und religiöse Inspirationen, politische Kräfte und soziale Gedanken oder Einrichtungen, Grundsätze und tatsächliches Handeln. Die Kirche hat sich dementsprechend im Lauf der Jahrhunderte und im weltweiten Raum selbst gewandelt, ist aber im Wesen immer dieselbe geblieben, weil die Unendlichkeit des in sie aufgenommenen Stoffes von Anfang an und immer demselben Formgesetz unterworfen wurde. Die Kirche konnte unbegreiflich weit, sie konnte auch unnachgiebig streng sein. Wenn wir das Ganze der Kirchengeschichte überschauen, war die Kirche beides mit einem sicheren Instinkt für das, was den einzelnen Völkern und der gesamten Menschheit frommte. So hat sie alle irgendwie vom Geist sittlicher Zügellosigkeit angesteckten naturalistischen, aber ebenso alle gnostischen, spiritualistischen und puritanischen Richtungen und Bewegungen von sich gewiesen. Die Geschichte des kanonischen Rechts, bis zum geltenden Recht des Codex Iuris Canonici, bietet nicht wenige aufschlussreiche Belege dafür. Nehmen Sie etwa die kirchliche Ehegesetzgebung zusammen mit den neuen päpstlichen Verlautbarungen zu den Fragen der ehelichen Gemeinschaft und der Familie nach allen ihren Beziehungen. Sie finden dort ein Beispiel neben vielen anderen - für die Art, wie die Kirche denkt und arbeitet.

Kirche und Staat, Kirche und Kultur

Aus derselben Schau der Dinge hat die Kirche sich auch in den Bereichen des öffentlichen Lebens regelmäßig eingesetzt für die gesunde Mitte zwischen Pflicht und Bindung einerseits, Recht und Freiheit anderseits. Die staatliche Autorität hat nirgends einen zuverlässigeren Sachwalter gefunden als bei der Katholischen Kirche; denn die Kirche verankert die Staatsgewalt im Willen des Schöpfers, im Gebot Gottes. Freilich hat sich die Kirche gerade aus ihrer religiösen Wertung der Staatsgewalt ebenso der Staatswillkür, der Gewaltherrschaft in jeder Form, entgegengestellt. Unser Vorgänger Leo XIII. hat in seiner Enzyklika Immortale Dei vom 1. November 1885 geäußert: "Revera quae res in civitate plurimum ad communem salutem possunt: quae sunt contra licentiam principum papula male consulentium utiliter institutae: quae summam rem-publicam vetant in municipalem, vel domesticam rem importunius invadere: quae valent ad decus, ad personam hominis, ad aequabilitatem iuris in singulis civibus conservandam, earum rerum omnium Ecclesiam catholicam vel inventricem, vel auspicem, vel custodem semper fuisse, superiorum aetatum monumenta testantur. " ("Von all dem, was im Staate am meisten für das Gemeinwohl vermag, was zweckmäßig gegen die Willkür der Fürsten eingesetzt ist, die schlecht für das Volk sorgen, was den obersten Staatsinstanzen verbietet, sich rücksichtslos in Gemeinde- oder gar Familienangelegenheiten einzumischen, was die Person und Würde des Menschen betrifft und die jedem einzelnen Bürger zu gewährende Rechtsgleichheit: von all dem ist die Katholische Kirche, wie die Denkmäler früherer Zeiten bezeugen, immer Urheberin, Schützerin oder Hüterin gewesen.") Als Leo XIII. diese Worte schrieb vor 70 Jahren, mit dem Blick auf die Vergangenheit, konnte er nicht wissen, auf welche Probe die nächstfolgende Zukunft sie stellen würde. Heute glauben Wir jedoch sagen zu dürfen, dass die Kirche sich in diesen siebzig Jahren ihrer Vergangenheit treu erwiesen hat, ja dass, was Leo XIII. damals sagte, inzwischen schon weit überboten wurde.

Damit sind wir bei zwei Problemen angelangt, die beide eine besondere Berücksichtigung heischen: die Probleme Kirche und Staat, Kirche und Kultur.

In vorchristlicher Zeit war die eine öffentliche Autorität, der Staat, zuständig für den Bereich des Profanen wie des Religiösen. Die Katholische Kirche ist sich bewusst, dass ihr göttlicher Stifter den Bereich des Religösen, die religiös-sittliche Führung der Menschen in ihrem ganzen Umfang ihr unabhängig von der staatlichen Gewalt übertragen hat. Seitdem gibt es eine Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, und sie hat die Aufmerksamkeit der Forschung stark auf sich gelenkt.

Beide Gewalten sind souverän

Leo XIII. hat, wenn Wir so sagen sollen, die Wesensformel für jenes Verhältnis geprägt, in der lichtvollen Darstellung, die er von ihm gibt in seinen Enzykliken Diuturnum illud, Immortale Dei und Sapientiae christianae: Beide Gewalten, die Kirche wie der Staat, sind souverän. Ihre Natur sowie der Zweck, den sie verfolgen, geben die Grenzen an, innerhalb deren sie iure propria walten. Wie der Staat, so hat auch die Kirche ein souveränes Recht auf alles, auch auf die materiellen Mittel, dessen und deren sie zur Erreichung ihres Zieles bedarf. "Quidquid igitur est in rebus humanis quoqua modo sacrum, quidquid ad salutem animorum cultumve Dei pertinet, sive tale illud sit natura sua, sive rursus tale intelligatur propter causam ad quam refertur (wegen des Zweckes, dem es dient), id est omne in potestate arbitrioque Ecclesiae" "Alles, was also in menschlichen Dingen auf irgendeine Weise heilig ist, alles, was zum Heil der Seelen und zur Verehrung Gottes gehört, sei es, dass es seiner Natur nach so sei, sei es, dass es als solcherart erkannt werde, alles dies liegt in der Macht und Herrschaft der Kirche." Staat und Kirche sind selbständige, aber deshalb nicht einander fremde oder gar feindliche Gewalten; es ist vielmehr das Naturgegebene und Gottgewollte, dass sie verständnisvoll zusammenwirken, da ihr Wirken denselben Menschen gilt, nämlich den jeweiligen katholischen Staatsangehörigen. Konfliktsfälle sind freilich möglich: Wo das Staatsgesetz gegen das göttliche Recht verstößt, besteht für die Kirche die sittliche Pflicht, sich dem Gesetz zu widersetzen.

Man wird sagen können, dass, wenige Jahrhunderte abgerechnet, - für das ganze erste Jahrtausend wie für die letzten vier Jahrhunderte der Kirchengeschichte die Formel Leos XIII. mehr oder weniger ausgesprochen das Bewusstsein der Kirche widerspiegelt. Aber auch in der zwischenliegenden Periode haben Vertreter der kirchlichen Lehre, vielleicht sogar ihre Mehrheit, sich zu jener Formel bekannt.

Wenn Unser Vorgänger Bonifatius VIII. am 30. April 1303 zu den Gesandten des deutschen Königs Albrecht von Habsburg äußerte: " ... sicut luna nullum lumen habet, nisi quod recipit a sole, sic nec aliqua terrena potestas aliquid habet, nisi quod recipit ab ecclesiastica potestate. .. omnes patestates... sunt a Christo et a Nobis tamquam a Vicario Jesu Christi" - " ... so wie der Mond kein Licht hat außer dem, das er von der Sonne empfängt, so hat auch keine irdische Macht irgend etwas außer dem, was sie von der geistlichen Macht empfängt ... alle Mächte. " sind von Christus und von Uns als dem Stellvertreter Jesu Christi", - so ist dies die wohl eindeutigste Formulierung der so genannten mittelalterlichen Idee des Verhältnisses der geistlichen und weltlichen Gewalt, einer Idee, aus der Männer wie Bonifatius konsequent die Folgerungen zogen. Aber auch für sie handelt es sich dabei im Normalfall nur um die Übertragung der Autorität, wie es Bonifatius selbst im Consistorium vom 24. Juni 1302 den Gesandten Philipps des Schönen ausdrücklich erklärt hatte. Jene mittelalterliche Auffassung war zeitbedingt. Sie, die Sie ihre Quellen kennen, werden vielleicht zugeben, dass man sich fast eher wundern müsste, wenn sie nicht aufgekommen wäre.

Toleranz gegenüber Andersdenkenden

Sie werden vielleicht auch zugeben, dass in Kämpfen wie dem Investiturstreit die Kirche sich für hohe geistige und sittliche Ideale einsetzte, und dass, von den Aposteln bis heute, ihr Ringen um Unabhängigkeit von der Staatsmacht immer ein Ringen um die Freiheit der religiösen Überzeugung war. Man werfe nicht ein, die Kirche selber missachte die persönliche Überzeugung Andersdenkender. Die Kirche sah und sieht den bewussten Abfall vom wahren Glauben als Schuld an. Wenn, erst um 1200, strafrechtliche Verfolgung solchen Abfalls vonseiten der geistlichen wie weltlichen Macht einsetzte, so geschah es, um einer Aufspaltung der religiös-kirchlichen Einheit des Abendlandes vorzubeugen. Gegenüber der ehrlichen religiösen Überzeugung des Nichtkatholiken gilt der Kirche der Grundsatz, der auch in den Codex Iuris Canonici aufgenommen ist: "Ad amplexandam fidem catholicam nemo invitus cogatur" - "niemand wird gegen seinen Willen eingeladen den katholischen Glauben anzunehmen." Die religiöse Überzeugung Andersdenkender ist der Kirche auch einer der Gründe, wiewohl nicht der Hauptgrund der Toleranz ...

Der Historiker möge gegenüber den Augenblicken oder Jahren des Kampfes zwischen Kirche und Staat nicht die ruhigen, oft sich lange hineinziehenden Zeiten übersehen, in denen, von Konstantin dem Großen bis in die neuere oder gar neueste Zeit, Kirche und Staat verständnisvoll in der Erziehung derselben Menschen zusammenwirkten. Die Kirche macht kein Hehl daraus, dass sie jene Zusammenarbeit grundsätzlich für das Normale, Einheit des Volkes in der wahren Religion und einmütiges Wirken von Kirche und Staat für das Ideal hält. Sie weiß aber auch, dass seit geraumer Zeit die Entwicklung mehr in anderer Richtung verläuft: Vielfalt der religiösen Bekenntnisse und Weltanschauungen im selben staatlichen Gemeinwesen - die Katholiken selbst bevölkerungsmäßig eine stärkere oder schwächere Minderheit. Es mag für den Historiker anziehend, vielleicht sogar überraschend wirken, an der Geschichte der Katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ein Beispiel zu sehen, wie die Kirche auch unter ganz anders gearteten Verhältnissen sich zu großer Blüte zu entwickeln vermag.

Die Konkordate

In der Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat spielen, wie Sie wissen, die Konkordate keine geringe Rolle. Was Wir über sie in der eben erwähnten Ansprache vom 6. Dezember 1953 bemerkten, gilt auch für die geschichtliche Wertung derselben. Mit den Konkordaten, so führten Wir aus, bezweckt die Kirche von ihrer Seite Rechtssicherheit und Unabhängigkeit in Erfüllung ihrer Aufgabe. "Es ist möglich", sagten Wir dann, "dass Kirche und Staat im Konkordat ihre gemeinsame religiöse Überzeugung verkünden; es kann aber auch geschehen, dass das Konkordat neben anderen Zwecken auch den hat, Streitigkeiten um Prinzipienfragen vorzubeugen und mögliche Konfliktstoffe von vornherein zu beseitigen. Wenn die Kirche ihre Unterschrift unter ein Konkordat gesetzt hat, so gilt diese für seinen gesamten Inhalt. Aber sein innerster Sinn kann mit dem gegenseitigen Einverständnis der beiden Vertragspartner abgestuft werden; er kann eine ausdrückliche Billigung bedeuten, er kann auch eine bloße Tolerierung besagen, gemäß ... den Grundsätzen, welche die Norm für das Zusammenleben der Kirche und ihrer Gläubigen mit Mächten und Menschen anderen Glaubens sind."

Kirche und Kultur: Die Katholische Kirche hat starken, ja entscheidenden Einfluss ausgeübt auf die kulturelle Entwicklung der letzten zwei Jahrtausende. Dabei ist sie sich selber bewusst, dass die innere Kraft ihres Einflusses immer im Geistigen, und zwar im Religiös-Sittlichen liegt, so sehr, dass wo ihre religiös sittliche Wirkkraft sich vermindern oder verebben sollte, auch jede andere von ihr ausstrahlende Kulturkraft, wie etwa zum Besten der sozialen Ordnung und des sozialen Friedens, verblassen müsste.

