Humani generis (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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'''und die anderen Oberhirten die in [[Friede]]n und Gemeinschaft mit dem [[Apostolischer Stuhl|Apostolischen Stuhle]]  leben, <br>'''
 
'''und die anderen Oberhirten die in [[Friede]]n und Gemeinschaft mit dem [[Apostolischer Stuhl|Apostolischen Stuhle]]  leben, <br>'''
''' über einige falsche Ansichten, die die Grundlagender katholischen Lehre zu untergraben drohen<br>
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''' über einige falsche Ansichten, die die Grundlagen der katholischen Lehre zu untergraben drohen<br>
 
[[12. August]] [[1950]] <br>
 
[[12. August]] [[1950]] <br>
(Lateinischer Text: [[AAS]] XLII [1950] 561-578) </center>
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(Offizieler [[latein]]ischer Text: [[AAS]] XLII [1950] 561-578) </center>
  
(Quelle: Päpstliche Dokumente, Papst Pius XII. über einige falsche Ansichten, die die Grundlagender katholischen Lehre zu untergraben drohen, Humani generis, Lateinischer und deutscher Text, Offizieller deutscher Text, [[Herder Verlag]] Wien 1950; Überschriften und Übersicht aus: Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII. Deutsche Ausgabe des französischen Originals von P. Cattin O.P. und H. Th. Conus O.P. besorgt von Anton Rohrbasser, Paulus Verlag Freiburg Schweiz 1953; [[Imprimatur]] Friburgi Helv., die 22. maii 1953 L. Weber V. G. Die Nummerierung entspricht der [http://www.vatican.va/holy_father/pius_xii/encyclicals/documents/hf_p-xii_enc_12081950_humani-generis_en.html] englischen Fassung.
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(Quelle: [[Herder-Korrespondenz]], 6. Jahrgang, Fünftes Heft - Februar 1952, S. 215-221: Offizielle neue "nach dem lateinischen Urtext durchgesehene und verbesserte" Auflage aus der Vatikanischen Druckerei; die erste Auflage der Vatikanischen Druckerei hatte Mängel ! (aus: Herder-Korrespondenz, 5. Jahrgang S. 215); Überschriften aus: [[Heilslehre der Kirche]], Dokumente von Pius IX. bis Pius XII. Deutsche Ausgabe des französischen Originals von P. Cattin O.P. und H. Th. Conus O.P. besorgt von [[Anton Rohrbasser]], Paulus Verlag Freiburg Schweiz 1953; [[Imprimatur]] Friburgi Helv., die 22. maii 1953 L. Weber V. G. Die Nummerierung entspricht der englischen Fassung).
  
'''Allgemeiner Hinweis:''' ''Die in der Kathpedia veröffentlichen Lehramstexte, dürfen nicht als offizielle Übersetzungen betrachtet werden, selbst wenn die Quellangaben dies vermuten ließen. Nur die Texte auf der Vatikanseite [http://www.vatican.va/holy_father/index_ge.htm] können als offiziell angesehen werden (Schreiben der [[Libreria Editrice Vaticana]] vom 21. Januar 2008).''
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''' <center>Gruß und Apostolischen Segen !</center>'''  
 
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'''[[Datei:Thomas von Aquin.JPG|thumb|right|[[Thomas von Aquin]], der Meister der katholischen [[Priesterausbildung]] ]]'''
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==Einleitung: Moralische Notwendigkeit der Offenbarung==
  
==Einleitung: Moralische Notwendigkeit der Offenbarung==
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'''1''' Die Uneinigkeit der Menschen in Fragen der Religion und der sittlichen Ordnung, wie auch ihr Abirren von der Wahrheit, war von jeher für alle Guten, vor allem für die gläubigen und treuen Söhne der Kirche, Quelle und Grund tiefen Schmerzes. Heute gilt dies ganz besonders, da wir überall selbst die Grundlagen der christlichen Kultur angefochten sehen.
''' 1''' Die Uneinigkeit der Menschen in Dingen der Religion und Moral wie auch ihr Abirren von der Wahrheit war von jeher für alle Guten, besonders die gläubigen und aufrechten Söhne der Kirche, der Grund und die Ursache allertiefsten Schmerzes. Heute gilt das ganz besonders, da Wir überall Angriffe gegen die Grundlagen der christlichen Kultur wahrnehmen.
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'''2''' Es ist nicht zu verwundern, dass außerhalb des Bereiches der Kirche jederzeit solche Uneinigkeit und Abirrung zu finden war. Denn die menschliche Vernunft kann zwar, allgemein gesprochen, mit ihren natürlichen Kräften und Einsichten zu wahrer und sicherer Erkenntnis des einen persönlichen Gottes, des Erhalters und Lenkers der Welt, und zur Erkenntnis des vom Schöpfer in unser Herz gelegten natürlichen Sittengesetzes gelangen; trotzdem stehen aber dem erfolgreichen und nutzbringenden Gebrauch dieser naturgegebenen Befähigung der menschlichen Vernunft: nicht wenige Hindernisse entgegen. Übersteigen doch die Wahrheiten, die sich auf Gott und auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott beziehen, den Bereich der Sinnenwelt; und sollen sie auf das praktische Leben bestimmenden Einfluss gewinnen, so verlangen sie Opferwille und Selbstverleugnung. Für den menschlichen Verstand ist es schwierig, zur Anerkennung derartiger Wahrheiten zu gelangen, einmal wegen des Einflusses der Sinne und der Einbildungskraft, so dann wegen der ungeordneten Begierden, die aus der Erbsünde stammen. So kommt es, dass sich der Mensch in solchen Fragen. gerne einredet, das sei falsch oder wenigstens nicht sicher, was er nicht wahrhaben will.
''' 2''' Es wundert Uns zwar nicht, dass eine solche Uneinigkeit und solche Irrtümer sich immer außerhalb der Kirche Christi fanden; denn wenn auch der menschliche Verstand mit seinen natürlichen Erkenntniskräften an sich zur wahren und sicheren Erkenntnis des einen persönlichen Gottes, der durch seine Vorsehung die Welt schützt und regiert, sowie des Naturgesetzes, das der Schöpfer in unser Herz legte, kommen kann, so bestehen doch für ihn nicht wenige Hindernisse, von seiner ursprünglichen Fähigkeit einen wirklich fruchtbaren Gebrauch zu machen; denn alle Dinge, die sich auf Gott beziehen und das zwischen Gott und den Menschen bestehende Verhältnis angehen, ruhen in Wahrheiten, die die Welt der Sinne überragen. Diese verlangen vom Menschen die Eigenhingabe und Selbstverleugnung, wenn sie auf die Lebensführung Einfluss gewinnen und sie bestimmen. Der menschliche Verstand wird in der Erkenntnis solcher Wahrheiten behindert durch die Gewalt der Sinne und der Einbildungskraft, wie auch durch die verkehrten Leidenschaften, die ihren Ursprung in der Erbsünde haben. Darum reden sich Menschen in diesen Dingen gern ein, es sei das falsch oder zweifelhaft, was sie nicht wahrhaben möchten.
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'''3''' Man muss deshalb die göttliche Offenbarung als moralisch notwendig bezeichnen, damit die religiösen und sittlichen Wahrheiten, die an sich der Vernunft nicht unzugänglich sind, von allen, auch in dem Zustand, in dem die Menschheit sich gegenwärtig befindet, leicht, mit voller Sicherheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt werden können.<ref> Conc, Vatic. D. B., 1876, Const. [[Dei filius|De Fide cath.]], cap. 2, De revelatione.</ref>
  
''' 3''' Darum muss gesagt werden, dass die göttliche ”Offenbarung” moralisch notwendig ist, damit, was in Fragen der Religion und der Sitten dem Verstand an sich nicht verborgen ist, auch bei dem gegenwärtigen Zustande des Menschengeschlechts, von allen leicht, mit fester Gewissheit und ohne jeglichen Irrtum erkannt werden kann.<ref> [[I. Vatikanum|Conc, Vatic.]] D. B., 1876, Const. [[Dei filius|De Fide cath.]], cap. 2, De revelatione</ref>
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'''4''' Ja dem menschlichen Geist kann es mitunter sogar schwierig sein, bezüglich der Glaubwürdigkeit der katholischen Glaubenslehre zu einem sicheren Urteil zu kommen, obwohl Gott so viele und so wunderbare Zeichen gegeben hat, durch die der göttliche Ursprung der christlichen Religion schon allein mit dem natürlichen Licht der Vernunft sicher erwiesen zu werden vermag. Kann sich doch der Mensch, von Vorurteilen irregeleitet oder von Leidenschaften und verkehrtem Willen getrieben, nicht nur der gegebenen Evidenz der äußeren Zeichen, sondern auch den übernatürlichen Eingebungen, die Gott uns ins Herz legt, verschließen und widersetzen.  
  
