Vorspann zu den Emmerick-Visionen: Unterschied zwischen den Versionen

Aus kathPedia
Zur Navigation springenZur Suche springen
(Die Seite wurde neu angelegt: „<center><big><big> '''EMMERICK - VISIONEN '''</big></big><br> <big>Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter …“)
 
(-)
 
(3 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
 
<center><big><big> '''EMMERICK - VISIONEN '''</big></big><br>
 
<center><big><big> '''EMMERICK - VISIONEN '''</big></big><br>
 
<big>Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des [[Alter Bund|Alten Bundes]] nach den [[Vision]]en der gottseligen [[Anna Katharina Emmerick]] </big></center>
 
<big>Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des [[Alter Bund|Alten Bundes]] nach den [[Vision]]en der gottseligen [[Anna Katharina Emmerick]] </big></center>
 +
{{Vorlage: Emmerich-Visionen}}
 +
= Quelle A =
 +
Anna Katharina Emmerich, ''Das zweite Lehrjahr Jesu, aus den Tagebüchern des [[Clemens Brentano]], [[Christiana Verlag]] 1998, S. 11-16 -48 (542 Seiten, ISBN 978-3-7171-0964-2), Einleitung Von [[Karl Erhard Schmöger]] [[CSSR]].
 +
 +
=== Über die Reihenfolge der Visionen ===
 +
 +
[[Anna Katharina Emmerich]] besaß die Gnade, dass sie in einem Zeitraum von drei Jahren in einem ununterbrochenen geschichtlichen Zusammenhang die drei Lehrjahre Jesu in täglichen Gesichten schauen durfte. Dieselben nahmen in den letzten Tagen des Monats Juli 1820 ihren Anfang, während Anna Katharina in allen vorhergehenden Jahren zwar auch die Geheimnisse des Lebens Jesu geschaut hatte, aber nicht in fortlaufenden täglichen Bildern, sondern mit Unterbrechung und nach Ordnung der Sonnund Festtage des Kirchenjahres.
 +
 +
Noch Donnerstag, den 19. Juli 1820, ist der «Pilger» (wie sich [[Clemens Brentano]] in seinen Tagebüchern zu nennen pflegte, weshalb diese Bezeichnung auch hier beibehalten wird) trostlos, weil «es ihm nicht möglich ist, aus den Gesichten über die sonntäglichen Evangelien klug zu werden, da Anna Katharina sie teilweise vergisst und nicht umständlich genug erzählt, keine Ortsnamen nennt, und er so nicht wissen kann, mit welchem Lebensjahre Christi die Gesichte zusammentreffen und in welcher Ordnung die Kirchenevangelien untereinander selber stehen».
 +
 +
Anna Katharina nämlich hatte am unmittelbar vorausgehenden Sonntag, dem sechsten nach Pfingsten, ein Gesicht über das Evangelium von der Speisung der Viertausend gehabt und in den folgenden Tagen noch einzelne Bruchstücke dazu mitgeteilt, von welchen sie glaubte, dass sie mit dem Evangelium des Sonntags in einem geschichtlichen Zusammenhang stehen.
 +
 +
Der Pilger jedoch konnte mit der mangelhaften Mitteilung nicht viel anfangen und schrieb in sein Tagebuch die Bemerkung: «Es ist ein Jammer, dass der Pilger gar nicht unterstützt wird, hierin eine Folge zu erhalten.»
 +
 +
Die ersehnte Hilfe sollte ihm aber wenige Tage später in ganz ungeahnter, wunderbarer Weise zu Teil werden; denn am 30. Juli 1820 begann Anna Katharina, was dem Pilger «ganz unerwartet, ja unerhört schien», den Lehrwandel Christi Tag für Tag im vollkommensten Zusammenhang zu schauen, und zwar ohne Unterbrechung bis Ende Mai 1821.
 +
 +
Diese fortlaufenden Gesichte begannen mit dem Lehrvortrag Jesu über die Ehescheidung und mit der Segnung der Kinder zu Bethabara jenseits des Jordan, wie sie von Matthäus 19,1 berichtet wird, und umfassten die letzte Osterreise des Heilandes nach Jerusalem, die Passion, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten und einige Wochen aus der Apostelgeschichte; vom Lehrwandel Jesu also die letzten acht bis neun Monate.
 +
 +
Der Pilger schickt seinen Aufzeichnungen der Visionen dieses Zeitraums folgende Bemerkung voran: «Der Aufschreibende war weder in diesem Wandel des Herrn noch in der Lage der Orte in Palästina orientiert. Die Sehende aber war häufig sehr krank und erzählte in ihren alles Maß übersteigenden Leiden nur mühsam und manches nachholend. Sie vergaß auch öfter einige Tage. Ferner war ihre Aufmerksamkeit weder auf die Ortsnamen noch auf die Distanzen und Wegmaße gerichtet, weshalb in diesem Zeitraum die Ortsnamen oft nur allgemein nach den Gegenden bestimmt sind.»
 +
 +
Mit Ende Mai 1821 hören jedoch die Gesichte nicht auf, sondern gingen zu jenem Zeitraum des Lebens Jesu über, der mit dem Tod des heiligen Joseph und dem öffentlichen Auftreten Johannes des Täufers beginnt. So sah Anna Katharina vier Monate hindurch, nämlich vom 2. Juni bis 28. September 1821, Tag für Tag alle Wege und Handlungen sowohl Jesu als auch seines heiligen Vorläufers, vernahm jedes ihrer Worte, und der Pilger zeichnete mit äußerster Gewissenhaftigkeit täglich auf, so viel Anna Katharina von diesen Gesichten ihm zu erzählen im Stande war.
 +
 +
Am 28. September sah sie die Taufe Jesu im Jordan und begleitete von da an in täglich fortlaufenden Gesichten den Heiland einundzwanzig und einen halben Monat lang, nämlich bis 17. Juli 1823, auf allen Wegen seines heiligsten Wandels, so dass nur wenige Tage übrig blieben, und der Schluss der Gesichte des Jahres 1823 hätte sich genau an den Anfang derselben im Juli 1820 angeschlossen.
 +
 +
Wie die Gesichte, so hatte auch die Mitteilung derselben an den Pilger ihren täglichen Fortgang. Nur einmal war Anna Katharina, und zwar vom 27. April bis 17. Juli 1823, wegen tödlicher Erschöpfung gänzlich unvermögend, auch nur ein Wort zu sprechen. Die Gesichte aber waren auch in dieser Zeit nicht unterbrochen.
 +
 +
Sie erhielt dieselben zum zweiten Mal vom 21. Oktober 1823 bis 8. Januar 1824 und holte nun in dieser Zeit die Mitteilung an den Pilger nach.
 +
 +
Von da an hörte jede Mitteilung auf, denn unter schrecklichen Leiden nahte ihr Tod, welcher am 9. Februar 1824 erfolgte, nachdem sie vier Wochen hindurch stets geschwiegen hatte. Nur einmal tat sie in dieser Zeit, ohne äußere Veranlassung, gleichwie aus einem inneren Überblick ihrer bisherigen Anschauungen die überraschende Äußerung: «Wo sind wir an der Zeit?» - «14. Januar!» - «Ach!», erwiderte sie, «dass ich gar nichts mehr vermag! Noch wenige Tage und ich hätte das Leben Jesu ganz erzählt!»
 +
 +
=== Kriterien der Echtheit ===
 +
 +
Ehe nun die Gabe des Schauens erklärt und von dem Umfang ihrer Gesichte einlässlicher gehandelt wird, mögen die Grundsätze zur Sprache kommen, welche nach Papst [[Benedikt XlV.]] über Echtheit und Unechtheit angeblicher [[Gesicht]]e und Offenbarungen entscheiden und den Grad der Geltung und des Ansehens feststellen, welches denjenigen Gesichten zugestanden werden darf, die von der kirchlichen Autorität als wahr und echt erklärt sind.
 +
 +
Benedikt XlV. handelt (in seinem großen Werk de Servorum Dei Beatificatione, lib. III. c. 51. 52. et 53) in drei Abschnitten von der Beurteilung der Gesichte und Offenbarungen:
 +
 +
Als erste und «goldene» Regel führt Benedikt die Worte Gersons an: «Wo Demut vorangeht, mit- und nachfolgt, wo nichts sich hineinmischt, was sie gefährdet, da ist es ein Zeichen, dass Gesichte von Gott sind oder seinem guten Engel, denn lange kann der Trug auch einer Frau nicht verborgen bleiben. Wo nicht von der tiefsten Demut der Grund gelegt ist, da stürzt das Gebäude in Schande bald zusammen. Wo aber lautere Einfalt sich findet, die gerade denen am nötigsten ist, die Gott in reiner, los geschälter, keuscher Liebe anhängen wollen, da ist weder Selbstbetrug noch Täuschung anderer.»
 +
 +
Dann sind es auch die Früchte, die an anderen wahrgenommen werden, welche der Echtheit der Gesichte eine große Bürgschaft gewähren. Denn es ist nicht möglich, dass ein schlechter Baum gute Früchte tragen kann. Geschieht es also, dass aus der Mitteilung von Gesichten anderen Erleuchtung des Geistes, oder Besserung des Lebens, oder Antriebe zur Frömmigkeit und Gottseligkeit erwachsen und dies nicht bloß bei einzelnen, sondern bei einer großen Anzahl von Personen, und zwar lange Zeit hindurch, so gilt dies als ein sehr verlässlicher Beweis, dass derartige Gesichte ein Werk des Heiligen Geistes sind. Denn falsche und trügerische oder vom Teufel eingegebene können nicht anders, als den katholischen Glauben und die guten Sitten verletzen.
 +
 +
Was nun die Anwendung der eben angeführten Grundsätze auf die gottselige Anna Katharina betrifft, so könnte es genügen, auf den in ihren Gesichten «Vom bitteren Leiden» waltenden Geist hinzuweisen, der in so ausgedehntem Maße jene Früchte bis zur Stunde hervorbringt, welche als Kennzeichen eines guten Baumes von Papst Benedikt angegeben werden. Allein der Herausgeber legt ein noch größeres Gewicht auf den Inhalt der gegenwärtigen Gesichte. Diese nämlich erschließen dem aufmerksamen Leser den irdischen Wandel und das ganze Wirken des Heilandes und seiner gebenedeiten Mutter in so einfacher, innerlich wahrer und anschaulicher Weise, dass nach der Heiligen Schrift nicht leicht ein Buch namhaft gemacht werden kann, das mit so überwältigender Klarheit auch dem einfachsten Menschen zeigt, was es bedeutet, wenn der Heiland allen ohne Ausnahme zuruft: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen!»
 +
 +
Muss es nicht den höchsten Trost und in jeder Lage des Lebens eine nie versiegende Freudigkeit gewähren, unseren Herrn und Heiland Schritt für Schritt begleiten, Tag für Tag ihn in der unendlichen Mühsal seines irdischen Tagewerks betrachten und im Anschauen seiner überall gleichen Huld und Erbarmung die schwache Glut der eigenen Liebe entzünden zu können?
 +
 +
Anna Katharina war in ihrem ganzen Leben das immer gleich einfache, harmlose, unschuldige Kind, das für nichts auf dieser Welt Empfindung und Verständnis hatte als für die Not und das Elend der Menschen, das nie nach etwas anderem je begehrte, als für andere zu leiden. Darum wuchs auch mit jeder Pein so sehr die Stärke ihres Geistes und der Friede ihrer Seele, dass sie in dem Übermaß ihrer namenlosen Leiden frohlockend Gott dankte, dass er sie würdige, ihrem Heiland ähnlicher zu werden. Niemals hat die Dulderin über die Größe einer Pein sich beschwert, wohl aber war es ihr unerträglich und empfindlicher als jeder Schmerz, wenn jemand sie lobte oder rühmlich von ihr dachte, und zwar so, dass sie noch in ihrem letzten Todeskampf mit sterbender Stimme flehentlich bat, nichts Lobenswertes von ihr zu reden ...
 +
 +
Papst Benedikt führt unter anderen das berühmte Gutachten des P. Joannes Cortesius Ossorius an, das dieser über die Offenbarungen der seligen [[Maria von Agreda]] der spanischen Inquisition übergab und in welchem er ausführlich nachweist, wie um der angeführten Punkte willen [[Privatoffenbarung]]en nicht zu verwerfen seien, und wie auch ungeachtet derselben die Offenbarungen der [[Birgitta von Schweden|hl. Brigitta]] und [[Magdalena von Pazzi]]s die Gutheißung des [[Heiligen Stuhl]]s erlangt haben.
 +
 +
Doch setzt Benedikt nach Anführung der genannten Autoritäten einschränkend bei, er würde zwar in derartigen Offenbarungen kein Hindernis finden, im Beatificationsprozesse weiterzufahren, allein er würde dieselben nicht als ganz lauter ansehen, sondern als getrübt von der eigenen Anschauungs- und Denkweise, die dem Diener Gottes vor und unabhängig von den Gesichten innewohnten. Und demgemäß dürfte in ihre etwaige Approbation nichts aufgenommen werden, was die Meinung zur Folge haben könnte, als wolle der Heilige Stuhl jeden Widerspruch gegen sie für ungeeignet erklären.
 +
 +
Diese letzte Bemerkung Papst Benedikts ist von höchster Wichtigkeit, denn sie gesteht zu, dass aus der persönlichen Heiligkeit eines Begnadeten, aus seinem Verhalten bei Gesichten und anderen dieselben begleitenden Umständen mit Sicherheit auf den göttlichen Ursprung der Gesichte könne geschlossen werden, wenngleich zugegeben werden müsse, dass dieselben in ihrem Durchgang durch das geistige Vermögen des Empfängers und dessen Mitteilung an andere möglicherweise getrübt worden sind. Es ist nämlich mit den Gesichten und Privatoffenbarungen nicht zugleich die Gabe eines durchaus unfehlbaren und ungetrübten Verständnisses und eben solcher Mitteilung dem Schauenden verliehen, weshalb die Theologen für deren Beurteilung eine «pia et modesta intelligentia» in Anspruch nehmen.
 +
 +
Das Privilegium der Unfehlbarkeit haben nur die Propheten, Apostel und die Verfasser der kanonischen Schriften, und in zweiter Reihe die Nachfolger Petri und allgemeinen Konzilien. Sonach gelangt auch nur das zu einer unfehlbaren Mitteilung an die Gesamtheit, was als Gegenstand des übernatürlichen und zur Erlangung der ewigen Seligkeit notwendigen Glaubens von der Autorität der Kirche als von Gott geoffenbarten allen zu glauben vorgestellt wird.
 +
 +
Daraus erhellt von selbst, dass Gesichte und Privatoffenbarungen, auch wenn sie als echte und von Gott kommende vom Heiligen Stuhl bestätigt werden, nicht in Anspruch nehmen können, als Gegenstand des göttlichen oder übernatürlichen Glaubens zu gelten. Sie können für jene, welche sie lesen oder von anderen sie hören, nur das Gewicht einer bloß menschlichen Autorität haben und verlangen keine größere Ehrfurcht und Unterwerfung, als sie jeder Katholik den bewährten Lebensbeschreibungen von Heiligen oder den asketischen Schriften heiliger Verfasser zu geben gewohnt ist.
 +
 +
Will nun der Leser die angegebenen Grundsätze auf die hier dargebotenen Gesichte der Anna Katharina anwenden, so wird er keinem Punkte begegnen, der irgendwie nur den leisesten Widerspruch gegen den heiligen Glauben enthielte. Im Gegenteil wird er mit höchster Befriedigung wahrnehmen, wie es nicht leicht ein Buch geben kann, das einfacher und tiefer in die Geheimnisse unseres heiligen Glaubens einführt und das selbst den ganz Ungeübten mehr befähigt, die höchste Kunst zu erreichen, die der selige [[Thomas von Kempen]] bezeichnet: «In vita Jesu Christi meditari», als das hier gebotene. Was aber als «neu» in ihm erscheinen wird, das wird sich in seinem wahren Verhältnis zu Altem ohne besondere Mühe erkennen lassen.
 +
 +
=== Gleiche visionäre Veranlagung wie bei Hildegard ===
 +
 +
Bei der nun folgenden Darstellung der Gabe des Schauens, welche Anna Katharina in einem Grade besaß, wie wohl nur wenige bevorzugte Seelen, können ihre eigenen Mitteilungen uns einen um so zuverlässigeren Führer abgeben, als sie durch Äußerungen ähnlich Begnadeter erläutert und bestätigt werden.
 +
 +
Die hl. Hildegard von Bingen war nach eigenem Geständnis bereits in frühester Jugend mit der Gabe des Schauens begnadet: «Als ich erst drei Jahre alt war, erhielt ich vom Himmel ein so großes Licht, dass meine Seele im Innersten darob erzitterte. Aber ich war wegen der zu großen Jugend außerstande, etwas darüber vorzubringen. Von meinem fünften Jahre an aber hatte ich ein wunderbares Verständnis der Gesichte, und wenn ich manches davon in Einfalt erzählte, wunderten sich die, so es hörten, von wem ich sie hätte und woher sie mir zukämen. Ich selbst geriet über mich in Erstaunen, da ich, während ich innerlich Gesichte hatte, doch zugleich die Außenwelt durch die Sinne wahrnahm, aber dergleichen nicht auch von anderen Menschen hörte. Darüber kam ich in große Furcht und getraute mir nicht mehr, von meinem inneren Lichte mit anderen zu reden.»
 +
 +
In noch früherem Lebensalter empfing dies übernatürliche Licht Anna Katharina, welche am 8. September 1821 als ihrem 47sten Geburtstage folgendes hierüber berichtet. «Da ich am 8. September geboren bin, hatte ich heute eine wunderbare Anschauung von meiner eigenen Geburt und Taufe und war dabei in einem ganz seltsamen Gefühl. Ich fühlte mich als ein neugeborenes Kind auf den Händen der Frauen, die mich nach Coesfeld zur Taufe tragen sollten und schämte mich in der Empfindung, so klein und hilflos und doch schon so alt zu sein. Denn alles, was ich damals schon als neugeborenes Kind empfunden und gefühlt hatte, das sah und erkannte ich jetzt wieder, jedoch mit meinem jetzigen Verstand vermischt. Schon damals war mir mein Schutzengel sichtbar gegenwärtig, wie später immer. Ich sah alles um mich her: die alte Scheune, in der wir wohnten und alles, wie ich es im späteren Leben nicht mehr sah, da schon manches verändert war. Ich fühlte mich mit vollem Bewusstsein den ganzen Weg von unserer Hütte in Flamske bis in die Jakobi-Pfarrkirche in Coesfeld getragen: Ich fühlte alles und sah alles um mich her.
 +
 +
Ich sah die ganze heilige Taufhandlung an mir verrichten und es gingen mir dabei die Augen und das Herz auf eine wunderbare Weise auf. - Ich sah, als ich getauft wurde, meinen Schutzengel und meine hl. Namenspatrone, die hl. Anna und Katharina, bei der heiligen Handlung gegenwärtig. Ich sah die Mutter Gottes mit dem kleinen Jesuskind und wurde mit ihm durch Darreichung eines Ringes vermählt. Es wurde mir nun alles Heilige, alles Gesegnete, alles was mit der Kirche zusammenhängt, so lebendig fühlbar, als es nur irgend jetzt der Fall ist.
 +
 +
Ich sah wunderbar tiefsinnige Bilder vom Wesen der Kirche. Ich fühlte die Gegenwart Gottes im heiligsten Sakrament. Ich sah die Gebeine der Heiligen in der Kirche leuchten und erkannte die Heiligen, die über ihnen erschienen. Ich sah alle meine Vorfahren bis zu dem zuerst unter ihnen Getauften. Ich erkannte in einer langen Reihe von Sinnbildern alle Gefahren meines künftigen Lebens. Als ich aus der Kirche wieder nach Hause über den Kirchhof getragen wurde, hatte ich ein lebhaftes Gefühl von dem Zustand der Seelen der hier bis zur Auferstehung ruhenden Leiber, unter denen ich einige heilige Leiber hell und herrlich leuchtend mit Ehrfurcht bemerkte.»
 +
 +
Aus dieser Mitteilung geht hervor, dass Anna Katharina das Schauen als Naturanlage schon im Mutterleib empfangen hatte, und zwar in solcher Stärke, dass gleich bei der Geburt ihr geistiges Wahrnehmungsvermögen sowie die leiblichen Sinne weit über das gewöhnliche Maß tätig sein konnten. Als bloßer Naturanlage jedoch steht diesem Schauen nur das Gebiet des Natürlichen offen. Und es verhält sich zum übernatürlichen oder prophetischen Schauen als dessen Grundlage und Voraussetzung, aber nicht einmal als notwendige Voraussetzung, da dies höhere Schauen von Gott einer Seele als Gnadengabe verliehen werden kann, welche eine natürliche Anlage dafür nicht oder nur in sehr geringem Maße besitzt. Das Gebiet des übernatürlichen Schauens ist das Reich der Gnade oder die Kirche, welcher der Mensch durch die heilige Taufe einverleibt wird. Darum empfangt Anna Katharina dies höhere Licht erst dann, als sie durch Eingießung der heiligmachenden Gnade ein lebendiges Glied des Kirchenleibes geworden ist. Jetzt erst «gehen ihr Herz und Auge in wunderbarer Weise auf», und sie schaut die Wirkungen des heiligen Sakramentes, die Kirche und ihre Geheimnisse und alles, was zu ihr in lebendigem Kontakt steht.
 +
 +
Das bewusste oder reflektierende Verständnis des Geschauten hält darum gleichen Schritt mit der natürlichen Entfaltung des Bewusstseins überhaupt, wie dies aus einer anderen Mitteilung Anna Katharinas erhellt: «Über solchen Gedanken war ich immer ganz versunken und vergaß Essen und Trinken, so dass ich meine Eltern oft sagen hörte: <Was hat nur das Kind? Was ist nur mit dem Annthrinken?> »
 +
 +
Dieser Kindheitserinnerung kann man entnehmen, wie Anna Katharina in frühester Kindheit der unvergleichlichen Schönheit der Paradieses-Unschuld inne geworden war, dass sie sich aber des Abstandes der Gegenwart und ihrer Umgebung von dem Inhalt ihrer Anschauungen nur allmählich und nach Maßgabe der eigenen kindlichen Erfahrung klar bewusst werden konnte. So sagte sie auch einmal: «Ehe ich wusste, was das Wort Prophet heißt, hatte ich schon Bilder von einem wunderbaren Wagen, an dessen Rädern die vier Tiere der Offenbarung waren.
 +
 +
Warum? Das weiß ich nicht... Ich hatte die Gesichte so früh, dass ich mich erinnere, wie mein Vater mich als ein kleines Kind zwischen seine Knie nahm und am Feuer sitzend zu mir sagte: Nun bist du in meinem Kämmerchen, nun erzähle mir was! Und nun erzählte ich ihm allerhand biblische Geschichten, und da er gar nichts dergleichen oder auf diese Art gesehen, weinte er, dass die Tropfen auf mich niederfielen und sagte: Kind, wo hast du das her? Da sagte ich ihm, dass ich das so sehe, worauf er still wurde und mir nichts mehr sagte.»
 +
 +
Im fünften Lebensjahr nun trat bei Anna Katharina dasselbe ein, was bei der hl. Hildegard eingetreten war, es ging ihr mit dem Schauen zugleich das tiefere Verständnis des Geschauten auf und sie war imstande, sich über den Inhalt der Gesichte nähere Rechenschaft zu geben und sie von den Akten des Glaubens und der im Glauben enthaltenen Gewissheit und Verdienstlichkeit zu unterscheiden. Sie sagt hierüber: «In meinem fünften bis sechsten Jahre, als ich den ersten Artikel des katholischen Glaubensbekenntnisses betrachtete: Ich glaube an Gott Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde. Da kamen mir allerlei Bilder von der Erschaffung Himmels und der Erde vor die Seele. Ich sah den Sturz der Engel, die Erschaffung der Erde und des Paradieses, Adams und Evas Sündenfall.
 +
 +
Ich dachte nicht anders, als das sehe ein jeder Mensch so, wie die anderen Dinge um uns her, und so erzählte ich dann meinen Eltern, Geschwistern und Gespielen ganz unbefangen davon, bis ich merkte, dass man mich auslachte und fragte, ob ich ein Buch habe, worin das alles stehe. Da fing ich nach und nach an, von diesen Dingen zu schweigen und dachte, es schicke sich wohl nicht, von solchen Sachen zu reden, ohne mir jedoch besondere Gedanken darüber zu machen. Ich habe diese Gesichte gehabt sowohl bei Nacht als auch bei hellem Tag im Feld, im Haus, gehend, arbeitend, unter allerlei Geschäften.
 +
 +
Als ich einmal in der Schule ganz kindlich anders, als es gelehrt wurde, von der Auferstehung sprach, und zwar mit Gewissheit und in der unbefangenen Meinung, das müsse jedermann auch so wissen wie ich, und gar nicht ahnend, dass dies eine persönliche Eigenschaft von mir sei, wurde ich von den Kindern mit Verwunderung ausgelacht und bei dem Magister verklagt, der mich ernstlich ermahnte, solche Vorstellungen mir nicht einzubilden.» «Ich sah aber diese Gesichte stillschweigend fort, wie ein Kind, das Bilder betrachtet und sie sich auf seine Weise auslegt, ohne viel zu fragen, was dieses und jenes bedeute.
 +
 +
Weil ich nun öfter die gewöhnlichen Heiligenbilder oder Darstellungen aus der biblischen Geschichte bald so, bald anders dieselben Gegenstände vorstellen sah, ohne dass dies irgend eine Änderung in meinem Glauben gemacht hätte, so dachte ich, die Gesichte, die ich habe, sind mein Bilderbuch und betrachtete dieses in allem Frieden und machte immer die gute Meinung dazu: Alles zur größeren Ehre Gottes!
 +
 +
Ich habe nie etwas in geistlichen Dingen geglaubt, als was Gott der Herr geoffenbart hat und durch die heilige katholische Kirche zu glauben vorstellt, es sei solches ausdrücklich geschrieben oder nicht. Und nie habe ich das, was ich in Gesichten gesehen, ebenso geglaubt. Ich sah diese an, wie ich hie und da verschiedene Weihnachtskrippen andächtig betrachtete, ohne an der einen durch die Verschiedenheit der anderen gestört zu werden. Ich betete in einer jeden nur dasselbe liebe Jesuskindlein an, und so ging es mir auch bei diesen Bildern von der Schöpfung Himmels und der Erde und des Menschen, ich betete Gott den Herrn, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde darin an.»
 +
 +
=== Das Geheimnis der übernatürlichen Schau ===
 +
 +
Da Anna Katharina sich über das übernatürliche Licht, in und durch welches sie ihre Gesichte wahrnimmt, nicht näher erklärt, indem sie nur einmal sagte: «Ich habe eine sehr schöne Eröffnung davon gehabt, dass das Sehen mit den Augen kein Sehen sei, und dass es ein anderes inneres Sehen gebe. Jetzt aber ist es mir entfallen» - so können wir uns der diesbezüglichen Mitteilungen der hl. Hildegard bedienen, die uns den erwünschten Aufschluss geben. Sie sagt nämlich: «Es ist dem sinnlichen Menschen schwer, zu verstehen, auf weiche Weise die Gesichte geschaut werden. Ich sehe zwar von meiner Kindheit an bis auf mein gegenwärtig 47stes Jahr das mir von Gott gegebene Licht immer in meiner Seele, fasse es aber nicht mit den leiblichen Augen, noch mit den Gedanken meines Herzens noch durch Vermittlung der fünf Sinne.
 +
 +
Die leiblichen Augen jedoch verlieren neben diesem Licht so wenig ihr Sehvermögen, als die anderen Sinne ihre Tätigkeit. Das Licht nämlich, das ich habe, ist kein räumliches oder körperliches, sondern heller als der Träger des Sonnenlichtes: Ich sehe in ihm weder Tiefe noch Länge noch Breite. Es wird mir genannt: Der Schatten des lebendigen Lichtes. Und so wie die Sonne, Mond und Sterne im Wasser widerscheinen, so wird mir in ihm Geschriebenes und Gesprochenes und Eigenschaften und Werke der Menschen sichtbar.
 +
 +
Was ich in diesem Schauen wahrnehme und erlerne, das behalte ich für lange Zeit, und ich schaue und vernehme und weiß auf einmal, wie in einem Augenblick, das, was ich wissen und erlernen soll. Das aber, was ich nicht schaue, das weiß ich auch nicht, denn ich bin wie eine, die nie einen Unterricht empfangen hat und ich gebrauche für das, was ich aus jenem Licht schreiben muss, keine anderen Worte, als die ich höre. Aber ich höre die Worte nicht so, wie sie aus dem Munde eines Menschen laut werden, sondern sehe sie als Feuerflamme, als Lichtwolke in reinem Äther. Von diesem Licht vermag ich so wenig eine Gestalt zu erkennen, als ich im Stande bin, in die Sonnenscheibe zu sehen.»
 +
 +
«Außerdem sehe ich zuweilen in diesem Licht ein anderes, das mir das lebendige Licht genannt wird. Doch sehe ich dieses nicht so oft, und vermag sein Wesen noch weniger anzugeben als das des ersteren. Wenn ich aber dasselbe empfange, dann schwindet mir alle Trauer und Plage aus dem Sinne, so dass ich bin wie ein einfältig Kind und nicht wie eine alte Frau. Des ersteren Lichtes, des Schattens des lebendigen Lichtes, entbehrt meine Seele nie, und ich sehe dasselbe wie ich etwa in einer lichten Wolke das Firmament ohne Sterne erblicke und in ihm schaue ich das, was ich aus dem Glanz des lebendigen Lichtes rede.»
 +
 +
Das Licht, von welchem die hl. Hildegard redet, ist nach der Erfahrung der Mystiker: die durch einen Engel vermittelte Einstrahlung des göttlichen Lichtes in die Seele des zum Schauen Berufenen, durch welches alle Kräfte der Seele über ihr natürliches Vermögen erhoben werden, so dass der Mensch befähigt wird, gleich einem reinen, körperlosen, d.h. nicht an die Tätigkeit der Sinne und anderer Organe gebundenem Geiste das zu schauen, was Gott in diesem Licht ihm mitteilen will. Das Licht verleiht also der Seele ein Zweifaches: das übernatürliche Sehvermögen und das Medium, in welchem dasselbe wirksam ist: Es ist sonach für dies Vermögen das nämliche, was für das leibliche Auge das Sonnenlicht oder für die natürliche Erkenntnis das jedem Menschen angeborene innere Licht.
 +
 +
Alles wird, sagt die hl. Hildegard, in diesem Licht dem Schauenden reflektiert, d.h. alles, was Gott ihn will erkennen lassen, denn die Wahl der Gegenstände, die geschaut werden, hängt nicht von der Willkür des Schauenden ab, sondern Gott selbst bestimmt dieselben je nach der besonderen Aufgabe, die eine derart begnadete Seele zu lösen hat. So ist es also die Ordnung Gottes, ob der Begnadete Zukünftiges oder Vergangenes, Verborgenes oder Fernes, natürliche oder übernatürliche Geheimnisse, ob er die Gedanken der Menschen und welcher Menschen schauen und erkennen soll, wie auch der Grad der Klarheit des Schauens und die Sicherheit, mit der das Geschaute behalten und anderen mitgeteilt wird, durch das Maß des von Gott verliehenen Lichtes bedingt ist.
 +
 +
Je höher also das Maß des verliehenen Lichtes, um so ausgedehnter auch der Kreis des Geschauten. Sollen räumlich ferne Gegenstände in ihm wahrgenommen werden, so entsteht das Hellsehen, was als übernatürliche Gnadengabe nicht mit dem natürlichen Hellsehen oder Somnambulismus verwechselt werden darf.
 +
 +
In ihm werden die Gegenstände selbst wahrgenommen, sei es durch das bloße Schauen in die Ferne oder durch das Entrücktwerden des Schauenden an den Ort hin selbst, wo die Gegenstände sich befinden oder wo die Handlung geschieht oder geschehen ist. Beim Schauen aber in die Vergangenheit oder in die Zukunft werden nur die Bilder der nicht mehr oder noch nicht in Raum und Zeit existierenden Gegenstände der Einbildungskraft des Schauenden durch Gott auf übernatürliche Weise zugeführt.
 +
 +
Wenn also z.B. Anna Katharina ein Ereignis aus dem Neuen oder Alten Testament gezeigt wird, so werden ihr in dem eingegossenen Licht die Bilder der handelnden Persönlichkeiten, des Ortes und der ganzen Umgebung so treu und vollständig wie in einem Spiegel vorgehalten, dass dieselben der Einbildungskraft und dem Gedächtnis sich gewissermaßen ebenso natürlich einprägen, wie wenn sie der Sehenden durch die äußeren Sinne und das natürliche Wahrnehmungsvermögen wären zugeführt worden, oder wie wenn Anna Katharina beim Ereignis selber als Augenzeugin wäre handelnd zugegen gewesen.
 +
 +
Der Unterschied besteht nur in dem unendlich höheren Grad der Deutlichkeit und Klarheit, welcher beim Schauen stattfindet, indem nicht bloß die äußere Handlung, sondern auch die inneren Motive und deren Verkettung und die handelnden Personen in ihrer geheimsten Gesinnung und alle inneren Affekte wahrgenommen werden.
 +
 +
Mit diesem Schauen in eingegossenen Bildern kann das Hellsehen oder Entrücktwerden zugleich verbunden sein, indem Anna Katharina die Ereignisse aus dem Leben Jesu genau an Ort und Stelle sieht, wo sie einstens in Wirklichkeit geschehen sind, sei es in Jerusalem oder an anderen Orten des Heiligen Landes. Sie wird dahin entrückt, und dort angelangt, schaut sie die Ereignisse und Handlungen nach getreuestem historischen Verlauf in Bildern.
 +
 +
Die hl. Hildegard nennt das Licht raum- und körperlos und unfassbar für jedes nur natürliche Vermögen, denn es hebt seinem Wesen nach jede Schranke der Zeit und des Raumes für den Schauenden auf und befreit sein Denken und Erkennen von allen hemmenden Fesseln, denen es im gewöhnlichen Zustand unterliegt.
 +
 +
Die fernste Zukunft oder Vergangenheit ist in ihm lichte Gegenwart und mühelos sind auf einen Blick die tiefsten Wahrheiten und verborgensten Geheimnisse der natürlichen wie übernatürlichen Ordnung in ihren letzten Gründen offenbar.
 +
 +
Es ist nicht notwendig, dass die natürliche Sinnentätigkeit und der durch sie vermittelte Verkehr des Schauenden mit der Außenwelt durch den «Schatten des lebendigen Lichtes» unterbrochen wird. So lange nämlich die Seele nicht Gott oder die Wahrheit bildlos schaut, so lange also Erschaffenes der Gegenstand ihrer Gesichte ist, ist das natürliche Licht dem übernatürlichen keine Hemmung und darum nicht vonnöten, dass der Schauende von aller Sinnentätigkeit völlig abgezogen werde. Das aber wird geschehen, dass vor der Klarheit des übernatürlichen Lichtes die Sinnenwelt wie ein Traum und das ihr angehörende Licht wie Dunkelheit und Nacht erscheint.
 +
 +
Von dem Gesagten gibt Anna Katharina einen überraschenden Aufschluss, wenn sie ihr visionäres Leben also beschreibt. «Ich bin bei meiner Arbeit - sie meint die Näharbeiten für Arme und Kranke, die sie, wenn immer ihre Leiden es zuließen, Tag und Nacht mit größtem Eifer unter ihren Visionen besorgte - immer so im Gesicht, dass ich wie im Traum den Schnitt der Schere laufen sehe, und manchmal glaube ich, ich schneide durch die Gegenstände mitten durch, von denen ich im Gesichte umgeben bin.
 +
 +
Die wirkliche Umgebung ist mir wie ein Traum. Es erscheint in ihr alles so trüb, so undurchsichtig und unzusammenhängend, dass sie ein roher Traum scheint, zwischen dem ich in eine lichte, durch und durch verständliche Welt schaue, in welcher das Gute und Heilige tiefer ergötzt, weil man seinen Weg aus Gott und zu Gott hin erkennt, und in welchem alles Böse und Unheilige tiefer betrübt, weil man seinen Weg aus dem Teufel in den Teufel und gegen Gott und die Kreatur erkennt. Dies Leben, in welchem einen hindert nicht Zeit, nicht Raum, kein Körper, keine Verschwiegenheit - dies Leben, wo alles spricht und alles leuchtet, scheint so vollkommen und frei, dass die blinde, lahme und stammelnde Wirklichkeit als leerer Traum darin erscheint.
 +
 +
So sehe ich z.B. die Reliquien immer neben mir leuchten, und manchmal sehe ich wie Scharen kleiner ferner Menschengestalten in Wolkenferne über den Reliquien stehen. Wenn ich mich aber zusammennehme, treten die Gestalten der Kasten und Räume wieder hervor, in welchen die leuchtenden Gebeine ruhen.»
 +
 +
In Bezug auf das Leuchten der Reliquien äußerte sie bei einer anderen Gelegenheit: «Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, ich sehe nicht nur, ich fühle ein Licht, oft heller, oft bleicher. Es ist, als ströme mir dies Licht zu, wie eine Flamme nach dem Luftzug strömt.
 +
 +
Ich fühle aber auch einen Zusammenhang dieses Strahles mit einem ganzen Lichtkörper und dieses Körpers mit einer Lichtwelt, welche aus einem Licht entstanden: Wer kann es sagen? Dieser Strahl reißt mich hin. Ich muss ihn notwendig ans Herz führen (sie führte die ihr gereichten Partikel immer unwillkürlich nach dem Herzen) und nun ist es, so ich tiefer versinke, als ginge ich durch den Strahl in den Körper, dem er gehört, und in die Bilder seines Lebens und in seine streitenden und leidenden oder triumphierenden Beziehungen.
 +
 +
Dann bin ich im Gesichte nach solcher Richtung, wie es Gott gefällig ist. Es ist ein wunderbares geheimes Verhältnis zwischen unserem Körper und unserer Seele. Die Seele heiligt und entheiligt den Leib, sonst könnte keine Sühnung, keine Buße durch den Leib geschehen. Wie die Heiligen durch ihren Leib Leben wirkten, so wirken sie von ihm getrennt auch noch durch denselben auf die Gläubigen. Der Glaube aber ist die Bedingung aller Empfänglichkeit heiliger Einwirkung.»
 +
 +
Wie Anna Katharina so im natürlich-wachen Zustand Gesichte hatte und Reliquien erkannte, so sah sie auch durch die ganze Kirche hin die ununterbrochene Feier des heiligsten Messopfers. Als einmal der Pilger in ihre Stube trat, da eben zur heiligen Wandlung geläutet wurde, betete sie in tiefer Sammlung und sagte danach. «Ich habe in diesem Augenblick das Karfreitagsbild, wie der Herr sich am Kreuze opfert und Maria und den Jünger unter dem Kreuz lebhaft gesehen über dem Altar des Messe lesenden Priesters. Ich sehe dies in jeder Stunde des Tages und der Nacht und sehe die ganze Gemeinde, wie sie gut und schlecht betet und sehe auch, wie der Priester sein Amt tut.
 +
 +
Ich sehe erst die Kirche hier, dann die Kirchen und Gemeinden ringsum, etwa wie man einen nahen Baum mit Früchten von der Sonne beleuchtet sieht und in der Ferne andere in Gruppen oder einen Wald. Ich sehe die Messe zu allen Stunden des Tages lesen durch die Welt. Ja ich sehe entfernte Gemeinden, wo sie noch ganz gelesen wird wie bei den Aposteln. Über dem Altar sehe ich in einer Vision einen himmlischen Dienst, wo die Engel alles ersetzen, was der Priester versäumt. Für die Unandacht der Gemeinde opfere ich dann auch mein Herz auf und flehe den Herrn um Erbarmung an.
 +
 +
Ich sehe viele Priester das Amt erbärmlich halten. Die Steifen, welches alles anwenden, die Äußerlichkeit nicht zu verletzen, sind meist die schlechtesten, weil sie oft alle Innerlichkeit über dieser Sorge versäumen. Sie denken stets: Wie werd' ich gesehen vom Volk? und sehen darüber Gott nicht. Ich habe diese Empfindung von Jugend auf.
 +
 +
Als der Pilger hereinkam war ich im Schauen der Heiligen Messe: Ich sehe sie fort und wenn ich rede, so ist dies, als wenn man während der Arbeit mit einem fragenden Kinde spricht. Ich bin oft am Tage in diesem andächtigen Fernsehen.
 +
 +
Jesus liebt uns so, dass Er sein Erlösungswerk in der Heiligen Messe ewig fortsetzt, und die Heilige Messe ist die verhüllte, zum Sakrament gewordene historische Erlösung. Alles Handeln Gottes ist ewig, aber in Bezug auf unser zeitliches Leben, welches zählt, ist es Verheißung, ehe es in die Zeit eintritt. Und es erscheint als Mysterium fortwährend, wenn es in der endlichen Zeit vorübergegangen. Ich sah dies alles schon in frühester Jugendzeit und glaubte, alle Menschen sehen dies so.»
 +
 +
=== Anna Katharina Emmerich las keine Bücher ===
 +
 +
Hatte die hl. Hildegard gesagt, dass sie nichts wisse, außer das, was sie schaue und im Schauen erlerne, so weist ebenso Anna Katharina auf ihre Gesichte als auf die ausschließliche Quelle ihres Wissens und aller Kenntnisse hin. Nach kaum viermonatigem Schulbesuch in ihrem siebten Jahr wurde sie schon wieder entlassen, da der Schulmeister erklärte, er vermöge ihr nichts beizubringen, da sie ohnehin alles schon vorher inne habe, ehe er sie belehre. Es verdient diese Tatsache eine besondere Beachtung, da das rein intuitive Verhalten der Anna Katharina auf all ihren Lebensstufen und in all ihren Lagen und Verhältnissen ein reflektierendes Nachdenken und überhaupt alles diskursive Denken fast unmöglich, weil ganz überflüssig machte, was, wie unten näher gezeigt wird, die vollständige Mitteilung ihrer Gesichte an den Pilger vielfach erschwerte.
 +
 +
Im Tagebuch von 1819 hat der Pilger am 8. Mai folgendes hierauf Bezügliche bemerkt: «Sie sagte mir, wie sie nie aus Büchern habe etwas brauchen können und immer gedacht habe: Ei! Ein so papierenes Buch soll mir keine Sünde aufheften! Auch kann sie nie aus der Schrift etwas behalten, hat aber das Leben des Herrn so aus der Gnade der Anschauung, dass das Bewusstsein und die Gewissheit, die ich davon habe, mich oft schaudern macht, dass ich mit dem wunderbarsten, begnadetsten Geschöpf, das vielleicht je bekannt geworden, so vertraut und unbefangen lebe.»
 +
 +
Ein andermal erzählte sie dem Pilger: «Ich habe nie aus den Evangelien und dem Alten Testament etwas lebendig behalten. Denn ich habe alles selbst gesehen mein ganzes Leben hindurch, und zwar alle Jahre wieder und ganz genau und pünktlich unter denselben Umständen, wenngleich manchmal andere Szenen.
 +
 +
Manchmal bin ich an Ort und Stelle mit den Zuhörern selbst gewesen und habe der Handlung wie eine Mitwandelnde, den Ort verändernd, beigewohnt, doch bin ich nicht jedes Mal auf derselben Stelle gestanden, denn öfter war ich über die Szene emporgehalten und sah auf sie nieder.
 +
 +
Anderes, besonders das Geheimnisvolle dabei, sah ich innerlich in einem mir Bewusstwerden, einzelnes in Bildern aus der Szene heraus. Ich hatte in allen Fällen das Durchsehen durch alles, so dass kein Körper den anderen decken konnte, ohne dass dadurch eine Verwirrung entstanden wäre.»
 +
 +
Auch in ihren reiferen Jahren konnte sich Anna Katharina mit den Büchern nicht befreunden: «Im Kloster wollte ich auch einige Mal in die Bücher hineingucken, aber es war mir ganz elend davon. Ich habe Gott sei Dank schier gar nichts gelesen und wenn ich in ein Buch sehe, meine ich, ich könne es auswendig.» Dies Letztere bezieht sich vornehmlich auf asketische Bücher oder das Leben der Heiligen und den Grund hiervon gibt sie in der ganz treffenden Bemerkung über das Leben des hl. Xaverius von Croiset an: «Ich habe von keinem Heiligen so viel gesehen, ich glaube, ich habe sein ganzes Leben schon gesehen. Diese Lebensbeschreibung kommt mir vor wie die weitläufig an einem Faden über ein Samenbeet aufgehängten Zettel, damit man wisse, was da und dort für ein Samen liege. Das ganze Beet aber sieht noch wie unbewachsene Erde aus. Doch kann ich mich dabei an den ganzen blühenden Garten erinnern, den ich gesehen.»
 +
 +
Doch nicht bloß das Übersinnliche und die Geheimnisse des Glaubens wusste die Gottselige aus den Gesichten, sondern selbst die Fertigkeiten des gewöhnlichen Lebens erlernte sie auf eine ihrem Schauen entsprechende Weise. Gar rührend spricht sie davon in einer Mitteilung aus ihrer Jugendzeit: «Wie gütig war Gott immer mit mir! Ich konnte alles: Er hat mit mir gearbeitet als Kind. Ich erinnere mich: Ich tat als ein sechsjähriges Kind schon wie jetzt (im 45. Lebensjahr). Ich weiß, mein jüngster Bruder war noch nicht geboren, da hütete ich die Kühe und wusste, es würde mir ein Bruder geboren werden. Woher ich es wusste, kann ich nicht sagen. Da wollte ich meiner Mutter gerne etwas für das Kind machen und konnte doch noch gar nicht nähen. Da hatte ich mein Puppenzeug mitgenommen und das Jüngsken (ihr Schutzengel) kam zu mir und lehrte mich alles und half mir, eine sehr zierliche Kindermütze und andere kleine Sachen aus meinem Puppenzeug zu machen, welche ich alle meiner Mutter schenkte. Die wunderte sich sehr, wie ich das zustande gebracht habe, nahm es jedoch und brauchte es und ich sah sie heimlich weinen und es anderen und dem Vater zeigen. Mir verbarg sie ihr Erstaunen.
 +
 +
Ich habe auch armen Kindern Strümpfe damals mit dem Jüngsken gemacht.» (Dezember 1819)
 +
 +
=== Zwei Arten von Visionen ===
 +
 +
Hildegard hat ein zweifaches Licht unterschieden: den Schatten des lebendigen Lichtes und das lebendige Licht selbst, welch letzteres ihr viel seltener zuteil wurde. «Schatten» nennt sie das erstere, weil dasselbe, dichter und der menschlichen Natur mehr angepasst, sich zu letzterem, das unendlich feiner und durchdringender ist, wie der Schatten zum lichten Sonnenstrahl verhält.
 +
 +
Sobald sie darum das lebendige Licht empfängt, wird sie dem Kreise ihres gewöhnlichen Lebens entrückt und findet sich heiter und unbefangen wie ein Kind, dem alle irdische Not und Plage gänzlich ferne liegt, sei es, dass sie in der höheren Ekstase ihrer Sinne beraubt ganz in Gott gesammelt ist, oder dass sie in diesem höheren Licht Geheimnisse schaut, die ihre Sinne der Außenwelt verschließen und sie mit wunderbarem Trost und seliger Freude erfüllen, damit sie also gestärkt wieder zur Mühsal des irdischen Lebens zurückkehren möge. Auch dieses findet sich im Leben der Anna Katharina. Aus vielen Erlebnissen nur ein Beispiel, um das Gesagte zu veranschaulichen.
 +
 +
In der Vigil von Weihnachten 1819 sah Anna Katharina die Feier dieses heiligen Festes, wie sie in der Triumphierenden Kirche begangen wird und durfte an ihrer Freude teilnehmen.
 +
 +
«Ihr Jubel war dabei so groß, dass der Pilger, vom Gefühl seines und aller Sünder Elendes übermannt, weinen musste, sie aber leuchtete vor Freude, und ihr Geist und ihr Wort und ihr Angesicht erhielten eine unaussprechliche, freudige Heiterkeit und Lebendigkeit, und sie erhielt eine solche Tiefe und Fertigkeit der Rede, das Höchste und Geheimste auszusprechen, dass der Pilger es nur fühlen konnte, was ihn tief erschütterte. Wiederholen kann er es nur in einem elenden Schatten, was sie mit mehr als Farben, was sie mit Flammen sprechend, aus der Nacht des Lebens heraustreten ließ.»
 +
 +
Hierher gehören überhaupt alle Visionen, welche sich auf den Verkehr der Anna Katharina mit der Triumphierenden Kirche beziehen, an deren Festen sie, wie früher die ihr so ähnliche selige [[Lidwina von Schiedam]], nach dem Laufe des Kirchenjahres Anteil nehmen durfte. Sie war hierbei immer von solcher Freude durchströmt, dass sie in helles Singen und Jubilieren ausbrach, um mit den Chören der Seligen [[Gott]] zu lobpreisen.
 +
 +
Auch jene anderen Gesichte wurden im «lebendigen Licht» geschaut, die sie erhielt, um in ihren unaussprechlichen Leiden durch ihren göttlichen Bräutigam selbst getröstet und für die Übernahme neuer Peinen gestärkt zu werden.
 +
 +
Wenn die hl. Hildegard sagt, dass ihre Seele den Schatten des lebendigen Lichtes nie entbehrte, so trifft dies ebenfalls bei Anna Katharina vollkommen zu. Denn auch sie war desselben von frühester Kindheit bis zu ihrem Tode nie beraubt und lebte mehr in Gesichten als im Verkehr mit der Sinnenwelt. Während sie noch im Kloster war, war sie Tag und Nacht ganze Monate lang immer in Gesichten und in Gebetsarbeiten in Bildern, und dennoch verrichtete sie zugleich alle Arbeiten im Haus und in der Kirche.
 +
 +
Das Verständnis aber all dessen, was sie in diesem Lichte schaute, wurde ihr mit diesem allein nicht schon gegeben, sondern sie bedurfte wie die hl. Hildegard auch des lebendigen Lichtes, um das Geschaute zu verstehen und in seiner Bedeutung zu durchdringen. Anna Katharina nämlich verhielt sich bei all ihren Gesichten rein empfangend, sie trat unbefangen in ein Bild ein, und wie eine Person, die anfangs gar nicht weiß, was ihr eigentlich gezeigt wird und was nun werden soll, drückte sie ihre Verwunderung oder Überraschung aus, manchmal aber auch ein flehentliches Bitten, von diesem oder jenem Bild verschont zu werden: «Was soll ich arme Person denn damit machen?» Aus dem lebendigen Licht erhält sie dann das Verständnis und drückt dies etwa in folgenden Worten aus: «Mein Bräutigam zeigte mir alles ganz klar, deutlich und verständlich, klarer, als man das tägliche Leben sieht, und ich meinte damals, das könne ein Kind verstehen, und jetzt kann ich davon nichts mehr vorbringen ... Ich sah unendlich viel, was sich gar nicht aussprechen lässt. Wer denn kann mit der Zunge sagen, was er anders sieht, als mit den Augen?»
 +
 +
Die Gabe der Visionen war für Anna Katharina mit Leiden und Qualen an Leib und Seele verbunden, vor deren Härte die menschliche Natur erzittert, auch wenn in langjährigem, heroischem Ertragen derselben die Geduld zu größtem Heldenmut erstarkt ist. Daher das so häufige Flehen zu Gott, dies und jenes nicht sehen zu müssen, daher die Klage: «Ach! Warum muss ich nur alle diese Sachen sehen! Was kann mir das nützen?
 +
 +
Und wenn Sie wüssten, wie entsetzlich ich leiden und ausstehen muss, das alles zu erzählen!»
 +
 +
Diese Leiden hatten ihren Grund in der tiefen, sie ganz erfüllenden Erkenntnis der Heiligkeit Gottes und des Sündenelends der Welt, und da ihr, dem reinen schuldlosen Kinde, zur Übernahme der Buße für die mannigfaltigsten Verschuldungen alle Gräuel und alles Elend der sündhaften Welt gezeigt wurden, so glaubte sie oft, der Qual dieses Anschauens erliegen zu müssen.
 +
 +
So erzählte Anna Katharina am 13. Dezember 1819: «Ich habe heute Nacht immerwährend kämpfen müssen und bin noch ganz ermüdet von dem Wehren gegen die traurigen Bilder, die ich gehabt. Mein Führer brachte mich um die ganze Erde, und zwar fortwährend durch weite Höhlen von Finsternis erbaut, in welchen ich unzählige Menschen durcheinander irren und in den Werken der Nacht begriffen sah. Oft, wenn ich es gar nicht aushalten konnte vor Betrübnis, brachte mich mein Führer ein wenig ans Licht herauf, dann musste ich wieder in die Finsternis und musste wieder alle Gottlosigkeit ansehen.
 +
 +
Oft wachte ich vor Angst und Schrecken auf (d.h. aus dem ekstatischen Schlaf) und sah den Mond so ruhig in die Fenster scheinen und jammerte zu Gott, Er solle mich doch die schrecklichen Bilder nicht sehen lassen! Aber ich musste wieder in die fürchterlichen Nachträume hinab und die Gräuel ansehen.»
 +
 +
Als am 19. Juli 1820 Anna Katharina in einer großen Vision der damalige Zustand der Kirche Spaniens und die später über sie hereinbrechenden Verfolgungen gezeigt wurden, wurde sie auch so betrübt, dass der Gedanke in ihr erwachte, «warum muss ich elende Sünderin alles das sehen? Ich kann es nicht wiedererzählen und so vieles nicht verstehen!»
 +
 +
Da erhielt sie von ihrem Führer zur Antwort: «Du sagst davon, was Du vermagst! Du kannst nicht ermessen, wie viele Seelen dieses einstens lesen und dadurch getröstet, erweckt und gefördert werden. Es sind viele Geschichten solcher Begnadigungen da, aber sie sind teils nicht gehörig aufgefasst und das Alte ist den Leuten fremd und durch frevelhafte Beschuldigung getrübt. Was Du erzählen kannst, wird hinreichend aufgefasst und es kann vielen Segen bringen, den Du nicht einsiehst.» «Das tröstete mich.»
 +
 +
=== Görres: Das größte religiöse Weltepos ===
 +
 +
Aus dem Angeführten mag der Leser leicht ahnen, wie umfassend überhaupt die Gesichte der Anna Katharina gewesen sind. [[Johann Joseph von Görres]] (1776-1848), Verfasser des großen Werkes «Christliche Mystik» in fünf Bänden, der in die Tagebücher des Pilgers Einsicht genommen hatte und wie Wenige unserer Zeit befähigt war, den Geist dieser Begnadeten zu prüfen, drückt sich hierüber im zweiten Band seiner Mystik (S. 348) also aus: «Ähnliches hat sich in unseren Tagen an der Emmerich von Dülmen wiederholt. Nicht bloß auf die Passion haben ihre Gesichte sich beschränkt, sondern drei Jahre hindurch folgen sie dem Herrn durch alle seine Wege Schritt vor Schritt, über ganz Palästina; die Natur des Landes, Ströme, Berge, Wälder, bewohnte Orte, die Einwohner, ihre Wohnstätten, Sitten und Gebräuche, Kleidung und Lebensweise. Alles geht in den klarsten anschaulichsten Bildern an ihr vorüber.
 +
 +
Episodisch knüpfen sich dann an Menschen und Örtlichkeiten, und die zwischenlaufenden Festbilder des Kirchenjahrs, Rückblicke in die noch frühere Vergangenheit, so dass auch diese bis zum ersten Ursprung der Dinge in einer großen umfassenden Anschauung vor ihr liegt, und das ganze sich in ein gewaltiges, religiöses Weltepos zusammenschließt, das, vom Himmel zur Erde spielend, mit den Weltaltern sich gliedert und mit den Menschenaltern sich untergliedert, und wie es also, ein weltumkreisender Ozean, aus verborgener Quelle hinströmt, an der Oberfläche die Pracht seiner Ufer und den ausgelegten Reichtum der Zeiten spiegelnd, innen aber durchsichtig bis zum Grunde den Blick in die Wunderwelt der Tiefe, und den inneren verborgenen Zusammenhang der Dinge öffnend, im Ganzen das Wunderbarste, reichste, umfassendste, tiefsinnigste und ergreifendste Gesicht, das sich irgend je in dieser Art mystischer Auffassungsweise gebildet, vor dem anschauenden Sinn heraufführt.»
 +
 +
Damit aber der Leser eine mehr ins Einzelne gehende klare Anschauung des Umfanges der Gesichte von Anna Katharina gewinnen möge, wird ihm im Nachstehenden der Schlüssel zu diesem wunderbaren Kreis zu geben versucht.
 +
 +
Wie schon bemerkt, waren die ersten und die Mehrzahl der Gesichte ihrer Jugendzeit aus dem Alten Testament, nachher seltener, und immer mehr aus dem Leben des Herrn. Sie sah das ganze Alte Testament in seiner vorbildlichen und ewigen Bedeutung, d.h. in seinem innersten und allseitigen Zusammenhang mit dem Geheimnis der heiligsten Menschwerdung und Erlösung und sah diesen Zusammenhang lebendig, in seinem ganzen Verlauf herab durch die von Gott bestimmten Zeit- und Geschlechtsfolgen.
 +
 +
Sie sah die Persönlichkeiten, welche in dieser Ordnung des Heils von Gott berufen waren, zur Herbeiführung der Fülle der Zeiten mitzuwirken, nach ihrer ganzen Geschichte als ihrem Tun und Wirken bis ins Kleinste und erkannte die besondere Stellung und Bedeutung, welche sie zur Heilsperiode ihrer Zeit sowohl als zum Heiland selbst inne hatten, sah alle ihnen von Gott verliehenen Gnaden und Führungen, und die Fortleitung der Früchte und des Segens ihrer Wirksamkeit von Geschlecht zu Geschlecht. Neben allem diesem aber sah sie auch das Wirken des Reiches der Hölle und alle die tausendfaltigen Erscheinungen und Wirkungen des teuflischen Götzendienstes und erkannte alle Trübungen und Hemmungen, alle Angriffe und feindselige Gewalt, durch welche von Anbeginn dieses Reich die Ordnung des Heiles bedrohte.
 +
 +
Alle diese Bilder sah sie unter fortwährendem Bezug auf die unmittelbare Gegenwart. So knüpfte sich ihr an das Gesicht vom Stab des Elisäus die ganze Bedeutung des Hirtenstabes der Bischöfe und die Ursache seiner inneren Macht und Würde und wie dies alles zusammenhängt mit Dem, der alle gesendet, und dem Glauben, in welchem alle vom Sendenden übertragene Gewalt wirksam ist.
 +
 +
Wie endlich Anna Katharina alle äußeren Lebenschicksale von Noah, Henoch, Abraham und den Patriarchen sieht, so erkennt sie auch die vorbildliche Bedeutung jeder ihrer Handlungen und schaut die inneren Bünde der Gnade und deren geheimnisvolle Wirkungen, in welchen Personen, Geschlechter und Zeitalter unter sich und mit der Mitte aller Zeiten lebendig und ewig verknüpft sind, und legt dies in den tiefsinnigsten Anschauungen vom Patriarchensegen, der Bundeslade und den Voreltern Mariä vor Augen. So steigt sie herab in die Zeit der Erfüllung, und wie zuvor das Neue im Alten, so schaut sie jetzt das Alte im Neuen, und das ganze Leben des Gottmenschen auf Erden vom Augenblick der heiligsten Menschwerdung bis zur Himmelfahrt zieht in den umfassendsten Bildern mit dem ganzen Schauplatz seines Wandels und Wirkens und mit allen Personen, die dem Herrn nahe gekommen sind, an ihren Augen vorüber.
 +
 +
Sie schaut aber den Heiland in den Früchten seiner unendlichen Verdienste, sieht ihn als das Haupt der aus Ihm erneuerten Menschheit, d.h seines mystischen Leibes, der Kirche, und sieht letztere in all ihren Ordnungen, Abstufungen und Gliederungen ohne Schranke des Raumes und der Zeit. Denn in Ihm, dem Haupt, stehen ihr offen die Reihen der Triumphierenden Kirche, zu deren Festen sie nach dem Laufe des Kirchenjahres entrückt wird, um für die Mühsal ihrer irdischen Laufbahn getröstet zu werden. In Ihm sind ihr offen alle Räume der Leidenden Kirche, die sie nicht schauend bloß, sondern tröstend, helfend, lösend und befreiend durchwandelt.
 +
 +
In Ihm sind ihr endlich gegenwärtig alle Zeitalter der Kirche und das Leben und Wirken aller ihrer Heiligen von den Aposteln herab bis zur unmittelbaren Gegenwart, und sie sammelt gleich einer Biene die heiligen Früchte ihrer Verdienste, um damit allen Bedürftigen ihrer Zeit Labung und Hilfe zu bereiten.
 +
 +
=== Historisch fundiert ===
 +
 +
Alle diese Gesichte aber haben den strengsten historischen Charakter, sie sind nicht Reflexionen über das Geschehen, sondern sind der unmittelbare, vollkommene Reflex der Tatsachen selbst, die, wie das Bild im Spiegel, der Schauenden vorgehalten sind. Alban Stolz äußert sich in der Erzählung seines Aufenthaltes in Jerusalem Folgenderweise: «Während wir den Kreuzweg machten, sagte uns P. Wolfgang, dass er schon sechs Jahre in Jerusalem wohne und sich die heiligen Stätten zum Gegenstand seiner Studien gemacht habe. Dabei habe er auch das bekannte Buch der Anna Katharina Emmerich <Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus> verglichen und bis jetzt nichts darin gefunden, was der Situation der bezeichneten Stellen widerspräche. Auch der verstorbene Hug, der bekanntlich das Glaubensbrevier nicht zu weit steckte, sagte einmal in der Vorlesung: «Es ist wundersam, wie richtig und genau die Nonne von Dülmen die Orte des Leidens Christi bezeichnet. Ihre Angaben stimmen vollständig mit der Ortsbeschreibung des [[Josephus Flavius]] überein» (aus: Alban Stolz, Besuch bei Sem, Cham und Japhet).
 +
 +
Dadurch haben die Gesichte der Anna Katharina einen so hohen Vorzug vor den Gesichten der [[Maria von Agreda]], wie dieselben in dem einst so viel besprochenen Buch «Die geistliche Stadt Gottes» niedergelegt sind. So ähnlich sich diese beiden Persönlichkeiten sind, was die Heiligkeit des Lebens betrifft, so groß ist andererseits die Verschiedenheit ihrer natürlichen Anlagen und ihres Verhaltens bei der Aufnahme des höheren Lichtes oder der Gabe des Schauens.
 +
 +
Aber auch da, wo sie nicht als [[Theologin]] entscheidet, wo sie wie Anna Katharina einfach Geschichtliches erzählt, hat die letztere den Vorzug des rein historischen Gesichtes, also der vollen historischen Treue. Dies mag der Leser aus folgendem Bericht des Pilgers in seinem Tagebuch vom 12. Januar 1823 in überraschender Klarheit entnehmen. Als er bei der Erzählung des Todes von Johannes dem Täufer Anna Katharina entgegnete, dass Maria von Agreda dies anders berichte, indem sie sage, Herodias habe den Johannes dreimal geißeln und peinigen lassen, und Jesus und Maria seien ihm erschienen und hätten ihn geheilt. Er sei in Ketten gelegen und schier verhungert, wenn ihn Jesus und Maria nicht ernährt hätten. Sie seien auch mit unzähligen Engeln bei seiner Hinrichtung erschienen, und Maria habe sein Haupt mit ihren Händen aufgefangen, - da erwiderte Anna Katharina hierauf:
 +
 +
«Ich habe oft solche Sachen gehört, die ganz missverstanden sind, denn bei vielen sind die Gesichte nicht historisch und so, wie die Sachen geschahen, sondern sind Betrachtungen, und diese werden dann zu Unrecht als Wirklichkeit genommen, was sie nicht sind, obwohl sie der inneren Bedeutung nach allerdings wahr sind. Wenn man selten und nicht zusammenhängend sieht, würde man das Ganze seinem Inhalt nach nicht fassen können, wenn nicht alles ineinander vermischt und verbunden erschiene. Wenn z.B. einer sehen sollte, dass ein Hingerichteter betet: <Herr, ich lege mein Haupt in deine Hände>, und auch, dass Gott dieses Gebet erhört, so könnte er leicht sehen, dass der Enthauptete seinen Kopf dem Herrn, der neben ihm steht, in die Hände legt und es wäre auch geistlicher Weise wahr, obschon sein Haupt irdischer Weise vor aller Augen zu Boden fiel. So mag der seligen Maria von Agreda mit den <Ketten und Banden> die Wut der Herodias, mit dem <Geißeln und Peinigen> die Schandtaten und Sünden im Schloss, die er fühlte und mit dem <Haupte auf Marias Händen> vorgestellt sein, dass er ihrer, in welcher er selbst noch im Mutterleib Jesus vor seiner Geburt schon begrüßte und verkündete, auch sterbend, vor seiner Geburt ins [[ewige Leben]], gedachte. Man kann auch alle Gedanken und Gebete eines Menschen in Bildern sehen, ohne dass sie je körperlich geschehen sind.
 +
 +
Hierdurch scheinen oft manche Gesichte verschiedener Personen sich zu widersprechen und werden missverstanden. Sie sind aber Betrachtungen und nach der Art und dem Bedürfnis der Schauenden verschieden.»
 +
 +
=== Hilfsbereit für jede Not des Leibes und der Seele ===
 +
 +
Der Gesichtskreis der Anna Katharina wäre nicht in sich geschlossen und ihrem [[sühne]]nden [[Leid]]en und Wirken würde eine wesentliche Bedingung fehlen, würde sie nicht, wie die Zeitalter, so auch alle Teile der Kirche nach ihrer räumlichen Ausdehnung umfassen und alle ihre Gliederungen und Stufenfolgen, wie selbst die einzelnen, verborgensten ihrer hilfsbedürftigen Glieder sich gegenwärtig schauen, ja ihnen nahe kommen und mit ihnen verkehren können. Dieses in die Ferne Schauen und Wirken ist aber kein Hellsehen im gewöhnlichen Sinn, sondern ist ebenso durch das eingegossene übernatürliche Licht bedingt, also ein Werk der Gnade wie ihre historischen Gesichte. Denn mit dem Fernsehen ist immer ein Helfen, eine Leidensübernahme, ein Genugtun und Gnadenverdienst verbunden, das denen zu Gute kommt, mit welchen Anna Katharina Geistigerweise verkehrt.
 +
 +
Jede Not des Leibes und der Seele, in welche der Mensch gelangen kann, jede Gefahr, welche das irdische, zeitliche oder das geistliche, ewige Leben des Menschen bedroht, wird Anna Katharina gezeigt. Und dies nicht bloß in allgemeinen Bildern, sondern an einzelnen, bestimmten Persönlichkeiten, denen nach der geheimnisvollen Ordnung Gottes durch seine treue Magd Hilfe werden soll. So sind es Arme und Kranke in Gefängnissen, Krankenhäusern, Hospitälern, in Hütten des Elends und der Not, in Zuchthäusern, Galeeren und Seeräuberschiffen, denen sie zu Hilfe kommt. Es sind verlassene und vergessene Hilfsbedürftige in ihrer Heimat und in benachbarten Ländern ebenso wie in Russland, China und auf den Inseln des Stillen Ozeans, in den verborgensten Tälern der Schweiz, Tirols und Savoyens, wie auf den Gebirgen von Mittelasien, die sie bald tröstet, bald zur Kirche und dadurch zum ewigen Heil geleitet.
 +
 +
Sie steht Sterbenden bei, rettet aus Todesgefahren, verhindert Verbrechen, bekehrt Sünder und Gefallene, bewegt [[Verstocktheit|Verstockte]] zu reumütigem [[Beichte]]n, welche jahrelang ihre [[Laster]] verschwiegen haben. Insbesondere aber ist es alles Wehe, das der Kirche Gottes zugefügt wird, sei es durch die weltliche Gewalt oder durch die Ränke und Angriffe der Ungläubigen, sei es durch die Gewissenlosigkeit und weltliche Gesinnung der [[Priester]] und Hirten, oder durch die Gleichgültigkeit, Verschleuderung und den Missbrauch der Gnaden, das in den Bereich ihrer steten Anschauungen und damit ihrer sühnenden Leiden gezogen ist.
 +
 +
Sie tritt den geheimen Arbeiten der Logen entgegen, die sie als die Widerkirche in allen Verzweigungen und ihrer ganzen Geschichte wie die Fäden eines Spinnennetzes überschaut. Sie verhindert Kirchenraub und Kirchenschändung, wohnt aber auch geistlichen Sitzungen bei, um wenigstens die Maßnahmen der faden Aufklärung und geistlosen Schulmeisterei zu hindern. Sie leidet für Seminarien und Klostergemeinden und ist in den letzten Jahren des Pontifikats [[Pius VII.]] auf ihren geistigen Reisen täglich in Rom, um den Heiligen Vater zu trösten, zu erleuchten und die Pläne der Gottlosigkeit zu enthüllen. Die erste Gebetsvision aber, die sie gehabt, war in ihrem elften Lebensjahr Marie-Antoinette gewesen, die Tochter von Kaiserin Maria Theresia, die unglückliche Königin von Frankreich, welche ihr im Gefängnis gezeigt wurde, um für sie zu beten.
 +
 +
Es ist reine, heilige Gottes- und Nächstenliebe, die schon im frühesten Lebensalter das Herz Anna Katharinas erfüllte, dass sie nichts anderes begehrte als Gott zu ehren und für ihre Mitmenschen zu leiden. Wie sie sich schon als Kind jede Annehmlichkeit versagte und in aller Kasteiung des Leibes sich übte, so bat sie auch zu Gott, wenn sie kranke Kinder weinen sah, deren Schmerzen auf sich nehmen zu dürfen. Und ihre Bitten wurden meist augenblicklich erhört. Noch tiefer aber ging ihr jede Beleidigung Gottes zu Herzen, und sie konnte nicht ruhen, bis sie, so viel sie konnte, Genugtuung dafür geleistet hatte.
 +
 +
Einmal mit anderen Kindern auf dem Felde sah sie, dass einige von diesen beim Spielen sich unschamhaft benahmen. Darob entsetzte sie sich so, dass sie davoneilte und sich in Nesseln wälzte, um diese Unbill an sich selbst zu bestrafen - sie, die von Gott des seltenen Vorrechtes gewürdigt war, nie in ihrem ganzen Leben auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben, was eine Regung der Sinnlichkeit oder fleischliche Begierde sei.
 +
 +
Ihr ganzes Wesen und äußeres Erscheinen war ein Widerschein dieser heiligen, einfältigen Liebe und übte auf alle, die ihr nahe kamen, eine geheime Gewalt, so dass sie vertrauend und Hilfe suchend sich an sie wandten. «Ich weiß nicht, woher es kommt» erzählte sie einmal dem Pilger -, «aber schon als junges Mädchen kam jeder, der einen Schaden hatte, zu mir, zeigte ihn mir, was ich davon dächte. Ich saugte dann die Wunden aus und sagte, dass ich keinen Ekel hätte und es würde wohl gut werden.» Sie besaß die Kraft, um Gottes Willen den Ekel zu unterdrücken, denn sie hatte trotz ihres armen und niedrigen Standes ein so ausnehmend feines Gefühl für äußere Reinheit und Sauberkeit, dass alle ihre Sinne sich sträubten, wenn irgend Schmutz, Unreinheit oder übler Geruch ihr nahe kamen. Das Aussaugen von Wunden musste ihr darum äußerst schwer fallen, aber ihre Liebe überwand alles. «Sonst fielen mir dann auch manchmal allerlei nützliche Mittel ein. Im Kloster kam einmal eine arme Frau zu mir, die hatte einen kranken Finger und der ganze Arm war bereits schwarz und Dr. K. hatte sie ausgescholten, dass sie es so arg habe werden lassen, Er müsse den Finger abschneiden. Da wurde die Frau ganz blass und kam zu mir klagen und jammerte sehr, ich solle ihr helfen. Ich betete für sie und es kam mir das Mittel in den Sinn.
 +
 +
Ich erzählte es der würdigen Mutter. Die erlaubte es, dass ich sie heile. Ich nahm Salbei und Myrrhen und Muttergotteskraut und kochte es in Wasser und ein wenig weißem Wein, tat Weihwasser dazu und machte einen Umschlag um den Arm. Gott muss es mir selbst gesagt haben. Denn am anderen Tag war der Arm dünn. Den Finger aber, der noch sehr krank war, hieß ich sie in heiße Aschenlauge und Öl tauchen. Er ging auf, es kam ein großer Dorn heraus, sie ist ganz genesen.»
 +
 +
«Ich habe meinen Sinnen immer Abbruch getan für die Armen Seelen, habe mich immer gesammelt. Und wo etwas Böses gesagt oder getan wurde, ein Kreuz auf meiner Brust gemacht, das hatte mich meine Mutter gelehrt. Alle meine Geschäfte tat ich in innerlicher Abziehung und hatte immer Gesichte. Wenn ich mit meinen Eltern aufs Feld ging oder sonst wohin, war ich nie auf Erden. Alles hier war ein dumpfer, verwirrter Traum.»
 +
 +
So waren also auch die Reisen wirkliche, wenngleich im Geiste vollbracht, und Anna Katharina war wirklich an den Orten, an die sie vom Führer gebracht, und war wirklich auf den Wegen, auf welchen sie von ihm geleitet wurde, indem die geistige Entrückung zugleich eine leibliche war.
 +
 +
Aus diesen Erscheinungen wie aus anderen körperlichen Verletzungen, welche Anna Katharina z.B. aus Jerusalem, wo sie sich im eilenden Lauf durch die Straßen mit der Kniescheibe an einem Stein verwundete, sowie von ihren Gebetsarbeiten aus den Gesichten mitbrachte, geht unzweifelhaft hervor, dass ihr leibliches Leben in gleicher Weise über die natürlichen Schranken erhöht wurde wie ihr Seelenvermögen. Es ist darum nicht vonnöten, sich die körperliche Entrückung in einer grobsinnlichen Weise zu denken, als wäre etwa der ganze Leib entrückt. Es ist nur das leibliche Leben, oder Lebensprinzip, zugleich mit dem seelischen über seine gewöhnliche Sphäre erhöht und darum ebenso mit seinen Sinneswerkzeugen in die Ferne fühlend, empfindend und leidend, wie die Seele mit ihrem Vermögen in die Ferne schauend und handelnd. Daher kommt es, dass, wie Anna Katharina sagt, zwar ihr Leib krank und elend zu Bett liegt, aber doch den Reiseweg, seine Verschiedenartigkeit und alle Anstrengung auf demselben wirklich empfindet, und zwar so, dass alle Eindrücke und Vorkommnisse auf demselben nicht bloß die Einbildung, sondern auch den Körper selbst berühren und in ihm haften bleiben.
 +
 +
Der Schlüssel zu dieser wunderbaren Erhöhung des leiblichen Lebens lässt sich in der Gnade der [[Stigmatisation]], dieser höchsten im irdischen Leben möglichen Transformation des menschlichen Leibes in den Leib Jesu Christi, so wie in dem Allerheiligsten Sakrament finden. Dadurch nämlich, dass Anna Katharina gewürdigt ist, an ihrem Leib die Wundmale des Heilandes zu tragen, d.h. die Leiden und Schmerzen des physischen Leibes Christi auf sich zu nehmen, ist sie auch befähigt, sich den Leiden seines mystischen Leibes zu substituieren und in der ausgedehntesten Weise durch und für den ganzen Leib der Kirche leidend zu wirken. So ist notwendig ihr leibliches Leben über die gewöhnlichen Bedingungen des irdischen Bestandes und Wirkens erhoben. Nicht mehr gebunden an die Schranken des Raumes, bedarf es auch des natürlichen Schlafes so wenig als natürlicher Nahrung, denn vergeistigt ist es tätig gleich der Seele, mit der es allein vom Brot der Engel und den himmlischen Erquickungen lebt, die zuweilen gereicht werden, um der Pein der übernommenen Mühsale und Sühnungswerke nicht zu erliegen.
 +
 +
=== Persönlichkeiten im Leben der Anna Katharina Emmerich ===
 +
 +
Als sie nach gewaltsamer Aufhebung des Klosters wieder in die Welt zurückzukehren gezwungen war, war es der fromme P. Lambert, ein emigrierter französischer Ordensmann, der ihre geistliche Leitung auf sich nahm. Alter, Krankheit, die Sorgen einer kümmerlichen Existenz, so wie der bis zur Verfolgung sich steigernde Argwohn, mit dem Anna Katharina von geistlicher und weltlicher Macht beobachtet und den schonungslosesten Untersuchungen bis zur Gefährdung ihres Lebens unterworfen wurde, hatten jedoch den armen Mann so eingeschüchtert, dass er sein Beichtkind oft flehentlich bat, die Gesichte zu verschweigen und lieber alles zu unterdrücken, als sich und ihn selbst neuen Qualen auszusetzen. Obwohl von der Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen und der Heiligkeit ihres Lebens vollkommen überzeugt, besaß Lambert überdies nicht die nötige Geistesstärke, um die ganze Bedeutung der Sache zu würdigen und für eine Abfassung der Mitteilungen die entsprechenden Vorkehrungen treffen zu können.
 +
 +
Sein Nachfolger wurde der viel jüngere Exdominikaner Limberg, ein Mann von großer Frömmigkeit, aber von sprödem und ängstlichem Charakter, der nichts von Visionen hören wollte und alles, was Anna Katharina vorbrachte, einfach für Träumereien erklärte.
 +
 +
So ging es, bis [[Bernhard Overberg]] (1754-1826), Regens des Priesterseminars, Regierungs- und Schulrat, der außerordentliche Gewissensführer von Anna Katharina wurde. Nach langer und genauester Beobachtung ihrer wunderbaren Zustände von der Echtheit derselben überzeugt, musste er zwar wünschen, dass ihre Gesichte der Mit- und Nachwelt gerettet würden. Allein seine Berufsgeschäfte erlaubten ihm nicht, Münster auf längere Zeit zu verlassen und sich selbst der mühevollen Arbeit zu unterziehen. Zu gleicher Überzeugung wie er gelangten auch der berühmte Graf Stolberg (1750-1819) und Bischof [[Johann Michael Sailer]] (1751-1832), Bischof von Regensburg und Reformator des katholischen [[Deutschland]]s, durch deren Vermittlung [[Clemens Brentano]] Zutritt und freundlichste Aufnahme bei Anna Katharina fand.
 +
 +
Doch muss hier noch eines Mannes gedacht werden, der vom Jahre 1813 an bis zu ihrem Tod der treueste Freund von Anna Katharina gewesen ist, nämlich Dr. [[Franz Wilhelm Wesener]] aus Dülmen.
 +
 +
Dem Herausgeber liegen seine Tagebücher und selbst das Protokoll in Abschrift vor, welches derselbe am 22. März 1813 über die Wundmale von Anna Katharina aufgenommen hatte.
 +
 +
Von diesem Tag an besuchte er sie eine Reihe von Jahren hindurch täglich und führte über seine ärztlichen Beobachtungen ein genaues Tagebuch (Band I, Aschaffenburg und Stein am Rhein 1973), in welches er mit rührender Einfachheit selbst alle Gespräche verzeichnete, die Anna Katharina mit ihm über geistliche Dinge zu pflegen gewohnt war.
 +
 +
Wesener war der Erste, der von der Tiefe und inneren Schönheit so mancher Äußerungen aus dem Munde Anna Katharinas hingerissen, aufzeichnete, was er von ihr hören konnte. Es ist dies freilich nur wenig, aber dies Wenige ist durch seine Übereinstimmung mit dem Inhalt und im Wesentlichen auch mit der Form der Aufzeichnungen des Pilgers von höchster Wichtigkeit; denn es ist in seiner einfachen, schlichten, ganz absichtslosen Fassung ein Beweis, mit welch gewissenhafter Treue der Pilger die Mitteilungen Anna Katharinas aufgenommen und aufgezeichnet hat. Durch Wesener wurde Clemens Brentano bei Anna Katharina eingeführt.
 +
 +
Weitere Persönlichkeiten, die im Leben der Anna Katharina Emmerich eine Rolle spielten: Clemens August Reichsfreiherr von Droste zu Vischering (1774-1845), Bistumsverweser von Münster und späterer Erzbischof von Köln, der die kirchliche Untersuchung über Anna Katharina Emmerich anordnete.
 +
 +
Sein Bruder, Kaspar Maximilian Freiherr Droste zu Vischering, Weihbischof von Münster, der Anna Katharina Emmerich gefirmt hat. Melchior von Diepenbrock (1798-1853), der als Offizier in Begleitung von Bischof Sailer Anna Katharina Emmerich besuchte; diese sagte ihm voraus, dass er eine große Aufgabe in der Kirche erfüllen werde. Er wurde Erzbischof von Breslau, Abgeordneter im Frankfurter Parlament und Kardinal.
 +
 +
=== Ein Mann, von Gott gesandt ===
 +
 +
Der Pilger schreibt in seinem Tagebuch über den ersten Besuch bei Anna Katharina: «Um 10 Uhr kam ich in Dülmen an. Wesener, ihr Arzt, kündigte mich bei der Emmerich an, damit sie nicht zu sehr erschrecken möge. Sie freute sich, mich zu sehen. Durch eine Scheune und alte Kellerräume, eine steinerne Wendeltreppe ging es hinauf. Wir klopften, die Schwester, als Magd, öffnete, durch die kleine Küche traten wir in die Eckstube, wo sie liegt. Sie streckte mir die stigmatisierten Hände freudig entgegen und sagte: <Nun sieh! Man kann doch den Bruder nicht in ihm verkennen.> (Sie meinte Christian Brentano, der fünf Monate zuvor mit ihr bekannt geworden war.) Ich war durch ihre wunden Hände auf gar keine Weise erschüttert. Es freute mich, dass sie ein so heiliges, edles Zeichen an sich trug, und mit ungemeiner innerer Freude bewegte mich ihr reines, unschuldiges Antlitz und die unschuldig frohe Raschheit ihrer Rede. Ich war gleich zu Haus, ich verstand und empfand alles um mich her. Ich fand in ihrem ganzen Wesen keine Spur von Spannung und Exaltation, eine reine Fröhlichkeit und unschuldigen Mutwill.
 +
 +
Alles, was sie sagt, ist schnell, kurz, einfach, ganz schlicht, ohne breite Selbstgefälligkeit, aber voll Tiefe, voll Liebe, voll Leben und doch ganz ländlich, wie eine kluge, feine, frische, keusche, geprüfte, recht gesunde Seele. Sie lebt in der unbequemsten, ungeschicktesten Umgebung, unter guten, rohen, einfaltigen Priestern und Männern mit einer boshaften Schwester. Beständig todkrank, mit roher, plumper Pflege, alles leitend. Die ganze Haushaltung führend, arbeitend, verlassen, gequält, umlärmt, halb wie ein Wundertier begafft, halb wie ein Aschenbrödel von der Schwester gehudelt, ein elendes Leben, immer freundlich, mit tiefen Leiden um die Sünden anderer ringend.
 +
 +
Ihr [[Beichtvater]], der einfache, demütige [[Dominikaner]] Limberg, ohne Gelehrsamkeit, mit dem reinsten Herzen, hat an ihr eine wunderbare ihn tragende Last. Welch ungeheure, erschütternde Erfahrungen hat er täglich an ihr! Ist sie ekstatisch und er kommt ihr zufällig mit den geweihten Fingern entgegen, so hebt sie das Haupt und folgt diesen nach, und wie er sie zurückzieht, stürzt sie zusammen. Und dies tut sie jedem Priester. Sie ergreift in der Ekstase die geweihten Finger mit Gewalt und so fest, dass sie ihr nicht können entrissen werden. Einmal über ein Gespräch von der [[Priesterweihe]] ekstatisch geworden, sagte sie: <Auch an den Priestern in der Hölle werden diese Finger noch erkannt und ausgezeichnet sein.> - Wer dieses so zufällig gesehen wie ich, der fühlt, dass die Weihe etwas mehr ist als eine Zeremonie; sie ist ein lebendiger Strom aus dem Leben Jesu.»
 +
 +
Anna Katharina bewies dem Pilger gleich von Anfang an eine rührende kindliche Vertrautheit. Denn sie hatte das vollkommenste Durchschauen seines ganzen Inneren und sah die hohe, edle Seele mit der Fülle der seltensten Gaben, durch welche Clemens die meisten seiner Zeitgenossen so weit überragte, um entschlossen den Rest der irdischen Lebenstage der Aufgabe zu weihen, welche sie selbst zu lösen hatte und die sie ohne ihn nicht hätte vollbringen können. Sie las seine geheimsten Gedanken, erriet sie ihm, ehe er selbst ein klares Bewusstsein davon hatte, und seine lautere Einfachheit scheute sich nicht, derartige Enthüllungen, wenn sie ihn auch beschämen mochten, mit überraschender Treue in den Tagebüchern zu verzeichnen.
 +
 +
Anna Katharina erhielt von ihrem geistigen Führer die Weisung, mitteilend gegen den Pilger zu sein und gestand diesem: «Sie fühle, dass sie unendliche Gnaden und Gesichte vergebens gehabt, weil sie niemanden dieselben habe mitteilen können. Der Pater habe sie oft in die größten Zweifel gebracht, indem er ohne weitere Prüfung alles für bloße Träumereien erklärt habe.
 +
 +
Sie aber habe immer die neue Mahnung durch ihren Engel erhalten: Du musst es sagen, auch wenn sie dich verlachen. Entschuldigte sie sich: Aber ich kann mich nicht ausdrücken, so hieß es: Sage es, wie Du es kannst!»
 +
 +
Sagte sie es nun dem Pater, so hörte er sie nicht an. Als der Pater einmal äußerte, er könne nicht glauben, dass ihr alles, was sie von Jugend auf gesehen, allein für sie selbst gegeben worden sei, entgegnete ihm beistimmend Anna Katharina: «Ich bin davon auch überzeugt, denn mir ist schon früh befohlen worden, alles zu erzählen, und wenn ich auch von der Welt für närrisch gehalten würde. Aber es hatte es nie jemand anhören wollen und die heiligsten Dinge, die ich sah und erfuhr, wurden so verkehrt und höhnisch aufgenommen, dass ich aus Scheu, sie zu verletzen, alles unter Schmerzen in mir verschloss. Später hatte ich oft ein Bild in der Ferne von einem fremden Mann, der zu mir kam und viel bei mir schrieb, den ich nun im Pilger wiedergefunden und erkannt habe.»
 +
 +
Beachtung verdient auch eine andere hierauf sich beziehende Äußerung, die Anna Katharina in der Ekstase getan: «Ich weiß, dass ich lange schon gestorben wäre, denn ich habe jetzt ein Bild gehabt, ich wäre längst gestorben, wenn nicht durch den Pilger alles erkannt werden müsste. Er muss alles aufschreiben, denn die Prophezeiung, d.h. die Verkündigung der Gesichte, ist meine Bestimmung. Und wenn der Pilger erst alles in Ordnung hat und mit allem fertig ist, wird er auch sterben.» Dies Letztere ist buchstäblich eingetroffen.
 +
 +
Die ausführlichste und bezeichnendste Mitteilung aber über die Gesichte und die Aufgaben «der Prophezeiung» gab Anna Katharina am 2. Februar 1821, als der Pilger sie auf die großen Gnaden hinwies, die sie so überschwänglich empfange und durch Not, Störung und Verwirrung vielfach verloren gehen lasse. «Ja! Das hat mir mein Bräutigam heute Nacht auch gesagt, als ich meine Not und mein Elend klagte, und dass ich so viele Sachen sähe, die ich nicht verstehe. Er sagte mir, meine Gesichte gebe er mir nicht für mich, sie seien mir geschenkt, sie aufschreiben zu lassen, und ich müsse sie mitteilen. Es sei jetzt keine Zeit, äußerlich Wunder zu tun. Er gebe diese Gesichte und habe immer so getan, um zu beweisen, dass Er bei seiner Kirche sein wolle bis ans Ende der Tage. Die Gesichte (d.h. das Schauen allein) mache niemanden selig, ich müsse Liebe und Geduld und alle Tugenden üben.
 +
 +
Er zeigte mir dann eine Reihe von Heiligen, welche Gesichte gehabt von der verschiedensten Art, wie sie aber nur durch die Benützung dieser Weisungen selig geworden sind. Ich sah nun eine Reihe von Bildern von verschiedenen Heiligen und sah auch, wie meistens ihre Gesichte so verstümmelt und unverstanden aufgeschrieben worden sind. Ich sah, was viele deswegen leiden müssen und wie lange Theresia sich geängstigt, es sei vom Teufel wegen der Verkehrtheit ihrer Beichtväter.»
 +
 +
Sie nennt nun [[Theresia von Avila]], [[Katharina von Siena]], [[Clara von Montefalco]], [[Birgitta von Schweden|Brigitta]], [[Hildegard von Bingen|Hildegard]], [[Veronika Giuliani]], Maria von Jesus und andere, die ihr alle gezeigt worden sind, und sagt mancherlei von der Art ihrer [[Gesicht]]e, die sie nur innerlich kennt. Sie sieht, wie ein großer Teil der Wirkung dieser Gesichte vernichtet ist durch Ausstreichen und Umändern von gelehrten, aber weder einfachen, noch den Gang dieser Bilder verstehenden Priestern. «Es sei oft vieles verworfen worden, weil man reines Schauen von Geschichten nicht habe entwirren können von sich einflechtenden Bildern persönlicher Gebetshandlungen.
 +
 +
Andere sehe sie ganz erstaunlich weitläufig, jede Gnade mit einem Strom von wässerigen Worten umgeben, dass niemand mehr etwas davon genießen könne. Die Gesichte der hl. Hildegard seien von ihr selbst am reinsten geschrieben, denn sie seien dazu von Gott zugleich mit der Gabe des Schreibens gegeben worden. Im Gedruckten jedoch sei manches geändert. Selbst in den gedruckten Schriften Theresias sei verändert worden. Franziska Romana habe vieles auf ihre Art (d.h. wie Anna Katharina) gesehen; es sei aber sehr schlecht aufgeschrieben. Sie habe gesehen, wie die Angst der Beichtväter, alles in die Form ihrer Art, das Evangelium zu verstehen, einzuregeln, vieles vernichtet habe ...
 +
 +
Ich habe gestern auch heftig gebetet, Gott möge mir doch die Gesichte nehmen, auf dass ich die Verantwortung des Wiedererzählens verlöre. Aber ich erhielt keine Erhörung und wie gewöhnlich vernahm ich, dass ich alles, was ich zustande bringen könne, erzählen müsse, und wenn ich auch ausgelacht würde. Den Nutzen könne ich nicht verstehen. Ich erfuhr auch wieder, es habe noch niemals eine Person auf die Weise und in dem Maße alles gesehen, wie ich und es sei nicht meine Sache, es sei Sache der Kirche. Dass so vieles verloren gehe, ziehe eine große Verantwortung nach sich und großen Schaden und viele Personen, die daran schuld seien, dass ich keine Ruhe habe und die Geistlichkeit, welche keine Leute habe und keinen Glauben, dies aufzufassen, würden schwere Rechenschaft haben. Ich sah auch, wie sehr der Teufel Hindernisse in den Weg legte.»
 +
 +
Der Pilger also war die erste mit allen erforderlichen Gaben ausgerüstete Persönlichkeit, welche durch die Vorsehung Gottes der Seherin zugeführt wurde, damit sie vor ihm die Reichtümer der Gnade erschließe, die er zum Heile der Mit- und Nachwelt unter Mühen und Beschwerden nun einsammeln sollte.
 +
 +
Sein klarer Sinn hielt ihn ebenso von Überschwänglichkeiten fern als sein schlichter Glaube bei dem angeborenen Gefühl für Wahrheit und Schönheit, sowie die reiche Erfahrung seines bewegten und mit den Edelsten und Besten seiner Zeit verkehrenden Lebens ihn befähigte, die Erscheinungen und Tatsachen unbefangen zu würdigen und nicht in enger Beschränktheit das Ungewöhnliche zu meistern, oder wo es sich der Ordnung des gemeinen Lebens und den aus ihr abgezogenen Begriffen entzog, zu verwerfen. War der Pilger bei der Feinheit seines künstlerischen Gefühls und der schöpferischen Kraft des eigenen Talentes überhaupt nicht im Stande, in das fertige Kunstwerk eines Dritten nachbessernd oder ändernd einzugreifen, ihm den Stempel der Originalität verwischend, so vermochte er dies noch viel weniger an den wunderbaren Gebilden, welche die Seherin vor seinem erstaunten Blick heraufführte und die er als Gabe Gottes unter Tränen des Dankes demütig hinnahm. Geschmack und Pietät hinderten ihn so in gleicher Weise, mit eigenen Gedanken aufzuputzen, was die Schauende ihm vertraute, oder nach Maßgabe seines beschränkten Lichtes das zu verstümmeln, was aus dem lebendigen Lichte vernommen wurde. Er stand zu hoch über seiner Zeit und war zu wenig Theologe, um mit einer «Theorie der Offenbarung» in der Tasche das Geheimnis der Erlösung und die Wunder seiner Geschichte sich krittelnd zu verkümmern. Auch hatte seine kühne dichterische Phantasie längst alle Bahnen durchlaufen und an allem sich geübt, was irgend so hochbegabte Naturen wie seine bewegen mag, um sie nicht unter der Zucht des Kreuzes freudig und ohne Vorbehalt dem Dienst der Kirche zu weihen.
 +
 +
Allerdings waren manche der bemerkten Eigenschaften des Pilgers nur natürliche Gaben, aber sie waren von einem tieferen Grunde getragen als bei der angeborenen Lebhaftigkeit des so reichen und unabhängigen Geistes äußerlich mochte wahrgenommen werden und von einem unendlich höheren Element beherrscht und geleitet, als bloßer «Laune oder poetischer Befriedigung». Beides hält nicht stand, wo es gilt, jahrelang an dem Schmerzenslager einer täglich mit dem Tod ringenden und in namenlosen Peinen hilflos wimmernden Kranken zuzubringen, um oft die geringste Gabe unter empfindlichen Demütigungen zu empfangen. Der Pilger konnte gar bald erfahren, dass er in die Schule des Kreuzes genommen sei.
 +
 +
Rührend spricht er darüber am Vorabend von Weihnachten 1819: «Indem ich zu schreiben beginne, fühle ich eine tiefe Betrübnis über das Elend, in welchem wir leben, wo die Folgen und Wirkungen der Verfinsterung mich hindern, die Blicke in die heiligsten Geheimnisse, welche ein wunderbar von Gott begnadetes, einfaltiges, kindliches Wesen tut, ruhig aufzufassen und wiederzugeben. Nichts vermag ich meinen lieben Brüdern zu erretten als elende, zerrissene Schatten von Bildern, welche die ewige Gegenwart und Wirklichkeit aller Geheimnisse des von uns verlorenen Gottesverhältnisses beurkunden. Und diese Schatten muss ich stehlen und erschleichen! Was ich selbst dabei fühle, sehe und ahne - ich vermag es nicht zu sagen.»
 +
 +
Die eben angeführte Äußerung des Pilgers kann den Leser nicht mehr überraschen, denn aus der ganzen Darstellung wird er selbst entnommen haben, wie allem Tatbestand widersprechend es ist, Anna Katharina gleich wie in lichter Höhe sich zu denken, aus der sie in beschaulicher Ruhe dem Pilger ihre Gesichte zu müheloser Aufzeichnung vorerzählt habe. Und wie nicht minder ungereimt die andere Meinung ist, als habe die übermächtige Phantasie des reichbegabten Dichters wie sonst im unbegrenzten Reich der Märchenwelt, so jetzt im Gebiet heiliger Dichtung sich ergangen, und Anna Katharina habe zu dem, was er als Ausbeute mitgebracht, nur den Namen hergeliehen.
 +
 +
Nie hat der Pilger je eine Kombination gewagt, nie ein unvollkommenes Bruchstück aus anderen ähnlichen Mitteilungen dem Wort oder Sinne nach zu ergänzen gesucht, ohne in den seltenen Fällen, wo er es getan, ausdrücklich dies zu bemerken und vollständige Rechenschaft über sein Verfahren zu geben.
 +
 +
Die bedeutsamste Äußerung aber über die Arbeit des Pilgers tat sie am 30. Dezember 1819, da sie in einer Anschauung des Prophetenberges begriffen war. Sie lag während derselben in ihrer dunklen Kammer ganz erstarrt, da hielt der Pilger ein Blatt seiner Aufzeichnungen ihr gegenüber, worauf sie plötzlich sagte: «Das sind Papiere mit leuchtender Schrift! Ich kann es nicht aussprechen ... Dieser Mann (der Pilger) schreibt dies nicht so aus sich, er hat die Gnade Gottes dazu. Es kann es kein Mensch als er, es ist als sähe er es selbst.»
 +
 +
Diese Äußerung ist ein Beweis, dass gerade so wie Anna Katharina die Reliquien und geweihten Dingen leuchtend sah und wie sie auch ihre eigenen Haare oder die Hülse ihrer Wundmale als Licht erblickte, sie ebenso buchstäblich und reell, nicht [[allegorisch]], die Schrift, welche ihre Gesichte verzeichnete, mit Lichtflüssigkeit schreiben und die beschriebenen Blätter somit selbst leuchtend geschaut hat.
 +
 +
= Quelle B =
 +
Aus den Tagebüchern des [[Clemens Brentano]], Herausgegeben von [[Pater]] [[Karl Erhard Schmöger|C. E. Schmöger]] von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers ([[CSSR]]), Mit kirchlicher [[Druckerlaubnis]], 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, [[Immaculata Verlag]] Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 9-128).
  