Manche Historiker oder vielleicht besser Geschichtsphilosophen weisen dem Christentum bzw. der Katholischen Kirche, einem "späten Ereignis ", wie Karl Jaspers (Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1955, S. 65) meint, den Platz in der abendländischen Welt an. Ob die Stiftung Jesu Christi ein spätes Ereignis ist, bleibe dahingestellt. Es ist für das Wesentliche belanglos. Über die Zukunft der Menschheit lassen sich ja schließlich auch nur Mutmaßungen anstellen. Worauf es in unserem Zusammenhang ankommt, ist das Selbstbewusstsein der Kirche, ihre Sendung und Aufgabe empfangen zu haben für alle kommenden Zeiten und alle Menschen und deshalb an keine bestimmte Kultur gebunden zu sein. Es hat den heiligen Augustinus damals schwer getroffen, als mit der Eroberung Roms durch Alarich die ersten Unheil verkündenden Zuckungen durch das Imperium gingen; aber an dessen ewigen Bestand hatte er nicht geglaubt. "Transient quae fecit ipse Deus; quanta citius quod condidit Romulus" - "Sogar was Gott selbst geschaffen hat, wird vergehen; wie viel schneller das, was Romulus gegründet hat" und er hat in seiner Civitas Dei den Bestand der Kirche scharf abgehoben vom Schicksal des Imperiums. Das war katholisch gedacht.

Kirche und Abendland

Das was man Abendland oder abendländische Welt nennt, hat tief gehende Wandlungen durchgemacht vom Mittelalter über die religiöse Spaltung des sechzehnten Jahrhunderts, den Rationalismus und Liberalismus zum Nationalstaat des neunzehnten Jahrhunderts mit seiner Politik der nackten Macht und seiner säkularisierten Zivilisation. Dem entsprechend musste sich auch das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Abendland verschieben. Doch auch die Kultur des Mittelalters kann man nicht als die katholische bezeichnen; auch sie hat, bei aller engen Verbindung mit der Kirche, ihre Elemente aus verschiedenen Quellen bezogen. Auch die religiöse Einheit in der Katholischen Kirche, die dem Mittelalter zukommt, ist hier nicht spezifisch; sie ist bereits Merkmal der antiken christlichen, ost- und weströmischen Welt von Konstantin dem Großen bis zu Karl dem Großen.

Die Katholische Kirche identifiziert sich mit keiner Kultur. Sie kann es ihrem Wesen nach gar nicht. Sie ist jedoch bereit, mit allen eine Verbindung einzugehen. Was in ihnen nicht naturwidrig ist, erkennt sie an und lässt es bestehen. Sie pflanzt aber darüber hinaus die Wahrheit und Gnade Jesu Christi in jede von ihnen ein und gleicht sie so einander im Innersten an. Dies ist auch das Wirksamste, was sie zum Weltfrieden beitragen kann.

Es gibt noch etwas anderes, was heute weltumspannend wirkt und von dem man voraussagt, es werde, vom Profanen her gesehen, die stärkste Umwälzung der Menschheitsgeschichte zur Folge haben: die moderne Wissenschaft und Technik, die Europa bzw. der abendländische Kulturkreis in den letzten Jahrhunderten geschaffen hat; wer sie sich nicht aneigne, werde zurückbleiben und ausscheiden; wer sie sich aber aneigne, müsse auch die Gefahren auf sich nehmen, die mit ihr "für das Menschsein" verbunden seien (Jaspers 67 und 81). Tatsächlich ist jene Wissenschaft und Technik daran, Gemeingut der Menschheit zu werden. Was aber beängstigend wirkt, sind nicht nur die angedeuteten Gefahren für das "Menschsein", sondern darüber hinaus die Beobachtung, die man macht, dass Wissenschaft und Technik aus sich nicht imstande sind, die seelische Entfremdung zwischen den Rassen und Kontinenten einzudämmen, die letztere im Gegenteil anzusteigen scheint. Soll Unglück verhütet werden, wird es also notwendig sein, dass zugleich mit der modernen Wissenschaft und Technik starke, religiös-sittliche, auf einer höheren Ebene einigende Kräfte Gemeingut der Menschheit werden. Die Katholische Kirche ist sich bewusst, solche Kräfte zu besitzen, und sie glaubt, den historischen Beweis dafür nicht erst noch erbringen zu müssen. Zur modernen Wissenschaft und Technik empfindet sie sich übrigens nicht als Gegensatz, wohl aber als Gegengewicht und Ausgleich. Sie wird in einem Zeitalter dieser Wissenschaft und Technik im Grunde ebenso gut wirken können, wie sie es in den voraufgehenden Zeitaltern getan hat (Aus der Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Geschichtswissenschaften, 7. September 1955).

65. TOLERANZ

AUF GRUND DER KONFESSION der großen Mehrheit der Bürger oder auf Grund einer ausdrücklichen Erklärung ihrer Verfassung werden die Mitgliedsvölker und alle Staaten der Gemeinschaft in christliche, nichtchristliche, religiös indifferente oder bewusst laizistische oder auch ausdrücklich atheistische unterschieden werden können. Die religiösen und moralischen Interessen fordern für die ganze Ausdehnung der Gemeinschaft eine genau festgelegte Regelung, die für das gesamte Gebiet der einzelnen souveränen Staaten. die Mitglieder der Staatengemeinschaft sind, gilt. Auf Grund der Wahrscheinlichkeit und der Verhältnisse kann man voraussehen, dass diese Regelung positiven Rechts ungefähr folgendermaßen aussehen wird: Innerhalb seines Staatsgebietes und für seine Bürger regelt jeder Staat die religiösen und moralischen Angelegenheiten durch ein eigenes Gesetz, nichtsdestoweniger wird es im gesamten Gebiet der Staatengemeinschaft allen Bürgern jedes Mitgliedstaates erlaubt sein, seine Glaubensüberzeugungen und seine ethische und religiöse Praxis auszuüben, soweit diese nicht mit den Strafgesetzen des Staates, in dem er sich aufhält, in Widerspruch stehen. Für den katholischen Juristen und Politiker wie auch für den katholischen Staat erhebt sich nun die Frage: Können sie einer solchen Regelung ihre Zustimmung geben, wenn es sich darum handelt, der Völkergemeinschaft beizutreten und in ihr zu verbleiben?

Hinsichtlich der religiösen und sittlichen Interessen stellt sich dabei eine doppelte Frage: die erste betrifft die objektive Wahrheit und die Gewissensverpflichtung gegenüber dem, was objektiv wahr und gut ist; die zweite betrifft die tatsächliche Haltung der Völkergemeinschaft gegenüber dem einzelnen souveränen Staat und die Haltung dieses Staates gegenüber der Völkergemeinschaft in Fragen der Religion und der Sitte. Die erste Frage kann kaum ein Gegenstand der Diskussion und der Regelung zwischen einzelnen Staaten und ihrer Gemeinschaft bilden, ganz besonders nicht im Falle einer Mehrzahl religiöser Bekenntnisse innerhalb der gleichen Gemeinschaft. Die zweite dagegen kann von großer Wichtigkeit und Dringlichkeit sein.

Die Absolutheit des Wahren und des Guten

Auf diese zweite Frage lässt sich nun folgendermaßen richtig antworten. Vor allem muss deutlich unterstrichen werden, dass keine menschliche Autorität, kein Staat, keine Staatengemeinschaft, welchen religiösen Charakter sie auch immer haben mögen, einen positiven Befehl oder eine positive Ermächtigung erteilen können, etwas zu lehren oder zu tun, was gegen die religiöse Wahrheit oder gegen das sittlich Gute wäre. Ein Befehl oder eine Ermächtigung dieser Art hätte keine verpflichtende Kraft und bliebe unwirksam. Keine Autorität kann sie geben, denn es ist gegen die Natur. den Geist und den Willen des Menschen zum Bösen und zum Irrtum zu verpflichten oder beides für gleichgültig zu halten Nicht einmal Gott konnte einen solchen positiven Befehl oder eine solche positive Ermächtigung geben, da sie im Widerspruch zu Seiner absoluten Wahrhaftigkeit und Heiligkeit ständen.

Toleranz und ihre theologischen Grundlagen

Eine andere, wesentlich verschiedene Frage ist, ob in einer Staatengemeinschaft, zum mindesten unter bestimmten Verhältnissen, die Norm aufgestellt werden könnte, dass die freie Ausübung eines Glaubens oder einer religiösen oder sittlichen Praxis, die in einem der Mitgliedstaaten gültig sind, innerhalb des Gebiets der Gemeinschaft nicht durch Gesetze oder staatliche Zwangsmaßnahmen verhindert werden darf. Mit anderen Worten, es fragt sich, ob das "Nichtverhindern" oder die Toleranz unter solchen Verhältnissen erlaubt und also positive Unterdrückung nicht immer eine Pflicht wäre.

Wir haben eben die Autorität Gottes erwähnt. Kann Gott, obwohl es Ihm möglich und leicht wäre, den Irrtum und die Entgleisung zu unterdrücken, in einigen Fällen das "Nichtverhindern" wählen, ohne in Widerspruch mit Seiner Vollkommenheit zu geraten? Kann es geschehen, dass Er unter bestimmten Verhältnissen den Menschen keinen Befehl gibt und keine Verpflichtung auferlegt, ja ihnen nicht einmal das Recht gibt, den Irrtum und das Falsche zu unterdrücken? Ein Blick auf die Wirklichkeit gibt eine bejahende Antwort. Er zeigt, dass sich Irrtum und Sünde in weitem Ausmaß auf der Erde finden. Gott verurteilt sie; doch Er lässt sie bestehen. Daher kann die Behauptung, die religiöse und sittliche Entgleisung müsse immer, wenn es möglich ist, verhindert werden, da es an sich unmoralisch ist, sie zu dulden, nicht in absoluter Unbedingtheit gelten. Andererseits hat Gott auch nicht einmal der menschlichen Autorität einen solchen absoluten und universalen Befehl gegeben, weder im Bereich des Glaubens noch in dem der Moral. Einen solchen Befehl kennt weder die allgemeine Überzeugung der Menschen noch das christliche Gewissen, noch die Quelle der Offenbarung, noch die Praxis der Kirche. Um andere Texte der Heiligen Schrift, die sich auf dieses Argument beziehen, beiseite zu lassen, so hat Christus im Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut folgende Mahnung gegeben: Lasst das Unkraut auf dem Felde der Welt zugleich mit dem guten Samen wachsen wegen des Getreides (vgl. Mt 13, 24-30). Die Pflicht, sittliche und religiöse Verirrungen zu unterdrücken, kann also keine letzte Norm des Handelns sein. Sie muss höheren und allgemeineren Normen untergeordnet werden, die unter gewissen Verhältnissen erlauben, ja es vielleicht als den besseren Teil erscheinen lassen, den Irrtum nicht zu verhindern, um ein höheres Gut zu verwirklichen.

Toleranz konkret

Damit sind die beiden Prinzipien geklärt, von denen in den konkreten Fällen die Antwort auf die bedeutungsvolle Frage der Haltung des katholischen Juristen, Staatsmannes und souveränen Staates gegenüber der Formel der religiösen und sittlichen Toleranz in dem oben angegebenen Sinn abgeleitet werden muss, wie sie gegenüber einer Staatengemeinschaft in Erwägung zu ziehen ist:

1. Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion.

2. Nicht durch staatliche Gesetze und Zwangsmaßnahmen einzugreifen kann trotzdem im Interesse eines höheren und umfassenderen Guten gerechtfertigt sein.

Ob dann diese Bedingung im konkreten Fall zutrifft - es ist die quaestio facti -, muss vor allem der katholische Staatsmann selber entscheiden. Er wird sich bei seiner Entscheidung von dem Vergleich der schädlichen Folgen, die die Toleranz hat, mit den schädlichen Folgen, die durch Annahme der Toleranzformel der Staatsgemeinschaft erspart bleiben, leiten lassen, d. h. also von dem Gut, das sich bei einer klugen Voraussicht für die Gemeinschaft als solche und indirekt auch für den Mitgliedsstaat davon erwarten lässt. Was den religiösen und sittlichen Bereich angeht, so wird er auch das Urteil der Kirche einholen. Auf deren Seite ist in solchen entscheidenden Fragen, die das internationale Leben berühren, in letzter Instanz nur der zuständig, dem Christus die Leitung der ganzen Kirche anvertraut hat, der römische Papst (Aus der Ansprache an den 5. Nationalkongress des Verbandes katholischer Juristen Italiens. 6. Dezember 1953).