''' 4''' Ja, zuweilen kann der menschliche Verstand Schwierigkeiten haben bei der Bildung eines sicheren Urteils der ”Glaubwürdigkeit” um den katholischen Glauben selbst, obwohl so zahlreiche und wunderbare Zeichen von Gott kamen, auf Grund derer schon in der Kraft des natürlichen Verstandes der göttliche Ursprung der christlichen Religion sicher bewiesen werden kann. Der Mensch kann ja entweder durch Vorurteile verleitet oder durch Leidenschaft und schlechten Willen angestachelt, sowohl die Evidenz der äußeren Zeichen leugnen, die feststeht, wie auch den übernatürlichen Einflüsterungen widerstehen, durch die Gott zu unseren Herzen spricht.
 
 
 
 
==I. Irrtümliche Lehren der Gegenwart==
 
==I. Irrtümliche Lehren der Gegenwart==
  
 
===1. Irrtümer über die Vernunft und die Offenbarung===
 
===1. Irrtümer über die Vernunft und die Offenbarung===
  
''' 5''' Wer heute die Welt außerhalb der Hürde Christi beobachtet, kann leicht die Hauptwege erkennen, die nicht wenige Gelehrte wählten. Einige lassen unklug und urteilslos die sogenannte Entwicklungslehre, die auf dem eigenen Gebiet der Naturwissenschaften noch nicht sicher bewiesen ist, für den Ursprung aller Dinge zu und verlangen sie; vermessentlich huldigen sie der monistischen und pantheistischen Auffassung, dass das Weltall einer ständigen Entwicklung unterworfen sei. Die Freunde des [[Kommunismus]] aber benützen mit Freuden diese Ansicht, um ihren „dialektischen [[Materialismus]]” wirkungsvoller zu verteidigen und verbreiten, wobei sie jeden Gedanken an [[Gott]] aus den Herzen entfernen.
 
  
'''6''' Die Behauptungen dieser Entwicklungslehre, die alles, was absolut, fest, unveränderlich ist, leugnet, haben dem Irrtum einer neueren Philosophie, die mit dem ”[[Idealismus]]”, ”[[Immanentismus]]” und ”[[Pragmatismus]]” wetteifert und sich ”[[Existenzialismus]]” nennt, die Wege bereitet; er kümmert sich nicht um das unveränderliche [[Wesen]] der Dinge und wendet seine Aufmerksamkeit nur der ”[[Existenz]]” der Einzelgegenstände zu.
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'''5''' Richtet man den Blick auf die, die außerhalb der Kirche Christi stehen, so wird jeder unschwer feststellen können, welche Wege von nicht wenigen unter den Gebildeten hauptsächlich eingeschlagen werden. So finden sich manche, die das sog. Entwicklungssystem, wenngleich es noch nicht einmal auf dem Gebiet der Naturwissenschaften unbestritten feststeht, ohne kluges Abwägen und Unterscheiden annehmen und auf den Ursprung aller Dinge angewendet wissen wollen. Dabei machen sie sich unbedenklich die monistische und pantheistische Auffassung zu eigen, nach der das Weltall einer ständigen Entwicklung unterworfen ist. Diese Auffassung nützen dann die Anhänger des Kommunismus gerne aus, um ihren "dialektischen Materialismus" erfolgreicher zu vertreten und anzupreisen und jeden Gedanken an Gott aus den Herzen herauszureißen.
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'''6''' Derartige Aufstellungen der Entwicklungslehre, die alles verwerfen, was absolut, fest und unveränderlich ist, haben den Weg gebahnt für eine neue Philosophie, die sich zum Idealismus, Immanentismus und Pragmatismus hinzugesellt und Existenzphilosophie genannt wird, da es ihr eigen ist, unter Beiseitesetzung des unveränderlichen Wesens der Dinge sich nur mit der Existenz des Einzelnen zu befassen.  
  
'''7''' Dazu kommt noch ein falscher ”Historizismus”, der nur auf das Geschehen im menschlichen Leben achtet und die Grundlagen jeder Wahrheit und jedes allgemein gültigen Gesetzes vernichtet, sowohl für die Philosophie wie auch für die christlichen Glaubenssätze.
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'''7''' Hieran reiht sich ein falscher Historizismus, der sich ausschließlich an die Geschehnisse des menschlichen Lebens hält und damit die Grundlagen jeder absoluten Wahrheit und jedes absoluten Gesetzes zerstört, sowohl auf dem Gebiete der Philosophie wie auch auf dem der christlichen Dogmen.  
  
'''8''' Bei einer solchen Verwirrung der Meinungen tröstet es Uns ein wenig, zu sehen, dass solche, die in den Grundsätzen des ”Rationalismus” erzogen wurden, heute nicht selten zu den Quellen der göttlichen Offenbarung zurückkehren wünschen und das Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift enthalten ist, als Grundlage der Theologie anerkennen und verkünden. Zugleich aber ist es zu beklagen, wie nicht wenige von ihnen, je fester sie dem Worte Gottes anhängen, desto mehr die menschliche Vernunft herabsetzen, und je höher sie in ihrer Begeisterung die Autorität der göttlichen Offenbarung erheben, desto heftiger das Lehramt der Kirche verachten, das Christus, der Herr, einsetzte, um die von Gott  geoffenbarten Wahrheiten zu bewahren und zu erklären. Das steht aber nicht nur in offenem Widerspruch zur Heiligen Schrift, sondern erweist sich auch in der Erfahrung als falsch; häufig nämlich beklagen sich diese, die sich von der wahren Kirche getrennt halten, über ihre eigene Uneinigkeit in dogmatischen Fragen, so dass sie gegen ihren Willen die Notwendigkeit des lebendigen Lehramtes bezeugen.
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'''8''' Bei einem derartigen Wirrwarr von Anschauungen ist es für Uns ein gewisser Trost, zu sehen, wie Menschen, die nach den Grundsätzen des [[Rationalismus]] gebildet wurden, heute nicht selten zu den Quellen der göttlichen Offenbarung zurückzukehren wünschen und das in der Heiligen Schrift niedergelegte Wort Gottes als Grundlage der theologischen Wissenschaft anerkennen und aufstellen. Doch ist es beklagenswert, dass dabei nicht wenige unter ihnen, je fester sie sich an das Wort Gottes halten, desto mehr die menschliche Vernunft beiseite schieben, und je mehr sie geneigt sind, die Autorität des offenbarenden Gottes zu betonen, desto entschiedener das Lehramt der Kirche ablehnen, das doch Christus der Herr eingesetzt hat, um die von Gott geoffenbarte Wahrheit zu hüten und zu erklären. Ein solches Verhalten steht nicht nur in klarem Widerspruch zur Heiligen Schrift, sondern wird auch von der Erfahrung als falsch erwiesen. Oft genug klagen ja gerade die, die von der wahren Kirche getrennt sind, laut über ihre eigene Uneinigkeit in Fragen der Glaubenslehren und legen damit, ohne es zu wollen, Zeugnis ab für die Notwendigkeit eines lebendigen Lehramtes.
  
===2. Gefährliche Haltungen im kirchlichen Bereich===
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===2.Gefährliche Haltungen im kirchlichen Bereich===
  
'''9''' Es ist aber Pflicht der katholischen Theologen und Philosophen, die die große Aufgabe haben, die göttliche und menschliche Wahrheit zu verteidigen und den Herzen der Menschen einzupflanzen, diese mehr oder weniger vom rechten Weg abirrenden Ansichten zu kennen und zu beachten. Ja, diese Lehrmeinungen selbst sollen ihnen gut bekannt sein, weil schon Krankheiten nicht gut geheilt werden können, wenn sie nicht richtig erkannt sind, dann auch, weil in falschen Ansichten häufig ein Körnchen Wahrheit liegt; endlich auch drängen diese dazu, bestimmte philosophische und theologische Wahrheiten eifriger zu untersuchen und durchzudenken. 
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'''9''' Katholische Theologen und Philosophen, die die wichtige Aufgabe haben, ein Hort der göttlichen und menschlichen Wahrheit zu sein und sie den Herzen der Menschen einzupflanzen, dürfen gewiss über diese Anschauungen, die vom rechten Weg mehr oder weniger abweichen, nicht in Unkenntnis sein oder sie unbeachtet lassen. Ja gerade sie müssen diese Anschauungen gründlich kennen; denn Krankheiten können nicht geheilt werden, wenn sie nicht zuerst richtig erkannt sind; sodann ist in solchen falschen Aufstellungen mitunter ein Körnchen Wahrheit enthalten; endlich spornen sie dazu an, gewisse philosophische und theologische Wahrheiten sorgfältiger zu erforschen und durchzudenken.  
  