aus den Tagebüchern des [[Clemens Brentano]], Herausgegeben von [[Pater]] [[Karl Erhard Schmöger|C. E. Schmöger]] von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers ([[CSSR]]), Mit kirchlicher [[Druckerlaubnis]], 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, [[Immaculata Verlag]] Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 9-128). Bei der Digitalisierung wurde einige Worte und die Grammatik behutsam angepasst.<br>
 
{{Vorlage: Emmerich-Visionen}}
 
  
 
== ZUR PERSON ANNA KATHARINA EMMERICKS ==
 
== ZUR PERSON ANNA KATHARINA EMMERICKS ==
Zeile 268: Zeile 580:
 
''21.''' Aus der Zeit des öffentlichen Lehramtes Jesu sind es ebenfalls nur wenige, aber sehr bezeichnende Züge, welche vor der seligen Emmerick über das Mit-Leiden Mariä mitgeteilt werden. So heißt es: « Maria bat ihren Sohn, nicht in die schreckliche Wüste zu gehen, damit Er nicht verschmachte» oder « nicht nach Jerusalem zu reisen, weil das Synedrium einer Beschluss wider Ihn gefasst habe». «Maria weinte über die Jesu drohenden Gefahren, weil seine Lehren und Wunder so großes Aufsehen im Lande verursachten.» - Aus Sorge über die steigende Erbitterung der in Kapharnaum versammelter Pharisäer bittet sie, « es möge Jesus nicht länger in Kapharnaun bleiben, sondern lieber auf die andere Seite des Sees sich hinüber begeben.» Das sind nun freilich sehr einfache, aber doch vielsagende Mitteilungen. Denn sie lassen erkennen, wie die seligste Jungfrau trotz ihrer gewissesten Voraussicht des künftigen Leidens und Todes ihres Sohnes doch auch die volle Pein jedes gegenwärtigen Augenblickes in demselben Maß empfunden hat, als groß, ja unermesslich ihre Liebe zu Jesus ihrem Sohne war.  
 
''21.''' Aus der Zeit des öffentlichen Lehramtes Jesu sind es ebenfalls nur wenige, aber sehr bezeichnende Züge, welche vor der seligen Emmerick über das Mit-Leiden Mariä mitgeteilt werden. So heißt es: « Maria bat ihren Sohn, nicht in die schreckliche Wüste zu gehen, damit Er nicht verschmachte» oder « nicht nach Jerusalem zu reisen, weil das Synedrium einer Beschluss wider Ihn gefasst habe». «Maria weinte über die Jesu drohenden Gefahren, weil seine Lehren und Wunder so großes Aufsehen im Lande verursachten.» - Aus Sorge über die steigende Erbitterung der in Kapharnaum versammelter Pharisäer bittet sie, « es möge Jesus nicht länger in Kapharnaun bleiben, sondern lieber auf die andere Seite des Sees sich hinüber begeben.» Das sind nun freilich sehr einfache, aber doch vielsagende Mitteilungen. Denn sie lassen erkennen, wie die seligste Jungfrau trotz ihrer gewissesten Voraussicht des künftigen Leidens und Todes ihres Sohnes doch auch die volle Pein jedes gegenwärtigen Augenblickes in demselben Maß empfunden hat, als groß, ja unermesslich ihre Liebe zu Jesus ihrem Sohne war.  
  
Das heiligste Mitleiden ihres mütterlichen Herzens wurde bei jedem einzelnen Anlass, jedem Ereignis, bei jedem Widerspruch und jeder Verfolgung, welche die Bosheit seiner Feinde wider ihren Sohn erhob, aufs Tiefste bewegt; und es wäre dieses ihr Mitleiden nicht das der demütigsten, heiligster Mutterliebe gewesen, hätte es nicht wenigstens durch Gebet, Tränen und Danksagungen Linderung und Hilfeleistung ihren Sohne zu bereiten, d. i. der Bosheit und den Anschlägen seiner Feinde entgegen zu wirken und die Schuld des auserwählter Volkes, als dessen Tochter Maria sich fühlte, zu mindern und der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes einen Ersatz für dieser Undank in der Größe ihrer bittersten Schmerzen zu bieten gesucht. Solange die Passion noch eine zukünftige war, trat sie vor den Leidenseindrücken der Gegenwart wie zurück, so dass diese stets ihre volle Gewalt geltend machen konnten, gleich als stünde der betrübtesten Mutter nicht noch viel Härteres unabwend bar bevor. Wenn sie darum in ihrem zärtlichsten Mitleiden ihren geliebten Sohn gar oftmals bittet, dieser und jener Gefahr oder Verfolgung sich nicht auszusetzen, so sind diese ihre Bitten und Tränen nicht etwa ein Abwenden- oder Aufhaltenwollen der Passion, sondern das Ringen ihrer heiligsten Mutterliebe gegen die Unbilden und Beleidigungen Gottes, gegen den Undank, die Härte und Verstocktheit ihres Volkes, wodurch sie verhindern wollte, dass dies Volk sich gegen die Erbarmungen ihres Sohnes und das Heil verschließe, das Er ihm bereiten wollte.  
+
Das heiligste Mitleiden ihres mütterlichen Herzens wurde bei jedem einzelnen Anlass, jedem Ereignis, bei jedem Widerspruch und jeder Verfolgung, welche die Bosheit seiner Feinde wider ihren Sohn erhob, aufs Tiefste bewegt; und es wäre dieses ihr Mitleiden nicht das der demütigsten, heiligster Mutterliebe gewesen, hätte es nicht wenigstens durch Gebet, Tränen und Danksagungen Linderung und Hilfeleistung ihren Sohne zu bereiten, d. i. der Bosheit und den Anschlägen seiner Feinde entgegen zu wirken und die Schuld des auserwählter Volkes, als dessen Tochter Maria sich fühlte, zu mindern und der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes einen Ersatz für dieser Undank in der Größe ihrer bittersten Schmerzen zu bieten gesucht. Solange die Passion noch eine zukünftige war, trat sie vor den Leidenseindrücken der Gegenwart wie zurück, so dass diese stets ihre volle Gewalt geltend machen konnten, gleich als stünde der betrübtesten Mutter nicht noch viel Härteres unabwend bar bevor. Wenn sie darum in ihrem zärtlichsten Mitleiden ihren geliebten Sohn gar oftmals bittet, dieser und jener Gefahr oder Verfolgung sich nicht auszusetzen, so sind diese ihre Bitten und Tränen nicht etwa ein Abwenden- oder Aufhaltenwollen der Passion, sondern das Ringen ihrer heiligsten Mutterliebe gegen die Unbilden und Beleidigungen Gottes, gegen den Undank, die Härte und [[Verstocktheit]] ihres Volkes, wodurch sie verhindern wollte, dass dies Volk sich gegen die Erbarmungen ihres Sohnes und das Heil verschließe, das Er ihm bereiten wollte.  
  
 
'''22.''' Während der ganzen Dauer seines heiligsten Lehrwandels übte Maria eine unausgesetzte Gebets- und Leidens-Mitwirkung. Denn sie erkannte, wie niemand außer ihr, den unendlich kostbaren Wert jedes einzelnen Wortes aus dem Munde der ewigen, Mensch gewordenen Wahrheit. Sie würdigte alle Tritte und Schritte, alle Tropfen Schweißes, jede Ermüdung, Entbehrung und Beschwerde, jeden Augenblick der in Gebet und Tränen durchwachten Nächte, welches alles ihr göttlicher Sohn in höchster Langmut, Liebe und Geduld auf sich nahm, um die Herzen der Menschen für Aufnahme seines Heilswortes empfänglich zu machen und zur Buße und Sinnesänderung zu bereiten.  
 
'''22.''' Während der ganzen Dauer seines heiligsten Lehrwandels übte Maria eine unausgesetzte Gebets- und Leidens-Mitwirkung. Denn sie erkannte, wie niemand außer ihr, den unendlich kostbaren Wert jedes einzelnen Wortes aus dem Munde der ewigen, Mensch gewordenen Wahrheit. Sie würdigte alle Tritte und Schritte, alle Tropfen Schweißes, jede Ermüdung, Entbehrung und Beschwerde, jeden Augenblick der in Gebet und Tränen durchwachten Nächte, welches alles ihr göttlicher Sohn in höchster Langmut, Liebe und Geduld auf sich nahm, um die Herzen der Menschen für Aufnahme seines Heilswortes empfänglich zu machen und zur Buße und Sinnesänderung zu bereiten.  
Zeile 302: Zeile 614:
 
'''31.''' «Als Jesus an die Geisselungssäule geführt wurde, zog sich die heiligste Jungfrau mit den sie begleitenden heiligen Frauen und Johannes in einen Winkel der diesen Ort umgebenden Hallen zurück, wo sie nicht mit den leiblichen Augen, sondern im Lichte des Schauens Zeuge aller Geisselstreiche und Martern war, welche unser Erlöser erduldete. Diese ihre Anschauung war eine viel deutlichere, als wenn sie alles in der nächsten Nähe mitangesehen hätte. Kein Verstand vermag aber zu fassen, von welcher Art und Größe die Peinen waren, welche Maria dabei gelitten. Sie werden mit den anderen Geheimnissen ihres Leidens erst in der Anschauung Gottes den Auserwählten offenbar sein. Auch hier bei der Geißelung empfand sie leiblicherweise alle Geißelstreiche, durch welche der heiligste Leib ihres Sohnes so grausam zerfleischt wurde. Und wenn sie auch die Wunden selber nicht mitempfing und nur jenes Blut dabei vergoss, das mit ihren Tränen sich mischte, so waren doch vor Heftigkeit der Schmerzen ihre Züge so verändert, dass Johannes und die heiligen Frauen ihr Antlitz kaum erkannten. Größer noch als die leiblichen Schmerzen war die Bitterkeit, die ihr liebendstes, heiligstes Herz erfüllte. Denn so flammend wie die Liebe zu ihrem Sohne, so klar und durchdringend war auch ihre Erkenntnis seiner Unschuld, Heiligkeit und der Würde seiner göttlichen Person, und demgemäß der Größe der Unbilden, die Er von den ungläubigen Juden und überhaupt von den Kindern Adams zu erleiden hatte, die Er doch vom ewigen Tode erlösen wollte.»  
 
'''31.''' «Als Jesus an die Geisselungssäule geführt wurde, zog sich die heiligste Jungfrau mit den sie begleitenden heiligen Frauen und Johannes in einen Winkel der diesen Ort umgebenden Hallen zurück, wo sie nicht mit den leiblichen Augen, sondern im Lichte des Schauens Zeuge aller Geisselstreiche und Martern war, welche unser Erlöser erduldete. Diese ihre Anschauung war eine viel deutlichere, als wenn sie alles in der nächsten Nähe mitangesehen hätte. Kein Verstand vermag aber zu fassen, von welcher Art und Größe die Peinen waren, welche Maria dabei gelitten. Sie werden mit den anderen Geheimnissen ihres Leidens erst in der Anschauung Gottes den Auserwählten offenbar sein. Auch hier bei der Geißelung empfand sie leiblicherweise alle Geißelstreiche, durch welche der heiligste Leib ihres Sohnes so grausam zerfleischt wurde. Und wenn sie auch die Wunden selber nicht mitempfing und nur jenes Blut dabei vergoss, das mit ihren Tränen sich mischte, so waren doch vor Heftigkeit der Schmerzen ihre Züge so verändert, dass Johannes und die heiligen Frauen ihr Antlitz kaum erkannten. Größer noch als die leiblichen Schmerzen war die Bitterkeit, die ihr liebendstes, heiligstes Herz erfüllte. Denn so flammend wie die Liebe zu ihrem Sohne, so klar und durchdringend war auch ihre Erkenntnis seiner Unschuld, Heiligkeit und der Würde seiner göttlichen Person, und demgemäß der Größe der Unbilden, die Er von den ungläubigen Juden und überhaupt von den Kindern Adams zu erleiden hatte, die Er doch vom ewigen Tode erlösen wollte.»  
  
'''32.''' Blicken wir nun im Lichte der aus der «Mystischen Stadt Gottes» ausgehobenen Stellen auf die in Nr. 15 angeführte Mitteilung der seligen Emmerick zurück, so vermögen wir leicht die innigste Übereinstimmung bei der Begnadigten sowohl, als auch die umfassende Bedeutung jenes Gebetes der seligsten Jungfrau zu würdigen. Maria erscheint während der ganzen Passion ihres göttlichen Sohnes in voller Wirklichkeit als das herrliche Urbild der heiligen Kirche. Sie allein ist jetzt die ganze Kirche und zwar die heilige, unbefleckte Kirche, die Kirche ohne Makel und ohne Runzel, ohne jegliche Fehl. Sie allein vertritt jetzt die ganze Gemeinschaft aller Auserwählten, der Gerechten, der Glaubenden aller Zeiten, von dem gerechten Abel herab bis zum Ende der Welt, an deren aller Stelle, in deren aller Namen, zu deren aller Gunsten und Heil sie nach den heiligsten Absichten Gottes in wunderbarster Vereinigung mit dem Erlöser der Welt und auf die Gott wohlgefälligste, verdienstlichste Weise handelt, leidet, anbetet, bekennt, dankt und fleht. Nur sie allein trägt nun in sich und übt die unversehrte Reinheit und Fülle des göttlichen Glaubens, der Hoffnung und Liebe, indem sie allein vor Gott und den Menschen, als die Königin der Patriarchen und Propheten, der Apostel und Martyrer und der Bekenner und Jungfrauen Jesus, Gottes und ihren Eingebornen Sohn, als das Heil der Welt bekennt, jetzt, da Er so ohnmächtig und hilflos der Gewalt seiner Feinde sich überliefert und gleich einem Missetäter zum schimpflichsten Tode verurteilt wird. Während die Säulen der Kirche wanken und Apostel und Jünger sich flüchten und verbergen, ist sie die Erste und Einzige, welche dem in den Tod für uns gehenden Herrn und Erlöser die schuldige Ehre gibt, welche Ihm in höchster Treue und Gleichförmigkeit bis in die äußerste Verlassenheit und alle Peinen seines bittersten Todes nachfolgt, welche Ihm durch würdigste Anbetung, Lobpreisung, Verherrlichung und Danksagung Ersatz für alle Unbilden, Schmähungen und Martern leistet, die von den Menschen Ihm bereitet werden. Und als die wahre, geistliche Lade des neuen Bundes ist nun sie es allein, welche alles Heil, alle Wahrheit und Gnade, die ganze Frucht und Wirkung des anbetungswürdigsten Blutes in demselben Augenblick für die Kirche in sich empfängt und bewahrt, in welchem es vom Sohne Gottes für uns vergossen wird. Es ist kein zweites geistliches Gefäß, keine andere Seele vorhanden, um diese Frucht jetzt, da sie vom Baum des Kreuzes herab der ganzen Menschheit dargereicht wird, so würdig, so dankbar zu empfangen, so vollkommen in sich aufzunehmen, so sicher zu bewahren, als wie «die heiligste unbefleckte Jungfrau und Mutter, welche gebührend zu lobpreisen, der Kirche Gottes die Worte mangeln, da sie den in ihrem Schoß getragen, dessen Größe und Herrlichkeit die Himmel nicht zu fassen vermögen.» Als der erste Bund geschlossen wurde (Ex. 24 6-8), war die alte Kirche in ihrer Gesamtheit gegenwärtig, gelobte Gott Treue und Gehorsam und wurde durch Moses mit dem vorbildlichen Blut der Opfertiere besprengt. Bei Schließung des neuen Bundes aber im Blut des Lammes Gottes steht Maria, als die neue Kirche, als die zweite Eva und als die wahre Mutter des neuen und ewigen Lebens am Fuß des Kreuzes, um das Testament des sterbenden Erlösers im Namen aller und für alle zu empfangen und die Früchte seines kostbarsten Blutes für alle zu sammeln und zu retten. Auf dem ganzen Passionswege hat sie Treue und Gehorsam im Namen aller nicht bloß mit Worten und Beteuerungen gelobt, sondern durch die Tat in vollkommenster, Gottes würdigster Weise geübt und bewährt. Und so durchwandelt sie nun, während ihr heiligster Sohn im Hof des Hauses von Herodes verspottet wird, anbetend, lobpreisend, dankend und die Blindheit, Härte und Verstocktheit des Volkes sühnend, jene Pfade von Jerusalem, die Er mit seinem kostbarsten Blut benetzt hat. Alle durch dasselbe geheiligten Stellen verehrt sie, alle Misshandlungen, die Er daselbst erlitten, beweint sie mit bittersten Tränen und auf den Knien und mit zur Erde niedergebeugtem Angesicht betet sie an den Preis unserer Erlösung in eigenem Namen, wie im Namen aller, die jetzt in der Treue und im Glauben wanken, um Ersatz für ihre Schwäche zu leisten und ihnen neue Kraft und Stärke zu erflehen.  
+
'''32.''' Blicken wir nun im Lichte der aus der «Mystischen Stadt Gottes» ausgehobenen Stellen auf die in Nr. 15 angeführte Mitteilung der seligen Emmerick zurück, so vermögen wir leicht die innigste Übereinstimmung bei der Begnadigten sowohl, als auch die umfassende Bedeutung jenes Gebetes der seligsten Jungfrau zu würdigen. Maria erscheint während der ganzen Passion ihres göttlichen Sohnes in voller Wirklichkeit als das herrliche Urbild der heiligen Kirche. Sie allein ist jetzt die ganze Kirche und zwar die heilige, unbefleckte Kirche, die Kirche ohne Makel und ohne Runzel, ohne jegliche Fehl. Sie allein vertritt jetzt die ganze Gemeinschaft aller Auserwählten, der Gerechten, der Glaubenden aller Zeiten, von dem gerechten Abel herab bis zum Ende der Welt, an deren aller Stelle, in deren aller Namen, zu deren aller Gunsten und Heil sie nach den heiligsten Absichten Gottes in wunderbarster Vereinigung mit dem Erlöser der Welt und auf die Gott wohlgefälligste, verdienstlichste Weise handelt, leidet, anbetet, bekennt, dankt und fleht. Nur sie allein trägt nun in sich und übt die unversehrte Reinheit und Fülle des göttlichen Glaubens, der Hoffnung und Liebe, indem sie allein vor Gott und den Menschen, als die Königin der Patriarchen und Propheten, der Apostel und Martyrer und der Bekenner und Jungfrauen Jesus, Gottes und ihren Eingebornen Sohn, als das Heil der Welt bekennt, jetzt, da Er so ohnmächtig und hilflos der Gewalt seiner Feinde sich überliefert und gleich einem Missetäter zum schimpflichsten Tode verurteilt wird. Während die Säulen der Kirche wanken und Apostel und Jünger sich flüchten und verbergen, ist sie die Erste und Einzige, welche dem in den Tod für uns gehenden Herrn und Erlöser die schuldige Ehre gibt, welche Ihm in höchster Treue und Gleichförmigkeit bis in die äußerste Verlassenheit und alle Peinen seines bittersten Todes nachfolgt, welche Ihm durch würdigste Anbetung, Lobpreisung, Verherrlichung und Danksagung Ersatz für alle Unbilden, Schmähungen und Martern leistet, die von den Menschen Ihm bereitet werden. Und als die wahre, geistliche Lade des neuen Bundes ist nun sie es allein, welche alles Heil, alle Wahrheit und Gnade, die ganze Frucht und Wirkung des anbetungswürdigsten Blutes in demselben Augenblick für die Kirche in sich empfängt und bewahrt, in welchem es vom Sohne Gottes für uns vergossen wird. Es ist kein zweites geistliches Gefäß, keine andere Seele vorhanden, um diese Frucht jetzt, da sie vom Baum des Kreuzes herab der ganzen Menschheit dargereicht wird, so würdig, so dankbar zu empfangen, so vollkommen in sich aufzunehmen, so sicher zu bewahren, als wie «die heiligste unbefleckte Jungfrau und Mutter, welche gebührend zu lobpreisen, der Kirche Gottes die Worte mangeln, da sie den in ihrem Schoß getragen, dessen Größe und Herrlichkeit die Himmel nicht zu fassen vermögen.» Als der erste Bund geschlossen wurde (Ex. 24 6-8), war die alte Kirche in ihrer Gesamtheit gegenwärtig, gelobte Gott Treue und Gehorsam und wurde durch Moses mit dem vorbildlichen Blut der Opfertiere besprengt. Bei Schließung des neuen Bundes aber im Blut des Lammes Gottes steht Maria, als die neue Kirche, als die zweite Eva und als die wahre Mutter des neuen und ewigen Lebens am Fuß des Kreuzes, um das Testament des sterbenden Erlösers im Namen aller und für alle zu empfangen und die Früchte seines kostbarsten Blutes für alle zu sammeln und zu retten. Auf dem ganzen Passionswege hat sie Treue und Gehorsam im Namen aller nicht bloß mit Worten und Beteuerungen gelobt, sondern durch die Tat in vollkommenster, Gottes würdigster Weise geübt und bewährt. Und so durchwandelt sie nun, während ihr heiligster Sohn im Hof des Hauses von Herodes verspottet wird, anbetend, lobpreisend, dankend und die Blindheit, Härte und [[Verstocktheit]] des Volkes sühnend, jene Pfade von Jerusalem, die Er mit seinem kostbarsten Blut benetzt hat. Alle durch dasselbe geheiligten Stellen verehrt sie, alle Misshandlungen, die Er daselbst erlitten, beweint sie mit bittersten Tränen und auf den Knien und mit zur Erde niedergebeugtem Angesicht betet sie an den Preis unserer Erlösung in eigenem Namen, wie im Namen aller, die jetzt in der Treue und im Glauben wanken, um Ersatz für ihre Schwäche zu leisten und ihnen neue Kraft und Stärke zu erflehen.  
  
 
'''33.''' «Auch, als die heiligste Mutter mitansah, wie ihr gebenedeiter Sohn von Pilatus dem Volk mit den Worten< Ecce homo> vorgestellt wurde, warf sie sich, wie die seI. Maria von Agreda erzählt, auf die Knie nieder, betete Ihn an und bekannte Ihn als den wahren menschgewordenen Gott. Das gleiche taten Johannes, die heiligen Frauen und alle Engel, welche ihre große Königin umgaben. Zu Gott dem himmlischen Vater aber und zu ihrem liebevollsten Sohne flehte sie mit solcher Innigkeit, in solchem Schmerz und Mitgefühl, in so tiefer Ehrfurcht, wie nur ihr liebeentflammtes, reinstes Herz dessen fähig war. Sie erwog in ihrer höchsten Weisheit, dass gerade jetzt in diesem Augenblicke, da ihr heiligster Sohn so beschimpft, verspottet, verachtet und zerfleischt vor den Juden stand, es erfordert werde, den Glauben an seine Unschuld zu erhalten. Darum erneuerte sie ihre Bitten für Pilatus, auf dass er fortfahre, in seiner Eigenschaft als Richter vor der ganzen Welt zu erklären, dass Jesus, unser Heiland, weder eines Vergehens, noch des Todes schuldig sei, wie die Juden dies behaupteten.»  
 
'''33.''' «Auch, als die heiligste Mutter mitansah, wie ihr gebenedeiter Sohn von Pilatus dem Volk mit den Worten< Ecce homo> vorgestellt wurde, warf sie sich, wie die seI. Maria von Agreda erzählt, auf die Knie nieder, betete Ihn an und bekannte Ihn als den wahren menschgewordenen Gott. Das gleiche taten Johannes, die heiligen Frauen und alle Engel, welche ihre große Königin umgaben. Zu Gott dem himmlischen Vater aber und zu ihrem liebevollsten Sohne flehte sie mit solcher Innigkeit, in solchem Schmerz und Mitgefühl, in so tiefer Ehrfurcht, wie nur ihr liebeentflammtes, reinstes Herz dessen fähig war. Sie erwog in ihrer höchsten Weisheit, dass gerade jetzt in diesem Augenblicke, da ihr heiligster Sohn so beschimpft, verspottet, verachtet und zerfleischt vor den Juden stand, es erfordert werde, den Glauben an seine Unschuld zu erhalten. Darum erneuerte sie ihre Bitten für Pilatus, auf dass er fortfahre, in seiner Eigenschaft als Richter vor der ganzen Welt zu erklären, dass Jesus, unser Heiland, weder eines Vergehens, noch des Todes schuldig sei, wie die Juden dies behaupteten.»  
Zeile 617: Zeile 929:
 
<center> P. Carl Erhard Schmoeger </center>
 
<center> P. Carl Erhard Schmoeger </center>
  
[[Kategorie: Christliche Schriften]]
 
 
[[Kategorie: Privatoffenbarungen]]
 
[[Kategorie: Privatoffenbarungen]]

Aktuelle Version vom 22. Oktober 2021, 19:45 Uhr

EMMERICK - VISIONEN
Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des Alten Bundes nach den Visionen der gottseligen Anna Katharina Emmerick
Emmerick Visionen.jpg


Inhaltsverzeichnis

Quelle A

Anna Katharina Emmerich, Das zweite Lehrjahr Jesu, aus den Tagebüchern des Clemens Brentano, Christiana Verlag 1998, S. 11-16 -48 (542 Seiten, ISBN 978-3-7171-0964-2), Einleitung Von Karl Erhard Schmöger CSSR.

Über die Reihenfolge der Visionen

Anna Katharina Emmerich besaß die Gnade, dass sie in einem Zeitraum von drei Jahren in einem ununterbrochenen geschichtlichen Zusammenhang die drei Lehrjahre Jesu in täglichen Gesichten schauen durfte. Dieselben nahmen in den letzten Tagen des Monats Juli 1820 ihren Anfang, während Anna Katharina in allen vorhergehenden Jahren zwar auch die Geheimnisse des Lebens Jesu geschaut hatte, aber nicht in fortlaufenden täglichen Bildern, sondern mit Unterbrechung und nach Ordnung der Sonnund Festtage des Kirchenjahres.

Noch Donnerstag, den 19. Juli 1820, ist der «Pilger» (wie sich Clemens Brentano in seinen Tagebüchern zu nennen pflegte, weshalb diese Bezeichnung auch hier beibehalten wird) trostlos, weil «es ihm nicht möglich ist, aus den Gesichten über die sonntäglichen Evangelien klug zu werden, da Anna Katharina sie teilweise vergisst und nicht umständlich genug erzählt, keine Ortsnamen nennt, und er so nicht wissen kann, mit welchem Lebensjahre Christi die Gesichte zusammentreffen und in welcher Ordnung die Kirchenevangelien untereinander selber stehen».

Anna Katharina nämlich hatte am unmittelbar vorausgehenden Sonntag, dem sechsten nach Pfingsten, ein Gesicht über das Evangelium von der Speisung der Viertausend gehabt und in den folgenden Tagen noch einzelne Bruchstücke dazu mitgeteilt, von welchen sie glaubte, dass sie mit dem Evangelium des Sonntags in einem geschichtlichen Zusammenhang stehen.

Der Pilger jedoch konnte mit der mangelhaften Mitteilung nicht viel anfangen und schrieb in sein Tagebuch die Bemerkung: «Es ist ein Jammer, dass der Pilger gar nicht unterstützt wird, hierin eine Folge zu erhalten.»

Die ersehnte Hilfe sollte ihm aber wenige Tage später in ganz ungeahnter, wunderbarer Weise zu Teil werden; denn am 30. Juli 1820 begann Anna Katharina, was dem Pilger «ganz unerwartet, ja unerhört schien», den Lehrwandel Christi Tag für Tag im vollkommensten Zusammenhang zu schauen, und zwar ohne Unterbrechung bis Ende Mai 1821.

Diese fortlaufenden Gesichte begannen mit dem Lehrvortrag Jesu über die Ehescheidung und mit der Segnung der Kinder zu Bethabara jenseits des Jordan, wie sie von Matthäus 19,1 berichtet wird, und umfassten die letzte Osterreise des Heilandes nach Jerusalem, die Passion, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten und einige Wochen aus der Apostelgeschichte; vom Lehrwandel Jesu also die letzten acht bis neun Monate.

Der Pilger schickt seinen Aufzeichnungen der Visionen dieses Zeitraums folgende Bemerkung voran: «Der Aufschreibende war weder in diesem Wandel des Herrn noch in der Lage der Orte in Palästina orientiert. Die Sehende aber war häufig sehr krank und erzählte in ihren alles Maß übersteigenden Leiden nur mühsam und manches nachholend. Sie vergaß auch öfter einige Tage. Ferner war ihre Aufmerksamkeit weder auf die Ortsnamen noch auf die Distanzen und Wegmaße gerichtet, weshalb in diesem Zeitraum die Ortsnamen oft nur allgemein nach den Gegenden bestimmt sind.»

Mit Ende Mai 1821 hören jedoch die Gesichte nicht auf, sondern gingen zu jenem Zeitraum des Lebens Jesu über, der mit dem Tod des heiligen Joseph und dem öffentlichen Auftreten Johannes des Täufers beginnt. So sah Anna Katharina vier Monate hindurch, nämlich vom 2. Juni bis 28. September 1821, Tag für Tag alle Wege und Handlungen sowohl Jesu als auch seines heiligen Vorläufers, vernahm jedes ihrer Worte, und der Pilger zeichnete mit äußerster Gewissenhaftigkeit täglich auf, so viel Anna Katharina von diesen Gesichten ihm zu erzählen im Stande war.

Am 28. September sah sie die Taufe Jesu im Jordan und begleitete von da an in täglich fortlaufenden Gesichten den Heiland einundzwanzig und einen halben Monat lang, nämlich bis 17. Juli 1823, auf allen Wegen seines heiligsten Wandels, so dass nur wenige Tage übrig blieben, und der Schluss der Gesichte des Jahres 1823 hätte sich genau an den Anfang derselben im Juli 1820 angeschlossen.

Wie die Gesichte, so hatte auch die Mitteilung derselben an den Pilger ihren täglichen Fortgang. Nur einmal war Anna Katharina, und zwar vom 27. April bis 17. Juli 1823, wegen tödlicher Erschöpfung gänzlich unvermögend, auch nur ein Wort zu sprechen. Die Gesichte aber waren auch in dieser Zeit nicht unterbrochen.

Sie erhielt dieselben zum zweiten Mal vom 21. Oktober 1823 bis 8. Januar 1824 und holte nun in dieser Zeit die Mitteilung an den Pilger nach.

Von da an hörte jede Mitteilung auf, denn unter schrecklichen Leiden nahte ihr Tod, welcher am 9. Februar 1824 erfolgte, nachdem sie vier Wochen hindurch stets geschwiegen hatte. Nur einmal tat sie in dieser Zeit, ohne äußere Veranlassung, gleichwie aus einem inneren Überblick ihrer bisherigen Anschauungen die überraschende Äußerung: «Wo sind wir an der Zeit?» - «14. Januar!» - «Ach!», erwiderte sie, «dass ich gar nichts mehr vermag! Noch wenige Tage und ich hätte das Leben Jesu ganz erzählt!»

Kriterien der Echtheit

Ehe nun die Gabe des Schauens erklärt und von dem Umfang ihrer Gesichte einlässlicher gehandelt wird, mögen die Grundsätze zur Sprache kommen, welche nach Papst Benedikt XlV. über Echtheit und Unechtheit angeblicher Gesichte und Offenbarungen entscheiden und den Grad der Geltung und des Ansehens feststellen, welches denjenigen Gesichten zugestanden werden darf, die von der kirchlichen Autorität als wahr und echt erklärt sind.

Benedikt XlV. handelt (in seinem großen Werk de Servorum Dei Beatificatione, lib. III. c. 51. 52. et 53) in drei Abschnitten von der Beurteilung der Gesichte und Offenbarungen:

Als erste und «goldene» Regel führt Benedikt die Worte Gersons an: «Wo Demut vorangeht, mit- und nachfolgt, wo nichts sich hineinmischt, was sie gefährdet, da ist es ein Zeichen, dass Gesichte von Gott sind oder seinem guten Engel, denn lange kann der Trug auch einer Frau nicht verborgen bleiben. Wo nicht von der tiefsten Demut der Grund gelegt ist, da stürzt das Gebäude in Schande bald zusammen. Wo aber lautere Einfalt sich findet, die gerade denen am nötigsten ist, die Gott in reiner, los geschälter, keuscher Liebe anhängen wollen, da ist weder Selbstbetrug noch Täuschung anderer.»

Dann sind es auch die Früchte, die an anderen wahrgenommen werden, welche der Echtheit der Gesichte eine große Bürgschaft gewähren. Denn es ist nicht möglich, dass ein schlechter Baum gute Früchte tragen kann. Geschieht es also, dass aus der Mitteilung von Gesichten anderen Erleuchtung des Geistes, oder Besserung des Lebens, oder Antriebe zur Frömmigkeit und Gottseligkeit erwachsen und dies nicht bloß bei einzelnen, sondern bei einer großen Anzahl von Personen, und zwar lange Zeit hindurch, so gilt dies als ein sehr verlässlicher Beweis, dass derartige Gesichte ein Werk des Heiligen Geistes sind. Denn falsche und trügerische oder vom Teufel eingegebene können nicht anders, als den katholischen Glauben und die guten Sitten verletzen.

Was nun die Anwendung der eben angeführten Grundsätze auf die gottselige Anna Katharina betrifft, so könnte es genügen, auf den in ihren Gesichten «Vom bitteren Leiden» waltenden Geist hinzuweisen, der in so ausgedehntem Maße jene Früchte bis zur Stunde hervorbringt, welche als Kennzeichen eines guten Baumes von Papst Benedikt angegeben werden. Allein der Herausgeber legt ein noch größeres Gewicht auf den Inhalt der gegenwärtigen Gesichte. Diese nämlich erschließen dem aufmerksamen Leser den irdischen Wandel und das ganze Wirken des Heilandes und seiner gebenedeiten Mutter in so einfacher, innerlich wahrer und anschaulicher Weise, dass nach der Heiligen Schrift nicht leicht ein Buch namhaft gemacht werden kann, das mit so überwältigender Klarheit auch dem einfachsten Menschen zeigt, was es bedeutet, wenn der Heiland allen ohne Ausnahme zuruft: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen!»

Muss es nicht den höchsten Trost und in jeder Lage des Lebens eine nie versiegende Freudigkeit gewähren, unseren Herrn und Heiland Schritt für Schritt begleiten, Tag für Tag ihn in der unendlichen Mühsal seines irdischen Tagewerks betrachten und im Anschauen seiner überall gleichen Huld und Erbarmung die schwache Glut der eigenen Liebe entzünden zu können?

Anna Katharina war in ihrem ganzen Leben das immer gleich einfache, harmlose, unschuldige Kind, das für nichts auf dieser Welt Empfindung und Verständnis hatte als für die Not und das Elend der Menschen, das nie nach etwas anderem je begehrte, als für andere zu leiden. Darum wuchs auch mit jeder Pein so sehr die Stärke ihres Geistes und der Friede ihrer Seele, dass sie in dem Übermaß ihrer namenlosen Leiden frohlockend Gott dankte, dass er sie würdige, ihrem Heiland ähnlicher zu werden. Niemals hat die Dulderin über die Größe einer Pein sich beschwert, wohl aber war es ihr unerträglich und empfindlicher als jeder Schmerz, wenn jemand sie lobte oder rühmlich von ihr dachte, und zwar so, dass sie noch in ihrem letzten Todeskampf mit sterbender Stimme flehentlich bat, nichts Lobenswertes von ihr zu reden ...

Papst Benedikt führt unter anderen das berühmte Gutachten des P. Joannes Cortesius Ossorius an, das dieser über die Offenbarungen der seligen Maria von Agreda der spanischen Inquisition übergab und in welchem er ausführlich nachweist, wie um der angeführten Punkte willen Privatoffenbarungen nicht zu verwerfen seien, und wie auch ungeachtet derselben die Offenbarungen der hl. Brigitta und Magdalena von Pazzis die Gutheißung des Heiligen Stuhls erlangt haben.

Doch setzt Benedikt nach Anführung der genannten Autoritäten einschränkend bei, er würde zwar in derartigen Offenbarungen kein Hindernis finden, im Beatificationsprozesse weiterzufahren, allein er würde dieselben nicht als ganz lauter ansehen, sondern als getrübt von der eigenen Anschauungs- und Denkweise, die dem Diener Gottes vor und unabhängig von den Gesichten innewohnten. Und demgemäß dürfte in ihre etwaige Approbation nichts aufgenommen werden, was die Meinung zur Folge haben könnte, als wolle der Heilige Stuhl jeden Widerspruch gegen sie für ungeeignet erklären.

Diese letzte Bemerkung Papst Benedikts ist von höchster Wichtigkeit, denn sie gesteht zu, dass aus der persönlichen Heiligkeit eines Begnadeten, aus seinem Verhalten bei Gesichten und anderen dieselben begleitenden Umständen mit Sicherheit auf den göttlichen Ursprung der Gesichte könne geschlossen werden, wenngleich zugegeben werden müsse, dass dieselben in ihrem Durchgang durch das geistige Vermögen des Empfängers und dessen Mitteilung an andere möglicherweise getrübt worden sind. Es ist nämlich mit den Gesichten und Privatoffenbarungen nicht zugleich die Gabe eines durchaus unfehlbaren und ungetrübten Verständnisses und eben solcher Mitteilung dem Schauenden verliehen, weshalb die Theologen für deren Beurteilung eine «pia et modesta intelligentia» in Anspruch nehmen.

Das Privilegium der Unfehlbarkeit haben nur die Propheten, Apostel und die Verfasser der kanonischen Schriften, und in zweiter Reihe die Nachfolger Petri und allgemeinen Konzilien. Sonach gelangt auch nur das zu einer unfehlbaren Mitteilung an die Gesamtheit, was als Gegenstand des übernatürlichen und zur Erlangung der ewigen Seligkeit notwendigen Glaubens von der Autorität der Kirche als von Gott geoffenbarten allen zu glauben vorgestellt wird.

Daraus erhellt von selbst, dass Gesichte und Privatoffenbarungen, auch wenn sie als echte und von Gott kommende vom Heiligen Stuhl bestätigt werden, nicht in Anspruch nehmen können, als Gegenstand des göttlichen oder übernatürlichen Glaubens zu gelten. Sie können für jene, welche sie lesen oder von anderen sie hören, nur das Gewicht einer bloß menschlichen Autorität haben und verlangen keine größere Ehrfurcht und Unterwerfung, als sie jeder Katholik den bewährten Lebensbeschreibungen von Heiligen oder den asketischen Schriften heiliger Verfasser zu geben gewohnt ist.

Will nun der Leser die angegebenen Grundsätze auf die hier dargebotenen Gesichte der Anna Katharina anwenden, so wird er keinem Punkte begegnen, der irgendwie nur den leisesten Widerspruch gegen den heiligen Glauben enthielte. Im Gegenteil wird er mit höchster Befriedigung wahrnehmen, wie es nicht leicht ein Buch geben kann, das einfacher und tiefer in die Geheimnisse unseres heiligen Glaubens einführt und das selbst den ganz Ungeübten mehr befähigt, die höchste Kunst zu erreichen, die der selige Thomas von Kempen bezeichnet: «In vita Jesu Christi meditari», als das hier gebotene. Was aber als «neu» in ihm erscheinen wird, das wird sich in seinem wahren Verhältnis zu Altem ohne besondere Mühe erkennen lassen.

Gleiche visionäre Veranlagung wie bei Hildegard

Bei der nun folgenden Darstellung der Gabe des Schauens, welche Anna Katharina in einem Grade besaß, wie wohl nur wenige bevorzugte Seelen, können ihre eigenen Mitteilungen uns einen um so zuverlässigeren Führer abgeben, als sie durch Äußerungen ähnlich Begnadeter erläutert und bestätigt werden.

Die hl. Hildegard von Bingen war nach eigenem Geständnis bereits in frühester Jugend mit der Gabe des Schauens begnadet: «Als ich erst drei Jahre alt war, erhielt ich vom Himmel ein so großes Licht, dass meine Seele im Innersten darob erzitterte. Aber ich war wegen der zu großen Jugend außerstande, etwas darüber vorzubringen. Von meinem fünften Jahre an aber hatte ich ein wunderbares Verständnis der Gesichte, und wenn ich manches davon in Einfalt erzählte, wunderten sich die, so es hörten, von wem ich sie hätte und woher sie mir zukämen. Ich selbst geriet über mich in Erstaunen, da ich, während ich innerlich Gesichte hatte, doch zugleich die Außenwelt durch die Sinne wahrnahm, aber dergleichen nicht auch von anderen Menschen hörte. Darüber kam ich in große Furcht und getraute mir nicht mehr, von meinem inneren Lichte mit anderen zu reden.»

In noch früherem Lebensalter empfing dies übernatürliche Licht Anna Katharina, welche am 8. September 1821 als ihrem 47sten Geburtstage folgendes hierüber berichtet. «Da ich am 8. September geboren bin, hatte ich heute eine wunderbare Anschauung von meiner eigenen Geburt und Taufe und war dabei in einem ganz seltsamen Gefühl. Ich fühlte mich als ein neugeborenes Kind auf den Händen der Frauen, die mich nach Coesfeld zur Taufe tragen sollten und schämte mich in der Empfindung, so klein und hilflos und doch schon so alt zu sein. Denn alles, was ich damals schon als neugeborenes Kind empfunden und gefühlt hatte, das sah und erkannte ich jetzt wieder, jedoch mit meinem jetzigen Verstand vermischt. Schon damals war mir mein Schutzengel sichtbar gegenwärtig, wie später immer. Ich sah alles um mich her: die alte Scheune, in der wir wohnten und alles, wie ich es im späteren Leben nicht mehr sah, da schon manches verändert war. Ich fühlte mich mit vollem Bewusstsein den ganzen Weg von unserer Hütte in Flamske bis in die Jakobi-Pfarrkirche in Coesfeld getragen: Ich fühlte alles und sah alles um mich her.

Ich sah die ganze heilige Taufhandlung an mir verrichten und es gingen mir dabei die Augen und das Herz auf eine wunderbare Weise auf. - Ich sah, als ich getauft wurde, meinen Schutzengel und meine hl. Namenspatrone, die hl. Anna und Katharina, bei der heiligen Handlung gegenwärtig. Ich sah die Mutter Gottes mit dem kleinen Jesuskind und wurde mit ihm durch Darreichung eines Ringes vermählt. Es wurde mir nun alles Heilige, alles Gesegnete, alles was mit der Kirche zusammenhängt, so lebendig fühlbar, als es nur irgend jetzt der Fall ist.

Ich sah wunderbar tiefsinnige Bilder vom Wesen der Kirche. Ich fühlte die Gegenwart Gottes im heiligsten Sakrament. Ich sah die Gebeine der Heiligen in der Kirche leuchten und erkannte die Heiligen, die über ihnen erschienen. Ich sah alle meine Vorfahren bis zu dem zuerst unter ihnen Getauften. Ich erkannte in einer langen Reihe von Sinnbildern alle Gefahren meines künftigen Lebens. Als ich aus der Kirche wieder nach Hause über den Kirchhof getragen wurde, hatte ich ein lebhaftes Gefühl von dem Zustand der Seelen der hier bis zur Auferstehung ruhenden Leiber, unter denen ich einige heilige Leiber hell und herrlich leuchtend mit Ehrfurcht bemerkte.»