Was immer in anderen Bekenntnissen, auch nichtchristlichen, an Wahrem und Gutem sich findet, ist beheimatet, hat seinen tiefen Sinn und seine Erfüllung in der Katholischen Kirche. Sie bietet jenen Halt, ohne den Menschen in ein totalitäres System zu zwängen, unter voller Achtung seiner mit Geist und Freiheit begabten Natur, der Würde und übernatürlichen Berufung seiner Person. Auch für die Freiheit des menschlichen Wissens und Forschens kennt sie nur eine Grenze: jene, die Gott selbst durch Seine Offenbarung, durch Sein klares Wort gezogen hat ...

Die Kirche hat immer stark betont, dass es zum Aufbau einer haltbaren sozialen Ordnung neben der Reform der Zustände auch der Gesinnungspflege bedarf: der Ausrichtung der Gewissen an einem unbedingt gültigen Ordnungsbild und der sittlichen Kräfte, um immer dem Gewissen entsprechend zu handeln. Die Kirche nimmt für sich in Anspruch und sie hat erwiesen, dass sie Menschen solcher Gesinnung zu bilden vermag. Auch von hier aus gesehen, ist der eucharistische Frühling, den die Kirche des zwanzigsten Jahrhunderts gebracht hat, sichtbar und greifbar das Werk der Göttlichen Vorsehung ...

Die Kirche kann auch bangen um ihre Zukunft in den von der Verfolgung erfassten riesigen Räumen, denn dem Gegner stehen in den Zwangsmaßnahmen des totalitären Staates und den ausgeklügelten Methoden der seelischen Bearbeitung der Menschen, besonders der jungen Generation und der Kinder, Mittel zu Gebote wie keinem Kirchenverfolger vergangener Zeiten. Sie mahnt endlich die Gläubigen in den Ländern, in denen sie frei lebt, sich der Gefährlichkeit jenes Gegners bewusst zu sein, und warnt sie erneut vor dem Trugbild einer falschen Koexistenz in dem Sinn, als ob es zwischen dem katholischen Glauben, der Weltanschauung des Katholiken, und jenem System zu einem Ausgleich, einer inneren Angleichung kommen könnte.

Es gibt eine "Koexistenz in der Wahrheit". Wir haben bei früherer Gelegenheit von ihr gesprochen und fügen dem dort Gesagten hinzu: Die Katholische Kirche nötigt niemand, ihr zuzugehören. Sie verlangt jedoch für sich die Freiheit, nach ihrer Verfassung und ihrem Gesetz im Lande leben, ihre Gläubigen betreuen und die Botschaft Jesu Christi offen verkündigen zu können. Dies freilich ist ihr unabdingbare Grundlage für jede ehrliche Koexistenz. Inzwischen kämpft sie weiter - nicht auf dem Feld der Politik und Wirtschaft, wie man ihr immer wieder fälschlich nachgesagt hat, sondern mit ihren eigenen Waffen: der Standhaftigkeit ihrer Gläubigen, dem Gebet, der Wahrheit und der Liebe. Sie opfert die Not der Verfolgung auf für das Heil der Verfolger selbst wie der Länder und Völker, in denen sie verfolgt wird (Aus der Radiobotschaft an den 77. Deutschen Katholikentag, Köln, 2. September 1956).

66. ÜBER DIE MISSIONEN IN AFRIKA

IN DEM AUGENBLICK, wo die Völker neue Wege und neue Methoden suchen und viele nur zu leicht dem trügerischen Glanz der so genannten technischen Zivilisation erliegen, ist es die heilige Pflicht der Kirche, diesen Völkern nach bestem Vermögen die wunderbaren Reichtümer ihres Lebens und Ihrer Lehre mitzuteilen. Aus diesen wird dann auch eine neue soziale Ordnung entstehen können, die auf christlichen Grundsätzen beruht. Hier ist jedes Zögern, jeder Aufschub gefährlich. Die Afrikaner, die in diesen wenigen letzten Jahrzehnten die zivilisatorischen Errungenschaften erhalten haben, zu denen die Völker Westeuropas in jahrhundertelanger Entwicklung gelangt sind, werden leichter durch die theoretischen und praktischen Kenntnisse erregt und verführt, die man ihnen beibringt, und sie verfallen auch leichter Jenem Denken, das alles auf die Materie bezieht. Das kann hie und da zu schwer wieder gutzumachenden Verhältnissen führen, die sich mit der Zeit der Ausbreitung des Glaubens bei den einzelnen und in der Gesellschaft sehr spürbar entgegenstellen. Daher müssen die Oberhirten schon jetzt instand gesetzt werden, mit ihrem apostolischen Wirken den wachsenden Bedürfnissen der Zeit möglichst rasch entsprechen zu können.

Doch mit wenigen Ausnahmen sind die Möglichkeiten missionarischen Wirkens noch weit davon entfernt, den vorliegenden Aufgaben zu entsprechen; und wenn sich dieser Mangel auch leider nicht auf Afrika beschränkt, so ist doch Afrika auf Grund seiner besonderen gegenwärtigen Lage mehr als andere Missionsgebiete betroffen ...

In den noch nicht lang bestehenden Missionen, die zum Teil kaum einige zehn Jahre alt sind, kann man in absehbarer Zeit noch nicht mit einer fühlbaren Hilfe durch einen einheimischen Klerus rechnen, und die zu wenigen Missionare, die zudem über riesige Räume verstreut sind, in denen auch Missionare anderer nichtkatholischer Konfessionen ihre Lehre verbreiten, reichen nicht aus, um alle Anforderungen zu erfüllen. Hier arbeiten 40 Priester unter ungefähr 1 Million Seelen, von dellen nur 25 000 dem katholischen Glauben gewonnen sind. Dort leben 50 Priester unter 2 Millionen Einwohnern, mit 60000 Katholiken, die allein schon fast die ganze Arbeitskraft dieser Missionare beanspruchen. Solchen Zahlen gegenüber kann ein christliches Herz nicht gleichgültig bleiben. Könnte man ihnen noch 20 weitere Missionare zu Hilfe senden, so könnten sie heute das Kreuz dort einpflanzen, wo morgen, wenn schon andere dieses Feld bearbeitet haben, die nicht Christi Arbeiter sind, der wahre Glaube vielleicht keinen Zugang mehr findet. Zudem genügt es zur vollen Entfaltung des Missionswerks nicht, das Evangelium zu verkünden; die gegenwartigen sozialen und politischen Verhältnisse Afrikas verlangen, dass sobald wie möglich aus der eben erst dem Evangelium gewonnenen Masse der Gläubigen auch eine christliche Elite gebildet wird. Wie notwendig ist es daher, die Zahl der Missionare zu erhöhen, um jeden einzelnen von diesen gründlich auszubilden. Und dieser Mangel an Missionaren macht sich oft noch um so schwerer fühlbar, als ein ungeheurer Mangel an äußeren Mitteln hinzukommt, der oft an wirkliche Not grenzt. Wer wird diesen neuen Missionen, die gewöhnlich in sehr armen Gegenden liegen, die jedoch für die Zukunft der Glaubensverkündigung von größter Bedeutung sind, die großzügige Hilfe angedeihen lassen, deren sie bedürfen? ...

Zweifellos hat Jesus Christus nur dem Apostel Petrus und seinen Nachfolgern, den römischen Bischöfen, die Gesamtheit seiner Herde anvertraut: "Weide meine Lämmer, weide meine Schafe" (Joh 21, 16-18). Doch wenn die einzelnen Bischöfe nur für jenen Teil der Herde, der ihnen besonders anvertraut ist, Hirte im eigentlichen Sinne sind, so sind sie doch als rechtmäßige Nachfolger der Apostel durch göttliche Einsetzung mitverantwortlich für die Missionsaufgaben der Kirche, gemäß dem Worte Christi an die Apostel: "Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20, 21) ...

Diese Sorge um die Bedürfnisse der Gesamtkirche ist in Wahrheit auch das sicherste Zeugnis für die Katholizität der lebendigen Kirche. "Missionsgeist und katholischer Geist sind ein und dasselbe", haben wir früher schon gesagt. "Die Katholizität ist ein wesentliches Merkmal der Kirche, so dass ein Christ nicht wirklich mit der Kirche verbunden sein kann, wenn er nicht ebenso mit der Gesamtheit der Gläubigen verbunden ist und wünscht, dass die Kirche bei allen Völkern Wurzeln schlage und blühe" (Rundfunkbotschaft vom 24. November 1946, Discorsi e Radiomessagi, Bd. 8, S. 3.28). Nichts widerspricht dem Wesen der Kirche Christi mehr als Geteiltheit; nichts ist ihrem Leben schädlicher als Absonderung, Rückzug auf sich selbst oder Selbstsucht der einzelnen Gemeinschaften, die sich nur um den eigenen Nutzen kümmern. Dadurch kapseIt sich eine solche christliche Gemeinschaft, welche es auch sein mag, in sich selbst ab. "Mutter aller Völker und aller Nationen ebenso wie aller Einzelnen", kann unsere heilige Mutter, die Kirche, "nirgendwo auf Erden fremd sein; sie lebt oder sollte zum mindesten bei allen Völkern leben" ...

Es ist also von Anfang an das Wesen der heiligen Kirche, das Wort Gottes zu verbreiten, und wie sie nie aufhören kann, diesen Auftrag zu erfüllen, so kann sie auch nie aufhören, von ihren Kindern einen dreifachen Beitrag zu erbitten: Gebet, materielle Hilfe und von einigen auch die Hingabe ihrer selbst (Aus der Enzyklika "Fidel Donum" vom 21. April 1957).

V. GEGENWART UND ZUKUNFT DER MENSCHHEIT

67. DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DES MENSCHENGESCHLECHTS

GERADE WEIL DER MODERNE MENSCH im Besitz alles dessen ist, was menschlicher Geist und Fleiß im Lauf der Zeit errungen hat, sollte er auch mehr den unendlichen Abstand zwischen seiner unmittelbaren Leistung und der des unermesslichen Gottes anerkennen.

In Wirklichkeit jedoch ist es ganz anders: die falschen oder verengten, vom modernen Menschen geteilten Anschauungen über Welt und Leben verhindern ihn nicht bloß, aus den Werken Gottes und im besonderen aus der Menschwerdung des Wortes ein Gefühl der Bewunderung und Freude zu schöpfen, sondern entziehen ihm die Fähigkeit, darin die unentbehrliche Grundlage zu erkennen, die den menschlichen Werken Bestand und rechtes Maß verleiht. Tatsächlich lassen sich nicht wenige fast blenden von dem begrenzten Glanz, der von diesen ausstrahlt, und widerstehen dem inneren Antrieb, dessen Quelle und Krönung außer und über der Welt der Wissenschaft und Technik zu suchen.

Ähnlich den Erbauern des Turms von Babel träumen sie von einer unwirklichen "Vergöttlichung des Menschen", die geeignet und genügend wäre für jedes Erfordernis des körperlichen und geistigen Lebens. Die Menschwerdung Gottes und sein" Wohnen unter uns" (vgl. Joh 1, 14) wecken in ihnen kein tiefes Interesse, keine fruchtbringende Ergriffenheit.

Weihnachten hat für sie keine andere Bedeutung und Sprache als jene, die eben eine Wiege zum Ausdruck bringen kann: mehr oder weniger lebhafte, aber rein menschliche Gefühle, wenn sie nicht gar übertönt werden vom weltlichen und lärmenden Getue, das auch den einfachen ästhetischen und familiären Wert entweiht, den Weihnachten, gleich einem fernen Widerschein, von der Größe seines Geheimnisses ausstrahlt.