'''10''' Wenn unsere Philosophen und Theologen aus der gründlichen Untersuchung dieser Lehren nur solche Früchte suchen wollten, hätte das kirchliche Lehramt keinen Grund, Einspruch zu erheben. Aber wenn Wir auch wissen, dass die katholischen Lehrer sich im allgemeinen vor diesen Irrtümern hüten, so fehlt es doch heute, wie in den apostolischen Zeiten, nicht an solchen, die allzu sehr das Neue suchen, oder aber auch fürchten, in den Dingen des wissenschaftlichen Fortschritts für unwissend gehalten zu werden, und darum sich der Leitung des heiligen Lehramtes zu entziehen trachten; so laufen sie Gefahr, sich unmerklich den geoffenbarten Wahrheiten zu entfernen und auch andere mit sich in den Irrtum zu ziehen.
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'''10''' Wenn sich nun unsere Philosophen und Theologen damit begnügten, diese Lehren unter Wahrung der gebotenen Vorsicht zu studieren und daraus die oben genannten Früchte zu ziehen, so läge für ein Einschreiten des kirchlichen Lehramtes kein Grund vor. Wir wissen zwar recht wohl, dass die katholischen Gelehrten diesen Irrtümern gegenüber meistens auf der Hut sind; aber anderseits steht doch fest, dass es heute, wie zur Zeit der Apostel, nicht an solchen fehlt, die über Gebühr auf Neues ausgehen und sogar fürchten, man könnte sie in Fragen der heutigen fortgeschrittenen Wissenschaft für unwissend halten. So haben sie das Bestreben, sich der Leitung des kirchlichen Lehramtes zu entziehen, und laufen damit Gefahr, nach und nach sogar von der gottgeoffenbarten Wahrheit abzuirren und auch andere mit sich in den Irrtum hineinzuziehen.  
  
'''11''' Es zeigt sich auch eine andere Gefahr, die umso größer ist, als sie sich mehr in den Schein der Tugend hüllt. Viele, die den Zwiespalt und die Verirrung der Geister betrauern, lassen sich von einem unklugen Eifer treiben, von ihrem Inneren drängen und brennen in unüberlegter Begierde, die Umzäunungen zu entfernen, durch die gute und aufrechte Menschen voneinander getrennt sind; sie geben sich einem solchen ”Irenismus” hin, dass sie unter Beiseitesetzung der trennenden Fragen nicht nur auf den Atheismus schauen, den sie mit vereinten Kräften bekämpfen, sondern auch auf die Beseitigung der Gegensätze in den Glaubenslehren. Und wie es eine Zeit gab, da sich manche fragten, ob nicht die herkömmliche Apologetik mehr ein Hindernis sei, die Seelen für Christus zu gewinnen, so fehlt es auch heute nicht an solchen, die so weit zu gehen wagen, dass sie ernstlich die Frage vorlegen, ob nicht die heutige Theologie und ihre Methode, die von der kirchlichen Autorität gebilligt werden, nicht nur vervollkommnet, sondern ganz reformiert werden müsste, damit das Reich Christi auf der ganzen Welt, unter Menschen jeder Kultur und jeder religiösen Anschauung wirkungsvoller verbreitet werden könne.
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'''11''' Daneben zeigt sich noch eine andere Gefahr, die um so ernster ist, je mehr sie sich in das Gewand der Tugend kleidet. Viele nämlich, die den Zwiespalt unter den Menschen und die Verwirrung der Geister beklagen, lassen sich von unklugem Eifer hinreißen und verlangen sehnlichst darnach, die Schranken niederzulegen, die rechtlich denkende, ehrenwerte Menschen voneinander scheiden. In dieser "irenischen" Einstellung gehen sie so weit, dass sie die Fragen, die die Menschen trennen, beiseite setzen und nicht nur daran arbeiten, mit vereinten Kräften den Ansturm des Atheismus abzuwehren, sondern auch in Fragen der Glaubenslehre Unvereinbares zu vereinbaren. Und wie es früher Leute gab, die sich die Frage stellten, ob die herkömmliche Art der kirchlichen Apologetik nicht eher ein Hindernis als eine Hilfe sei, die Seelen für Christus zu gewinnen, so fehlt es auch heute nicht an solchen, die so weit zu gehen wagen, dass sie sich allen Ernstes fragen, ob die Theologie und ihre Methode, wie sie in den Schulen mit Billigung der kirchlichen Autorität in Übung sind, nicht nur der Verbesserung, sondern einer vollen Umgestaltung bedürfe, damit das Reich Christi in aller Welt, unter Menschen jeglicher Kultur und jeglicher religiöser Anschauung mit größerem Erfolg ausgebreitet werde.
  
'''12''' Wenn diese nur die Absicht hätten, durch Einführung irgendeiner Neuerung die kirchliche Lehre und ihre Methode den modernen Verhältnissen und Anforderungen anzupassen, gäbe es kaum einen Grund zur Besorgnis; aber in dem unklugen Übereifer ihres ”Irenismus” halten anscheinend einige auch die Dinge für Hindernisse der brüderlichen Verständigung, die auf den Gesetzen und Grundsätzen Christi und den von ihm gegründeten Einrichtungen selbst beruhen, oder die als Bollwerk und Stütze des unversehrten Glaubens dastehen; wenn diese fallen, dann ist zwar alles geeint, aber nur zum allgemeinen Ruin.
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'''12''' Wenn nun die Betreffenden auf nichts anderes ausgingen, als die kirchliche Wissenschaft und ihre Methode durch Einführung gewisser Neuerungen den Verhältnissen und Anforderungen der Jetztzeit mehr anzupassen, bestünde kaum ein Grund zu Besorgnis. Aber im Übereifer eines unklugen Irenismus erblicken manche, wie es scheint, ein Hindernis für die Wiederherstellung der Einheit unter den getrennten Brüdern in Dingen, die auf Normen und Grundsätzen ruhen, die Christus selbst aufgestellt, und auf Einrichtungen, die er getroffen hat, oder die Bollwerke und Pfeiler für die Unversehrtheit des Glaubens bilden, bei deren Sturz zwar alles eins wird, aber nur in Trümmern.  
  
'''13''' Moderne Ansichten dieser Art, ob sie nun aus der traurigen Sucht nach Neuerungen hervorgehen oder einen lobenswerten Grund haben, werden nicht immer in der gleichen Abstufung, derselben Deutlichkeit oder den gleichen Ausdrücken vorgelegt, auch nicht immer unter einmütiger Zustimmung ihrer Urheber; denn was heute von einigen mit gewissen Einschränkungen und Unterscheidungen, in mehr verdeckter Weise gelehrt wird, das bringen morgen andere, die weniger zurückhaltend sind, offen, in übertriebene Weise vor; und zwar zum Ärgernis für viele, besonders den jüngeren Klerus und zum Schaden der kirchlichen Autorität. Was bei Veröffentlichungen in Buchform mit mehr Vorsicht behandelt wird, das wird offener vorgestellt in privat verarbeiteten Schriften, in Verlesungen und Besprechungen. Diese Auffassungen finden ihre Verbreitung nicht nur beim Welt und Ordensklerus und in den Seminarien, sondern auch in Laienkreisen, besonders bei den Jugenderziehern.
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'''13''' Derartige neue Anschauungen, ob sie nun aus verwerflicher Neuerungssucht oder aus einem lobenswerten Beweggrund stammen, werden nicht immer in gleichem Umfang, mit gleicher Deutlichkeit und mit gleichen Ausdrücken vorgetragen; auch sind ihre Vertreter unter sich dabei nicht immer völlig eins. Denn was die einen heute mehr verschleiert vorlegen in vorsichtig gewählten Wendungen und mit gewissen Unterscheidungen, lehren morgen andere mit größerer Kühnheit offen und hemmungslos, und das nicht ohne Anstoß für viele, insbesondere für den jungen Klerus, und nicht ohne Schädigung der kirchlichen Autorität. Wenn man sich bei der Veröffentlichung von Büchern gewöhnlich noch größere Zurückhaltung aufzuerlegen pflegt, so spricht man schon ungehemmter in Schriften, die unter der Hand rundgegeben werden, in Vorträgen und in geschlossenen Zirkeln. Solche Ansichten werden nicht nur unter dem Welt- und Ordensklerus verbreitet, sondern auch in Laienkreisen, vor allem bei den Lehrern und Erziehern der Jugend.  
  
 
===3. Theologischer und dogmatischer Relativismus===
 
===3. Theologischer und dogmatischer Relativismus===
  
'''14''' In der Theologie aber gehen einige darauf aus, den Begriff der Dogmen möglichst abzuschwächen; das Dogma selbst möchten sie von der in der Kirche seit langem üblichen Ausdrucksweise und den Begriffen der katholischen Philosophie freimachen, um bei der Erklärung der katholischen Lehre zu den Formulierungen der Heiligen Schrift und der heiligen Väter zurückzukehren. So hoffen sie, dass das Dogma, gereinigt von allen Bestandteilen, die nach ihren Worten äußerliche Bestandteile der göttlichen Offenbarung sind, zu einem fruchtbaren Vergleich kommt mit den Glaubenssätzen der von der Kirche Getrennten, um dann so den Weg zu finden, das katholische Dogma und die von ihm abweichenden Ansichten einander anzugleichen.
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'''14''' Was nun die Theologie betrifft, so gehen einige darauf aus, den Sinn der Dogmen möglichst abzuschwächen und das Dogma von der Ausdrucksweise, die seit langem in der Kirche gebräuchlich ist, und von den philosophischen Begriffen, deren sich die katholischen Gelehrten bedienen, freizumachen, um statt dessen bei der Darlegung der katholischen Lehre zur Sprechweise der Heiligen Schrift und der Kirchenväter zurückzukehren. Wenn das Dogma der Elemente, die der göttlichen Offenbarung angeblich nur äußerlich anhaften, erst entkleidet sein werde, dann lasse es sich, so hoffen sie, mit Aussicht auf Erfolg mit den Lehrmeinungen der von der Kirche Getrennten vergleichen, und so werde man schrittweise zu einer wechselseitigen Angleichung des katholischen Dogmas und der Anschauungen der Andersgläubigen gelangen.  
  