Aus dieser Mitteilung geht hervor, dass Anna Katharina das Schauen als Naturanlage schon im Mutterleib empfangen hatte, und zwar in solcher Stärke, dass gleich bei der Geburt ihr geistiges Wahrnehmungsvermögen sowie die leiblichen Sinne weit über das gewöhnliche Maß tätig sein konnten. Als bloßer Naturanlage jedoch steht diesem Schauen nur das Gebiet des Natürlichen offen. Und es verhält sich zum übernatürlichen oder prophetischen Schauen als dessen Grundlage und Voraussetzung, aber nicht einmal als notwendige Voraussetzung, da dies höhere Schauen von Gott einer Seele als Gnadengabe verliehen werden kann, welche eine natürliche Anlage dafür nicht oder nur in sehr geringem Maße besitzt. Das Gebiet des übernatürlichen Schauens ist das Reich der Gnade oder die Kirche, welcher der Mensch durch die heilige Taufe einverleibt wird. Darum empfangt Anna Katharina dies höhere Licht erst dann, als sie durch Eingießung der heiligmachenden Gnade ein lebendiges Glied des Kirchenleibes geworden ist. Jetzt erst «gehen ihr Herz und Auge in wunderbarer Weise auf», und sie schaut die Wirkungen des heiligen Sakramentes, die Kirche und ihre Geheimnisse und alles, was zu ihr in lebendigem Kontakt steht.

Das bewusste oder reflektierende Verständnis des Geschauten hält darum gleichen Schritt mit der natürlichen Entfaltung des Bewusstseins überhaupt, wie dies aus einer anderen Mitteilung Anna Katharinas erhellt: «Über solchen Gedanken war ich immer ganz versunken und vergaß Essen und Trinken, so dass ich meine Eltern oft sagen hörte: <Was hat nur das Kind? Was ist nur mit dem Annthrinken?> »

Dieser Kindheitserinnerung kann man entnehmen, wie Anna Katharina in frühester Kindheit der unvergleichlichen Schönheit der Paradieses-Unschuld inne geworden war, dass sie sich aber des Abstandes der Gegenwart und ihrer Umgebung von dem Inhalt ihrer Anschauungen nur allmählich und nach Maßgabe der eigenen kindlichen Erfahrung klar bewusst werden konnte. So sagte sie auch einmal: «Ehe ich wusste, was das Wort Prophet heißt, hatte ich schon Bilder von einem wunderbaren Wagen, an dessen Rädern die vier Tiere der Offenbarung waren.

Warum? Das weiß ich nicht... Ich hatte die Gesichte so früh, dass ich mich erinnere, wie mein Vater mich als ein kleines Kind zwischen seine Knie nahm und am Feuer sitzend zu mir sagte: Nun bist du in meinem Kämmerchen, nun erzähle mir was! Und nun erzählte ich ihm allerhand biblische Geschichten, und da er gar nichts dergleichen oder auf diese Art gesehen, weinte er, dass die Tropfen auf mich niederfielen und sagte: Kind, wo hast du das her? Da sagte ich ihm, dass ich das so sehe, worauf er still wurde und mir nichts mehr sagte.»

Im fünften Lebensjahr nun trat bei Anna Katharina dasselbe ein, was bei der hl. Hildegard eingetreten war, es ging ihr mit dem Schauen zugleich das tiefere Verständnis des Geschauten auf und sie war imstande, sich über den Inhalt der Gesichte nähere Rechenschaft zu geben und sie von den Akten des Glaubens und der im Glauben enthaltenen Gewissheit und Verdienstlichkeit zu unterscheiden. Sie sagt hierüber: «In meinem fünften bis sechsten Jahre, als ich den ersten Artikel des katholischen Glaubensbekenntnisses betrachtete: Ich glaube an Gott Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde. Da kamen mir allerlei Bilder von der Erschaffung Himmels und der Erde vor die Seele. Ich sah den Sturz der Engel, die Erschaffung der Erde und des Paradieses, Adams und Evas Sündenfall.

Ich dachte nicht anders, als das sehe ein jeder Mensch so, wie die anderen Dinge um uns her, und so erzählte ich dann meinen Eltern, Geschwistern und Gespielen ganz unbefangen davon, bis ich merkte, dass man mich auslachte und fragte, ob ich ein Buch habe, worin das alles stehe. Da fing ich nach und nach an, von diesen Dingen zu schweigen und dachte, es schicke sich wohl nicht, von solchen Sachen zu reden, ohne mir jedoch besondere Gedanken darüber zu machen. Ich habe diese Gesichte gehabt sowohl bei Nacht als auch bei hellem Tag im Feld, im Haus, gehend, arbeitend, unter allerlei Geschäften.

Als ich einmal in der Schule ganz kindlich anders, als es gelehrt wurde, von der Auferstehung sprach, und zwar mit Gewissheit und in der unbefangenen Meinung, das müsse jedermann auch so wissen wie ich, und gar nicht ahnend, dass dies eine persönliche Eigenschaft von mir sei, wurde ich von den Kindern mit Verwunderung ausgelacht und bei dem Magister verklagt, der mich ernstlich ermahnte, solche Vorstellungen mir nicht einzubilden.» «Ich sah aber diese Gesichte stillschweigend fort, wie ein Kind, das Bilder betrachtet und sie sich auf seine Weise auslegt, ohne viel zu fragen, was dieses und jenes bedeute.

Weil ich nun öfter die gewöhnlichen Heiligenbilder oder Darstellungen aus der biblischen Geschichte bald so, bald anders dieselben Gegenstände vorstellen sah, ohne dass dies irgend eine Änderung in meinem Glauben gemacht hätte, so dachte ich, die Gesichte, die ich habe, sind mein Bilderbuch und betrachtete dieses in allem Frieden und machte immer die gute Meinung dazu: Alles zur größeren Ehre Gottes!

Ich habe nie etwas in geistlichen Dingen geglaubt, als was Gott der Herr geoffenbart hat und durch die heilige katholische Kirche zu glauben vorstellt, es sei solches ausdrücklich geschrieben oder nicht. Und nie habe ich das, was ich in Gesichten gesehen, ebenso geglaubt. Ich sah diese an, wie ich hie und da verschiedene Weihnachtskrippen andächtig betrachtete, ohne an der einen durch die Verschiedenheit der anderen gestört zu werden. Ich betete in einer jeden nur dasselbe liebe Jesuskindlein an, und so ging es mir auch bei diesen Bildern von der Schöpfung Himmels und der Erde und des Menschen, ich betete Gott den Herrn, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde darin an.»

Das Geheimnis der übernatürlichen Schau

Da Anna Katharina sich über das übernatürliche Licht, in und durch welches sie ihre Gesichte wahrnimmt, nicht näher erklärt, indem sie nur einmal sagte: «Ich habe eine sehr schöne Eröffnung davon gehabt, dass das Sehen mit den Augen kein Sehen sei, und dass es ein anderes inneres Sehen gebe. Jetzt aber ist es mir entfallen» - so können wir uns der diesbezüglichen Mitteilungen der hl. Hildegard bedienen, die uns den erwünschten Aufschluss geben. Sie sagt nämlich: «Es ist dem sinnlichen Menschen schwer, zu verstehen, auf weiche Weise die Gesichte geschaut werden. Ich sehe zwar von meiner Kindheit an bis auf mein gegenwärtig 47stes Jahr das mir von Gott gegebene Licht immer in meiner Seele, fasse es aber nicht mit den leiblichen Augen, noch mit den Gedanken meines Herzens noch durch Vermittlung der fünf Sinne.

Die leiblichen Augen jedoch verlieren neben diesem Licht so wenig ihr Sehvermögen, als die anderen Sinne ihre Tätigkeit. Das Licht nämlich, das ich habe, ist kein räumliches oder körperliches, sondern heller als der Träger des Sonnenlichtes: Ich sehe in ihm weder Tiefe noch Länge noch Breite. Es wird mir genannt: Der Schatten des lebendigen Lichtes. Und so wie die Sonne, Mond und Sterne im Wasser widerscheinen, so wird mir in ihm Geschriebenes und Gesprochenes und Eigenschaften und Werke der Menschen sichtbar.

Was ich in diesem Schauen wahrnehme und erlerne, das behalte ich für lange Zeit, und ich schaue und vernehme und weiß auf einmal, wie in einem Augenblick, das, was ich wissen und erlernen soll. Das aber, was ich nicht schaue, das weiß ich auch nicht, denn ich bin wie eine, die nie einen Unterricht empfangen hat und ich gebrauche für das, was ich aus jenem Licht schreiben muss, keine anderen Worte, als die ich höre. Aber ich höre die Worte nicht so, wie sie aus dem Munde eines Menschen laut werden, sondern sehe sie als Feuerflamme, als Lichtwolke in reinem Äther. Von diesem Licht vermag ich so wenig eine Gestalt zu erkennen, als ich im Stande bin, in die Sonnenscheibe zu sehen.»

«Außerdem sehe ich zuweilen in diesem Licht ein anderes, das mir das lebendige Licht genannt wird. Doch sehe ich dieses nicht so oft, und vermag sein Wesen noch weniger anzugeben als das des ersteren. Wenn ich aber dasselbe empfange, dann schwindet mir alle Trauer und Plage aus dem Sinne, so dass ich bin wie ein einfältig Kind und nicht wie eine alte Frau. Des ersteren Lichtes, des Schattens des lebendigen Lichtes, entbehrt meine Seele nie, und ich sehe dasselbe wie ich etwa in einer lichten Wolke das Firmament ohne Sterne erblicke und in ihm schaue ich das, was ich aus dem Glanz des lebendigen Lichtes rede.»

Das Licht, von welchem die hl. Hildegard redet, ist nach der Erfahrung der Mystiker: die durch einen Engel vermittelte Einstrahlung des göttlichen Lichtes in die Seele des zum Schauen Berufenen, durch welches alle Kräfte der Seele über ihr natürliches Vermögen erhoben werden, so dass der Mensch befähigt wird, gleich einem reinen, körperlosen, d.h. nicht an die Tätigkeit der Sinne und anderer Organe gebundenem Geiste das zu schauen, was Gott in diesem Licht ihm mitteilen will. Das Licht verleiht also der Seele ein Zweifaches: das übernatürliche Sehvermögen und das Medium, in welchem dasselbe wirksam ist: Es ist sonach für dies Vermögen das nämliche, was für das leibliche Auge das Sonnenlicht oder für die natürliche Erkenntnis das jedem Menschen angeborene innere Licht.

Alles wird, sagt die hl. Hildegard, in diesem Licht dem Schauenden reflektiert, d.h. alles, was Gott ihn will erkennen lassen, denn die Wahl der Gegenstände, die geschaut werden, hängt nicht von der Willkür des Schauenden ab, sondern Gott selbst bestimmt dieselben je nach der besonderen Aufgabe, die eine derart begnadete Seele zu lösen hat. So ist es also die Ordnung Gottes, ob der Begnadete Zukünftiges oder Vergangenes, Verborgenes oder Fernes, natürliche oder übernatürliche Geheimnisse, ob er die Gedanken der Menschen und welcher Menschen schauen und erkennen soll, wie auch der Grad der Klarheit des Schauens und die Sicherheit, mit der das Geschaute behalten und anderen mitgeteilt wird, durch das Maß des von Gott verliehenen Lichtes bedingt ist.

Je höher also das Maß des verliehenen Lichtes, um so ausgedehnter auch der Kreis des Geschauten. Sollen räumlich ferne Gegenstände in ihm wahrgenommen werden, so entsteht das Hellsehen, was als übernatürliche Gnadengabe nicht mit dem natürlichen Hellsehen oder Somnambulismus verwechselt werden darf.

In ihm werden die Gegenstände selbst wahrgenommen, sei es durch das bloße Schauen in die Ferne oder durch das Entrücktwerden des Schauenden an den Ort hin selbst, wo die Gegenstände sich befinden oder wo die Handlung geschieht oder geschehen ist. Beim Schauen aber in die Vergangenheit oder in die Zukunft werden nur die Bilder der nicht mehr oder noch nicht in Raum und Zeit existierenden Gegenstände der Einbildungskraft des Schauenden durch Gott auf übernatürliche Weise zugeführt.

Wenn also z.B. Anna Katharina ein Ereignis aus dem Neuen oder Alten Testament gezeigt wird, so werden ihr in dem eingegossenen Licht die Bilder der handelnden Persönlichkeiten, des Ortes und der ganzen Umgebung so treu und vollständig wie in einem Spiegel vorgehalten, dass dieselben der Einbildungskraft und dem Gedächtnis sich gewissermaßen ebenso natürlich einprägen, wie wenn sie der Sehenden durch die äußeren Sinne und das natürliche Wahrnehmungsvermögen wären zugeführt worden, oder wie wenn Anna Katharina beim Ereignis selber als Augenzeugin wäre handelnd zugegen gewesen.

Der Unterschied besteht nur in dem unendlich höheren Grad der Deutlichkeit und Klarheit, welcher beim Schauen stattfindet, indem nicht bloß die äußere Handlung, sondern auch die inneren Motive und deren Verkettung und die handelnden Personen in ihrer geheimsten Gesinnung und alle inneren Affekte wahrgenommen werden.

Mit diesem Schauen in eingegossenen Bildern kann das Hellsehen oder Entrücktwerden zugleich verbunden sein, indem Anna Katharina die Ereignisse aus dem Leben Jesu genau an Ort und Stelle sieht, wo sie einstens in Wirklichkeit geschehen sind, sei es in Jerusalem oder an anderen Orten des Heiligen Landes. Sie wird dahin entrückt, und dort angelangt, schaut sie die Ereignisse und Handlungen nach getreuestem historischen Verlauf in Bildern.

Die hl. Hildegard nennt das Licht raum- und körperlos und unfassbar für jedes nur natürliche Vermögen, denn es hebt seinem Wesen nach jede Schranke der Zeit und des Raumes für den Schauenden auf und befreit sein Denken und Erkennen von allen hemmenden Fesseln, denen es im gewöhnlichen Zustand unterliegt.

Die fernste Zukunft oder Vergangenheit ist in ihm lichte Gegenwart und mühelos sind auf einen Blick die tiefsten Wahrheiten und verborgensten Geheimnisse der natürlichen wie übernatürlichen Ordnung in ihren letzten Gründen offenbar.

Es ist nicht notwendig, dass die natürliche Sinnentätigkeit und der durch sie vermittelte Verkehr des Schauenden mit der Außenwelt durch den «Schatten des lebendigen Lichtes» unterbrochen wird. So lange nämlich die Seele nicht Gott oder die Wahrheit bildlos schaut, so lange also Erschaffenes der Gegenstand ihrer Gesichte ist, ist das natürliche Licht dem übernatürlichen keine Hemmung und darum nicht vonnöten, dass der Schauende von aller Sinnentätigkeit völlig abgezogen werde. Das aber wird geschehen, dass vor der Klarheit des übernatürlichen Lichtes die Sinnenwelt wie ein Traum und das ihr angehörende Licht wie Dunkelheit und Nacht erscheint.

Von dem Gesagten gibt Anna Katharina einen überraschenden Aufschluss, wenn sie ihr visionäres Leben also beschreibt. «Ich bin bei meiner Arbeit - sie meint die Näharbeiten für Arme und Kranke, die sie, wenn immer ihre Leiden es zuließen, Tag und Nacht mit größtem Eifer unter ihren Visionen besorgte - immer so im Gesicht, dass ich wie im Traum den Schnitt der Schere laufen sehe, und manchmal glaube ich, ich schneide durch die Gegenstände mitten durch, von denen ich im Gesichte umgeben bin.

Die wirkliche Umgebung ist mir wie ein Traum. Es erscheint in ihr alles so trüb, so undurchsichtig und unzusammenhängend, dass sie ein roher Traum scheint, zwischen dem ich in eine lichte, durch und durch verständliche Welt schaue, in welcher das Gute und Heilige tiefer ergötzt, weil man seinen Weg aus Gott und zu Gott hin erkennt, und in welchem alles Böse und Unheilige tiefer betrübt, weil man seinen Weg aus dem Teufel in den Teufel und gegen Gott und die Kreatur erkennt. Dies Leben, in welchem einen hindert nicht Zeit, nicht Raum, kein Körper, keine Verschwiegenheit - dies Leben, wo alles spricht und alles leuchtet, scheint so vollkommen und frei, dass die blinde, lahme und stammelnde Wirklichkeit als leerer Traum darin erscheint.

So sehe ich z.B. die Reliquien immer neben mir leuchten, und manchmal sehe ich wie Scharen kleiner ferner Menschengestalten in Wolkenferne über den Reliquien stehen. Wenn ich mich aber zusammennehme, treten die Gestalten der Kasten und Räume wieder hervor, in welchen die leuchtenden Gebeine ruhen.»

In Bezug auf das Leuchten der Reliquien äußerte sie bei einer anderen Gelegenheit: «Ich kann die Empfindung nicht beschreiben, ich sehe nicht nur, ich fühle ein Licht, oft heller, oft bleicher. Es ist, als ströme mir dies Licht zu, wie eine Flamme nach dem Luftzug strömt.

Ich fühle aber auch einen Zusammenhang dieses Strahles mit einem ganzen Lichtkörper und dieses Körpers mit einer Lichtwelt, welche aus einem Licht entstanden: Wer kann es sagen? Dieser Strahl reißt mich hin. Ich muss ihn notwendig ans Herz führen (sie führte die ihr gereichten Partikel immer unwillkürlich nach dem Herzen) und nun ist es, so ich tiefer versinke, als ginge ich durch den Strahl in den Körper, dem er gehört, und in die Bilder seines Lebens und in seine streitenden und leidenden oder triumphierenden Beziehungen.

Dann bin ich im Gesichte nach solcher Richtung, wie es Gott gefällig ist. Es ist ein wunderbares geheimes Verhältnis zwischen unserem Körper und unserer Seele. Die Seele heiligt und entheiligt den Leib, sonst könnte keine Sühnung, keine Buße durch den Leib geschehen. Wie die Heiligen durch ihren Leib Leben wirkten, so wirken sie von ihm getrennt auch noch durch denselben auf die Gläubigen. Der Glaube aber ist die Bedingung aller Empfänglichkeit heiliger Einwirkung.»

Wie Anna Katharina so im natürlich-wachen Zustand Gesichte hatte und Reliquien erkannte, so sah sie auch durch die ganze Kirche hin die ununterbrochene Feier des heiligsten Messopfers. Als einmal der Pilger in ihre Stube trat, da eben zur heiligen Wandlung geläutet wurde, betete sie in tiefer Sammlung und sagte danach. «Ich habe in diesem Augenblick das Karfreitagsbild, wie der Herr sich am Kreuze opfert und Maria und den Jünger unter dem Kreuz lebhaft gesehen über dem Altar des Messe lesenden Priesters. Ich sehe dies in jeder Stunde des Tages und der Nacht und sehe die ganze Gemeinde, wie sie gut und schlecht betet und sehe auch, wie der Priester sein Amt tut.

Ich sehe erst die Kirche hier, dann die Kirchen und Gemeinden ringsum, etwa wie man einen nahen Baum mit Früchten von der Sonne beleuchtet sieht und in der Ferne andere in Gruppen oder einen Wald. Ich sehe die Messe zu allen Stunden des Tages lesen durch die Welt. Ja ich sehe entfernte Gemeinden, wo sie noch ganz gelesen wird wie bei den Aposteln. Über dem Altar sehe ich in einer Vision einen himmlischen Dienst, wo die Engel alles ersetzen, was der Priester versäumt. Für die Unandacht der Gemeinde opfere ich dann auch mein Herz auf und flehe den Herrn um Erbarmung an.

Ich sehe viele Priester das Amt erbärmlich halten. Die Steifen, welches alles anwenden, die Äußerlichkeit nicht zu verletzen, sind meist die schlechtesten, weil sie oft alle Innerlichkeit über dieser Sorge versäumen. Sie denken stets: Wie werd' ich gesehen vom Volk? und sehen darüber Gott nicht. Ich habe diese Empfindung von Jugend auf.

Als der Pilger hereinkam war ich im Schauen der Heiligen Messe: Ich sehe sie fort und wenn ich rede, so ist dies, als wenn man während der Arbeit mit einem fragenden Kinde spricht. Ich bin oft am Tage in diesem andächtigen Fernsehen.

Jesus liebt uns so, dass Er sein Erlösungswerk in der Heiligen Messe ewig fortsetzt, und die Heilige Messe ist die verhüllte, zum Sakrament gewordene historische Erlösung. Alles Handeln Gottes ist ewig, aber in Bezug auf unser zeitliches Leben, welches zählt, ist es Verheißung, ehe es in die Zeit eintritt. Und es erscheint als Mysterium fortwährend, wenn es in der endlichen Zeit vorübergegangen. Ich sah dies alles schon in frühester Jugendzeit und glaubte, alle Menschen sehen dies so.»

Anna Katharina Emmerich las keine Bücher

Hatte die hl. Hildegard gesagt, dass sie nichts wisse, außer das, was sie schaue und im Schauen erlerne, so weist ebenso Anna Katharina auf ihre Gesichte als auf die ausschließliche Quelle ihres Wissens und aller Kenntnisse hin. Nach kaum viermonatigem Schulbesuch in ihrem siebten Jahr wurde sie schon wieder entlassen, da der Schulmeister erklärte, er vermöge ihr nichts beizubringen, da sie ohnehin alles schon vorher inne habe, ehe er sie belehre. Es verdient diese Tatsache eine besondere Beachtung, da das rein intuitive Verhalten der Anna Katharina auf all ihren Lebensstufen und in all ihren Lagen und Verhältnissen ein reflektierendes Nachdenken und überhaupt alles diskursive Denken fast unmöglich, weil ganz überflüssig machte, was, wie unten näher gezeigt wird, die vollständige Mitteilung ihrer Gesichte an den Pilger vielfach erschwerte.

Im Tagebuch von 1819 hat der Pilger am 8. Mai folgendes hierauf Bezügliche bemerkt: «Sie sagte mir, wie sie nie aus Büchern habe etwas brauchen können und immer gedacht habe: Ei! Ein so papierenes Buch soll mir keine Sünde aufheften! Auch kann sie nie aus der Schrift etwas behalten, hat aber das Leben des Herrn so aus der Gnade der Anschauung, dass das Bewusstsein und die Gewissheit, die ich davon habe, mich oft schaudern macht, dass ich mit dem wunderbarsten, begnadetsten Geschöpf, das vielleicht je bekannt geworden, so vertraut und unbefangen lebe.»

Ein andermal erzählte sie dem Pilger: «Ich habe nie aus den Evangelien und dem Alten Testament etwas lebendig behalten. Denn ich habe alles selbst gesehen mein ganzes Leben hindurch, und zwar alle Jahre wieder und ganz genau und pünktlich unter denselben Umständen, wenngleich manchmal andere Szenen.

Manchmal bin ich an Ort und Stelle mit den Zuhörern selbst gewesen und habe der Handlung wie eine Mitwandelnde, den Ort verändernd, beigewohnt, doch bin ich nicht jedes Mal auf derselben Stelle gestanden, denn öfter war ich über die Szene emporgehalten und sah auf sie nieder.

Anderes, besonders das Geheimnisvolle dabei, sah ich innerlich in einem mir Bewusstwerden, einzelnes in Bildern aus der Szene heraus. Ich hatte in allen Fällen das Durchsehen durch alles, so dass kein Körper den anderen decken konnte, ohne dass dadurch eine Verwirrung entstanden wäre.»

Auch in ihren reiferen Jahren konnte sich Anna Katharina mit den Büchern nicht befreunden: «Im Kloster wollte ich auch einige Mal in die Bücher hineingucken, aber es war mir ganz elend davon. Ich habe Gott sei Dank schier gar nichts gelesen und wenn ich in ein Buch sehe, meine ich, ich könne es auswendig.» Dies Letztere bezieht sich vornehmlich auf asketische Bücher oder das Leben der Heiligen und den Grund hiervon gibt sie in der ganz treffenden Bemerkung über das Leben des hl. Xaverius von Croiset an: «Ich habe von keinem Heiligen so viel gesehen, ich glaube, ich habe sein ganzes Leben schon gesehen. Diese Lebensbeschreibung kommt mir vor wie die weitläufig an einem Faden über ein Samenbeet aufgehängten Zettel, damit man wisse, was da und dort für ein Samen liege. Das ganze Beet aber sieht noch wie unbewachsene Erde aus. Doch kann ich mich dabei an den ganzen blühenden Garten erinnern, den ich gesehen.»

Doch nicht bloß das Übersinnliche und die Geheimnisse des Glaubens wusste die Gottselige aus den Gesichten, sondern selbst die Fertigkeiten des gewöhnlichen Lebens erlernte sie auf eine ihrem Schauen entsprechende Weise. Gar rührend spricht sie davon in einer Mitteilung aus ihrer Jugendzeit: «Wie gütig war Gott immer mit mir! Ich konnte alles: Er hat mit mir gearbeitet als Kind. Ich erinnere mich: Ich tat als ein sechsjähriges Kind schon wie jetzt (im 45. Lebensjahr). Ich weiß, mein jüngster Bruder war noch nicht geboren, da hütete ich die Kühe und wusste, es würde mir ein Bruder geboren werden. Woher ich es wusste, kann ich nicht sagen. Da wollte ich meiner Mutter gerne etwas für das Kind machen und konnte doch noch gar nicht nähen. Da hatte ich mein Puppenzeug mitgenommen und das Jüngsken (ihr Schutzengel) kam zu mir und lehrte mich alles und half mir, eine sehr zierliche Kindermütze und andere kleine Sachen aus meinem Puppenzeug zu machen, welche ich alle meiner Mutter schenkte. Die wunderte sich sehr, wie ich das zustande gebracht habe, nahm es jedoch und brauchte es und ich sah sie heimlich weinen und es anderen und dem Vater zeigen. Mir verbarg sie ihr Erstaunen.

Ich habe auch armen Kindern Strümpfe damals mit dem Jüngsken gemacht.» (Dezember 1819)

Zwei Arten von Visionen

Hildegard hat ein zweifaches Licht unterschieden: den Schatten des lebendigen Lichtes und das lebendige Licht selbst, welch letzteres ihr viel seltener zuteil wurde. «Schatten» nennt sie das erstere, weil dasselbe, dichter und der menschlichen Natur mehr angepasst, sich zu letzterem, das unendlich feiner und durchdringender ist, wie der Schatten zum lichten Sonnenstrahl verhält.

Sobald sie darum das lebendige Licht empfängt, wird sie dem Kreise ihres gewöhnlichen Lebens entrückt und findet sich heiter und unbefangen wie ein Kind, dem alle irdische Not und Plage gänzlich ferne liegt, sei es, dass sie in der höheren Ekstase ihrer Sinne beraubt ganz in Gott gesammelt ist, oder dass sie in diesem höheren Licht Geheimnisse schaut, die ihre Sinne der Außenwelt verschließen und sie mit wunderbarem Trost und seliger Freude erfüllen, damit sie also gestärkt wieder zur Mühsal des irdischen Lebens zurückkehren möge. Auch dieses findet sich im Leben der Anna Katharina. Aus vielen Erlebnissen nur ein Beispiel, um das Gesagte zu veranschaulichen.

In der Vigil von Weihnachten 1819 sah Anna Katharina die Feier dieses heiligen Festes, wie sie in der Triumphierenden Kirche begangen wird und durfte an ihrer Freude teilnehmen.

«Ihr Jubel war dabei so groß, dass der Pilger, vom Gefühl seines und aller Sünder Elendes übermannt, weinen musste, sie aber leuchtete vor Freude, und ihr Geist und ihr Wort und ihr Angesicht erhielten eine unaussprechliche, freudige Heiterkeit und Lebendigkeit, und sie erhielt eine solche Tiefe und Fertigkeit der Rede, das Höchste und Geheimste auszusprechen, dass der Pilger es nur fühlen konnte, was ihn tief erschütterte. Wiederholen kann er es nur in einem elenden Schatten, was sie mit mehr als Farben, was sie mit Flammen sprechend, aus der Nacht des Lebens heraustreten ließ.»

Hierher gehören überhaupt alle Visionen, welche sich auf den Verkehr der Anna Katharina mit der Triumphierenden Kirche beziehen, an deren Festen sie, wie früher die ihr so ähnliche selige Lidwina von Schiedam, nach dem Laufe des Kirchenjahres Anteil nehmen durfte. Sie war hierbei immer von solcher Freude durchströmt, dass sie in helles Singen und Jubilieren ausbrach, um mit den Chören der Seligen Gott zu lobpreisen.

Auch jene anderen Gesichte wurden im «lebendigen Licht» geschaut, die sie erhielt, um in ihren unaussprechlichen Leiden durch ihren göttlichen Bräutigam selbst getröstet und für die Übernahme neuer Peinen gestärkt zu werden.

Wenn die hl. Hildegard sagt, dass ihre Seele den Schatten des lebendigen Lichtes nie entbehrte, so trifft dies ebenfalls bei Anna Katharina vollkommen zu. Denn auch sie war desselben von frühester Kindheit bis zu ihrem Tode nie beraubt und lebte mehr in Gesichten als im Verkehr mit der Sinnenwelt. Während sie noch im Kloster war, war sie Tag und Nacht ganze Monate lang immer in Gesichten und in Gebetsarbeiten in Bildern, und dennoch verrichtete sie zugleich alle Arbeiten im Haus und in der Kirche.

Das Verständnis aber all dessen, was sie in diesem Lichte schaute, wurde ihr mit diesem allein nicht schon gegeben, sondern sie bedurfte wie die hl. Hildegard auch des lebendigen Lichtes, um das Geschaute zu verstehen und in seiner Bedeutung zu durchdringen. Anna Katharina nämlich verhielt sich bei all ihren Gesichten rein empfangend, sie trat unbefangen in ein Bild ein, und wie eine Person, die anfangs gar nicht weiß, was ihr eigentlich gezeigt wird und was nun werden soll, drückte sie ihre Verwunderung oder Überraschung aus, manchmal aber auch ein flehentliches Bitten, von diesem oder jenem Bild verschont zu werden: «Was soll ich arme Person denn damit machen?» Aus dem lebendigen Licht erhält sie dann das Verständnis und drückt dies etwa in folgenden Worten aus: «Mein Bräutigam zeigte mir alles ganz klar, deutlich und verständlich, klarer, als man das tägliche Leben sieht, und ich meinte damals, das könne ein Kind verstehen, und jetzt kann ich davon nichts mehr vorbringen ... Ich sah unendlich viel, was sich gar nicht aussprechen lässt. Wer denn kann mit der Zunge sagen, was er anders sieht, als mit den Augen?»

Die Gabe der Visionen war für Anna Katharina mit Leiden und Qualen an Leib und Seele verbunden, vor deren Härte die menschliche Natur erzittert, auch wenn in langjährigem, heroischem Ertragen derselben die Geduld zu größtem Heldenmut erstarkt ist. Daher das so häufige Flehen zu Gott, dies und jenes nicht sehen zu müssen, daher die Klage: «Ach! Warum muss ich nur alle diese Sachen sehen! Was kann mir das nützen?

Und wenn Sie wüssten, wie entsetzlich ich leiden und ausstehen muss, das alles zu erzählen!»

Diese Leiden hatten ihren Grund in der tiefen, sie ganz erfüllenden Erkenntnis der Heiligkeit Gottes und des Sündenelends der Welt, und da ihr, dem reinen schuldlosen Kinde, zur Übernahme der Buße für die mannigfaltigsten Verschuldungen alle Gräuel und alles Elend der sündhaften Welt gezeigt wurden, so glaubte sie oft, der Qual dieses Anschauens erliegen zu müssen.

So erzählte Anna Katharina am 13. Dezember 1819: «Ich habe heute Nacht immerwährend kämpfen müssen und bin noch ganz ermüdet von dem Wehren gegen die traurigen Bilder, die ich gehabt. Mein Führer brachte mich um die ganze Erde, und zwar fortwährend durch weite Höhlen von Finsternis erbaut, in welchen ich unzählige Menschen durcheinander irren und in den Werken der Nacht begriffen sah. Oft, wenn ich es gar nicht aushalten konnte vor Betrübnis, brachte mich mein Führer ein wenig ans Licht herauf, dann musste ich wieder in die Finsternis und musste wieder alle Gottlosigkeit ansehen.

Oft wachte ich vor Angst und Schrecken auf (d.h. aus dem ekstatischen Schlaf) und sah den Mond so ruhig in die Fenster scheinen und jammerte zu Gott, Er solle mich doch die schrecklichen Bilder nicht sehen lassen! Aber ich musste wieder in die fürchterlichen Nachträume hinab und die Gräuel ansehen.»

Als am 19. Juli 1820 Anna Katharina in einer großen Vision der damalige Zustand der Kirche Spaniens und die später über sie hereinbrechenden Verfolgungen gezeigt wurden, wurde sie auch so betrübt, dass der Gedanke in ihr erwachte, «warum muss ich elende Sünderin alles das sehen? Ich kann es nicht wiedererzählen und so vieles nicht verstehen!»

Da erhielt sie von ihrem Führer zur Antwort: «Du sagst davon, was Du vermagst! Du kannst nicht ermessen, wie viele Seelen dieses einstens lesen und dadurch getröstet, erweckt und gefördert werden. Es sind viele Geschichten solcher Begnadigungen da, aber sie sind teils nicht gehörig aufgefasst und das Alte ist den Leuten fremd und durch frevelhafte Beschuldigung getrübt. Was Du erzählen kannst, wird hinreichend aufgefasst und es kann vielen Segen bringen, den Du nicht einsiehst.» «Das tröstete mich.»

Görres: Das größte religiöse Weltepos

Aus dem Angeführten mag der Leser leicht ahnen, wie umfassend überhaupt die Gesichte der Anna Katharina gewesen sind. Johann Joseph von Görres (1776-1848), Verfasser des großen Werkes «Christliche Mystik» in fünf Bänden, der in die Tagebücher des Pilgers Einsicht genommen hatte und wie Wenige unserer Zeit befähigt war, den Geist dieser Begnadeten zu prüfen, drückt sich hierüber im zweiten Band seiner Mystik (S. 348) also aus: «Ähnliches hat sich in unseren Tagen an der Emmerich von Dülmen wiederholt. Nicht bloß auf die Passion haben ihre Gesichte sich beschränkt, sondern drei Jahre hindurch folgen sie dem Herrn durch alle seine Wege Schritt vor Schritt, über ganz Palästina; die Natur des Landes, Ströme, Berge, Wälder, bewohnte Orte, die Einwohner, ihre Wohnstätten, Sitten und Gebräuche, Kleidung und Lebensweise. Alles geht in den klarsten anschaulichsten Bildern an ihr vorüber.

Episodisch knüpfen sich dann an Menschen und Örtlichkeiten, und die zwischenlaufenden Festbilder des Kirchenjahrs, Rückblicke in die noch frühere Vergangenheit, so dass auch diese bis zum ersten Ursprung der Dinge in einer großen umfassenden Anschauung vor ihr liegt, und das ganze sich in ein gewaltiges, religiöses Weltepos zusammenschließt, das, vom Himmel zur Erde spielend, mit den Weltaltern sich gliedert und mit den Menschenaltern sich untergliedert, und wie es also, ein weltumkreisender Ozean, aus verborgener Quelle hinströmt, an der Oberfläche die Pracht seiner Ufer und den ausgelegten Reichtum der Zeiten spiegelnd, innen aber durchsichtig bis zum Grunde den Blick in die Wunderwelt der Tiefe, und den inneren verborgenen Zusammenhang der Dinge öffnend, im Ganzen das Wunderbarste, reichste, umfassendste, tiefsinnigste und ergreifendste Gesicht, das sich irgend je in dieser Art mystischer Auffassungsweise gebildet, vor dem anschauenden Sinn heraufführt.»

Damit aber der Leser eine mehr ins Einzelne gehende klare Anschauung des Umfanges der Gesichte von Anna Katharina gewinnen möge, wird ihm im Nachstehenden der Schlüssel zu diesem wunderbaren Kreis zu geben versucht.

Wie schon bemerkt, waren die ersten und die Mehrzahl der Gesichte ihrer Jugendzeit aus dem Alten Testament, nachher seltener, und immer mehr aus dem Leben des Herrn. Sie sah das ganze Alte Testament in seiner vorbildlichen und ewigen Bedeutung, d.h. in seinem innersten und allseitigen Zusammenhang mit dem Geheimnis der heiligsten Menschwerdung und Erlösung und sah diesen Zusammenhang lebendig, in seinem ganzen Verlauf herab durch die von Gott bestimmten Zeit- und Geschlechtsfolgen.

Sie sah die Persönlichkeiten, welche in dieser Ordnung des Heils von Gott berufen waren, zur Herbeiführung der Fülle der Zeiten mitzuwirken, nach ihrer ganzen Geschichte als ihrem Tun und Wirken bis ins Kleinste und erkannte die besondere Stellung und Bedeutung, welche sie zur Heilsperiode ihrer Zeit sowohl als zum Heiland selbst inne hatten, sah alle ihnen von Gott verliehenen Gnaden und Führungen, und die Fortleitung der Früchte und des Segens ihrer Wirksamkeit von Geschlecht zu Geschlecht. Neben allem diesem aber sah sie auch das Wirken des Reiches der Hölle und alle die tausendfaltigen Erscheinungen und Wirkungen des teuflischen Götzendienstes und erkannte alle Trübungen und Hemmungen, alle Angriffe und feindselige Gewalt, durch welche von Anbeginn dieses Reich die Ordnung des Heiles bedrohte.

Alle diese Bilder sah sie unter fortwährendem Bezug auf die unmittelbare Gegenwart. So knüpfte sich ihr an das Gesicht vom Stab des Elisäus die ganze Bedeutung des Hirtenstabes der Bischöfe und die Ursache seiner inneren Macht und Würde und wie dies alles zusammenhängt mit Dem, der alle gesendet, und dem Glauben, in welchem alle vom Sendenden übertragene Gewalt wirksam ist.

Wie endlich Anna Katharina alle äußeren Lebenschicksale von Noah, Henoch, Abraham und den Patriarchen sieht, so erkennt sie auch die vorbildliche Bedeutung jeder ihrer Handlungen und schaut die inneren Bünde der Gnade und deren geheimnisvolle Wirkungen, in welchen Personen, Geschlechter und Zeitalter unter sich und mit der Mitte aller Zeiten lebendig und ewig verknüpft sind, und legt dies in den tiefsinnigsten Anschauungen vom Patriarchensegen, der Bundeslade und den Voreltern Mariä vor Augen. So steigt sie herab in die Zeit der Erfüllung, und wie zuvor das Neue im Alten, so schaut sie jetzt das Alte im Neuen, und das ganze Leben des Gottmenschen auf Erden vom Augenblick der heiligsten Menschwerdung bis zur Himmelfahrt zieht in den umfassendsten Bildern mit dem ganzen Schauplatz seines Wandels und Wirkens und mit allen Personen, die dem Herrn nahe gekommen sind, an ihren Augen vorüber.

Sie schaut aber den Heiland in den Früchten seiner unendlichen Verdienste, sieht ihn als das Haupt der aus Ihm erneuerten Menschheit, d.h seines mystischen Leibes, der Kirche, und sieht letztere in all ihren Ordnungen, Abstufungen und Gliederungen ohne Schranke des Raumes und der Zeit. Denn in Ihm, dem Haupt, stehen ihr offen die Reihen der Triumphierenden Kirche, zu deren Festen sie nach dem Laufe des Kirchenjahres entrückt wird, um für die Mühsal ihrer irdischen Laufbahn getröstet zu werden. In Ihm sind ihr offen alle Räume der Leidenden Kirche, die sie nicht schauend bloß, sondern tröstend, helfend, lösend und befreiend durchwandelt.

In Ihm sind ihr endlich gegenwärtig alle Zeitalter der Kirche und das Leben und Wirken aller ihrer Heiligen von den Aposteln herab bis zur unmittelbaren Gegenwart, und sie sammelt gleich einer Biene die heiligen Früchte ihrer Verdienste, um damit allen Bedürftigen ihrer Zeit Labung und Hilfe zu bereiten.

Historisch fundiert

Alle diese Gesichte aber haben den strengsten historischen Charakter, sie sind nicht Reflexionen über das Geschehen, sondern sind der unmittelbare, vollkommene Reflex der Tatsachen selbst, die, wie das Bild im Spiegel, der Schauenden vorgehalten sind. Alban Stolz äußert sich in der Erzählung seines Aufenthaltes in Jerusalem Folgenderweise: «Während wir den Kreuzweg machten, sagte uns P. Wolfgang, dass er schon sechs Jahre in Jerusalem wohne und sich die heiligen Stätten zum Gegenstand seiner Studien gemacht habe. Dabei habe er auch das bekannte Buch der Anna Katharina Emmerich <Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus> verglichen und bis jetzt nichts darin gefunden, was der Situation der bezeichneten Stellen widerspräche. Auch der verstorbene Hug, der bekanntlich das Glaubensbrevier nicht zu weit steckte, sagte einmal in der Vorlesung: «Es ist wundersam, wie richtig und genau die Nonne von Dülmen die Orte des Leidens Christi bezeichnet. Ihre Angaben stimmen vollständig mit der Ortsbeschreibung des Josephus Flavius überein» (aus: Alban Stolz, Besuch bei Sem, Cham und Japhet).

Dadurch haben die Gesichte der Anna Katharina einen so hohen Vorzug vor den Gesichten der Maria von Agreda, wie dieselben in dem einst so viel besprochenen Buch «Die geistliche Stadt Gottes» niedergelegt sind. So ähnlich sich diese beiden Persönlichkeiten sind, was die Heiligkeit des Lebens betrifft, so groß ist andererseits die Verschiedenheit ihrer natürlichen Anlagen und ihres Verhaltens bei der Aufnahme des höheren Lichtes oder der Gabe des Schauens.

Aber auch da, wo sie nicht als Theologin entscheidet, wo sie wie Anna Katharina einfach Geschichtliches erzählt, hat die letztere den Vorzug des rein historischen Gesichtes, also der vollen historischen Treue. Dies mag der Leser aus folgendem Bericht des Pilgers in seinem Tagebuch vom 12. Januar 1823 in überraschender Klarheit entnehmen. Als er bei der Erzählung des Todes von Johannes dem Täufer Anna Katharina entgegnete, dass Maria von Agreda dies anders berichte, indem sie sage, Herodias habe den Johannes dreimal geißeln und peinigen lassen, und Jesus und Maria seien ihm erschienen und hätten ihn geheilt. Er sei in Ketten gelegen und schier verhungert, wenn ihn Jesus und Maria nicht ernährt hätten. Sie seien auch mit unzähligen Engeln bei seiner Hinrichtung erschienen, und Maria habe sein Haupt mit ihren Händen aufgefangen, - da erwiderte Anna Katharina hierauf:

«Ich habe oft solche Sachen gehört, die ganz missverstanden sind, denn bei vielen sind die Gesichte nicht historisch und so, wie die Sachen geschahen, sondern sind Betrachtungen, und diese werden dann zu Unrecht als Wirklichkeit genommen, was sie nicht sind, obwohl sie der inneren Bedeutung nach allerdings wahr sind. Wenn man selten und nicht zusammenhängend sieht, würde man das Ganze seinem Inhalt nach nicht fassen können, wenn nicht alles ineinander vermischt und verbunden erschiene. Wenn z.B. einer sehen sollte, dass ein Hingerichteter betet: <Herr, ich lege mein Haupt in deine Hände>, und auch, dass Gott dieses Gebet erhört, so könnte er leicht sehen, dass der Enthauptete seinen Kopf dem Herrn, der neben ihm steht, in die Hände legt und es wäre auch geistlicher Weise wahr, obschon sein Haupt irdischer Weise vor aller Augen zu Boden fiel. So mag der seligen Maria von Agreda mit den <Ketten und Banden> die Wut der Herodias, mit dem <Geißeln und Peinigen> die Schandtaten und Sünden im Schloss, die er fühlte und mit dem <Haupte auf Marias Händen> vorgestellt sein, dass er ihrer, in welcher er selbst noch im Mutterleib Jesus vor seiner Geburt schon begrüßte und verkündete, auch sterbend, vor seiner Geburt ins ewige Leben, gedachte. Man kann auch alle Gedanken und Gebete eines Menschen in Bildern sehen, ohne dass sie je körperlich geschehen sind.

Hierdurch scheinen oft manche Gesichte verschiedener Personen sich zu widersprechen und werden missverstanden. Sie sind aber Betrachtungen und nach der Art und dem Bedürfnis der Schauenden verschieden.»

Hilfsbereit für jede Not des Leibes und der Seele

Der Gesichtskreis der Anna Katharina wäre nicht in sich geschlossen und ihrem sühnenden Leiden und Wirken würde eine wesentliche Bedingung fehlen, würde sie nicht, wie die Zeitalter, so auch alle Teile der Kirche nach ihrer räumlichen Ausdehnung umfassen und alle ihre Gliederungen und Stufenfolgen, wie selbst die einzelnen, verborgensten ihrer hilfsbedürftigen Glieder sich gegenwärtig schauen, ja ihnen nahe kommen und mit ihnen verkehren können. Dieses in die Ferne Schauen und Wirken ist aber kein Hellsehen im gewöhnlichen Sinn, sondern ist ebenso durch das eingegossene übernatürliche Licht bedingt, also ein Werk der Gnade wie ihre historischen Gesichte. Denn mit dem Fernsehen ist immer ein Helfen, eine Leidensübernahme, ein Genugtun und Gnadenverdienst verbunden, das denen zu Gute kommt, mit welchen Anna Katharina Geistigerweise verkehrt.

Jede Not des Leibes und der Seele, in welche der Mensch gelangen kann, jede Gefahr, welche das irdische, zeitliche oder das geistliche, ewige Leben des Menschen bedroht, wird Anna Katharina gezeigt. Und dies nicht bloß in allgemeinen Bildern, sondern an einzelnen, bestimmten Persönlichkeiten, denen nach der geheimnisvollen Ordnung Gottes durch seine treue Magd Hilfe werden soll. So sind es Arme und Kranke in Gefängnissen, Krankenhäusern, Hospitälern, in Hütten des Elends und der Not, in Zuchthäusern, Galeeren und Seeräuberschiffen, denen sie zu Hilfe kommt. Es sind verlassene und vergessene Hilfsbedürftige in ihrer Heimat und in benachbarten Ländern ebenso wie in Russland, China und auf den Inseln des Stillen Ozeans, in den verborgensten Tälern der Schweiz, Tirols und Savoyens, wie auf den Gebirgen von Mittelasien, die sie bald tröstet, bald zur Kirche und dadurch zum ewigen Heil geleitet.

Sie steht Sterbenden bei, rettet aus Todesgefahren, verhindert Verbrechen, bekehrt Sünder und Gefallene, bewegt Verstockte zu reumütigem Beichten, welche jahrelang ihre Laster verschwiegen haben. Insbesondere aber ist es alles Wehe, das der Kirche Gottes zugefügt wird, sei es durch die weltliche Gewalt oder durch die Ränke und Angriffe der Ungläubigen, sei es durch die Gewissenlosigkeit und weltliche Gesinnung der Priester und Hirten, oder durch die Gleichgültigkeit, Verschleuderung und den Missbrauch der Gnaden, das in den Bereich ihrer steten Anschauungen und damit ihrer sühnenden Leiden gezogen ist.

Sie tritt den geheimen Arbeiten der Logen entgegen, die sie als die Widerkirche in allen Verzweigungen und ihrer ganzen Geschichte wie die Fäden eines Spinnennetzes überschaut. Sie verhindert Kirchenraub und Kirchenschändung, wohnt aber auch geistlichen Sitzungen bei, um wenigstens die Maßnahmen der faden Aufklärung und geistlosen Schulmeisterei zu hindern. Sie leidet für Seminarien und Klostergemeinden und ist in den letzten Jahren des Pontifikats Pius VII. auf ihren geistigen Reisen täglich in Rom, um den Heiligen Vater zu trösten, zu erleuchten und die Pläne der Gottlosigkeit zu enthüllen. Die erste Gebetsvision aber, die sie gehabt, war in ihrem elften Lebensjahr Marie-Antoinette gewesen, die Tochter von Kaiserin Maria Theresia, die unglückliche Königin von Frankreich, welche ihr im Gefängnis gezeigt wurde, um für sie zu beten.

Es ist reine, heilige Gottes- und Nächstenliebe, die schon im frühesten Lebensalter das Herz Anna Katharinas erfüllte, dass sie nichts anderes begehrte als Gott zu ehren und für ihre Mitmenschen zu leiden. Wie sie sich schon als Kind jede Annehmlichkeit versagte und in aller Kasteiung des Leibes sich übte, so bat sie auch zu Gott, wenn sie kranke Kinder weinen sah, deren Schmerzen auf sich nehmen zu dürfen. Und ihre Bitten wurden meist augenblicklich erhört. Noch tiefer aber ging ihr jede Beleidigung Gottes zu Herzen, und sie konnte nicht ruhen, bis sie, so viel sie konnte, Genugtuung dafür geleistet hatte.

Einmal mit anderen Kindern auf dem Felde sah sie, dass einige von diesen beim Spielen sich unschamhaft benahmen. Darob entsetzte sie sich so, dass sie davoneilte und sich in Nesseln wälzte, um diese Unbill an sich selbst zu bestrafen - sie, die von Gott des seltenen Vorrechtes gewürdigt war, nie in ihrem ganzen Leben auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben, was eine Regung der Sinnlichkeit oder fleischliche Begierde sei.

Ihr ganzes Wesen und äußeres Erscheinen war ein Widerschein dieser heiligen, einfältigen Liebe und übte auf alle, die ihr nahe kamen, eine geheime Gewalt, so dass sie vertrauend und Hilfe suchend sich an sie wandten. «Ich weiß nicht, woher es kommt» erzählte sie einmal dem Pilger -, «aber schon als junges Mädchen kam jeder, der einen Schaden hatte, zu mir, zeigte ihn mir, was ich davon dächte. Ich saugte dann die Wunden aus und sagte, dass ich keinen Ekel hätte und es würde wohl gut werden.» Sie besaß die Kraft, um Gottes Willen den Ekel zu unterdrücken, denn sie hatte trotz ihres armen und niedrigen Standes ein so ausnehmend feines Gefühl für äußere Reinheit und Sauberkeit, dass alle ihre Sinne sich sträubten, wenn irgend Schmutz, Unreinheit oder übler Geruch ihr nahe kamen. Das Aussaugen von Wunden musste ihr darum äußerst schwer fallen, aber ihre Liebe überwand alles. «Sonst fielen mir dann auch manchmal allerlei nützliche Mittel ein. Im Kloster kam einmal eine arme Frau zu mir, die hatte einen kranken Finger und der ganze Arm war bereits schwarz und Dr. K. hatte sie ausgescholten, dass sie es so arg habe werden lassen, Er müsse den Finger abschneiden. Da wurde die Frau ganz blass und kam zu mir klagen und jammerte sehr, ich solle ihr helfen. Ich betete für sie und es kam mir das Mittel in den Sinn.

Ich erzählte es der würdigen Mutter. Die erlaubte es, dass ich sie heile. Ich nahm Salbei und Myrrhen und Muttergotteskraut und kochte es in Wasser und ein wenig weißem Wein, tat Weihwasser dazu und machte einen Umschlag um den Arm. Gott muss es mir selbst gesagt haben. Denn am anderen Tag war der Arm dünn. Den Finger aber, der noch sehr krank war, hieß ich sie in heiße Aschenlauge und Öl tauchen. Er ging auf, es kam ein großer Dorn heraus, sie ist ganz genesen.»

«Ich habe meinen Sinnen immer Abbruch getan für die Armen Seelen, habe mich immer gesammelt. Und wo etwas Böses gesagt oder getan wurde, ein Kreuz auf meiner Brust gemacht, das hatte mich meine Mutter gelehrt. Alle meine Geschäfte tat ich in innerlicher Abziehung und hatte immer Gesichte. Wenn ich mit meinen Eltern aufs Feld ging oder sonst wohin, war ich nie auf Erden. Alles hier war ein dumpfer, verwirrter Traum.»

So waren also auch die Reisen wirkliche, wenngleich im Geiste vollbracht, und Anna Katharina war wirklich an den Orten, an die sie vom Führer gebracht, und war wirklich auf den Wegen, auf welchen sie von ihm geleitet wurde, indem die geistige Entrückung zugleich eine leibliche war.

Aus diesen Erscheinungen wie aus anderen körperlichen Verletzungen, welche Anna Katharina z.B. aus Jerusalem, wo sie sich im eilenden Lauf durch die Straßen mit der Kniescheibe an einem Stein verwundete, sowie von ihren Gebetsarbeiten aus den Gesichten mitbrachte, geht unzweifelhaft hervor, dass ihr leibliches Leben in gleicher Weise über die natürlichen Schranken erhöht wurde wie ihr Seelenvermögen. Es ist darum nicht vonnöten, sich die körperliche Entrückung in einer grobsinnlichen Weise zu denken, als wäre etwa der ganze Leib entrückt. Es ist nur das leibliche Leben, oder Lebensprinzip, zugleich mit dem seelischen über seine gewöhnliche Sphäre erhöht und darum ebenso mit seinen Sinneswerkzeugen in die Ferne fühlend, empfindend und leidend, wie die Seele mit ihrem Vermögen in die Ferne schauend und handelnd. Daher kommt es, dass, wie Anna Katharina sagt, zwar ihr Leib krank und elend zu Bett liegt, aber doch den Reiseweg, seine Verschiedenartigkeit und alle Anstrengung auf demselben wirklich empfindet, und zwar so, dass alle Eindrücke und Vorkommnisse auf demselben nicht bloß die Einbildung, sondern auch den Körper selbst berühren und in ihm haften bleiben.

Der Schlüssel zu dieser wunderbaren Erhöhung des leiblichen Lebens lässt sich in der Gnade der Stigmatisation, dieser höchsten im irdischen Leben möglichen Transformation des menschlichen Leibes in den Leib Jesu Christi, so wie in dem Allerheiligsten Sakrament finden. Dadurch nämlich, dass Anna Katharina gewürdigt ist, an ihrem Leib die Wundmale des Heilandes zu tragen, d.h. die Leiden und Schmerzen des physischen Leibes Christi auf sich zu nehmen, ist sie auch befähigt, sich den Leiden seines mystischen Leibes zu substituieren und in der ausgedehntesten Weise durch und für den ganzen Leib der Kirche leidend zu wirken. So ist notwendig ihr leibliches Leben über die gewöhnlichen Bedingungen des irdischen Bestandes und Wirkens erhoben. Nicht mehr gebunden an die Schranken des Raumes, bedarf es auch des natürlichen Schlafes so wenig als natürlicher Nahrung, denn vergeistigt ist es tätig gleich der Seele, mit der es allein vom Brot der Engel und den himmlischen Erquickungen lebt, die zuweilen gereicht werden, um der Pein der übernommenen Mühsale und Sühnungswerke nicht zu erliegen.

Persönlichkeiten im Leben der Anna Katharina Emmerich

Als sie nach gewaltsamer Aufhebung des Klosters wieder in die Welt zurückzukehren gezwungen war, war es der fromme P. Lambert, ein emigrierter französischer Ordensmann, der ihre geistliche Leitung auf sich nahm. Alter, Krankheit, die Sorgen einer kümmerlichen Existenz, so wie der bis zur Verfolgung sich steigernde Argwohn, mit dem Anna Katharina von geistlicher und weltlicher Macht beobachtet und den schonungslosesten Untersuchungen bis zur Gefährdung ihres Lebens unterworfen wurde, hatten jedoch den armen Mann so eingeschüchtert, dass er sein Beichtkind oft flehentlich bat, die Gesichte zu verschweigen und lieber alles zu unterdrücken, als sich und ihn selbst neuen Qualen auszusetzen. Obwohl von der Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen und der Heiligkeit ihres Lebens vollkommen überzeugt, besaß Lambert überdies nicht die nötige Geistesstärke, um die ganze Bedeutung der Sache zu würdigen und für eine Abfassung der Mitteilungen die entsprechenden Vorkehrungen treffen zu können.

Sein Nachfolger wurde der viel jüngere Exdominikaner Limberg, ein Mann von großer Frömmigkeit, aber von sprödem und ängstlichem Charakter, der nichts von Visionen hören wollte und alles, was Anna Katharina vorbrachte, einfach für Träumereien erklärte.

So ging es, bis Bernhard Overberg (1754-1826), Regens des Priesterseminars, Regierungs- und Schulrat, der außerordentliche Gewissensführer von Anna Katharina wurde. Nach langer und genauester Beobachtung ihrer wunderbaren Zustände von der Echtheit derselben überzeugt, musste er zwar wünschen, dass ihre Gesichte der Mit- und Nachwelt gerettet würden. Allein seine Berufsgeschäfte erlaubten ihm nicht, Münster auf längere Zeit zu verlassen und sich selbst der mühevollen Arbeit zu unterziehen. Zu gleicher Überzeugung wie er gelangten auch der berühmte Graf Stolberg (1750-1819) und Bischof Johann Michael Sailer (1751-1832), Bischof von Regensburg und Reformator des katholischen Deutschlands, durch deren Vermittlung Clemens Brentano Zutritt und freundlichste Aufnahme bei Anna Katharina fand.

Doch muss hier noch eines Mannes gedacht werden, der vom Jahre 1813 an bis zu ihrem Tod der treueste Freund von Anna Katharina gewesen ist, nämlich Dr. Franz Wilhelm Wesener aus Dülmen.

Dem Herausgeber liegen seine Tagebücher und selbst das Protokoll in Abschrift vor, welches derselbe am 22. März 1813 über die Wundmale von Anna Katharina aufgenommen hatte.

Von diesem Tag an besuchte er sie eine Reihe von Jahren hindurch täglich und führte über seine ärztlichen Beobachtungen ein genaues Tagebuch (Band I, Aschaffenburg und Stein am Rhein 1973), in welches er mit rührender Einfachheit selbst alle Gespräche verzeichnete, die Anna Katharina mit ihm über geistliche Dinge zu pflegen gewohnt war.

Wesener war der Erste, der von der Tiefe und inneren Schönheit so mancher Äußerungen aus dem Munde Anna Katharinas hingerissen, aufzeichnete, was er von ihr hören konnte. Es ist dies freilich nur wenig, aber dies Wenige ist durch seine Übereinstimmung mit dem Inhalt und im Wesentlichen auch mit der Form der Aufzeichnungen des Pilgers von höchster Wichtigkeit; denn es ist in seiner einfachen, schlichten, ganz absichtslosen Fassung ein Beweis, mit welch gewissenhafter Treue der Pilger die Mitteilungen Anna Katharinas aufgenommen und aufgezeichnet hat. Durch Wesener wurde Clemens Brentano bei Anna Katharina eingeführt.

Weitere Persönlichkeiten, die im Leben der Anna Katharina Emmerich eine Rolle spielten: Clemens August Reichsfreiherr von Droste zu Vischering (1774-1845), Bistumsverweser von Münster und späterer Erzbischof von Köln, der die kirchliche Untersuchung über Anna Katharina Emmerich anordnete.

Sein Bruder, Kaspar Maximilian Freiherr Droste zu Vischering, Weihbischof von Münster, der Anna Katharina Emmerich gefirmt hat. Melchior von Diepenbrock (1798-1853), der als Offizier in Begleitung von Bischof Sailer Anna Katharina Emmerich besuchte; diese sagte ihm voraus, dass er eine große Aufgabe in der Kirche erfüllen werde. Er wurde Erzbischof von Breslau, Abgeordneter im Frankfurter Parlament und Kardinal.

Ein Mann, von Gott gesandt

Der Pilger schreibt in seinem Tagebuch über den ersten Besuch bei Anna Katharina: «Um 10 Uhr kam ich in Dülmen an. Wesener, ihr Arzt, kündigte mich bei der Emmerich an, damit sie nicht zu sehr erschrecken möge. Sie freute sich, mich zu sehen. Durch eine Scheune und alte Kellerräume, eine steinerne Wendeltreppe ging es hinauf. Wir klopften, die Schwester, als Magd, öffnete, durch die kleine Küche traten wir in die Eckstube, wo sie liegt. Sie streckte mir die stigmatisierten Hände freudig entgegen und sagte: <Nun sieh! Man kann doch den Bruder nicht in ihm verkennen.> (Sie meinte Christian Brentano, der fünf Monate zuvor mit ihr bekannt geworden war.) Ich war durch ihre wunden Hände auf gar keine Weise erschüttert. Es freute mich, dass sie ein so heiliges, edles Zeichen an sich trug, und mit ungemeiner innerer Freude bewegte mich ihr reines, unschuldiges Antlitz und die unschuldig frohe Raschheit ihrer Rede. Ich war gleich zu Haus, ich verstand und empfand alles um mich her. Ich fand in ihrem ganzen Wesen keine Spur von Spannung und Exaltation, eine reine Fröhlichkeit und unschuldigen Mutwill.

Alles, was sie sagt, ist schnell, kurz, einfach, ganz schlicht, ohne breite Selbstgefälligkeit, aber voll Tiefe, voll Liebe, voll Leben und doch ganz ländlich, wie eine kluge, feine, frische, keusche, geprüfte, recht gesunde Seele. Sie lebt in der unbequemsten, ungeschicktesten Umgebung, unter guten, rohen, einfaltigen Priestern und Männern mit einer boshaften Schwester. Beständig todkrank, mit roher, plumper Pflege, alles leitend. Die ganze Haushaltung führend, arbeitend, verlassen, gequält, umlärmt, halb wie ein Wundertier begafft, halb wie ein Aschenbrödel von der Schwester gehudelt, ein elendes Leben, immer freundlich, mit tiefen Leiden um die Sünden anderer ringend.

Ihr Beichtvater, der einfache, demütige Dominikaner Limberg, ohne Gelehrsamkeit, mit dem reinsten Herzen, hat an ihr eine wunderbare ihn tragende Last. Welch ungeheure, erschütternde Erfahrungen hat er täglich an ihr! Ist sie ekstatisch und er kommt ihr zufällig mit den geweihten Fingern entgegen, so hebt sie das Haupt und folgt diesen nach, und wie er sie zurückzieht, stürzt sie zusammen. Und dies tut sie jedem Priester. Sie ergreift in der Ekstase die geweihten Finger mit Gewalt und so fest, dass sie ihr nicht können entrissen werden. Einmal über ein Gespräch von der Priesterweihe ekstatisch geworden, sagte sie: <Auch an den Priestern in der Hölle werden diese Finger noch erkannt und ausgezeichnet sein.> - Wer dieses so zufällig gesehen wie ich, der fühlt, dass die Weihe etwas mehr ist als eine Zeremonie; sie ist ein lebendiger Strom aus dem Leben Jesu.»

Anna Katharina bewies dem Pilger gleich von Anfang an eine rührende kindliche Vertrautheit. Denn sie hatte das vollkommenste Durchschauen seines ganzen Inneren und sah die hohe, edle Seele mit der Fülle der seltensten Gaben, durch welche Clemens die meisten seiner Zeitgenossen so weit überragte, um entschlossen den Rest der irdischen Lebenstage der Aufgabe zu weihen, welche sie selbst zu lösen hatte und die sie ohne ihn nicht hätte vollbringen können. Sie las seine geheimsten Gedanken, erriet sie ihm, ehe er selbst ein klares Bewusstsein davon hatte, und seine lautere Einfachheit scheute sich nicht, derartige Enthüllungen, wenn sie ihn auch beschämen mochten, mit überraschender Treue in den Tagebüchern zu verzeichnen.

Anna Katharina erhielt von ihrem geistigen Führer die Weisung, mitteilend gegen den Pilger zu sein und gestand diesem: «Sie fühle, dass sie unendliche Gnaden und Gesichte vergebens gehabt, weil sie niemanden dieselben habe mitteilen können. Der Pater habe sie oft in die größten Zweifel gebracht, indem er ohne weitere Prüfung alles für bloße Träumereien erklärt habe.

Sie aber habe immer die neue Mahnung durch ihren Engel erhalten: Du musst es sagen, auch wenn sie dich verlachen. Entschuldigte sie sich: Aber ich kann mich nicht ausdrücken, so hieß es: Sage es, wie Du es kannst!»

Sagte sie es nun dem Pater, so hörte er sie nicht an. Als der Pater einmal äußerte, er könne nicht glauben, dass ihr alles, was sie von Jugend auf gesehen, allein für sie selbst gegeben worden sei, entgegnete ihm beistimmend Anna Katharina: «Ich bin davon auch überzeugt, denn mir ist schon früh befohlen worden, alles zu erzählen, und wenn ich auch von der Welt für närrisch gehalten würde. Aber es hatte es nie jemand anhören wollen und die heiligsten Dinge, die ich sah und erfuhr, wurden so verkehrt und höhnisch aufgenommen, dass ich aus Scheu, sie zu verletzen, alles unter Schmerzen in mir verschloss. Später hatte ich oft ein Bild in der Ferne von einem fremden Mann, der zu mir kam und viel bei mir schrieb, den ich nun im Pilger wiedergefunden und erkannt habe.»

Beachtung verdient auch eine andere hierauf sich beziehende Äußerung, die Anna Katharina in der Ekstase getan: «Ich weiß, dass ich lange schon gestorben wäre, denn ich habe jetzt ein Bild gehabt, ich wäre längst gestorben, wenn nicht durch den Pilger alles erkannt werden müsste. Er muss alles aufschreiben, denn die Prophezeiung, d.h. die Verkündigung der Gesichte, ist meine Bestimmung. Und wenn der Pilger erst alles in Ordnung hat und mit allem fertig ist, wird er auch sterben.» Dies Letztere ist buchstäblich eingetroffen.

Die ausführlichste und bezeichnendste Mitteilung aber über die Gesichte und die Aufgaben «der Prophezeiung» gab Anna Katharina am 2. Februar 1821, als der Pilger sie auf die großen Gnaden hinwies, die sie so überschwänglich empfange und durch Not, Störung und Verwirrung vielfach verloren gehen lasse. «Ja! Das hat mir mein Bräutigam heute Nacht auch gesagt, als ich meine Not und mein Elend klagte, und dass ich so viele Sachen sähe, die ich nicht verstehe. Er sagte mir, meine Gesichte gebe er mir nicht für mich, sie seien mir geschenkt, sie aufschreiben zu lassen, und ich müsse sie mitteilen. Es sei jetzt keine Zeit, äußerlich Wunder zu tun. Er gebe diese Gesichte und habe immer so getan, um zu beweisen, dass Er bei seiner Kirche sein wolle bis ans Ende der Tage. Die Gesichte (d.h. das Schauen allein) mache niemanden selig, ich müsse Liebe und Geduld und alle Tugenden üben.

Er zeigte mir dann eine Reihe von Heiligen, welche Gesichte gehabt von der verschiedensten Art, wie sie aber nur durch die Benützung dieser Weisungen selig geworden sind. Ich sah nun eine Reihe von Bildern von verschiedenen Heiligen und sah auch, wie meistens ihre Gesichte so verstümmelt und unverstanden aufgeschrieben worden sind. Ich sah, was viele deswegen leiden müssen und wie lange Theresia sich geängstigt, es sei vom Teufel wegen der Verkehrtheit ihrer Beichtväter.»

Sie nennt nun Theresia von Avila, Katharina von Siena, Clara von Montefalco, Brigitta, Hildegard, Veronika Giuliani, Maria von Jesus und andere, die ihr alle gezeigt worden sind, und sagt mancherlei von der Art ihrer Gesichte, die sie nur innerlich kennt. Sie sieht, wie ein großer Teil der Wirkung dieser Gesichte vernichtet ist durch Ausstreichen und Umändern von gelehrten, aber weder einfachen, noch den Gang dieser Bilder verstehenden Priestern. «Es sei oft vieles verworfen worden, weil man reines Schauen von Geschichten nicht habe entwirren können von sich einflechtenden Bildern persönlicher Gebetshandlungen.

Andere sehe sie ganz erstaunlich weitläufig, jede Gnade mit einem Strom von wässerigen Worten umgeben, dass niemand mehr etwas davon genießen könne. Die Gesichte der hl. Hildegard seien von ihr selbst am reinsten geschrieben, denn sie seien dazu von Gott zugleich mit der Gabe des Schreibens gegeben worden. Im Gedruckten jedoch sei manches geändert. Selbst in den gedruckten Schriften Theresias sei verändert worden. Franziska Romana habe vieles auf ihre Art (d.h. wie Anna Katharina) gesehen; es sei aber sehr schlecht aufgeschrieben. Sie habe gesehen, wie die Angst der Beichtväter, alles in die Form ihrer Art, das Evangelium zu verstehen, einzuregeln, vieles vernichtet habe ...

Ich habe gestern auch heftig gebetet, Gott möge mir doch die Gesichte nehmen, auf dass ich die Verantwortung des Wiedererzählens verlöre. Aber ich erhielt keine Erhörung und wie gewöhnlich vernahm ich, dass ich alles, was ich zustande bringen könne, erzählen müsse, und wenn ich auch ausgelacht würde. Den Nutzen könne ich nicht verstehen. Ich erfuhr auch wieder, es habe noch niemals eine Person auf die Weise und in dem Maße alles gesehen, wie ich und es sei nicht meine Sache, es sei Sache der Kirche. Dass so vieles verloren gehe, ziehe eine große Verantwortung nach sich und großen Schaden und viele Personen, die daran schuld seien, dass ich keine Ruhe habe und die Geistlichkeit, welche keine Leute habe und keinen Glauben, dies aufzufassen, würden schwere Rechenschaft haben. Ich sah auch, wie sehr der Teufel Hindernisse in den Weg legte.»

Der Pilger also war die erste mit allen erforderlichen Gaben ausgerüstete Persönlichkeit, welche durch die Vorsehung Gottes der Seherin zugeführt wurde, damit sie vor ihm die Reichtümer der Gnade erschließe, die er zum Heile der Mit- und Nachwelt unter Mühen und Beschwerden nun einsammeln sollte.

Sein klarer Sinn hielt ihn ebenso von Überschwänglichkeiten fern als sein schlichter Glaube bei dem angeborenen Gefühl für Wahrheit und Schönheit, sowie die reiche Erfahrung seines bewegten und mit den Edelsten und Besten seiner Zeit verkehrenden Lebens ihn befähigte, die Erscheinungen und Tatsachen unbefangen zu würdigen und nicht in enger Beschränktheit das Ungewöhnliche zu meistern, oder wo es sich der Ordnung des gemeinen Lebens und den aus ihr abgezogenen Begriffen entzog, zu verwerfen. War der Pilger bei der Feinheit seines künstlerischen Gefühls und der schöpferischen Kraft des eigenen Talentes überhaupt nicht im Stande, in das fertige Kunstwerk eines Dritten nachbessernd oder ändernd einzugreifen, ihm den Stempel der Originalität verwischend, so vermochte er dies noch viel weniger an den wunderbaren Gebilden, welche die Seherin vor seinem erstaunten Blick heraufführte und die er als Gabe Gottes unter Tränen des Dankes demütig hinnahm. Geschmack und Pietät hinderten ihn so in gleicher Weise, mit eigenen Gedanken aufzuputzen, was die Schauende ihm vertraute, oder nach Maßgabe seines beschränkten Lichtes das zu verstümmeln, was aus dem lebendigen Lichte vernommen wurde. Er stand zu hoch über seiner Zeit und war zu wenig Theologe, um mit einer «Theorie der Offenbarung» in der Tasche das Geheimnis der Erlösung und die Wunder seiner Geschichte sich krittelnd zu verkümmern. Auch hatte seine kühne dichterische Phantasie längst alle Bahnen durchlaufen und an allem sich geübt, was irgend so hochbegabte Naturen wie seine bewegen mag, um sie nicht unter der Zucht des Kreuzes freudig und ohne Vorbehalt dem Dienst der Kirche zu weihen.