Die Vertreter einer falschen Innerlichkeit

Andere hingegen kommen auf entgegengesetzten Wegen zur Missachtung der Werke Gottes und verschließen sich damit den Zugang zur trauten Weihnachtsfreude. Belehrt durch die harte Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte, die, wie sie sagen, die menschlich verkleidete Brutalität der gegenwärtigen Gesellschaft bewiesen haben, verurteilen sie scharf den äußeren Prunk ihrer Fassade, verweigern dem Menschen und seinen Werken jegliche Glaubwürdigkeit und verhehlen nicht das tiefe Missfallen, das deren übertriebene Verherrlichung in ihren Herzen hervorruft. Deshalb wünschen sie, dass der Mensch dem fieberhaften, äußeren Dynamismus, dem technischen besonders, entsage, dass er sich verschließe in sich selbst, wo er den Reichtum eines ganz ihm eigenen und ausschließlich menschlichen lnnenlebens finden werde, das imstande wäre, jedes nur mögliche Bedürfnis zu erfüllen.

Doch diese rein menschliche Innerlichkeit ist unfähig, das Versprechen zu halten, das man ihr zuschreibt, nämlich dem ganzen Bedürfnis des Menschen zu genügen Sie ist vielmehr eine trotzige, fast verzweifelte Einsamkeit, eingegeben von der Furcht und von der Unfähigkeit, sich eine äußere Ordnung zu geben, und sie hat nichts gemein mit der echten Innerlichkeit, die den Menschen erfüllt, die ihn antreibt und die fruchtbringend ist ...

Die Gleichgültigen und Gefühllosen

Zwischen den einen und den anderen, welche die irrige Auffassung des Menschen und des Lebens dem bestimmenden und heilsamen Einfluss des menschgewordenen Gottes entzieht, befindet sich die weite Schicht jener, die weder stolz sind auf den äußeren Glanz der heutigen Menschheit, noch beabsichtigen, sich auf sich selbst zurückzuziehen, um nur von dem zu leben, was der Geist bieten kann. Es sind jene, die sich befriedigt erklären, wenn es ihnen gelingt, dem Augenblick zu leben, auf nichts anderes sinnend und bedacht als nur darauf, dass ihnen die größte Verfügungsmöglichkeit über äußere Güter gesichert bleibe und dass im kommenden Augenblick keine Minderung in ihrer Lebenshaltung zu fürchten sei. Weder die Größe Gottes noch die Würde des Menschen, beides wunderbar und sichtbar im Weihnachtsgeheimnis hervorgehoben, macht Eindruck auf diese armseligen Geister, unempfindlich und unfähig, wie sie geworden sind, ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Eine Welt voll Inkonsequenzen

Nach solcher Verkennung oder Verwerfung der Gegenwart des menschgewordenen Gottes hat der moderne Mensch eine Welt gebaut, in der das Großartige sich mit dem Armseligen vermengt, eine Welt voll Inkonsequenzen, wie ein Weg ohne Ausgang oder wie ein vollständig eingerichtetes Haus, das doch mangels eines Daches unfähig ist, seinen Bewohnern die gewünschte Sicherheit zu bieten. In bestimmten Nationen verbreitet sich trotz der ungeheuren Entwicklung des äußeren Fortschritts und obwohl dort allen Schichten des Volkes der materielle Bestand gesichert ist, doch schleichend ein Gefühl unbestimmbaren Missbehagens, ein besorgtes Erwarten von etwas, das geschehen müsse. Man wird diesbezüglich erinnert an die Erwartung der einfachen Hirten auf den Fluren von Bethlehem, die aber mit ihrer Feinfühligkeit und Bereitschaft den stolzen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts zeigen können, wo man das suchen muss, was fehlt: "Auf, lasst uns nach Bethlehem eilen" - so sagen sie - "und sehen, was da geschehen ist, und was der Herr uns kundgetan hat!" (Lk 2,15) ...

Die heutige Erfahrung beweist gerade, dass das Vergessen oder Übersehen der Gegenwart Christi in der Welt das Gefühl der Verwirrung und den Mangel an der dem technischen Zeitalter eigenen Sicherheit und Stetigkeit hervorgerufen hat. Das Vergessen auf Christus hat dazu geführt, auch die Wirklichkeit der Menschennatur zu missachten, die von Gott als Grundlage des Zusammenlebens in Raum und Zeit gesetzt wurde.

Die Grundsätze der wahren Menschennatur als Grundlage der Sicherheit des Menschen

In welcher Richtung ist also die Sicherheit und innere Festigkeit des Zusammenlebens zu suchen, wenn nicht darin, dass man die Geister dazu bringt, die Grundsätze der unverfälschten, von Gott gewollten Menschennatur zu wahren und von neuem lebendig zu gestalten? Es gibt nämlich eine natürliche Ordnung, auch wenn Ihre Formen sich mit der geschichtlichen und sozialen Entwicklung ändern, die wesentlichen Linien waren und sind jedoch noch immer die gleichen: Die Familie und das Eigentum als Grundlage persönlicher Versorgung; sodann als ergänzende Kräfte der Sicherheit die örtlichen Behörden, die Berufsgemeinschaften und endlich der Staat.

Auf diese Grundsätze und Richtlinien beriefen sich bisher in Theorie und Praxis die im Christentum gefestigten Menschen, um, soweit es in ihrer Macht lag die Ordnung zu verwirklichen, welche die Sicherheit gewährleistet. Doch wussten, zum Unterschied von den Modernen, unsere Vorfahren - auch aus den Irrtümern, von denen ihre konkreten Anwendungen nicht frei waren -, dass die menschlichen Kräfte im Schaffen der Sicherheit in sich begrenzt sind, und deshalb nahmen sie ihre Zuflucht zum Gebet, um zu erlangen, dass eine weit höhere Macht ihr Ungenügen ergänze. Das Schwinden des Betens aber ist in dem so genannten industriellen Zeitalter das auffallendste Symptom des behaupteten Selbstgenügens, dessen sich der moderne Mensch rühmt. Allzu viele sind es, die heute nicht mehr um die Sicherheit beten und die als von der Technik überholt die Bitte ansehen, die der Herr auf die Lippen der Menschen legte: "Gib uns heute unser täglich Brot!" (Mt 6, 11), oder die sie rein mit den Lippen noch aussprechen ohne innere Überzeugung von ihrer immerwährenden Notwendigkeit.

Auch der moderne Mensch bedarf des Gebets

Aber kann man wirklich behaupten, der Mensch habe das volle Sichselbstgenügen erreicht oder sei daran, es zu erreichen? Die sicherlich staunenerregenden modernen Errungenschaften des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts werden dem Menschen gewiss eine weitgehende Macht über die Kräfte der Natur, über die Krankheiten und sogar über Beginn und Ende des menschlichen Lebens zu geben vermögen; es steht aber ebenfalls fest, dass eine solche Meisterung der Dinge die Erde nicht wird umformen können in ein Paradies sicheren Genusses. Wie also wird man dann vernünftigerweise alles von der Kraft des Menschen erwarten wollen, wenn schon die Tatsachen neuer falscher Entwicklungen und auch neuer Krankheiten die Einseitigkeit eines Denkens aufzeigen, welches das Leben ausschließlich auf der Grundlage quantitativer Analyse und Synthese beherrschen möchte? Seine Anwendung auf das gesellschaftliche Leben ist nicht nur falsch, sondern auch eine praktisch gefährliche Vereinfachung sehr verwickelter Vorgänge. Unter solchen Umständen bedarf auch der moderne Mensch des Gebetes, und er ist, wenn verständig, auch bereit, für die Sicherheit zu beten.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mensch auf neue Formen verzichten müsse, d. h., dass er zu seiner Sicherheit die soeben aufgezeigte Ordnung, welche die wahre Menschennatur widerspiegelt, nicht den gegenwärtigen Verhältnissen anpassen dürfe. Nichts verbietet die Schaffung der Sicherheit unter Ausnutzung auch der Ergebnisse der Technik und Industrie, nur ist der Versuchung zu widerstehen, Ordnung und Sicherheit ruhen zu lassen auf der oben angedeuteten rein quantitativen Methode, die keinerlei Rücksicht auf die Naturordnung nimmt, wie es jene möchten, die das ganze Geschick des Menschen der gewaltigen industriellen Macht des gegenwärtigen Zeitraums anvertrauen. Sie vermeinen jegliche Sicherheit begründen zu können auf der stets wachsenden Produktivität und auf dem ununterbrochenen Lauf der immer größeren fruchtbaren Gütererzeugung der nationalen Wirtschaft. Diese wird, so behaupten sie, auf der Grundlage einer vollständigen und immer vollkommeneren Automatisierung der Produktion und gestützt auf die besten Methoden der Organisation und der Berechnung, allen Werktätigen ein ständig wachsendes Arbeitseinkommen sichern. Auf einer folgenden Entwicklungsstufe wird das letztere so groß werden, dass es vermittels der Maßnahmen der Gemeinschaft für die Sicherheit auch derer genügen kann, die nicht mehr oder noch nicht arbeitsfähig sind: der Kinder, der Alten und der Kranken. Um die Sicherheit zu festigen, so schließen sie, wird darum der Rückgriff auf das Eigentum nicht mehr nötig sein, sei es privates oder kollektives, sei es Eigentum in Natur oder in Geldkapital.

Gesteigerter Lebensstandard und Produktivität sind keine Kriterien

Nun, diese Art, die Sicherheit zu schaffen, ist keine der Formen, die Naturgrundlage den neuen Entwicklungen anzupassen, sondern ein Anschlag auf das Wesen der natürlichen Beziehungen des Menschen zu seinesgleichen, zur Arbeit, zur Gesellschaft. In diesem zu gekünstelten System ist die Lebenssicherheit des Menschen bedrohlich getrennt von jenen Anlagen und Kräften zum Aufbau der Gesellschaft, die gerade der wahren menschlichen Natur anhaften und die allein eine solidarisch verpflichtende Einheit der Menschen möglich machen. In irgendeiner Weise, wenn auch mit der nötigen Anpassung an die Zeitumstände, müssen die Familie und das Eigentum unter den Grundlagen des freien persönlichen Ordnens bleiben. Irgendwie müssen die kleineren Gemeinschaften und der Staat dazwischentreten können als ergänzende Kräfte der Sicherheit.

Darum ergibt sich von neuem: keine quantitative Methode, mag sie auch noch so vollkommen sein, kann und darf die gesellschaftliche und geschichtliche Wirklichkeit des menschlichen Lebens beherrschen. Der immerfort sich hebende Lebensstandard, die sich ständig vermehrende technische Produktivität sind keine Kriterien, die aus sich zu der Behauptung berechtigen, dass ein wirkliches Wachstum des wirtschaftlichen Lebens eines Volkes vorliegt. Nur eine einseitige Schau der Gegenwart und vielleicht auch der nächsten Zukunft kann sich mit einem solchen Kriterium zufriedengeben, aber nicht darüber hinaus ...

Grenzen der menschlichen Macht

Wie könnte übrigens der sich selbst überlassene einzelne, auch wenn nicht Christ, vernünftigerweise an die eigene Autonomie, Ganzheit und Festigkeit glauben, wenn doch die Wirklichkeit ihm von allen Seiten die Grenzen vor Augen hält, in welche die Natur ihn einzwängt, Grenzen, die wohl erweitert, aber nicht ganz aufgehoben werden können? Das Gesetz der Begrenztheit ist dem Leben auf Erden eigen, und Jesus Christus selbst entzog sich nicht seiner Herrschaft, insoweit er Mensch war, dessen Wirken Grenzen gezogen waren durch die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes und entsprechend dem geheimnisvollen Zusammenspiel von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit. Wenn aber der in seinem Erdenleben begrenzte Mensch Christus uns in unserer Begrenztheit tröstet und stärkt, so flößt Christus-Gott uns höheren Mut ein, da er die Fülle der Weisheit und Macht besitzt. Der Christ, der sich auf der Grundlage dieser Wirklichkeit daran macht, mutig und mit allen natürlichen und übernatürlichen Mitteln eine Welt im Sinn der von Gott gewollten natürlichen und übernatürlichen Ordnung aufzubauen, wird ständig den Blick auf Christus richten und sein Tun innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen halten. Dies verkennen hieße eine Welt wollen, die gegen die göttliche Anordnung und folglich für das soziale Leben selbst schädlich wäre.

Wir haben soeben die schädlichen Folgen gezeigt, die sich aus der irrigen Überschätzung der menschlichen Macht und aus der Unterschätzung der objektiven Wirklichkeit ergeben: der Wirklichkeit, die durch eine Summe von Grundsätzen und Richtlinien religiöser, sittlicher, wirtschaftlicher, sozialer Art Grenzen zieht und die rechte Richtung der menschlichen Handlungen aufzeigt. Nun wiederholen sich aber dieselben Irrtümer mit ähnlichen Folgen auf dem Gebiet der menschlichen Arbeit und näherhin der wirtschaftlichen Produktion.