'''15''' Haben sie dann die katholische Lehre zu diesem Stand gebracht, so glauben sie, werde der Weg bereitet, auf dem den modernen Bedürfnissen entsprechend das Dogma auch in den Begriffen der heutigen Philosophie ausgedrückt werden könne, ganz gleich, ob es der ”Immanentismus”, ”Idealismus”, ”Existenzialismus“ oder irgendein anderes System ist. Es könne und müsse das deshalb auch geschehen, behaupten einige mit einiger Kühnheit, weil die Geheimnisse des Glaubens sich niemals in Begriffe fassen lassen, die vollständig der Wahrheit entsprechen, sondern nur in Ausdrücken, die ”annäherungsweise” wahr, und ständig Veränderungen unterworfen sind; diese deuten die Wahrheiten zwar einigermaßen, gestalten sie aber auch notwendigerweise um. Darum halten sie es nicht für abwegig, sondern für durchaus notwendig, dass die Theologie entsprechend den verschiedenen Philosophien, deren sie sich im Laufe der Zeit als Instrument bedient, neue Begriffe an die Stelle der alten setze, so dass sie auf verschiedene Weise, die unter sich sogar in gewissem Sinn im Widerspruch stehen, aber, wie sie sagen, das gleiche bedeuten, die gleichen göttlichen Wahrheiten in menschlicher Art ausdrücken. Sie fügen noch hinzu, die Geschichte der Dogmen bestehe in der Wiedergabe der verschiedenen aufeinanderfolgenden Formen, in die die Wahrheit sich gekleidet habe, entsprechend den verschiedenen Lehren und Ansichten, die im Laufe der Zeiten entstanden.
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'''15''' Sei die katholische Lehre einmal auf diesen Stand gebracht, so werde damit, meinen sie, ein Weg geschaffen, auf dem man, wie es die heutigen Verhältnisse erheischen, das Dogma auch in den Begriffen der modernen Philosophie ausdrücken könne, des Immanentismus, des Idealismus, der Existenzphilosophie oder irgendeines anderen Systems. Das könne und müsse, betonen manche mit noch größerer Dreistigkeit, auch deshalb geschehen, weil sich ihrer Ansicht nach die Geheimnisse des Glaubens niemals durch vollständig zutreffende, sondern nur durch sog. angenäherte und ständig wandelbare Begriffe ausdrücken lassen, durch Begriffe, die die Wahrheit zwar in etwa andeuten, aber notwendigerweise auch entstellen. Sie halten es daher nicht für widersinnig, sondern für durchaus notwendig, dass die Theologie, entsprechend den verschiedenen philosophischen Systemen, deren sie sich im Lauf der Zeit als ihrer Werkzeuge bedient, die alten Begriffe durch neue ersetzt. Auf diesem Wege werde es gelingen, in zwar verschiedenen, in gewisser Hinsicht sogar entgegengesetzten, aber nach ihrer Meinung gleichwertigen Fassungen dieselben göttlichen Wahrheiten so wiederzugeben, wie es der Natur des Menschen entspricht. Sie fügen hinzu, die Dogmengeschichte bestehe in der Aufweisung der verschiedenen aufeinanderfolgenden Formen, in die die geoffenbarten Wahrheiten je nach den verschiedenen im Lauf der Jahrhunderte auftauchenden Lehrsystemen und Anschauungen gekleidet worden seien.  
  
'''16''' Die bisherigen Ausführungen zeigen deutlich, dass diese Versuche nicht nur zum sogenannten dogmatischen ”Relativismus” führen, sondern ihn bereits enthalten; er ist auch allzu sehr begünstigt durch die Verachtung der gewöhnlich überlieferten Lehre gegenüber, sowie der Worte, mit denen sie sich ausdrückt. Es leugnet wohl niemand, dass die Bezeichnungen für diese Begriffe, wie sie in der Schule und vom kirchlichen Lehramt benützt werden, verbessert und gefeilt werden können; außerdem ist bekannt, dass sich die Kirche im Gebrauch dieser Ausdrücke noch immer gleich blieb. Klar ist auch, dass sie sich nicht an irgendein kurzlebiges philosophisches System binden kann; die Begriffe und Bezeichnungen, die von den katholischen Gelehrten nach gemeinsamer Übereinkunft im Laufe mehrerer Jahrhunderte geprägt wurden, um eine Glaubenslehre verständlich zu machen, stützen sich wahrhaftig nicht auf ein so hinfälliges Fundament. Sie stützen sich im Gegenteil auf Prinzipien und Begriffe, die aus wahrheitsgemäßer Erkenntnis der geschaffenen Welt abgeleitet wurden; allerdings erleuchtete die geoffenbarte Wahrheit durch die Kirche wie ein heller Stern den Verstand des Menschen. Es wundert Uns darum nicht, wenn einige von diesen Begriffen von den Allgemeinen Konzilien nicht nur angewandt, sondern auch feierlich bestätigt wurden; es ist darum unrecht, sie fallen zu lassen.
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'''16''' Die bisherigen Ausführungen zeigen klar, dass derartige Bemühungen nicht nur zum dogmatischen Relativismus hinführen, sondern ihn schon tatsächlich enthalten. Diesen Relativismus begünstigt nur allzu sehr die Geringschätzung, mit der man der traditionellen, allgemein angenommenen Lehre und der Terminologie, in der sie ausgedrückt wird, begegnet. Gewiss sieht jedermann, dass derartige Fachausdrücke, wie sie in den Schulen und vom kirchlichen Lehramt selbst gebraucht werden, eine Vervollkommnung und Verfeinerung erfahren können; außerdem ist bekannt, dass die Kirche im Gebrauch dieser Ausdrücke nicht immer konstant war. Auch ist klar, dass sich die Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System binden kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in jahrhundertelanger Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die der wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen; bei Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung, wie ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte. Daher ist es nicht zu verwundern, dass einige derartige Begriffe von ökumenischen Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt wurden, so dass es nicht erlaubt ist, davon abzugehen.  
  
'''17''' Es wäre sehr töricht, die Begriffe und Bezeichnungen, an denen Menschen außergewöhnlicher Geisteskraft und Heiligkeit unter der Aufsicht des kirchlichen Lehramtes, in der Gnade und unter Leitung des Heiligen Geistes Jahrhunderte lang geformt und gefeilt haben, um geistige Glaubenswahrheiten noch stets genauer in Werte zu fassen, zu vernachlässigen, zu verwerfen oder ihres Wertes zu berauben, um ihre Stelle mutmaßliche Begriffe zu stellen und Worte einer neuen Philosophie, die weder eine feste Form noch Gestalt hat, Begriffe, die wie die Blumen des Feldes heute bestehen und morgen fallen; es macht diese Auffassung das Dogma zu einem Rohr, das vom Winde hinund hergetrieben wird. Die Verachtung der Bezeichnungen und Begriffe, die die scholastische Theologie gebraucht, führt auch von selbst zur Schwächung der spekulativen Theologie, der sie keine Sicherheit zuschreiben, weil sie sich auf theologische Beweisgründe stützt.
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'''17''' Vieles und Wertvolles ist in jahrhundertelanger Arbeit von Männern nicht gewöhnlicher Geisteskraft und Heiligkeit unter der wachsamen Aufsicht des kirchlichen Lehramtes und nicht ohne Erleuchtung und Führung des Heiligen Geistes erfasst, zum Ausdruck gebracht und nach und nach vervollkommnet worden, um die Wahrheiten des Glaubens immer bestimmter auszudrücken. All dies beiseite zu lassen, zu verwerfen oder seines Wertes zu entkleiden und an seine Stelle Begriffe, die auf unsicheren Voraussetzungen ruhen, und wandelbare und ungenaue Ausdrücke einer neuen Philosophie zu setzen, die wie die Blumen des Feldes heute sind und morgen vergehen, ist daher nicht nur im höchsten Grade unklug, sondern heißt auch das Dogma selbst gewissermaßen zu einem vom Winde hin und her bewegten Rohr machen. Die Geringschätzung der Ausdrücke und Begriffe, deren sich die scholastischen Theologen zu bedienen pflegen, führt von selbst dazu, der sog. spekulativen Theologie ihre Kraft zu nehmen, da diejenigen, die so vorangehen, der Ansicht sind, sie biete keine echte Sicherheit, weil sie sich auf theologisches Schluss verfahren stütze.  
  