Allerdings waren manche der bemerkten Eigenschaften des Pilgers nur natürliche Gaben, aber sie waren von einem tieferen Grunde getragen als bei der angeborenen Lebhaftigkeit des so reichen und unabhängigen Geistes äußerlich mochte wahrgenommen werden und von einem unendlich höheren Element beherrscht und geleitet, als bloßer «Laune oder poetischer Befriedigung». Beides hält nicht stand, wo es gilt, jahrelang an dem Schmerzenslager einer täglich mit dem Tod ringenden und in namenlosen Peinen hilflos wimmernden Kranken zuzubringen, um oft die geringste Gabe unter empfindlichen Demütigungen zu empfangen. Der Pilger konnte gar bald erfahren, dass er in die Schule des Kreuzes genommen sei.

Rührend spricht er darüber am Vorabend von Weihnachten 1819: «Indem ich zu schreiben beginne, fühle ich eine tiefe Betrübnis über das Elend, in welchem wir leben, wo die Folgen und Wirkungen der Verfinsterung mich hindern, die Blicke in die heiligsten Geheimnisse, welche ein wunderbar von Gott begnadetes, einfaltiges, kindliches Wesen tut, ruhig aufzufassen und wiederzugeben. Nichts vermag ich meinen lieben Brüdern zu erretten als elende, zerrissene Schatten von Bildern, welche die ewige Gegenwart und Wirklichkeit aller Geheimnisse des von uns verlorenen Gottesverhältnisses beurkunden. Und diese Schatten muss ich stehlen und erschleichen! Was ich selbst dabei fühle, sehe und ahne - ich vermag es nicht zu sagen.»

Die eben angeführte Äußerung des Pilgers kann den Leser nicht mehr überraschen, denn aus der ganzen Darstellung wird er selbst entnommen haben, wie allem Tatbestand widersprechend es ist, Anna Katharina gleich wie in lichter Höhe sich zu denken, aus der sie in beschaulicher Ruhe dem Pilger ihre Gesichte zu müheloser Aufzeichnung vorerzählt habe. Und wie nicht minder ungereimt die andere Meinung ist, als habe die übermächtige Phantasie des reichbegabten Dichters wie sonst im unbegrenzten Reich der Märchenwelt, so jetzt im Gebiet heiliger Dichtung sich ergangen, und Anna Katharina habe zu dem, was er als Ausbeute mitgebracht, nur den Namen hergeliehen.

Nie hat der Pilger je eine Kombination gewagt, nie ein unvollkommenes Bruchstück aus anderen ähnlichen Mitteilungen dem Wort oder Sinne nach zu ergänzen gesucht, ohne in den seltenen Fällen, wo er es getan, ausdrücklich dies zu bemerken und vollständige Rechenschaft über sein Verfahren zu geben.

Die bedeutsamste Äußerung aber über die Arbeit des Pilgers tat sie am 30. Dezember 1819, da sie in einer Anschauung des Prophetenberges begriffen war. Sie lag während derselben in ihrer dunklen Kammer ganz erstarrt, da hielt der Pilger ein Blatt seiner Aufzeichnungen ihr gegenüber, worauf sie plötzlich sagte: «Das sind Papiere mit leuchtender Schrift! Ich kann es nicht aussprechen ... Dieser Mann (der Pilger) schreibt dies nicht so aus sich, er hat die Gnade Gottes dazu. Es kann es kein Mensch als er, es ist als sähe er es selbst.»

Diese Äußerung ist ein Beweis, dass gerade so wie Anna Katharina die Reliquien und geweihten Dingen leuchtend sah und wie sie auch ihre eigenen Haare oder die Hülse ihrer Wundmale als Licht erblickte, sie ebenso buchstäblich und reell, nicht allegorisch, die Schrift, welche ihre Gesichte verzeichnete, mit Lichtflüssigkeit schreiben und die beschriebenen Blätter somit selbst leuchtend geschaut hat.

Quelle B

Aus den Tagebüchern des Clemens Brentano, Herausgegeben von Pater C. E. Schmöger von der Kongregation des allerheiligsten Erlösers (CSSR), Mit kirchlicher Druckerlaubnis, 1. Band des 4 Bände umfassenden Gesamtwerkes, Immaculata Verlag Reussbühl / Luzern 1970 (414 Seiten, Erste Auflage; Seiten: 9-128).


ZUR PERSON ANNA KATHARINA EMMERICKS

"Anna Katharina Emmerick, ekstatische Augustinernonne, wurde am 8. September 1774 als Tochter armer, aber frommer Eltern in der Bauernschaft Flamske bei Coesfeld geboren. Von Kindheit an war sie durch wunderbare Gnaden bevorzugt. Die Gabe des mystischen Gesichts wurde ihr schon in frühester Jugend in einer Fülle verliehen, welche nur bei wenigen Begnadigten gefunden wird. Ihr Engel war ihr sichtbar gegenwärtig. Die Heiligen Gottes verkehrten mit ihr in vertraulichster Weise... Im Jahre 1798 hatte Christus der Herr ihr während eines Gesichtes die Dornenkrone aufs Haupt gesetzt; sie litt seitdem heftige Schmerzen an der Stirn und an den Schläfen; auch häufige Blutungen traten ein, die sie jedoch zu verbergen wußte. Etwa neun Jahre später wurden ihr die Schmerzen der Wundmale an Händen und Füßen mitgeteilt. Nun war die Zeit da, wo der Herr seiner treuen Braut auch die äußeren Zeichen derselben einprägen wollte. Am Feste des heiligen Augustinus bezeichnete er sie mit einem daumenbreiten Kreuze unterhalb der Brust, einige Wochen später auf der Brust mit einem doppelten blutigen Gabelkreuze. In den letzten Tagen des Jahres 1812 endlich trat die vollständige Stigmatisation ein...

Seit November 1812 war sie nicht mehr imstande, ihr Zimmer zu verlassen; um dieselbe Zeit begann auch ihre gänzliche Enthaltung von Nahrung. Außer etwas Wasser oder dem ausgesogenen Safte gekochten Obstes vermochte sie nichts zu genießen. Die wunderbarsten Gaben begleiteten diese Zustände. Sie unterschied mit Sicherheit die Reliquien der Heiligen, bestimmte deren Namen und sah ihre Geschichte.

In ihren Gesichten wurde sie geistigerweise in das Heilige Land geführt, sah die heiligen Stätten und das Leben der Heiligen des Alten und des Neuen Testamentes, insbesondere das Leben der Mutter Gottes und des göttlichen Heilandes.

Öfters war ihr innerlich bedeutet worden, daß diese Gesichte nicht für sie allein bestimmt seien; sie müsse dieselben mitteilen. Als Clemens Brentano im September 1818 sie zum erstenmal besuchte, erkannte sie in ihm den Mann, dem von Gott die Aufgabe geworden, dieselben aufzuzeichnen. Mit ausdrücklicher Gutheißung ihrer geistlichen Oberen unterzog sich Clemens Brentano dieser schwierigen Aufgabe; er ließ sich in Dülmen nieder und blieb dort, wenige Unterbrechungen abgerechnet, bis zum gottseligen Tode Anna Katharinas, der am 9. Februar 1814 erfolgte. Zweimal im Tage, am Morgen und am Abend, ging er zu ihr, um ihre Mitteilungen entgegenzunehmen. Sie pflegte ihre Gesichte in westfälischer Mundart zu erzählen und er notierte währenddessen auf Papierstreifen die Hauptpunkte, die er unmittelbar nachher, aus dem Gedächtnis ergänzend, ins reine schrieb. Diese Reinschrift las er beim nächsten Besuche Anna Katharina vor, verbesserte, ergänzte, tilgte je nach erhaltener Weisung und behielt nichts bei, was nicht von ihr bestätigt worden war..." (Kirchen-Lexikon)

P.S. Clemens Brentano hatte seine auf Anna Katharina Emmerick sich beziehenden Manuskripte seinem Freunde, dem Professor Haneberg, dem nachmaligen Bischof von Speyer, testamentarisch hinterlassen, der sie hinwieder dem Redemptoristenpater Schmöger übergab. Der Letztere veröffentlichte "Das Leben unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus nach den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerick", 3 Bände, 1858-1860. Etwas später, im Jahre 1881, gab er in neuer Überarbeitung dieses hiermit neuaufgelegte Werk in einem starken, reich illustrierten Quartbande heraus. (Johann Seidl)

Einige gewichtige Urteile

Einer der frömmsten Bischöfe des vergangenen Jahrhunderts, der selige Michael Wittmann, hatte wenige Stunden vor seinem heiligmäßigen Ende mit ernster Bitte den Pilger (Clemens Brentano) gemahnt, die Gnadengaben der treuen Dienerin Gottes der Gesamtheit fruchtbringend zu machen. "O mein Allerliebster! o arbeiten Sie treu! arbeiten Sie treu fort für die Ehre Jesu Christi! arbeiten Sie unerschütterlich fort!" sprach der sterbende Bischof, den Pilger segnend und ihn noch vor andern rühmend, daß er die Gesichte Anna Katharina's aufgezeichnet habe, um deren Herausgabe er ihn schon bei der ersten Begegnung gebeten hatte. (Leben und Wirken des frommen Bischofs Michael Wittmann, von P. Mittermüller, O.S.B., S. 246)

"Längst hat die Erfahrung mit den früheren Ausgaben dieses Werkes gezeigt, daß jene Gesichte auch für andere seien, was sie nach dem weisen Plane der göttlichen Vorsehung für Katharina waren: ganz besondere Mittel, um, im engsten Anschluss an die Wahrheiten des Glaubens, die Erkenntnis und Liebe unseres Herrn und seiner gebenedeiten Mutter zu mehren. Es gereicht uns daher zu großem Troste, daß gerade jetzt, da unsere heilige Kirche in so schwerer Bedrängnis und Trübsal seufzt, und Glaube und Hoffnung und Liebe ihrer Kinder so hart geprüft werden, dem katholischen Volke in der vorliegenden Gesamtausgabe der Gesichte der begnadigten Dienerin Gottes ein so schönes Werk über das Geheimnis unserer Erlösung geboten wird." (+Ignatius, Bischof von Regensburg)

"Indem Anna Katharina Emmerick die auf den Reisen des Heilandes betretenen Orte mit ausgesprochener Bestimmtheit beschreibt und benennt, nahm ich zu der Geographie und den Reisebeschreibungen Palästinas meine Zuflucht, um die Richtigkeit der Angaben zu kontrollieren; und je mehr ich Vergleiche machte, desto mehr wurde ich zu der Überzeugung gedrängt, daß K. Emmerick über das Heilige Land, über die Gebräuche der Juden usw. mehr Kenntnis hatte, als alle Geographen und Archäologen der ganzen Welt." (Domherr Anton Urbas, Laibach)

"Bibel und Wissenschaft beweisen, daß die Visionen der gottseligen deutschen Seherin, wie sie in den verschiedenen Publikationen Brentanos und des auf ihm fußenden Schmöger vorliegen, volle Wahrheiten enthalten und in viele biblische und theologische Streitfragen Aufklärung, Licht und volle Klarheit bringen, während die derzeit herrschenden Lehrmeinungen weder Fachgelehrte noch Schüler noch Volk befriedigen. Kirche und Wissenschaft beweisen, daß die Gesichte der gottseligen Anna Katharina Emmerick über die Heiligenleben nur Tatsachen, nicht Dichtungen, nicht poetische Ausschmückungen bringen." (Johann Seidl)

"Ich kann nicht umhin, alle Schriften, welche über das Leben und die Gesichte der gottsel. Anna Katharina erschienen sind, mit möglichstem Nachdruck allen zu empfehlen. Es gebührt ihnen Ruhm, weil nach meiner Überzeugung jeder Priester, der dieselben aufmerksam liest, mit solchem Seeleneifer und mit solchem Verlangen nach dem eigenen Heile entzündet werden muß, daß er wohl schwerlich verlorengehen kann. Denn er findet hier das Bild unseres Herrn mit so lebendigen Farben gezeichnet und seine unendliche Güte mit solcher Anschaulichkeit vor Augen gestellt, daß er der Liebe zur Welt gerne entsagt und, wenn er etwa straucheln sollte, schnell wieder sich erhebt, und daß er von Tag zu Tag mehr mit dem Geiste Gottes erfüllt wird; von diesem Geiste beseelt, wird er aber auch die weltlich gesinnten Herzen seiner Beichtkinder zur Buße bewegen, soweit dies überhaupt möglich ist." (Dr. A. Rohling)

"Nur das wollen wir hervorheben, daß Emmerick sich stets gleich blieb: stets derselbe Gehorsam, dieselbe Abgestorbenheit gegenüber der Schmach und Ehre, dieselbe Flucht und Scheu vor jeglichem Bekanntwerden, dieselbe unerschütterliche Geduld in ununterbrochenen Schmerzen und Leiden. ... Auf alle, die mit ihr in Berührung kamen und guten Willens waren, übte sie jenen wundersam heiligenden Einfluß aus und führte nicht wenige zum Glauben zurück. Bis ins kleinste erwies sie sich stets als gehorsames Kind der Kirche; alles unkirchliche schwärmerische Wesen verwarf sie aufs entschiedenste. In allen Beziehungen, in denen wir sie treffen, finden wir sie tadellos, einfältig, mit heiligem Ernste und mit überirdischer Weisheit nach den Grundsätzen des Christentums denken, reden und handeln. Dieses Resultat scheint uns das Buch des P. Schmöger über jeden Zweifel sicher zu stellen, und bildet diese erprobte Tugend und Frömmigkeit der Emmerick die sichere Grundlage zur Würdigung jener mystischen Erscheinungen, wovon das ganze Leben derselben erfüllt ist. ... Viel Segen ist von ihr ausgegangen und geht noch von ihr aus. Wenn der Verfasser dieser Bedeutsamkeit der Emmerick gebührend hervorhebt, so gibt er nur der Wahrheit Zeugnis und Gott die Ehre." (Dr. J.B. Heinrich)

"Gott der Herr wählt sich zu jeder Zeit Werkzeuge, durch welche Er große Gnaden der Erleuchtung, Tröstung und Stärkung an die armen Erdenpilger gelangen lassen will. Ein solches Werkzeug war die gottselige Anna Katharina Emmerick, wie ein jeder, der ihr wunderbares und heiliges Leben kennt, gerne zugeben wird. Möge der Segen, den sie durch ihre großen Tugenden, durch ihre unbeschreiblichen, in Liebe ertragenen Leiden, und insbesondere durch ihr mächtiges Gebet auf sich und ihre Mitmenschen herabgezogen hat, an recht vielen Lesern dieser Gesamtausgabe fruchtbar werden! Möge vor allem der Glaube an die heiligen Geheimnisse der Erlösung, die Hoffnung auf unseren Herrn und Heiland, sowie die Liebe zu Ihm und zu seiner heiligsten Mutter Maria durch dieses Werk in recht vielen geweckt, gefördert und erhalten werden!" (P. Gebhard Wiggermann, C.SS.R., 1891)

"Durch vieljährige Erfahrung belehrt, wie viel Gutes die Lesung der frommen und anmutigen Betrachtungen der gottseligen Klosterfrau Anna Katharina Emmerick über das Leben, Leiden und Sterben unseres göttlichen Heilandes und über die Geheimnisse des Lebens seiner hochgebenedeiten Mutter gestiftet hat, und fest überzeugt, daß dies auch in Zukunft in immer reicherem Maß der Fall sein wird, schließe ich mich hierdurch mit wahrer Freude den warmen Empfehlungen an, welche diesem Werke von dem hochwürdigsten Herrn Bischof Ignatius von Regensburg und von meinem hochsel. Amtsvorfahren Peter Joseph erteilt worden sind. Zugleich spreche ich den innigen Wunsch aus, daß diese herrliche Ausgabe allenthalben in den christlichen Familien Eingang finden und die Liebe zu Jesus und Maria, die Treue in ihrer gewissenhaften Nachfolge, die Hingebung an die unvergänglichen Wahrheiten der göttlichen Offenbarung mächtig fördern möge." (+Karl, Bischof von Limburg, 1892)

"Anna Katharina Emmerick nimmt in der visionären Mystik eine durchaus einzigartige Stellung ein: durch den tief bedeutungsvollen universellen Charakter ihrer Visionen und dadurch, daß ihre Gesichte nur zum geringsten Teil auf symbolischer, zum überwiegenden vielmehr auf historisch-realer Anschauung der heiligsten Gegenstände beruhen. Ganze Ketten von Visionsanschauungen tun sich vor ihrem Auge auf. Sie lebt und wirkt in dem geistigen Reich dieser Bilder. Aus der Mitte der Gesichte tritt die Gestalt Jesu hervor, erhaben und alles Menschliche überragend in ihrer Gottheit, und ergreifend nahe und natürlich in ihrer Menschlichkeit. Die biblische Welt beider Testamente ist ihr durch Gnade lebendig mit einer Unmittelbarkeit und dramatischen Wucht, die überwältigen. Bei all dem sind die Schauungen Anna Katharina Emmericks spontan, schlicht erfaßt und von einer nie dagewesenen Fülle der einzelnen Beobachtungen. Damit ist ihre Art des Sehens und Erfassens der Bilder zugleich charakteristisch für die weibliche Anschauungsweise überhaupt, die sich mit aller Liebe, ja mit besonderer Aufmerksamkeit auch den kleinsten Tatsachen erschließt." (Dr. Anton Brieger, 1960)

"Von besonders heilsamer Bedeutung für das innerliche Leben und ein ernstes Streben nach wahrer Frömmigkeit ist alles, was die erhabenen Gesichte der gottbegnadigten Jungfrau über die heiligste Menschwerdung, den ganzen irdischen Wandel und das bittere Leiden unseres göttlichen Heilandes, sowie über seine heiligste jungfräuliche Mutter und das Geheimnis ihrer Mitwirkung zur Erlösung der gefallenen Menschheit uns mitteilen. Es ist nicht jedem vergönnt und gegeben, täglich in einsamer Betrachtung zu Füßen unseres göttlichen Meisters zu weilen und im innerlichen Gebet in die Geheimnisse seines hochheiligen Lebens und Leidens einzudringen. Aber kein gläubiges Christenherz wird es geben, welches nicht bei frommer Lesung dieser Gesichte die Person Jesu Christi in unmittelbarster Nähe vor sich sähe und oft und oft sich gedrängt fühlen möchte, im Geiste vor Ihm anbetend niederzuknien und mit dem heiligen Apostel Thomas auszurufen: Mein Herr und mein Gott!" (+Peter Joseph Blum, Bischof von Limburg, 1881)

"Die Schriften der gottseligen Anna Katharina Emmerick atmen einen so tiefen Geist des Glaubens und eine so herzinnige Liebe zu Gott, daß deren andächtige Lesung einen reichen Schatz des Segens und der Erbauung der Gläubigen bringen muß. Ich erteile daher mit Freude der Prachtausgabe des Werkes meine bischöfliche Approbation, und wünsche demselben eine weite Verbreitung unter dem christlichen Volke." (+August Maria Toebbe, Bischof von Covington, 1882)

"Der Wohlgeruch wahrer Heiligkeit, der Geist der Kirche weht durch alle ihre Worte, und es ist wunderbar zu sehen, wie genau ihre Beschreibungen sind, wenn sie von Tatsachen spricht, und wie groß die Menge der Kenntnisse war, welche dieses ungebildete Landmädchen entfaltete. Eine solche Genauigkeit und eine solche Fülle von Kenntnissen sind ganz und gar unerklärlich, wenn man nicht eine übernatürliche Offenbarung dabei annimmt. Ihre Erzählung ist allzeit in vollkommenem Einklang mit der Lehre der Theologen und Kirchenväter, mit den Entscheidungen der Konzilien und mit den Regeln des Glaubens überhaupt. Wenn sie die Sitten und Gebräuche verschiedener Länder und Zeitalter schildert, so gibt sie niemals Berichte, welche von der wissenschaftlichen Wahrheit oder historischen Genauigkeit abweichen würden." (P. A.M. Clarke, S.J., "The Month", London, 1885)

VORWORT VON Karl Erhard Schmöger

Die vorliegende Gesamtausgabe umfasst alle Mitteilungen, welche die begnadigte Dienerin Gottes aus dem reichen Schatz der von Gott ihr gebotenen Anschauungen der Geschichte unseres Heiles zu geben im Stande war. Also nicht allein den heiligsten Lehrwandel und das bittere Leiden unseres göttlichen Heilandes, sondern auch die Vorbereitungen und Führungen Gottes an der gefallenen Menschheit von Erschaffung der Welt herab bis zur Fülle der Zeit, in welcher der Sohn Gottes im Fleische erschien, um in Knechtsgestalt unser Heil zu wirken.

Die Mehrzahl der auf die Schöpfung, den Sündenfall und die Zeit des Alten Bundes bezüglichen Mitteilungen erscheint hier zum ersten Mal und zwar in sorgfältigster Wiedergabe der ersten Aufschreibung, welche Clemens Brentano eine Reihe von Jahren hindurch in Dülmen unter den Augen der seligen Emmerick gemacht hatte. In gleicher Weise hat der Herausgeber auch die daran sich reihenden Bilder von den Geheimnissen der Abstammung und des Lebens der allerseligsten Jungfrau mit möglicher Sorgfalt aus den Tagebüchern von Clemens Brentano erhoben und sie in derselben einfachen, kurzen und bruchstückhaften Form dem Leser hier vorgelegt, in welcher Brentano sie von Anna Katharina zu vernehmen hatte und soweit er unter dem Eindruck ihrer ursprünglichen Mitteilung sie zu Papier hatte bringen können. Dass hierbei eine gewisse Härte und Lückenhaftigkeit der Darstellung, dass unvermittelte Übergänge von einem Gedanken, einer Wahrheit oder Tatsache auf die andere nicht zu vermeiden waren, das liegt in der Natur der spärlichen und so mannigfach durch ihre unermessliche Leidensaufgabe erschwerten Mitteilung von Seiten der Schauenden, und der Herausgeber unterließ es absichtlich, durch, wenn auch noch so einfache und den Sinn nicht ändernde, Einschiebungen diesen Charakter zu mildern, damit der Leser stets die volle Gewissheit habe, es werde ihm nur das und das nur so geboten, was und wie die selige Emmerick es zu erzählen vermocht hatte. Mag darum auch der aufmerksame Leser nicht selten bedauern, dass die Mitteilungen nicht vollständiger ausgefallen, so besitzt er doch des Schönen und Tiefsinnigen immer noch so viel, dass es ihm an stets neuer Anregung zu eigener Meditation nie fehlen, und dass er der Konformität des Mitgeteilten mit den Tatsachen und Mysterien unseres heiligen Glaubens immer klarer sich bewusst werden wird. Es wird auch keinem Leser entgehen, dass, wenn Clemens Brentano irgendwie ergänzend oder erweiternd einzugreifen gewagt hätte, gerade die Bilder vom Paradiese, von der Schönheit des ersten Menschenpaares vor dem Falle und ähnliche für ein Talent, wie das seinige, die verlockendste Versuchung geworden wären, aus seiner scheuen Zurückhaltung herauszutreten und mit eigenem Pinsel die Lücken weiter auszumalen. Allein es findet sich in seinen Tagebüchern keine Spur eines derartigen Versuches; wohl aber zahllose Klagen, dass die Erzählende ihm nicht eine größere Vollständigkeit zu bieten vermocht habe. So wird der Leser für die Treue seiner Aufschreibung und für die lauterste Wahrhaftigkeit und Absichtslosigkeit der Erzählerin den klarsten Beweis gerade in dem dürftigen und bruchstückhaften Charakter des Mitgeteilten erkennen.

1. Bei Veranstaltung der ersten Ausgabe des dreibändigen Lebens Jesu war der Unterzeichnete von der Absicht geleitet, den Inhalt der Tagebücher des Clemens Brentano unverkürzt und unverändert vorzulegen, damit jeder unbefangene Leser mit leichter Mühe daraus entnehme, wie der Schreiber nichts anderes hatte geben wollen und geben können, als was die selige Emmerick aus ihren Anschauungen mitzuteilen im Stande war. Es lagen somit dem Leser alle Ungenauigkeiten, alle Wiederholungen, alle später von der Erzählenden gemachten Ergänzungen oder Einschaltungen in derselben Weise und Gestalt vor Augen, in der sie entstanden waren, damit ihm gerade hierin der deutlichste Beweis geboten wäre, dass der Erzählenden irgendwelche Absichtlichkeit ebenso ferne gelegen, wie dem Schreiber eigenmächtige Zutaten. In der vorliegenden Ausgabe aber ist nicht nur die für den Leser oft so störend gewordene Anführung der Wochen- und Monatstage, an denen die Erzählung und Aufzeichnung des Geschauten geschehen war, hinweggelassen, sondern auch alle Wiederholungen und Ungenauigkeiten in Beschreibung der Örtlichkeiten des Heiligen Landes, während die von der Erzählenden nachträglich gemachten Verbesserungen an jenen Stellen eingefügt wurden, wohin sie ursprünglich gehört hatten. Auch die Einleitungen, welche vom Herausgeber bei Besorgung der ersten Auflage jedem der drei Bände vorangestellt waren, erscheinen der Raumersparung wegen hier nicht mehr. Dagegen wird der Nachweis der durchgehenden Übereinstimmung gegeben, in welcher alles, was die selige Emmerick von den Tatsachen und Geheimnissen des heiligsten Lebens Mariä berichtet, mit der ältesten Überlieferung und mit den Offenbarungen der heiligen Brigitta und der «Mystischen Stadt Gottes» der selige Maria von Agreda sich findet.

2. Alle Bilder der Geschichte unseres Heiles, wie sie hier dem Leser geboten werden, sind Früchte, welche auf dem Baume unermesslicher Leiden gereift sind. Wohl hatte Anna Katharina das Licht des Schauens als ein reines Gnadengeschenk Gottes schon in der Taufe empfangen, aber sie hatte dasselbe wie alle anderen ihr von Gott verliehenen Gaben und Vorzüge durch beharrlichste Treue im Streben nach höchster Vollkommenheit in allen christlichen Tugenden und durch heroische Geduld und Standhaftigkeit in Erduldung unaufhörlicher, bis zum letzten Augenblicke ihres Lebens sich steigernder Leiden jeden Tag wie aufs neue zu verdienen. Auch wurde für sie die von Gott ihr gebotene Mitteilung des Geschauten eine Quelle von Pein und eine so harte Aufgabe, dass sie nur auf den Befehl ihres Beichtvaters und Seelenführers und in der gewissen Überzeugung, sie erfülle damit den heiligsten Willen Gottes, sich derselben zu unterziehen vermochte.

Diese Tatsachen allein schon, abgesehen von der näheren Würdigung des Inhaltes ihrer Mitteilungen, berechtigen von vorneherein zu dem Schluss, dass dieselben nach den weisesten Absichten Gottes nicht etwa nur einer geistlichen Unterhaltung oder der Befriedigung tatloser Wissbegierde, sondern einem viel höheren und ernsteren Zweck zu dienen haben. Gar oft hatte Anna Katharina, wenn sie, überwältigt von dem Eindruck der unendlichen Liebe und Barmherzigkeit des göttlichen Heilandes, wie solche jeder Zug seines heiligsten Wandels ihr offenbarte, in Schmerz und Rührung ausrief: «O dass doch alle Menschen dies auch so mitansehen könnten, wie ich arme Sünderin!» die Worte zu vernehmen: «Gehe hin und erzähle es, gib Zeugnis von dem, was dir gezeigt wird, damit auch andere es inne werden!» Und in dieser Mahnung liegt der Schlüssel zu dem tieferen Verständnis der barmherzigsten Absichten Gottes, die Er an jedem Leser dieser Mitteilungen seiner begnadigten Dienerin erreichen will. Es sollen die Herzen bewegt, belebt und befruchtet werden mit den Keimen der göttlichen Liebe, der Hoffnung, des Vertrauens, der Reue und Beschämung über ihre so vielfache Untreue, Kälte und Gleichgültigkeit gegen ihren gütigsten Herrn und Erlöser, der die ganze Mühsal, Niedrigkeit, Armut und Bitterkeit seines irdischen Wandels sie empfinden lassen will. Diese heiligenden Anregungen sind es, welche wie mit geheimer, süßer Gewalt das Auge des Lesers an den Bildern festhalten, um Jesus den guten Hirten näher kennen zu lernen, seine Stimme aufmerksamer zu vernehmen und sich leichter zu entschließen, die Absichten, Neigungen und Gesinnungen des eigenen Herzens in größere Übereinstimmung und Gleichförmigkeit mit den Worten und dem Vorbilde des guten Hirten, das ist, mit den Grundsätzen und Forderungen der wahren christlichen Frömmigkeit zu bringen.

Würde unserer Gegenwart auch das vollkommenste Buch geboten, das aber nur in belehrenden und ermahnenden Unterweisungen zur Übung der Gottseligkeit bestünde, so würde es bei der fast allgemeinen Unlust und Scheu vor ernsten Wahrheiten nur einen sehr beschränkten Kreis von Lesern finden, denn es sind heutzutage nur wenige, die es noch ertragen können, an die ernsten Pflichten eines wahrhaft christlichen Wandels erinnert zu werden, und die sich nicht gegen die unleugbare Wahrheit des Evangeliums verschließen, dass ohne Überwindung und Selbstverleugnung, ohne Buße und Abtötung, ohne Verdemütigung und Gehorsam, dass endlich ohne beständigen Kampf gegen die inneren und äußeren Anreize zur Sünde das Reich Gottes nicht in Besitz genommen werden kann. Darum erscheint es als eine unbegreifliche Güte und Herablassung des göttlichen Heilandes an die seiner Hilfe und seiner Erbarmungen so sehr bedürftige Zeit, dass Er sich gewürdigt hat, ihr in den Gesichten seiner begnadigten Dienerin nicht einfache Belehrungen zu bieten, sondern ihr ein treues Spiegelbild seines armen, demütigsten, mühseligsten irdischen Wandels aufzurollen, damit sie Ihn auf jedem Schritt und Tritt begleiten, und gleichwie mit den leiblichen Augen betrachten möge, welch ein Übermaß unendlicher innerer und äußerer Leiden, Peinen und Trübsale Er für die Rettung unserer Seelen auf sich genommen hat, und wie unermesslich seine Liebe und Geduld, seine Langmut und Barmherzigkeit gegen uns, in der es Ihm nicht zu viel wurde, nicht allein sein eigenes Leben im bittersten Tode für uns am Kreuze zu opfern, sondern auch seine unbefleckte, sündelose, heiligste Mutter, die seiner zärtlichsten Liebe mehr als alle Engel und Menschen zusammen würdig war, von dem Mit-Erdulden aller Peinen, Beschwerden und Nöten seines irdischen Wandels und von dem vollständigen Mit-Erleiden seines bittersten Leidens und Sterbens nicht auszunehmen.

Dies alles tritt in den einfachen, schmucklosen Berichten so anschaulich, so wahr und ergreifend und in solcher Übereinstimmung mit den heiligen Evangelien und der ganzen kirchlichen Überlieferung dem Leser vor Augen, dass man sich des Gedankens nicht erwehren kann, es wolle Jesus, der gütigste Hirte, auch die unwissenden, die lauen, die gleichgültigen Glieder seiner Herde auf lieblichste, unwiderstehliche Weise zu sich rufen und einladen, nach Ihm auch einmal ihr Auge zu wenden und Ihm nur einen kleinen Teil ihrer so flüchtigen und so wenig geachteten, aber unendlich kostbaren, weil unersetzlichen, Zeit der kurzen Lebensdauer zu schenken, um Ihn besser kennen, mehr lieben und auf die Rettung ihrer Seelen mehr achten zu lernen. Er will der tatlosen Lesesucht der Gegenwart, die es gewohnt ist, aus tausendfachen Kanälen müßige Zerstreuung und Erschlaffung des Geistes einzusaugen, einen unversiegbaren Quell lebendigen Wassers erschließen, damit sie aus ihm wahre und gesunde Erquickung schöpfen möge, welche nicht wie eine ungründliche, flüchtige Erregung wieder verrinne, sondern bleibende Früchte des Geistes hervorbringe, wenn nur der Leser ihren Wirkungen sich nicht verschließen will.

3. Dieser wahrhaft providentielle Charakter der Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina gerade für unsere Zeit tritt besonders klar und deutlich in allen jenen Eröffnungen hervor, welche die Geheimnisse und Tatsachen des Lebens der allerseligsten Jungfrau zum Gegenstand haben. Diese umfassen in der einfachsten, schlichtesten Form das Schönste und Tiefinnigste, was die heiligen Väter und großen Lehrer von Maria bezeugen, und was die ganze Kirche in ihrer heiligen Liturgie in Lobpreisungen, Danksagungen und Gebeten als ihr untrügliches Bekenntnis von der alles Begreifen übersteigenden Reinheit, Heiligkeit, Würde und Gnadenfülle der heiligsten Gottesgebärerin ablegt. Es erscheint nämlich in den Gesichten der seligen Emmerick das wunderbare Leben der seligsten Jungfrau ähnlich, wie es in den heiligen Tageszeiten des kirchlichen Festkreises uns vor Augen geführt wird, als ein zweifaches: als ein inneres, geheimes, in Gott verborgenes, d. i. nur Gott allein und den Engeln und wenigen Bevorzugten aus den Menschen nur so weit bekanntes, als es Gott selber ihnen zu schauen verleiht; und als ein äußeres und offenbares oder unter den Augen ihrer nächsten Umgebung in der Ordnung, den Umständen und Verhältnissen ihres armen, demütigsten irdischen Wandels verlaufendes. Im Geheimnis ihrer heiligsten und unbefleckten Empfängnis nimmt das zeitliche Leben Mariä seinen Anfang; und in diesem Anfang, also schon im MutterSchoß, ist Maria mit jener Heiligkeit und Gnadenfülle ausgerüstet, von welcher Pius IX. in der dogmatischen Bulle «Ineffabilis Deus» den Glauben der Kirche mit den Worten bezeugt: «Maria leuchtet in so mächtiger Begabung mit allen Schätzen des Himmels, in solcher Fülle der Gnade, in solchem Glanze der Unschuld, dass sie ein Wunder der Allmacht Gottes ist, dessen Größe keine Zunge zu erreichen vermag, ja dass sie der Gipfel aller seiner Wunderwerke und würdig ist, die Mutter Gottes zu sein. Sie ist in solche Nähe zu Gott erhöht, soweit eine erschaffene Natur solcher Erhöhung überhaupt teilhaft werden kann und darum vermögen die Zungen der Engel so wenig als die der Menschen, ihr Lob zu erreichen.»

Und im Offizium auf das Fest der heiligsten Unbefleckten Empfängnis betet die Kirche: «Maria ist der Abglanz des ewigen Lichtes, der Spiegel ohne Makel. Sie ist schöner als die Sonne und reiner als der Strahl des Lichtes. Nur Gott allein ist über ihr. Sie aber über allen anderen Kreaturen. Von Natur aus ist sie schöner, als selbst die Cherubim, die Seraphim und alle englischen Heerscharen. Sie nach Würdigkeit zu preisen, sind die Zungen der Himmlischen, der Irdischen und der Engel nicht vermögend. Deine Heiligkeit, o unbefleckte Jungfrau, erfüllt selbst die Chöre der Engel mit staunender Bewunderung.»

4. Diese Schönheit, Herrlichkeit und Gnadenfülle der allerseligsten Jungfrau wurde im Anbeginn der Zeit von Gott den Engeln und dem Stammvater unseres Geschlechtes, dann Noe, Abraham und allen Patriarchen und Propheten geoffenbart, indem ihnen Maria als die unbefleckte Jungfrau vorgestellt wurde, aus welcher die Rettung und das Heil der gefallenen Menschheit und die Ergänzung der englischen Chöre hervorgehen solle. Diese Offenbarungen hatten, wie alle Führungen, Institutionen und Mysterien, welche im Laufe der Zeit der barmherzigste Gott dem auserwählten Volke zu verleihen sich würdigte, kein anderes Ziel, als die Fülle der Zeit herbeizuführen und aus dem Schoß der Kirche des Alten Bundes das von Ewigkeit her vorbestimmte reinste und heiligste Gefäß der Gnade hervorzubringen, von dessen ausdrücklicherZustimmung und beharrlichster treuester Mitwirkung die Vollführung der heiligsten Menschwerdung und Erlösung Gott selber abhängig machen wollte. Alle diese vorbereitenden Veranstaltungen Gottes finden in den Mitteilungen der seligen Emmerick eine sehr einfache und anschauliche Darstellung und zwar in tiefsinnigen Bildern und Anschauungen, welche nicht bloße Figuren oder leere Sinnbilder, sondern der, wenn auch schwache und dürftige, doch reine und wahre Widerschein des wirklich Geschehenen, der Wahrheit und Geschichte sind, ähnlich wie z. B. die Worte der lauretanischen Litanei die volle Wahrheit und die ewigen und wirklichen Tatsachen in sich schließen, wenngleich die engen Grenzen der menschlichen Sprache den unbegreiflichen Geheimnissen der Größe und Herrlichkeit Mariä nicht den vollen Ausdruck zu leihen im Stande sind.

Es erscheint nicht überflüssig, dies hervorzuheben, denn das Leben Mariä auf Erden ist für das sinnliche oder nur natürliche menschliche Auge ein so einfaches, ein scheinbar in so engen Grenzen verlaufendes, armes und demütiges, dass nur zu leicht ein flüchtiger Leser über dieser Einfachheit und über den mit ihr verknüpften äußeren Beschwerden, Mühsalen und Nöten dieses demütigsten Lebens vergisst, dass Maria schon bei ihrem ersten Eintreten in die Zeit des irdischen Wandels, also schon im Mutterschoß, bleibend, dauernd, für ewig, nicht etwa nur vorübergehend, das in voller Wirklichkeit und lebendiger Fülle war und besaß und in sich trug, was an Schönheit, Gnade, Erleuchtung, Macht, Weisheit, Würde und Erhabenheit über alle Geschöpfe Himmels und der Erde für sie von Ewigkeit her von Gott bestimmt war, und im Geheimnis der heiligsten unbefleckten Empfängnis ihr mitgeteilt wurde. Selbst unter solchen Lesern, welche die kirchlichen Tageszeiten beten, also das Bekenntnis des heiligen Glaubens der ganzen Kirche an die unbegreifliche Größe und Herrlichkeit Mariä in Hymnen, Antiphonen und Lektionen lobpreisend so oft zu wiederholen die Gnade haben, gibt es manche, die viel zu wenig Gewicht darauf legen, dass alles, was sie im Namen der Kirche von Maria betend und lobpreisend bekennen, nicht etwa nur von Maria als im Himmel thronend gilt, sondern dass alle diese Lobpreisungen in erster Reihe die Tatsachen und Geheimnisse ihres Eintrittes in die Welt und des ganzen Zeitraumes, ihres irdischen Lebens zum Gegenstande haben, welche Tatsachen ja die notwendige Vorbedingung ihrer Herrlichkeit im Himmel waren. Die Offizien der Kirchenfeste Mariä sind nicht etwa nur musikalische Symphonien, mit welchen die Kirche ihrer Feier einen möglichst festlichen Charakter verleihen will, deren Worte aber der Beter oder Leser nicht im vollen, buchstäblichen Sinne als Bekenntnis der Tatsachen der heiligen Geschichte und als den Inhalt des göttlich-geoffenbarten, untrüglichen Glaubens zu nehmen hätte. Nein, sie sind im strengsten Sinne das letztere und darum enthüllen sie uns in dem Lichte des göttlichen Glaubens nicht allein das Geheimnis der unbegreiflichen Hoheit und Würde, sondern auch das Geheimnis der Demut des Lebens Mariä.

5. Es wird gesagt: «Das Geheimnis der Demut», denn die Demut Mariä ist das Geheimnis aller Geheimnisse, das Geheimnis d. i. der Grund, das Fundament wie die Vollendung aller ihrer Gaben, ihrer Vorzüge, ihrer Größe und Herrlichkeit und der Gipfel ihrer Heiligkeit und Tugendfülle, wie alle heiligen Väter und Lehrer mit einstimmiger Bewunderung dieses unbegreiflichen Wunders es bezeugen. Dass gerade dieses Geheimnis so wahrhaftig, in so hinreissender Einfalt in jedem Wort, das die selige Emmerick über Maria vorbringt, geschildert ist, das ist in den Augen des Herausgebers der größte und entscheidendste Beweis, dass ihre Gesichte aus dem Geist der Wahrheit stammen, dass sie eine reine, echte Gabe Gottes sind, der nur eine Seele, die selbst in der tiefsten Demut fest begründet war, zu einem so reinen, lauteren Spiegel der ewigen Wahrheit machen konnte. Dichtung, Täuschung oder Lüge sind nicht vermögend, ein der Wirklichkeit annäherndes Bild auch nur der für einen vollkommenen Christen erreichbaren Demut zu entwerfen, um wie viel weniger aber das Urbild der Demut. wie es in Maria offenbar wurde, so treu, so lebenswahr, so absichtslos, so unwillkürlich in jedem Wort, in jedem Zuge, in jeder Handlung zu zeichnen, wie es in den Mitteilungen der seligen Emmerick geschieht, die eben in dieser puritas et simplicitas das Siegel der Echtheit und ihres höheren Ursprunges an sich tragen. Sie zeigen, wie Maria als die vollkommenste, heiligste, weiseste, mächtigste und schönste aller Kreaturen Himmels und der Erde, als die Bewunderung und das Entzücken aller Chöre der Engel, als die Erfüllung der tausendjährigen Sehnsucht und Erwartung der Patriarchen und Propheten und aller Gerechten von Adam herab bis auf Joachim und Anna auf wunderbarste Weise geboren wurde, und schon jetzt an Stärke und Umfang der Erkenntnis und Weisheit, an Fülle aller Gaben die höchsten Chöre der englischen Geister übertraf, wie in der Bulle Ineffabilis bezeugt ist:
«Hoch über alle englischen Geister und alle Heiligen ist sie mit der aus dem Schatz der Gottheit entnommenen Fülle aller himmlischen Gnadengaben so wunderbar ausgerüstet, dass sie allzeit ganz und gar frei von jeglicher Makel einer Sünde, und ganz schön und vollkommen, und mit solcher Fülle der Unschuld und Heiligkeit begabt ist, wie eine größere nach Gott nicht gedacht werden kann, und welche außer Gott kein erschaffener Verstand auch nur zu begreifen vermag. Sie ist der Sitz aller göttlichen Gnaden, sie ist geschmückt mit allen Gaben des Heiligen Geistes, ja sie ist dieser Gaben unversiegbare Schatzkammer und unerschöpflicher Abgrund.»

Diesen unermesslichen Reichtum aber besitzt Maria, nach den Schilderungen der seligen Emmerich, als ein jedem menschlichen Auge verborgenes, nur dem Auge Gottes allein durchdringliches Geheimnis, ja wie ein Geheimnis, das selbst den Blicken ihres eigenen Geistes wie verschlossen scheint. In Wirklichkeit freilich liegt diese unendliche Fülle der Gaben, Zierden und Vorzüge offen vor ihren Augen. Aber so unbegreiflich hoch wie diese Fülle, so unbegreiflich tief ist das Geheimnis ihrer Demut, der es eigen ist, sich vor allen Geschöpfen auf Erden verborgen zu erhalten, ja um alle ihre Schätze und Reichtümer wie nicht zu wissen, um sie nur allein dem Auge Gottes, nicht sich selber, offenbar sein zu lassen. Durch die Übermacht ihrer tiefsten Demut sind sie vor ihr wie mit einer undurchdringlichen Hülle umgeben, damit ihr Auge nie darauf ruhe, sondern wie Johannes Damascenus sagt, allzeit unverwandt nur nach ihrem Gott und Herrn in dem ewigen unzugänglichen Lichte gerichtet sei.

Oder, wie der heilige Bernhardin von Siena sich ausdrückt: «So groß ist die Vollkommenheit der seligsten Jungfrau, dass, sie zu schauen, Gott sich allein vorbehalten wollte.» «Nicht nur um ihrer höchsten Reinheit willen, sagt Albert der Grosse, sondern mehr noch um ihrer tiefsten Demut willen verdiente Maria den Sohn Gottes zu empfangen. Wohl konnte sie auf den Gruß des Engels erwidern: «Siehe ich bin die Braut des Vaters, die Mutter des Sohnes, das Heiligtum des Heiligen Geistes», aber sie hielt sich in ihrer Demut für so gering, dass sie nur antwortete: «Siehe ich bin die Magd des Herrn». Auch im Magnifikat spricht die Jungfrau der Jungfrauen nicht: « Er hat angesehen die Reinheit, sondern die Niedrigkeit seiner Magd». Dasselbe sagt der heilige Bernardus: «Wie sehr auch Gott ihre Jungfräulichkeit gefiel, so war es doch ihre Demut, in der Maria vom Heiligen Geist empfangen hat.» Indem der heilige Augustinus Maria der Eva gegenüberstellt, bedient er sich der Worte: «Eva bedachte nicht, dass sie nur ein Geschöpf und ein Werk Gottes sei, sondern wollte aus Stolz Gott gleich werden. Die Demut Mariä aber fühlt sich nur als Geschöpf und nennt sich die Magd ihres Herrn und Erschaffers. Darum ward Eva verworfen, Maria aber auserwählt; und was Eva's Stolz verlor, das rettete wieder die Demut Mariä.»

Maria ist schöner, weiser und mächtiger, als Luzifer, der oberste Engel, vor seinem Falle. Sie ist aber von Anbeginn sein vollkommenstes Gegenbild. Verloren in das Anschauen seine Schönheit und Größe empörte sich Luzifer gegen Gott, seinen Herrn und Schöpfer, und ward mit seinem ganzen Anhang in die Hölle gestürzt. Maria aber fühlt und weiß sich nur als aus dem Nichtsein von der Allmacht Gottes zum Leben gerufen. Sie denkt sich niedriger, als jedes andere Geschöpf und begehrt als deren letztes Gott allein nach allen ihren Kräften zu dienen. Demgemäß zeigen die Mitteilungen der seligen Emmerick in rührender Einfachheit Maria, den Sitz der Weisheit, den Spiegel der Gerechtigkeit, als das äußerlich unmündige, gehorsamste, untertänigste Kind von Joachim und Anna, die nur Tränen der Liebe und Ehrfurcht haben, wenn sie den Glanz seiner Heiligkeit und Weisheit nicht selten die engen Schranken dieser schwachen Kindheit durchbrechen sehen.

6. Ausführlich und von hoher Bedeutung sind ihre Schilderungen der Vorbereitung des Kindes Maria im ersten Monat seines vierten Lebensjahres zur Aufnahme unter die Tempeljungfrauen zu Jerusalem, der Reise dahin und der Aufnahme selber. Nach der einstimmigen Überlieferung der ganzen Kirche des Morgen- und Abendlandes hatte Maria in ihrem dritten Jahre das Gelübde gemacht, in gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt sich nur allein dem Dienste Gottes als Jungfrau zu weihen. Schon vor ihrer Geburt hatten Joachim und Anna Gott ihr Kind geschenkt und sich verlobt, Maria als Eigentum Gottes zum Tempel zu bringen, sobald sie das Alter dazu erlang haben würde.

Der heilige Johannes Damascenus (Dieses und alle folgenden Zitate aus dem griechischen Vätern sind dem unsterblichen Werke des P. Passaglia: «De immaculata Deiparae semper Virgins Conceptu Commentarius» entnommen) nennt diese Opferung Mariä und ihr elf jähriges Verweilen am Tempel als Tempeljungfrau: «eine vollkommen verbürgte, gewisseste Tatsache und ein aller Ehre und Lobpreisung würdiges Geheimnis, welches unvergängliche Segnungen und Heil allen gebracht habe.» Die morgenländische Kirche hat von den ältesten Zeiten her diese Opferung als ein hohes Fest gefeiert, und die Worte ihrer heiligen Väter und Lehrer geben Zeugnis von der hohen Bedeutung, welche die Kirche in dieser durch ununterbrochene Überlieferung bezeugten Tatsache der Opferung und des Aufenthaltes Mariä am Tempel erkannt hat. Wenn die Kirche an den Festen der heiligsten Unbefleckten Empfängnis und der wunderbaren Geburt Mariä die Geheimnisse der ewigen Vorherbestimmung Mariä zur höchsten Würde der Mutter des göttlichen Sohnes und ihrer Ausrüstung mit allen dieser unmesslichen Würde gebührenden Gnaden, Auszeichnungen und Vorrechten, also das, was von Gott an und für Maria geschah, in Lobpreisung und Danksagung feiert, so feiert sie am Feste der Opferung die Größe und Herrlichkeit der Tugenden und Verdienste, welche Maria von erster Kindheit an bis zur Vermählung mit dem heiligen Joseph und bis zum Gruß des Engels durch treueste Mitwirkung mit der empfangenen Gnadenfülle sich erworben hat, durch welche Vorbereitung sie auch ihrerseits, d. i. durch eigene Verdienste sich würdig machte, zur höchsten Würde der Mutter des Sohnes Gottes erhöht zu werden, wie dies von dem heiligen Papst Gregorius in den Worten bezeugt wird:
«Ist nicht Maria der hohe Berg, welcher, um bis zur Empfängnis des ewigen Wortes hinan zu reichen, den Gipfel seiner Verdienste hinauf über alle Chöre der Engel bis an den Thron der Gottheit erhöht hat?»

Der heilige Johannes Damascenus sagt:
« Die heiligste Gottesgebärerin ist ein Kind der Verheißung.

Durch den Engel wird den Eltern ihre Empfängnis verkündet. Denn es geziemte sich, dass auch hierin Maria keiner anderen nachstehe und geringere Auszeichnung empfange, sie, welche bestimmt ist, den Einen wahren Gott im Fleische zu gebären. Darnach opfert und weiht sie sich dem geheiligten Tempel Gottes, und so lange sie hier in gänzlicher Abgeschiedenheit von der übrigen Welt verweilt, ist ihr ganzes Leben für alle Geschöpfe das Urbild der Vollkommenheit und Reinheit. Verpflanzt in die Wohnung Gottes und genährt mit dem Tau der Gaben des Heiligen Geistes wächst sie gleich einer fruchtbaren Olive heran zur Wohnung aller Tugenden, und abgewendeten Geistes von jeglichem Verlangen der Welt und des Fleisches bewahrt sie in Leib und Seele die erhabenste Jungfräulichkeit, die ihr geziemte, um in ihrem Schoß Gott zu empfangen, der als der Heiligste nur in den Heiligen wohnen kann. So wurde sie, stets zunehmend an Heiligkeit, der heilige, wunderbare, für die Einkehr Gottes würdigste Tempel.»

Und der heilige Andreas von Creta berichtet in gleicher Weise:
« Da aus einer unfruchtbaren Mutter jene hervorgekommen war, aus deren Schoß die Ähre der Unsterblichkeit aufsprosste, so wurde sie schon im ersten Blütealter von ihren Eltern zum Tempel geleitet und gleich einer Weihegabe Gott dargebracht.

Der Priester aber, der in dieser Stunde den Dienst im Tempel hatte, brach in hohes Frohlocken aus, da er schon jetzt die Erfüllung der Erwartung des Kommenden zu schauen bekam. Demgemäß brachte auch er das glückselige Opfer und göttliche Weihegeschenk, das Kind Maria, Gott dar, indem er diesen großen Schatz des Heiles in dem Innersten des heiligen Tempels bewahrte, wo das zarte Kind mit himmlischer Nahrung gespeist werden sollte, bis der von Ewigkeit her bestimmte Zeitpunkt seiner Vermählung herankommen würde. Lasset nun auch uns in die Vorhöfe des Tempels eilen und mit den Maria voranziehenden Mägdlein in das Allerheiligste eintreten, wo nun diese Knospe zur lieblichsten Blume sich entfalten wird. Gott selbst hat ihr gleich einem Brautgemach die Wohnstätte hier bereitet, indem Er sie hier als sein ehrwürdigstes, herrlichstes Eigentum für sich aufbewahren will. Darum öffnet auch der Tempel seine Pforten, um die königliche Zierde des ganzen Weltalls in sich aufzunehmen. Ja offen steht jetzt das Allerheiligste, um die heiligste Mutter des Allerheiligsten in seinem für andere unbetretbaren Schoße zu beherbergen.»

Übereinstimmend hiermit bezeugt auch der heilige Georgius von Nikomedien:

«Joachim und Anna opfern ihr dreijähriges Kind als das kostbarste und allen Engeln ehrwürdigste Weihegeschenk im Tempel, dieses reinste Gefäß, in welches alle Reichtümer der Gnade niedergelegt sind, das in unaussprechlicher Weise alle Schätze der Heilsordnung Gottes in sich schließt und worin alle Unterpfänder unseres Heiles geborgen sind. Denn es war geziemend, dass das unbefleckte Kind die heilige Dreizahl zuerst an sich selber verherrliche, da durch sie allen Menschenkindern die Macht der heiligsten Dreieinigkeit kund werden sollte, indem in ihr Gott der Vater den neuen Bund der Gnade schloss, in ihr Gott der Sohn Wohnung nahm, um mit dem Fleische sich zu bekleiden, in ihr Gott der Heilige Geist verweilte, um die ungeteilte Dreieinheit zu offenbaren, durch welche die dreifach geschiedene Welt, d. i. die Himmlischen, die Irdischen und Unterirdischen, in der einen Anbetung Gottes wieder geeint und der Urheber der Scheidung niedergeschlagen wurde. So schwingt sich also heute die makellose Taube auf in die verborgensten Räume des Tempels, der lauernden Bosheit ihres NachsteIlers (Luzifers) entgehend, über den sie von Gott von Anbeginn schon erhöht worden ist. Und heute wird im Tempel das Gefäß des Heiligen Geistes aufbewahrt, um würdig sich zur Empfängnis des Wortes zu bereiten, denn es geziemte sich nicht, dass das reinste Tabernakel in der Atmosphäre der unreinen Welt verweile, sondern dass es an einen untadelhaften Ort gebracht werde, um hier die ersten Regungen der Freude zu empfinden, hier das Unterpfand ihrer Benedeiung in Empfang zu nehmen und hier mit von Engelhänden bereiteter Speise, als einem Vorbilde des heiligen Sakramentes, genährt zu werden. Es geziemte sich, dass der reine, fleckenlose Schatz ferne von jeder Berührung menschlicher Sitten und Gewohnheiten erhalten werde, und billig war es, dass das so helle wie ein Lichtstrahl schimmernde Heiligtum bewahrt bleibe vor jeder Annäherung einer Schuld, dass seine Ohren unzugänglich seien irgendwelchen Worten des Truges. Denn in diesen Ohren wird ertönen die Stimme des Engels, durch welche die bittere Trauer aus Eva's Ohren verscheucht werden soll» Und im weiteren Verlaufe seiner Rede legt der heilige Georgius dem Maria bei ihrer Opferung begrüßenden Engeln die Worte in den Mund: «O scheinbar kleines und schwaches Gefäß, wir schauen dich voll Gnade! O Tochter der Menschen, wie hoch und in welch' unvergleichlichen Weisen erhebst du dich über alle Grenzen und Fähigkeiten der menschlichen Natur! O welche Erstlinge ihrer Früchte vermag in dir die Menschheit Gott ihrem Schöpfer darzubringen! Welch' ein Opfer hat sie mit dir Ihm gebracht! Ein Opfer, wie es Gottes vollkommen würdig ist und geistiger noch, als alle Opfergaben, die wir Geister Ihm darzubringen im Stande sind. Denn es ist geheiligter und reiner, als unsere Reinheit selbst. Und bringen wir unsere Unschuld mit der deinigen in Vergleich, so erkennen wir, dass die unsrige in dieser Vergleichung nicht bestehen kann, und dass sie der Hoheit deiner Heiligkeit und deiner unbefleckten Reinheit in keiner Weise gleichkommt.» «Sind auch», sagt der hl. Sophronius, «die Engel ihrer Natur nach höherer Ordnung, als die Menschen, so doch nicht der Gnade nach. Denn auch die Engel sind nur durch die ohne ihr Verdienst ihnen von Gott verliehene Gnade vor dem Falle bewahrt worden. In ihrer Tugendfülle aber, welche über jede Lobpreisung erhaben ist, ragt Maria empor über alle Ordnungen der englischen Geister. Ihre Hoheit reicht hinauf über die höchsten Kreise des Himmels. Ihre Heiligkeit strahlt heller als das Licht der Sonne und der Glanz ihrer Verdienste ist leuchtender als die Würde der Engel. Sie verdunkelt die strahlenden Erzengel, sie erhebt sich über die höchsten Sitze der Throne, sie ist höher als die Herrschaften, sie geht voran den Fürstentümern, stärker ist sie als die Kräfte, und ihre Augen dringen tiefer als die der Cherubim, und die von Gott bewegten Schwingen ihres Geistes streben höher als die sechsfach geflügelten Seraphim. Ja allen Kreaturen geht sie weit voran, denn über alle erglänzt sie in Reinheit.»

Dass die allerseligste Jungfrau, so lange sie im Tempel verweilte, auf übernatürliche Weise durch Engel gespeist wurde, wird nicht allein von den Vätern der morgenländischen Kirche ohne Ausnahme berichtet, sondern ist auch in den Lobpreisungen ihrer liturgischen Hymnen gefeiert. So sagt der heilige Germanus von Konstantinopel:
«Voll Freudigkeit und frohlockend, wie eine Braut in ihr Brautgemach, zieht das Kind Maria in den Tempel Gottes ein: ihrem Alter nach erst dreijährig, jedoch der Gnade nach von Gott dem Lenker aller Dinge als höchst vollkommen und vollendet vorhergewusst, vorherbestimmt und auserwählt. Sie weil nun im Innersten des Heiligtums, durch Engel mit himmlische Speise genährt und mit himmlischem Getränke erquickt.»

Diese Speisung beschreibt näher der heilige Georgius von Nikomedien, wenn er sagt:
«Der Priester, welcher das Kind Maria im Tempel in Empfang nahm, erkannte ihre Schönheit und ihr Wesen als den Ausdruck höchster Gottseligkeit. Er nahm aber auch die Dienstleistung des Engels wahr, und darum suchte er sich die hohe Bedeutung der Jungfrau klar zu machen, welche die Dienstleistung des Engels ihn ahnen ließ. Er blieb nicht bei dem stehen, was sein Auge zu schauen bekam, sondern suchte das viel Höhere zu ergründen, was ihm darunter verborgen schien. Die Nähe des Engels und sein Verweilen bei dem Kinde war nämlich eine Hinweisung auf die Ankunft des Erzengels Gabriel, welche Gott im voraus anzeigen und auf die Er Maria bereiten wollte. Die von dem Engel gebrachte Speise aber deutete auf das Brot des Lebens.»

Der hl. Bischof Tharasius sagt:
«Ferne von allem Tun des kindlichen Alters diente Maria in der Verborgenheit des Tempels nur Gott, und empfangend vom Himmel her durch Engel ihre Nahrung, bedurfte sie nicht einer gewöhnlichen Speise. Und Tag für Tag die Freude der Engel betrachtend erschien sie hoch erhaben über die Sorgen dieser Welt, und in ununterbrochener Beschauung des HeiligenGeistes hielt sie in wunderbarer Kraft alle Scharen der bösen Geister von sich ferne. Denn was war das Tun der Jungfrau im Allerheiligsten des Tempels? Der Engel Brot empfing sie durch Engel und als die makellose Taube ihre Jungfräulichkeit bewahrend lag sie vor dem Werkmeister des Tempels, des Himmels und der Erde in Danksagung und in Ausgießung ihres Herzens zu Ihm flehend: Ich preise Dich, o höchster, allmächtiger Gott, der Du die Schmach meiner ersten Gebärerin, der Eva (durch meine unbefleckte Empfängnis) getilgt hast und in deiner unendlichen Erbarmung den Eingebornen zur Erde niedersenden willst, damit Er unter den Menschen wandle.»

Und der hl. Theophylactus ruft aus:
«Gott selber offenbart, wie sehr Ihm die Opferung der heiligsten Jungfrau und alles, was von ihr im Tempel geschieht, gefällt. Denn Er lässt ihr durch den Dienst seines Engels die Speise bereiten, sie auf wunderbare Weise nähren, sie, die darnach Ihn selber gebären und ernähren soll, so dass an der süßesten Jungfrau nichts nach Art der gewöhnlichen Menschen, sondern alles als göttlich erscheine.»

In einem griechischen Hymnus auf das Fest der Opferung heißt es:
« Nun ist der Tag des Heiles für jene angebrochen, die in der Nacht der Trübsal weilen. Die Himmelspforte schreitet über die Schwelle des Tempels und im Glanze seiner Leuchten betritt sie das Allerheiligste, um hier mit heiliger Stärkung zur geheiligten Wohnung Gottes ernährt zu werden. Das geistliche Brautgemach des ewigen Wortes wohnt nun im Allerheiligsten, wo es von des Engels Hand die himmlische Nahrung empfängt. Die Heilige, die Unbefleckte im Heiligen Geiste wird in das Allerheiligste eingeführt und vom Engel gespeist, sie, welche bestimmt ist, der wahre allerheiligste Tempel unseres Gottes zu werden.»

Der hl. Theophanes legt der hl. Anna bei der Opferung die Worte in den Mund:
« Empfange, o Priester Zacharias, das Kind, von welchem die Propheten im Heiligen Geiste geweissagt, führe es ein in das Heiligtum, damit es hier in Heiligkeit erblühend für den Herrn aller Dinge sein göttlicher Thron, sein Palast, sein glänzendes Gewand werde.» Johannes Monachus sagt: «In zartester Kindheit, aber in höchster Stärke des Geistes wird Maria als die geheiligte Lade des Bundes in die Wohnung Gottes gebracht, um hier mit dem Tau der göttlichen Gnade gespeist und hier im Innersten des Tempels als unversehrte Jungfrau zur Wohnung des Sohnes Gottes wunderbar bereitet zu werden.» Der hl. Leo Magister: «Die herrliche Frucht der göttlichen Verheißung, die wahre Gottesgebärerin, erscheint in der Welt als das erhabenste ihrer Geschöpfe. Sie wird zum Tempel Gottes gebracht, erfüllend das Gelübde ihrer heiligen Eltern. Hier verbleibt sie, behütet vom Heiligen Geiste und mit himmlischer Speise genährt, damit sie der Welt gebären könne das Wort, als das Brot des Lebens. Darum wird sie als der auserwählte und vollkommen makellose Tempel geheimnisvoll mit dem Heiligen Geiste verbunden und dem himmlischen Vater verlobt.»

7. Aus den angeführten Stellen erhellt zur Genüge, warum die heiligste Jungfrau die ganze Zeit der Kindheit bis zu ihrer von Gott bestimmten und durch wunderbare Zeichen herbeigeführten Vermählung mit dem heiligen Joseph in der Verborgenheit des Tempels verweilte. Es brachte dies nicht nur die unbeschreibliche Heiligkeit und Reinheit mit sich, in der sie empfangen und geboren war, und für die es keinen würdigeren Ort auf Erden geben konnte, als das Haus Gottes, das Er selber zu seiner Wohnung sich erkoren hatte, sondern auch ihre ewige Vorherbestimmung zur Mutterschaft des Sohnes Gottes, auf welche sie so würdig sich zu bereiten hatte, dass sie verdiente, als der Inbegriff und Gipfel aller Tugenden, als die einzige makellose Lilie unter den Dornen und als die des höchsten Wohlgefallens Gottes einzig würdigste Jungfrau zur Mutter seines Eingebornen erhöht zu werden. Über diese geheimnisvollen Ursachen der Opferung des Kindes Maria im Tempel und ihres elfjährigen Verweilens daselbst, enthält auch die « Mystische Stadt Gottes» der seligen Maria von Agreda sehr bedeutsame Aufschlüsse, aus denen einzelne Aushebungen hier um so mehr ihre Aufnahme finden mögen, da sie die Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina in bemerkenswerter Weise bestätigen und ergänzen und im Zusammenhalte mit den früheren Anführungen aus den alten griechischen Schriftstellern, zugleich den klaren Beweis liefern, in welcher Übereinstimmung die Gesichte beider begnadigten Seelen sowohl zu einander, als auch mit der ganzen Überlieferung und den Aussprüchen der Heiligen aus viel älterer Zeit sich befinden. Wie der Leser im weiteren Verlaufe sich noch überzeugen wird, herrscht dieselbe Übereinstimmung der Gesichte der gottseligen Anna Katharina auch mit den Offenbarungen der heiligen Brigitta.

Die selige Maria von Agreda (Mystica Ciudad de Dias. p. I. I. 2. c. 1 und 2) berichtet:
«Unter den Vorbildern der heiligsten Jungfrau im Alten Bunde war keines von so ausgeprägter Deutlichkeit, wie die Bundeslade, und zwar sowohl in Hinsicht des Stoffes, aus dem sie ververfertigt war, als in Hinsicht ihres Inhaltes und ihrer ganzen Bedeutung für das Volk Gottes, sowie auch alles dessen, was Gott mittelst der Arche, oder um ihretwillen und durch sie in der alten Synagoge getan und gewirkt hat. Denn dieses alles war ein Vorbild unserer Herrin Maria und eine sehr deutliche Hinweisung auf alles, was in Maria und durch Maria für die neue Kirche des Evangeliums geschehen sollte.

Das unverwesliche Zedernholz, aus welchem die Lade, nicht etwa zufällig, sondern nach der ausdrücklichen Vorschrift Gottes zusammengefügt wurde, ist die klare Hindeutung auf Maria, welche als die geistliche Bundeslade ganz rein und sündelos und unberührt ist von der geheimen Fäulnis der Erbschuld und des mit ihr untrennbar verbundenen Zunders der Begierlichkeit. Das im Feuer geläuterte, feinste Gold, womit die alte Lade innen und außen überzogen war, deutet eben so klar und bestimmt auf die höchste Vollkommenheit und Erhabenheit der Gnade und der Gaben, welche in den Gottes würdigen Gedanken, Werken, Sitten und Tugenden der heiligsten Jungfrau erglänzt, so, dass an dieser neuen Bundeslade, von innen wie von außen, kein Teilchen, keine Zeit, kein Augenblick zu finden ist, das nicht mit Gnade, und zwar mit Gnade von der höchsten Würdigkeit voll und überdeckt gewesen wäre.»

«Die steinernen Gesetztafeln, das goldene Gefäß mit Manna, die wunderbare Rute Aarons, was alles in der Bundeslade eingeschlossen und bewahrt wurde, deuteten aufs klarste auf das fleischgewordene Wort, welches in der lebendigen Arche, d. i. im Schoß der heiligsten Jungfrau Maria eingeschlossen wurde. Es ist ja ihr Eingeborner der lebendige «Grundstein der Kirche» und der «Eckstein », welcher die beiden so weit getrennten Völkerschaften, Juden und Heiden, vereinigt, der Stein, welcher, vom Berge der ewigen Zeugung sich losreißend, als das neue Gesetz der Gnade, das der Finger Gottes auf ihn geschrieben, in der jungfräulichen Arche Maria niedergelegt wurde, auf dass diese höchste Königin von allen als die Bewahrerin dessen erkannt werde, was Gott sowohl in sich selber ist, als was Er an seinen Geschöpfen bewirken wollte.»

«In gleicher Weise enthielt Maria das Manna der Gottheit, der Gnade und Macht, und die Wunder und Zeichen wirkende Rute, auf dass nur allein in ihr, als der Gottes würdigen geistlichen Arche, der Urquell der Gnaden, nämlich die Wesenheit Gottes selbst sich finde und von ihr aus auf die übrigen Sterblichen sich ergiesse, dass in ihr und durch sie die Wunder und Zeichen des Armes Gottes gewirkt werden und alle erkennen, wie alles, was dieser unser Herr will, ist und wirkt, in Maria eingeschlossen und niedergelegt sei.»

« Die alte Bundeslade hatte außerdem, und zwar nicht bloß nur im Schatten, oder figürlich, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit, auch den Schemel und die Unterlage für den Gnadenthron zu bilden, auf welchem Gott den Sitz und Richterstuhl seiner Barmherzigkeit aufgeschlagen hatte, um von ihm herab sein Volk anzuhören, auf die vor Ihn gebrachten Anfragen zu antworten, die Bitten zu erhören und Gnaden auszuteilen. Jetzt aber ist von Gott aus allen seinen Geschöpfen nur allein Maria zum Throne seiner Gnade erhoben, so dass nun sie nicht allein die wahre geistliche Bundeslade, sondern auch zugleich der Gnadenthron ist, indem sie ja dazu erbaut wurde, um Gott selbst in sich zu beherbergen. So nach erscheint das Tribunal der Gerechtigkeit als in Gott verbleibend, der Gnadenthron aber und der Sitz der Barmherzigkeit als auf Maria übertragen, damit wir zu ihr als dem Throne der Gnade mit festem Vertrauen unsere Zuflucht nehmen und vor ihr um Gaben, Gnaden und Erbarmungen unsere Bitten ausgießen, welche außerhalb dieses Gnadenortes (der Königin des Weltalls), nicht erhört und nicht zu Gunsten der Bittenden beschieden werden.»

«Maria, als die mit so hohen Geheimnissen erfüllte, geheiligte und von der Hand Gottes selbst zu seiner Wohnung und zu Begnadigung seines Volkes erbaute Bundeslade, konnte nich außerhalb des Tempels verbleiben, in welchem ihr Vorbild, die nur aus Holz bestehende Lade, bewahrt wurde. Und darum fügte es Gott, der Erbauer der so wunderbaren geistlicher Arche, dass Maria nach Ablauf des dritten Jahres seit ihre gnadenreichsten Geburt in sein Haus und in seinen Tempel gebracht wurde. Für sterbliche Augen freilich nicht mit königliche Pracht, wie es ihr als der Königin der Barmherzigkeit gebührt hätte, sondern auf den Armen von Joachim und Anna, welche obwohl nicht arm, ihr geliebtes Kind aus Demut nicht mit Prunk und Aufsehen nach dem Tempel geleiten wollten. Die wahre und eigentliche Hoheit der Übertragung der geistlicher Arche, dieser Erfüllung des Vorbildes, blieb unsichtbar, weil in Gott verborgen, wie überhaupt die Geheimnisse der allerseligsten Jungfrau so erhaben und unerreichbar sind, dass gar viele davon noch heute wie damals, unbekannt ist, gemäß dem unerforschlichen Ratschluss Gottes, der für alles und jedes Zeit und Stunde sich vorbehalten hat.»