Der hohe sittliche Wert der Arbeit

Angesichts der überraschenden Entwicklung der Technik und häufiger noch infolge der weltanschaulichen Bearbeitung fühlt sich der Arbeiter als unumschränkter Herr und Meister seiner Existenz, imstande, einfachhin alle Ziele zu verfolgen und alle Träume zu verwirklichen. Indem er die ganze Wirklichkeit in der greifbaren Natur beschlossen glaubt, sieht er in der Lebendigkeit der Produktion den Weg zum immer vollkommeneren Menschentum. Die produktive Gesellschaft, die sich dem Arbeiter dauernd als die lebendige und einzige Wirklichkeit und als die alle tragende Macht darstellt, gibt den Maßstab für sein ganzes Leben, sie ist daher sein einziger fester Halt für die Gegenwart wie für die Zukunft. In ihr lebt er, in ihr bewegt er sich und in ihr ist er; sie wird schließlich für ihn ein Religionsersatz. Auf diese Weise - so meint man - wird ein neuer Menschentyp erstehen, nämlich jener, der die Arbeit mit dem Glorienschein des höchsten ethischen Wertes umgibt und die arbeitende Gesellschaft mit einer Art religiösen Eifers verehrt.

Es erhebt sich nun die Frage, ob die schöpferische Kraft der Arbeit in Wahrheit, unabhängig von anderen nicht rein technischen Werten, den festen Halt des Menschen bilde und also verdiene, vom modernen Menschen geradezu vergöttlicht zu werden. Nein, gewiss nicht wie es nicht irgendeine andere Macht oder eine andere Tätigkeit wirtschaftlicher Natur sein kann. Auch im Zeitalter der Technik bleibt die von Gott erschaffene und von Christus erlöste menschliche Person in ihrem Sein und ihrer Würde geadelt, und folglich haben ihre schöpferische Kraft und ihr Wirken eine weit höher begründete Festigkeit. So unterbaut, ist auch die menschliche Arbeit ein hoher sittlicher Wert und die arbeitende Menschheit eine Gesellschaft, die nicht nur Dinge produziert, sondern Gott verherrlicht. Der Mensch kann seine Arbeit als ein wahres Mittel der eigenen Heiligung betrachten, denn indem er arbeitet, vervollkommnet er in sich das Bild Gottes, erfüllt er die Pflicht und das Recht, sich und den Seinen den notwendigen Lebensunterhalt zu besorgen, und macht er sich zu einem der Gesellschaft nützlichen Glied. Die Verwirklichung dieser Ordnung wird ihm Sicherheit und zugleich den von den Engeln verkündeten "Frieden auf Erden" schaffen.

Die Frage des Friedens

Und doch wird gerade ihm, dem religiösen, christlichen Menschen, von manchen der Vorwurf gemacht, ein Hindernis für den Frieden zu sein und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen, der Völker, der verschiedenen Systeme entgegenzustehen, weil er seine religiösen Überzeugungen nicht schweigsam im Innern des Gewissens zurückhält, sondern sie auch geltend macht in herkömmlichen und mächtigen Organisationen, in allen Betätigungen des privaten und öffentlichen Lebens. Man behauptet, ein solches Christentum mache den Menschen rechthaberisch, parteiisch, allzu selbstsicher und selbstzufrieden, es verleite ihn zur Verteidigung von Stellungen, die keinen Sinn mehr haben, statt dass er allem und allen gegenüber aufgeschlossen sei und darauf vertraue, es werde in einer allgemeinen Koexistenz der innere, lebendige Glaube als "Geist und Liebe" wenigstens in Kreuz und Opfer einen entscheidenden Beitrag zur gemeinsamen Sache beisteuern. Haben wir nicht vielleicht in dieser irrigen Auffassung der Religion und des Christentums von neuem jenen falschen Kult des menschlichen Subjekts und seiner konkreten Vitalität vor uns, nur auf das übernatürliche Leben übertragen? Meinungen und Systemen gegenüber, die der wahren Religion entgegengesetzt sind, bleibt der Mensch doch immer gebunden durch die von Gott in der natürlichen und übernatürlichen Ordnung gezogenen Grenzen. Gehorsam diesem Grundsatz kann Unser Friedensprogramm eine unterschiedslose Koexistenz mit allen um jeden Preis nicht billigen -, sicher nicht um den Preis der Wahrheit und Gerechtigkeit. Jene unverrückbaren Grenzen verlangen in der Tat volle Einhaltung. Wo diese besteht, ist auch heute in der Frage des Friedens die Religion in sicherer Art geschützt gegen den Missbrauch von seiten der Politik, während dort, wo sie auf das rein innere Leben eingeschränkt wird, die Religion selbst jener Gefahr mehr ausgesetzt ist ...

Die Experimente mit Atomwaffen

Was die Experimente mit Atomexplosionen betrifft, so scheint immer größere Glaubwürdigkeit die Meinung jener zu finden, die in Besorgnis sind wegen der Wirkung, die deren VervieIfältigung hervorrufen könnte. Im Laufe der Zeit könnten sie in der Tat eine Dichtigkeit von radioaktiven Produkten in der Atmosphäre verursachen, deren Verteilung von Umständen abhängt, die sich der Macht des Menschen entziehen, und sie könnten so einen für das Leben sehr vieler Wesen höchst gefährlichen Zustand schaffen ...

Dies also wäre das Schauspiel, das sich dem bestürzten Blick als Folge eines solchen Gebrauchs bieten würde: ganze Städte, unter ihnen auch die größten und an Geschichte und Kunst reichsten, vernichtet, ein schwarzes Leichentuch über zerstäubter Materie, die unzählige Opfer bedeckt mit verbrannten, verzerrten, verstreuten Gliedern, während andere in den Zuckungen des Todeskampfes stöhnen. Währenddem verhindert der Schrecken der radioaktiven Wolke jede Hilfe für die überlebenden und macht erbarmungslos ihren Weg, das übrig gebliebene Leben zu vernichten. Es wird keinen Siegesruf geben, sondern nur das untröstliche Weinen der Menschheit, die verzweifelt die ihrem eigenen Wahnsinn zuzuschreibende Katastrophe schauen wird.

Es wurden Inspektionen vorgeschlagen mit eigens für diesen Zweck ausgerüsteten Flugzeugen, die weite Gebiete auf Atomexplosionen überwachen könnten. Andere möchten vielleicht an die Möglichkeit eines Netzes von Beobachtungszentren über die Welt hin denken, jedes von Gelehrten der verschiedenen Länder bedient und alle durch feierliche internationale Verpflichtungen gewährleistet ...

Wir zögern nicht, zu behaupten, auch im Sinn Unserer früheren Ansprachen, dass die Gesamtheit jener drei Vorkehrungen als Gegenstand internationaler Übereinkunft Gewissenspflicht der Völker und ihrer Regierungen ist. Wir sagten: die Gesamtheit jener Vorkehrungen, denn die Begründung ihrer sittlichen Verpflichtung ist auch die Schaffung einer gleichen Sicherheit für alle Völker. Wenn dagegen nur der erste Punkt zur Ausführung käme, so träte ein Zustand ein, der die genannte Bedingung nicht erfüllte, um so mehr, als mit Fug daran gezweifelt werden könnte, ob man wirklich zum Abschluss der beiden anderen Übereinkünfte kommen wolle. Wir sprechen so offen, weil die Gefahr ungenügender Vorschläge in der Frage des Friedens zum großen Teil abhängt vom gegenseitigen Argwohn, der oft die Beziehungen der beteiligten Mächte stört, indem sie sich gegenseitig, wenn auch in verschiedenem Grad, der reinen Taktik, ja sogar des Mangels an Ehrlichkeit beschuldigen in einer für das Los des ganzen Menschengeschlechtes grundlegenden Sache ...

Die Fehlschläge, welche Völker, Weltanschauungen, Einzelmenschen erfahren mussten, die nicht von Christus den Weg, die Wahrheit und das Leben erbitten wollten, sollten sich alle ernsthaft zu Gemüte führen, die glauben, alles aus sich leisten zu können. Die Menschheit von heute, gebildet, mächtig und lebensvoll, hat vielleicht ein größeres Anrecht auf irdisches Glück in Sicherheit und Frieden, aber sie wird es nicht in die Tat umsetzen können, solange sie in ihre Berechnungen, ihre Pläne und ihre Verhandlungen nicht den höchsten und entscheidendsten Wert einfügen wird: Gott und seinen Christus. Der Gottmensch kehre zurück zu den Menschen, der König, der Anerkennung und Gehorsam findet, wie Er geistig an jedem Weihnachtsfest zurückkehrt, um sich in die Krippe zu legen zum Opfer für alle (Aus der Weihnachtsbotschaft vom 24. Dezember 1955).

68. DAS CHRISTLICHE MENSCHENBILD IN DER WELT DES 20. JAHRHUNDERTS

Der Widerspruch, der auf der heutigen Menschheit lastet

ZWEIFELLOS LASTET DER DRUCK eines offenkundigen Widerspruchs auf der Menschheit des 20. Jahrhunderts und verwundet sie gleichsam in ihrem Stolz: auf der einen Seite steht die zuversichtliche Erwartung des modernen Menschen, des Schöpfers und Zeugen der "zweiten technischen Revolution", er könne eine Welt der Fülle an Gütern und Werken schaffen, in der es Armut und Unsicherheit nicht mehr gebe; auf der anderen Seite steht die bittere Wirklichkeit der langen Jahre von Leid und Zerstörung und in deren Gefolge die in diesen letzten Monaten noch gesteigerte Angst, es werde nicht gelingen, auch nur einen bescheidenen Beginn von dauerhafter Eintracht und Befriedung zu begründen. Etwas ist also im gesamten modernen Lebenssystem nicht in Ordnung, ein grundlegender Irrtum muss an seinen Wurzeln nagen. Aber wo verbirgt er sich? Wie und von wem kann er behoben werden? Mit einem Wort, wird es dem modernen Menschen vor allem im eigenen Innern gelingen, den beängstigenden Widerspruch zu überwinden, dessen Urheber und Opfer zugleich er ist?

Die Christen sind überzeugt, diesen Widerspruch überwinden zu können, wenn sie fest auf dem Boden der Natur und des Glaubens stehen bleiben, und zwar durch ebenso mutige wie vorsichtige Überprüfung der fraglichen Werte, vor allem der innerlichen. Ihr Realismus, der sich auf das gesamte Dasein erstreckt und die Erfahrungen der Vergangenheit nicht vernachlässigt, gibt ihnen die Überzeugung, dass sie sich nicht in ungünstigeren Verhältnissen befinden als ihre Vorfahren, denen es ebenfalls im Glauben gelungen ist, innerlich die Widersprüche ihrer Zeit zu überwinden. Sie sind überzeugt, dass eben der heutige Widerspruch den Beweis für einen tiefen Bruch zwischen dem Leben und dem christlichen Glauben liefert und dass es vor allem gerade dieses Übel zu heilen gilt.

Die menschliche Gesellschaft und ihr höchster Ordner

Wer wirklich Freiheit und Sicherheit sucht, muss die Gesellschaft ihrem wahren und höchsten Ordner zurückgeben in der Überzeugung, dass allein die Idee einer von Gott stammenden Gesellschaftsordnung ihn bei seinen wichtigsten Unternehmungen schützt. Der theoretische oder auch der praktische Atheismus derer, die die Technik und den mechanischen Fortschritt des Geschehens anbeten, gelangen mit Notwendigkeit schließlich dahin, Feinde der wahren menschlichen Freiheit zu werden, weil sie mit dem Menschen wie mit unbelebten Dingen in einem Laboratorium umgehen.

Diese Überlegungen sind weniger abstrakt und fern von der konkreten Wirklichkeit, als es scheinen könnte. Wir wünschen nur, dass sie dort vernommen werden, wo man an die Erschließung wenig entwickelter Gebiete, der so genannten unterentwickelten Länder, denkt. Gewiss ist der Eifer, die bestehenden sozialen Strukturen, die der Verbesserung fähig sind, zu heben, lobenswert; aber es wäre ein Irrtum, den Menschen unter dem Einfluss der Technik und der modernen Organisation aus allen seinen Überlieferungen herauszureißen. Wie Pflanzen, die man aus ihrem Erdreich reißt und in ein feindliches Klima umpflanzt würden sich diese Menschen grausam isoliert fühlen, um dann vielleicht Ideen und Tendenzen zur Beute zu fallen, die im Grunde niemand wollen kann.