 
===4. Falscher Begriff vom Lehramt der Kirche===
 
===4. Falscher Begriff vom Lehramt der Kirche===
  
'''18''' Leider gehen diese Neuerer von der Verachtung der scholastischen Theologie sehr leicht dazu über, das Lehramt der Kirche selbst, das diese Theologie mit ihrer Autorität so sehr stützt, nicht zu beachten oder sogar zu verachten. Sie stellen dieses Lehramt als ein Hemmnis für den Fortschritt und als ein Hindernis für die Wissenschaft hin. Einige Nichtkatholiken aber sehen es als ungerechten Zwang an, der Theolegen von höherer Bildung davon abhält, ihre Lehrmeinungen zu reformieren. Und wenn auch dieses heilige Lehramt für einen jeden Theologen in Dingen des Glaubens und der Sitten die nächste und allgemeine Norm sein muss (da Christus, der Herr, ihm den ganzen Glaubensschatz anvertraut hat, d. h. die Heilige Schrift und die göttliche Überlieferung, um ihn zu behüten, zu verteidigen und zu erklären), so gerät doch immer wieder in Vergessenheit, als wenn sie nicht bestände, die Pflicht der Gläubigen, ebenfalls diese Irrtümer zu fliehen, die sich mehr oder weniger der Häresie nähern, und also ”auch die Konstitutionen und Erlasse zu beachten, mit denen der Heilige Stuhl falsche Ansichten dieser Art verworfen und verboten hat“. <ref> [[CIC]],  can. 1324; cfr. Conc. Vat., D, B. 1820, Cost. [[Dei filius|De Fide cath.]], cap. 4, De fide et  ratione, post canones. </ref> Mit Absicht haben sich einige daran gewöhnt, das nicht zu beachten, was die Rundschreiben der Römischen Päpste über die Natur und die Einrichtung der Kirche sagen, nur um eine mehr unbestimmte Auffassung vorherrschen zu lassen, die sie aus den Schriften der alten Väter, besonders der griechischen, geschöpft zu haben behaupten. Die Päpste, so pflegen sie zu sagen, wollen kein Urteil abgeben in den Fragen, über die die Theologen disputieren, und darum sei es nötig, zu den ersten Quellen zurückzugehen und die neueren Konstitutionen und Erlasse des kirchlichen Lehramtes nach den Schriften der Alten zu erklären. 
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'''18''' In der Tat gehen die Vertreter der neuen Richtung leider von der Geringschätzung der scholastischen Theologie leicht einen Schritt weiter zur Vernachlässigung, ja sogar zur Verachtung des kirchlichen Lehramtes selbst, das diese Theologie mit seiner Autorität so nachdrücklich gutheißt. Sehen sie doch dieses kirchliche Lehramt als Hemmschuh des Fortschrittes und Hindernis der Wissenschaft an; manche Nichtkatholiken hinwieder betrachten es als eine Art unberechtigten Zügels, der einige aufgeschlossenere Theologen an der Erneuerung ihres Faches hindere. Und doch muss das kirchliche Lehramt für jeden Theologen in Sachen des Glaubens und der Sitten nächste und allgemeine Norm der Wahrheit sein, da ja ihm Christus der Herr die ganze [[Glaubenshinterlage]], die Heilige Schrift und die göttliche überlieferung, zur Bewahrung, Verteidigung und Erklärung anvertraut hat. Trotzdem wird die Verpflichtung, die den Gläubigen obliegt, auch jene Irrtümer zu fliehen, die der Häresie mehr oder weniger nahekommen, und sich daher auch "an die Kundgebungen und Erlasse zu halten, durch die derartige Ansichten vom Heiligen Stuhl verurteilt und verboten werden",<ref>[[CIC]],   e  an. 1324; cfr. Conc. Vat., D, B. 1820, Cost. [[Dei filius|De Fide cath.]], cap. 4, De fide et  ratione, post canones.</ref> bisweilen in einer Weise übergangen, als ob sie überhaupt nicht bestünde. Was die Römischen Päpste in ihren Rundschreiben über die Natur und Verfassung der Kirche darlegen, wird von manchen geflissentlich außer acht gelassen, und dies deshalb, damit ein mehr unbestimmter Begriff, der, wie sie erklären, aus den alten Kirchenvätern, besonders den Griechen, geschöpft sei, sich durchsetze. Denn die Päpste, so behaupten sie immer wieder, beabsichtigen nicht, über Fragen, die unter den Theologen strittig sind, ein Urteil abzugeben; man müsse daher auf die alten Quellen zurückgehen und die neueren Kundgebungen und Erlasse des kirchlichen Lehramts nach den Schriften des Altertums auslegen.
  
'''19''' Wenn das auch geistreich zu sein scheint, es liegt doch ein Irrtum darin. Wahr ist, dass die Päpste im allgemeinen den Theologen die Freiheit lassen in den Fragen, in denen hervorragende Geisteslehrer verschiedener Meinung sind; die Geschichte lehrt aber auch, dass in verschiedenen Fragen, die vorher umstritten waren, nachher keine Verschiedenheit der Meinungen zugelassen wurde.
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'''19''' Das mag nun treffend gesagt erscheinen, ist aber nicht frei von Trug. Es ist ja gewiss richtig, dass die Päpste den Theologen im allgemeinen Freiheit lassen in Fragen, die von bedeutenden Gottesgelehrten so oder anders verstanden werden; aber die Geschichte lehrt auch, dass manches, was zuerst Gegenstand freier Meinung war, später keine Freiheit der Meinung mehr zuließ.  
  
'''20''' Man darf ebenfalls nicht annehmen, man brauche den Rundschreiben nicht zuzustimmen, weil die Päpste darin nicht ihr höchstes Lehramt ausüben. Sie sind aber doch Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, von dem auch das Wort Christi gilt: ”Wer euch hört, der hört mich”<ref> {{B|Lk|10|16}}</ref>. Sehr häufig gehört das, was die Enzykliken lehren und einschärfen, sonst wie schon zum katholischen Lehrgut. Wenn die Päpste in ihren Akten ein Urteil über eine bislang umstrittene Frage aussprechen, dann ist es für alle klar, dass diese nach der Absicht und dem Willen dieser Päpste nicht mehr der freien Erörterung unterliegen kann. 
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'''20''' Man darf auch nicht die Ansicht hegen, das, was in den Päpstlichen Rundschreiben gesagt wird, verlange an sich keine Zustimmung, weil die Päpste in solchen Schreiben nicht von ihrer höchsten Lehrgewalt Gebrauch machen. Denn es ist das Ordentliche Lehramt, das hier spricht, von dem ganz ebenso das Wort gilt: ?,Wer euch hört, höret mich"<ref>{{B|Lk|10|16}}. </ref> und meist gehören die Dinge, dIe in den Enzykliken gesagt und eingeschärft werden, auch schon sonstwie zur katholischen Lehre. Wenn aber Päpste in Ihren amtlichen Kundgebungen zu einer bisher strittigen Frage mit Absicht Stellung nehmen, so ist allen klar, dass diese Sache nach Meinung und Wille eben dieser Päpste nicht mehr als Gegenstand freier Meinungsäußerung unter den Theologen betrachtet werden kann.
  