« Die heiligen Eltern Joachim und Anna machten sich von Nazareth aus, nur von wenigen ihrer Verwandten begleitet, auf die Reise nach Jerusalem, um ihr heiligstes Kind, die wahre uni lebendige Arche des Bundes, auf den mütterlichen Arme Anna's in den Tempel zu bringen. In der Sehnsucht feurigster Liebe eilte das lieblichste Kind «dem Wohlgeruch der Salbung ihres Geliebtem» (Hohes Lied 1,3) entgegen, Ihn im Tempel zu suchen, den sie im Herzen trug, Diese demütige Prozession zog, von den Erdbewohnern nur wenig beachtet, und ohne allen sichtbaren Glanz ihres Weges. Aber es umschwebte sie eine glänzende Schar der englischen Geister, welche zur Feier dieses Festes in größerer Zahl vom Himmel gekommen waren, als die ihrer Schutzengel war, welche für gewöhnlich ihre jugendliche Königin umgaben. Unter neuen Lob- und Preisgesängen in himmlischen Weisen gaben sie der heiligen Prozession das Geleit von Nazareth bis zur heiligen Stadt Jerusalem. Die Königin der Himmel, welche ihre Gott wohlgefälligsten Schritte der Betrachtung des Allerhöchsten, des wahren Salomon, entgegen richtete (Hohes Lied 7,1), sah und hörte sie alle. Die seligsten Eltern aber empfanden hohe Freudigkeit des Geistes und Trost im Herzen.»

«Vor dem Tempel angelangt, führte die heilige Anna ihr Kind und zugleich ihre Herrin, an der Hand durch die Vorhöfe. Der heilige Joachim gab ihnen voll Sorgfalt sein hilfreiches Geleit. Im Tempel selber aber goss diese glückseligste Dreizahl voll Andacht ihre feurigsten Gebete vor Gott aus: die Eltern, Ihm ihr Kind als Opfer darbringend, das Kind aber in tiefster Demut, Anbetung und Ehrerbietung sich selbst zum Opfer weihend. Dem Kinde allein ward es offenbar, wie wohlgefällig sein Opfer von Gott an- und aufgenommen wurde, denn es hatte aus dem himmlischen Glanze, der nun den Tempel erfüllte, die Stimme zu vernehmen, die sprach: < Komme, meine Braut, meine Auserlesene, komme zu meinem Tempel, wo Ich will, dass du Mich lobst und preißt! > Nach vollendetem Gebete standen sie auf und gingen zu dem diensttuenden Priester, dem die Eltern ihr Kind Maria übergaben und der darüber Gebete sprach. Darnach begleitete er mit den Eltern das Kind nach der Wohnung der Tempeljungfrauen, die hier in Abgeschiedenheit zur Gottseligkeit erzogen wurden, bis sie die Reife des Alters für Verehelichung erlangt hatten. Es waren vornehmlich die erstgeborenen Töchter aus dem königlichen Stamme Juda und aus dem priesterlichen Stamme Levi, welche sich hierher zurückzuziehen pflegten.»

«Der Aufgang zu dieser gemeinschaftlichen Wohnung hatte fünfzehn Stufen, über welche herab andere Priester entgegenkamen, Maria, das gebenedeite Kind, zu empfangen. Der Priester aber, der das Kind führte und es zuerst von den Eltern empfangen hatte, geleitete es auf die erste Stufe, wo das Kind ihn bat, von seinen Eltern Abschied nehmen zu dürfen. Dann wendete es sich zu Joachim und Anna, bat sie kniend um ihren Segen und küsste ihnen die Hände mit der Bitte, ihrer vor Gott im Gebet eingedenk zu bleiben. In tiefster Rührung und unter reichlicher Tränen nahmen die heiligen Eltern segnend von ihrem Kinde Abschied. Maria aber eilte, ohne umzublicken und ohne eine Träne zu vergießen, in heiligstem Eifer und voll Freudigkeit allein die fünfzehn Stufen hinan. Es war an ihr weder ein Zeichen irgendwelchen kindischen Wesens, noch einer Traurigkeit über die Trennung von ihren Eltern wahrzunehmen. Im Gegenteil riss sie durch ihre an so zartem Alter ganz ungewöhnlich! Hoheit und Lauterkeit alle zur Bewunderung hin.»

«In der Wohnung der Tempeljungfrauen wurde das Kind vor dem hl. Simeon, als dem Vorsteher derselben, den bejahrter Witwen übergeben, welche hier die Dienste der Lehrerinnen zu versehen hatten. Unter diesen befand sich die Prophetin Anna, welche im voraus von Gott einer besonderen Gnade und Erleuchtung gewürdigt worden war, um die Sorge für die Tochter Joachims und Anna's auf sich zu nehmen. Sie tat dies also auf göttliche Anordung. Da sie durch ihre Heiligkeit und ihre Tugenden die Gnade verdient hatte, jene zu ihrer Schülerin zu haben, welche die Mutter Gottes und die Lehrmeisterin alle Kreaturen werden sollte.»

«Joachim und Anna kehrten in tiefstem Schmerze nach Nazareth zurück, indem sie die volle Größe ihres Opfers empfanden, das sie mit der Hingabe ihres kostbarsten Schatzes gebracht hatten. Gott aber flößte ihnen Stärke und Tröstung des Geistes ein. Der heilige Simeon wusste freilich nicht, welch Geheimniss in dem Kinde Maria beschlossen waren. Doch empfing er von Gott viel Erleuchtung über ihre Heiligkeit und Auserwählung. Auch die andern Priester konnten sie nur mit hoher Ehrfurcht betrachten. Das Aufsteigen des heiligsten Kindes über die Stufen wurde zur eigentlichen und vollkommenen Erfüllung des Gesichtes des Patriarchen Jakob von der Himmelsleiter. Denn auf jenen Stufen stiegen Engel auf und nieder, jene zum Geleite, diese zum Empfange ihrer Königin in der Höhe aber war Gott selbst, um seine Tochter und Braut bei sich aufzunehmen, der seine Liebe zu erkennen gab, es sei hier in Wahrheit die Wohnung Gottes und die Pforte des Himmels.»

«Das Kind Maria warf sich vor seiner Meisterin demütig auf die Knie, bittend um den Segen, und dass sie unter ihre Leitung genommen und zum Gehorsam gegen alle Weisungen und Ratschläge angehalten werden wolle. Auch möge sie in Geduld die Sorge und Mühe auf sich nehmen, die sie mit ihr haben werde. Sie begrüßte auch in großer Demut alle anderen Jungfrauen, nannte sich ihre Dienerin und bat sie, als die älteren und erfahreneren, sie in allen Stücken zu unterweisen, ihr zu befehlen, oder sie zu mahnen und dankte ihnen letztlich, dass sie, obwohl dessen unwürdig, in ihre Reihen habe eintreten dürfen. Nun empfing sie, wie auch die anderen hatten, eine kleine Zelle zur Wohnung, bei deren Betreten sie den Boden küsste. Alles, was sie von den Eltern mitbekommen hatte, übergab sie ihrer Meisterin, um es für andere zu verwenden. Sie selber aber wollte als die ärmste behandelt und im Gehorsam zu den niedrigsten und beschwerlichsten Arbeiten verwendet werden.»

«Das heiligste Kind Maria hatte auch das Verlangen, die vier Gelübde der Armut, des Gehorsams, der Keuschheit und der beständigen Klausur abzulegen. Dies Verlangen war Gott im höchsten Grade wohlgefällig, und sie verdiente dadurch, dass in der Kirche und im Gesetze der Gnade der Ordensstand begründet wurde, in welchem durch dieselben Gelübde Jungfrauen sich Gott verbinden. In den Gelübden des heiligsten Kindes Maria ist also der Grund zum Ordensstande gelegt worden, gemäß den Worten des königlichen Sängers: «Ihr nachfolgend werden Jungfrauen zum König geführt» (Psalm 44, 15).»

8. Nun möge auch noch ein um mehrere Jahrhunderte älterer Theologe und Geisteslehrer, der gottselige Eadmerus, der Schüler und unzertrennliche Begleiter des heiligen Lehrers Anselmus, gestorben im Jahre 1121, vernommen werden, weIcher über die höchste Würdigkeit der Vorbereitung des Kindes Maria im Tempel auf die Empfängnis des Sohnes Gottes in ihrem heiligsten Schoß mit hoher Salbung sich ausspricht (In seiner Abhandlung über den englischen Gruß, welche sich in dem II. Bande der von D. Gerberon besorgten Ausgabe der Schriften des heiligen Anselmus findet). Es verdienen seine Worte gar sehr der Vergessenheit entrissen zu werden, da kein Leser sie ohne Erhebung des Geistes und ohne Förderung der Liebe zu Jesus und Maria vernehmen wird. Er sagt:
«Wer wäre im Stande, auch nur zu ahnen, geschweige mit Worten zu sagen, wie heilig, wie rein, wie Gottes würdig Maria ihr Leben eingerichtet und geführt hat? Ihr reinster Leib, ihre heiligste Seele blieben durch den beständigen Schutz der Engel vor jeglicher Makel auf das Vollkommenste bewahrt, wie es ihr als der Wohnung gebührte, in welcher Gott, ihr und aller Dinge Erschaffer, leiblicherweise seinen Wohnsitz nehmen, und aus der Er die menschliche Natur zur Einigung mit seiner Person auf unbegreifliche Weise annehmen wollte. Wenn es selbst unter den Menschen im Gebrauch ist, dass, wenn ein Machthaber oder Reicher irgendwo Einkehr nehmen will, dessen Diener voraneilen, um die Herberge zu bestellen, zu reinigen, zu schmücken und zu bewachen, damit der Gebieter bei seiner Ankunft alles wohl bereitet und geziemend hergerichtet finde, welche Ausrüstung mit allen Tugenden muss für die Ankunft des himmlischen und ewigen Königs in dem Herzen der heiligsten Jungfrau geschehen sein, welche Ihn nicht für wenige Augenblicke nur in sich beherbergen, sondern mit ihrem Fleische Ihn bekleiden und als Mutter Ihn gebären sollte? Da nämlich die Fülle der Zeit gekommen war, die Gott selbst vor aller Zeit zu seiner Ankunft vorherbestimmt hatte, sandte Er Gabriel, einer der ersten Fürsten seines Reiches, um dir, o seligste aller Frauen anzukündigen, es stehe bevor die Erlösung der Menschen, und Er wolle dieselbe bewirken und aus dir, du Allerreinste, durch die Wirkung des Heiligen Geistes als wahrer Mensch geboren werden. Du vernimmst, o Herrin, diese Botschaft und über dieses zu allen Zeiten unerhörte Geheimnis erstaunst und verwunderst du dich. Doch regt sich in dir kein Unglaube, sondern unbezweifelt hältst du fest, es sei ganz und gar unmöglich, dass nich geschehe, was der Engel verkündet! Maria glaubt und ist gewissest überzeugt, der gütige, liebevolle, an edlen Erbarmungen überreiche Gott steige von seinem himmlischen Sitz hernieder zur Erde, werde Mensch, um durch seinen freiwilligen Tod die Menschen vom ewigen Tode, dem sie verfallen sind, zu erretten. Darum antwortet sie dem Engel mit den Worten: <Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte !> Gott so angenehmer Glaube! O wohlgefällige Demut! O Gehorsam, lieblicher vor Gott, als jedes Opfer! Was hätte also Gott bei seiner Herabkunft finden sollen, das Ihm an der Jungfra nicht gefallen hätte, aus welcher der Wohlgeruch der höchste Tugenden Ihm entgegenströmte ? Gewiss, durch seinen Glauben allein hatte Abraham Gott gefallen und das allein, dass er glaubte, wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. Über den Demütigen und Sanftmütigen aber und über jenen, die in Ehrfurcht seine Worte bewahren, ruht nach dem Zeugnisse Gottes sein Heiliger Geist, und ihr Gehorsam ist Ihm lieber, als Opfer. Da nun gerade in dem, was Gott am meisten gefällt, die heiligste Jungfrau sein höchstes Wohlgefallen verdiente, so glaube ich, dass sie durch nichts anderes mehr sein Wohlgefallen in noch höherem Grade hätte erlangen können. Wir glauben auch fest und unbezweifelt, dass ihr Herz vor jeder Makel und Sünde vollkommen rein bewahrt blieb, so dass in Wahrheit über ihr der Heilige Geist, als über der Demütigen, Sanftmütigen, die Worte Gottes in Ehrfurcht Bewahrenden, in seiner ganzen Fülle ruhen konnte, und dass Er sie als die mit keuschestem, reinstem Herzen dem Willen Gottes Gehorchende lieblicher erfand, als jedes Brandopfer, und dass Er sie deshalb in der Kraft des Allerhöchsten überschattete und den Sohn Gottes aus ihr mit dem Fleische bekleidete. Darum erhebe sich jedes menschliche Herz und versuche nach Möglichkeiten zu erkennen, welches Gewicht bei dem allmächtigen Gott die Verdienste dieser allerseligsten Jungfrau besitzen. Es versuche, sage ich, jedes Herz, zu betrachten, zu erkennen, zu bewundern den Eingebornen, wesensgleichen, gleich ewigen, gleich allmächtigen, aus dem Schoß des Vaters von Ewigkeit gezeugten Sohn, durch den Er alle sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe aus dem Nichts gemacht hat! Denn diesen seinen so einzigen und so geliebtesten, Ihm in allem durchaus gleichen Sohn wollte Gott der Vater nicht als nur seinen Sohn allein belassen, sondern Er wollte, dass eben Er in voller Wirklichkeit der Natur nach der einzige und der geliebteste Sohn auch der seligsten Jungfrau Maria sei. Und dies nicht so, dass nun zwei Söhne wären, der eine als Gottes Sohn, und der andere als Mariä Sohn, sondern dass der Eine und Selbe Sohn Gottes in Einer Person auch der Sohn Mariä sei, und dass der Sohn Mariä zugleich der Eine und Selbe Sohn Gottes in Einer Person sei. Wer muss nicht in höchstes Erstaunen darüber geraten und für ein ganz unbegreifliches, unaussprechlich großes Wunder es erachten, dass Gott solches beschließen konnte! Die süßeste Jungfrau aber, aus Adams Nachkommenschaft aufgesprosst, wird im Gegensatz zu Eva, die den Fluch zu hören verdiente, nun vom Engel selig gepriesen über alle Frauen. Sie empfängt, sie trägt, sie gebiert den Gottmenschen, der alle Übertretungen der Kinder Adams sühnen, sie von Schuld und Strafe erlösen und zu Erben seines himmlischen Reiches einsetzen wird.»

In gleichem Sinne richtete auch der heilige Hieronymus an Eustochium die Worte:
«Erhebe dein Auge zur seligsten Jungfrau Maria, deren Reinheit so groß ist, dass sie verdiente, die Mutter unseres Gottes und Herrn zu sein.»

Und es wetteiferten untereinander die Lehrer des Morgenlandes in Lobpreisungen des Schoßes der heiligsten Gottesgebärerin. So nennt der heilige Andreas von Creta «den Schoß Mariä»
«das herrlichste Kleinod der Jungfräulichkeit, die Himmel an Reinheit übertreffend, die vollkommenste Darstellung der ursprünglichen Schönheit.»

Gregor von Neucäsarea legt dem Erzengel Gabriel die Worte in den Mund:

«Alle himmlischen Heerscharen grüßen durch mich dich heilige Jungfrau.Ja der Gebieter aller himmlischen Scharen hat aus allen seinen Kreaturen nur dich als die heiligste und am reichsten für Ihn geschmückte auserwählt, um aus deinen heiligen, keuschen, reinen, makellosen Schoß zum Heil der ganzen Welt als die hellglänzende Perle hervorzugehen. Denn du Heilige bist aufgestiegen zu einer die ganze Menschheit weit überragenden Schönheit, Reinheit und Heiligkeit. Und dein Herz übertrifft an blendendem Weiß den frischgefallener Schnee, dein Schoß aber an Lauterkeit jedes auch noch so oft im Feuer geläuterte Gold.»

Auch in ihren liturgischen Hymnen preist die rechtgläubige Kirche des Morgenlandes den Schoß der Jungfrau als «der Thron », geschmückt für Aufnahme des Wortes.

«Von deiner Schönheit, o vollkommen Unbefleckte, angezogen, nimmt das Wort Wohnung in deinem Schoß, um die Menschen von der Hässlichkeit der Sünde zu erretten und mit der Gabe der ursprünglichen Schönheit zu beschenken.» «Nach dir, ganz unbefleckte Jungfrau, als dem reinsten, schönsten aus allen seinen Geschöpfen, verlangt der Herr alle Schönheit, um aus deinem Schoß geboren zu werden.» « Dich, o Unversehrte, erfindet das allerheiligste Wort als sein Ihm geweihtes Heiligtum und nimmt Wohnung in deinem Schoß. Alle, welche dich ehren, will Er heiligen, erleuchte und Vergebung ihrer Sünden ihnen gewähren.» - «Weil du an Verdiensten alle Kreaturen übertriffst, darum hast du, o Jungfrau, deinen Gott und Erschaffer in deinem Schoß empfangen und zur Erlösung der Sterblichen Ihn geboren.» - « Du bist der Tabernakel des Wortes geworden, weil du allein, o jungfräulich Mutter, ganz rein und schuldlos bist, ja die Engel an Reinheit übertriffst.» - «Weil du heiliger bist als jede Kreatur, hat der heilige Gott in deinem Schoß gewohnt. Du allein bist würdig von Ihm erachtet worden, um die Mutter Gottes zu werden.» « Dich hat unser Herr und Erschaffer erkannt als die reine Rose der Talgründe, als die duftende Lilie und von deiner Schönheit angezogen, wollte Er aus deinem Blute den Leib sich bereiten.»

Die Würde des Schoßes Mariä nach der Empfängnis des ewigen, unerschaffenen Wortes ist so erhaben, dass er mit vollem Rechte von den heiligen Lehrern dem höchsten Himmel gleich gestellt wird. So sagt der heilige Ephrem der Syrier:
«Durch ihre Empfängnis des Wortes ist Maria für uns der die Gottheit in sich tragende Himmel geworden, welche Jesus Christus, ohne von der Herrlichkeit des Vaters sich zurückzuziehen, in die engen Grenzen ihres Schoßes eingeschlossen hat, um die Sterblichen zu der hohen Würde der Kindschaft Gottes zu erheben. Diesen Schoß allein hat Er sich erwählt, auf dass Maria sein Werkzeug für unsere Erlösung werde.»

Ähnlich lauten die alten Hymnen des Morgenlandes:
«Wir preisen dich, o heiligste Mutter, als den Himmel Gottes und als seinen Thron. Denn aus dir will Jesus, die Wahrheit und das Leben, zu uns kommen.» - «Du, 0 Jungfrau, erscheinst in Wahrheit als der Himmel über dem Erdkreis, der höher ist als der höchste Pol. Denn aus dir geht auf die Sonne der Gerechtigkeit.» - «Alle Chöre der Himmel verkünden dein Lob, denn du bist der zweite Himmel über dem Erdkreis. Du bist der neue Himmel über dem Erdkreis. Du bist der neue Himmel, denn aus dir ist für uns aufgegangen die Sonne der Gerechtigkeit.»

9. Indem wir nun den weiteren Mitteilungen der gottseligen Emmerick über «die Verkündung des Engels» und «die Geburt des heiligsten Jesuskindes unsere Aufmerksamkeit näher zuwenden, begegnen wir drei höchst bedeutsamen Eröffnungen, die aus mehrfachen Gründen besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Dieselben sind nämlich so einfach, so absichtslos und teils wie in zufälliger Verbindung mit anderen Äußerungen vorgebracht, dass eine nur flüchtige Lesung sie leicht übersehen, oder sie doch nicht nach ihrer tieferen Bedeutung würdigen mag. Sie enthalten aber den Schlüssel zu dem ganzen ferneren Leben der allerseligsten Jungfrau, wie dasselbe von der gottseligen Emmerick beschrieben wird, und stehen mit dem Geiste und nicht selten auch mit den Worten der «Offenbarungen» einer heiligen Brigitta in so bemerkenswerter Übereinstimmung, dass es sich wohl der Mühe lohnt, jene so kurzgefassten Worte der seligen Emmerick durch wörtliche Anführung der auf die gleichen Geheimnisse sich beziehenden, aber ausführlicheren Eröffnungen der heiligen Brigitta mehr zu beleuchten. Der geneigte Leser wird dadurch, vielleicht nicht ohne freudige Überraschung, die Überzeugung gewinnen, welch' ein großer Schatz wahrhafter Erbauung und Erleuchtung unter den schmucklosen schlichten Worten der seligen Emmerich verborgen ist.

Auf Seite 320 findet sich die Stelle:

«Maria erzählte der heiligen Elisabeth, sie sei in der Stunde der Verkündigung zehn Minuten in Entzückung gewesen und es sei ihr gewesen, als verdopple sich ihr Herz und sie sei mit unausprechlichem Heile erfüllt. In der Stunde der Geburt aber habe sie eine große Sehnsucht empfunden und es sei ihr gewesen, als trenne sich ihr Herz auseinander und die eine Hälfte scheide von ihr.»

Genau dasselbe hatte im Gesichte auch die heilige Brigitta aus dem Munde der allerseligsten Jungfrau vernommen, die folgende Worte an sie richtete:

«So oft du das bittere Leiden meines Sohnes betrachtest, so halte dir gegenwärtig, meine Tochter, dass alle Glieder seines heiligsten Leibes mir wie meine eigenen, ja wie mein eigenes Herz selber waren. Er wurde in mir empfangen im Feuer der göttlichen Liebe und durch die Liebe kam Er und war Er in mir. Das Wort aber und die Liebe (der Heilige Geist) haben Ihn in mir gebildet. Und Er war mir, als wäre Er mein Herz. Darum hatte ich, als Er aus mir geboren wurde, die Empfindung, als würde die eine Hälfte meines Herzens geboren und scheide aus mir. Und darum empfand ich, als Er sein Leiden begann, dies sein Leiden als das Leiden meines eigenen Herzens. Denn ein Herz, das zur Hälfte auswendig und zur Hälfte inwendig ist, empfindet inwendig gleichmäßig den ganzen Schmerz, wenn die auswendige Hälfte gefoltert wird. So wurde ich selber d. i. mein Herz auch mit-gegeißelt und mit-durchstochen, als mein Sohn, Er die andere Hälfte meines Herzens, gegeißelt und mit Dornen gekrönt wurde. Auch war ich auf seinem ganzen Leidenswege stets in seiner nächsten Nähe und vermochte nicht, Ihm ferne zu bleiben. Ich stand zunächst an seinem Kreuze; und wie das am wehesten tut, was dem Herzen am nächsten ist, so war, was ich bei dem Kreuzstamme litt, der bitterste Schmerz noch von allen. Und als mein Sohn vom Kreuze herab mich anblickte, und ich zu Ihm meine Augen erhob, da strömten mir die Tränen, wie das Blut aus geöffneter Ader, aus den Augen. Und da Er mich in Pein ganz aufgelöst erblickte, wurde Er über meine Schmerzen so sehr betrübt, dass Er aus Mitleiden mit mir die Martern seiner eigenen Wunden nicht mehr zu verspüren glaubte. Gleichwie Adam und Eva um einen Apfel die Welt verkauft hatten, so haben mein Sohn und Ich, gleichwie mit einem Herzen, die Welt wieder losgekauft.»

10. Ferner finden sich auf Seite 283 die Worte: « Maria wusste, dass sie den Erlöser empfangen habe, dass Er aber, um die Menschen zu erlösen, leiden und sterben werde.»

Und auf Seite 314: «Wieder sah ich Maria an der Krippe stehen. Sie sah auf ihr Kind und hatte die tiefe Empfindung, es komme auf die Welt, um zu leiden.»

Das tiefe Geheimnis, welches in diesen so wahren, als einfachen Worten verborgen liegt, wird uns wiederum durch die weiteren Eröffnungen aufgeschlossen, welche die heilige Brigitta aus dem Munde ihres Engels zu vernehmen und auf sein Geheiß niederzuschreiben hatte. Sie lauten (Sermo angelicus cap 17 V 18. in «Revelationes s. Brigittae a Consalvo Duranto notis illustratae»):
« In ihren Weissagungen von dem Sohne Gottes redeten die Propheten auch davon, welchen bitteren Tod Er in seinem unschuldigsten Leib auf dieser Welt werde erdulden wollen, auf dass die Menschen in Vereinigung mit Ihm im Himmel des ewigen Lebens teilhaftig werden könnten. Demgemäß schilderten sie in ihren Prophezeiungen, wie der Sohn Gottes für die Erlösung des Menschengeschlechtes werde gebunden und gegeißelt, wie zum Kreuze geführt, wie schimpflich misshandelt und gekreuzigt werden. Wenn wir demnach glauben müssen, dass die Propheten wohl gewusst hatten, warum der unsterbliche Gott einen sterblichen Leib annehmen und in diesem Leib auf so mannigfache Weise gepeinigt werden wolle, so kann der christliche Glaube es um so weniger bezweifeln, dass unsere seligste Jungfrau und Herrin, welche Gott vor aller Zeit zur Mutter erkoren hatte, dies noch viel deutlicher gewusst habe. Und billig ist zu glauben, es sei der Jungfrau die Absicht nicht verborgen gewesen, aus der Gott sich würdigte, in ihrem Schoß mit dem menschlichen Fleisch sich zu bekleiden. Ja gewiss! Es ist fest und unbezweifelt zu bekennen, dass sie aus Eingebung des Heiligen Geistes den Sinn und die Bedeutung der prophetischen Worte weit vollkommener verstanden habe, als die Propheten selber, welche aus dem Munde desselben Heiligen Geistes ihre Worte vorgebracht haben. Darum ist es für gewisseste Wahrheit zu halten, dass, als die Jungfrau den Sohn Gottes nach seiner Geburt zum ersten Male auf ihre Hände nahm, es ihrem Geiste deutlichst vorschwebte, wie Er der Propheten Schriften werde zu erfüllen haben. So oft sie Ihn darnach in Windeln wickelte, empfand sie in ihrem Herzen, mit welch scharfen Geißeln sein ganzer Leib werde zerrissen werden, so dass Er das Aussehen eines vom Aussatz Geschlagenen haben würde. Und so oft die Jungfrau Arme und Füße ihres Kindleins sanft mit Tüchlein umwand, da gedachte sie, wie grausam dieselben mit eisernen Nägeln am Kreuze würden durchbohrt werden. Wendete sie ihr Auge nach dem Antlitz ihres Kindes, da ward sie inne, mit welcher Unehrerbietung die Mäuler der Gottlosen dieses heiligste Antlitz mit ihrem Auswurf besudeln werden. Und wie oft empfand die süßeste Mutter in ihrem Herzen, welche Faustschläge die Wangen ihres Sohnes treffen und welche Schmähungen und Lästerungen seine gebenedeiten Ohren erfüllen würden! Bald stellte sich ihr dar, wie seine Augen durch das herabrinnende Blut verdunkelt. Bald, wie sein Mund mit Essig und Galle werde getränkt werden. Bald drang es ihr zu Herzen, wie seine Arme mit Stricken gebunden, seine Nerven und Adern und alle Gewebe so unbarmherzig am Kreuze ausgedehnt und alle inneren Teile seines Leibes im Tode zusammengezogen und wie sein ganzer glorwürdiger Leib von innen und aussen durch die bittersten Peinen bis zum Verscheiden am Kreuze werde gefoltert werden. Denn es wusste auch die heilige Jungfrau, dass, sobald ihr Sohn seine Seele am Kreuze werde ausgehaucht haben, die scharfe Lanzenspitze seine Seite eröffnen und mitten durch sein Herz hindurch dringen werde.»

«Wie also die heilige Jungfrau mehr als alle anderen Mütter voll Freude war, so oft sie ihr neugebornes Kind betrachtete, indem sie es als wahren Gott und wahren Menschen erkannte, sterblich zwar nach seiner Menschheit, ewig unsterblich aber nach seiner Gottheit, so war sie doch im Vorherwissen seines bittersten Leidens zugleich die betrübteste aller Mütter. Und solcher Weise war ihre höchste Freudigkeit unabläßig von schwerster Trauer begleitet, gleich als würde einer Gebärenden gesagt: wohl hast du ein lebendes und in allen seinen Gliedern wohlgestaltetes Kind geboren, aber die Wehen des Gebärens werden bis zu deinem Tode nicht mehr aufhören. Wohl würde bei solchen Worten eine Mutter über das Leben und Gedeihen ihrer Leibesfrucht sich freuen, aber ohne Aufhören über ihr eigenes Leiden und ihren Tod sich betrüben. Doch könnte die Betrübnis solcher Mutter bei dem Gedanken an ihre Peinen und den Tod ihres Leibes nicht so groß sein, als es der Schmerz Mariä war, so oft sie des künftigen Todes ihres geliebtesten Kindes gedachte. Sie wusste aus den Worten der Propheten, wie zahllose und schwerste Peinen ihr süßestes Kind werde leiden müssen; und auch Simeon der Gerechte hatte ihr nicht aus ferner Vergangenheit her, wie die Propheten, sondern in das Angesicht geweissagt, dass ihre Seele ein Schwert durchbohren werde. Darum ist es wohl zu beherzigen, dass in dem Grade, als die Seelenkräfte weit stärker und fähiger sind, um Wohl und Wehe zu empfinden, als die körperlichen Sinne, die gebenedeite Seele der seligsten Jungfrau, welche von dem Schwerte durchbohrt werden sollte, von weit ärgeren Qualen erfüllt wurde, noch bevor ihr Sohn sein bitteres Leiden zu beginnen hatte, als der Leib einer Mutter, bevor sie gebiert, zu ertragen vermöchte. Denn das ihr geweissagte Schwert der Schmerzen kam mit jeder Stunde in dem Grade ihr näher, als ihr geliebtester Sohn dem Zeitpunkte seines bittersten Leidens sich näherte. Darum ist unbezweifelt zu glauben, dass der liebreichste und unschuldigste Sohn Gottes mit seiner Mutter ein kindliches Mitleiden trug und ihre Peinen durch häufige Tröstungen zu lindern suchte, sonst hätte ihr Leben es nicht vermocht, sie bis zum Tode ihres Sohnes zu ertragen.»

«Von jenem Zeitpunkte aber an, da der Sohn der Jungfrau gesprochen: <Ihr werdet Mich suchen, aber nicht finden> (Joh. 7,34.), da verwundete die Spitze des Schwertes ihrer Schmerzen das Herz der Jungfrau noch viel heftiger. Und als Er zuletzt von dem eigenen Jünger verraten und, wie Er geschehen lassen wollte, von den Feinden der Wahrheit und Gerechtigkeit gefangen wurde, da drang das Schwert der Schmerzen grausam durch ihr Herz, durch ihr Innerstes und durch ihre Seele, so dass alle Glieder ihres heiligsten Leibes mit unsäglichen Martern erfüllt wurden. Und so viele Peinen und Beschimpfungen ihrem Sohne angetan wurden, so viel mal erneuerte jenes Schwert seine ganze Schärfe in der Seele der heiligen Jungfrau. Sie musste ja alles mit ansehen, wie ihr Sohn von den Händen der Gottlosen mit Backenstreichen geschlagen, grausam und unbarmherzig gegeißelt und von den jüdischen Obrigkeiten unter dem tobenden Geschrei des ganzen Volkes: <An's Kreuz mit dem Verräter!> zum schimpflichsten Tode verurteilt wurde, wie Er mit gebundenen Händen zur Richtstätte geführt wurde, sein Kreuz in äußerster Erschöpfung auf den Schultern dahin tragend, während vorangehende Schergen Ihn an Stricken nach sich zogen, andere neben Ihm hergehend Ihn mit Faustschlägen antrieben und Ihn, das sanftmütigste Lamm, hetzten wie das grausamste Wild. Er aber war, wie Jesaias geweissagt, in all' seinen Nöten geduldig wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und klaglos, wie das vor seinem Scherer verstummende Lamm, öffnete Er seinen Mund nicht. Und so, wie Er das Bild der höchsten Geduld, so war es auch seine gebenedeite Mutter, welche alle Peinen mit Ihm teilte. Und wie ein Lamm seiner Mutter nachgeht, wohin sie geführt wird, so folgte auch die jungfräuliche Mutter ihrem Sohne an alle Stätten seiner Martern. So sah sie also mit an, wie ihrem Sohne zum Spotte die Dornenkrone auf das Haupt gesetzt, wie sein Angesicht von Blut überronnen, seine Wangen durch härteste Backenstreiche dunkel gerötet wurden. Der übergroße Schmerz ihres Mitleidens presste ihr Seufzer aus und brachte ihr Antlitz zum Erblassen. Und als bei der Geißelung der heiligste Leib ihres Sohnes aus tausend Wunden blutete, da rannen aus ihren Augen die bittersten Tränenbäche nieder. Bei der grausamsten Ausspannung ihres Sohnes am Kreuzesstamm aber begannen alle Kräfte ihres Leibes zu schwinden. Und als vollends der Schall der Hammerschläge, mit welchen durch die Hände und Füße ihres Sohnes die eisernen Nägel getrieben wurden, an ihr Ohr drang, da vergingen der Jungfrau alle Sinne, und im Übermaß dieser Marter sank sie einer Sterbenden gleich zur Erde nieder. Als die Juden ihn mit Galle und Essig tränkten, da vertrockneten vor Angst ihres Herzens Zunge und Gaumen der Jungfrau, so dass sie nicht vermochte, ihre gebenedeiten Lippen zu einem Worte zu bewegen. Und als sie darauf die klägliche Stimme ihres im Todeskampf rufenden Sohnes vernahm: <Mein Gott, mein Gott, warum hast du Mich verlassen?> und sehen musste, wie alle seine Glieder erstarrten und Er mit geneigtem Haupte seinen Geist aufgab, da schnürte die Heftigkeit der Schmerzen das Herz der Jungfrau so zusammen, dass jedes Gelenk ihres heiligsten Leibes die Bewegung versagte.»

«Daraus aber mögen wir wohl erkennen, welch ein großes Wunder Gott hier zu wirken hatte, dass die jungfräuliche Mutter deren Herz von so unaussprechlich vielen und großen Martern verwundet war, ihren Geist nicht vollends aufgab, als sie auch noch mit ansehen musste, wie ihr geliebter Sohn seiner Kleider beraubt, von Wunden zerrissen, mit Blut überlaufen, lebend und tot, verhöhnt und verspottet, mit der Lanze durchbohrt zwischen zwei Mördern am Kreuze hing, während die Mehrzahl seiner Anhänger und Freunde Ihn verließ, davon floh und gar weit von der Geradheit des wahren Glaubens sich verirrte. Gleichwie also ihr Sohn unter größeren Peinen, als alle Menschen zusammen nicht zu ertragen vermöchten, den bittersten Tod für uns erdulfet hat, so hat auch seine mit Ihm leidende Mutter in ihrer gebenedeiten Seele dieselben Peinen für uns mitgetragen.»

«Im ersten Buche der Könige wird von der Frau des Phinees erzählt, dass sie bei der Nachricht von dem Verluste der Bundeslade an die Feinde Gottes vor heftigem Schmerze gestorben sei. Aber der Schmerz dieser Frau lässt sich mit dem Schmerze nicht in Vergleich bringen, welchen die jungfräuliche Mutter empfand, als sie den Leib ihres gebenedeiten Sohnes, dessen Vorbild jene Lade des Bundes gewesen, mit Nägeln an das Holz des Kreuzes geheftet erblickte. Denn die Jungfrau liebte ihren Sohn, als wahren Gott und wahren Menschen, mit unvergleichlich größerer Liebe, als irgend ein Menschenkind sich selbst oder einen anderen lieben könnte. Darum ist es auch ein ganz augenscheinliches Wunder, dass Maria den unbegreiflichen Peinen nicht erlag, welche sie verwundeten, während die Frau des Phinees schon über einen viel geringeren Schmerz das Leben verlor. Wer muss nicht unwillkürlich dabei denken, dass nur das unmittelbare Eingreifen der Allmacht Gottes sie gegen alle Möglichkeit der körperlichen Kräfte am Leben erhalten konnte ?»

« Durch seinen Tod schloss der Sohn Gottes den Himmel uns auf und aus der Vorhölle erlöste Er im Triumph seine Getreuen. Maria aber blieb im Leben zurück. Und sie war es, die einzig und allein bis zur Auferstehung ihres Sohnes den wahren Glauben unerschütterlich bewahrte und gar viele, welche elendiglich vom Glauben abgeirrt waren, wieder zum Glauben zurückführte und darin bestärkte.»

Die eben angeführten Stellen aus den «Offenbarungen der heiligen Brigitta» sind in solcher Ausführlichkeit auch aus dem Grunde hier ausgehoben, weil sie zugleich eine glänzende Rechtfertigung der ganzen Auffassung und Schilderung des vollkommenen Miterleidens der ganzen Passion unseres Herrn von Seite seiner heiligsten Mutter enthalten, wie solche in den Mitteilungen der seligen Emmerick über «das bittere Leiden» uns geboten wird.

11. Die in erster Reihe oben ausgehobenen Worte der seligen Emmerick: «dass Maria in der Stunde der Verkündigung zehn Minuten in Entzückung gewesen sei», finden in den tiefsinnigen Mitteilungen der seligen Maria von Agreda ihre Beleuchtung und Ergänzung. Letztere berichtet nämlich:
«In dem Augenblick, als die allerseligste Jungfrau auf den Gruß des Engels antwortete: (Mir geschehe nach deinem Wort>, geriet ihre heiligste Seele vor Bewunderung, Anbetung und höchster Liebe Gottes in Entzückung und vor Übermacht dieser erhabensten Akte ergossen sich aus ihrem heiligsten Herzen drei Tropfen ihres reinsten Blutes, aus welchen durch die Kraft des Heiligen Geistes der menschliche Leib unseres Herrn in zwar kleinster, aber vollkommener Gestalt gebildet und ihm die in demselben Augenblicke von Gott erschaffene menschliche Seele eingegossen wurde, so dass zugleich, in diesem einen und sei ben Augenblick, sich auch die Person des ewigen unerschaffenen Wortes diese vollkommene menschliche Natur mit seiner Gottheit hypostatisch vereinigte. Dies alles geschah nicht nacheinander, oder in voneinander getrennten kleinsten Zeitteilchen, sondern in dem einen und selben ersten, ungeteilten Augenblick, so dass nicht gesagt werden kann, zuerst war die wahre Menschheit und dann wurde sie in der Person des Wortes mit der Gottheit vereinigt, sondern es war unser Herr und Heiland wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich in dem einen und selben ersten Augenblick seiner Empfängnis, in welchem ebenfalls auch die heiligste menschliche Seele unseres Herrn mit der beseligenden Anschauung und der beseligenden Liebe Gottes sowie mit der höchsten Gnadenfülle begabt war. Wer vermag zu fassen, oder nach Gebühr dies Geheimnis zu bewundern, dass in den noch so kleinen menschlichen Leib unseres Herrn die ganze Herrlichkeit und Größe der unermesslichen Gottheit sich einschloss, und dass dieser heiligste Leib zugleich der höchsten Glorie, wie der höchsten Fähigkeit zu leiden teilhaftig war!»

« In dieser ihrer Entzückung erhielt die heiligste Jungfrau die klare und in das Einzelne dringende Anschauung dieses in ihr nun vollbrachten Geheimnisses der hypostatischen Einigung der göttlichen und der menschlichen Natur in der Person des ewigen Wortes. Und von der heiligsten Dreieinigkeit empfing sie die Bestätigung in der Würde, in dem Namen, in den Rechten und der vollen Wirklichkeit als Mutter Gottes, welche sie in der Tat nun war, indem sie schon die wahrhaftige Mutter eines Sohnes geworden war, der als wahrer Gott von Ewigkeit nun auch wahrer Mensch in ihr geworden.»

« Sie erhielt ferner in dieser Entzückung die klarste Erkenntnis aller künftigen Ereignisse des Lebens und Sterbens ihres süßesten Sohnes, und damit auch des Geheimnisses der Erlösung der Welt und des auf Grundlage des Evangeliums zu errichtenden neuen Gesetzes der Gnade. In dem durchdringenden Lichte dieser hohen Erleuchtung wurde die weiseste Jungfrau und Mutter Gottes zugleich inne, dass ihr die Anschauung aller dieser Geheimnisse um ihrer Mutterschaft des Sohnes Gottes willen verliehen werde. Darum verdemütigte sie sich vor Gott so sehr, dass sie durch die Heftigkeit ihrer mit dieser Demut vereinigten Liebe hätte ihren Geist aufgeben können.»

« Dann betete sie die unendliche Wesenheit des Herrn an, wie sie in sich selber ist, und wie sie nun mit seiner heiligsten Menschheit vereinigt war, indem sie für die ihr verliehene höchste Gnade und Auszeichnung der Mutterschaft Gottes dankte, sowie für alles andere, was die göttliche Majestät zum Heile der ganzen Welt auszuführen beschlossen hatte. Auch den Tribut des schuldigen Lobes und Preises brachte sie an Stelle und im Namen aller Sterblichen dem höchsten Gotte dar; sich selbst aber bot sie an und erklärte sich bereit, ihrem süßesten Sohne alle Dienste einer Mutter zu leisten, Ihn zu gebären, zu ernähren und auf alle Weise zu bedienen, um das Werk unserer Erlösung durch ihren Beistand und ihre Mitwirkung, soweit es an ihr liege, nach Kräften zu befördern. Die heiligste Dreieinigkeit nahm diese Bereiterklärung mit solchem Wohlwollen auf, dass sie Maria unserem heiligsten Erlöser als seine wahrhafte Gefährtin in Vollführung des Werkes unserer Wiederherstellung zur Seite gab. Sie erflehte sich auch die für solch erhabenste Aufgabe nötigen Gnaden und Erleuchtungen, um ihrer Würde und ihrem Amte als der Mutter Gottes nach Gebühr zu genügen und Gott ihrem Sohne mit der Ihm schuldigen Ehrerbietung und Anbetung allzeit zu begegnen. Endlich opferte sie schon jetzt ihrem heiligsten Sohne alle Nachkommen Adams, samt den Altvätern in der Vorhölle auf, indem sie in aller und in eigenem Namen die heldenmütigsten Tugenden erweckte.»

«Als Maria aus dieser tiefen Entzückung zurückkam, betete sie ihr heiligstes Kind an, das sie als wahren Gott und wahren Menschen in ihrem jungfräulichen Schoß trug. Von dieser Stunde an empfand sie in ihrer heiligsten Seele, wie in allen inneren und äußeren Sinnen, neue, bisher ungewohnte Wirkungen der Allmacht Gottes. Und war sie auch während der ganzen Zeit ihres Lebens, der Seele wie dem Leib nach, in einem in jeder Hinsicht höchst erhabenen Stand und Verfassung, so wurde sie doch von dem Tage der heiligsten Menschwerdung an durch noch höhere Gnaden und durch unaussprechliche Gaben ganz vergeistigt und wie vergöttlicht.»

« Indes denke ja niemand, als wäre von nun an das Leben der jungfräulichen Mutter ein von geistlichen Wonnen überfließendes gewesen. Nein! Ihr Leben war in vollkommenster Gleichförmigkeit mit dem Leben ihres göttlichen Sohnes ein ebenso leidenvolles, als freudenreiches. Denn die klarste Erkenntnis aller Beschwerden, Mühsale, und des Leidens und Sterbens ihres heiligsten Sohnes war so tief, so lebendig und so beständig in ihrer Seele, dass ihr Herz ohne Aufhören von dem Schwerte des heftigsten Schmerzes verwundet wurde. Und dieser Schmerz war ebenso unbegreiflich groß, wie die Klarheit ihrer Erkenntnis und die Stärke der Liebe, die sie zu ihrem Sohne trug. Und gerade die Nähe, die Gegenwart ihres geliebtesten Sohnes und die Süßigkeit des Umganges mit Ihm machte diesen Schmerz so brennend und immerdar wie neu. Das ganze äußere Leben Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter war eine ununterbrochene Kette von Pein und Leiden, ein beständiger Weg des Kreuzes in Trübsal jeder Art. Aber das innere, verborgene Leben, das Leben des unschuldigsten liebendsten Herzens der heiligsten Jungfrau war nicht weniger eine ununterbrochene Kette der bittersten Leiden. Denn in diesem allerreinsten Herzen empfand sie ohne Aufhören, ohne Milderung und ohne Trost oder Teilnahme von einem Geschöpfe je zu begehren, alle Misshandlungen und Beschimpfungen, alle Peinen und Qualen des bittersten Todes ihres Sohnes, welche ohne Unterlass vor ihren Augen standen. So war also dieses durch dreiunddreißig Jahre dauernde geheime Leiden des heiligsten Herzens Mariä wie die Vorfeier oder die Vigilie der überreichen Erlösung, welche ihr göttlicher Sohn am Stamme des Kreuzes für uns vollbringen wollte.»

« Indem sich so im Herzen Mariä Liebe und Leiden in Süßigkeit und Trauer begegneten, seuftze sie gar oft aus dem Innersten der Seele zu ihrem heiligsten Sohne in den Worten: (O mein Herr, Besitzer meiner Seele, süßeste Frucht meines Leibes! Warum hast Du mir verliehen, deine Mutter zu sein und als mein liebstes Kind Dich zu besitzen, an diesen Besitz aber die so schwere Last von Pein geknüpft, dass ich Dich wieder verlieren und deines süßesten Umgangs wieder beraubt werden soll? Kaum hast Du einen Leib Dir angenommen und zu leben begonnen und schon verlautet der Urteilsspruch deines bittersten Todes für die Erlösung der Menschen! Deine Menschwerdung allein war schon ein überreiches Lösegeld und konnte überfließende Genugtuung für die Schuld der ganzen Welt leisten. O wäre doch durch sie die Gerechtigkeit des ewigen Vaters versöhnt und befriedigt und wären nur für mich allein die Marter und der Tod, der Dich erwartet, aufbehalten! Von meinem Blute, von meiner Substanz hast Du einen Leib Dir angenommen, und so hast Du es von mir, dass Du leiden kannst, und ohne mich bist Du des Leidens, wie des Sterbens nicht fähig. Bin ich es also, welche Dir das Werkzeug und die Möglichkeit zum Leiden gegeben hat, so lasse geschehen, dass ich mit Dir auch leide und zwar bis in den Tod! O grausamste, unmenschliche Schuld, wie ist es möglich, dass du trotz deiner Bosheit und aller Übel, die du gebracht, dennoch des Glückes gewürdigt bist, einen Erretter zu finden, der als das höchste Gut und als der Inbegriff aller Seligkeit der Menschen nicht bedarf, aber doch sie selig machen will? O süßester Sohn meiner Liebe! Wer wird Dich schützen, hüten, verteidigen vor deinen Feinden? O wäre es doch der Wille deines Vaters, dass ich vor dem Tode Dich bewahren, oder doch mit Dir sterben dürfte, um nie mehr von Dir getrennt zu werden! Aber ich werde nicht so glücklich sein, wie unser Vater Abraham. Was im ewigen Ratschluss beschlossen ist, das wird geschehen. Ja es geschehe der Wille des Herrn in allen Dingen ! > Solche Seufzer heißester, überströmender Liebe wiederholte unsere Königin und Herrin sehr oft, und der ewige Vater nahm sie als lieblichstes Opfer wohlgefällig an; auch ihr heiligster Sohn empfand darüber süßeste Freude.»

12. Alle weiteren Tatsachen und Geheimnisse aus dem Leben der seligsten Jungfrau, vor der Geburt des Sohnes Gottes bis zu dessen Kreuzestod, über welche die selige Emmerick berichtet, sind ohne Ausnahme in demselben Geiste der Wahrhaftigkeit, der Lauterkeit und Heiligkeit geschildert, wie er aus den Worten einer heiligen Brigitta und Maria von Agreda hervorleuchtet, so dass wir ihre Mitteilungen auf keine andere Quelle zurückführen können, als jene ist, aus der auch die beiden letzteren zu schöpfen gewürdigt waren. Außerdem ist alles, was die selige Emmerick erzählt, in der ihr eigenen unnachahmlichen Einfachheit vorgebracht, welche schon an und für sich ein sehr beredtes Zeugnis nicht allein für ihre eigene lauterste Seelenreinheit, sondern auch für die absichtslose Treue und Gewissenhaftigkeit des Aufzeichners ihrer Worte ist. Diese rührende Einfachheit, oder besser gesagt, diese wahrhaft heilige Einfalt tritt besonders in jenen Mitteilungen hervor, welche die Armut und Niedrigkeit der seligsten Jungfrau zum Gegenstand haben. So könnte es einem oder dem anderen Leser sogar befremdlich vorkommen, dass die hochbegnadigte, an Weisheit und Macht über alle Engel erhabene Jungfrau mit dem heiligen Joseph auf der mühseligsten Reise von Nazareth nach Bethlehem unmittelbar vor der Geburt ihres göttlichen Kindes so große Armut und Beschwerden ohne andere Hilfeleistung zu ertragen gehabt haben solle, als ihr von dem guten Willen der Leute gewährt wurde, welche sie demütigst darum zu bitten hatte. Oder schwerer noch möchte die Schilderung der äußersten Not und Verlassenheit ihm einleuchten, welche die heilige Familie auf der Fluchtreise nach Ägypten und während der ganzen Zeit ihres dortigen Aufenthaltes zu erdulden hatte; aber die Rechtfertigung und der Schlüssel zu diesen Geheimnissen lässt sich wiederum aus den Worten der seligen Maria von Agreda entnehmen, welche bezeugt:
« In ihrer unvergleichlichen Demut wollte die heiligste Jungfrau, obwohl an Fülle der Weisheit die Cherubim übertreffend, doch gleich einer Unwissenden von allen lernen und geschehen lassen, dass sie belehrt werde. So oft sie aber von der durch Gott ihr eingegossenen Wissenschaft Gebrauch machte, oder den Willen Gottes erkennen wollte, war sie so einsichtig und fasste so erhabene Ziele mit allen sie begleitenden Umständen ins Auge, dass sie durch ihre Entschließungen allezeit das Herz Gottes verwundete und zur Einstimmung in ihren Ihm wohlgefälligsten Willen geneigt machte.»

« Ebenso groß und bewunderungswürdig war ihre Liebe zur Armut und Strenge. Denn, obwohl sie die Herrschaft über alle Geschöpfe besaß, und alle Geschöpfe ihren Winken unterwürfig waren, so verzichtete sie doch, um ihrem göttlichen Sohne vollkommen gleichförmig zu sein, gänzlich darauf, ihre Herrschaft über das von Gott ihr Unterworfene auszuüben. Denn gleichwie Gott dem Fleisch gewordenen Wort alles übergab, so stellte auch der Sohn alles unter die Macht seiner Mutter; welche aber wiederum, auf dass das Gleiche auch von ihr geschehe, auf alles zur Verherrlichung ihres Sohnes und Herrn im Willen, wie im Werke Verzicht leistete.»

« Es waren auch alle ihre Handlungen von so hoher Einfalt, ihre Worte von solcher Süßigkeit, ihr ganzes Äußere von so erhabener, himmlischer Anmut, dass man sie für mehr als einen Menschen hätte halten mögen, wenn nicht der Glaube, wie der hl. Dionysius Areopagita von sich bekennt, belehrt hätte, dass sie ein Geschöpf sei.»

13. Wenn oben gesagt worden ist, dass das Geheimnis der unbegreiflichen Demut Mariä der Grund und die Vollendung ihrer Tugenden und Verdienste sei, und dass ihr ganzes Leben, so, wie es in Wirklichkeit auf Erden verlaufen ist und wie es die Schilderungen der seligen Emmerick uns vor Augen führen, nur aus dem Geheimnis ihrer Demut gewürdigt werden könne, so finden auch diese Worte ihre Begründung und Rechtfertigung in den Eröffnungen der seligen Maria von Agreda, welche jedem aufmerksamen Leser zu hoher Erbauung gereichen werden. Sie lauten:

«Über alle anderen Tugenden leuchtet aus jedem Worte und jeder Handlung Mariä ihre unvergleichbare Demut hervor. Darum erfasst mich große Furcht, ich möchte die Erhabenheit dieser ganz einzigen Tugend verletzen, wenn ich es versuche, einen Ozean in die engen Grenzen meiner Worte einzuschließen, der im Stande war, die unermessliche, grenzenlose Größe Gottes in sich aufzunehmen und zu umschließen. Alles, was die Heiligen und selbst die Engel in Hinsicht der Demut in Gedanken und Werken je zu erreichen vermochten, das reicht nicht an das kleinste Teilchen der Demut, welche die so herrliche Zierde unserer Königin ist. Welchen Heiligen oder welchen Engel konnte Gott je seine Mutter nennen? Wer durfte außer Maria und Gott dem ewigen Vater, das Fleisch gewordene Wort seinen Sohn heißen? Wenn nun jene, die in ihrer Mutterwürde Gott dem Vater gleich geworden und die mit allen dieser Hoheit gebührenden Gnaden und Gaben geziert ist, sich in der eigenen Meinung von sich auf die unterste Stufe der Geschöpfe stellt und diese alle als ihr selber vorausgehend betrachtet, welchen Wohlgeruch, welch süßesten Duft muss diese demütige Narde für Gott ausgehaucht haben, sie, die Ihn als den höchsten König aller Könige in ihrem Schoße beherbergte?»

« Dass die Säulen des Himmels vor dem unnahbaren Glanze der unendlichen Majestät Gottes in Furcht und Zittern geraten, ist nicht zu verwundern, denn vor ihren Augen wurden ihre Mitgenossen aus dem Himmel gestoßen, während sie selber vor dem Falle durch Gaben und Erleuchtungen bewahrt blieben, an denen sie alle miteinander Anteil gehabt hatten. Dass die größten und nie besiegten Heiligen sich verdemütigten, dass sie begehrten, verachtet und erniedrigt zu werden, dass sie sich für gänzlich unwürdig der geringsten Gnadengaben fühlten und auch nicht minder unwürdig des Gebrauches oder der Hilfe der natürlichen Güter, war ganz in Ordnung und wie von selbst aus der Tatsache sich ergebend, dass wir alle Sünder und des Ruhmes vor Gott ermangelnd sind. Auch war niemand je so heilig und erhaben, dass er nicht höher noch hätte werden können, noch je so vollkommen, dass ihm nicht irgend ein Vorzug gefehlt hätte, noch endlich so schuldlos, dass nicht das Auge Gottes an ihm etwas hätte finden können, was seines Wohlgefallens nicht würdig gewesen wäre. Und gesetzt auch, es wäre einer in allen Stücken vollkommen erfunden worden, so wäre er dies doch nur innerhalb der Schranken der allen Menschen gemeinsamen Gnade und deren Gaben, über welche hinaus er allein über alle anderen und in allen Stücken sich nicht zu erheben vermocht hätte.»

« Die Demut der allerreinsten Jungfrau aber ist darum ohne Ihresgleichen und ganz und gar unerreichbar, weil sie, als die Morgenröte der Gnade, als der Inbegriff und Quell aller guten Gaben, deren die Geschöpfe teilhaftig werden können, und als das über alle Geschöpfe erhabene Wunder der göttlichen Vollkommenheiten, weil sie als der Mittelpunkt der Liebe Gottes, als die Grenze, welche Gott seiner Allmacht gesetzt hat, indem Er ein vollkommeneres Geschöpf als Maria nicht hervorbringen wollte, weil sie endlich jene, die Gott selbst ihren Sohn nennen und von Ihm den Namen Mutter empfangen konnte, sich auf die letzte Stufe unter alle Kreaturen erniedrigt hat. Und sie, welche der höchsten Vollkommenheit unter allen bloßen Geschöpfen Gottes teilhaftig war und keine höhere über sich hatte, zu der sie hätte aufsteigen können, verdemütigte sich so sehr, dass sie für unwürdig sich erachtete, auch nur das geringste Zeichen einer Hochachtung, eines Vorzuges, einer Ehre von dem niedersten mit Vernunft begabten Wesen zu empfangen. Und nicht blass für unwürdig erachtete sie sich, die Mutter Gottes und mit den dieser Würde gebührenden Gnaden geziert zu sein, sondern selbst der Luft, die sie einatmete, der Erde, die sie trug, der Nahrung, die sie zu sich nahm und überhaupt des Dienstes und Gebrauches irgend welchen Dinges. Sie hielt für gewiss, dass sie all dessen, was sie empfange, nicht würdig sei und dankte so aufrichtig dafür, als verhalte es sich in Wirklichkeit so, wie es ihrer Demut erschien. Und um mit wenigen Worten vieles zu sagen: wenn ein mit Vernunft begabtes Wesen nicht nach einem Vorrang strebt, der ihm in keiner Weise gebührt, und dessen es auch in gewisser Hinsicht sich unwürdig gemacht hat, so ist das kein Zeichen einer besonders großen Demut, wenn schon der allerhöchste Gott nach seiner Gütigkeit als solche sie annimmt und den, der sich also demütigt, seines Lohnes versichert. Das aber übersteigt alles Begreifen, dass jene tiefer, als alle Geschöpfe zusammengenommen sich selbst verdemütigt, welche, obwohl ihr alle Herrlichkeit und Auszeichnung gebührt, doch solche weder begehrt noch irgendwie sucht, sondern als die würdige Mutter unseres Gottes, in der eigenen Meinung sich gleich einem Nichts betrachtet, durch welche Demut sie verdiente, dass nach Gerechtigkeit sie zur Herrschaft und zum Vorrang über die ganze Schöpfung erhöht wurde.»

14. In den «Offenbarungen der heiligen Brigitta» finden sich viele Worte der seligsten Jungfrau, in denen sie auf rührende Weise die Gläubigen ermahnt, ihrer Schmerzen in wahrem Mitleiden stets eingedenk zu sein. So sprach Maria einmal zu Brigitta:

« Stelle dir vor, es habe ein armer Mensch auf Rücken und Armen eine schwere Last gar mühselig an einer großen Schar müßiger Leute vorbei zu schleppen. Würde er nicht seine tränenvollen Blicke nach der Menge hinüber richten, ob denn nicht einer darunter sei, der seiner sich erbarmen und die schwere Bürde ihm erleichtern möchte? Siehe dieser Arme bin ich selbst! Denn von der Geburt meines Sohnes an bis zu seinem Tode war ich voll Pein und Trüsbal. Auf meinem Rücken trug ich beständig die schwerste Last, indem ich alles auf mich nahm, was Gott mir zu tragen gab, und alles was mir begegnete, in Geduld ertrug. Auf meinen Armen hatte ich eine gleich schwere Last, indem mein Herz mehr Schmerz und Weh empfunden hat, als irgend ein Geschöpf. Meine Augen waren immerdar voll Tränen, so oft ich an den Händen und Füßen meines Sohnes die künftigen Wundmale der grausamen Nägel erblickte und seines bittersten Leidens gedenken musste. Denn ich wusste, es werde alles an Ihm erfüllt werden, was die Propheten von Ihm geweissagt. Und schaue ich nun nach den Menschen hin, ob nicht unter ihnen doch einige sich finden, die Mitleid mit mir tragen und meiner Schmerzen gedenken möchten, da erblicke ich nur wenige, die daran denken, welche Not und Peinen ich zu tragen hatte. Und von sehr vielen bin ich vergessen und ganz und gar vernachläßigt. So wolle doch du, meine Tochter, dein Auge nach mir wenden, meiner Schmerzen und Tränen gedenken und trauern, dass der Freunde Gottes so wenige sind.»

Und um die hohe Bedeutung des mitleidenden Betrachtens der Schmerzen Mariä der heiligen Brigitta zu zeigen, wurde sie am Lichtmessfest in der Kirche Maria Maggiore eines himmlischen Gesichtes gewürdigt, aus dem sie Folgendes noch mitteilen konnte (Revel. I. II. c. 24):

«Ich sah die ganze Vorbereitung des Himmels zur Feier des Festes. Der Himmel erschien als eine große Kirche von wunderbarer Schönheit. Ich sah den greisen Simeon, wie er sich bereit hielt, das heiligste Jesuskind auf seine Arme zu empfangen. Er war in sehnsüchtiger Erwartung und Freudigkeit. Und ich sah die heiligste Jungfrau in derselben demütigsten Anmut, wie einst auf Erden, mit ihrem Kinde auf den Armen, zu ihm herannahen. Eine unzählbare Schar von Engeln und alle Ordnungen der Heiligen zogen in Prozessionen vor und um die heilige Jungfrau, vor welcher her von einem Engel ein großes, breites, blutiges Schwert als das Sinnbild ihrer Schmerzen beim Tode ihres geliebtesten Sohnes, wie sie ihr Simeon als ein Schwert geweissagt hatte, getragen wurde. Ich vernahm die Lob- und Freudengesänge des ganzen himmlischen Hofes und dabei wurde mir gesagt: siehe, das ist die Ehre und Herrlichkeit, weIche an diesem Feste der ganze Himmel seiner Königin für das Schwert der Schmerzen darbringt, das sie in der Passion ihres geliebten Sohnes durchbohrt hat.»

15. Dass an diesem Freudenfest der Himmlischen nur jene teilnehmen dürfen, welche während ihres Lebens der Schmerzen Mariä gedenken, das wurde der Heiligen unter dem folgenden Gleichnisse von Maria selbst geoffenbart:
« Die Welt, meine Tochter, » sprach Maria, «gleicht einem Hause, wo ein Reigentanz aufgeführt wird. Denn gleichwie bei solchem Tanze nur leere törichte Freude, übermäßige Rede und eitle, vergebliche Anstrengung, so kreist auch die Welt in beständiger Unruhe, die sie törichst genug für Freude erachtet. Wenn nun ein mit Schmerz und Trauer Beladener in dies Haus der Tanzenden eintreten würde, unter denen ein Freund von ihm sich fände, so würde dieser bei seinem Anblick von Mitleid bewegt wohl nicht länger an der törichten Freude Gefallen finden, sondern die Reihen verlassen und mit dem Betrübten trauern. So würden auch jene, welche in dem Reigentanz der Welt sich erinnern wollten, welche Mühsal und Pein ich ertragen, Mitleid mit mir empfinden, dass ich, von aller Weltfreude mich absondernd, das Schwerste beständig zu leiden hatte. Und ihr Mitleiden mit mir würde sie an den Torheiten der Welt kein Gefallen mehr finden lassen.» Und diese ihre Mahnung begleitet Maria, um aller Herzen zu gewinnen, mit der erschütternden Beschreibung ihrer Schmerzen beim Tode ihres Sohnes: «Ich war bei diesem Tode als Mutter, deren Herz von einer fünffachen Lanzenspitze durchbohrt wurde. Die erste Lanze war die schmähliche Entblößung, in der ich meinen geliebtesten, allmächtigen Sohn seiner Kleider beraubt und ohne Verhüllung an der Geisselsäule stehen sah. Die zweite waren die falschen Anschuldigungen, dass Er ein Verräter, ein Lügner, ein Verführer sei, Er, von dem ich wusste, dass Er als der Gerechteste und Wahrhaftigste nicht fähig war, jemanden irgendwie zu betrüben. Die dritte war mir die Dornenkrone, die sie so unmenschlich auf sein heiligstes Haupt schlugen, dass das Blut aus Mund und Ohren rann. Die vierte war seine Wehklage am Kreuzesstamm, da Er zu seinem Vater rief: « O Vater, warum hast Du Mich verlassen?» als wollte Er sagen: O Vater, niemand ist, der Meiner sich erbarmte, als Du allein! Die fünfte, die mein Herz durchbohrte, war sein bitterster Tod. Aus so vielen Adern sein kostbares Blut sich ergoss, aus so vielen Wunden blutete mein durchbohrtes Herz. Denn auch die Adern seiner Hände und Füße waren durchbohrt und die Schmerzen seiner Nerven schossen wie Pfeile nach dem Herzen hin, und von da wieder zurück in die Nerven. Und da sein Herz das kräftigste und stärkste, weil das vollkommenst gebildete war, so rangen in Ihm Leben und Tod miteinander, so dass unter den heftigsten Peinen die Lebenskraft viel länger aushielt, bis endlich im Übermaß der Schmerzen das Herz brach und der Tod sich einstellte. Da erzitterten alle seine Glieder, sein zur Seite geneigtes Haupt schien sich aufzurichten, die Wimpern der geschlossenen Augen hoben sich zur Hälfte, der Mund öffnete sich und ließ die blutbedeckte Zunge erblicken. Die zusammengekrümmten Finger und Arme dehnten sich aus, und da Er die Seele aushauchte, sank das Haupt zur Brust herab. Die Hände sanken in den Wundmalen der Nägel nieder, und auf die Füße senkte sich die ganze Last des Leibes. Da krümmten wie verdorrt sich auch mir die Hände. Meine Augen verdunkelten sich, mein Gesicht erblasste wie das eines Sterbenden. Meine Ohren hörten nicht. Der Mund vermochte nicht zu sprechen. Meine Füße wankten, mein Leib sank zur Erde nieder. Und da ich mich erhob und meinen Sohn erblickte von Blut und Wunden mehr entstellet als ein Aussätziger, da vereinte ich meinen Willen ganz und gar mit Ihm. Ich wusste, dass alles nach seinem Willen geschehen war und ohne seine Zustimmung nie hätte geschehen können. Ich dankte Ihm für alles. Und so mischte sich in meine Trauer auch Freude. Ich sah zu Ihm hinauf, der als der Sündenlose aus übergroßer Liebe für die Sünder solches hatte leiden wollen. O dass doch alle Menschenkinder bedenken und immerdar vor Augen haben wollten, wie es mir in der Todesstunde meines Sohnes ergangen ist!»

16. Wer kann dieser Schilderung sein Herz verschließen, wenn er dazu noch die folgenden Worte der allerseligsten Jungfrau an die heilige Brigitta vernimmt (I, II. c. 25.):
«Viele wundern sich darob, dass ich zu dir rede. Ich tue es in der Absicht, um meine Demut zu offenbaren. Gleichwie das Herz über ein krankes Glied seines Leibes nicht froh werden kann, bis es nicht wieder gesund geworden, und wie dann im Herzen größere Freude darüber sich einstellt, so ist dasselbe auch bei mir der Fall. Wie sehr krank, d. i. welch ein Sünder ein Mensch auch sein mag, wenn er nur mit ganzem Herzen und mit ernster, wahrhafter Besserung zu mir wiederum zurückkehrt, so bin ich alsogleich bereit, ihn aufzunehmen. Ich sehe nicht auf die Größe seiner Schuld, sondern auf seine Gesinnung und die Absicht, in welcher er wieder zu mir kommt. Ich werde von allen die Mutter der Barmherzigkeit genannt und ich bin sie in Wahrheit. Die Barmherzigkeit meines Sohnes hat mich dazu gemacht und da ich seine Barmherzigkeit kenne, bin ich voll Mitleiden. Darum ist ein Sünder sehr unglücklich, der zu meiner Barmherzigkeit, obwohl er könnte, nicht seine Zuflucht nimmt. So komme du, meine Tochter, und berge dich unter dem Mantel meiner barmherzigen Demut!»

17. Im Leben der seligen Veronica von Binasco (Acta Sanctorum, Januarii tom. II. I. I. c. IX) wird berichtet, dass sie in einem Gesichte von unserem Herrn die Worte vernommen habe:
«Wisse meine Tochter, dass Mir Tränen, welche bei Betrachtung meines Leidens geweint werden, sehr wohlgefällig sind. Doch ist Mir bei der unbegreiflich großen Liebe, die Ich zur Königin des Himmels trage, die Mich geboren, eine aufmerksame Betrachtung der Schmerzen, welche sie bei meinem Leiden empfunden, noch wohlgefälliger.»

18. Aus der sehr ausführlichen Schilderung des «bitteren Leidens und Todes unseres Herrn und Heilandes», wie sie von der seligen Emmerick uns geboten wird, und die seit einer langen Reihe von Jahren ein Gemeingut der Gläubigen des ganzen Erdkreises zum höchsten Segen für die Seelen geworden ist, soll hier nur eine einzige Tatsache hervorgehoben werden, welche so einfach erzählt ist, dass ihre hohe Bedeutung leicht übersehen werden kann. Sie verbreitet aber bei näherer Würdigung ein so überraschendes Licht über die ganze Stellung und Aufgabe der heiligsten Jungfrau im Werke der Erlösung, dass sie wohl verdient, mit erhöhter Aufmerksamkeit erwogen zu werden: die Tatsache nämlich, dass Maria schon, während der heiligste Erlöser von Pilatus zu Herodes geführt wurde, alle bisher zurückgelegten Stationen des Leidensweges wieder aufgesucht, mit ihren Tränen benetzt und unter erneuerten Schmerzen andächtigst verehrt habe. Diese Meldung steht, wie wir sehen werden, im innigsten Zusammenhang mit allen früheren Äußerungen der seligen Emmerick über das Mitleiden der seligsten Jungfrau aller Nöten, Schmerzen und Peinen, welche ihr göttlicher Sohn von seiner heiligsten Menschwerdung an bis zu seinem Tode für unser Heil auf sich nehmen wollte. Schon in seiner Empfängnis war Maria des klarsten Vorherwissens seines Todes und aller mit ihm verbundenen äußeren und inneren Martern teilhaftig geworden, und diese ihre hellste, lebendigste Erkenntnis war für sie der unversiegbare, immerdar sich erneuernde Quell eines Leidens, das sie ohne die Tröstungen der heiligsten Liebe ihres göttlichen Sohnes nicht zu ertragen vermocht hätte. Dasselbe war so unermesslich, dass es für sich allein, ohne die zahllosen, in jedem Augenblicke ihres ganzen Lebens für sie, als Mutter des Erlösers, sich wiederholenden Leidenseindrücke aus den täglichen Begebnissen und Erlebnissen genügt hätte, um Maria als die Königin der Martyrer zu verehren. Sie fühlte und wusste sich als das nächst ihrem Sohne einzig aus allen Geschöpfen von Gott berufene Werkzeug, als welches sie, in ihrer Würde als Mutter des Sohnes Gottes, zur Vollführung des ewigen Ratschlusses der Erlösung in ganz ausgezeichneter Weise mitzuwirken hatte. Und so wusste sie, dass ihr ganzes Leben nur ein Weg des Leidens in höchster Gleichförmigkeit mit ihrem göttlichen Sohne und in würdigster Verherrlichung der ewigen Liebe und Erbarmung sein könnte, welche im Kreuzestod die überfließende Erlösung bewirken wollte. In ihrer Demut war sie einzig und allein vor allen Geschöpfen Himmels und der Erde würdig und befähigt gewesen, ihrem und Gottes Eingeborenem Sohne bei seinem Eintritte in die Welt die von Ihm gewollte äußerste Armut, Erniedrigung und Entblößung von allen erschaffenen Gütern zu bereiten und sie bis zum letzten Augenblick seines irdischen Wandels, als seine heiligste, sündelose Mutter, auf das Vollkommenste mit Ihm zu teilen. Darum hatte sie von Anbeginn darauf verzichtet, für sich selbst, oder für ihr heiligstes Kind zu irgendwelcher Linderung jener vollständigen Entäußerung und aller ihrer Folgen und Wirkungen von der ihr selber verliehenen übernatürlichen Macht und Gewalt je Gebrauch zu machen, oder die Allmacht ihres Sohnes dafür anzurufen. Obwohl sie ferner die klarste Erkenntnis besaß, dass ihr Sohn auch nach seiner heiligsten Menschheit schon jetzt, da Er noch unter ihrem Herzen ruhte, oder als ein Säugling auf ihren Armen lag und Nahrung und Pflege von ihr begehrte, dieselbe Macht und Stärke, dieselbe Fülle der Weisheit, dieselbe Kraft der Wunder und dieselbe unbeschränkte Gewalt über alle himmlischen und irdischen Geschöpfe als ihr König besaß, wie da, als Er den Stürmen und dem Meere gebot, die bösen Geister austrieb, Kranke heilte, Brote mehrte und Tote erweckte, so machte sie doch nie von ihrem mütterlichen Rechte Gebrauch, Ihn zu bitten, dass Er durch Offenbarung seiner Macht seinen oder ihren Nöten und Trüsalen abhelfen möge. Da sie Ihn noch unter ihrem Herzen trug, war sie mit dem heiligen Joseph von Nazareth nach Bethlehem gewandelt und hatte alle Beschwerden und Nöten dieser mühseligsten Reise gerade so auf sich genommen, als wäre sie die Ärmste ihres Geschlechtes auf Erden, und hatte darum nur das, was das äußerste Bedürfnis erforderte, und auch dieses nur als ein Almosen, als eine Liebesgabe von dem guten Willen der Menschen bittend empfangen und in klagloser Geduld jede Abweisung und Härte hinnehmen wollen.