Wir Unsererseits als Haupt der Kirche haben es in der gegenwärtigen Stunde ebenso wie in früheren Fällen vermieden, die Christenheit zu einem Kreuzzug aufzurufen. Wir können jedoch volles Verständnis für die Tatsache verlangen, dass, wo die Religion ein lebendiges Erbe der Väter ist, die Menschen den Kampf, der ihnen vom Feind zu Unrecht aufgedrängt wird, auch als einen Kreuzzug aufzufassen. Was Wir aber angesichts des Versuchs, gewisse Tendenzen als harmlos hinzustellen, für alle betonen möchten, ist, dass es sich um Fragen handelt, die absolute Werte des Menschen und der Gesellschaft betreffen. Es ist Unsre schwere Verantwortung, nicht zuzulassen, dass dies sich im Nebel von Zweideutigkeiten verbirgt.

Gespräche mit dem Gegner

Mit tiefem Kummer müssen Wir in dieser Beziehung die Unterstützung beklagen, die von einigen Katholiken, Klerikern und Laien, der Vernebelungstaktik geleistet worden ist und die zu Folgen führt, die sie selber nicht wollen. Wie kann man nur immer noch nicht sehen, dass das der Zweck all jener unaufrichtigen Umtriebe ist, die unter dem Namen "Gespräche" oder "Begegnungen" laufen? Wozu im übrigen miteinander reden ohne gemeinsame Sprache, oder wie soll es möglich sein, sich zu begegnen, wenn die Weg" auseinanderführen, d. h., wenn von der einen der Parteien hartnäckig gemeinsame absolute Werte abgelehnt und geleugnet werden und daher jede "Koexistenz der Wahrheit" unmöglich ist? Schon aus Achtung vor dem christlichen Namen muss es aufhören, dass sich Christen zu diesen Taktiken hergeben, weil es, wie der Apostel sagt, unvereinbar ist, sich an den Tisch des Herrn und an den seiner Feinde setzen zu wollen (vgl. 1. Kor 10, 21). Und gäbe es trotz dem schmerzlichen Zeugnis eines Jahrzehnts der Grausamkeiten noch unentschiedene Geister, so müsste doch das jüngst vergossene Blut und das Opfer so vieler Leben, das ein gemartertes Volk dargebracht hat, sie endlich überzeugen. Es sei aber gut, so bemerkt man, die Brücken nicht abzubrechen, sondern die gegenseitigen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Doch dafür genügt völlig das, was die verantwortlichen Männer in Staat und Politik an Kontakten und Beziehungen für nötig befinden, um den Frieden der Menschheit zu erhalten, nicht um besonderer Interessen willen. Es genügt, was die zuständige kirchliche Autorität durchführen zu müssen glaubt, um die Anerkennung der Rechte und der Freiheit der Kirche zu erhalten.

Wenn die traurige Wirklichkeit Uns zwingt, mit klaren Worten die Ziele des Kampfes festzustellen, kann niemand ehrlicherweise gegen Uns den Vorwurf erheben, zu einer Versteifung der gegnerischen Fronten beizutragen, und noch weniger den, Uns irgendwie von jener Friedensmission entfernt zu haben, die Unserm apostolischen Amt entspringt. Würden Wir schweigen, so müssten Wir das Gericht Gottes wohl viel mehr fürchten ...

Niemals kann man gute Politik allein aus dem Gefühl machen; noch weniger eine echte Politik von heute aus den Gefühlen von gestern und vorgestern. Unter solchem Einfluss wäre es nicht möglich, über gewisse wichtige Fragen richtig zu urteilen, z. B. über die des Militärdienstes, der Waffen, des Krieges.

Militärdienst, Waffen, Kriegsdienst

Die heutige Lage, die nicht ihresgleichen in der Vergangenheit hat, sollte dennoch allen klar sein. Es ist jetzt nicht mehr angebracht, sich den Kopf zu zerbrechen, welche Absichten und Methoden hinter den Panzerwagen stehen, wenn diese lärmend und todbringend über die Grenze einbrechen, um zivilisierte Völker zu einer Lebensform zu zwingen, die sie ausdrücklich verabscheuen; wenn gleichsam die Etappen möglicher Verhandlungen und Vermittlungen verbrannt werden und mit der Verwendung von Atomwaffen gedroht wird, um konkrete Forderungen durchzusetzen, ob diese nun berechtigt oder unberechtigt sind. Es ist klar, dass sich unter den gegenwärtigen Umständen für eine Nation der Fall ergeben kann, wo nach dem Scheitern aller Bemühungen, den Krieg zu vermeiden, dieser zur wirksamen Verteidigung und in der Hoffnung auf glücklichen Ausgang gegenüber ungerechtem Angriff nicht als unerlaubt betrachtet werden könnte. Wenn also eine Volksvertretung oder eine durch freie Wahl zustande gekommene Regierung in äußerster Not mit den legitimen Mitteln der Außen- und Innenpolitik Verteidigungsmaßnahmen beschließt und die ihrem Urteil nach notwendigen Dispositionen dazu trifft, so handelt auch sie nicht unmoralisch, so dass ein katholischer Bürger sich nicht auf sein Gewissen berufen kann, um den Kriegsdienst zu verweigern und die vom Gesetz festgelegten Pflichten nicht zu erfüllen ...

Die moralischen Normen und Forderungen des Gewissens

Es gibt also Fälle und Augenblicke im Leben der Nationen, in denen nur die Rückwendung auf die höchsten Prinzipien die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen dem Erlaubten und dem Unmoralischen klar bestimmen und das Gewissen gegenüber schweren Entscheidungen beruhigen kann. Es ist darum tröstlich, dass in verschiedenen Ländern in den heutigen Debatten die Männer vom Gewissen und von dessen Forderungen sprechen. Sie beweisen, dass sie nicht vergessen haben, dass das soziale Leben genauso weit vor dem Chaos gerettet werden kann, als es sich nach absoluten Normen richtet und einem absoluten Ziel gehorcht; sie verurteilen damit implicite jene, die die Fragen des menschlichen Zusammenlebens auf der Grundlage guter äußerer Formen und mit einem praktischen Blick lösen zu können glauben, dessen Ziel ist, je nachdem, wo sich im einzelnen Fall Interesse und Macht befindet, zu handeln. Obwohl das Programm, das den Vereinten Nationen zugrunde liegt, sich die Verwirklichung der absoluten Werte im Zusammenleben der Völker zum Ziel setzt, hat die jüngste Vergangenheit doch gezeigt, dass der falsche Realismus bei nicht wenigen seiner Mitglieder die Oberhand gewonnen hat, auch wenn es sich darum handelt, die Achtung vor eben jenen Werten der menschlichen Gesellschaft durchzusetzen, die offen mit Füßen getreten werden. Die einseitige Einstellung, die die Tendenz hat, unter den verschiedenen Umständen nur im Hinblick auf Interesse und Macht zu handeln, führt dazu, dass die Klagefälle wegen Friedensbruch sehr verschieden behandelt werden und dass das verschiedene Gewicht, das diesen Fällen, einzeln betrachtet, im Lichte der absoluten Werte zukommt, sich ohne weiteres in sein Gegenteil verkehren kann (Aus der Weihnachtsbotschaft vom 23. Dezember 1956).

69. DIE MITARBEIT DES CHRISTEN AN DER ORDNUNG DER WELT

WENN DER ERSTE FREUDENTAUMEL vorüber ist, werden die Menschen heute angesichts der unerwarteten Menge ihrer erweiterten Kenntnisse mit den sich daraus ergebenden Wirkungen und angesichts dieses unerhörten Einbruchs in Mikrokosmos und Makrokosmos von Angst gepackt und stellen sich die Frage, ob sie ihre Herrschaft über die Welt behalten oder Opfer ihres Fortschrittes werden. Die nicht vorauszusehenden Änderungen, zu denen die neuen, von Wissenschaft und Technik eröffneten Wege führen, werden von manchen als etwas Disharmonisches betrachtet, das geeignet sei, Verwirrung und Durcheinander in die Einheit der Ordnung und die von der menschlichen Vernunft erstrebte Harmonie zu bringen. Für andere sind diese Änderungen ein Anlass zu ernstlichen Befürchtungen für das Überleben derer, die sie schufen. Der Mensch beginnt die Welt zu fürchten, die er eben jetzt in seinen Händen zu halten glaubte.

Bei einem Teil der gegenwärtigen Menschheit führt die Schau der Disharmonien der Welt zu einem Verdammungsurteil über die ganze Schöpfung, als ob die Disharmonie ihr notwendiges Kennzeichen, ihr unausweichliches Verhängnis sein müsse, demgegenüber dem Menschen nichts übrig bleibt, als die Arme zu verschränken und sich zu ergeben. Als Höchstes könne er noch versuchen, sich schadlos zu halten an vergänglichen, gerade der herrschenden Unordnung entrissenen Vergnügungen. Dieser totale Pessimismus ergreift sehr oft die Herzen, die zunächst einem grenzen- und darum sinnlosen Optimismus zuneigten. Er entfließt dem Bestreben, die unleugbaren Unstimmigkeiten in dieser Welt auf die gesamte Weltordnung und ihre Gesetze auszudehnen und die Schuld dafür dem Schöpfer selbst zuzuschieben. So erliegen dem Ansturm des totalen Pessimismus jene, die in der Welt nichts anderes sehen können als ein Meer von Grausamkeit und Schmerz, gequälte Einzelmenschen und Völker, deren Leiden unmittelbar oder mittelbar die Verwirklichung des äußeren Fortschritts begleiten. Ein anderer Teil der jetzigen Generation lässt sich dazu verleiten, an der Möglichkeit der wiederherzustellenden Harmonie infolge der schwerwiegenden Tatsache zu verzweifeln, dass es Menschen gibt, die sich vom Zauber der Neuigkeiten so sehr bestechen lassen, dass sie die übrigen echten Werte, besonders diejenigen, die das menschliche Zusammenleben aufrechterhalten, verachten. Schließlich kapitulieren viele vor dem totalen Pessimismus, wenn sie die bedauernswerte Tatsache beobachten, wie äußerlich fortschrittliche Menschen innerlich ungesittet werden.

Dem in einem Klima strenger technischer Zivilisation geborenen und erzogenen Menschen fehlt notwendigerweise ein sehr wichtiger Teil seines vollen Menschseins, der durch Lebensbedingungen zum Absterben gebracht wurde, die der natürlichen Entwicklung abträglich sind. Eine Pflanze in einem Boden, dem man lebenswichtige Substanzen entzogen hätte, könnte wohl noch diese oder jene Eigenschaft entwickeln, aber nie ihre ganze harmonische Form hervorbringen. Genauso ist es mit der "fortschrittlichen", d. h. einseitig materialistischen Zivilisation, die bestimmte, für das Leben der Familien und der Völker notwendige Werte und Elemente verbannt: sie raubt zum Schluss dem Menschen die echte Form des Denkens, Urteilens und Handeins. Damit diese Form dem Wahren, Rechten, Ehrbaren entspreche und, mit einem Wort gesagt, "menschlich" sei, erfordert sie größte Weite und vielgestaltige Ausrichtung. Wo hingegen der technische Fortschritt den Menschen in seine Schrauben einspannt und ihn vom Rest des Universums, besonders vom Geistigen und Innerlichen trennt, da formt er ihn nach seinen eigenen Kennzeichen, deren bemerkenswerteste Oberflächlichkeit und Unbeständigkeit sind. Die Entwicklung dieser Missbildung ist kein Geheimnis, wenn man die Neigung des Menschen in Betracht zieht, Missverständnis und Irrtum auf sich zu nehmen, wenn sie das Versprechen eines leichteren Lebens erhalten. Schaut z. B. auf das Missverständnis, das der bewundernswerte Fortschritt der rein räumlichen Fortbewegungsgeschwindigkeit dadurch gebracht hat, dass man Werte anderer Ordnung mit denselben Methoden behandeln will. Durch den Zauber der Geschwindigkeit verführt und den Wert der Fortbewegungsgeschwindigkeit auf Werte übertragend, die ihre Vollendung nicht durch rasche Beständigkeit und Treue zur Überlieferung erhalten, neigt der Mensch der "wahnsinnigen Geschwindigkeiten" dazu, im Leben wie ein vom Winde bewegtes Schilfrohr zu werden, unfruchtbar an bleibenden Werken und unfähig, sich selbst und die anderen aufrecht zu halten. Ein ähnliches Missverständnis ergibt sich aus der an sich bewundernswerten Zunahme der Fähigkeit der Sinne, denen die modernen Beobachtungs- und Übertragungsinstrumente die Möglichkeit geben, alles zu sehen, zu hören und zu messen, was in beinahe jedem Winkel des Universums existiert, sich bewegt und sich verwandelt. In selbstgefälliger Freude über seine so vermehrten Fähigkeiten und fast ganz in Beschlag genommen durch die Betätigung seiner Sinne, ist der "allessehende" Mensch unversehens dahin gebracht, die Verwendung seiner vollgeistigen Fähigkeit, im Innern der Dinge zu lesen, also des Intellekts, einzuschränken und so immer weniger geeignet zu werden, die wahren Ideen reifen zu lassen, von denen das Leben sich nährt.