'''21''' Wahr ist ebenfalls, dass die Theologen ständig auf die Quellen der göttlichen Offenbarung zurückgreifen sollen; es ist ja ihre Aufgabe, aufzuzeigen,. warum das, was das lebendige Lehramt vorbringt, sich in der Heiligen Schrift und in der göttlichen „Überlieferung” entweder ausdrücklich oder einschließend findet<ref>  [[Pius IX.]], [[Inter gravissimas]], 28 oct. 1870, Acta, voI, I, p. 260. </ref>. Sicher ist, dass dieser doppelte Quell der Lehre göttlicher Offenbarung so viele und so große Schätze der Wahrheiten enthält, dass er nie wirklich ganz ausgeschöpft werden kann. Darum erneuern auch die heiligen Wissenschaften durch das Studium der heiligen Quellen ihre Kraft, während die Spekulation, die eine weitere Untersuchung des Glaubensschatzes vernachlässigt, wie Wir durch Erfahrung feststellen konnten, ohne Frucht bleibt. Aus diesem Grunde kann auch die sogenannte positive Theologie nicht einfach mit der Geschichtswissenschaft gleichgestellt werden, da Gott der Kirche zusammen mit diesen heiligen Quellen das lebendige Lehramt schenkte, um auch die Wahrheiten zu erklären und zu entfalten, die im ”Depositum fidei” nur dunkel und gleichsam eingehüllt enthalten sind. Diesen Glaubensschatz hat der Heiland weder den einzelnen Christgläubigen noch auch den Theolegen selbst zur authentischen Erklärung hinterlassen, sondern allein dem kirchlichen Lehramt. Wenn aber die Kirche dieses ihr Amt, wie es im Laufe der Zeiten häufig geschehen ist, durch einen ordentlichen oder außerordentlichen Akt ausübt, so steht als sicher fest, dass die Methode falsch ist, nach der man klare Wahrheiten aus unklaren beweisen will; im Gegenteil müssen alle den entgegengesetzten Weg gehen. Darum fügte Unser unvergesslicher Vorgänger, Pius IX., bei der Erklärung, dass es vornehmste, Aufgabe der Theologie sei, zu zeigen, wie die von der Kirche feierlich aufgestellte Lehre in den Quellen enthalten sei, nicht ohne wichtigen Grund die Worte hinzu : ”in dem gleichen Sinn, wie die Kirche sie definierte”.
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'''21''' Richtig ist auch, dass die Theologen immer wieder auf die Quellen der göttlichen Offenbarung zurückgehen müssen: ist es doch ihre Aufgabe zu zeigen, inwiefern das, was das lebendige Lehramt verkündet, in der Heiligen Schrift und in der göttlichen Überlieferung, sei es ausdrücklich, sei es einschließlich, enthalten ist. Es kommt hinzu, dass beide Quellen der von Gott geoffenbarten Lehre so reiche und so bedeutsame Schätze der Wahrheit bergen, dass sie in der Tat nie ganz ausgeschöpft werden können. Daher erfahren die theologischen Wissenschaften durch das Studium der heiligen Quellen immer wieder eine Verjüngung, wogegen eine Spekulation, die das beständige Zurückgreifen auf die [[Glaubenshinterlage]] vernachlässigt, erfahrungsgemäß unfruchtbar wird. Aber das ist kein genügender Grund, die Theologie, auch nicht die sog. positive, mit der reinen Geschichtswissenschaft auf gleiche Stufe zu stellen. Denn Gott hat seiner Kirche zugleich mit den genannten heiligen Quellen das lebendige Lehramt gegeben, damit es auch das, was in der [[Glaubenshinterlage]] nur dunkel und gleichsam Einschlussweise enthalten ist, aufhelle und herausstelle. Diese [[Glaubenshinterlage]] hat der göttliche Erlöser nicht den einzelnen Gläubigen und selbst nicht den Theologen, sondern ausschließlich dem kirchlichen Lehramt zur authentischen Erklärung anvertraut. Wenn nun die Kirche, wie es im Lauf der Jahrhunderte zu wiederholten Malen geschehen ist, dieses ihr Amt ausübt - sei es in der Form der ordentlichen, sei es in der der außerordentlichen Betätigung -, so ist offensichtlich, dass eine Methode, in der Klares aus Unklarem erklärt wird, durch und durch falsch ist, dass vielmehr von allen notwendigerweise die entgegengesetzte Ordnung befolgt werden muss. Daher fügte Unser Vorgänger unvergesslichen Angedenkens, Pius IX., der Erklärung, es sei die vornehmste Aufgabe der Theologie, zu zeigen, wie eine von der Kirche definierte Lehre in den Glaubensquellen enthalten sei, nicht ohne schwerwiegenden Grund die Worte bei: "in eben dem Sinn, in dem sie [von der Kirche] definiert worden ist".<ref>[[Pius IX.]], [[Inter gravissimas]], 28 oct. 1870, Acta, voI, I,p. 260. </ref> 
  
 
===5. Missverstandene Auslegung der Heiligen Schrift===
 
===5. Missverstandene Auslegung der Heiligen Schrift===
  
'''22''' Kehren wir zu den neuen Ansichten zurück, die oben berührt wurden. Mehrere Dinge werden von einigen vorgetragen und den Herzen eingeflößt zum Schaden der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift. Sie verdrehen kühn den Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift und erneuern den bereits öfters verworfenen Satz, nach dem sich die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift nur auf die Gegenstände bezieht, die über Gott, und Fragen der Moral und der Religion handeln. In falscher Weise sprechen sie über einen menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem nach ihrer Exklärung der göttliche Sinn verborgen liege. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift wollen sie der Analogie des Glaubens und der ”Überlieferung” keine Rechnung tragen, so dass mehr die Lehre der heiligen Väter und des kirchlichen Lehramtes zu messen sei nach der Heiligen Schrift – die von den Exegeten in rein menschlicher Weise erklärt werden müsse –, als die Heilige Schrift zu erklären: sei nach dem Sinn der Kirche, die aber von Christus dem Herrn als Hüterin und Erklärerin des ganzen von Gott offenbarten Glaubensschatzes aufgestellt ist.
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'''22''' Kehren wir nunmehr zu den oben berührten neueren Ansichten zurück. Hier wird auch manches von einigen vorgetragen und anderen beigebracht, was der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift abträglich ist. Manche vermessen sich, den Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift zu verfälschen, und vertreten von neuem die schon mehrmals von der Kirche verworfene Ansicht, die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift beziehe sich nur auf das was über Gott sowie über die sittliche und religiöse Ordnung ausgesagt wird. Fälschlich sprechen sie sogar von einem menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem der göttliche Sinn verborgen liege, dem allein sie die Irrtumslosigkeit zuerkennen. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift wollen sie keinerlei Rücksicht genommen wissen auf die "[[Analogie des Glaubens]]" und auf die kirchliche Überlieferung. Daher ist ihrer Ansicht nach die Lehre der heiligen Väter und des kirchlichen Lehramtes gewissermaßen am Maßstab der Heiligen Schrift, und zwar so wie diese von den Exegeten nach rein menschlicher Methode ausgelegt wird, zu bemessen, und nicht umgekehrt, eben diese Heilige Schrift auszulegen im Geiste der Kirche, die Christus der Herr zur Hüterin und Erklärerin der Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheit bestellt hat.  
  
'''23''' Außerdem müsste der wörtliche Sinn der Heiligen Schrift und ihre Auslegung, die von so vielen und so großen Exegeten unter der Aufsicht der Kirche ausgearbeitet wurde, nach ihrer falschen Ansicht einer neuen Schrifterklärung weichen, die sie die symbolische oder geistige nennen; nach dieser Exegese würden endlich einmal die Bücher des Alten Testamentes, die heute wie ein verschlossener Brunnen in der Kirche verborgen lägen, allen geöffnet werden. Auf die gleiche Weise, so behaupten sie, verschwinden alle Schwierigkeiten, die nur für solche ein Hindernis bilden, die am wörtlichen Sinn der Heiligen Schrift festhalten.
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'''23''' Außerdem muss der Literalsinn der Heiligen Schrift und ihre Auslegung, wie sie unter der Aufsicht der Kirche von so vielen und bedeutenden Exegeten erarbeitet worden ist, nach den von diesen Leuten erdachten Grundsätzen einer neuen Exegese weichen, die sie als symbolische und geistige bezeichnen. Durch diese Exegese würden die Bücher des Alten Testaments, die heute in der Kirche wie in einem versiegelten Quell verborgen lägen, endlich einmal allen eröffnet. Diese Methode, behaupten sie, behebe alle die Schwierigkeiten, die nur solche behindern, die sich an den Literalsinn halten.
  
'''24''' Jeder sieht, wie sich alle diese Ansichten von den Grundsätzen und Normen der Schrifterklärung entfernen, die mit Recht aufgestellt wurden von Unseren Vorgängern sel. Angedenkens, Leo XIII. in der Enzyklika ”[[Providentissimus]]”, von Benedikt XV. in der Enzyklika ”[[Spiritus paraclitus]]” und von Uns selbst in der Enzyklika „Divino afflante spiritu”.
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'''24''' Jedermann sieht, wie weit sich all dies entfernt von den Grundsätzen und hermeneutischen Regeln, die Unsere Vorgänger seI. Anged. Leo XIII. in dem Rundschreiben "Providentissimus" und Benedikt XV. in dem Rundschreiben "Spiritus Paraclitus" und auch Wir selbst in dem Rundschreiben "Divino afflante Spiritu" mit Fug und Recht aufgestellt haben.  
  
 
===6. Zehn theologische Irrtümer der Gegenwart===
 
===6. Zehn theologische Irrtümer der Gegenwart===
  
'''25''' Es braucht uns nicht zu wundern, dass das Gift dieser Neuerungen in alle Teile der Theologie gelangte. So wird in Zweifel gezogen, dass der menschliche Verstand ohne Hilfe der göttlichen 0ffenbarung und der Gnade mit Beweisen aus der Schöpfung die Existenz eines persönlichen Gottes beweisen könne; geleugnet wird, dass die Welt einen Anfang hat, und gezeigt, dass die Schöpfung notwendig ist, da sie aus der notwendigen Freigebigkeit Gottes hervorgehe; verneint wird ebenfalls das ewige und unfehlbare Vorherwissen Gottes um die freien Handlungen der Menschen: All diese Ansichten stehen im Widerspruch zu den Erklärungen des Vatikanischen Konzils<ref>Cfr. Conc. Vat., Const. De Fide cath., cap. 1, De Deo rerum omnium creatore. </ref>.
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'''25''' Es ist nicht zu verwundern, dass derartige Neuerungen auf fast allen Gebieten der Theologie bereits giftige Früchte gezeitigt haben. Es wird in Zweifel gezogen, ob die menschliche Vernunft imstande sei, durch Beweise, die den geschaffenen Dingen entnommen sind, ohne Hilfe der göttlichen Offenbarung und der göttlichen Gnade das Dasein eines persönlichen Gottes darzutun; es wird geleugnet, dass die Welt einen Anfang gehabt hat; es wird behauptet, die Erschaffung der Welt sei notwendig, da sie aus der notwendigen Freigebigkeit der göttlichen Liebe erfolge; gleicherweise wird das ewige und unfehlbare Vorauswissen der freien Handlungen der Menschen Gott abgesprochen: alles Dinge, die den Erklärungen des Vatikanischen Konzils entgegen sind.<ref>Cfr. Conc. Vat., Const. [[Dei filius|De Fide cath.]], cap. 1, De Deo rerum omnium creatore.</ref>  
  