Sie hatte gewusst, wo sie ihren Sohn werde zu gebären haben, und dass ihr in Bethlehem keine Türe geöffnet sein werde, vor der sie und der heilige Joseph, demütigst um Herberge bittend, anpochen würden. Und doch verschmähte sie es nicht, als Bittende und Hilfesuchende vor den Türen zu erscheinen. Und auch dem heiligen Joseph wollte sie den Schmerz nicht ersparen, vergeblich seine Bitten in allen Straßen des Städtchens zu wiederholen, bis die äußerste Not sie endlich dazu trieb, die von Ewigkeit her bestimmte Felsengrotte, welche sonst nur zum Einstellen der Herden von den Hirten gebraucht wurde, als den Ort der Geburt des Sohnes Gottes zu beziehen, damit schon jetzt erfüllt werde, dass der Menschensohn nichts sein eigen nenne, wohin Er sein Haupt legen könnte. Und dies war für die seligste Jungfrau der Beweggrund, warum sie trotz ihres bestimmten Vorauswissens der Vergeblichkeit aller ihrer Bitten und Bemühungen doch die ganze Härte und Bitterkeit dieser hilflosen Armut und Entbehrung erdulden und sich in nichts von dem vollkommenen Mit-Leiden der Armut des Sohnes Gottes ausnehmen wollte. In noch viel höherem Grade erneuerten sich alle diese Erlebnisse der bittersten Not und Armut auf der Fluchtreise nach Ägypten, welche die Heilige Familie ohne Vorbereitung und ohne die mindeste Ausrüstung mit dem Notwendigsten anzutreten hatte. Und während des siebenjährigen Aufenthaltes in Ägypten war es nur der Ertrag der Hände Arbeit des heiligen Joseph und der göttlichen Mutter, welchen der Knabe Jesus zu seinem Lebensunterhalt anzunehmen sich würdigte.

19. Die heilige Brigitta hatte von Maria die Worte zu vernehmen (Revelationes I. 6. c. 58):
«Als ich mein Kind nach Ägypten zu flüchten hatte und als ich die Ermordung der unschuldigen Knäblein erfuhr und wie Herodes beständig darauf sinne, meinem Kinde nachzustellen, war mein Schmerz der bitterste. Wusste ich gleich, was die Propheten von meinem Sohne geweissagt, so war doch mein Herz vor Größe der Liebe zu Ihm mit Schmerz und Traurigkeit erfüllt. Und fragst du, was mein Sohn in der ganzen, seinem Leiden vorangehenden Lebenszeit getan habe, so antworte ich dir: Er war, wie das Evangelium sagt, seinen Eltern untertan und zeigte sich im Äußeren gleich anderen Kindern, bis Er in das reifere Alter eintrat. Indes verlief seine früheste Kindheit nicht ohne Wunder. Die Geschöpfe dienten Ihm, als ihrem Schöpfer. Bei seiner Ankunft in Ägypten mussten die Götzenbilder verstummen und die meisten brachen zusammen. Die Weisen aus dem Morgenlande weissagten von Ihm, dass Er Großes vollbringen werde. Auch die Engel brachten Ihm ihre Huldigung dar. Sein heiligster Leib war so rein, wie ein Sonnenstrahl und nie wurde er verunreinigt. Selbst die Haare seines Hauptes waren nie in Verwirrung. In seinem reiferen Alter war Er in beständigem Gebete. Gehorsam zog Er mit uns zu den Festzeiten nach Jerusalem hinauf und auch an andere Orte. Sein Aussehen und seine Redeweise war so wundersam und von solcher Anmut, dass viele, wenn sie in Trübsal waren, zu einander sagten: <Lasset uns zum Sohne Mariä gehen, von dem wir Trost erhalten können!> »

« Mit zunehmendem Alter fing Er an, seine Weisheit zu offenbaren, deren Fülle von Anfang in Ihm gewesen. Auch verrichtete Er Händearbeit. Und waren wir allein, so sprach Er zu mir und Joseph Worte des Trostes über göttliche Dinge, so dass wir immer mit unausprechlicher Freude erfüllt wurden. So wir aber in Sorgen, in Dürftigkeit und Nöten uns befanden, da erschuf Er für uns weder Gold, noch Silber, sondern ermahnte uns zur Geduld. Vor Neidern blieben wir wunderbar bewahrt. Das zum Leben Notwendigste kam uns teils durch die Mildtätigkeit frommer Seelen zu, teils durch unsere Händearbeit, so dass wir immer nur so viel hatten, als zum Lebensunterhalt durchaus vonnöten war, nicht aber Überflüssiges. Denn wir hatten kein anderes Verlangen, als nur Gott allein zu dienen.»

«Später aber sprach Er in vertraulichen Unterredungen mit gutgesinnten Menschen, die in unser Haus kamen, über das Gesetz, dessen Vorzeichen und Vorbilder. Zuweilen besprach Er sich auch öffentlich mit den Schriftgelehrten, so dass manche voll Verwunderung sagten: < Sehet, Josephs Sohn belehrt selbst die Lehrer, ein großer Geist redet aus Ihm>.»

« Sah Er mich betrübt im Gedanken seines künftigen Leidens, da sprach Er: < Mutter, glaubst du nicht, dass Ich im Vater bin und Er in Mir? Wie kannst du so voll Trauer sein? Es ist des Vaters Wille, dass Ich den Tod erleide und mit dem Vater ist es auch mein Wille. Was Ich vom Vater habe, das ist des Leidens nicht fähig. Das Fleisch aber, das Ich von dir angenommen habe, das wird leiden, auf dass das Fleisch der anderen erlöst und die Seelen gerettet werden.> Er war auch so gehorsam, dass, wenn Joseph etwa sagte: tue dies, tue jenes, Er es augenblicklich tat. Denn so sehr verbarg Er die Macht seiner Gottheit, dass sie nur von mir und auch von Joseph erkannt war, indem Joseph, wie ich, Ihn oftmals von Licht umflossen erblickte und die Stimmen der Engel vernahm, die Ihm lobsangen. Wir sahen auch, wie die unreinen Geister, welche die Gesetzeslehrer nicht austreiben konnten, schon bei seinem Anblicke ausfuhren.»

20. Aus dem Zeitraum des verborgenen Lebens der heiligen Familie zu Nazareth berichtet die selige Emmerick: « Maria hat bei den Verfolgungen, welche Jesus schon in seinem ersten Jünglingsalter durch heimliche Tücke der Pharisäer zu leiden hatte, unendlich gelitten. Mir sind solche Schmerzen immer größer erschienen, als wirkliche Martern.»

Ein besonderes Licht verbreitet über diesen Abschnitt des Lebens Mariä die von der seligen Maria von Agreda (I. 5. n. 772) berichtete, sehr bemerkenswerte Tatsache, dass Jesus sein ganzes äußeres Verhalten gegen Maria und alle Beweise seiner Liebe zu ihr, als seiner Mutter, nicht nach dem wirklichen Maß seiner Liebe und seiner kindlichen Hinneigung zu ihr, sondern nach dem Stand des Verdienens eingerichtet habe, in dem Maria gleich den anderen Erdenpilgern sich befand. Würde Jesus seine Mutter mit solchen Gunst- und Liebesbeweisen überhäuft haben, wie es der Größe seiner kindlichen Liebe zu der Seiner so würdigen Mutter entsprochen hätte, so hätte die ununterbrochene Wonne und Freudigkeit, welche Maria daraus empfunden hätte, sie trotz ihrer größten Heiligkeit, wie gehindert, die gleiche unermessliche Fülle von Verdiensten zu erlangen, welche sie durch ihr Dulden und Leiden, ihr Entsagen und Entbehren gewonnen hat. Daraus erhellt auch die tiefe Bedeutung der einfachen Worte der seligen Emmerick, wenn sie sagt: « Maria war unbeschreiblich einfach. Jesus zeichnete sie nie vor anderen Menschen aus, als dass Er sie würdig behandelte. Sie liess sich auch nur mit Kranken und Unwissenden ein und erschien immer ganz demütig, unbeschreiblich stille und einfach.»

In voller Übereinstimmung hiermit, beginnt der sehr erleuchtete heilige Gottes Louis Grignion von Montfort seine herrliche Abhandlung von «der wahren Verehrung der heiligsten Jungfrau» mit den Worten (Traite de la vraie Devotion lila Sainte Vierge. Paris 1875):
« Maria war während ihres ganzen Lebens sehr verborgen. Ihre Demut war so tief, dass sie auf Erden kein mächtigeres und beständigeres Verlangen hatte, als ungekannt zu sein in ihren eigenen Augen, wie von allen Geschöpfen, um nur von Gott allein gekannt zu werden. Ihre Gott so wohlgefälligen Bitten um Armut und Erniedrigung wurden erhört, und darum blieb sie den Blicken aller Menschen verborgen in ihrer Empfängnis, in ihrer Geburt, in ihrem ganzen Leben und in den Geheimnissen ihrer Auferstehung und Himmelfahrt. Selbst ihre Eltern kannten sie nicht, und die Engel fragten einander oft: <Quae est ista? ... Wer ist jene?> weil der Allerhöchste sie ihnen verbarg. Und wie vieles Er ihnen von ihr auch offenbarte, so war das doch unendlich mehr, was ihnen noch veborgen blieb.»

« Gott der Vater gab seine Zustimmung dazu, dass Maria während ihres Lebens kein Wunder wirkte, wenigstens keines, das Aufsehen machte, obgleich ihr die Macht dazu verliehen war. Gott der Sohn gab seine Zustimmung, dass Maria nur selten redete, obwohl Er seine Weisheit ihr mitgeteilt hatte. Gott der Heilige Geist willigte ein, dass die Apostel und Evangelisten nur sehr wenig von Maria berichteten und nur so vieles, als nötig war, um den Menschgewordenen zu offenbaren, obgleich sie seine treue Braut war.»

« Maria ist das ausgezeichnete Meisterstück des Allerhöchsten, dessen Kenntnis und Besitz er sich vorbehalten hat Maria ist die bewunderungswürdigste Mutter des Sohnes, der sein Gefallen hatte, sie während ihres Lebens in Niedrigkeit und Verborgenheit zu erhalten. Um ihre Demut zu begünstigen, gab Er ihr den Namen <Frau-mulier>, gleich als wäre sie Ihm nicht so nahe und so teuer, als sie es war. Denn sein Herz schätzte und liebte sie mehr, als es alle Engel und Menschen liebte.»

21.' Aus der Zeit des öffentlichen Lehramtes Jesu sind es ebenfalls nur wenige, aber sehr bezeichnende Züge, welche vor der seligen Emmerick über das Mit-Leiden Mariä mitgeteilt werden. So heißt es: « Maria bat ihren Sohn, nicht in die schreckliche Wüste zu gehen, damit Er nicht verschmachte» oder « nicht nach Jerusalem zu reisen, weil das Synedrium einer Beschluss wider Ihn gefasst habe». «Maria weinte über die Jesu drohenden Gefahren, weil seine Lehren und Wunder so großes Aufsehen im Lande verursachten.» - Aus Sorge über die steigende Erbitterung der in Kapharnaum versammelter Pharisäer bittet sie, « es möge Jesus nicht länger in Kapharnaun bleiben, sondern lieber auf die andere Seite des Sees sich hinüber begeben.» Das sind nun freilich sehr einfache, aber doch vielsagende Mitteilungen. Denn sie lassen erkennen, wie die seligste Jungfrau trotz ihrer gewissesten Voraussicht des künftigen Leidens und Todes ihres Sohnes doch auch die volle Pein jedes gegenwärtigen Augenblickes in demselben Maß empfunden hat, als groß, ja unermesslich ihre Liebe zu Jesus ihrem Sohne war.

Das heiligste Mitleiden ihres mütterlichen Herzens wurde bei jedem einzelnen Anlass, jedem Ereignis, bei jedem Widerspruch und jeder Verfolgung, welche die Bosheit seiner Feinde wider ihren Sohn erhob, aufs Tiefste bewegt; und es wäre dieses ihr Mitleiden nicht das der demütigsten, heiligster Mutterliebe gewesen, hätte es nicht wenigstens durch Gebet, Tränen und Danksagungen Linderung und Hilfeleistung ihren Sohne zu bereiten, d. i. der Bosheit und den Anschlägen seiner Feinde entgegen zu wirken und die Schuld des auserwählter Volkes, als dessen Tochter Maria sich fühlte, zu mindern und der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes einen Ersatz für dieser Undank in der Größe ihrer bittersten Schmerzen zu bieten gesucht. Solange die Passion noch eine zukünftige war, trat sie vor den Leidenseindrücken der Gegenwart wie zurück, so dass diese stets ihre volle Gewalt geltend machen konnten, gleich als stünde der betrübtesten Mutter nicht noch viel Härteres unabwend bar bevor. Wenn sie darum in ihrem zärtlichsten Mitleiden ihren geliebten Sohn gar oftmals bittet, dieser und jener Gefahr oder Verfolgung sich nicht auszusetzen, so sind diese ihre Bitten und Tränen nicht etwa ein Abwenden- oder Aufhaltenwollen der Passion, sondern das Ringen ihrer heiligsten Mutterliebe gegen die Unbilden und Beleidigungen Gottes, gegen den Undank, die Härte und Verstocktheit ihres Volkes, wodurch sie verhindern wollte, dass dies Volk sich gegen die Erbarmungen ihres Sohnes und das Heil verschließe, das Er ihm bereiten wollte.

22. Während der ganzen Dauer seines heiligsten Lehrwandels übte Maria eine unausgesetzte Gebets- und Leidens-Mitwirkung. Denn sie erkannte, wie niemand außer ihr, den unendlich kostbaren Wert jedes einzelnen Wortes aus dem Munde der ewigen, Mensch gewordenen Wahrheit. Sie würdigte alle Tritte und Schritte, alle Tropfen Schweißes, jede Ermüdung, Entbehrung und Beschwerde, jeden Augenblick der in Gebet und Tränen durchwachten Nächte, welches alles ihr göttlicher Sohn in höchster Langmut, Liebe und Geduld auf sich nahm, um die Herzen der Menschen für Aufnahme seines Heilswortes empfänglich zu machen und zur Buße und Sinnesänderung zu bereiten.

Es hatte nach den Mitteilungen der seligen Maria von Agreda (p.II.I. V. A. 917-922) unser Herr bei dem Antritt der öffentlichen Lehrtätigkeit seiner heiligsten Mutter geoffenbart, in welchem Grade sie an seinen Arbeiten und an allem, was Er zu tun und zu vollbringen habe, teilnehmen werde, und wie sie seine Gehilfin auch in der Regierung seiner neuen Kirche werden solle. Darum erfuhr sie von Ihm, welche Liebe und Geduld Er mit seinen künftigen Aposteln und Jüngern zu tragen haben werde, unter denen sogar sein Verräter sich befinden werde. Er gab ihr ferner eine so tiefe und umfassende Erkenntnis aller Geheimnisse seines Erlösungswerkes, der Einsetzung, der Kraft und Heiligkeit der künftigen Sakramente, dass sie hierin die Weisheit selbst der Seraphim und Cherubim übertraf. In dieser Erkenntnis und in der Gewalt ihrer flammenden Liebe begehrte die barmherzigste Mutter mit allen Bitten und Seufzern ihres großen Herzens, dass die Worte und Werke unseres Herrn und Erlösers für keine Seele verloren gehen, dass sie von allen ohne Ausnahme mit gebührender Danksagung aufgenommen werden möchten. Und in dieser Liebe begehrte sie, « dem Herrn zu helfen », oder besser gesagt, den Menschen zu helfen, welche seine göttlichen Worte hörten und Zeugen seiner Werke waren, damit sie das dargebotene Heil nicht zurückweisen. Auch brachte sie ohne Unterlass würdigste Danksagung und Lobpreisung des Herrn für die Wunder dar, die Er zum Heile der Seelen wirkte, damit diesen Erweisen seines unendlichen Erbarmens die gebührende Würdigung und Danksagung zu Teil würde. Und zwar in gleicher Weise allen ohne Ausnahme, ob sie Erfolg hatten, oder ob sie aus Schuld der Menschen ohne Erfolg blieben. Die Verdienste, weIche die heiligste Jungfrau sich hierdurch erwarb, waren ebenso verborgene als wunderbare, denn an allem, was Jesus tat, hatte sie durch die Mitwirkung ihrer Liebe sowohl zu Ihm selbst, wie zu den Seelen, welche seine Wohltaten empfangen sollten, geheimnisvollen Anteil.»

«So oft' die heiligste Mutter in Abwesenheit ihres göttlichen Sohnes einsam in ihrer Wohnung verweilte, war sie in beständigem Flehen für die Rettung der Seelen; und ihre Bitten waren oft so inbrünstig, dass sie mit blutigen Tränen die Sünden der Menschen beweinte. Unzählig Mal warf sie sich dabei auf die Knie und selbst auf ihr Angesicht nieder. Und hierdurch arbeitete sie in ununterbrochener, innigster Vereinigung mit ihrem heiligsten Sohn mit an dem Werke der Erlösung. Und diese ihre Hilfe und Mitarbeit war vor Gott von solchem Gewicht und solchem Erfolg, dass Er um der Verdienste dieser mildesten Mutter willen, so lange sie auf Erden weilte, der Sünden der Menschen nicht gedenken wollte, durch welche sie verdient hätten, dass ihnen die Predigt und Lehre seines Sohnes wieder entzogen würde. So war sie beständig unsere Mittlerin vor Gott, die uns die Gnade immerdar aufs neue erlangte und verdiente, das Gesetz des Evangeliums aus dem Munde seines Mensch gewordenen Sohnes zu empfangen.»

23. « Die Liebe, welche Maria zu ihrem heiligsten Sohne trug, ist der Maßstab, nach welchem wir alle ihre Gefühle und Handlungen sowie auch alle ihre Leiden und jeden Schmerz zu beurteilen haben, den sie aus den verschiedensten Anlässen und Ursachen zu erdulden hatte. Die Größe dieser Liebe aber übersteigt unsere ganze Fassungskraft und auch die der Engel. Denn selbst die Engel vermögen sie nur in dem beseligenden Lichte der Anschauung Gottes zu erkennen. Maria liebte ihren Sohn als den wesensgleichen gleich vollkommenen Sohn des ewigen Vaters. Sie liebte Ihn als ihren eigenen, ihr von Natur aus angehörenden, einzigen Sohn, dessen menschliche Natur aus ihrem Fleisch und Blut gebildet worden. Sie liebte Ihn, weil Er in dieser menschlichen Natur der Heilige der Heiligen und durch seine Verdienste die Ursache aller Heiligkeit war. Er war der Schönste unter den Menschenkindern und der gehorsamste, der hingebendste Sohn seiner Mutter. Er war ihr Ruhm, ihre Ehre und Herrlichkeit, denn durch seine Sohnschaft war sie zur höchsten Würde über alle Kreaturen erhöht und einzig über alle bevorzugt durch die Schätze seiner Gottheit, durch die Verleihung der Herrschaft über alles Erschaffene und durch andere Gunstbezeigungen, Gaben und Gnaden, welche außer ihr keinem anderen Geschöpfe gebühren konnten.»

« Diese Beweggründe und Antriebe der Liebe waren mit noch vielen anderen, welche nur ihre vollkommenste Weisheit zu durchschauen vermochte, in dem weisesten Herzen der göttlichen Mutter niedergelegt und eingeschlossen. Und ihr Herz setzte ihnen keinerlei Schranke entgegen, denn es war das lauterste und reinste, das dankbarste. das tiefste an Demut, das getreueste im Entsprechen. Sie wirkte jeder Gnade mit in der ganzen Kraft ihres feurigsten Willens, mit größter Behendigkeit, in höchster Eifrigkeit und in lebendigster Vergegenwärtigung aller empfangenen Gaben, aller Beweggründe und Pflichten der Liebe. Sie lebte in der Atmosphäre der göttlichen Liebe selbst, weil in beständiger Gegenwart dessen, der ihre Liebe war, in der Schule des wahren Gottes der Liebe, in der Gesellschaft ihres heiligsten Sohnes, als Augenzeuge aller seiner Werke und Handlungen, welche sie, als ihr Vorbild, vollkommen in sich nachbildete. Und so mangelte der liebendsten Mutter nichts, um zu dem höchsten Grade der Liebe aufzusteigen, d. i. eine Liebe über jedes Maß und über jede Schranke zu besitzen.»

24. «So war durch dreißig Jahre Maria, als der schönste Vollmond, der Sonne der Gerechtigkeit von Angesicht zu Angesicht zugewendet, und als die aufsteigende göttliche Morgenröte hatte sie den höchsten Glanz erlangt, war durch die Glut ihrer Liebe zum hellsten Tage der Gnade geworden, hatte, über alle sichtbaren Dinge sich erhebend, die höchste Gleichförmigkeit mit ihrem göttlichen Sohne und die vollkommenste Erwiderung seiner Liebe, seiner Gunst- und Gnadenerweise erreicht. Und nun hatte sie die Stimme des ewigen Vaters zu vernehmen, welcher von ihr dasselbe begehrte, was Er ehedem von dem Patriarchen Abraham verlangt hatte, dass er das Unterpfand seiner Liebe und seine Hoffnung, den geliebten Sohn, Ihm als Opfer darbringen solle.»

« Es war der weisesten Mutter freilich nicht verborgen, dass die Zeit nahe, der Termin gekommen sei, da ihr süßester Sohn die Schuld der Welt zu bezahlen habe- Aber so lange sie noch im Besitz dieses sie so beseligenden Gutes war, war der Schmerz über dessen Beraubung ein Schmerz über einen erst drohenden, aber noch nicht erlebten Verlust. In einer Entzückung vernahm sie nun die vom Throne der heiligsten Dreieinigkeit ausgehenden Worte: < Maria, meine Tochter und Braut, bringe Mir deinen Eingebornen zum Opfer! > Und im Lichte dieser Worte ward sie inne, es sei der Wille des Allerhöchsten, dass sein von Ewigkeit her gefasster Ratschluss der Erlösung der Menschen durch das Leiden und den Tod ihres heiligsten Sohnes nun zur Ausführung gelange. Es erweckte darüber die liebendste Mutter in ihrem Herzen die mannigfachsten Akte der Ergebung, der Demut, der Liebe Gottes und der Menschen, des Mitleidens, des zärtlichsten Mitgefühls mit allem, was ihr heiligster Sohn zu leiden haben werde. Und sie antwortete dem Allerhöchsten: < Der Sohn, den ich Dir weihen und deiner Verfügung übergeben soll, ist dein Sohn, den Du, Vater der Ewigkeit, vor dem Morgenstern gezeugt hast und ewig zeugen wirst. Und ich habe Ihn auch in meinem Schoß mit dem Gewand eines Knechtes bekleidet, Ihn an meiner Brust genährt, als Mutter Ihn gepflegt, so ist doch diese seine heiligste Menschheit ganz dein Eigentum, ebenso, wie ich selbst es bin. Denn von Dir habe ich alles, was ich bin und was ich Ihm geben konnte. Was könnte ich darum opfern, das nicht Dir viel mehr, als mir selber angehörte? Er ist die Kraft meiner Kraft, die Wesenheit meines Geistes, das Leben meiner Seele und die Seele meines Lebens. Er ist es, der mich erhält, Er ist des Lebens, das ich lebe, einzige Wonne. Doch wäre mir süß das Opfer, hätte ich Ihn nur allein Dir, der seinen Wert Du kennst, darzubringen. Aber mehr als schwer ist für meine Mutterliebe das Opfer, Ihn deiner Gerechtigkeit zu übergeben, damit Er von den Händen der grausamsten Feinde misshandelt und seines über alle erschaffenen Güter unendlich kostbaren Lebens beraubt werde. Doch es geschehe nicht mein Wille, sondern der Deine ! Es empfange der Mensch seine Erlösung und seine Heilung, deine Gerechtigkeit die schuldige Genugtuung, deine unendliche Liebe ihre höchste Offenbarung, dein Name seine höchste Verherrlichung ! Und so übergebe ich Dir meinen Sohn, auf dass Er in Wirklichkeit geopfert werde. Ich opfere Ihn, die Frucht meines Leibes, auf dass Er nach dem ewigen Ratschluss deines Willens die Schuld bezahle, die nicht Er, sondern die Kinder Adams sich zugezogen haben, und damit alles an Ihm erfüllt werde, was die Propheten durch deine Eingebung von Ihm geschrieben und geweissagt haben.»

25. « Dieses Opfer der heiligsten Jungfrau war in jeder Hinsicht das größte und dem ewigen Vater wohlgefälligste von allen Opfern, welche seit Anbeginn der Welt dargebracht worden waren und bis zum Ende werden dargebracht werden. Jenes allein ausgenommen, welches ihr eigener Sohn, unser Erlöser, dargebracht hat. Es ist aber mit dem Opfer des Sohnes das Opfer seiner Mutter so innigst verbunden, dass beide als ein und dasselbe Opfer gelten können. Und wenn der höchste Grad der Liebe in der Hingabe des Lebens für den Geliebten sich offenbart, so hat Maria fürwahr diese Linie oder Grenze der Liebe gegen die Menschen um so viel weiter überschritten, als sie mehr das Leben ihres heiligsten Sohnes liebte, denn ihr eigenes. Sie liebte es aber mehr mit einer Liebe, welche keine Grenzen kannte. Denn hätte Maria ihr eigenes Leben so vielmal in den Tod hinzugeben gehabt, um das Leben ihres Sohnes zu erhalten, als Menschen auf Erden leben, so hätte sie eben so vielmal, ja noch öfter den Tod dafür auf sich nehmen wollen. Die Größe ihrer Liebe zu den Menschen steht darum über jedem Vergleiche mit der Liebe der anderen Geschöpfe. Sie lässt sich nur mit der Liebe des ewigen Vaters vergleichen, von der unser Heiland zu Nikodemus sprach: < So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen Eingebornen Sohn dahingab, damit alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen.> (Joh. 3, 16.) Dasselbe hat in gewissem Sinne und beziehungsweise auch die Mutter der Barmherzigkeit getan, weshalb wir in Hinsicht dessen auch ihr unsere Erlösung zu verdanken haben. Denn auch sie hat uns so sehr geliebt, dass sie ihren Eingebornen Sohn zu unserem Heile dahingab. Und hätte sie Ihn in diesem Falle, da der ewige Vater Ihn von ihr begehrte, nicht hingegeben, so hätte das Werk der Erlösung nicht in Gemäßheit jenes Ratschlusses Gottes vollführt werden können, welcher für diese Vollführung auch die zustimmende Mitwirkung der jungfräulichen Mutter mit dem Willen des ewigen Vaters verlangte. So groß also dieses Opfer war, so groß ist die Verbindlichkeit, die wir Adamskinder gegen die heiligste Jungfrau Maria haben.»

26. « Es richtete aber auch ihr heiligster Sohn an Maria, als seine wahre Mutter, die Worte: < Die menschliche Natur, die Ich in Wahrheit besitze, habe Ich aus deinem Blute empfangen, aus dem Ich in deinem jungfräulichen Schoß die Knechtsgestalt Mir angenommen habe. Du hast Mich auch gepflegt und mit deiner Arbeit mich ernährt. Darum erkenne Ich Mich als deinen Sohn und als dein Eigentum in höherem Grade, als ein Mensch Sohn und Eigentum seiner Mutter je gewesen ist noch sein wird. Und so kommt es dir zu, auch deine Einwilligung zu geben, dass Ich hingehe, den Willen meines ewigen Vaters zu erfüllen. Die Stunde ist gekommen, dass Ich aus deiner süßen Nähe scheide und mein Leiden beginne, um die Kinder Adams zu erlösen. Du wirst bei diesem Werke meine Gehilfin sein und Teil haben an meinem Kreuz und Leiden, das Ich in der Gestalt des Menschen, die Ich von dir empfangen, zu tragen habe. Als meine wahre Mutter willige darum ein, dass Ich meinen Feinden Mich überliefere und im Gehorsam gegen meinen ewigen Vater das Opfer vollbringe, und in dieser deiner Einwilligung wirke mit Mir das ewige Heil der Welt. Aus deinem jungfräulichen Schoß habe Ich ja die leidensfähige und sterbliche menschliche Natur angenommen, in welcher die Welt erlöst und der göttlichen Gerechtigkeit genuggetan werden soll. Gleichwie du aus freiem Willen deine Zustimmung zu meiner Menschwerdung gegeben hast, so begehre Ich deine Zustimmung auch zu meinem Leiden und zu meinem Kreuzestod. Dieses Opfer, das du in der Hingabe Meiner dem ewigen Vater darbringst, soll das Entgelt dafür sein, dass Er dich zu meiner Mutter gemacht hat. Denn Er hat Mich gesandt, dass Ich mittelst der Leidensfähigkeit meines Fleisches die verlorenen Schafe seines Hauses, die Kinder Adams, wieder zu Ihm zurückführe>.»

27. «Da nun Jesus am Ölberge die Todesangst litt, flehte Maria zu Gott dem Vater, Er möge jedwede Tröstung und Linderung von ihr fern halten, welche ihrem Herzen ein Hindernis sein könnte, die ganze Härte und Bitterkeit der Schmerzen ihres heiligsten Sohnes mitzufühlen, und ihr gewähren, dass sie auch leiblicherweise alle Peinen seiner Wunden und Martern mitempfinde. Diese Bitte wurde erhört. Und wiewohl die Peinen dieses Mit-Leidens der ganzen Passion ihres heiligsten Sohnes so übermächtig waren, dass, wenn die Allmacht Gottes nicht auf wunderbare Weise Maria am Leben erhalten hätte, sie gar oft darüber hätte sterben müssen, so waren sie doch, weil von Gott kommend, für Maria zugleich die sichere Bürgschaft der Stärkung und Erhaltung ihres Lebens. Auch ist es gewiss, dass für ihre unbegreiflich große, feurigste Liebe die Pein viel härter gewesen wäre, hätte sie Zeuge des bittersten Leidens und Sterbens ihres Sohnes sein müssen, ohne nach dem Grade ihrer Liebe daran teilnehmen zu dürfen. So fühlte sie in dem Augenblicke, da unser Heiland gefangen genommen und gebunden wurde, in ihren Händen die Schmerzen der Stricke und Ketten gerade so, als würde sie selbst gebunden und gefesselt. Ebenso auch die Schläge und Misshandlungen, die Er zu erdulden hatte.»

28. « Es ist auch wohl zu beherzigen, dass in dem alle Geschöpfe mit mütterlicher Liebe umfassenden heiligsten Herzen Mariä, als in dem Sitze der Weisheit, die ganze Fülle des göttlichen Glaubens, der Wissenschaft und Liebe aller Kreaturen niedergelegt und eingeschlossen war, so dass sie allein die vollkommenste Erkenntnis und würdigste Vorstellung davon besaß, was es heißt: Gott leidet und stirbt für seine Geschöpfe. Und so durchschaute sie in ihrer Erleuchtung alle Geheimnisse der Erlösung der Menschen und die ganze Art und Weise, in welcher dieselbe nun vor ihren Augen durch die Blindheit der Menschen, die erlöst werden sollten, vollführt wurde. In würdigster Verherrlichung erwog sie beständig: Wer zu leiden, was Er zu leiden und für wen Er zu leiden hatte. Nächst dem heiligsten Erlöser selber hatte allein seine heiligste Mutter die vollkommenste und hellste Erkenntnis der unendlichen Würde seiner göttlichen Person, seiner beiden Naturen, ihrer Vereinigung und ihrer beiderseitigen Vollkommenheiten. Darum war sie einzig und allein vor allen Geschöpfen befähigt, die Geheimnisse des Leidens und Sterbens ihres Sohnes und wahren Gottes nach Gebühr zu würdigen. Sie erregte auf dem ganzen Leidenswege die höchste Bewunderung der Engel, indem sie sahen, wie ihre Herrin und Königin zugleich mit ihrem Sohne dieselben Peinen und Schmerzen geistlicher und leiblicherweise mitempfand. Und da sie erkannten, wie höchst wohlgefällig der heiligsten Dreieinigkeit dieses Mit-Leiden war, so suchten sie durch Lobpreisung und Verherrlichung ihrer Königin einen Ersatz dafür zu bieten, dass nicht auch sie die Schmerzen mit ihr teilen konnten. Oftmals geschah es, dass die schmerzhafte Mutter ihren heiligsten Sohn nicht mit leiblichen Augen erblicken konnte, aber doch in ihrem jungfräulichen Leibe und in ihrer Seele das Echo seiner Martern empfand, bevor sie eine äußere Kunde davon erhielt. Dann brach sie in Worte aus, wie: <Weh mir ! Welche Marter wird jetzt meinem süßesten Herrn und Gebieter angetan?> Und sogleich trat die klarste Anschauung von allem vor sie, was ihrem göttlichen Sohne geschehen war. So wunderbar war auch die Treue der liebendsten Mutter in Nachahmung des Vorbildes ihres Sohnes, dass sie während der ganzen Passion niemals eine Erquickung sich gönnte. Sie ruhte nie, aß nie und schlief nie. Auch lenkte sie ihre Betrachtung niemals auf etwas sie Tröstendes, nur wenn der Allerhöchste durch göttliche Mitteilung ihr Trost einflößte, nahm sie solchen demütigst und dankbarst in der Absicht an, um neue Stärke zu gewinnen, ihre ganze Aufmerksamkeit mit erhöhtem Eifer auf den Gegenstand ihrer Schmerzen und die Ursache ihrer Martern hinzulenken.»

«In gleich vollkommener Weise durchschaute sie auch die Bosheit der Juden und Schergen, das Elend und Verderben des ganzen Menschengeschlechtes, sowie den schwärzesten Undank der Menschen, für welche ihr heiligster Sohn litt. All dies erkannte sie aufs klarste und vollkommenste und fühlte es mehr, als alle anderen Kreaturen.»

29. « Da Jesus, der Urheber des Lebens, vor Kaiphas' stand, opferte Er seinem ewigen Vater den herrlichen Triumph auf, welchen seine Sanftmut und Demut über die Sünde feierte: Er betete für die Priester, die Schriftgelehrten und die Schergen, die Ihn misshandelten, indem Er seine Geduld und seine Schmerzen für sie aufopferte und ihre Blindheit seinem himmlischen Vater vorstellte. Aber die gleichen Bitten, dieselben Aufopferungen brachte im nämlichen Augenblick auch seine heiligste Mutter Gott dar. Auch sie betete für ihre und ihres heiligsten Sohnes Feinde. Sie wusste von allem, was an und von ihrem Sohne geschah, und tat, was er tat. So war zwischen dem Sohne und der Mutter ein süßestes, wunderbares, den Augen des himmlischen Vaters höchst wohlgefälliges und gegenseitig übereinstimmendes Zusammenwirken. Und da Jesus den Backenstreich erhielt, fühlte im gleichen Augenblick seine heiligste Mutter den Schmerz dieses Schlages, wie sie auch im Herzen alle Schmähungen und Lästerworte vernahm, mit denen unser Heiland überschüttet wurde. Nur der Unterschied fand statt, dass unserem Herrn durch die Hände der Schergen die Misshandlungen und Peinen angetan wurden, während seiner reinsten Mutter auf ihre Bitten die Hand Gottes die Mitempfindung derselben gewährte, welche Hand sie auch stärkte, um ihr Mit-Leiden noch weiter fortzusetzen. Denn in beständiger Anschauung sowohl aller innerlichen Handlungen, wie der äußeren Leiden ihres heiligsten Sohnes betete sie mit Ihm für seine Feinde, segnete sie mit Ihm die Gerechten und Auserwählten, und gab sich ihnen als Mutter, Mittlerin und Beschützerin hin, indem sie in aller Namen Lob- und Dank-Gebete besonders dafür verrichtete, dass der Herr die vor der Welt Geringen und Verachteten in seinen Augen so hoch stellte. Dabei erweckte sie immer aufs neue mit höchstem Eifer ihre freieste EntSchließung, alle Mühsale, Verachtungen, Ängsten und Peinen mitzuerdulden, welche während der übrigen Zeit der Passion Ihm noch bevorstanden.»

30. «Da Jesus im Gerichtshaus des Kaiphas' eingekerkert wurde und die heiligste Jungfrau der neuen Art von Grausamkeit, mit der die Schergen das unschuldige Lamm banden, sowie der peinvollen und schmerzlichen Lage seines heiligsten Leibes inne wurde, da empfand auch sie denselben Schmerz und alle Faustschläge, Backenstreiche und Beschimpfungen, mit weIchen der Urheber des Lebens überhäuft wurde. Alle Leiden des Heilandes riefen ein wunderbares Echo im jungfräulichen Leibe der reinsten Taube hervor. Ja es war ein und derselbe Schmerz, der den Sohn und die Mutter verwundete, nur mit dem Unterschiede, dass Jesus Christus als Gottmensch und einziger Erlöser der Menschen, Maria aber als blosses Geschöpf und Gehilfin ihres heiligsten Sohnes gelitten hat.»

«Unvergleichlich war aber ihre Geduld, denn niemals erschien es ihr als zu viel, was sie zu leiden hatte, und nie kam die Waagschale ihrer Leiden der ihrer Liebe gleich. Denn alles bemaß sie nach der Liebe und der Würde ihres heiligsten Sohnes und nach seinen Leiden. So dachte sie nie daran, dass sie zu leiden hatte, sondern sie betrachtete und beweinte das, was sie zu leiden hatte, als Unbilden welche der allerheiligsten Gottheit ihres Sohnes zugefügt wurden und die als solche seinen Peinigern zu ewigem Verderben gereichten. Darum betete und flehte sie für diese, dass Gott ihnen verzeihen und sie erleuchten wolle, um der Frucht der Erlösung teilhaftig zu werden.»

31. «Als Jesus an die Geisselungssäule geführt wurde, zog sich die heiligste Jungfrau mit den sie begleitenden heiligen Frauen und Johannes in einen Winkel der diesen Ort umgebenden Hallen zurück, wo sie nicht mit den leiblichen Augen, sondern im Lichte des Schauens Zeuge aller Geisselstreiche und Martern war, welche unser Erlöser erduldete. Diese ihre Anschauung war eine viel deutlichere, als wenn sie alles in der nächsten Nähe mitangesehen hätte. Kein Verstand vermag aber zu fassen, von welcher Art und Größe die Peinen waren, welche Maria dabei gelitten. Sie werden mit den anderen Geheimnissen ihres Leidens erst in der Anschauung Gottes den Auserwählten offenbar sein. Auch hier bei der Geißelung empfand sie leiblicherweise alle Geißelstreiche, durch welche der heiligste Leib ihres Sohnes so grausam zerfleischt wurde. Und wenn sie auch die Wunden selber nicht mitempfing und nur jenes Blut dabei vergoss, das mit ihren Tränen sich mischte, so waren doch vor Heftigkeit der Schmerzen ihre Züge so verändert, dass Johannes und die heiligen Frauen ihr Antlitz kaum erkannten. Größer noch als die leiblichen Schmerzen war die Bitterkeit, die ihr liebendstes, heiligstes Herz erfüllte. Denn so flammend wie die Liebe zu ihrem Sohne, so klar und durchdringend war auch ihre Erkenntnis seiner Unschuld, Heiligkeit und der Würde seiner göttlichen Person, und demgemäß der Größe der Unbilden, die Er von den ungläubigen Juden und überhaupt von den Kindern Adams zu erleiden hatte, die Er doch vom ewigen Tode erlösen wollte.»

32. Blicken wir nun im Lichte der aus der «Mystischen Stadt Gottes» ausgehobenen Stellen auf die in Nr. 15 angeführte Mitteilung der seligen Emmerick zurück, so vermögen wir leicht die innigste Übereinstimmung bei der Begnadigten sowohl, als auch die umfassende Bedeutung jenes Gebetes der seligsten Jungfrau zu würdigen. Maria erscheint während der ganzen Passion ihres göttlichen Sohnes in voller Wirklichkeit als das herrliche Urbild der heiligen Kirche. Sie allein ist jetzt die ganze Kirche und zwar die heilige, unbefleckte Kirche, die Kirche ohne Makel und ohne Runzel, ohne jegliche Fehl. Sie allein vertritt jetzt die ganze Gemeinschaft aller Auserwählten, der Gerechten, der Glaubenden aller Zeiten, von dem gerechten Abel herab bis zum Ende der Welt, an deren aller Stelle, in deren aller Namen, zu deren aller Gunsten und Heil sie nach den heiligsten Absichten Gottes in wunderbarster Vereinigung mit dem Erlöser der Welt und auf die Gott wohlgefälligste, verdienstlichste Weise handelt, leidet, anbetet, bekennt, dankt und fleht. Nur sie allein trägt nun in sich und übt die unversehrte Reinheit und Fülle des göttlichen Glaubens, der Hoffnung und Liebe, indem sie allein vor Gott und den Menschen, als die Königin der Patriarchen und Propheten, der Apostel und Martyrer und der Bekenner und Jungfrauen Jesus, Gottes und ihren Eingebornen Sohn, als das Heil der Welt bekennt, jetzt, da Er so ohnmächtig und hilflos der Gewalt seiner Feinde sich überliefert und gleich einem Missetäter zum schimpflichsten Tode verurteilt wird. Während die Säulen der Kirche wanken und Apostel und Jünger sich flüchten und verbergen, ist sie die Erste und Einzige, welche dem in den Tod für uns gehenden Herrn und Erlöser die schuldige Ehre gibt, welche Ihm in höchster Treue und Gleichförmigkeit bis in die äußerste Verlassenheit und alle Peinen seines bittersten Todes nachfolgt, welche Ihm durch würdigste Anbetung, Lobpreisung, Verherrlichung und Danksagung Ersatz für alle Unbilden, Schmähungen und Martern leistet, die von den Menschen Ihm bereitet werden. Und als die wahre, geistliche Lade des neuen Bundes ist nun sie es allein, welche alles Heil, alle Wahrheit und Gnade, die ganze Frucht und Wirkung des anbetungswürdigsten Blutes in demselben Augenblick für die Kirche in sich empfängt und bewahrt, in welchem es vom Sohne Gottes für uns vergossen wird. Es ist kein zweites geistliches Gefäß, keine andere Seele vorhanden, um diese Frucht jetzt, da sie vom Baum des Kreuzes herab der ganzen Menschheit dargereicht wird, so würdig, so dankbar zu empfangen, so vollkommen in sich aufzunehmen, so sicher zu bewahren, als wie «die heiligste unbefleckte Jungfrau und Mutter, welche gebührend zu lobpreisen, der Kirche Gottes die Worte mangeln, da sie den in ihrem Schoß getragen, dessen Größe und Herrlichkeit die Himmel nicht zu fassen vermögen.» Als der erste Bund geschlossen wurde (Ex. 24 6-8), war die alte Kirche in ihrer Gesamtheit gegenwärtig, gelobte Gott Treue und Gehorsam und wurde durch Moses mit dem vorbildlichen Blut der Opfertiere besprengt. Bei Schließung des neuen Bundes aber im Blut des Lammes Gottes steht Maria, als die neue Kirche, als die zweite Eva und als die wahre Mutter des neuen und ewigen Lebens am Fuß des Kreuzes, um das Testament des sterbenden Erlösers im Namen aller und für alle zu empfangen und die Früchte seines kostbarsten Blutes für alle zu sammeln und zu retten. Auf dem ganzen Passionswege hat sie Treue und Gehorsam im Namen aller nicht bloß mit Worten und Beteuerungen gelobt, sondern durch die Tat in vollkommenster, Gottes würdigster Weise geübt und bewährt. Und so durchwandelt sie nun, während ihr heiligster Sohn im Hof des Hauses von Herodes verspottet wird, anbetend, lobpreisend, dankend und die Blindheit, Härte und Verstocktheit des Volkes sühnend, jene Pfade von Jerusalem, die Er mit seinem kostbarsten Blut benetzt hat. Alle durch dasselbe geheiligten Stellen verehrt sie, alle Misshandlungen, die Er daselbst erlitten, beweint sie mit bittersten Tränen und auf den Knien und mit zur Erde niedergebeugtem Angesicht betet sie an den Preis unserer Erlösung in eigenem Namen, wie im Namen aller, die jetzt in der Treue und im Glauben wanken, um Ersatz für ihre Schwäche zu leisten und ihnen neue Kraft und Stärke zu erflehen.

33. «Auch, als die heiligste Mutter mitansah, wie ihr gebenedeiter Sohn von Pilatus dem Volk mit den Worten< Ecce homo> vorgestellt wurde, warf sie sich, wie die seI. Maria von Agreda erzählt, auf die Knie nieder, betete Ihn an und bekannte Ihn als den wahren menschgewordenen Gott. Das gleiche taten Johannes, die heiligen Frauen und alle Engel, welche ihre große Königin umgaben. Zu Gott dem himmlischen Vater aber und zu ihrem liebevollsten Sohne flehte sie mit solcher Innigkeit, in solchem Schmerz und Mitgefühl, in so tiefer Ehrfurcht, wie nur ihr liebeentflammtes, reinstes Herz dessen fähig war. Sie erwog in ihrer höchsten Weisheit, dass gerade jetzt in diesem Augenblicke, da ihr heiligster Sohn so beschimpft, verspottet, verachtet und zerfleischt vor den Juden stand, es erfordert werde, den Glauben an seine Unschuld zu erhalten. Darum erneuerte sie ihre Bitten für Pilatus, auf dass er fortfahre, in seiner Eigenschaft als Richter vor der ganzen Welt zu erklären, dass Jesus, unser Heiland, weder eines Vergehens, noch des Todes schuldig sei, wie die Juden dies behaupteten.»

34. «Da Jesus sein heiliges Kreuz umarmte, erkannte seine heiligste Mutter in ihrer erhabensten Erleuchtung die unendliche Kraft und Würdigkeit, welche dem Holze des Kreuzes in demselben Augenblick sich mitteilte, da es der Berührung der mit der Gottheit vereinigten Menschheit unseres Erlösers gewürdigt wurde. Darum brachte sie dem heiligen Kreuze die ihm gebührende Verehrung dar und begrüßte, als die Gehilfin des Erlösers, dasselbe mit ähnlicher zärtlichster Ansprache, wie ihr heiligster Sohn es begrüßte.»

«Als sie die Stimme des Ausrufers vernahm, welcher den Urteilsspruch in den Straßen verkündete, verherrlichte sie mit Lobpreisungen die sündelose Unschuld ihres allerheiligsten Sohnes und Gottes und setzte ihre erhabensten Lob-, Preis- und Dankgebete den Schmähungen entgegen, welche in dem Urteilsspruch enthalten waren; und in Wechselchören stimmten die Engel in diese Lobpreisungen mit ein. Die Bewohner Jerusalems überhäuften ihren Schöpfer und Erlöser mit Lästerworten.»

35. «Auf der Höhe des Kalvarienberges angekommen, war nun die betrübteste Mutter dem Leibe nach in nächster Nähe ihres Sohnes. Ihr Geist aber war vor Mit-Leiden wie außer sich. Denn hier wurde sie ihrem geliebtesten Sohn und seinem Leiden nun völlig gleich gestaltet. Mit ihr waren Johannes und die heiligen Frauen, welchen sie die Gnade erflehet hatte, dem Erlöser und seinem Kreuze unmittelbar nahe zu sein.»

«Während die Schergen den Herrn zur Kreuzigung entkleideten, da betete sie zum himmlischen Vater: < Mein Herr, ewiger Gott, Du bist der Vater dieses deines Eingeborenen Sohnes, weIcher als wahrer Gott von Dir, dem wahren Gotte, von Ewigkeit gezeugt, in der Zeit aber aus meinem Schoß geboren ist, wo ich Ihm die menschliche Natur gegeben habe, in welcher Er nun leidet. An meinem Herzen habe ich Ihn ernährt und gepflegt, als wahre Mutter Ihn geliebt, den besten Sohn, der je von einer Mutter geboren werden konnte. Als seine wahre Mutter habe ich ein natürliches Recht auf die heiligste Menschheit in seiner Person. Und niemals entzieht deine Vorsehung dieses Recht demjenigen, der es besitzt und dem es zusteht. Darum entsage ich in dieser Stunde von neuem meinem Rechte als Mutter und lege es in deine Hände, auf dass dein und mein Sohn geopfert werde zur Erlösung des menschlichen Geschlechtes. Du aber, mein Herr und Gott, nimm wohlgefällig das Opfer an, das ich jetzt Dir darbringe. Ein gleich großes vermöchte ich Dir nicht darzubringen, auch wenn ich mich selber in Leiden und Tod Dir opferte. Und zwar nicht aus dem Grunde allein, weil mein Sohn wahrer Gott und gleichen Wesens mit Dir ist, sondern auch in Hinsicht der Größe meines Schmerzes und meiner Pein. Denn dürfte ich statt Seiner sterben und bliebe dadurch sein allerheiligstes Leben erhalten, so wäre dies für mich ein großer Trost und die Erfüllung meiner Wünsche.> Dieses Gebet der großen Königin nahm der ewige Vater mit höchstem Wohlgefallen auf, und so wirkte auch sie mit dem Willen des Vaters mit in der Opferung seines Eingeborenen.»

36. «Außer den letzten sieben Worten des sterbenden Erlösers haben uns die heiligen Evangelisten keine weiteren gemeldet, so dass alles andere, was wir sonst noch über seinen bittersten Tod betrachten, nur Folgerungen sind, die wir aus den Grundsätzen unseres untrüglichen Glaubens für uns ableiten. Indes ist mit anderen Geheimnissen aus dem Leiden unseres Herrn auch ein Gebet mitgeteilt worden, welches Er innerlich an seinen himmlischen Vater richtete, noch bevor Er die in den hl. Evangelien erwähnten sieben Worte aussprach. Ich sage «Gebet», obwohl der Inhalt und die Bedeutung der innerlich zu seinem himmlischen Vater gesprochenen Worte mehr als seine letzte förmliche Willenserklärung oder als seine letztwillige Verfügung, denn als ein Gebet erscheint, indem Er darin, ähnlich einem wahren und einsichtsvollen Familienvater, über all sein Gut zum Besten der ganzen Menschheit verfügte. Es ist eine Forderung selbst der natürlichen Vernunft, dass das Haupt einer Familie, als der rechtmäßige Eigentümer eines größeren oder geringeren Besitzes, sofern er seinen Pflichten genügen will, vor dem Hinscheiden seine bestimmte Willenserklärung darüber abgebe, wie es künftig mit seinem Eigentum gehalten werden und welchen Erben es zufallen solle, damit diese in den friedlichen Besitz der Hinterlassenschaft eintreten können. Eine ähnliche Verfügung nun wollte unser heiligster Erlöser am Kreuze über die geistlichen Schätze und Gnadengaben treffen, welche Er während seines ganzen irdischen Wandels durch seine Verdienste für die Menschen erworben hatte. Sonach testierte Er, wer der rechtmäßige Erbe sein, und wer von der Erbschaft ausgeschlossen bleiben solle. Und diese seine letzte Verfügung legte Er seinem ewigen Vater als dem höchsten Herrn und gerechtesten Schiedsrichter vor. Dieses Testament blieb versiegelt und den Menschen geheim. Nur allein der jungfräulichen Mutter wurde es offenbar. Sie musste Kenntnis davon haben, denn sie war als Universalerbe und als die Eigentümerin seines ganzen Besitztumes eingesetzt, über welches der heiligste Erlöser in diesem Testament verfügte. Überdies stand ihr, als der Gehilfin beim Werk der Erlösung, auch die Testaments-Vollstreckung zu, denn gleichwie der ewige Vater alles in die Hände seines Sohnes übergeben hatte, so legte der Sohn alles in die Hände seiner Mutter. So hatte sie auch seinen letzten Willen zu vollziehen und demgemäß alle Güter ihres Sohnes zu verteilen, die von Ihm erworbenen, wie die Ihm kraft seiner Wesenheit zukommenden.»

«Die Kenntnis dieser verborgenen, aber wahrhaftigen Tatsache ist mir aus der Absicht verliehen worden, damit durch sie die erhabenste Würde der heiligsten Jungfrau und Mutter für alle um so einleuchtender und das Vertrauen um so kräftiger werde, zu ihr unsere Zuflucht zu nehmen, zu ihr, der alle Schätze des Sohnes Gottes unseres Erlösers übergeben und anvertraut sind, so dass wir nur aus ihren mildesten, freigebigsten Händen allen Schutz, alle Hilfen und Gaben erlangen können.»

37. «Seine letzte Verfügung zu Gunsten seiner geliebtesten Mutter drückte der heiligste Erlöser in den Worten aus: < Nun, o ewiger Vater, treffe Ich in deinem und in meinem Namen zu deiner größeren Ehre meine letzte menschliche Willensmeinung in voller Übereinstimmung mit deinem ewigen und göttlichen Willen. Ich will, dass in erster Reihe meine reinste Mutter, welche Mir die menschliche Natur gegeben hat, genannt sei. Darum setze Ich sie als meine einzige Erbin und als die Universalerbin aller Güter der Natur, der Gnade und der Glorie ein, die mein Eigentum sind, auf dass sie als Herrin das volle Eigentumsrecht über alle besitze. Alle Güter der Gnade verleihe Ich ihr nach ihrer vollen Wirkung und Bedeutung, soweit sie als bloße Kreatur dieselben in sich aufzunehmen vermag. Die Güter der Glorie aber sichere Ich ihr zu für ihre Zeit. Ich will, dass die Engel und die Menschen ihr angehören, dass sie über alle die volle Gewalt und Herrschaft besitze, dass alle ihr gehorchen und dienen, dass die bösen Geister sie fürchten und ihr unterworfen seien, dass in gleicher Weise ihr unterworfen seien alle vernunftlosen Geschöpfe, die Himmelskreis, die Gestirne, die Planeten, die Elemente und alle lebenden Wesen, Vögel, Fische und Tiere der Erde. Über alle Geschöpfe setze Ich sie als Herrin ein, auf dass mit Mir sie von ihnen allen geehrt und verherrlicht werde. In gleicher Weise will Ich, dass sie die Schatzmeisterin und Ausspenderin aller Güter sei, die im Umkreise der Himmel und der Erde eingeschlossen sind. Was sie betreffs meiner Kinder, der Menschen, in der Kirche anordnen und verfügen wird, das wird im Himmel von der heiligsten Dreifaltigkeit bestätigt werden, und alles, um was sie für die Menschen bitten wird, jetzt und künftig und zu allen Zeiten, das werden Wir gewähren nach ihrem Willen und ihrer Verfügung.»

38.' «Als die Mutter des Heilandes und als die Teilnehmerin an allen seinen Leiden hatte die seligste Jungfrau von allen seinen Worten und Handlungen die klarste Erkenntnis. Und gleichwie sie auf dem ganzen Passionsweg alle Pein und Marter ihres Sohnes mit-gelitten und mit-empfunden hatte, so ging sie nun mit Ihm auch in jene Schmerzen und Qualen ein, welche Er im Augenblick seines Todes erduldete. Wohl starb sie nicht in Wirklichkeit mit Ihm. Allein natürlicherweise hätte sie nicht am Leben bleiben können. Der Tod hätte auch für sie erfolgen müssen, da ihr letzter Schmerz alle bisher erduldeten Peinen an Gewalt und Heftigkeit weit übertraf. Ja alle Schmerzen, welche die heiligen Martyrer und alle seit Anbeginn der Welt dem Tod überlieferten Menschen gelitten haben, kommen jenen Schmerzen bei weitem nicht gleich, welche die heiligste Mutter bei der Passion gelitten und erduldet hat. In demselben Augenblick, da auch für die betrübteste Mutter der Tod hätte eintreten müssen, geschah es durch ein Wunder, dass Gott sie am Leben erhielt. Und dieses Wunder war das erstaunlichste von allen, durch welche sie während des ganzen Passionsweges von Gott gestärkt worden war.»

«Die große Herrin verblieb bis zum Abend am Fuß des Kreuzes, da der heiligste Leib in das Grab gelegt wurde. Zur besonderen Belohnung dieses letzten Schmerzens wurde die reinste Mutter in dem Wenigen, was ihr jungfräulicher Leib von der irdischen Natur noch an sich trug, ganz vergeistigt.»

39. Die Mitteilung der gottseligen Anna Katharina Emmerick, dass der auferstandene Heiland zuerst seiner heiligsten Mutter erschienen sei, wird gleichmäßig von der heiligen Brigitta und der seligen Maria von Agreda bestätigt. Die erstere hatte von ihrem Engel die Eröffnung empfangen (Sermo angelicus cap. 19):

«Als nach Vollendung der Passion Christi, ihres Sohnes, die heiligste Jungfrau ihre Kräfte wiedergewonnen hatte, da verherrlichte sie Ihn auf die Gott wohlgefälligste Weise. Denn sie gewann nach dem Kreuzestod durch ihre heilbringenden Worte Gott mehr Seelen, als jede andere Persönlichkeit mit allen ihren Werken. Sie war es allein welche Ihn standhaft als wahren, nach seiner Gottheit ewig unsterblichen Sohn Gottes bekannte, während so viele nach dem Tode seiner Menschheit über Ihn ganz in Verwirrung und Zweifel gerieten. Da nämlich am dritten Tage die Jünger an seine Auferstehung nicht glauben wollten, und die Frauen voll Angst seinen Leib im Grabe suchten und selbst die Apostel vor übergroßer Herzensangst und Furcht sich eingeschlossen hielten, da hat, wie unbezweifelt zu glauben ist, wenngleich die Heilige Schrift kein Wort von Maria aus jenen Tagen uns aufbehalten hat, die jungfräuliche Mutter ihnen allen bezeugt, dass der Sohn Gottes im Fleisch zur ewigen Herrlichkeit auferstanden sei und dass der Tod zukünftig nimmermehr über Ihn herrschen könne. Und sagt auch die Heilige Schrift, dass Madgalena und die Apostel Christi Auferstehung zuerst gesehen haben, so ist doch unbezweifelt zu glauben, dass seine würdigste Mutter früher, als die anderen, gewisse Kenntnis davon gehabt, dass sie zuerst den Erstandenen gesehen habe, und dass Er das Frohlocken ihres demütigsten Herzens zuerst von ihr angenommen habe.»

Auch aus dem Munde der seligsten Jungfrau selber vernahm die heilige Brigitta (Revelationes I. 6. c. 94):
«Da nach dem Tod meines Sohnes mein Herz in unbegreiflich schmerzvoller Trauer war, da erschien Er mir allein zuerst vor allen anderen, zeigte mir seine heiligste Leiblichkeit, tröstete mich und erwähnte, dass Er sichtbar zum Himmel aufsteigen werde. Wenn ich gleich in Demut nicht wollte, dass dieses aufgeschrieben werde, so ist es doch eine gewisse Wahrheit, dass mir zuerst vor allen anderen mein vom Tod erstandener Sohn erschienen ist.»

40. Über den Anteil seiner heiligsten Mutter an dem Werke der Erlösung richtete Jesus Christus eines Tages an die heilige Brigitta folgende Worte (I. c. Extravagantes c. 3):
«Die ganze Menschheit ist gleich einer Stadt, welche von vier Seiten her vom bösen Feinde belagert wird. Denn durch vierfache Sündhaftigkeit bekommt er den Menschen in seine Gewalt: durch den Ungehorsam gegen das göttliche Gebot, durch die Übertretung des natürlichen Gesetzes, durch die verderbliche Begierlichkeit und durch die Verhärtung des Herzens. Meine heiligste Mutter aber hat die Menschheit von dieser vierfachen Gefahr befreit, indem sie ihren Willen ganz und gar in meine Hände gab und bereitwilligst jegliche Trübsal erduldete, damit die Seelen erlöst würden. Denn das ist die wahre himmlische Weisheit, sein ganzes Wollen und Können an Gott zu übergeben und selbst der Trübsale um Gotteswillen sich zu erfreuen. Wegen dieser Gleichförmigkeit ihres Willens mit dem göttlichen bin Ich, Gott von Ewigkeit und Gottes Sohn, in der Jungfrau Mensch geworden, deren Herz wie Eines mit dem meinigen gewesen ist. Und darum kann Ich in Wahrheit sagen: meine Mutter und Ich haben wie mit Einem Herzen die Menschheit erlöst. Ich durch Leiden im Herzen und im Fleisch, sie aber durch den Schmerz und die Liebe ihres Herzens.» Die heiligste Jungfrau aber sprach zu Brigitta:« Keine Zunge vermöchte es auszusprechen, welche Betrübnis mein Herz erfüllte, als mein Sohn vom Kreuze abgenommen und zum Grabe getragen wurde. Ich war gleich einer Gebärenden, deren Glieder vor Schmerzen zittern, und die, obwohl vor Wehe kaum fähig zu atmen, sich dennoch freut, dass ein Kind geboren ist, das ein gleiches Wehe ihr nicht mehr bereiten wird. So mischte sich auch in meine bitterste Betrübnis über den Tod meines Sohnes die Freude, zu wissen, dass Er nicht mehr sterben, sondern ewig leben werde. In Wahrheit aber kann ich sagen, dass, als mein Sohn im Grabe ruhte, dieses Grab zwei Herzen in sich schloss. Denn heißt es nicht: wo dein Schatz, da ist dein Herz? So weilte im Grabe meines Sohnes mein ganzes Denken und mein ganzes Herz.»

«Ich empfand auch sehr schmerzvolles Mitleiden mit den Aposteln und den anderen Freunden Gottes, da ich sie in größter Betrübnis erblickte und ihr Schmerz der meinige war. Ich war in stetem Mitleid und in Furcht für sie, dass sie den Anfechtungen und Trübsalen nicht erliegen möchten. Die Passion meines Sohnes aber blieb so lebendig und so tief in meinem Herzen, dass bei allem, was ich tat, sie immerdar wie neu vor meinen Augen stand.»

41. Nach den Mitteilungen der gottseligen Anna Katharina hat die heiligste Jungfrau noch fünfzehn Jahre nach der Himmelfahrt ihres göttlichen Sohnes auf Erden verweilt, um als die Mutter und Lehrmeisterin der Apostel und Gläubigen den Weinberg der Kirche zu bestellen und in seinen Schoß aus dem ihr zur Bewahrung und Verteilung von dem heiligsten Erlöser anvertrauten Schatz seiner unendlichen Verdienste und seines kostbarsten Blutes die mannigfachsten Keime des neuen Lebens einzusenken, welche unter ihrer schützenden Obhut und segnenden Mitwirkung schon jetzt, oder in naher und ferner Zukunft, je nach den Bedürfnissen der Christenheit, sich entfalten und Gestalt gewinnen sollten. Dazu hatte sie von ihrem Sohne nach seiner glorreichen Auferstehung in förmlicher Weise Auftrag und Machtfülle empfangen, indem Er sie seinen Aposteln und in ihnen der ganzen Kirche als Mutter, als Mittelpunkt, als Beschützerin und Mittlerin feierlichst vorsetzte. Demgemäß erwies sich die heiligste Jungfrau schon vor der Sendung des Heiligen Geistes, und mehr noch nach dessen Herabkunft, durch die Zuwendung ihrer Erleuchtungen, ihrer Ratschläge und Weisungen, ihrer Tröstungen und Hilfeleistungen, ihres mächtigsten Schutzes und barmherzigsten Beistandes in voller Wahrheit und Wirklichkeit als die Mutter der Kirche. Und es gewannen die Erstlinge derselben aus hundertfachen Erlebnissen und Tatsachen die höchste und tröstlichste Gewissheit, dass ihre erhabenste Mutter und Königin in dieser ihrer Würde auch alle Rechte, alle Macht und Stärke, alle Weisheit und Güte, Liebe und Barmherzigkeit einer um ihrer Aller Heil zärtlichst besorgten Mutter besitze, bei der sie in jedem Anliegen und in jeder Not die sicherste Erhörung und Hilfe finden könnten.

Je mehr aber die Gaben des Heiligen Geistes in den Aposteln, Jüngern und ersten Gläubigen ihre Wirkungen offenbarten, in einem um so höheren Lichte musste ihnen die heiligste Jungfrau erscheinen. Um so befähigter mussten sie werden, die unaussprechliche Segensfülle ihrer heiligsten Gegenwart und des lebendigen Verkehres mit ihr in sich aufzunehmen und ihren Glauben, ihre Liebe und Verehrung zu Maria in unvergänglicher, lebendiger Überlieferung auf alle kommenden Zeitalter zu vererben.

Gleichwie die Vorläufer der Apostel, die Propheten des alten Bundes, vom Heiligen Geiste erleuchtet von Maria weissagten, und wie auf seine Eingebung die alte Kirche in der Arche Noes, in der Leiter Jakobs, im brennenden Dornbusch, in dem unüberwindlichen Turme, in dem verschlossenen Garten, in der Stadt Gottes auf dem Berge, in der Heiligkeit des von der Herrlichkeit Gottes erfüllten Tempels die geheimnisvollen Vorzeichen und Sinnbilder der von den Patriarchen ersehnten Jungfrau erblickte, so war es nun eine der vorzüglichsten Wirkungen des in sichtbaren Feuerzungen den Aposteln sich mitteilenden Heiligen Geistes, dass sie unter der Hülle der unbegreiflichen Demut und Herablassung der in ihrer Mitte weilenden heiligsten Gottesgebärerin die glorreichste Erfüllung der Weissagungen und Vorbilder erkannten, unter welchen sie so viele Jahrhunderte lang von allen Erleuchteten der alten Kirche verehrt und ersehnt worden war. Wer könnte auch mit Grund bestreiten, dass in der Verheißung ihres göttlichen Meisters, der Heilige Geist, den Er senden werde, werde sie in alle Wahrheit einführen, nächst den Geheimnissen, die Ihn selbst, sein heiligstes Erlösungswerk und dessen unvergängliche Früchte und Wirkungen betrafen, seine heiligste Mutter vornehmlich mitinbegriffen war, da für deren tiefe Erkenntnis und Würdigung die Apostel und die ganze Kirche der Erleuchtung und des Beistandes des Heiligen Geistes ebenso bedurften, wie für die anderen Artikel des katholischen Glaubens? Es ist ja die heiligste Jungfrau und Gottesgebärerin nach ihrer Gnadenfülle, ihrer Würde, ihrer Bedeutung und für das Heil der ganzen Welt und jedes einzelnen Menschen, für die Erneuerung der Chöre der Engel, wie für die Tröstung und Erleichterung der Seelen im Reinigungsorte ein Mysterium, das kein erschaffener Geist zu fassen vermag. Und war auch die erste Kirche der persönlichen Gegenwart der heiligsten Jungfrau und des persönlichen Verkehres mit ihr gewürdigt, so bedurfte sie doch desselben übernatürlichen, vom Heiligen Geiste ausgehenden Lichtes des göttlichen Glaubens, um zur wahren Erkenntnis von ihr zu gelangen, dessen auch die Apostel bedurft hatten, um den in ihrer Mitte weilenden und mit ihnen so demütig verkehrenden Herrn und Meister als den Sohn des lebendigen Gottes zu bekennen. Und wenn es ferner eine unbestreitbare Wahrheit des Glaubens ist, dass der eine und selbe Heilige Geist die Patriarchen und Propheten, wie die Apostel und Jünger erfüllte und belebte, so müssen die Apostel, da sie in weit höherem Grade seiner Gaben und Wirkungen am Pfingstfeste teilhaft wurden, alle Worte und Geheimnisse, alle Weissagungen, Bilder und Vorzeichen, mit einem Wort, alles, was vorbildlich in der alten Kirche vom Heiligen Geiste in Wort oder Zeichen durch seine Werkzeuge und Organe verkündet worden war, unvergleichlich tiefer als diese selbst verstanden haben, da sie nun im Lichte des Heiligen Geistes die glorreiche Erfüllung aller dieser Weissagungen in Maria zu schauen gewürdigt waren.

Und darum nahmen sie den Kanon der heiligen Bücher des Alten Bundes in die neue Kirche nicht allein zum Lehrgebrauche auf, sondern auch als einen wesentlichen Bestandteil der Feier ihres Gottesdienstes, so dass bis heute und bis zum Ende der Tage die heilige katholische Kirche Maria, ihre Mutter und Königin in denselben Worten, Lob- und Preisgesängen und Danksagungen verherrlicht, wie es von der alten Kirche in den Weissagungen, in den Psalmen, im hohen Liede, im Buche der Weisheit, in den Sprüchen Salomo's und im Ecclesiasticus geschehen war.