Das Dasein des Geistes im menschlichen Handeln

Wenn das Wesen des Menschen selbst ein Abbild Gottes ist, muss auch sein Tun ihm gleichförmig sein, ganz nach der Lehre der Philosophie, die sagt: "Das Tun folgt dem Sein" (operari sequitur esse).

Das Wirken des Menschen auf Erden ist darum nicht dazu verdammt, ein Missklang zu sein. Es ist vielmehr dazu bestimmt, die ewige Harmonie Gottes zu offenbaren. In diesem Sinn befreit das fleischgewordene ewige Wort den Menschen von der Knechtschaft, erlöst ihn von dem unfruchtbaren Verhaftetsein in sich selbst und gibt ihm auf den Wegen des Fortschritts die Hoffnung zurück ...

Bevor der Mensch sich das klare Bewusstsein der vollkommenen Harmonie bildete, die durch die Gegenwart Christi in der Welt und seine Naturgleichheit mit dem Menschen erzeugt ist, vermochte er in seinem eigenen Geist, diesem Ebenbild des Geistes Gottes, das einigende Band zu erkennen, das die Dinge fest miteinander verknüpft. Zu einem so beglückenden Schluss kamen bereits die alten Philosophen von Athen und Rom und mit noch größerer Klarheit die Leuchten der christlichen Philosophie, unter ihnen die Heiligen Augustinus und Thomas von Aquin. Jedenfalls reicht die Technik allein nicht aus, den in den Dingen angelegten göttlichen Keim der Einheit und der Harmonie zu erkennen und zu entwickeln. Es gibt heute Männer der Wissenschaft, die glauben, wenigstens methodisch von dieser Wahrheit abgehen zu können. Sie arbeiten, wie wenn es keinen Geist gäbe oder als ob er nichts zu bieten hätte. Sie untersagen ihm sogar den Zugang zu den Laboratorien und die Anwesenheit bei den Forschungen. Verseucht vom Materialismus und Sensualismus, erwarten sie die Lösung der Probleme ausschließlich von ihren Instrumenten und Berechnungen, von der sorgfältigen Beobachtung der Tatsachen, von der Untersuchung und der äußerlichen Klassifizierung der Erscheinungen. Andere geben wohl noch einen gewissen logischen Zusammenhang nach Art der mathematischen Beziehungen zu. Sie stellen sich vor, die Weltordnung könne, auch wenn sie der Führung des Geistes entzogen sei, als Ergebnis der physischen Ordnung der Einzelteile nach Art einer riesenhaften Rechenmaschine funktionieren.

Wie die Philosophie vielleicht nicht hinreichte, die Haltlosigkeit einer solchen Meinung darzutun, könnte die Wissenschaft selbst sie widerlegen. Wenn man beobachtet, wie die besten Forscher vorgegangen sind, so muss man die wirkende Gegenwart des Geistes bejahen. Von ihm stammt jenes Erfassen des inneren Zusammenhangs ganz verschiedenartiger Tatsachen, von ihm stammt der scharfsinnige Einblick bei der Beobachtung und Analyse, von ihm die Kraft der Synthese, die dem Verstand den wahren Sachverhalt klarlegt und zum endgültigen Urteil führt.

Darum ist das Dasein des Geistes im menschlichen Handeln nicht zu leugnen, und auch seine Kundgebungen in der Welt können nur durch Vorurteile und Aberglauben zum Schweigen gebracht werden: Er ist das Zeugnis der aus Gott kommenden Einheit, Ordnung und Harmonie, ohne die auch die in der Wissenschaft angewandten Formeln nicht die Wirklichkeit zur Darstellung bringen würden.

Geist und Harmonie bezeugen sich also gegenseitig: wie dem Reichtum an Geist stets der Reichtum an Harmonie entspricht, so verrät jede Dissonanz, ob sie nun in den Wissenschaften, in der Kunst oder im Leben auftritt, irgendein Hindernis für seine volle Wirksamkeit.

Wenn man den Ursprung des Menschen aus dem Geist mit der sich daraus ergebenden Ebenbildlichkeit zwischen dem Menschen und dem ewigen göttlichen Sein sowie die Spur Gottes in der vernunftlosen Kreatur leugnet, dann ist auch die Harmonie im Verhältnis zwischen Mensch und Welt beseitigt. Der Mensch würde zu einem bloßen Punkt, zum Ort einer anonymen und vernunftlosen Vitalität zusammenschrumpfen. Er wäre in der Welt nicht mehr wie in seinem Heim. Die Welt würde für ihn etwas Fremdes. Dunkles, Gefährliches mit der ständigen Neigung, den Charakter des Werkzeuges abzulegen und sich zum Feind des Menschen zu machen.

Die schmerzliche Geburt eines neuen Lebens

Und was wären die Ordnungsbeziehungen des gesellschaftlichen Lebens ohne das Licht des göttlichen Geistes und ohne Berücksichtigung der Beziehung Christi zur Welt? Auf diese Frage antwortet leider die bittere Wirklichkeit derer, die die Dunkelheit der Welt vorziehen und sich als Anbeter der äußeren Werke des Menschen bekennen. In ihrer Gesellschaftsordnung gelingt es nur durch die eiserne Disziplin des Kollektivismus, das Nebeneinanderleben anonymer Existenzen aufrechtzuerhalten. Ganz anders ist das soziale Leben, das auf das Beispiel der Beziehungen Christi zur Welt und zum Menschen aufgebaut ist: ein Leben brüderlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung vor dem Recht des anderen, ein Leben, das des ersten Ursprungs und des letzten Zieles eines jeden Menschen würdig ist.

Die Hoffnung ist immer noch Christus, der die Welt auch von der Knechtschaft der Verderbnis frei machen und sie der Freiheit der Kinder Gottes wiedergeben wird, wie er sie von der Knechtschaft der Sünde befreite. Das Leben der Menschen und der Lauf der Welt sind zuinnerst durchdrungen von dieser Erwartung. Wenn die Menschen bis zum Anbruch des ewigen Tages die Harmonie nicht vollständig wiederhergestellt sehen, wenn Schweiß und Tränen noch ihr Brot benetzen und wenn der Schmerzensschrei der Geschöpfe immer noch widerhallt unter der Sonne, so wird ihre Trauer doch nicht Traurigkeit des Todes sein, sondern das Weh einer Mutter, die - nach dem lebendigen Ausdruck des göttlichen Meisters - gern allen Schmerz vergisst, wenn ihre Stunde gekommen ist, weil ein Mensch zur Welt geboren wurde (vgl. Joh 16, 21). Die schmerzliche und langsame Geburt eines neuen Lebens, einer neuen Menschheit in ständigem Fortschritt von Ordnung und Harmonie ist die von der Geschichte zugewiesene Aufgabe "post christum natum" - nach der Geburt Christi. Dabei müssen die der Freiheit zurückgegebenen Kinder Gottes persönlich und aktiv mitarbeiten. Es wäre vergeblich, die Vollkommenheit und die Ordnung der Welt von irgendeinem immanenten Vorgang zu erwarten, bei dem der Mensch unbeteiligter Zuschauer bliebe, wie einige behaupten. Ein solcher dunkler Immanentismus ist eine Rückkehr zum antiken Aberglauben, der die Natur vergöttlichte. Man kann sich aber auch nicht, wie man es möchte, auf die Geschichte berufen, ohne die Deutung der Tatsachen zu fälschen. Die Geschichte der Menschheit in der Welt ist etwas ganz anderes als eine Entfaltung blinder Kräfte. Sie ist ein wunderbares und lebensvolles Offenbarwerden der Geschichte des göttlichen Wortes selbst. Von ihm erhielt sie den ersten Anstoß, und durch ihn wird sie zur Vollendung kommen am Tag der allgemeinen Rückkehr zum ersten Ausgangspunkt, wenn das fleischgewordene Wort sein losgekauftes und vom Geiste Gottes erleuchtetes Eigentum als Zeugnis seiner Herrlichkeit dem ewigen Vater darbringen wird. Viele Tatsachen, besonders solche der Geschichte, die gegenwärtig den Anschein von Disharmonien an sich tragen, werden dann als Elemente echter Harmonie offenbar werden, wie zum Beispiel das ständige Aufkommen neuer Dinge und das Verschwinden der alten, weil die einen und die anderen in irgendeiner Weise an der göttlichen Wahrheit und Güte Anteil hatten oder haben ...

Das Mitwirken an der Ordnung der Welt, das Gott vom Christen im allgemeinen verlangt, muss sich also vor einem Spiritualismus hüten, der ihm jeden Zutritt und jedes Eingreifen in die Außenwelt verwehren möchte und der durch seine Anwendung im katholischen Lager der Sache Christi und des Schöpfers des Weltalls schweren Schaden verursacht hat. Wie wäre es denn möglich, die Weltordnung aufrechtzuerhalten und zu entfalten, wenn man nur Jenen die volle Freiheit des Handeins lässt, welche die Ordnung nicht anerkennen oder ihre Festigung nicht wollen? Das Eingreifen in die Dinge der Welt zur Erhaltung der göttlichen Ordnung ist ein Recht und eine Pflicht, die zum Wesen der Verantwortung des Christen gehören und die es ihm gestatten, rechtmäßig jede auf dieses Ziel hingerichtete und dafür geeignete private wie öffentliche oder organisierte Aktion zu unternehmen.

Die Berufung und Verantwortung des Christen

Dieser Verantwortung vermögen nicht die spitzfindigen Vorwände zu entheben, die von manchen Christen als Entschuldigung für ihre Trägheit vorgebracht oder von den Gegnern aus einer unberechtigten Eifersucht heraus erfunden werden, zumal wenn behauptet wird, das christliche Handeln in der Welt sei eine Maske, für die dem Geiste Christi fremde Herrschsucht, es errege die Abneigung gegen den christlichen Glauben bei den bereits Übergesinnten, es sei eine Frucht des Misstrauens gegenüber Gott und seiner allmächtigen Vorsehung und es sehe aus wie eine Anmaßung des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer ... Es gibt keine verbotenen Gebiete und keine untersagten Richtungen für die Betätigung des Christen: Kein Lebensbezirk, keine Einrichtung, kein Gebrauch einer Vollmacht kann den Mitarbeitern Gottes zur Wahrung der göttlichen Ordnung und der Harmonie in der Welt untersagt werden.

Ein solches Eingreifen legt keineswegs den Gedanken eines Wirkens nahe, das abgesondert und beinahe eifersüchtig gegenüber dem Beitrag anderer wäre. Öfters schon sagten Wir, dass die Katholiken die Mitarbeit mit anderen Menschen zulassen können und müssen, wenn deren Tätigkeit und das Einvernehmen mit ihnen so sind, dass sie wirklich die Ordnung und Harmonie in der Welt fördern. Es ist jedoch notwendig, dass die Katholiken sich zunächst von ihrem Können und Wollen Rechenschaft geben, d. h. dass sie geistig und technisch für die Vorhaben gerüstet sind ... Die christliche Tätigkeit kann nicht, auch heute nicht, auf ihr eigenes Recht und ihre Eigenart nur deshalb verzichten, weil jemand in der menschlichen Gemeinschaft von heute eine pluralistische, d. h. durch entgegengesetzte Haltungen gespaltene Gesellschaft sieht, unverrückbar in den jeweiligen Einstellungen und unduldsam gegenüber jeder Mitarbeit, die sich nicht auf einfachhin "menschlicher" Ebene abspielen würde. Wenn dieses "Menschliche", wie es den Anschein hat, Agnostizismus gegenüber der Religion und den wahren Lebenswerten bedeutet, so käme jede Einladung zur Mitarbeit einer Forderung des Abdankens gleich, wozu der Christ nicht bereit sein kann ...