'''26''' Einige werfen auch die Frage auf, ob die Engel persönliche Geschöpfe sind, ob Stoff und Geist sich wesentlich unterscheiden. Andere verwerfen es, dass die übernatürliche Ordnung ein freies Geschenk Gottes sei, mit der Behauptung, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie auf die Anschauung der Seligen hinzuordnen und sie dazu zu berufen. Damit nicht genug : Der Begriff der Erbsünde wird, unter Außerachtlassung der Entscheidungen des Konzils von Trient, ebenso wie dieser der Sünde im allgemeinen als Beleidigung Gottes vernichtet, wie  auch der Begriff der Genugtuung, die Christus für uns leistete. Es finden sich auch solche, die behaupten, die Lehre von der Wesensverwandlung, die sich auf den veralteten philosophischen Begriff der Substanz stütze, müsse so verändert werden, dass die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligsten Eucharistie auf einen gewissen Symbolismus zurückgeführt werde. Demnach sollen die heiligen Gestalten nur wirksame Zeichen sein der geistigen Gegenwart Christi und Seiner innigen Vereinigung mit den gläubigen Gliedern im geheimnisvollen Leibe Christi.
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'''26''' Von einigen wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Engel Geschöpfe mit Persönlichkeitscharakter sind; ob zwischen Materie und Geist ein wesentlicher Unterschied bestehe. Andere nehmen der übernatürlichen Ordnung die Eigenart einer wirklich ungeschuldeten Gabe, da sie behaupten, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie zu seiner beseligenden Anschauung zu bestimmen und zu berufen. Damit nicht genug: unter Hintansetzung der Definitionen des Konzils von Trient verderben sie den Begriff der Erbsünde und zugleich den der Sünde überhaupt als einer Beleidigung Gottes, und ebenso den der Genugtuung, die Christus für uns geleistet hat. Es fehlt auch nicht an solchen, die behaupten, die Lehre von der Transsubstantiation, die ja auf einem veralteten Substanzbegriff ruhe, sei so umzugestalten, dass die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie in einem gewissen symbolischen Sinn verstanden werde, insofern die konsekrierten Spezies nur wirksame Zeichen seien für die geistige Gegenwart Christi und für seine in seinem mystischen Leib sich vollziehende innigste Vereinigung mit den Gläubigen, dessen Gliedern.  
  
'''27''' Einige halten sich nicht gebunden an die vor einigen Jahren in einem Rundschreiben erklärte Lehre, die sich auf die Quellen der ”Offenbarung” stützt und erklärt, dass der geheimnisvolle Leib Christi und die Römische katholische Kirche ein und dasselbe seien<ref> Litt. Enc. [[Mystici corporis christi]], [[AAS]] vol. XXXV, p. 193 sq. </ref>. Andere schwächen die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zur wahren Kirche, um das ewige Heil zu erlangen, zu einer bloßen Formel ab. Schließlich tun wieder andere dem Charakter der ”Glaubwürdigkeit” des christlichen Glaubens, der dem Verstand einsichtig ist, Gewalt an.
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'''27''' Einige meinen auch, sie seien nicht gebunden durch die von Uns vor einigen Jahren in Unserem Rundschreiben dargelegte und auf den Offenbarungsquellen gründende Lehre, dass der mystische Leib Christi und die Katholische Römische Kirche eins und dasselbe sind.<ref>Litt. Enc. [[Mystici corporis christi]], [[AAS]] vol. XXXV, p. 193 sq. </ref> Wieder andere machen die Notwendigkeit, zur wahren Kirche zu gehören, um das ewige Heil zu erlangen, zu einer leeren Formel. Andere endlich tun dem vernunftbegründeten Charakter der "Glaubwürdigkeit" der christlichen Lehre ungerechten Eintrag.
  
 
==II. Darlegung der katholischen Lehre==
 
==II. Darlegung der katholischen Lehre==
  
'''28''' Es steht fest, dass diese und ähnliche Irrtümer sich in die Herzen einiger unserer Söhne einschlichen, die sich täuschen ließen von einem, unklugen Seeleneifer oder einer Wissenschaft, die diesen Namen nicht verdient; traurigen Herzens sind Wir mit schwerer Sorge gezwungen, diese bereits bekannten Wahrheiten zu wiederholen und offenbare Irrtümer wie ihre Gefahren anzuzeigen.
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'''28''' Es steht fest, dass diese und ähnliche Ansichten bereits bei manchen Unserer Söhne umgehen, die sich durch unklugen Seeleneifer oder vermeintliche Wissenschaftlichkeit täuschen lassen. Ihnen gegenüber sehen Wir Uns zu Unserem großen Schmerz genötigt, ganz bekannte Wahrheiten zu wiederholen und auf die offenkundigen Irrtümer sowie die Gefahren des Irrtums nicht ohne bange Sorge hinzuweisen.  
  
===1. Die Philosophie betreffend:===
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===1. Die Philosophie betreffend :===
  
 
====a) Richtige Einschätzung des menschlichen Verstandes====
 
====a) Richtige Einschätzung des menschlichen Verstandes====
  
'''29''' Es ist allen bekannt, wie hoch die Kirche den Wert der menschlichen Vernunft stellt, der es zukommt, die Existenz des einen persönlichen Gottes mit Sicherheit zu beweisen, wie auch die Grundlagen des christlichen Glaubens unwiderleglich durch göttliche Zeichen aufzuzeigen; gleicherweise soll sie auch das Gesetz, das der Schöpfer in die Herzen der Menschen schrieb, in das rechte Licht stellen; endlich auch zu einer beschränkten, aber äußerst fruchtbaren Erkenntnis der Geheimnisse kommen <ref> Cfr. Conc. Vat., D. B., 1796.</ref>.
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'''29''' Es ist allgemein bekannt, welche Bedeutung die Kirche der menschlichen Vernunft beilegt, wo es sich darum handelt, das Dasein des einen persönlichen Gottes mit Sicherheit zu beweisen, die Grundlagen des christlichen Glaubens durch die von Gott gegebenen Zeichen unwiderleglich darzutun, das Gesetz, das Gott in das menschliche Herz gelegt hat, richtig zum Ausdruck zu bringen und endlich zu einem gewissen Grad der Erkenntnis der Glaubensgeheimnisse zu gelangen, und zwar nicht ohne reiche Frucht.<ref>Cfr. Conc. Vat., D. B., 1796. </ref>
 
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====b) Die traditionelle Philosophie====
 
====b) Die traditionelle Philosophie====
  
Aber dieser Aufgabe kann die Vernunft nur dann in entsprechender Weise und mit Sicherheit gerecht werden, wenn sie nach Gebühr ausgebildet wird; wenn sie also mit jener gesunden Philosophie genährt wird, die wie ein Erbteil früherer christlicher Jahrhunderte überliefert ist, also auch ein höheres Ansehen besitzt, weil das Lehramt der Kirche selbst, ihre Grundsätze und wesentlichsten Behauptungen, die von geistvollen Männern allmählich aufgedeckt und bestimmt wurden, zum Maßstab der göttlichen „Offenbarung“ gemacht hat. Diese gleiche Philosophie, von der Kirche anerkannt und zugelassen, verteidigt den wirklichen Wert der menschlichen Erkenntnis, die unerschütterlichen Grundgesetze der Metaphysik – vom hinreichenden Grund, von der Ursächlichkeit und Zweckhaftigkeit – und endlich die Erreichung der sicheren und unveränderlichen Wahrheit.
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Diese Aufgabe wird indessen die Vernunft nur dann gehörig und sicher erfüllen können, wenn sie eine entsprechende Durchbildung erfahren hat, d. h. mit jener gesunden Philosophie ausgestattet ist, die als aus der Vorzeit langer christlicher Jahrhunderte überkommenes Erbgut in Geltung ist und die dazu noch ein Ansehen höherer Ordnung besitzt, weil das kirchliche Lehramt selbst ihre Prinzipien und Hauptlehren, die hochbegabte Männer nach und nach herausgearbeitet und genau gefasst haben, am Maßstab der göttlichen Offenbarung gemessen hat. Diese Philosophie, die in der Kirche anerkannt und angenommen ist, schützt den wahren und echten Wert der menschlichen Erkenntnisse, die unerschütterlichen metaphysischen Prinzipien - das des hinreichenden Grundes, der Kausalität und der Finalität -, und gewährleistet die Erreichung sicherer und unwandelbarer Wahrheit.  
  