Die Gaben des Heiligen Geistes wurden den Aposteln aber auch in weit höherem Grade verliehen, als allen anderen Heiligen nach ihnen; und darum mussten sie mit einer unvergleichlich höheren Liebe, Ehrfurcht. Huldigung und Verehrung gegen die heiligste Gottesgebärerin erfüllt sein, als alle späteren Heiligen und Lehrer der Kirche, von welchen keiner der gleichen Auszeichnung mehr teilhaft werden konnte, in derselben Weise, wie sie, mit Maria zu verkehren und Zeuge ihres heiligsten Lebens und Wandels zu sein, sie als «den Spiegel der Gerechtigkeit» leibhaft vor sich zu sehen und in jedem Augenblicke es inne zu werden, in welch erhabenstem Sinne Maria vom Heiligen Geiste der ganzen Kirche zum «Sitze der Weisheit» und zur «Ursache alles Trostes und heiliger Freudigkeit» gegeben sei. Die Schönheit, die Heiligkeit, die Größe und Herrlichkeit der heiligsten Gottesgebärerin hat außer dem hl. Joseph kein anderes Auge so geschaut, wie die heiligen Apostel, kein anderes Ohr hat so, wie sie, ihre Stimme vernommen, und keines anderen Menschen Herz hat es so lebendig empfunden, wie das der heiligen Apostel, welche Liebe und Barmherzigkeit der Sohn Gottes seiner Kirche dadurch bereitet hatte, dass Er seine Mutter noch so lange bei ihr auf Erden zurückliess.

42. In den Geheimnissen und Lobpreisungen der lauretanischen Litanei ist es der Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten überliefert, welche Verehrung und Huldigung schon die erste Kirche der heiligsten Jungfrau und Gottesgebärerin dargebracht hat. Darum mögen die für das tiefere Verständnis dieser ehrwürdigen Gebetsweise besonders geeigneten Worte, mit weIchen der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort die Notwendigkeit einer ausgezeichneten Liebe und Andacht zur seligsten Jungfrau zu begründen sucht, hier eine Stelle finden:
«Gott der Vater wollte seinen Eingebornen Sohn der Welt nur durch Maria geben. Mit welcher Inbrunst die Patriarchen gefleht, mit welchen Bitten die Propheten und Gerechten des alten Gesetzes viertausend Jahre lang zu Gott gerufen, um diesen Schatz zu erlangen. Es war allein Maria, die ihn verdiente, indem sie durch die Kraft ihrer Gebete und die Größe ihrer Tugenden Gnade fand vor Gott. Die Welt war nicht würdig, sagt der heilige Augustinus, den Sohn Gottes unmittelbar aus den Händen des Vaters zu empfangen. Er gab Ihn Maria, damit durch sie die Welt Ihn erhalte. Der Sohn Gottes wurde Mensch, um unser Heil zu wirken, aber in Maria und durch Maria. Gott der Heilige Geist hat dem Sohn Gottes das Gewand seiner Menschheit in Maria gebildet, doch erst, nachdem Er durch einen der ersten Engel des himmlischen Hofes ihre Zustimmung dazu begehrt hatte.»

«Gott der Vater hat Maria seine Fruchtbarkeit mitgeteilt, soweit sie als ein Geschöpf dieselbe empfangen konnte, um ihr die Macht zu verleihen, Mutter seines Sohnes und aller Glieder seines mystischen Leibes zu werden. Gott der Sohn hat in ihrem jungfräulichen Schoß gewohnt, als zweiter Adam in seinem irdischen Paradies, in welchem Er seine Wonne finden und in Verborgenheit die Wunder seiner Gnade wirken wollte.»

«Der menschgewordene Gott fand darin seine Freiheit, dass Er von ihrem Schoße sich umschlossen sah, und offenbarte die Größe seiner Allmacht, indem Er getragen sein wollte von der gebenedeiten Jungfrau. Er fand seine und seines Vaters Ehre darin, dass Er seine Herrlichkeit vor allen andern Geschöpfen verborgen hielt, um sie nur allein Maria offenbar sein zu lassen. Seine unermessliche Hoheit und Majestät erkannte sich verherrlicht in der Abhängigkeit von der demütigsten Jungfrau in seiner Empfängnis und seiner Geburt, bei der Darstellung im Tempel, während der dreißig Jahre seines verborgenen Lebens. Selbst in seinem Tod begehrte Er ihren Beistand, damit sein Opfer zugleich Opfer seiner heiligsten Mutter werde, indem auch sie ihre Einwilligung zu geben hatte, dass Er dem ewigen Vater geopfert werde, wie einstens Abraham zu dem Opfer seines Isaak. Wie sie Ihn gesäugt, genährt, gepflegt, erzogen, so hat sie Ihn auch für uns geopfert.»

«Diese wunderbare und unbegreifliche Abhängigkeit des Sohnes Gottes von seiner heiligsten Mutter wollte der Heilige Geist, um ihre Verdienstlichkeit uns zu zeigen, nicht mit Stillschweigen im Evangelium übergehen, obwohl Er uns fast alle anderen Wunder, welche die menschgewordene Weisheit während ihres verborgenen Lebens gewirkt, verborgen hat. Durch den Gehorsam gegen seine heiligste Mutter hat Jesus Christus während der dreißig Jahre Gott seinen himmlischen Vater mehr verherrlicht, als wenn Er durch die größten Wunderwerke die ganze Welt bekehrt hätte. Darum, welche Ehre vermögen auch wir Gott dem himmlischen Vater zu geben, wenn wir, Ihm zu gefallen, unserem höchsten Vorbilde Jesus Christus hierin nachfolgen !»

«Durch Maria wollte Jesus Christus seine Wunder beginnen. Er heiligte seinen Vorläufer im Schoße Elisabeths bei dem Gruß seiner heiligsten Mutter. Kaum hatte diese geredet, als Johannes geheiligt war. Es war dies sein erstes und größtes Wunder der Gnade. Auf die demütige Bitte Mariä verwandelte Er auf der Hochzeit zu Kana das Wasser in Wein. Dies war sein erstes Wunder der Natur. Durch Maria hat Er seine Wunder begonnen und fortgesetzt, und durch Maria wird Er sie fortsetzen bis zum Ende der Zeit.»

«Durch Maria, als seine heiligste Braut, wirkte der Heilige Geist sein größtes Wunder. Mit ihr, in ihr und aus ihr brachte Er das vorzüglichste seiner Werke hervor, die heiligste Menschwerdung des Sohnes Gottes. Auch die Hervorbringung der Auserwählten, der Glieder des Leibes dieses anbetungswürdigsten Hauptes, ist sein Werk, das Er durch Maria, als die Mutter der göttlichen Gnade, fort und fort bis zum Ende der Zeit vollbringen wird. Darum offenbart Er seine Wirkungen an jeder Seele um so mächtiger, um sie ihrem Haupte Jesus Christus gleich zu gestalten, je mehr Er sie mit Maria, seiner geliebten, unzertrennlichen Braut, geeinigt findet. Damit will nicht gesagt werden, als könne der Heilige Geist nicht auch ohne die Vermittlung der heiligsten Jungfrau seine Wirkungen hervorbringen, oder als bedürfe Er ihrer Vermittlung. Aber es ist sein Wille, sein Wohlgefallen, das Geheimnis seines göttlichen Ratschlusses, durch Maria und in ihr die Glieder des Leibes Jesu Christi ihrem Haupte gleichförmig zu gestalten. Gleichwie die drei göttlichen Personen der allerheiligsten Dreieinigkeit das Geheimnis der heiligsten Menschwerdung und die erste Ankunft Jesu Christi auf Erden nicht ohne die Mitwirkung der unbefleckten heiligsten Jungfrau vollbringen wollten, so vollbringen sie in gleicher Weise fort und fort bis zum Ende der Zeit und bis zur letzten Ankunft Jesu Christi die unsichtbaren Wirkungen der Gnade durch Vermittlung Mariä an der ganzen Kirche, wie an jeder einzelnen Seele.»

«Gott der Vater erschuf die Sammlung der Gewässer und nannte sie Meer, mare. Er schuf aber auch die Sammlung seiner Gnaden und nannte sie Maria. In diese Sammlung, als in seine Schatzkammer, schloss Er alle Schönheit, alle Reichtümer und Kostbarkeiten ein, selbst seinen Eingebornen Sohn. Diese Schatzkammer ist Maria, deren Händen, nach den Worten des heiligen Kirchenlehrers Petrus Damiani, Gott den Schatz seiner Erbarmungen anvertraut hat.»

«Gott der Sohn übergab seiner heiligsten Mutter alles, was Er durch sein Leben und Sterben erworben hat, seine unendlichen Verdienste und erhabensten Tugenden. Er machte sie zur Schatzmeisterin von allem, was sein Vater Ihm zum Erbe gegeben. Durch Maria wendet Er seine Verdienste seinen Gliedern zu, durch sie teilt Er seine Gnaden, seine Tugenden mit. Sie ist der geheimnisvolle Kanal, die himmlische Wasserleitung, durch welche Er die Süßigkeit und Fülle seiner Erbarmungen auf die Kirche überleitet.»

«Gott der Heilige Geist hat in gleicher Weise Maria als seiner treuesten Braut die Fülle seiner Gaben mitgeteilt, damit sie dieselben verteile, wie, wem, wann und wie viel sie davon geben will. Keine himmlische Gabe gelangt an die Menschen außer durch die lilienweißen Hände der heiligsten Jungfrau. Denn dies ist der Wille Gottes, der verordnet hat, dass wir alles nur durch Maria empfangen sollen. So reich, so mächtig, so bevorzugt über alle seine Geschöpfe hat der Allerhöchste die heiligste Jungfrau erhöht, die, solange sie auf Erden lebte, in ihrer unbegreiflichen Demut unter alle sich erniedrigt hatte. Das ist die Anschauung der ganzen Kirche und aller heiligen Väter.»

43. Die weiteren Geheimnisse und Tatsachen aus den letzten fünfzehn Lebensjahren der heiligsten Jungfrau, wie sie in den einfachen Worten der gottseligen Anna Katharina uns berichtet werden, finden ebenso, wie die früher gemeldeten, in den Offenbarungen der heiligen Brigitta und der seligen Maria von Agreda ihre Bestätigung und in den wichtigsten Punkten eine bedeutsame Vervollständigung. Da die Offenbarungen der heiligen Brigitta leider nur von wenigen gekannt und nach ihrem unschätzbaren Werte gewürdigt sind, die Schriften der seligen Maria von Agreda aber überhaupt nur einem kleinen Kreise von Lesern zugänglich sind, darum bietet der Herausgeber auf den folgenden Blättern eine Auswahl der schönsten, auf den Zeitraum der letzten Lebensjahre der heiligsten Jungfrau bezüglichen Mitteilungen in möglichst sorgfältiger Übersetzung aus dem lateinischen Texte der Offenbarungen der heiligen Brigitta und aus dem spanischen der seligen Maria von Agreda.

A. AUS DEN OFFENBARUNGEN DER HEILIGEN BRIGITTTA

Warum Maria nach der Himmelfahrt ihres Sohnes noch auf Erden zurückblieb

Sermo angelicus c. 19:

44. Als Jesus in das Reich seiner Herrlichkeit auffuhr, wurde der Kirche das unvergleichliche Glück zuteil, dass die seligste Jungfrau noch für längere Zeit auf Erden zurückblieb, um die Guten in der Gnade zu befestigen und die Irrenden zur Wahrheit zu führen. Sie blieb zurück, um die Lehrmeisterin der Apostel, die Stärke der Martyrer, die Erleuchterin der Bekenner, der glänzende Spiegel für die Jungfrauen, der Trost der Witwen, die Heil und Segen bringende Meisterin der Verehelichten zu sein und um alle insgesamt auf das vollkommenste in dem Bekenntnisse des heiligen katholischen Glaubens zu befestigen. Die Apostel hielten sich an sie, um über alle Geheimnisse ihres göttlichen Sohnes, welche sie noch nicht genügend erkannten, von ihr erleuchtet und gründlich aufgeklärt zu werden. Die Martyrer wurden durch sie ermutigt, um für den heiligsten Namen Jesu freudig jede Verfolgung und Trübsal auszuhalten, da auch Er für sie und für aller Heil sich freiwillig den Peinen überliefert hatte. Sie eröffnete ihnen auch die Größe ihres eigenen Leidens, das sie von seiner Geburt bis zu seinem Tode durch dreiunddreißig volle Jahre ohne Unterbrechung mit aller Geduld in ihrem Herzen ertragen hatte. Die Bekenner unterwies sie in den Glaubenssätzen. Durch Wort und Beispiel war sie ihnen zum Vorbilde, wie sie für das Lob Gottes die Tag- und Nachtzeiten weise einteilen und wie sie nach Bedürfnis des leiblichen Lebens der Ruhe, der Nahrung und Arbeit in geistlicher und vernünftiger Mäßigung pflegen sollten. Ihr sittsamster Wandel war für die Jungfrauen das Vorbild aller Ehrbarkeit, der standhaften Bewahrung jungfräulicher Zucht und Reinheit bis zum Tode, der Meidung überflüssiger Rede und jeder Art von Eitelkeit sowie der sorgfältigsten Überlegung aller Handlungen und deren strenger Prüfung auf der Waage eines zarten Gewissens. Der Trost der Witwen war sie durch die Hinweisung auf den Schmerz, den sie über den Willen ihres Sohnes empfunden, für die Erlösung der Welt den Tod zu erleiden. Doch habe sie ihren mütterlichen Willen gänzlich dem göttlichen gleichförmig gemacht und es vorgezogen, für dessen vollkommenste Erfüllung lieber jede Trübsal in Geduld zu ertragen, als nur im geringsten von ihm abzuweichen und nach dem eigenen Willen zu handeln. Den Verehelichten empfahl sie die wahre und ungeheuchelte gegenseitige Liebe und das einmütige Bestreben, in allen Stücken die Ehre Gottes zu fördern, indem sie ihnen zu erkennen gab, wie sie selber unverletzte Treue Gott stets bewahrt und seinem heiligsten Willen unverbrüchlichen Gehorsam geleistet habe.»

45. Die heiligste Jungfrau aber sprach zu Brigitta (I. 6. c. 61. 62): «Gedenke, meine Tochter, dass ich nach der Himmelfahrt meines Sohnes noch lange Zeit auf Erden lebte, weil es der Wille Gottes war, dass sehr viele Seelen durch den Anblick meiner Geduld und meines Wandels zu Ihm bekehrt und die Apostel Gottes und andere Auserwählten durch mich gestärkt werden sollten. Auch verlieh mir Gott die leibliche Kraft zu längerem Leben, damit die Krone meiner Verdienste um so herrlicher würde. So lange ich nach der Himmelfahrt meines Sohnes noch auf Erden weilte, war ich unermüdet im Besuche aller Stätten seines bittersten Leidens und seiner Wunderwerke. Das Andenken an seine Passion war mir immer neu und immer gegenwärtig. Von allem anderen in der Welt aber waren meine Sinne gänzlich abgezogen, so dass ich ohne Unterlass die Glut der höchsten Sehnsucht nach Gott und den Schmerz zu tragen hatte, noch nicht bei Ihm zu sein. Doch vermochte ich Freude und Leid zu mäßigen, indem ich nichts unterließ, was zu Gottes Dienst und Ehre war. Und so weilte ich unter den Menschen, ohne von allen Dingen, an welchen sie sich ergötzen, etwas anzusehen oder anzunehmen, als nur das wenige, was mir zum Lebensunterhalt nötig war.»

«Dass von meiner Aufnahme in den Himmel anfänglich nur wenige eine Kenntnis besaßen, und dass von derselben in den Lehrvorträgen anfänglich nicht gehandelt wurde, das geschah nach dem Willen Gottes, meines Sohnes, nach welchem in die Herzen der Menschen vor allem der Glaube an seine eigene Himmelfahrt eingepflanzt werden sollte, für welche sie in ihrer Härte nur schwer zugänglich waren, und sie dies noch mehr gewesen wären, wenn gleich anfangs auch meine eigene leibliche Aufnahme in den Himmel ihnen gepredigt worden wäre.»

«Fünfzehn Jahre hatte ich seit der Himmelfahrt meines Sohnes auf Erden gelebt, da kam der wachsenden Sehnsucht nach meinem Sohne die Botschaft des Engels entgegen, der zu mir sprach: Dein Sohn, unser Gott und Herr, hat mich gesandt, dir zu verkünden, dass die Zeit nun da ist, wo du leiblich zu Ihm kommen wirst, um die für dich bereitete Krone zu empfangen. Ich antwortete ihm: Kennst du den Tag oder die Stunde, zu der ich diese Welt verlassen werde? Und der Engel erwiderte: Es werden die Freunde deines Sohnes (die heiligen Apostel) herbeikommen, um deinen Leib zu begraben. Nach diesen Worten verschwand der Engel, und ich bereitete mich auf das Hinscheiden, indem ich nach meiner Gewohnheit alle Leidensstätten meines Sohnes besuchte. Da nun eines Tages mein Geist in die Bewunderung der göttlichen Liebe versenkt, und mein Herz mit solcher Freudigkeit darüber erfüllt war, dass es sie kaum zu fassen vermochte, da löste sich in dieser Entzückung meine Seele von dem Leibe. Doch welche und welch erhabene Geheimnisse meine Seele nun schaute, mit welcher Ehre sie ehrte der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, und von welcher Menge der Engel sie emporgetragen wurde, das könntest du weder fassen, noch will ich es dir sagen, bis nicht deine Seele von ihrem Leibe geschieden sein wird. Jene aber, welche mit mir in dem Hause waren, wo ich meine Seele Gott über.gab, erkannten aus dem ungewohnten Glanze gar wohl, welch göttliche Dinge an mir geschahen. Die durch Eingebung Gottes zu mir gesandten Freunde meines Sohnes bestatteten darnach meinen Leib zur Erde. Mit ihnen waren Engel, unzählbar, wie die Stäubchen in den Sonnenstrahlen. Die bösen Geister aber wagten nicht zu nahen.»

«Durch eine von Gott bestimmte Zahl von Tagen lag mein Leib in der Erde. Danach wurde er in Begleitung jener Engelscharen zum Himmel aufgenommen. Jene Tage waren nicht ohne tiefe, geheimnisvolle Bedeutung, denn in der siebenten Stunde wird die Auferstehung der Leiber geschehen, in der achten aber die Seligkeit der Seelen und der Leiber vollendet werden. Die erste Stunde nämlich war von Erschaffung der Welt bis zur Zeit, da durch Moses das Gesetz gegeben wurde. Die zweite von Moses bis zur Menschwerdung meines Sohnes. Die dritte, da mein Sohn die Taufe einsetzte und die Strenge des Gesetzes milderte. Die vierte, als Er das Evangelium predigte mit Worten und mit seinem Beispiele bestätigte. Die fünfte, als mein Sohn leiden und sterben wollte, von dem Tode erstand und seine Auferstehung durch gewisseste Tatsachen erhärtete. Die sechste, als Er in den Himmel auffuhr, und den Heiligen Geist sendete. Die siebente wird sein, wenn Er kommen wird zum Gerichte und wenn alle mit ihren Leibern zum Gerichte auferstehen werden. Die achte, wenn alle Verheißungen und Prophezeiungen werden erfüllt werden. Dann wird die Seligkeit vollkommen sein, dann wird Gott in seiner Herrlichkeit geschaut werden, dann werden die Heiligen leuchten wie die Sonne und nicht mehr wird sein irgend welcher Schmerz.»

Die Herrlichkeit Mariä im Himmel. Worte des Engels

Sermo angelicus c. 20. und 21:

'46. «In Anbetracht der Worte des heiligen Evangeliums, dass jedem mit dem Maß, womit er einem anderen ausmisst, wieder zugemessen werde, erscheint es als eine Unmöglichkeit, dass der menschliche Verstand es fasse, mit welchen Ehren die glorreiche Gottesgebärerin bei ihrem Einzuge in das himmlische Jerusalem von allen verherrlicht wurde, da ihre Gütigkeit, so lange sie auf Erden weilte, die Bitten Unzähliger erhört und ihnen Wohltaten gespendet hatte. Darum ist mit Recht zu glauben, dass alle, die Erhörung bei ihr gefunden, in Ehrenbeweisen gegen sie wetteiferten, als es ihrem Sohne gefiel, sie aus dieser Welt zu sich zu rufen. Gleichwie der Schöpfer aller Dinge durch die Vermittlung seiner heiligsten Mutter auf Erden den Ratschluss der Erlösung der Menschen hatte vollführen wollen, so gefiel es Ihm jetzt, sie im Himmel mittelst der Engel durch die höchste Ehre zu verherrlichen. Darum erhöhte Er die Seele der Jungfrau in demselben Augenblick, da sie von ihrem Leibe sich löste, über alle himmlischen Chöre, übergab ihr die Herrschaft über die ganze Welt und machte sie für ewig zur Herrin der Engel. Die Engel selbst weihten ihr solchen Gehorsam, dass sie lieber alle Qualen der Hölle erdulden wollten, als einem ihrer Befehle zu widersprechen. Auch über alle bösen Geister machte sie Gott so mächtig, dass, wenn sie einem Verehrer der Jungfrau nachstellen, sie sogleich von ihm ablassen müssen, wenn er Maria um Hilfe bittet. Denn die Teufel zittern vor jedem Winke der seligsten Jungfrau und fliehen davon, indem sie lieber noch ärgere Peinen ertragen, als die Übermacht der heiligsten Jungfrau über sich empfinden wollen.»

«Und da sie unter allen Engeln und Menschen als die Demütigste erfunden wurde, darum wurde sie über alle Kreaturen als die Erhabenste, als die Schönste, als die Gott selbst mehr als alle anderen gleichförmige erhöht.»

«Wie das Gold höher geschätzt ist, als die anderen Metalle, so gehen auch die Engel und die Seelen an Würdigkeit den anderen Geschöpfen voran. Wie aber das Gold ohne Hilfe des Feuers sich nicht in dies oder jenes Kunstwerk umgestalten lässt, im Feuer aber, je nach der Kunst des Meisters, die mannigfachsten Formen annimmt, so hätte in ähnlicher Weise die Seele der seligsten Jungfrau an Schönheit nicht alle erschaffenen Geister so weit übertreffen können, wenn nicht die Stärke und Reinheit ihres Willens, gleich einem kunstreichen Meister, dieselbe in den glühenden Flammen des Heiligen Geistes also zubereitet hätte, dass ihre Werke das höchste Wohlgefallen des Schöpfers aller Dinge erlangen konnten. Gleichwie endlich an einem goldenen Gebilde die Meisterschaft des Künstlers nicht deutlich erkennbar wird, solange dasselbe in einem dunkeln Orte eingeschlossen ist, und wie sein Kunstwert erst im günstigen Lichte der Sonne gewürdigt werden kann, so konnte auch die volle Schönheit der kostbarsten Seele der glorreichsten Jungfrau, d. i. die Fülle ihrer erhabensten Tugendwerke, nicht vollkommen geschaut werden, solange ihre Seele in der Undurchsichtigkeit ihrer sterblichen Hülle eingeschlossen war. Als sie aber in das Licht der wahren Sonne, der Gottheit, gelangte, da schauten unter höchsten Lobpreisungen alle himmlischen Chöre, mit welcher Schönheit sie von ihrem Willen geschmückt worden war, mit einer Schönheit, welche die aller Geschöpfe zusammen übertrifft, und der Schönheit des Schöpfers selber am nächsten kommt. Darum war für diese glorreiche Seele von Ewigkeit her ein Thron in nächster Nähe dereiligsten Dreifaltigkeit zu ihrem künftigen Sitz bestimmt worden. Denn wie Gott der Vater im Sohne war, und der Sohn im Vater, und der Heilige Geist in beiden, als Gott der Sohn nach Annahme des menschlichen Fleisches mit Gottheit und Menschheit im Schoße seiner Mutter ruhte, indem die Einheit der heiligsten Dreieinheit vollkommen ungeteilt, und die Jungfrauschaft der Mutter unversehrt erhalten blieb, so wollte auch Gott der gebenedeiten Seele der Jungfrau ihre Wohnung in der nächsten Nähe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bereiten, damit sie aller Güter teilhaft werde, welche Gott verleihen kann.»

«Kein erschaffenes Herz ist tief genug, um zu fassen, welche Wonne Gott dem ganzen himmlischen Hofe bereitete, als seine liebendste Mutter diese elende Erde verließ. Es wird dies allen, welche nach der himmlischen Heimat seufzen, erst offenbar werden, wenn sie Gott von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. Die Engel verherrlichten Gott mit lobpreisender Begrüßung der seligsten Jungfrau. Denn durch die Früchte des bittersten Leidens und Sterbens ihres Sohnes werden auch ihre Reihen wieder voll werden, und durch die Ankunft seiner Mutter im Himmel wurde ihre Seligkeit erhöht. Adam und Eva endlich, die Patriarchen und Propheten und die ganze aus dem Kerker der Vorhölle befreite heilige Schar, sowie alle übrigen welche nach dem Tod Jesu Christi in die Glorie eingegangen waren, frohlockten über die Ankunft der Jungfrau im Himmel und lobten und priesen Gott, der sie durch so hohe Ehre auszeichnete, weil sie ihren Erlöser und Herrn so heilig und glorreich geboren hatte. Auch die Apostel und alle Freunde Gottes, welche an der Begräbnisfeier der Jungfrau teilnahmen, während ihr liebevollster Sohn ihre glorreiche Seele mit sich in den Himmel erhob, verehrten sie mit demütiger Huldigung und erhoben ihren ehrwürdigen Leib nach Kräften mit Lob und Benedeiung.»

47. «Es ist aber fest und unbezweifelt zu glauben, dass der Leib der seligsten Jungfrau, der von den Freunden Gottes, als tot, dem Grabe übergeben worden war, von Gott, ihrem liebendsten Sohn, mit der Seele wieder vereint und zu dem ewigen Leben in Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wenn Gott, die ewige Wahrheit, den Sterblichen empfiehlt, dass sie selbst Böses mit Gutem vergelten sollen, welch hoher Belohnung von seiner Seite wird Er jene für würdig erachten, welche durch gute Werke Ihm zu dienen sich beeifern! Und wenn im Evangelium jeder guten Tat ein hundertfältiger Lohn verheißen ist, wer wäre nun im Stande, die Fülle der höchsten Belohnungen und Gaben zu ermessen, mit welchen Er seiner ehrwürdigsten, allzeit reinsten, sündelosen Mutter ihre unzählbaren, vollkommensten, Ihm wohlgefälligsten Werke vergolten hat! Gleichwie ihr Herz die Werkstätte aller Tugenden war, so war auch ihr heiligster Leib das vollkommenste und jeder Zeit dienstwilligste Werkzeug für Vollbringung jeden guten Werkes.»

«Nun ist es aber eine untrügliche Wahrheit des heiligen Glaubens, dass nach Gottes gerechtem Urteil die Leiber aller Menschen am Jüngsten Tag auferstehen müssen, um zugleich mit ihren Seelen, in Gemäßheit der genauesten Ab wägung aller ihrer Werke, die Vergeltung zu empfangen, weil, wie die Seele durch die Akte ihres freien Willens, so der mit ihr verbundene Leib, als ihr Werkzeug, durch seine körperliche Mithilfe jede Tat vollbracht hat.»

«Wie nun der einer Sünde unfähige Leib des Sohnes Gottes von den Toten erstanden und mit seiner Gottheit verherrlicht worden ist, so ist auch der sündelose Leib seiner würdigsten Mutter wenige Tage nach seiner Bestattung durch Gottes Allmacht mit der Seele der heiligsten Jungfrau wieder vereint, in den Himmel aufgenommen und durch jede Auszeichnung verherrlicht worden. Und wie keines Menschen Verstand auf Erden die Schönheit und Herrlichkeit der Krone zu ahnen vermag, mit der zum Lohne seines bittersten Leidens Jesus Christus, der Sohn Gottes, geschmückt und ausgezeichnet worden ist, so unmöglich ist es auch, den Schmuck der Krone sich vorzustellen, mit der seine jungfräuliche Mutter für alles, was sie in Leib und Seele zur Ehre Gottes getan, ausgezeichnet worden ist. Denn gleichwie die Seele der Jungfrau Gott ihren Schöpfer durch die vollkommenste Übung aller Tugenden verherrlicht hatte, so empfing nun auch sie ihre Verherrlichung aus dem Lohne aller Tugendwerke ihres Leibes, der bei seiner Aufnahme in den Himmel für alle seine Werke mit Herrlichkeit geschmückt wurde. Sie hatte ja nie, solange sie auf Erden lebte, unterlassen, jedes Tugendwerk zu vollbringen, von dem sie wusste, dass Leib und Seele dafür im Himmel belohnt werden würden. Und wie außer der heiligsten Seele Jesu Christi einzig nur die Seele seiner heiligsten Mutter des höchsten Lohnes und der höchsten Auszeichnungen vollkommen würdig war, weil alle ihre guten Werke durchaus vollkommen und ohne jeglichen Mangel waren, so war, außer dem heiligsten Leibe Jesu Christi, nur allein der Leib seiner heiligsten Mutter vollkommen würdig, dass er weit früher, als die Leiber aller anderen, zugleich mit seiner Seele den Lohn seiner Verdienste empfange, da er immerdar mit ihr die höchsten Tugendwerke vollbracht und nie den Zunder einer Sünde empfunden hat.»

«O wie mächtig offenbarte Gott seine Gerechtigkeit, da Er den Adam nach dem ungehorsamen Genuss der verbotenen Frucht vom Baume der Erkenntnis aus dem Paradiese hinaus wies! O wie herablassend aber offenbarte Er in dieser Welt seine Barmherzigkeit durch die Jungfrau Maria, welche ganz treffend der Baum des Lebens genannt werden kann ! Bedenket also wohl, wie schnell seine Gerechtigkeit Adam und Eva in das Elend verwies, da sie aus Ungehorsam von der Frucht des Baumes der Erkenntnis genossen hatten ! Und erwägt dagegen wie süß seine Barmherzigkeit alle einlädt und zu seiner Glorie anzieht, die im heiligen Gehorsam von der Frucht des Baumes des Lebens ihre Erquickung suchen! Beherzigt endlich, wie alle Chöre der Engel bei dem Aufsprossen des Baumes des Lebens auf Erden, das ist, bei der Geburt und dem Wachstum des Leibes der heiligsten Jungfrau, mit höchster Sehnsucht seiner Frucht entgegen harrten und mit derselben Freudigkeit die gebenedeite Frucht ihres Leibes begrüßten, als sie über die ihnen widerfahrene Gnade frohlockt hatten, in der sie inne wurden, dass die Seligkeit des Himmels für sie eine unverlierbare sei. Darum besonders schauten sie so begierig nach der gebenedeiten Frucht von dem Baum des Lebens, weil sie erkannten, wie herrlich durch sie die unendliche Liebe Gottes an den Menschen geoffenbart werde und aus den Menschen die Ergänzung ihrer Reihen werde hergestellt werden. Darum eilte der Engel Gabriel so schnellen Laufes zur Jungfrau, sie in Liebe durch seine der Zustimmung würdigste Ansprache zu grüßen. Und als sie, das Vorbild der Demut und aller Tugenden, den Gruss des Engels demütigst erwiderte, da erkannte er mit Frohlocken, es werde seine Sehnsucht und die aller anderen Engel erfüllt werden. Der gebenedeite Leib der Jungfrau ist nun mit seiner Seele in den Himmel aufgenommen, und so ist den sterblichen Menschen, welche Gott mit ihren Sünden beleidigen, der Weg des Heiles gezeigt, auf dem sie durch wahre Reue über ihre Sünden zu ihr gelangen können. Sie, die in dem Tale des Elendes durch die mannigfachsten Trübsale Tag für Tag bedrängt werden, sie haben nun die Gewissheit, dass mit dem Tode des Leibes auch die Mühsale dieses Lebens ein Ende nehmen. Und wenn die Sterblichen nach der Süßigkeit der Frucht vom Baum des Lebens Verlangen tragen, dann mögen sie vorerst mit allen Kräften sich bemühen, seine Zweige zu sich herab zu neigen, d. i. seine heiligste Mutter mit dem Gruß des Engels anzurufen, welche sie stark machen wird, um jede Sünde zu meiden und alle ihre Worte und Werke zur Ehre Gottes einzurichten. Denn voll Huld neigt die heiligste Jungfrau sich zu ihnen herab und gewährt ihnen den Beistand ihrer mächtigsten Hilfe, um die Frucht vom Baum des Lebens, d. i. im Sakrament den heiligsten Leib ihres Sohnes zu empfangen, welcher das Brot der Engel im Himmel und das Leben der Sterblichen auf Erden ist. Da Jesus selbst so großes Verlangen trägt, mit den durch sein Blut erkauften Seelen sich zu vereinigen, so wollet auch ihr euch bemühen, dies sein Verlangen zu stillen, indem ihr mit möglicher Andacht und Liebe in seinem Sakramente Ihn empfanget.»

B. AUS DER STADT GOTTES DER SELIGEN MARIA VON AGREDA

Die Größe der Liebe des göttlichen Heilandes zu seiner Kirche, für welche Er seine heiligste Mutter noch auf Erden zurückliess

I. 8. n. 680:

48. «Erwäge ich die Liebe, welche unser Herr Jesus Christus zu seiner reinsten, würdigsten Mutter getragen, so erscheint sie mir so unermesslich, dass es mich bedünken will, Er hätte im Drang dieser Liebe es vorgezogen, bei ihr auf Erden zurückzubleiben, anstatt auf den Thron seiner Herrlichkeit und zu seinen Engeln und Heiligen zurückzukehren, wenn nicht andere Ursachen es verlangt hätten, dass Er zum Himmel auffahre, seine Mutter aber auf Erden verbleibe. Da in Ihm die Gottheit des Vaters und des Heiligen Geistes ungeteilt in höchster Einheit war, und da die drei göttlichen Personen unzertrennlich ineinanderwohnen, so konnte die Person des Wortes auch auf Erden nie ohne den Vater sein und ohne den Heiligen Geist. Die Gesellschaft der Engel und Heiligen aber konnte für Jesus Christus nicht die gleiche Anziehung haben, wie die seiner würdigsten Mutter. Dies wegen der Macht ihrer gegenseitigen Liebe zueinander. Während seines ganzen irdischen Wandels war Ihm die Gegenwart seiner heiligsten Mutter Ersatz für alle Mühsal und Beschwerden gewesen, die Er zu tragen hatte. Der Anblick der wunderbaren Schönheit ihrer reinsten Seele hatte Ihm jede Bitterkeit in süßeste Tröstung verwandelt. Denn Er schaute in ihr die ganz einzige vollkommenste Frucht seines heiligsten Wirkens. Er kehrte aber nach Vollendung seines Erlösungswerkes zur Rechten des Vaters zurück, indem Er wollte, dass seine heiligste Mutter bei der Kirche zurückbleibe, damit durch ihre mütterliche Obsorge und durch ihre Verdienste die Kraft der Erlösung wirksam werde. Denn sie barg die Frucht seines Leidens und Sterbens gleichwie in ihrem Schoß und durch sie, die geistliche Lade des neuen Bundes, wurde sie an die Menschen übermittelt. Sie hatte durch ihre persönliche Gegenwart im ersten Beginn des die Welt neugestaltenden heiligen Glaubens die Kirche zu erleuchten, ihren erstgeborenen Kindern sichtbaren Beistand zu leisten und sie mit der süßesten Milch ihrer Lehre zu nähren. In jenen Jahren, da sie mit ihrem heiligsten Sohn in der Verborgenheit zu Nazareth gelebt, hatte sie von Ihm die Substanz seines heiligen Evangeliums empfangen und hatte sie in steter Erwägung lebendig in ihrem Herzen bewahrt. Daraus nun schöpfte sie jene süße Nahrung, mit welcher sie die Erstlinge der Kirche speiste, gleichwie Kinder, die einer kräftigeren Nahrung noch nicht fähig sind.»

«Sie war von Gott zur höchsten Gleichförmigkeit mit seinem Mensch gewordenen Sohne erhöht, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Gnadenfülle, als hinsichtlich ihres Wirkens. Als seine wahre Mutter und Gebärerin hatte sie ihrem göttlichen Sohne die Wesenheit und Gestalt seiner menschlichen Natur gegeben. Der Herr aber hatte ihr eine andere geistliche Wesenheit, d. i. die Fülle der Gnade seines Heiligen Geistes mitgeteilt, durch welche sie Ihm so gleichförmig wurde, wie sie es mit Ihm ihrer menschlichen Natur nach war. Vor allen anderen Geschöpfen war sie allein zu seiner ersten und innigstvertrauten Schülerin erkoren worden, um in seiner Schule das vollkommenste lebendige Abbild des neuen Gesetzes des Evangeliums und des Gesetzgebers selber zu werden. Und so war und ist sie zu aller Zeit in der neuen Kirche in voller Wirklichkeit das Urbild, oder das Ideal, nach welchem alle übrigen Heiligen und alle Früchte des heiligsten Erlösungswerkes ihre Form und Gestalt empfangen sollen. Das Fleisch gewordene Wort war in Herstellung dieses seines ersten, erhabensten Werkes ähnlich einem kunstgeübten Maler verfahren, der auf ein Hauptwerk seine ganze Kunst verwendet, damit es vor allen seinen anderen Arbeiten seine höchste Meisterschaft offenbare und als das Urbild ihrer aller sich darstelle. Wenngleich unbezweifelt zu glauben ist, dass die Heiligkeit und die Glorie aller Gerechten das Werk der Liebe und der Verdienste Jesu Christi, und dass jeder einzelne Heilige ein höchst vollkommenes Werk seiner Hände sei, so erscheinen sie doch im Vergleich mit der Herrlichkeit und Größe der heiligsten Gottesgebärerin nur als Werke von weit geringerem Range. Denn kein Heiliger war je vor dem Auge Gottes ohne Makel. Nur allein seine Mutter ist das makellose lebendige Abbild ihres Eingebornen Sohnes und sie war schon in ihrer heiligsten unbefleckten Empfängnis weit erhabener, als alle Engel und alle Heiligen in ihrer letzten Vollendung. Sie ist das Urbild der Heiligkeit und der Tugenden für alle anderen. sie ist die äußerste Grenze, welche die Liebe Jesu Christi in einem bloßen Geschöpfe zu erreichen vermag. Denn keinem anderen Geschöpfe ist dieselbe Erhöhung und Gnadenfülle verliehen worden, wie Maria sie in sich aufnehmen konnte. Sie aber ist aller Gnadengaben teilhaft geworden, welche den andern Kreaturen nicht verliehen werden konnten. Denn so viele Gnaden sie in sich aufzunehmen fähig war, und so viele ihr glorwürdigster Sohn ihr mitteilen konnte, so viele hat sie auch empfangen.»

«Ihre Größe und Herrlichkeit leuchtet auch aus dem großen Unterschiede des Wirkens hervor, welches Er auf ihre Vollendung, und welches Er auf die Erbauung seiner Kirche verwenden wollte. Um seine Kirche zu erbauen und auszurüsten, um die Apostel zu berufen, um dem Volke zu predigen, um das Gesetz des Evangeliums zu begründen, waren Ihm die drei Jahre seines Lehrwandels genügend, innerhalb welcher Er das Werk vollendete, das zu vollbringen Er vom Vater gesendet war. Um aber in seiner heiligsten Mutter das vollkommenste Urbild der Heiligkeit für alle seine übrigen Geschöpfe herzustellen, verwendete Er nicht drei, sondern dreimal zehn Jahre, in weIchen Er durch die Kraft seiner göttlichen Liebe und Weisheit unablässlich in ihr wirkte, so dass Gnade um Gnade, Gabe um Gabe, Heiligkeit um Heiligkeit in ihr ohne Unterbrechung gemehrt wurde, bis Er endlich vor seiner wunderbaren Himmelfahrt ihr durch neue Gunsterweisungen die höchste Vollendung verlieh.»

«Demgemäß wurde sie für die Erstlinge der Kirche, welche des unschätzbaren Glückes ihrer leiblichen Gegenwart gewürdigt waren, der augenfällige, sichtbare Beweis der ganzen Heiligkeit und Reinheit des Evangeliums Jesu Christi, der ganzen Kraft und Erhabenheit des neuen Gesetzes der Gnade und der vollen Frucht und Wirkung der heiligsten Erlösung. Denn dies alles stellte die heiligste Mutter in weit höherer Vollkommenheit und Mächtigkeit in sich allein dar, als die ganze übrige heilige Kirche und alle Auserwählten zusammen. So empfing von ihr, dem wahrhaftigen, reinsten, fehl- und makellosen Urbilde der Kirche, der zum Himmel aufgefahrene Herr und Heiland die höchste Verherrlichung, die Ihm für sein Werk der Erlösung gebührte und unzählige Seelen wurden durch sie für sein heiliges Evangelium gewonnen.»

«Daraus erkennen wir, wie sehr es der unerforschlichen Weisheit und Vorsicht des heiligsten Erlösers entsprach, dass, wie Salomo (Spr 31, 11) geweissagt: sein Herz ganz und gar auf die starke Frau, seine heiligste Mutter, vertraute. Er fand sich in seinem Vertrauen nicht getäuscht. Denn mit den Schätzen seines bittersten Leidens und kostbarsten Blutes, denen sie ihre eigenen Verdienste, ihre Mühen und Sorgen hinzufügte, bebaute sie den Weinberg der Kirche. Und bis zum Ende der Zeit arbeitet sie am Heile der Seelen, an den Gläubigen, aus denen die Kirche bestehen wird bis zum Ende der Welt und an den Auserwählten, welche die Kirche im triumphierenden Jerusalem mehren durch alle Ewigkeit. Es war der Ehre des Allerhöchsten entsprechend, dass dieses Werk der Bestellung des Weinberges der Kirche der heiligsten Mutter anvertraut werde, auf dass der göttliche Erlöser nach seiner glorreichen Auferstehung in die Herrlichkeit seines Vaters eingehe. Aber in gleicher Weise entsprach es auch der Liebe des Eingebornen Sohnes zu seiner heiligsten Mutter, ihrer eigenen Heiligkeit und der Größe ihrer Aufgabe, dass Er, solange sie noch auf Erden weilte, den innigsten Verkehr mit ihr unterhielt. Darum ward sie sehr häufig der Freude seines Besuches teilhaftig. Sie selbst wurde sehr oft zum Throne seiner Herrlichkeit erhoben, so dass die unüberwindliche Königin nicht die ganze Zeit über außerhalb ihres Palastes zu weilen hatte und dass auch der ganze himmlische Hof der seligen Anschauung seiner Königin sich oftmals erfreuen durfte.»

Warum in den heiligen Evangelien die Größe und Herrlichkeit der heiligsten Jungfrau nur dunkel ausgesprochen ist

49. «Vor seiner wunderbaren Himmelfahrt richtete im Abendmahlssaal der heiligste Erlöser an die Apostel und an die mit ihnen daselbst Versammelten folgende Worte (I. 6. n. 1505): <Meine geliebtesten Söhne! Ich kehre nun zu meinem Vater zurück, aus dessen Schoß Ich, um die Menschen zu erlösen, zur Erde niedergekommen bin. Aber Ich lasse euch meine Mutter als eure Beschützerin, Helferin und Trösterin zurück, auf welche ihr immerdar hören, und der ihr in allem gehorchen werdet. Und gleichwie Ich euch gesagt habe, dass, wer Mich sehe, den Vater sehe, wer Mich erkenne, den Vater erkenne, so spreche Ich jetzt zu euch: wer meine Mutter erkennt, der kennt auch Mich. Wer meine Mutter hört, der hört auch Mich, wer ihr Gehorsam leistet, der gehorcht auch Mir. Aber auch Mich beleidigt, wer sie beleidigt, und die Ehre, die ihr erzeigt wird, die empfange auch Ich. Darum betrachtet sie als eure Mutter und als die über euch alle gesetzte Herrin und Meisterin. Und wie ihr, so haben auch alle euere Nachfolger dasselbe zu tun. In allen Zweifeln fragt sie um Rat, sie wird euch alle Schwierigkeiten lösen und in ihr werdet ihr Mich jederzeit finden, so oft ihr Mich in ihr suchen werdet. Denn in ihr bin Ich bis zum Ende der Welt, gleichwie Ich auch jetzt in ihr bin, obwohl die Weise meiner Gegenwart in ihr euch noch verborgen ist.>

<Den Petrus hinterlasse ich euch als das Oberhaupt meiner Kirche. Er sei für euch mein Stellvertreter, dem ihr als dem obersten Priester Gehorsam und Ehrfurcht leisten werdet. Johannes aber sei euch der Sohn meiner Mutter, als welchen Ich ihn vom Kreuze herab ernannt und bestätigt habe.>

«Dann wendete der Sohn Gottes das Antlitz nach seiner Mutter und gab ihr seine Absicht kund, in den Anwesenden der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten das Gebot zu erteilen, dass ihr als seiner Mutter die solcher höchsten Würde gebührende Verehrung dargebracht werde, welches Gebot von diesem Augenblick an verbindende Kraft für alle Zeiten haben solle. Die demütigste Jungfrau aber flehte mit höchster Inbrunst zu ihrem Sohne, Er möge nur so viele Verehrung gegen sie jetzt offen begehren, als nötig wäre, um alles auszuführen und zu vollbringen, was Er zum Besten seiner Kirche ihr aufgetragen habe. Ja sie bat, dass sie auch von den ersten künftigen Kindern der Kirche keine höhere Ehre empfangen dürfe, als sie bis jetzt zu tragen gehabt habe, auf dass alle Ehre hauptsächlich und unmittelbar Ihm dem Herrn zugewendet und hierdurch die Verbreitung seines heiligen Evangeliums und die Verherrlichung seines heiligsten Namens mehr gefördert würde. Der heiligste Erlöser billigte die erhabene Weisheit dieser Bitte und bewahrte darum auf eine spätere, dazu geeignetere Zeit die höhere Offenbarung der Herrlichkeit seiner Mutter und der ihr gebührenden Verehrung.»

«Auch den heiligen Evangelisten befahl die seligste Jungfrau später, (nr. 1508) von ihren Vorrechten nicht ausführlicher zu handeln, als nötig wäre, um die Kirche in den Artikeln des Glaubens und in den Geboten des göttlichen Gesetzes gehörig zu unterweisen. Denn in dem, als die Lehrmeisterin der ganzen Kirche, von Gott empfangenen Lichte erkannte sie aufs klarste, dass bei dem ersten Beginn des neuen Gesetzes der Gnade dies nicht von Nutzen sein würde. Ihr höchster Vorrang über alle Geschöpfe und der ganze Inbegriff ihrer Vorrechte wurde aber doch deutlich genug darin schon ausgedrückt, dass sie als die Mutter Gottes und als die aller Gnaden Volle in den Evangelien verkündet worden ist. Die weiter hierin beschlossenen Geheimnisse aber wurden im Anfang nicht allen klar und offenbar, (1.7. n. 11) sondern blieben wie die Perlen in der Muschel, oder wie das Gold im Schoß der Erde, verborgen, oder wie die heiligen Lehrer sagen, unter dem Dunkel der heiligen Schriften, besonders der Geheimen Offenbarung, bewahrt, bis die Kirche auf Antrieb des Heiligen Geistes sie daraus hervorziehen würde.»

«Auch dem Volke Israel hatte Gott den Leichnam und das Grab des Moses verborgen gehalten, um zu verhüten, dass es dem Leib seines größten Propheten einen abgöttischen Dienst zuwende. Und in ähnlicher Absicht hatte Moses selber in seiner Schöpfungsgeschichte der Welt von den Engeln, diesen vornehmsten der Geschöpfe, nicht klar und ausdrücklich, sondern nur andeutungsweise sprechen wollen, in den Worten: Fiat lux et facta est lux; indem er es den Lesern freistellte, diese Worte in buchstäblichem Sinne auf das sichtbare Licht der den Erdkreis erleuchtenden Gestirne, oder im figürlichen Sinne auf die Engel, als die heller als das Licht strahlenden Geister, zu deuten, welche er allerdings auch darunter verstanden hatte, deren ausdrückliche Erwähnung ihm aber für jene Zeit nicht als ratsam erschienen war.»

«Wenn also für das hebräische Volk bei seinem Verkehr mit den götzendienerischen Heiden die Pest der Abgötterei so sehr zu befürchten war, um wie viel näher wäre diese Gefahr den Heiden selbst gelegen, wenn ihnen gleich bei der ersten Predigt des Evangeliums mit dem Glauben an den Erlöser auch die Größe seiner heiligsten Mutter verkündet worden wäre! Als Beweis hierfür dient der hl. Dionysius, welcher schon als Heide nicht den Götzen gedient, sondern Gott den Schöpfer aus seinen Werken erkannt hatte, der aber doch gestand, als er nach seiner Taufe gewürdigt war, die heiligste Jungfrau zu sehen und zu sprechen, dass, wenn nicht der Glaube ihn versichert hätte, Maria sei nur ein Geschöpf, er sie als eine Gottheit betrachtet und angebetet hätte. In gleiche Gefahr wären die unwissenden Heiden gar leicht geraten, wäre ihnen die Gottheit des Erlösers und die Größe seiner reinsten Mutter in gleicher Zeit zu glauben vorgestellt worden. Sie hätten beides verwechselt und geglaubt, Maria sei wegen ihrer Gleichförmigkeit mit der Heiligkeit ihres Sohnes auch mit Ihm von der gleichen göttlichen Wesenheit.»

«Diese Gefahr aber besteht nicht mehr, nachdem der Glaube an die Lehren und Wahrheiten des Evangeliums in der Kirche so mächtige Wurzeln geschlagen und in den Schriften der heiligen Lehrer eine so klare Erläuterung gefunden hat, und nachdem Gott selbst zur Offenbarung des heiligsten Erlösers so große Wunder gewirkt hat. In diesem hellen Lichte wissen wir, dass nur Er wahrer Gott und Mensch ist, voll Gnade und Wahrheit, und dass seine Mutter ein bloßes Geschöpf, aber als die Gnadenvolle über alle anderen Kreaturen erhaben ist. Gott hat es sich allein vorbehalten, die Zeit und die Weise zu bestimmen, wann und wie Er die Größe seiner heiligsten Mutter noch mehr offenbaren und die Geheimnisse der heiligen Schriften noch mehr erschließen werde, unter welchen Er ihre Herrlichkeit verschlossen hat.»

«Wer im Lichte des heiligen Glaubens zu einer würdigen Erkenntnis der Größe der seligsten Jungfrau und zu der ihr schuldigen Ehrerbietung und Liebe gelangen will, der wird ohne Mühe einsehen, dass alle ihre Vorrechte und Auszeichnungen ihrer Würde als der Mutter unseres Gottes entsprechen (I. 8. n. 622). Die unendliche Majestät Gottes tut, was sie tut, auf das Vollkommenste. Wer dies aber bezweifeln wollte, der würde auch nicht erkennen wollen, weder wer Gott ist, noch wer Maria als seine Mutter ist. Wenn Gott schon an den anderen Heiligen seine Allmacht und Güte so freigebig offenbart, die doch weit unter Maria stehen, wer könnte dann mit Grund das bestreiten, was Gott an ihr getan hatte? Alle Verdienste, welche der heiligste Erlöser für die Menschen erwarb und alle Gnaden, die Er ihnen erwies, hatten kein anderes Ziel, als seine Verherrlichung, nächst der seinigen die seiner heiligsten Mutter. Nun schätzt und liebt man doch mehr den Zweck, als die Mittel. Denn die Mittel werden nur um ihres Endzweckes willen geliebt. Demgemäß war auch die Liebe, welche Gott bewogen hat, Maria Gnaden zu spenden, eine unvergleichlich größere, als jene, die Er zu allen anderen Gerechten trug, die Er ja um Maria willen begnadigt hat. Es ist darum nicht zu verwundern, dass, was Er den anderen nur einmal und nur in weit geringerem Maß verleihen wollte, Er seiner heiligsten Mutter in der ganzen Fülle mitgeteilt hat.»

«Die Einfältigen wie die Weisen sind von der heiligen Kirche hinreichend darüber belehrt, dass der Maßstab für alle Vorrechte und Auszeichnungen, die Maria aus der Hand ihres heiligsten Sohnes empfangen hat, kein anderer sein kann, als seine Allmacht und ihre Empfänglichkeit. Sie hat alle Gnaden von Ihm erhalten, die Er ihr geben konnte und die zu empfangen sie fähig war. Diese Gnaden waren in Maria nie müßig, sondern trugen stets alle Früchte, die sie in einem bloßen Geschöpfe tragen konnten. Ihr heiligster Sohn war ja Gott der Herr selber, der mächtig ist, überall zu wirken, wo das Geschöpf Ihm kein Hindernis entgegensetzt. Seine Mutter aber stellte Ihm nie ein Hindernis entgegen. Wer könnte sich also erdreisten, seine Werke zu verkleinern und der Liebe, die Er zu seiner Mutter trug, Grenzen zu setzen, indem Er selber sie seiner Gnaden und Auszeichnungen würdiger gemacht hat, als alle anderen Heiligen zusammen! Solange Maria noch auf Erden weilte, entbehrte sie nie, auch nur für einen Augenblick, des Genusses aller empfangenen Gnaden und Vorrechte, um der heiligen Kirche ihren mächtigsten Beistand ohne Unterlass zu leisten.»

«Alle mögen endlich wohl erwägen, dass alle Gnadenauszeichnungen Gottes in Maria ihre Grundlage in dem Geheimniss ihrer heiligsten und unbefleckten Empfängnis haben und dass sie schon darin eingeschlossen war. Etwas Größeres nämlich war es, dass Gott Maria seiner Herrlichkeit würdigte, da sie dieselbe noch nicht verdienen konnte, als dass Er sie an ihr offenbarte, nachdem sie auch selbst sich für sie empfänglich machte und sie verdiente.»

Die ununterbrochene Gegenwart des heiligsten Altarsakramentes im Herzen der seligsten Jungfrau

I. 7. n. 115 und 116:

50. «Als mir der Allerhöchste den Titel <Mutter und Lehrmeisterin der Kirche> gab, verlieh Er mir zugleich eine unaussprechlich große Teilnahme an seiner eigenen unendlichen Liebe und Barmherzigkeit gegen die Kinder Adams. Da ich ein bloßes Geschöpf, die Gabe dieser Teilnahme aber eine unermessliche war, so hätte ich vor der Macht, in welcher die eingegossene Liebe in mir wirkte, gar oft das leibliche Leben verlieren müssen, wenn die Allmacht Gottes es mir nicht wunderbar erhalten hätte. Dies geschah sehr oft bei den feurigsten Liebesakten, die ich in den Danksagungen für Bekehrung der Seelen zur Kirche, oder bei Aufnahme selig Gestorbener in die Freuden des Himmels erweckte. Denn ich allein vermochte solches Glück nach seinem ganzen Umfang zu würdigen. Dieser Erkenntnis gemäß war auch die Glut und Inbrunst meiner dem Allerhöchsten dargebrachten Danksagung. In noch viel höherem Grade aber bedurfte mein leibliches Leben der allmächtigen Hilfe Gottes, so oft ich um Bekehrung der Sünder flehte und wenn ich einen Gläubigen verloren gehen sah. Denn hierbei litt ich allein mehr, als alle Martyrer in ihren Qualen, indem ich für jede einzelne Seele mit der Übermacht einer Liebe rang, welche jede erschaffene Kraft überragte. Welchen Dank sind mir also die Kinder Adams schuldig, für welche ich so oft mein Leben hingegeben habe! Und wenn ich auch jetzt nicht mehr imstande bin, dasselbe zu opfern, so ist doch die Liebe, mit der ich für ihr ewiges Heil besorgt bin, nicht geringer, sondern noch erhabener und vollkommener.»

«Wenn die Liebe Gottes so mächtig in Mir wirkte schon in Hinsicht der Menschen, zu welcher Macht wird sie erst sich erhoben haben gegen den Herrn selber, besonders, so oft ich Ihn in der heiligen Kommunion empfing! Als ich dieselbe zum ersten Mal aus der Hand des hl. Petrus erhielt, da kam Er gegen die Übermacht dieser Liebe mir wunderbar zu Hilfe, indem mein Herz in voller Wirklichkeit geöffnet und, wie ich begehrt, so viel Raum in ihm frei wurde, dass mein unter der Gestalt des Brotes verborgener Sohn darin eingehen und wie auf seinem rechtmäßigen Throne sich in meinem Herzen niederlassen konnte.»

«Diese wunderbare sakramentalische Gegenwart unseres göttlichen Heilandes in dem reinsten, unbefleckten Herzen seiner heiligsten Mutter (I. 7. n. 121. ff) ward für sie, solange sie auf Erden bei der Kirche verweilte, eine überreiche Entschädigung für den persönlichen Umgang mit Ihm, den sie durch dreiunddreißig Jahre genossen hatte. So oft sie kommunizierte, so verzehrten sich die sakramentalen Gestalten, welche sie von der vorausgehenden Kommunion her noch im Herzen trug, und an ihre Stelle gingen nun die neuen in das Herz ein. Dieses Wunder wiederholte sich bei jeder Kommunion bis zur letzten Stunde ihres heiligsten Lebens auf Erden, so dass ihr Herz nie einen Augenblick ohne die sakramentale Gegenwart ihres Sohnes, des wahren Gottes, gewesen ist.»

«Es wollte der göttliche Heiland durch dieses aus Liebe zu seiner heiligsten Mutter vollbrachte Wunder auch sein den Aposteln und in ihnen der ganzen Kirche gegebenes Versprechen lösen, dass Er bei ihnen bleiben werde bis zum Ende der Welt. Denn von der Stunde an, da Er vor seiner Himmelfahrt diese Verheißung gemacht hatte, ging sie auch in Erfüllung. Wäre Er nicht auf diese ganz einzige, nur allein seiner heiligsten Mutter mitteilbare Weise wunderbar bei seiner Kirche vom Anfang an gewesen, so wäre seine Verheißung in jener ersten Zeit nicht erfüllt worden. Denn damals hatten die Apostel keine festen Tempel und keine Gelegenheit, um die heiligste Eucharistie ununterbrochen aufzubewahren, weshalb sie dieselbe bei jeder heiligen Messe ganz konsumierten. Die heiligste Jungfrau war so durch einige Jahre der einzige Tempel, das einzige Tabernakel, in welchem das heilige Sakrament aufbewahrt wurde, so dass das menschgewordene Wort von seiner Himmelfahrt an bis zum Ende der Welt nie von seiner Kirche abwesend war, noch sein wird.»

«Es war die heilige Eucharistie im Herzen Mariä gegenwärtig freilich nicht für den Gebrauch der Gläubigen, aber doch zu ihrem höchsten Segen. Denn die große Himmelskönigin betete für alle in dem Tempel, der sie selber war. Im Namen der ganzen Kirche betete sie den unter den sakramentalen Gestalten in ihrem Herzen, als in seiner Kirche, weilenden Heiland an, weIcher ja nur durch seine Mutter und durch seine wunderbare Gegenwart in ihr mit dem ganzen geheimnisvollen Leib der Kirche vereinigt war. Dadurch, dass die heiligste Mutter ihren Sohn und wahren Gott sakramental im Herzen trug, machte sie jenes Zeitalter glücklicher, als es das unsrige ist, wo Er in unzähligen Tempeln und Tabernakeln gegenwärtig ist. Denn in dem Tabernakel seiner heiligsten Mutter empfing Er die ununterbrochene Huldigung ihrer tiefsten Verehrung und Anbetung, und nie ward Ihm in diesem Heiligtum eine Unbild bereitet, wie dies nun so oft in unseren Gotteshäusern geschieht. Die Wonne, die es Ihm ist, bei den Menschenkindern zu sein, fand Er in Maria in der ganzen Fülle ihrer Süßigkeit, und nie mehr erreichte Er diese Absicht seiner unendlichen Güte so vollkommen, als da Er noch im Herzen seiner reinsten Mutter sakramental weilen konnte. Sie war die eigentliche Sphäre seiner göttlichen Liebe, das entsprechende Element, in welchem allein sie ihr Genügen finden konnte. Denn alle anderen Kreaturen sind im Vergleich mit ihr, wie die Fremde, wo das Feuer der Gottheit, welches in unendlicher Liebe allezeit brennt, seine Sphäre, seine wahre Heimat nicht finden konnte.»

Die Andacht der seligsten Jungfrau zum bitteren Leiden

51. «Außer der ununterbrochenen Sorgfalt und Tätigkeit für die Regierung der Kirche waren es noch andere, mehr in Verborgenheit vollbrachte, geistliche Werke, durch welche die heiligste Jungfrau Unermessliche Gnaden und Wohltaten für die Gemeinschaft der Gläubigen im Ganzen, wie für einzelne Seelen, und zwar nach den Tausenden, von Gott verdient und ihnen zur ewigen Seligkeit verholfen hat. Um das Wirken der seligsten Jungfrau durch ihr Gebet und ihre verborgenen geistlichen Übungen überhaupt, so weit es unseren schwachen Kräften möglich ist, kennenzulernen, ist zu erwägen, dass ihrem Herzen und Gedächtnisse in lebendigster Weise das ganze Leben ihres göttlichen Sohnes mit allen seinen Geheimnissen und Werken beständig gegenwärtig war. Denn ihre Seele war nach allem ihrem Vermögen in solcher Kraft und Stärke von Gott erschaffen, dass ihrem Gedächtniss nicht das Geringste mehr entschwand, oder in Vergessenheit geriet, was sie seit ihrer heiligsten Empfängnis im Lichte Gottes inne geworden, und was sie im Laufe der Jahre erlebt und erfahren hatte. Es ist oben bereits geschildert worden, wie die heiligste Jungfrau geistig und leiblich alle Peinen des bittersten Leidens ihres göttlichen Sohnes mit-empfunden und mit-getragen hatte, und dass ihr nichts von denselben entgangen oder von dem Herrn verborgen worden war. Alles aber, was sie auf dem ganzen Kreuzweg erlebt, gehört und geschaut hatte, blieb in der vollen Treue des ersten Eindruckes ihrem Geiste gegenwärtig, solange sie noch auf Erden weilte. Darum erneuerten sich auch in ihr leiblich wie geistig alle Passionsschmerzen immer wieder, so oft sie das Auge ihres Geistes nach der Passion ihres göttlichen Sohnes hinwendete, Diese Hinwendung aber war eine ununterbrochene. Sie war eine Übung, welcher sich die heiligste Jungfrau ganz und vollkommen geweiht hatte. Nachdem sie einmal Augenzeuge der Passion ihres göttlichen Sohnes und seine treueste Begleiterin auf dem ganzen Kreuzweg gewesen war, so hätte ihre treueste, glühendste Liebe ein längeres Leben auf Erden nicht zu ertragen vermocht, wenn dieses Leben für sie nicht zugleich ein ununterbrochenes Fort-Leiden seiner Passion geworden wäre. Obwohl sie von Gott mit den höchsten Tröstungen heimgesucht wurde, so begehrte sie selber doch nie darnach. Denn ihr Leben auf Erden war ihr nur insoweit erträglich, als sie mit ihrem Sohne gekreuzigt wurde, als sie seine Marter beständig empfand und an ihr selber seine Passion erneuerte. Das Bild ihres heiligsten, mit Blut und Wunden bedeckten Sohnes stellte sich ihrem Geistesauge beständig so lebendig dar, als leuchte es aus ihrem Herzen wie aus dem hellsten Spiegel. Es bedurfte nur eines einfachen Blickes ihres Geistes, und die ganze Passion stand als das vollkommenste, treueste Abbild des Geschehenen, mit allen Umständen, mit allen Örtlichkeiten, mit allen Personen vor ihr, und sie hörte alle Worte, alle Schmähungen und Beschimpfungen ihres Sohnes und sah auf das klarste jede einzelne Handlung. Obwohl, wie gesagt, ein Blick genügte, ihr dies alles zu vergegenwärtigen und der martervolle Anblick nicht allein die beständige Erneuerung aller Peinen, sondern auch die beständige Übung der erhabensten Tugendakte hervorrief, so bestimmte doch die heiligste Jungfrau für jeden Tag noch besondere Stunden, in denen sie ohne andere Zeugen, als die sie stets umgebenden Engel, der Betrachtung der einzelnen Stationen des heiligen Kreuzwegs sich hingab.»

«So verrichtete sie zu Ehren jeder Wunde, welche der Heiland der Welt empfangen hatte, eigene Gebete und Begrüßungen, mit welchen sie ihrem leidenden Sohne Anbetung, ausgezeichnete Verehrung und Huldigung darbrachte. Zum Ersatz für die Lästerworte und Beschimpfungen, die Er von den Juden und seinen übrigen Feinden erduldet, für den Grimm und Hass, welchen Er durch seine Wunder sich zugezogen, für die Wut und Rachgier, die Ihn im Leben und Leiden verfolgt hatte, für jede einzelne dieser Unbilden und Lästerungen betete sie einen eigenen Lobgesang, um die Anbetung und Ehre Ihm wieder zu geben, welche Ihm seine Widersacher noch immer zu rauben und zu verdunkeln suchten. Den verspottenden Gebärden und den Verhöhnungen seiner Feinde setzte sie ebenso viele Akte der Verdemütigung, Kniebeugungen und Fußfälle entgegen, um die Beschimpfungen und Unbilden, mit denen ihr heiligster Sohn während seines ganzen Lebens und Leidens überhäuft worden war, zu sühnen und ungeschehen zu machen; und zugleich bekannte und verherrlichte sie seine Gottheit und Menschheit, seine Heiligkeit, seine Wunder, seine Werke und seine Lehre vor den sie umgebenden Engeln, welche über solche Weisheit, Treue und Liebe eines bloßen Geschöpfes zu höchster Bewunderung hingerissen wurden.»

«Hätte darum die seligste Jungfrau außer dieser Verehrung des bitteren Leidens nichts anderes sonst getan, so hätte sie schon damit allein mehr gewirkt und verdient, als alle Heiligen mit allem, was sie zur Ehre Gottes getan und gelitten haben. Und so ist Maria durch die Heftigkeit der Liebe und des Schmerzens, den sie bei diesen Übungen empfand, mehr als einmal Martyrin geworden. Denn gar oft wäre sie darüber gestorben, wäre sie nicht durch die Kraft Gottes zur Mehrung ihrer Verdienste und Glorie am Leben erhalten worden.»

«Wenn wir aber erwägen wollen, dass die seligste Jungfrau mit unaussprechlicher Liebe alle diese Werke für die Kirche aufgeopfert hat, so mögen wir die Größe unserer Dankesschuld gegen solche Güte und Barmherzigkeit unserer heiligsten Mutter wohl erkennen, welche den Schatz der Gnaden und Verdienste, aus dem wir arme Kinder Evas Hilfe empfangen, so überreich gemehrt hat. Um aber unsere Mattherzigkeit noch mehr anzuspornen, will ich offen aussprechen, dass die heiligste Jungfrau in Betrachtung des bitteren Leidens sehr häufig blutige Tränen vergossen hat, und dass bei der Betrachtung der Todesangst am Ölberg ihr blutiger Schweiß nieder bis zur Erde rann. Ja ihr Herz wurde nicht selten durch die Gewalt des Schmerzes von seiner natürlichen Stelle wie losgerissen, so dass, wenn ihr Mit-Leiden der Todesangst aufs höchste gestiegen war, ihr heiligster Sohn zu Hilfe kam, um die schwindenden Kräfte am Leben zu erhalten und die Liebeswunden wieder zu heilen. Was überhaupt die göttliche Mutter in den Betrachtungen des heiligen Kreuzweges gelitten hat, das zu fassen übersteigt die menschlichen Kräfte. Es wird aber im Lichte der Heiligen des Himmels einstens allen offenbar werden. Ich kann nur sagen, dass sie die ganze Passion genau so, wie sie verlaufen war, von der Fußwaschung an bis zum Geheimnis der Auferstehung, vollständig in sich erneuerte. Sie sprach dieselben Worte und Gebete aus, die ihr heiligster Sohn gesprochen hatte, und empfand leiblicher weise alle Schmerzen ebenso und im selben Augenblick, wie unser Herr und Erlöser sie gelitten hatte. Um kurz alles zu sagen: solange die seligste Mutter auf Erden verweilte, wurde jede Woche vom Abend des Donnerstags bis zu Sonntags Anfang die Passion ihres heiligsten Sohnes in ihr erneuert.»

« Durch diese ihre unermessliche Liebe hat sie für alle andächtigen Verehrer des bitteren Leidens wunderbare Vergünstigungen und Wohltaten erfleht, und als die mächtigste Königin der Barmherzigkeit hat sie ihnen allen ihren besonderen Schutz und die reichliche Zuwendung der Schätze der Passion zugesichert. Denn sie trägt das heiße Verlangen, dass das Andenken an das bittere Leiden lebendigst in der Kirche erhalten und bis zum Ende der Zeit fortererbt werde. Und um dieses ihres Verlangens willen und um die Bitten seiner heiligsten Mutter zu erfüllen, verleiht der göttliche Heiland seiner Kirche die Gnade und Auszeichnung, dass zu allen Zeiten einzelne Seelen von Ihm berufen werden, welche in möglicher Gleichförmigkeit mit der heiligsten Gottesgebärerin das bittere Leiden andächtigst verehren und lebendig in sich erneuern.»

Maria die Mutter und Lehrmeisterin der Kirche

52. «Es war der Wille ihres göttlichen Sohnes, dass seine heiligste Mutter, während sie noch auf Erden weilte, die Würde und die Namen, <Königin, Mutter, Lehrmeisterim und ähnliche in der Kirche besaß (1. 8. n.611). Diese Namen aber waren nicht leere Ehrentitel, wie Menschen sie verleihen. Denn das, was der Titel ausspricht, was er bedeutet und was er fordert, das war, das besaß, das übte die heiligste Jungfrau in voller Wahrheit und Wirklichkeit kraft ihrer überströmenden Gnadenfülle. So besaß sie als <Königin die klarste Erkenntnis ihres ganzen Reiches und alles dessen, worüber ihre königliche Macht sich erstreckte. Als <Mutter> erkannte sie alle ihre Kinder, alle Angehörigen ihrer großen Familie, d. i. der ganzen Kirche bis zum Ende der Zeiten; und keines war ihren Blicken verborgen von allen, die ihrer Obsorge unterstellt wurden. Als <Lehrmeisterin war sie mit der ganzen Fülle der Weisheit und Wissenschaft ausgestattet, weIche für die Regierung der Kirche je nach den Bedürfnissen der wechselnden Zeitalter erforderlich war. Denn durch die Vermittlung Mariä leitet, regiert und erhält in der Wahrheit der Heilige Geist die Kirche bis ans Ende der Welt. Aus diesem Grunde hatte Maria auch die klarste Kenntnis von allen früheren und von allen zukünftigen Heiligen der Kirche, von ihrem Wirken, ihrem Tod und von ihrem Lohn im Himmel.»