Der Missbrauch neuer Erfindungen und der Frieden

Heutzutage treibt eine gleichsam blinde Verlockung des Fortschrittes die Nationen dazu, offensichtliche Gefahren zu missachten und selbst schwere Verluste gar nicht zu berücksichtigen. Wer sieht nicht, wie die Entwicklung und Anwendung einiger Erfindungen zu militärischen Zwecken bedeutend größere Nachteile mit sich bringen als die vielleicht daraus zu ziehenden politischen Vorteile, die man auch auf anderem Wege mit weniger Aufwand und Gefahr erringen könnte oder deren Erlangung man auf reifere Zeiten verschieben könnte?

Wer vermöchte den wirtschaftlichen Schaden des nicht von der Weisheit beratenen Fortschritts in Zahlen auszurechnen? Eine solche Menge von Materialien, soviel erspartes Kapital, die Frucht von Einschränkungen und Mühen, soviel menschliche, dringenden Notwendigkeiten entzogene Arbeitskraft werden verbraucht, um diese neuesten Waffen herzustellen, so dass auch die reichsten Völker Zeiten voraussehen müssen, in denen sie das gefährlich geschwächte Gleichgewicht ihrer nationalen Wirtschaft beklagen werden oder tatsächlich schon beklagen, obwohl sie es zu verbergen suchen!

Wenn man heute wohl überlegt und realistisch urteilt, so bringt der heutige Wettstreit unter den Nationen zum Erweis des eigenen Fortschritts in den Rüstungen (immer unbeschadet des Rechts auf Verteidigung) gewisse neue "Zeichen am Himmel" hervor, aber noch mehr Zeichen des Hochmutes, jenes Stolzes, der auf Erden Abgründe zwischen den Geistern aufreißt, den Hass nährt und Trauer bereitet. Die Zuschauer des heutigen Rüstungswettlaufes mögen jedoch so klug sein, die Tatsachen auf ihr wahres Maß zurückzuführen und, ohne die Versuche friedlicher Vergleiche, die immer wünschenswert sind, zurückzuweisen, sich nicht blenden lassen, weder von Höchstleistungen, die häufig nur einen Augenblick aktuell sind, noch von Befürchtungen, die absichtlich geweckt wurden, um die Sympathie und Unterstützung anderer zu gewinnen. Sie mögen daran denken, dass sie einer Generation angehören, in welcher der "homo faber", der technische Mensch, oft das Übergewicht hat über den "homo sapiens" - den Geistesmenschen. Vorherrschen möge der christliche Mensch, der von seiner aus der weitesten Schau der Dinge kommenden Geistesfreiheit Gebrauch macht und in der objektiven Betrachtung der Ereignisse jene Ruhe und Festigkeit des Geistes wieder findet, die im göttlichen, allzeit in der Welt anwesenden und vorsehenden Geiste verankert sind ... (Aus der Weihnachtsbotschaft vom 22. Dezember 1957).

70. FRIEDEN IN DER WELT UND FREIHEIT DER KIRCHE

WENN WIR NUN AUFMERKSAMEN GEISTES untersuchen, was die Ursachen so vieler gegenwärtiger und künftiger Gefahren sind, so erkennen Wir leicht, dass menschliche Entscheidungen, menschliche Kraft und menschliche Institutionen notwendigerweise in dem Maße fragwürdiger und schwankender werden, wie die Autorität Gottes, die erleuchtet, befiehlt und verbietet, die Ursprung und Garant der Gerechtigkeit, Quelle der Wahrheit und Fundament des Gesetzes ist, zurückgesetzt, nicht an dem ihr zukommenden Platz eingeordnet oder völlig übergangen wird. Jedes Haus, das nicht auf festem und sicherem Grund steht, fällt zusammen. Jeder Verstand, der nicht vom göttlichen Lichte erleuchtet wird, entfernt sich mehr oder weniger von der Fülle der Wahrheit. Zwietracht entsteht, verschärft und vertieft sich, wenn die brüderliche Liebe nicht den Geist der Staaten, Völker und Nationen erwärmt ...

Wenn Wir diese Dinge in einer Geisteshaltung überdenken, die Uns über den Strudel aller menschlichen Begehrlichkeit erhebt und Uns die Völker und Nationen jeder Rasse in väterlicher Liebe umfangen lässt, so drängen sich Uns zwei Beobachtungen auf, die Uns beängstigen und erregen: Erstens finden in vielen Nationen die christlichen Gebote und die katholische Religion nicht die Beachtung, die sie nach Unserer Auffassung haben müssen. Breite Schichten der Bevölkerung, vor allem die ungebildeten Massen, werden leicht durch weitverbreitete Irrtümer verführt, die sich oft mit dem Schein der Wahrheit schminken. Die Verlockungen des Lasters verwirren die Sinne und verderben vor allem die unerfahrene Tugend dadurch, dass sie durch jede Art vom Schrifttum, durch Film und Fernsehen angepriesen werden. Es gibt Autoren, die ihre Werke nicht deswegen herausbringen, um die Leser zur Wahrheit, Tugend und gesunder Entspannung zu führen, sondern um sie für schnöden Profit zu schlechter und verwerflicher Begehrlichkeit aufzureizen. Oder sie sind bemüht, durch Lüge, Verleumdung und Anschwärzung das Heilige, Schöne und Edle zu verhöhnen und zu beschmutzen. Es ist schmerzlich, zu sagen, dass sehr oft die Wahrheit verfälscht und Betrug und Laster öffentlich gepriesen werden. Dabei sieht jeder vernünftige Mensch, welches Übel dadurch der Gesellschaft und welcher Schaden der Kirche zugefügt werden.

Zweitens nehmen wir mit tiefstem Schmerz Unseres väterlichen Herzens zur Kenntnis, dass in vielen Nationen die Katholische Kirche des lateinischen und orientalischen Ritus von Verfolgungen heimgesucht wird, die die Christgläubigen und die Geistlichen wenn auch nicht in Worten, so doch in der Wirklichkeit vor das Dilemma stellen, entweder vom öffentlichen Bekennen und Verbreiten des christlichen Glaubens Abstand zu nehmen oder schwerste Schädigungen zu erleiden. Viele Bischöfe wurden von ihren Sitzen vertrieben, an der freien Ausübung ihrer Amtstätigkeit verhindert, eingekerkert oder ausgewiesen. Man bemüht sich, durch dieses waghalsige Unternehmen den Zustand zu erreichen, den das Wort des Herrn beschreibt: "Ich will den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen" (Mt 26, 31; vgl. Sach 13, 7) ...

In dieser schweren und schmerzlichen Bedrückung entgeht jedoch etwas Unserer Beobachtung nicht, was Unsern väterlichen Sinn mit großem Trost erfüllt. Wir wissen, dass die meisten Gläubigen des lateinischen und orientalischen Ritus mit aller Kraft am überlieferten Glauben ihrer Väter festhalten, obgleich sie der Hilfe und Stärkung entbehren, die ihnen ihre rechtmäßigen Bischöfe spenden könnten, wenn sie nicht vertrieben oder verhindert wären. Die Gläubigen halten mutig durch und setzen ihre Hoffnung auf den, der die Tränen und Leiden derer kennt, "die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen" (Mt 5, 10), und der "mit seiner Verheißung ... nicht säumt" (2. Petr 3, 9), sondern seine leidenden Kinder einst mit der gerechten Belohnung trösten wird ...

Die Kirche bleibt unbesiegt

Die von Christus gegründete Gemeinschaft kann zwar angegriffen, aber nicht besiegt werden, denn sie erhält ihre Kraft nicht von den Menschen, sondern von Gott. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass sie Jahrhunderte hindurch durch Verfolgung, Anfeindung und Verleumdung genau wie einst ihr göttlicher Stifter gequält wurde entsprechend dem Herrenwort: "Wenn sie mich verfolgt haben, so werden sie auch euch verfolgen" (Joh 15, 20). Genauso sicher ist aber auch, dass die Kirche einen friedlichen Sieg über alle ihre Feinde erringen wird, wie Christus, unser Erlöser, triumphierte. Habt also Vertrauen, seid tapfer und standhaft im Geist. Wir wollen euch noch durch die Worte des heiligen Märtyrers Ignatius ermahnt wissen, auch wenn Wir Uns darüber im klaren sind, dass ihr dieser Mahnung nicht bedürft: "Seid dem angenehm, für den ihr kämpft ... Keiner von euch darf zum Überläufer werden. Eure Taufe sei wie eine Waffe, euer Glaube wie ein Helm, die Liebe wie eine Lanze, die Geduld wie eine ganze Rüstung. Eure Werke seien eure Guthaben, so dass ihr eine würdige Belohnung verdient (S. Ign. Ad Pol. VI, 2, PG V, S. 723 bis 726) ...

Betet !

Einstimmig und einmütig mögen die Gläubigen flehen, dass überall der Kirche die Freiheit wiedergegeben werde. Diese Freiheit dient nicht nur dazu, das ewige Heil der Menschen zu erwirken, sondern auch dazu, die Befolgung der gerechten Gesetze zur Gewissenspflicht zu machen und die Grundlagen der Gesellschaft zu festigen. Ganz besonders mögen die Gläubigen von der mütterlichen Fürsprache Mariens erbitten, dass die Bischöfe, die von ihrer Herde ferngehalten werden oder verhindert sind, so bald wie möglich in ihre frühere amtsgerechte Lage zurückversetzt werden, um frei ihre Amtsgeschäfte durchführen zu können; dass durch die Nachstellungen, Irrtümer und Spaltungen verwirrten Christgläubigen im vollen Licht der Wahrheit die Eintracht und Liebe wieder finden mögen; dass alle, die in der Unsicherheit des Zweifels und schwach sind, durch die göttliche Gnade gestärkt werden, so dass sie bereit sind, eher alles zu erleiden, als vom christlichen Glauben und der katholischen Einheit abzufallen (Aus der Enzyklika "Meminisse iuvat" vom 14. Juli 1958).

71. DAS TESTAMENT SEINER HEILIGKEIT PAPST PIUS XII.

Miserere mei, deus, secundum misericordiam tuam.

DIESE WORTE, die ich im Bewusstsein meiner Unwürdigkeit und Unzulänglichkeit in dem Augenblick aussprach, in dem ich zitternd meine Wahl zum Papst annahm, wiederhole ich mit jetzt noch größerer Berechtigung, da mir die während eines so langen Pontifikats in einer so ernsten Zeit begangenen Unzulänglichkeiten und Irrungen, mein Ungenügen und meine Unwürdigkeit noch bewusster gemacht haben. Ich bitte demütig alle jene um Vergebung, die ich mit Worten und mit Werken gekränkt, geschädigt, oder bei denen ich Anstoß erregt habe. Ich bitte diejenigen, die dazu befugt sind, nicht dafür zu sorgen und sich nicht darum zu bemühen, meinem Gedächtnis irgendein Denkmal zu errichten. Es genügt, dass meine armen sterblichen Reste einfach an heiliger Stätte bestattet werden, je verborgener, desto lieber. Es ist nicht nötig, dass ich Fürbitten für meine Seele anempfehle. Ich weiß, wie zahlreich die Gebete sind, die die gewohnten Regeln des apostolischen Glaubens und die Frömmigkeit der Gläubigen für jeden verstorbenen Papst vorsehen. Es ist auch nicht nötig, dass ich ein geistiges Testament hinterlasse, wie es löblicherweise so viele eifrige Kirchenfürsten zu tun pflegen, da die vielen Schriften und Reden, die ich in Erfüllung meines Amtes herausgegeben oder gehalten habe, genügen, um demjenigen, dem vielleicht daran liegt, meine Gedanken zu den verschiedenen Fragen der Religion und Moral zu vermitteln. Nach diesem Vorspruch ernenne ich zu meinem Universalerben den Heiligen Apostolischen Stuhl, von dem ich so viel empfangen habe, wie von einer liebenden Mutter.

15. Mai 1956
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