«Und im Zusammenhang hiermit waren ihr auch offenbar alle heiligen Gebräuche, Zeremonien, Anordnungen und Feste, welche nach und nach in der Kirche eingeführt werden sollten und aus welchen Gründen, Veranlassungen, Bedürfnissen, und zu welch geeigneten Zeitpunkten dies alles unter dem Beistand des Heiligen Geistes zu geschehen haben werde, der Speise gibt zu rechter Zeit für Gottes Ehre und zum Segen seiner Kirche.»

«In dieser ihrer Weisheit und Heiligkeit begehrte sie auch, dass die streitende Kirche auf Erden mit der im himmlischen Jerusalem triumphierenden in Anbetung, Danksagung, Lobpreisung und Verherrlichung Gottes wetteifere, und darum suchte sie den ganzen Gottesdienst der streitenden Kirche, soweit es möglich ist, zu einem treuen Abbild dessen zu machen, was zur Verherrlichung des Allerhöchsten im himmlischen Jerusalem geschieht.»

«In eigener Person machte sie ferner den Anfang mit Verrichtung gar vieler heiligen Übungen und Gebräuche, welche im Laufe der Zeit nach und nach von der ganzen Kirche beobachtet wurden. Sie belehrte auch die heiligen Apostel, dieselben anzuordnen und einzuführen, soweit es für damals schon geschehen konnte. Im Besonderen waren es alle Übungen der andächtigen Verehrung des bitteren Leidens, mit denen die heiligste Jungfrau den Anfang machte und welche sie zum Teil wie Keime in den Weinberg der Kirche pflanzte, auf dass sie in späteren Zeiten in den von ihr hervorgerufenen Ordensfamilien zur vollen Entfaltung gelangen sollten. Ihrer Weisheit entging nicht das Geringste, und alles brachte sie in Übung, wovon sie erkannte, dass die Ehre Gottes und die christliche Frömmigkeit dadurch gefördert werde.»

'53. «Eine besondere Sorgfalt verwendete ihre hohe Weisheit darauf, dass die Apostel und Jünger in würdigster Weise sich auf die Herabkunft des Heiligen Geistes bereiteten (I. 7. n. 47, ff), denn sie vermochte mehr, als sie alle, diese unschätzbare Gabe zu würdigen, welche ihnen der Vater der Lichter vor allen anderen Sterblichen mitteilen wollte. Sie erkannte aber auch, wie die Liebe der Apostel zu der heiligsten Menschheit ihres göttlichen Meisters noch eine zu natürliche war, weshalb die Trauer über seine Entfernung ihr Herz sehr nieder drückte. Um diese hemmende Traurigkeit zu heben und um ihre Liebe in jeder Weise zu heiligen, bat sie die Apostel, sich über sich zu erheben, und mit ihren Herzen lieber da zu weilen, wo im Glauben an seine Gottheit ihre Liebe erhöht und vergeistigt würde, als da, wo sie mit den Sinnen ihres irdischen Lebens festgehalten seien.

Sie sollen sich durch die alleinige Anschauung nur seiner heiligsten Menschheit nicht gefangen nehmen lassen, sondern diese solle ihnen vielmehr die Pforte und der Weg sein, um zu seiner Gottheit zu gelangen, wo sie ihr volles Genügen und die Ruhe des Herzens finden würden. Sie tröstete sie und richtete sie aus ihrer tiefen Betrübnis wieder auf, indem sie täglich eine Stunde lang mit ihnen über die Geheimnisse des Glaubens sich unterredete, in welchen sie von ihrem heiligsten Sohn unterwiesen worden war. Sie tat dies jedoch nicht in der Weise eines förmlichen Unterrichts, sondern nach Art einer vertraulichen Besprechung. Auch gab sie ihnen den Rat, sich jeden Tag eine Stunde lang auch unter einander selber über alles zu besprechen, was sie an Ermahnungen, Verheißungen und Lehren von ihrem göttlichen Meister empfangen hatten. Die übrige Zeit sollten sie mit mündlichem Gebet, besonders des Vaterunsers, mit Psalmengesang und in Übung des innerlichen Gebetes zubringen, am Abend aber Brot und Fische genießen und dann der nötigen Ruhe pflegen. Durch diese Gebete und dieses Fasten sollten sie auf den Empfang des ihnen verheißenen Heiligen Geistes sich vorbereiten.»

«Niemals begann die seligste Jungfrau ihre Unterredungen mit den Aposteln, ohne von dem heiligen Petrus oder Johannes dazu aufgefordert worden zu sein. Denn sie wollte in jeder ihrer Handlungen die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen. Darum hatte sie es von ihrem göttlichen Sohn erfleht, den beiden Aposteln einzugeben, dass sie es ihr niemals an Gelegenheit mangeln lassen sollten, um den Gehorsam gegen sie als seine Stellvertreter und Priester üben zu können. Als die Lehrmeisterin aller Demut wollte sie nie in ihrer Würde als Königin und Herrin erscheinen, sondern gleich einer Dienenden nur gehorsam und untertänig sein.»

«Sie erklärte bei ihren Unterredungen den Aposteln das Geheimnis der heiligsten Dreieinigkeit in sehr erhabenen und nach ihrer ganzen Tiefe für sie zwar unbegreiflichen, doch für ihre Fassungskraft verständlichen Worten. Ebenso das Geheimnis der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in der Person des Wortes, der heiligsten Menschwerdung, und sehr viele andere Stücke aus den Lehrvorträgen Jesu Christi, indem sie verhieß, dass der Heilige Geist über alles eine noch höhere Erleuchtung ihnen mitteilen werde,»

54. «Über die Notwendigkeit und die Vorzüge des innerlichen Gebetes gab sie ihnen eine besonders umständliche Unterweisung. Sie zeigte ihnen, wie es die erste und vorzüglichste Aufgabe und das edelste und wichtigste Geschäft eines mit Vernunft begabten Geschöpfes sei, sich mit Geist und Herz über alle erschaffenen Dinge zur Erkenntnis und Liebe Gottes zu erheben. Sie leitete sie auch dazu an, wie sie dem Vater der Erbarmungen dafür danken sollten, dass Er uns seinen Eingebornen zum Erlöser und Meister gegeben, sowie für die Liebe, welche dieser uns durch sein bitterstes Leiden und Sterben erzeigt habe. Ferner für ihre Berufung zum Apostolat und zu dem vertrautesten Verkehr mit ihrem göttlichen Meister, der vor allen Sterblichen sie zu den Grundsteinen seiner Kirche erlesen habe.»

«Da sie aller Herzen durchschaute, und die Fähigkeiten, den inneren Stand und die Bedürfnisse jedes einzelnen aufs deutlichste erkannte, so richtete sie ihre Worte und alles, was sie für ihr Bestes tat, in der entsprechenden Weise darnach ein, so dass die Apostel in höchster Bewunderung oftmals zueinander sprachen: <Ja in Wahrheit, wir finden bei ihr alle Unterweisung und allen Trost wieder, der durch den Hingang ihres Sohnes uns entzogen wurde. Alle ihre Handlungen, Worte und Ratschläge, die Gütigkeit und süßeste Sanftmut, in der sie mit uns verkehrt, sind uns Licht und Stärke, nicht anders, als wir aus dem Umgang mit unserem Herrn und Meister selber zu empfangen das Glück hatten. Auch jetzt werden unsere Herzen durch die Lehre und Ermahnungen unserer wunderbaren Herrin ebenso entzündet, wie zuvor durch die Worte unseres Heilandes. Der allmächtige Gott hat in Wahrheit in die Mutter seines Eingebornen den Schatz der göttlichen Weisheit und Macht niedergelegt. Wir dürfen unsere Tränen trocknen, da zu unserem Trost und Heil diese Mutter und Lehrmeisterin uns gelassen ist, sie, die lebendige Arche des Bundes, in welche Gott sein Gesetz, den wunderwirkenden Stab und das süßeste Manna des Lebens niedergelegt hat.»

«Bei Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingstfest, brachte die seligste Jungfrau Gott eine größere Verherrlichung, Lobpreisung und Danksagung dar, als die ganze übrige Kirche (I. 7, n, 62, und 67) und alles was sie tat, wurde von der heiligsten Dreieinigkeit mit solchem Wohlgefallen aufgenommen, dass die göttliche Majestät darin für ihre in der Sendung des Trösters den sterblichen Menschen erwiesene Wohltat den vollen und gebührenden Dank erblickte. Maria war ja das einzige Geschöpf aus allen, welches Gott der Vater als seine Tochter, Gott der Sohn als seine Mutter, der Heilige Geist als seine Braut liebte, und der um dieser unaussprechlichen Würde willen der heiligste Gott die vollen Erweise seiner Huld und Gnade nicht verweigern konnte. Und erwägen wir die Worte des heiligen Paulus im Epheserbrief (5, 31-32), dass der Mann Vater und Mutter verlasse, um seiner Braut anzuhängen, welches Geheimnis groß sei in Christus und seiner Kirche, so sehen wir, dass die Herabkunft des Heiligen Geistes in gewissem Sinne der heiligsten Jungfrau gebührte. Denn war der Sohn Gottes aus dem Schoß des Vaters herabgekommen, um in seiner Menschheit mit der Kirche sich zu vermählen, so erscheint es nur als eine Folgerung daraus, dass auch der Heilige Geist um Maria willen herabkomme, welche ebenso seine Braut ist, wie die Kirche die Braut Jesu Christi, und die von Ihm ebenso geliebt ist, wie die Kirche von dem Fleisch gewordenen Worte.»

«Die Predigt Petri und der andern Apostel am Pfingstfest hörte die heiligste Jungfrau von dem Orte ihres Verweilens aus (I, 7. n. 80, ff). Sie blickte aber auch in die Herzen aller Zuhörer und erkannte ihre geheimsten Gedanken. Darum lag sie auf den Knien und flehte unter reichlichsten Tränen für ihre Bekehrung. Ja sie sandte die sie stets umgebenden Engel zu den predigenden Aposteln, um sie durch Einsprechungen zu ermutigen und zu stärken, mit aller Kraft die Geheimnisse der Gottheit und Menschheit unseres Erlösers zu verkünden; und an die Zuhörer, um ihnen Gedanken und Entschließungen einzuflössen, die Worte der Apostel willig aufzunehmen.»

«Als danach die Apostel mit den reichlichen Erstlingsfrüchten ihrer Predigt und des Heiligen Geistes zu Maria kamen, empfing sie alle mit unglaublicher Freundlichkeit und Güte, als ihre wahre und liebevolle Mutter. Dann wandte sich der heilige Petrus an die Neubekehrten mit den Worten: <Meine Brüder, Diener des Allerhöchsten, diese ist die Mutter unseres Erlösers und Meisters Jesu Christi, an Den ihr nun glaubt und Den ihr als wahren Gott und wahren Menschen bekennt. Sie hat Ihn mit der Gestalt der Menschheit bekleidet, da sie in ihrem Schoß Ihn empfangen und als unversehrte Jungfrau Ihn geboren hat, vor, in und nach seiner Geburt ewig Jungfrau bleibend. Er hat sie zu seiner Mutter angenommen, auf dass sie euere Beschützerin, euere Fürsprecherin, euere Mittlerin sei, und auf dass ihr und wir alle durch sie Licht, Trost und Heilung unserer Sünden und Schwachheiten erlangen>».

«Diese Worte des Apostels und der Anblick der heiligsten Gottesgebärerin erfüllte die Herzen der Neubekehrten mit Licht und Trost. Denn sie besaß das ganz einzige Vorrecht, allen, welche mit Verehrung und Andacht nach ihr die Augen wendeten, innerliche Gaben und Erleuchtungen mitzuteilen. In lebendigster Empfindung der aus Maria in sie überfließenden Gaben warfen sich die Neubekehrten auf die Knie und baten, weinend vor tiefster Rührung, um ihren Segen. Die demütigste und weiseste Jungfrau aber wollte in Gegenwart der Apostel und Priester und insbesondere des heiligen Petrus, des Stellvertreters Jesu Christi, die feierliche Segenserteilung von sich ablehnen, bis Petrus mit den Worten sie bat: <O Herrin und Mutter, versage den Gläubigen nicht, um was sie aus Andacht zum Trost ihrer Herzen dich bitten>! Dann erst gab die hehre Gottesgebärerin, dem Oberhaupte der Kirche Gehorsam leistend, voll Demut in königlicher Hoheit den Neubekehrten ihren Segen.»

Die Entstehung des apostolischen Symbolums

1. 7. n. 211 ff:

55. «Als der Zeitpunkt herannahte, da die Apostel über den ganzen Erdkreis sich verteilen sollten, um durch ihre Predigt die Kirche auszubreiten, erkannte die heiligste Jungfrau aufs klarste, wie notwendig es vor allem sei, dass sie in vollkommener Übereinstimmung die Lehre verkündeten, auf welcher das ganze Gebäude der christlichen Vollkommenheit begründet werden sollte. Darum hielt sie es für geboten, dass alle göttlichen Geheimnisse, welche die Apostel zu verkündigen, die Gläubigen aber zu glauben hätten, in einen kurzen Inbegriff zusammengezogen werden, damit diese Wahrheiten, wenn sie in wenige Sätze zusammengefasst wären, von allen um so leichter aufgenommen und behalten werden könnten, und die Kirche selber in ihnen die volle Einheit des Glaubens mit Ausschluss jeder wesentlichen Verschiedenheit besitzen würde, indem diese Artikel für alle Zukunft die Grundsäulen sein sollten, welche das geistliche Gebäude des neuen Evangeliums zu tragen hätten.»

«In Würdigung der höchsten Bedeutung dieser Angelegenheit verharrte die heiligste Mutter durch vierzig Tage im Gebet, Fasten und geistlichen Übungen, um von ihrem göttlichen Sohn zu erlangen, dass Er seinem Stellvertreter Petrus und den andern Aposteln die Kraft des Heiligen Geistes verleihe, um auf unfehlbare Weise die Wahrheiten des heiligen Glaubens in solche Fassung und Ordnung zu bringen, dass für alle Zeit seine Kirche sich mit voller Sicherheit darauf zu stützen und alle Gläubigen zu erkennen vermöchten, was sie einmütig zu bekennen hätten. Wie einstens Moses, als der Mittler zwischen Gott und dem Volke Israel, vierzig Tage lang auf dem Berge Sinai in Gebet und Fasten verweilt hatte, um von Gott das geschriebene Gesetz zu empfangen, und wie unser heiligster Erlöser selber, als der Mittler zwischen dem ewigen Vater und den Menschen, bevor Er das neue Gesetz der Gnade gab, vierzig Tage in der Wüste gefastet hatte, so tat nun das Gleiche jetzt die heiligste Jungfrau, als die Mittlerin zwischen ihrem heiligsten Sohn und der Kirche des neuen Bundes, um für diese das neue Gesetz, in die Artikel des Glaubens gefasst, zu erhalten, die als göttlich geoffenbarte Wahrheiten ihren unveränderlichen, ewigen Bestand haben sollten.»

«Dies Gebet fand überreiche Erhörung, indem der göttliche Heiland seiner geliebtesten Mutter erschien, und ihr die bestimmten Ausdrücke, die Worte und Sätze zu erkennen gab, in welche die Wahrheiten des heiligen Glaubens gefasst werden sollten. Dem Petrus aber und den andern Aposteln flößte Er den Gedanken und Entschluss ein, ein Glaubensbekenntnis für die ganze Kirche zu entwerfen. In dieser Absicht nahten sie ihrer Mutter und Lehrmeisterin mit der Bitte, sie dabei zu unterstützen. Ehe sie an die Ausführung gehen wollten, beschlossen sie, durch zehn Tage zu fasten und dem Gebete zu obliegen, damit sie der Erleuchtung des Heiligen Geistes teilhaftig würden. Nach diesen zehn Tagen hielten sie ihre Versammlung. Zuerst las Petrus die Heilige Messe, unter welcher die heiligste Jungfrau und die Elf kommunizierten. Darnach verharrten sie eine Zeitlang im Gebete um den Heiligen Geist, der in sichtbarer Weise sich ihnen mitteilte,»

«Nun richtete die heiligste Jungfrau an die Apostel die Bitte, dass jeder einzelne das bestimmte Geheimnis ausspreche und verkünde, welches der Heilige Geist ihm eingegeben habe. Petrus machte den Anfang und sprach: <Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde,> Andreas: <Und an Jesus Christus, seinen Eingebornen Sohn, unsern Herrn.> Jakobus der Ältere: <Der empfangen ist von dem Heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau,> Johannes: <Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.> Thomas: <Abgestiegen zu der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.> Jakobus der Jüngere: <Aufgefahren in den Himmel, sitzt Er zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.> Philippus: <Von dannen Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.> Bartholomäus: <Ich glaube an den Heiligen Geist.> Matthäus: <Eine heilige, katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen,> Simon: <Nachlass der Sünden.> Thaddäus: <Auferstehung des Fleisches.> Mathias: <Ein ewiges Leben. Amen.>»

«Nachdem die heiligste Jungfrau mit den Aposteln Gott dem Allerhöchsten für diese wunderbare Abfassung des ersten heiligen Glaubensbekenntnisses den schuldigen Dank dargebracht hatte, war sie nun die erste, welche auf den Knien, zum Vorbilde für alle Gläubigen, die zwölf Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses mit lauter Stimme betete. Sie tat es im eigenen Namen, wie im Namen aller gegenwärtigen und künftigen Kinder der Kirche, indem sie an Petrus die Worte richtete: <Ich erkenne dich als den Stellvertreter meines Sohnes. Darum lege ich in deine Hände für meine Person, wie für alle Kinder der Kirche, das Bekenntnis des Glaubens ab und halte fest und für wahr, was ihr als die unfehlbaren göttlichen Wahrheiten des katholischen Glaubens erklärt habt. In diesen Wahrheiten lobe und preise ich den Allerhöchsten, von welchem sie ausgehen>.»

«Seit dieser Stunde habe ich jeden Tag mehrmals (Worte der heiligsten Jungfrau an die selige Maria von Agreda) das apostolische Symbolum kniend mit größter Ehrfurcht gebetet. Hatte ich den dritten Artikel auszusprechen, so warf ich mich in Demut, Danksagung und Lobpreisung zur Erde nieder. Ich hatte stets alle Sterblichen dabei vor Augen, um die Unehrerbietigkeiten zu ersetzen, welche sie beim Aussprechen der heiligen Worte des Symbolums begehen würden. Auf meine Bitte ist es auch geschehen, dass der Herr seiner Kirche es eingab, im göttlichen Offizium so oft das Credo, das Ave Maria und Pater noster zu wiederholen, dass in manchen Ordensfamilien diese Gebete kniend gesprochen werden und bei dem <lncarnatus est> alle Gläubigen die Knie beugen. Ich wollte, dass von der Kirche Gott dem Herrn hindurch beständig die schuldige Danksagung dafür dargebracht werde, dass Er sie der aller Verehrung und Danksagung würdigen Geheimnisse des apostolischen Glaubensbekenntnisses teilhaftig gemacht hat.»

Das selige Hinscheiden der heiligsten Jungfrau und ihr Abschied von der Kirche

I. VIII.c. 18 und c. 19. n. 722-744:

56. «Um allen ihren Handlungen den höchsten Grad der Heiligkeit zu verleihen, bat die seligste Jungfrau den Herrn um seine Zustimmung, dass sie von der heiligen Kirche Abschied nehme. Sie sprach: <Heiligster Gott, mein höchstes Gut, Heil und Glorie der Seelen, gestatte mir als einer Tochter der mit deinem Blute erkauften und gepflanzten heiligen Kirche, dass ich von dieser gütigen Mutter und allen ihren Kindern, deinen Brüdern Abschied nehme. Heilige Katholische Kirche, künftig die römische genannt meine Mutter und Gebieterin, wahrer Schatz meiner Seele, mein einziger Trost in der Zeit meiner Verbannung, meine Zuflucht und Trösterin in allen Trübsalen, meine Erholung, meine Freude und Hoffnung auf der ganzen Pilgerreise, solange ich der wahren Heimat noch ferne war! Du hast mich erhalten, seitdem ich in dir von deinem und meinem Haupt, Jesus Christus, meinem Sohn und Herrn, das Leben der Gnade empfangen habe! In dir sind die Schätze und Reichtümer seiner unendlichen Verdienste. Du bist für seine treuen Kinder der sichere Übergang in das Land der Verheißung. Du gibst ihnen das sichere Geleit auf ihrer gefahrvollen und mühseligen Pilgerschaft. Du bist die Herrin der Völker, welche alle dir Ehrfurcht schuldig sind. In dir finden sich die reichsten Kleinodien unschätzbaren Wertes: d. i. die Beschwerden, die Mühsale, die Widersprüche, die Unbilden, die Schweißtropfen, die Peinen, das Kreuz und der Tod, - sie alle sind geheiligt durch das Leiden und Sterben meines Herrn, deines Vaters, deines Meisters, deines Hauptes, aufbehalten für seine treuen Diener und geliebtesten Freunde. Du hast mit dem kostbarsten Geschmeide mich beschenkt und geschmückt, damit ich zur Hochzeit des Bräutigams gelange. Du warst meine Freude, mein Glück. Denn du besitzst in deiner Mitte deinen Herrn in dem heiligsten Sakramente. Dir, meiner glückseligen Mutter, der streitenden Kirche, die so reich und überreich an geistlichen Schätzen, dir gehörte allzeit mein ganzes Herz, alle meine Sorgfalt. Nun aber ist die Zeit des Scheidens aus deiner süßen Gesellschaft, damit ich meine Laufbahn vollende. Darum wende mir jetzt die Kraft deiner so großen Gnadenschätze zu, durchdringe mich mit dem Blut des unbefleckten Lammes, das dir anvertraut und mächtig genug ist, viele Welten zu heiligen.

Gerne wollte ich tausendmal mein Leben hingeben, um alle Völker und alle Geschlechter der Erde dir zuzuführen, damit auch sie deiner Schätze sich erfreuen. Meine Kirche, meine Ehre und mein Ruhm, für dieses sterbliche Leben verlasse ich dich, aber im ewigen Leben werde ich dich selig wieder finden in Gott, der alle Güter in sich schließt. Mit Mutterliebe werde ich immerdar auf dich herabschauen, für deine Ausbreitung, dein Gedeihen, deine Erfolge alle Zeit Sorge tragen>.»

57. «Nach diesen Abschiedsworten von der heiligen römisch-katholischen Kirche, der Mutter aller Gläubigen, erklärte in Gegenwart der allerheiligsten Dreifaltigkeit und aller himmlischen Heerscharen die heiligste Jungfrau, als die wahre Mutter der Weisheit, ihre letzte Willensmeinung oder ihr Testament (I. c. c. 18. n. 18. n. 723-727), indem sie von Gott dem Vater seine Zustimmung in den Worten zu vernehmen hatte: <Meine Tochter, deine letzte Willenserklärung erhält meine volle Zustimmung; kein Verdienst deiner Werke soll durch dein Testament dir selber verlorengehen. Ich werde alle deine Wünsche erfüllen>.»

«Dieselbe Bestätigung empfing sie von ihrem göttlichen Sohne und dem Heiligen Geiste. Und nun fuhr sie also weiter: <In Gegenwart des allerhöchsten Gottes erkläre ich meinen letzten Willen. An Gütern des sterblichen Lebens und dieser Erdenwelt besitze ich nichts, was ich hinterlassen könnte. Denn nie besaß oder liebte ich etwas außer Gott, meinem höchsten und einzigen Gut. Den Himmelskörpern aber, den Sternen, Planeten, den Elementen und allen Geschöpfen, die darin sind, sag ich Dank, dass sie, dem Willen Gottes gehorchend, ohne mein Verdienst mich erhalten haben. Ich verlange und erwarte von ihnen, dass sie mit allen ihren Kräften und Verrichtungen Gott dienen und Ihn verherrlichen, und dass sie den Menschen, meinen Brüdern, Unterhalt und Gaben spenden. Damit dies um so gewisser geschehe, so trage ich, soweit es möglich ist, das Recht, die Herrschaft, den Besitz, den mir die göttliche Majestät über die vernunftlosen Kreaturen verliehen hat, auf die Menschen über, damit diese ihre Dienste empfangen. Die beiden Kleider samt dem Mantel, deren ich mich bediente, trete ich an Johannes ab, den ich an Sohnes Statt angenommen, dass er nach seinem Gutdünken darüber verfüge. Meinen Leib möge die Erde, die Mutter aller, das Werk deiner Hände, das dir zu dienen hat, nach deinem Wohlgefallen empfangen. Meine Seele aber, wenn sie von ihrem Leib und allen sichtbaren Dingen sich scheidet, übergebe ich in deine Hände, o mein Gott, auf dass sie durch deine ganze Ewigkeit dich liebe und preise. Meine Verdienste und alle Schätze, welche ich mit deiner Gnade durch meine Werke und Mühen erworben habe, hinterlasse ich der heiligen Kirche, meiner Mutter und Gebieterin, als meiner Universal-Erbin. Ihr übergebe ich alles mit deiner Zustimmung. Könnte ich doch mehr hinterlassen! In erster Reihe soll dies mein Erbe zur Verherrlichung deines heiligsten Namens verwendet werden, auf dass an allen Orten, bei allen Völkern, im Himmel und auf Erden dein heiligster Wille geschehen, und dass alle Nationen zum Glauben, zur Liebe, zur Anbetung des wahren Gottes gelangen>.

<An zweiter Stelle übergebe ich meine Verdienste meinem Herrn, den Aposteln, und allen Priestern, die jetzt und künftig leben, auf dass sie durch deine unaussprechliche Gütigkeit taugliche Diener und würdige Verwalter ihres Amtes und Standes seien, erfüllt mit Weisheit, Stärke und Heiligkeit, um die mit deinem Blut erkauften Seelen zu erbauen und zu heiligen.>

<An dritter Stelle begehre ich meine Verdienste dem Seelenheil aller zuzuwenden, die mich lieben, mir dienen und als ihre Beschützerin mich anrufen werden, auf dass sie hier auf Erden deiner Gnade und deines Erbarmens und dereinst des ewigen Lebens teilhaftig werden>.

<An vierter Stelle übergebe ich die Früchte meiner Mühsale und alles dessen, was ich im Dienste Gottes getan, deiner Barmherzigkeit, welche sie allen Sündern zur Rettung aus dem unglückseligen Stande der Sünde zugute kommen lassen wollen. Und von dieser Stunde an ist es mein fester Entschluss und Vorsatz, in der Gegenwart Gottes beständig für sie zu beten>.»

«Dieses Testament der heiligsten Jungfrau besiegelte der göttliche Heiland, indem Er ihrem Herzen die Worte eindrückte: <Es geschehe, wie du willst und wie du verordnest>. Er gewährte aber auch ihre Bitte um die Gegenwart der heiligen Apostel bei ihrem Hinscheiden mit den Worten: <Meine Apostel werden zugegen sein. Sie sollen zu ihrem Trost, zu meiner und deiner Ehre Zeugen deines Hingangs zu den Wohnungen der Ewigkeit werden. Aus den fernsten Gegenden sollen sie durch meine Engel hergeleitet werden>.»

58. «Meine Tochter», sprach die hl. Jungfrau zur seI. Maria von Agreda (I. c. c. 18. n. 728-730), «ich habe dir in der Absicht meine Hochschätzung und Liebe zur heiligen Kirche zu erkennen gegeben, um dich in Stand zu setzen, die heilige Kirche nach Gebühr zu ehren, zu schätzen und zu lieben. Du vermagst freilich nicht zu fassen, was in meinem Herzen vorging, da ich mir die hl. Kirche vergegenwärtigte. Doch wirst du meine Worte besser verstehen, wenn du erwägst, warum mein Herz so sehr bewegt wurde, nämlich durch die Erwägung der Liebe, die mein heiligster Sohn zu seiner Kirche trägt, und alles dessen, was Er für sie getan hat. Und wenn du Tag und Nacht betrachten willst, was Er für seine Kirche getan und vollbracht hat, dann magst du die Größe seiner Liebe zur Kirche daraus mehr und mehr erkennen. Um auf Erden das Haupt des Kirchenleibes, und um in der Ewigkeit das Haupt aller Auserwählten zu sein, ist Er aus dem Schoß seines ewigen Vaters herabgekommen und in mir Mensch geworden. Um die Kinder der Kirche, deren Erstgeborner Er selber ist, aus dem Verderben der Schuld des ersten Adams zu erretten, bekleidete Er sich mit dem sterblichen und leidensfähigen Fleische. Um dem Menschen das Vorbild seines schuldlosen Wandels und die heilbringende Lehre der Wahrheit zu hinterlassen, wurde Er ihnen sichtbar, lebte und wandelte Er durch dreiunddreißig Jahre auf Erden unter ihnen. Um durch die Tat sie zu erlösen und ihnen die unendlichen Güter der Gnade und der Glorie zu verdienen, welche sie selber nie und in keiner Weise sich hätten verdienen können, erduldete Er das Äußerste, vergoss Er sein Blut und nahm Er den bittersten und schimpflichsten Tod des Kreuzes auf sich. Und auf dass zuletzt aus seinem heiligsten, am Kreuze in den Tod geopferten Leib in höchst geheimnisvoller Weise seine Kirche hervorgehe, liess Er durch den Lanzenstich seine Seite eröffnen.»

«Da ferner der ewige Vater in dem ganzen Leben, Leiden und Sterben seines Eingebornen das höchste Wohlgefallen gefunden, so wollte nun der Erlöser der Welt der Kirche das Sakrament seines Leibes und Blutes übergeben in der Absicht, dass durch dieses Sakrament das dem himmlischen Vater so wohlgefällige Gedächtnis seines Leidens und Sterbens beständig erneuert werde, und auf dass die Gläubigen der Kirche dadurch ein Opfer erlangten, durch welches sie die über ihre Sünden zürnende Gerechtigkeit Gottes immer wieder versöhnen könnten. Zugleich wollte Er mittelst der heiligsten Eucharistie immerdar bei seiner Kirche bleiben, als die geistliche Nahrung ihrer Kinder, als der Quell der Gnade, als die letzte Wegzehrung und das sicherste Unterpfand des ewigen Lebens. Außer diesem allem sandte Er den Heiligen Geist in seine Kirche, erfüllte sie mit dessen Gaben und Weisheit, indem Er ihr die bestimmte Verheißung gab, dass sie durch Ihn vor jedem Irrtum, vor jeder Täuschung und Gefährdung durch die Arglist des Bösen bewahrt werden solle».

«Ferner begabte Er seine Kirche mit allen Verdiensten seines Lebens, Leidens und Sterbens, indem Er diese Verdienste an seine Sakramente knüpfte, in welche Er alles niederlegte, wessen die Menschen bedürfen vom Tag der Geburt bis zum Ende des Lebens, um vom Schmutz der Sünde rein gewaschen zu werden, um in der Gnade auszuharren, um gegen den Satan gerüstet und befähigt zu sein, ihn mit den Waffen der Kirche niederzuwerfen, um endlich die Angriffe von Seiten der eigenen Natur und der Gewalt der Leidenschaften zu besiegen. Und zu allen diesen Heilmitteln der Gnade gab Er ihnen auch noch die von Ihm selber tauglich gemachten und auf das Vollkommenste ausgerüsteten Diener und Werkzeuge, seine Priester. Auch wählt Er sich aus der streitenden Kirche zu jeder Zeit einzelne Seelen zu seinen besonderen Vertrauten aus, um ihnen seine Gunsterweise und seine geheimen Ratschlüsse mitzuteilen. Durch sie vollbringt Er im Verborgenen nicht selten die wunderbarsten Dinge, indem Er ihre Gebete und Fürbitten für andere, wo es seine Ehre erfordert empfangen und erhören will, so dass in der Kirche die Gemeinschaft der Heiligen stets lebendig und tatsächlich erhalten bleibt.»

«Eine andere Quelle des Lichtes und der Wahrheit erschloss Er seiner Kirche in den heiligen Evangelien und in den andern vom Heiligen Geiste eingegebenen Schriften, nächst diesen in den Beschlüssen der heiligen Kirchenversammlungen und in den alten Überlieferungen. Zu bestimmten Zeiten sendet Er auch heilige, mit aller Weisheit erfüllte Lehrer, Meister des geistlichen Lebens, Herolde des Evangeliums und unzählige Diener seiner heiligen Geheimnisse. Er erleuchtet sie durch bewunderungswürdige Heilige. Er ziert sie durch die mannigfaltigsten Ordensfamilien, in welchen die Vollkommenheit des apostolischen Lebens ununterbrochen erhalten wird. Er regiert sie durch Bischöfe und erhabene Würdenträger. Und auf dass alle diese Gaben und Zierden seiner Kirche wohl geordnet und einträchtig zusammenwirken, darum bestellte Er ein höchstes Oberhaupt d. i. den römischen Papst, seinen Stellvertreter, mit der Fülle der göttlichen Gewalt ausgerüstet, zum wahren Haupt des ganzen schönsten mystischen Leibes der Kirche. Dieses Haupt schützt Er gegen alle Mächte der Welt und der Hölle und erhält es bis zum Ende der Welt!»

«Unter allen diesen Wohltaten aber, die Er seiner Kirche erzeigt hat und bis zum Ende ihr erweisen wird, nimmt jene nicht die letzte Stelle ein, dass Er nach seiner wunderbaren Himmelfahrt Mich der Kirche zurückgelassen hat, damit ich sie leite durch meine Verdienste und Gegenwart sie bestelle und pflege. Darum betrachte ich die Kirche als die meinige, und um so mehr, da der Allerhöchste selber sie durch Schenkung mir übergeben und mir aufgetragen hat ihr als Mutter und Herrin meine Sorgfalt beständig zuzuwenden.»

59. «Als die Apostel drei Tage lang um die heiligste Jungfrau versammet waren (I. c. c. 19. n. 739-741) und der Augenblick gekommen war, dass die wahre lebendige Lade des Bundes in das Heiligtum des himmlischen Jerusalems erhoben werde, kam der göttliche Heiland von seinem himmlischen Throne, begleitet von allen Heiligen des Himmels und unzählbaren Engelchören, hernieder und erfüllte das ganze Haus mit wunderbarem Glanze. Die seligste Jungfrau vollbrachte nun ihre letzte tiefste Anbetung und Danksagung in solcher Demut, wie nie ein Mensch zur Sühnung schwerster Verschuldung sie je erwecken könnte. Ihr heiligster Sohn segnete sie und sprach: <Meine liebste Mutter, die Ich zur Wohnung mir erkoren, die Stunde ist gekommen, welche dich aus dem sterblichen irdischen Leben in meine und meines Vaters Herrlichkeit bringen wird, wo Dir zu meiner Rechten der Thron für die ganze Ewigkeit bereitet ist. Gleichwie Ich dich als meine Mutter frei und unberührt von jeder Schuld in diese Welt habe eintreten lassen, so hat nun jetzt, um aus dieser Welt zu scheiden, der Tod weder eine Erlaubnis, noch ein Recht auf dich. Darum, wenn du nicht durch seine Pforte gehen willst, so komme nun mit mir und sei teilhaftig der durch deine Verdienste dir erworbenen Herrlichkeit !> Die weiseste Mutter aber antwortete voll Freudigkeit in tiefster Demut: <Mein Sohn und Herr! lasse deine Mutter und Magd zum ewigen Leben durch die allgemeine Pforte des natürlichen Todes eingehen, wie alle anderen Adamskinder ! Du selbst hast als wahrer Gott den Tod erdulden wollen, der in keiner Weise Dir hätte nahen dürfen. So ist es billig, dass ich auch im Tode von deiner Gemeinschaft mich nicht trenne, wie ich durch mein ganzes Leben dir nachzufolgen bestrebt war.> Der göttliche Heiland gab seine Zustimmung. Die Engel sangen in himmlischen Melodien die Worte des Hoheliedes, wunderbare Gerüche erfüllten alle Räume. Die süßeste Mutter aber sank auf ihr Lager zurück, die Hände zum Gebete aneinander schließend, die Augen nach ihrem heiligsten Sohn wendend, während sie wie eine Liebesflamme aufgelöst erschien.»

«Als die Engel an die Worte kamen: <Stehe auf, eile, meine Freundin, meine Taube, meine Schöne, und komme. Der Winter ist vergangen!> sprach Maria: <in Deine Hände, o Gott, empfehle ich meine Seele>, schloss die Augen und hatte ausgelebt. Die Liebe allein, nicht Krankheit oder Schwäche, machte sie verscheiden, und nur dadurch konnte der Tod erfolgen, dass Gottes Allmacht seine wunderbare Einwirkung zurückzog, durch weIche die natürlichen Kräfte bisher gestärkt worden waren, um nicht in den Flammen der göttlichen Liebe zu verglühen.»

60. «Die reinste Seele hob sich in unermesslicher Herrlichkeit empor auf den Thron zur Rechten des Sohnes Gottes (I. c. n. 742), begleitet von den Chören der Engel und Heiligen. Die Apostel hörten die englischen Melodien sich nach und nach in die Lüfte verlieren. Der heilige Leib der seligsten Jungfrau, der Tempel, das Heiligtum des lebendigen Gottes, blieb von Licht und Glanz übergossen und hauchte so wunderbare Wohlgerüche, dass alle Umstehenden mit Süßigkeit erfüllt wurden.»

«Die Apostel in Schmerz und Freudentränen, waren geraume Zeit wie in Verzückung. Dann aber sangen sie Loblieder und Psalmen zu Ehren ihrer hingeschiedenen heiligsten Mutter.»

61. «Hätte ich», sprach die heiligste Jungfrau zur seligen Maria von Agreda (I. c. n. 744 und 745), «den Tod von mir ferne halten wollen, so hätte mir der Allerhöchste dies bewilligt. Denn so wenig die Sünde einen Teil an mir hatte, so wenig konnte der Tod, die Strafe der Sünde, einen Teil an mir haben. Da aber mein heiligster Sohn, an welchem der Tod noch viel weniger Teil haben konnte, freiwillig leiden und sterben wollte, um der göttlichen Gerechtigkeit für die Schuld der Welt genugzutun, so wählte ich aus freiem Willen auch für mich den Tod, um meinem Sohn, wie im Leiden, so auch im Sterben gleichförmig zu sein. Da ich meinen Sohn und wahren Gott den Tod erleiden sah, so wäre die Liebe, die ich Ihm schuldete, nie befriedigt gewesen, hätte ich mich geweigert, den Tod für mich anzunehmen; und meine höchste Sehnsucht, zur vollen Gleichförmigkeit mit dem Mensch gewordenen Sohn Gottes zu gelangen, die Er in seiner Menschwerdung so sehr von mir begehrte, wäre weit hinter ihrem Ziele zurückgeblieben. Da ich nie diesen Mangel hätte mehr gut machen können, so könnte meine Seele nicht jene Fülle der Seligkeit genießen, die sie jetzt dafür genießt, dass ich sterben wollte, wie auch mein Herr und Gott gestorben ist.»

«Zum Lohn dieser meiner Todes-Wahl verlieh mir Gott der Herr zu Gunsten der Kinder der Kirche das mir so teure Vorrecht, kraft dessen alle meine Verehrer, welche in der Todesstunde zu mir rufen, dass ich durch die Verdienste meines freiwilligen Sterbens ihnen zu Hilfe komme, meinen besonderen Schutz gegen die Angriffe des bösen Feindes, sowie meinen Beistand und meine Verwendung vor dem Richterstuhl der göttlichen Barmherzigkeit empfangen werden. Der Herr gab mir hierzu eine eigene Vollmacht und die ausdrückliche Verheißung, dass er meinen Verehrern große Gnadenhilfen zu einem guten Tode und zu wahrer Lebensbesserung verleihen werde, wenn sie des Geheimnisses meines kostbaren Todes gedenkend, mich anrufen wollen.»

Die Herrlichkeit der heiligsten Seele Mariä

I. c. c. 21. n. 769:

62. «Der göttliche Erlöser hatte beim Einzug in den Himmel zu seiner Rechten die Seele seiner seligsten Mutter. Und zu seiner Rechten wird sie auch erscheinen bei dem allgemeinen Gericht, um mit Ihm über alle Kreaturen das Urteil zu fällen. Dies in Kraft ihrer Verdienste. Schon im ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis war sie die hellglänzende Morgenröte, von den Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit höher erleuchtet, als selbst die himmlischen Lichter der brennenden Seraphim. Als aber das ewige unerschaffene Wort in ihrem reinsten Schoß seine menschliche Natur von ihr annahm, wurde sie über alle Kreaturen in die innigste Vereinigung mit der Gottheit erhöht. Darum kam es ihr zu, für die ganze Ewigkeit zu solcher Mit-Teilnahme und Gleichförmigkeit der Herrlichkeit ihres Sohnes erhoben zu werden, wie sie zwischen Sohn und Mutter möglich ist, mit dem einen Unterschiede, dass ihr Sohn Gott und Mensch, sie aber nur eine Kreatur ist. Wenn schon die Glorie des niedersten Heiligen im Himmel so groß ist, dass keine Zunge auf Erden sie auszusprechen vermag, wie ganz unbegreiflich wird die Herrlichkeit der seligsten Jungfrau als der heiligsten über alle Heiligen sein, welche schon auf Erden für sich allein ein vollkommeneres Abbild ihres Sohnes war, als alle Heiligen zusammen! Unser Verstand ist zu schwach, unsere Worte sind zu eng und zu dürftig, um auch nur den geringsten Teil dieser Herrlichkeit zu fassen und auszusprechen. Darum wollen wir hienieden so leben, auf dass wir einstens dahin gelangen, wo im Lichte der Glorie diese Herrlichkeit uns klar und offenbar sein wird.»

«Unter dem Namen <Mutter> wurde von dem Erlöser der Welt Maria dem Throne Gottes dargestellt und in Gegenwart der staunenden Himmelsbürger sprach Er (I. c. n. 762): <Ewiger Vater! meine liebendste Mutter, deine geliebte Tochter, die schönste Braut des Heiligen Geistes kommt, um die unvergängliche, ihren Verdiensten bereitete Krone und Herrlichkeit in Besitz zu nehmen. Sie wurde unter den Adamskindern geboren als die Rose unter den Dornen, unbefleckt, rein, schön und ganz und gar würdig, auf jenen Thron erhöht zu werden, wohin kein anderes unserer Geschöpfe je gelangt ist und wohin kein in Sünde Empfangener gelangen kann. Sie ist die Auserwählte, ihr einzig und allein haben Wir eine Gnadenfülle und Teilnahme an unseren Vollkommenheiten verliehen, welche das für alle anderen Kreaturen bestimmte Maß übersteigt. In sie haben Wir den Schatz unserer unfassbaren Gottheit und ihrer Gaben niedergelegt. Sie hat diesen Schatz getreu bewahrt, mit den ihr verliehenen Talenten gewuchert, ist nie von unserem Willen abgewichen und hat Gnade und Wohlgefallen gefunden in unseren Augen. Nach dem höchst gerechten Urteil unserer Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, wonach Wir die guten Werke unserer Freunde überschwänglich belohnen, ist es nun durchaus billig und gerecht, dass meine Mutter als Mutter ihre Belohnung empfange. Wie sie in ihrem ganzen Leben und in all ihren Werken Mir so gleichförmig war, als dies einem bloßen Geschöpfe möglich ist, so soll sie nun auch in der Herrlichkeit Mir ähnlich sein, und empfangen ihren Sitz am Throne unserer Majestät, auf dass, wo die höchste Heiligkeit in ihrer Wesenheit ist, dort auch die Heiligkeit sei, welche die größte ist durch unsere Mitteilung.>»

«Dieser Ausspruch des menschgewordenen Wortes wurde vom Vater und vom Heiligen Geiste bestätigt (I. c. n. 763); und die heiligste Seele Mariä wurde zur Rechten ihres Sohnes des wahren Gottes auf den königlichen Thron der allerheiligsten Dreifaltigkeit erhöht, wohin weder ein Mensch, noch ein Engel, noch ein Seraph je gelangt ist, noch in alle Ewigkeit gelangen kann. Diese Erhöhung auf den Thron der drei göttlichen Personen ist die höchste und erhabenste Auszeichnung der seligsten Jungfrau. Sie ist die Königin des Himmels, umgeben von den Engeln und Heiligen, als den Dienern und Untertanen des Allerhöchsten. Dieser ihrer Erhöhung entsprechen auch ihre Gaben der Glorie, der Erkenntnis, der Anschauung und des Genusses Gottes. Sie ist des höchsten unendlichen Gutes, an welchem die Seligen in zahllosen Graden und Abstufungen teilhaben, mehr teilhaftig, als alle Seligen zusammen. In gleicher Weise erkennt, durchschaut und erfasst sie die Wesenheit und die Vollkommenheiten Gottes unvergleichlich mehr, als alle Himmelsbürger, und ihre Liebe, ihre Seligkeit in der Anschauung der tiefsten und verborgensten Geheimnisse Gottes ist größer, als die des ganzen himmlischen Hofes.»

«Und ist auch die Glorie der seligsten Jungfrau in einem unermesslichen Abstand von der Glorie der drei göttlichen Personen, da nach den Worten des heiligen Apostels das Licht der Gottheit unnahbar ist und in ihm allein die wesenhafte Unsterblichkeit und Herrlichkeit selber wohnt. Übertrifft auch die heiligste Seele Jesu Christi an den Gaben der Glorie in unvergleichlichem Grade die Seele seiner heiligsten Mutter, so ist doch die Herrlichkeit der Königin des Himmels im Vergleich mit der Glorie der anderen Heiligen eine so erhabene, gleich als wohne auch sie in dem unzugänglichen Lichte. Darin besitzt sie eine Gleichförmigkeit mit der Glorie Christi, welche in diesem Leben nicht zu verstehen oder auszusprechen ist.»

«Auch sind unsere Worte nicht vermögend, um zu beschreiben, welche Mehrung ihrer Freuden alle Himmelsbürger durch die Aufnahme ihrer Königin empfangen haben (I. c. n. 764). In allen Himmelsräumen erschallten Lobgesänge zum Preise des Allmächtigen, seiner Tochter, Mutter und Braut, in welcher Er allen seinen Werken die Krone aufgesetzt hatte. Und kann auch Gott selbst keinen Zuwachs an der Ihm wesentlichen Glorie empfangen, weil Er seine unendliche Seligkeit von Ewigkeit her voll und unveränderlich besaß und besitzt, so offenbarte Er doch seine Freude und sein Wohlgefallen über die Erfüllung seiner ewigen Ratschlüsse an diesem Tage höher, denn je.»

«Vom Throne Gottes ging die Stimme aus, welche sprach: <In der Verherrlichung unserer geliebten und liebendsten Tochter ist unser Verlangen und unser heiliger Wille zu unserem höchsten Wohlgefallen erfüllt. Alle Geschöpfe, die leben, haben Wir aus dem Nichts hervorgebracht, um sie nach dem Maß unserer unendlichen Güte an unseren Gütern und Schätzen teilnehmen zu lassen. Sie aber haben die Gnade dieser unendlichen Wohltätigkeit verscherzt, obwohl Wir sie fähig gemacht hatten, unsere Gnade und Glorie zu empfangen. Nur sie allein, unsere Auserkorene, unsere Tochter, hat keinen Teil an dem Ungehorsam und der Übertretung der Übrigen. Sie hat darum verdient, das zu empfangen, was die Kinder des Verderbens von sich gestoßen haben. Zu keiner Zeit, in keinem Augenblicke wurde in ihr unser Vertrauen getäuscht. Ihr sollen darum auch angehören alle Belohnungen, welche die ungehorsamen Engel und Menschen hätten empfangen dürfen, wenn sie unserer Gnade und Berufung treu geblieben wären. Durch ihre Unterwürfigkeit und den Eifer ihres Gehorsams hat sie das Widerstreben der Ungehorsamen ersetzt und in allem, was sie getan, hat sie unser ganzes Wohlgefallen sich erworben, so dass sie es verdient, ihren Sitz auf dem Throne unserer Majestät zu empfangen.>»

Die leibliche Himmelfahrt der heiligsten Jungfrau und ihre Krönung zur Königin des Himmels und der ganzen Welt

I. c. nr. 760-769:

63. «Am dritten Tage nach der Aufnahme der Seele Mariä in die Seligkeit des Himmels machte Gott den Heiligen seinen Willen kund, dass Maria auf die Erde zurückkehre, um sich mit ihrem heiligen Leib zu vereinigen, ihn vom Tode zu erwecken und so mit Leib und Seele zur Rechten ihres heiligsten Sohnes aufzufahren, ohne die allgemeine Auferstehung der Toten abzuwarten.»

«Unser Herr und Heiland selbst geleitete die Seele seiner heiligsten Mutter, gefolgt von unzähligen Engeln, den Altvätern und Propheten, zu dem Tempel ihres jungfräulichen Leibes im Grab. Hier sprach Er zu seinen Heiligen: <Meine Mutter ist ohne Makel der Erbsünde empfangen worden, damit Ich von ihrer jungfräulichen, reinsten, unbefleckten Substanz das Gewand der Menschheit annehmen konnte, in welchem ich in die Welt gekommen bin, sie zu erlösen. So ist mein Fleisch von ihrem Fleische; auch hat sie zu dem ganzen Werke der Erlösung ihre Mitwirkung Mir verliehen. Darum gebührt ihr die Auferstehung von den Toten, wie auch Ich erstanden bin, und zwar zur selben Zeit und Stunde. Denn in allem will Ich sie Mir gleichgestalten.>» Die Heiligen des alten Bundes stimmten Loblieder an. Am meisten aber frohlockten Adam und Eva, Anna und Joachim und der hl. Joseph. Die reinste Seele der Himmelskönigin vereinigte sich mit ihrem jungfräulichen Leib, das neue, unsterbliche Leben in den vier Gaben der Glorie: der Klarheit, Leidensunfähigkeit, Beweglichkeit und Feinheit ihm mitteilend. Sie erhob sich mit ihm, ohne den Stein, welcher die Grabhöhle verschloss, von der Stelle zu bewegen. Auch die Gewänder und Tücher blieben in derselben Lage, wie sie den heiligen Leib bedeckt hatten.»

«Da es unmöglich ist, die Herrlichkeit dieser Auferstehung mit Worten zu bezeichnen, so sage ich nur das eine: Gleichwie die göttliche Mutter in ihrem jungfräulichen Schoß dem Sohn Gottes den reinsten, edelsten, der Sünde unfähigen Leib gegeben hatte, so verlieh er zum Danke dafür ihrem Leib bei seiner Auferstehung, als bei seiner zweiten Geburt, eine Herrlichkeit und Schönheit, welche seinem eigenen verklärten heiligsten Leibe so ähnlich und gleichförmig ist, wie schon auf Erden sein heiligster, aus Maria empfangener Leib die höchste Ähnlichkeit mit dem seiner süßesten Mutter an sich getragen hatte.»

«Als <die Königin im goldenen Kleid und buntem Gewand> (Ps. 44, 10) erhob sich zur Rechten ihres Sohnes die heiligste Jungfrau zum Himmel empor in solcher Schönheit, dass alle Himmelsbewohner darüber in Staunen gerieten. Die Chöre der Engel begrüßten ihre Königin mit den Worten des Hoheliedes (3, 6-6, 9.-8,5). <Wer ist jene, welche aufsteigt aus der Wüste wie eine Rauchsäule von Spezereien aus Myrrhen und Weihrauch? Wer ist die, welche wie die aufsteigende Morgenröte hervorkommt. schön wie der Mond, auserkoren wie die Sonne, furchtbar wie ein geordnetes Heerlager?> <Wer ist die, die heraufsteigt aus der Wüste, von Lust überfließend, und auf ihren Geliebten gelehnt?> <Wer ist die, an welcher Gott selbst solche Freude und solches Wohlgefallen gefunden vor allen Kreaturen, dass Er sie über alle erhebt auf den Thron seines unnahbaren Lichtes und seiner göttlichen Majestät? 0 Wunder, wie noch nie in den Himmeln gesehen wurde! O neues Werk, würdig der unendlichen Weisheit! O Wunder der Allmacht Gottes, wie erhebst und verherrlichst du deinen Urheber!>»

«Vor dem Thron der Heiligsten Dreieinigkeit empfing Gott der Vater die heiligste Jungfrau mit den Worten: <Erhebe Dich über alle meine Geschöpfe, meine Tochter, meine Auserwählte, meine Taube!> Der Sohn Gottes sprach: <Meine Mutter, die menschliche Natur, welche Ich besitze, habe Ich von dir empfangen, und in allen meinen Werken, die Ich auf Erden vollbrachte, bist du in höchster Gleichförmigkeit Mir nachgefolgt; so empfange nun aus meiner Hand die Belohnung deiner Verdienste!> Der Heilige Geist begrüßte sie mit den Worten: <Gehe ein, meine geliebteste Braut, in die ewigen Freuden, welche deiner treuesten Liebe gebühren! Nun liebe und genieße ohne Sorge! Vorüber ist die Zeit der Leiden, du bist in sicherem, in ewigem Besitze unserer Liebeserweise.> Unsere heiligste Mutter wurde bei diesen Worten vom Abgrund der Gottheit, von dem Ozean unendlicher Wonne gleichwie verschlungen. Und alle Himmelsbewohner wurden mit Bewunderung und neuer Seligkeit erfüllt.»

«Wenn ich vom <Throne Gottes> rede, auf welchen Maria erhöht wurde, so ist hier nicht an einen körperlichen Thron zu denken, da Gott als der reinste, körperlose Geist in seiner Unendlichkeit, Unermesslichkeit, Unerfassbarkeit eines körperlichen Thrones oder eines materiellen Sitzes nicht bedarf, indem Er alles erfüllt und in jedem Geschöpfe gegenwärtig ist, ohne dass Er von einem derselben umgeben oder umschlossen werden kann. Auch schauen die Seligen Gott nicht mit körperlichen Augen, sondern mit den Augen des Geistes. Da sie Ihn aber doch an einem bestimmten, von anderen Räumen verschiedenen Orte, nämlich im höchsten Himmel schauen, darum sprechen wir nach unserer irdischen, sinnlichen Ausdrucksweise, dass Gott auf seinem königlichen Thron, als dem Sitz der Heiligsten Dreifaltigkeit wohne. Obwohl Er in Wirklichkeit die Herrlichkeit in sich selber trägt, an der Er seine Heiligen teilnehmen lässt.

«Damit soll aber nicht in Abrede gestellt sein, dass die heiligste Menschheit unseres Erlösers Jesu Christi und seine heiligste Mutter sich an einem, ihnen besonders zukommenden, höheren Orte im Himmel befinden, als die übrigen Heiligen, und dass auch unter den Seligen selber, wenn sie mit Leib und Seele im Himmel sein werden, die mannigfachsten Abstufungen der größeren oder geringeren Entfernung von unserm Erlöser Jesus Christus und von der Himmelskönigin stattfinden werden. Unter <Thron der Gottheit> verstehen wir darum den Ort, wo Gott den Heiligen als der Urgrund der Glorie, als der ewige, unendliche Gott sich offenbart, der unabhängig ist von allem außer Ihm, dessen Willen aber alle Geschöpfe unterworfen sind; wo Er endlich sich offenbart als der König, der Richter und Herr alles dessen, was Dasein besitzt. Diese Herrlichkeit und Würde kommt unserem Erlöser Jesus Christus, sofern Er Gott ist, nach seiner Natur oder Wesenheit zu. Sofern Er aber Mensch ist, besitzt Er sie kraft der hypostatischen Einigung, durch welche sie seiner heiligsten Menschheit mitgeteilt wird, und darum thront Er auch nach seiner Menschheit im Himmel als höchster König, Herr und oberster Richter. Die Heiligen aber, obwohl ihre Glorie und ihre Würde jede menschliche Fassungskraft übersteigt, sind als seine Diener und Untertanen tief unter seiner unnahbaren Majestät.»

«In der nächsten Nähe unseres Herrn und Erlösers ist seine heiligste Mutter, welche an der höchsten Hoheit ihres heiligsten Sohnes in dem geringeren Grade Anteil nimmt, in welchem sie als ein Geschöpf derselben teilhaft werden kann. So dass sie also nach Gott die unmittelbar Ihm Nächste ist und immer und ewig zur Rechten ihres Sohnes als Königin und Herrin, als mächtige Gebieterin aller Geschöpfe thront, deren Herrschaft, so weit sich erstreckt, als die ihres Sohnes, wenn gleich in anderer Weise.»

«Bei Erhöhung der seligsten Jungfrau auf diesen erhabensten Thron sprach Gott der Vater zu den Engeln und Heiligen (I. c. n. 777) : <Maria Unsere Tochter wurde nach ewigem Ratschluss aus allen Kreaturen zu unserem Eigentum erkoren, und sie war die erste, an der Wir vor allen anderen unser Wohlgefallen fanden. Niemals hat sie des Namens und der Würde einer Tochter, die sie von Anbeginn von Uns empfangen hatte, sich unwert gezeigt. So hat sie das Recht, als rechtmäßige Herrin und einzige Königin unseres Reiches anerkannt und gekrönt zu werden.> Und ihr heiligster Sohn sprach: <Meiner wahren Mutter gehören alle Kreaturen, die Ich erschaffen und erlöst habe. Über alles, worüber Ich der König bin, sei auch sie die rechtmäßige, höchste Königin.> Der HI. Geist sprach: <Als meiner einzigen, auserwählten, treuesten Braut gebührt ihr die Krone der Himmelskönigin für alle Ewigkeit.»>

«Nach diesen Worten setzten die drei göttlichen Personen der heiligsten Mutter eine himmlische Krone von solchem Glanze auf das Haupt, wie eine andere Kreatur nie mehr empfangen kann. Vom Throne ging eine Stimme aus, welche sprach: <Freundin, Auserwählte aus allen Geschöpfen, Unser Reich gehört Dir. Du bist Königin, Herrscherin und Gebieterin über die Seraphim, über alle Engel und alle Kreaturen. Beginne, fahre fort mit Glück und herrsche (Ps 44, 5) über sie. Denn nach Unserem höchsten Rat übertragen Wir Dir die Herrrschaft, Majestät und höchste Gewalt. Der Gnade voll über alle, hast Du unter alle aus Demut dich erniedrigt. Darum empfange den ersten Platz vor allen und die Herrschaft über alles, was Unsere Allmacht hervorgebracht. Von deinem königlichen Throne aus wirst du herrschen bis zum Mittelpunkt der Erde. Der Gewalt, welche Wir dir gaben, ist die Hölle mit ihren Einwohnern unterworfen. Sie müssen dich fürchten als die Gebieterin und Herrin auch über die Wohnungen der Finsternis. Herrschen wirst du über die Erde, die Elemente, über alle Geschöpfe auf Erden. In deine Hände und in dein Verfügen stellen Wir die Kräfte und Wirkungen aller erschaffenen Ursachen, ihre Tätigkeiten, ihre Erhaltung, auf dass du nach deinem Gefallen Sonnenschein, Regen, Fruchtbarkeit und Gedeihen spenden mögest. Du bist Königin und Gebieterin über alle Sterblichen, über Tod und Leben. Du bist Königin und Gebieterin, Beschützerin, Fürsprecherin, Mutter und Lehrmeisterin der streitenden Kirche. Du bist die besondere Patronin der katholischen Reiche. Und wer immer zu dir von Herzen ruft, dir zu dienen und zu gefallen sucht, dem wirst du in aller Not und Trübsal zu Hilfe kommen. Du bist die Freundin, Beschützerin und Führerin aller Gerechten. Du wirst sie trösten, stärken und beglücken je nach dem Maß ihrer Andacht zu dir. Zu diesem Ende machen Wir dich zur Bewahrerin Unserer Reichtümer, zur Schatzmeisterin Unserer Güter. In deine Hand geben Wir die Hilfen und Wirkungen der Gnade, auf dass du sie austeilest. Nichts wollen Wir der Welt gewähren, was nicht durch deine Hand ginge. Nichts wollen wir ihr verweigern, was du ihr gewähren willst. Gnade wird über deine Lippen ausgegossen sein bei all deinen Bitten und Anordnungen. Im Himmel und auf Erden und an allen Orten werden Engel und Menschen dir gehorchen. Denn alles, was Unser ist, ist Dein, gleichwie auch du Unser Eigentum warst zu jeder Zeit. Du wirst mit Uns regieren in Ewigkeit.»

«Nun empfing die Königin des Himmels und der Erde die Huldigung aller Chöre der Engel und Heiligen des Himmels (I. c. n. 779). Sie alle erblickten auf dem verklärten Herzen der großen Himmelskönigin eine glänzende Gestalt, gleich einer Kugel oder Scheibe von unaussprechlicher Schönheit, welche ihnen besondere Bewunderung und Freude verursachte und immer verursacht. Es ist dies eine Belohnung und ein ewiges Zeugnis dafür, dass Maria in ihrem Herzen, als in dem würdigsten Tabernakel, das fleischgewordene Wort in sakramentaler Gestalt getragen und dasselbe so würdig, so rein und heilig, ohne irgendweiche Makel oder Unvollkommenheit, vielmehr mit höchster Ehrfurcht, Liebe und Anbetung empfangen hat, wie nie ein anderer Heiliger dies zu tun vermöchte.»

64. Worte der heiligsten Jungfrau an die selige Maria von Agreda (I. c. n. 783). «Meine Tochter! Wenn etwas den Genuss meiner höchsten Seligkeit und Glorie vermindern könnte, und wenn in ihr ein Schmerz noch möglich wäre, so würde ich darüber den größten Schmerz empfinden, dass ich die heilige Kirche in der so großen Trübsal erblicken muss, in welcher sie gegenwärtig sich befindet. Alle Gläubigen wissen, dass ich ihre Mutter, ihre Beschützerin und Mittlerin bin, dass sie durch meine Hilfe und Führung zum Himmel gelangen sollen und dass ich als Königin und Mutter der Barmherzigkeit meine Macht und Güte nur zu ihrem Heile verwende. Aber sie weisen meine hilfreiche Hand zurück, und unzählige Seelen gehen zu Grunde, weil sie es unterlassen, mich von Herzen um meinen Beistand anzurufen, und weil sie mich so der Freude berauben, dem ewigen Verderben sie zu entreissen.»

«Zu keiner Zeit war es den Kindern der Kirche unbekannt, welche Macht ich im Himmel besitze und was meine Vermittlung vermag, um allen zu helfen. Denn durch so viele tausend und tausende von Zeugnissen ist ihnen dies bestätigt, als es Wunder, Zeichen und Gnaden gibt, die ich meinen Dienern zuliebe gewirkt habe. Immerdar erzeigte ich allen, die in ihren Nöten zu mir rufen, meine freigebigste Güte, und um meinetwillen auch mein heiligster Sohn. Nun naht aber die Welt ihrem Ende und doch säumen die Sterblichen, zu Gott sich zu bekehren. Die Kinder der Kirche verstricken sich durch ihre Lauigkeit immer mehr in die Bande des Satans, die Zahl der Sünder wächst, die Verbrechen nehmen zu, je mehr die Liebe erkaltet. Ist es darum zu verwundern, wenn die göttliche Gerechtigkeit zürnt und die angedrohten Strafgerichte sich erfüllen, da die Bosheit der Menschen den höchsten Grad erreicht hat?»

«Doch größer als diese Bosheit ist meine Gütigkeit und Milde, und sie allein ist es, welche die Zuchtrute der göttlichen Gerechtigkeit aufzuhalten vermag, wenn nur die Sterblichen meine Vermittlung anrufen und mir wohlzugefallen sich bestreben wollten!»

«O möchten doch alle Kinder der Kirche beherzigen (ruft die selige Maria von Agreda aus [I. n, 7. 33. ff.]), dass sie keine Ausflucht, keine Entschuldigung haben werden, wenn sie das göttliche Licht zurückweisen, welches die jungfräuliche Gottesgebärerin der Welt bereitet hat. Zur Erleuchtung der Kirche hatte sie der Sohn Gottes in den Anfangszeiten des Glaubens noch auf Erden zurückgelassen, um ihren Erstlingen durch ihre sichtbare, persönliche Gegenwart beizustehen. In dem letzten Zeitalter aber, d. i. in dem gegenwärtigen, will Er ihre Herrlichkeit und Größe noch mehr offenbaren, weil die Kirche dieser Zeit ihres mächtigsten Schutzes und ihrer gütigsten Hilfe viel mehr als je bedürftig ist, um die Welt, den Satan und das Fleisch zu überwinden. Denn in unseren Tagen haben die Feinde Gottes, mächtig geworden durch die Gleichgültigkeit und die Verbrechen der Sterblichen, ihre Herrschaft viel weiter ausgedehnt und üben sie mit weit größerer Gewalt aus, als es jemals der Fall gewesen, um die Menschen der Gnade Gottes und der ewigen Seligkeit zu berauben. Diesen Anstrengungen Luzifers und seiner Verbündeten will der barmherzigste Herr und Heiland die Verdienste und Fürbitten seiner reinsten, unbefleckten Mutter, und die unbegrenzte Macht ihre Schutzes entgegenstellen, sofern nur wir selber in unseren Nöten und Gefahren zu ihr unsere Zuflucht nehmen und unsere Rettung von ihr erflehen wollen. In seiner heiligsten Mutter hat Er uns das Heil gegen alle Geißeln, alle Heimsuchungen und Zuchtruten bereitet, von denen wir um unserer Sünden willen geschlagen werden. Luzifer hat heutzutage nur darum so große Macht auf Erden und vermag nur darum seine Angriffe gegen die heilige Kirche so sehr zu steigern, weil er sieht, dass alle die Eitelkeit und Lust der Welt lieben. Der größte Teil der Schuld und Strafe fällt aber auf die Glieder der Kirche. Denn ihre Sünden, als die Sünden der Kinder, welche den Willen ihres himmlischen Vaters kennen, sind viel schwerer, als die aller anderen. Sie wissen auch, dass das Reich der Himmel Gewalt leidet und dass nur die Gewaltigen es an sich reissen (Mt 11, 12); und doch ergeben sie sich der geistlichen Trägheit und dienen dem Geiste der vergänglichen Welt und den Gelüsten des Fleisches. Weil sie also freiwillig vom bösen Feinde sich täuschen lassen, darum züchtigt sie der höchste Richter durch eben diesen Feind, indem Er nach gerechtem Urteil ihm Gewalt lässt, die heilige Kirche so schrecklich zu verfolgen und ihre Kinder mit den härtesten Geißeln zu schlagen.»

«Da aber der Vater der Erbarmungen die Werke seiner Hände nicht vernichten lassen will, darum bietet Er in dem Schutz unserer heiligsten Mutter Heil und Rettung uns an, indem Er ihre Gebete, ihre Verwendung, ihre flehentlichen Fürbitten seiner Gerechtigkeit entgegenhält, um einen Titel und Anlass zu haben, die durch unsere Sünden verdienten, noch härteren Züchtigungen von uns abzuwenden, oder zu mildern. O möge doch niemand es versäumen, durch eifrigste Liebe und Verehrung der heiligsten Jungfrau ihres mächtigsten Schutzes sich teilhaft zu machen! Keinem kann sie ihr gütigstes Herz verschließen, der in ihm seine Rettung sucht. Mag er kommen in der Nacht der Sünde, oder am hellen Tage der Gnade. Er wird sicher Zutritt und Hilfe finden. Denn so groß ist ihre Liebe und Barmherzigkeit, dass sie nicht erst wartet, bis wir mit Ungestüm vor ihrer Pforte pochen. Denn sie ruft selber uns zu und ist immerdar bereit, die Bitten aller zu erhören, die zu ihr flehen.»

«Wir haben nicht Ursache, die erste Kirche über die glückselige Auszeichnung zu beneiden (1. c. n. 88), dass sie die heiligste Jungfrau noch so viele Jahre in ihrer Mitte besitzen durfte. Denn schon damals hatte die liebevolle Mutter auch uns, die wir in den letzten und gefährlichsten Zeiten leben, vor Augen. Sie hat uns alle gekannt, schon damals für uns gebetet, und um uns sich verwendet, nicht anders als für jene, in deren Mitte sie weilte. Sie ist uns in gleicher Weise Mutter, wie sie es jenen war, und sieht uns ebenso als ihre Kinder an, wie sie jene als solche ansah. Aber leider ist unser Glaube, unser Eifer, unsere Andacht von der der ersten Christen gar sehr verschieden! Maria hat sich nicht geändert, noch hat sich ihre Liebe vermindert. Darum wäre ihr Schutz und Schirm an uns noch heute ebenso mächtig und ebenso fühlbar, wie damals, wenn wir in diesen unglücklichen Tagen eben so vertrauend, eben so demütig und eifrig unser Wohl und Wehe ihren Händen übergeben wollten, wie es die ersten Kinder der Kirche getan haben; und dadurch würde die ganze katholische Kirche bei der großen Königin des Himmels auch jetzt, in ihren letzten Zeiten, dieselbe Hilfe finden, welche sie in der ersten Zeit bei ihr gefunden hat.»

65. Endlich sei noch bemerkt, dass die gottselige A. K. Emmerich jener Überlieferung beipflichtet, nach welcher die seligste Jungfrau nicht in Jerusalem, sondern in der Nähe von Ephesus ihre letzten Lebenstage zugebracht hat, daselbst aus diesem Leben geschieden und zu Grabe von den heiligen Aposteln getragen worden ist. Aus dem sie wenige Tage danach wieder glorreich erstanden und in die ewige Herrlichkeit als Königin des Himmels aufgenommen worden ist. Papst Benedikt XIV. will sich weder für diese noch für die andere Überlieferung entscheiden, wonach nicht in Ephesus, sondern in Jerusalem die heiligste Jungfrau ihre irdische Pilgerschaft beschlossen haben solle. Er sagt: «Nos in utraque controversia, tum de anno, tum de loco quo obiit beata Virgo, nullius partes sequimur, satis contenti, diversas recensuisse sententias et fundamenta, quibus quaeque eorum innititur. Illud tamen repetimus, exploratum esse, beatam Virginem ex hac vita migrasse, ejus animan a corpore fuisse sejunctam, statimque, nulla vel minima mora interjecta, non solum beata visione fuisse praeditam, sed sublatam ad empyreum, et exaltatam esse super choros Angelorum ... Neque hic praetereundum, quod fusius infra docebimus, beatae Virginis corpus paulo post obitum, incorruptibili et gloriosa temperatione suscepta, rursus cum anima coaluisse et nunc in coelo esse.»

Zum Schluss erklärt der Herausgeber in vollkommenster Unterwerfung unter die Dekrete Urbans VIII., dass er dem ganzen Inhalte des vorliegenden Buches keine andere, als rein menschliche Glaubwürdigkeit beilegt und beigelegt wissen will.

P. Carl Erhard Schmoeger