====c) Der wahre philosophische Fortschritt====
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====c) der wahre philosophische Fortschritt====
  
'''30''' In dieser Philosophie gibt es sicherlich verschiedene Fragen, die sich weder unmittelbar noch mittelbar auf den Glauben und die Sitten beziehen, und die von der Kirche der freien Erörterung der Fachgelehrten überlassen werden; aber für verschiedene andere Dinge, besonders die Grundsätze und Hauptlinien, die Wir oben erwähnten, kann nicht die gleiche Freiheit gelten. Aber es kann auch in diesen wesentlichen Fragen der Philosophie ein mehr entsprechendes und reicheres Gewand angelegt werden; man kann ihre Kraft vergrößern durch die Formung neuer zweckentsprechender Ausdrücke, sie von weniger passenden, schulmäßigen Dingen freimachen, sie auch – aber mit Vorsicht bereichern mit bestimmten Anteilen des Fortschritts menschlichen Geistes; nie aber hat man das Recht, sie zugrundezurichten oder sie mit falschen Grundsätzen zu beflecken oder sie als ein gewaltiges, aber doch veraltetes Monument zu achten; denn die Wahrheit und jede ihrer philosophischen Äußerungen kann nicht täglichen Veränderungen unterworfen werden. Das gilt besonders, wenn es sich um der menschlichen Vernunft an sich bekannte Grundsätze handelt oder jene Sätze, die sich auf die Weisheit von Jahrhunderten wie auch auf die Zustimmung und das Fundament der göttlichen Offenbarung stützen. Die Wahrheiten, die der menschliche Verstand in ehrlichem Suchen entdecken wird, vermögen nicht im Gegensatz zu stehen zu einer bereits entdeckten Wahrheit; Gott, die höchste Wahrheit, hat den menschlichen Verstand erschaffen und leitet ihn, aber nicht so, dass er der in ehrlichem Streben erworbenen Wahrheit täglich neue Erkenntnisse entgegenstellt, sondern um nach Entfernung etwaiger Irrtümer, das Wahre durch andere neue Erkenntniswahrheiten zu überhöhen, in der gleichen Ordnung und Verbindung, in der wir die Natur selbst, aus der wir die Wahrheit schöpfen, aufgebaut sehen. Darum soll der Christ, Philosoph oder Theologe, nicht eilfertig und leichtsinnig all die neuen Ideen in sich aufnehmen, die täglich ausgedacht werden, sondern muss sie mit größter Sorgfalt prüfen und nach rechtem Maß abwägen, um nicht die bereits erworbene Wahrheit mit großer Gefahr und großem Schaden für seinen Glauben zu verlieren oder zu verderben.
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'''30''' In dieser Philosophie wird gewiss manches behandelt, was mit Fragen des Glaubens und der Sitten weder direkt noch indirekt zusammenhängt und daher von der Kirche der freien Erörterung der Fachleute überlassen wird; aber in vielen anderen Fragen, besonders hinsichtlich der oben erwähnten Prinzipien und Hauptlehren, besteht nicht die gleiche Freiheit. Man darf zwar auch in solchen wesentlichen Fragen die Philosophie in ein passenderes und reicheres Gewand kleiden, sie durch zutreffendere Fassungen sicherstellen, sie von gewissen weniger geeigneten Schulbehelfen frei machen, sie auch mit Vorsicht bereichern durch manches, was der menschliche Geist fortschreitend erarbeitet hat. Aber niemals ist es berechtigt, sie zu untergraben, durch falsche Prinzipien zu entstellen oder in ihr einen zwar großartigen, aber veralteten Bau zu erblicken. Denn die Wahrheit und jede philosophische Fassung derselben kann nicht von einem Tag auf den andern verändert werden, vor allem, wo es sich um Prinzipien handelt, die dem menschlichen Geist unmittelbar bekannt sind, oder um Lehren, die sich auf die Weisheit der Jahrhunderte stützen und auch darauf, dass sie mit der göttlichen Offenbarung in Einklang stehen und durch sie bestätigt werden. Was immer der menschliche Geist in ehrlicher Forscherarbeit zu finden vermag, kann tatsächlich der bereits gefundenen Wahrheit nicht widerstreiten. Denn Gott, die höchste Wahrheit, hat den menschlichen Verstand geschaffen und leitet ihn, nicht damit er der richtig erworbenen Wahrheit täglich Neues entgegensetze, sondern damit er, unter Beseitigung etwa eingeschlichener Irrtümer, Wahrheit auf Wahrheit baue in der gleichen Ordnung und Harmonie, in der die Natur selbst, aus der wir die Wahrheit schöpfen, aufgebaut erscheint. Darum soll der Christ, sei er Philosoph oder Theologe, nicht übereilt und leichthin alles, was Tag für Tag an Neuem ausgesonnen wird, aufnehmen, sondern er soll es mit größter Sorgfalt prüfen und mit rechter Waage wägen, um die schon gewonnene Wahrheit nicht zu verlieren oder zu verderben, was sicher nicht ohne schwere Gefährdung und Schädigung des Glaubens selbst erfolgen würde.  
  
 
====d) Die Lehre des heiligen Thomas von Aquin====
 
====d) Die Lehre des heiligen Thomas von Aquin====
  
'''31''' Nach diesen Überlegungen versteht man leicht, warum die Kirche verlangt, dass ihre zukünftigen Priester in den philosophischen Fächern unterrichtet werden ”nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des Englischen Lehrers<ref>Cfr. Conc. Vat., D. B., 1796.  </ref>. Sie weiß ja nach einer Erfahrung von Jahrhunderten gut, dass die Methode des Aquinaten sich vor andern bewährt, sowohl im Unterricht wie auch in der Suche nach verborgenen Wahrheiten; dass seine Lehre fernerhin in Harmonie mit der göttlichen Offenbarung steht und in wirkungsvoller Weise sichere Fundamente des Glaubens legt, wie auch mit Nutzen und Sicherheit die Früchte eines gesunden Fortschritts bringt<ref> [[AAS]] vol. XXXVIII, 1946, p. 387.  </ref>.
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'''31''' Erfasst man diese Sachlage klar, so sieht man leicht ein, warum die Kirche verlangt, dass die künftigen Priester ihre philosophische Ausbildung "nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des Doctor Angelicus" erhalten.<ref>[[CIC]], can. 1366, 2.</ref> Ist ihr doch aus jahrhundertelanger Erfahrung bekannt, dass die Methode und Eigenart des Aquinaten besondere Vorzüge besitzt, sei es für die Ausbildung der Anfänger, sei es für die Durchdringung noch unerforschter Wahrheiten; seine Lehre aber weiß sie in harmonischem Einklang mit der göttlichen Offenbarung und kennt sie als überaus wirksam, um die Grundlagen des Glaubens sicherzustellen und die Früchte eines gesunden Fortschrittes mit Nutzen und ohne Gefahr zu ernten.<ref>[[AAS]] vol. XXXVIII, 1946, p. 387. </ref>
  
'''32''' Darum ist es sehr zu beklagen, dass man die Philosophie, die von der Kirche aufgenommen und anerkannt ist, heute von mancher Seite der Verachtung preisgibt, als veraltet in der Form und rationalistisch –, wie sie sagen – in der Denkweise erklärt. Die Gegner behaupten, dass diese unsere Philosophie irrtümlicherweise die Meinung verteidige, es gebe eine absolut gültige Metaphysik; während sie im Gegenteil sagen, die Wahrheiten, besonders die transzendenten, könnten keinen geeigneteren Ausdruck finden als in ganz verschiedenen Lehrsätzen, die sich ergänzen, obwohl sie untereinander in gewisser Weise im Gegensatz stehen. Darum geben sie auch zu, dass die auf unseren Schulen gelehrte Philosophie mit ihrer klaren Beschreibung der Fragestellung und Lösung, mit der genauen Bestimmung der Begriffe und ihren klaren Unterscheidungen wohl nützlich sein könne zum Studium der scholastischen Theologie, die sich der Denkungsart des mittelalterlichen Menschen in hervorragender Weise anpasste; aber – so fügen sie hinzu – sie kann keine philosophische Methode bieten, die unserer modernen Kultur mit ihren Bedürfnissen entspricht. Sie wenden ferner ein, dass die ”philosophia perennis” nur eine Philosophie der unveränderlichen Wesenheiten sei, während das moderne Denken interessiert sein müsse an der ”Existenz” der Einzeldinge und dem stets fließenden Leben. Während sie aber diese Philosophie verachten, preisen sie andere Systeme hoch, alte oder neue, solche östlicher oder westlicher Völker, in einer Art, die andeuten zu wollen scheint, jede beliebige Philosophie oder Meinung könne unter Beifügung – wenn das notwendig ist - einiger Verbesserungen oder Ergänzungen mit dem katholischen Dogma vereint werden. Aber kein Katholik kann daran zweifeln, dass dieses ein vollständiger Irrtum ist, besonders da es sich um Systeme handelt, wie den ”Immanentismus”, ”Idealismus”, den geschichtlichen oder dialektischen ”Materialismus” oder auch den ”Existenzialismus”, entweder in der Form des Atheismus oder wie er sich wenigstens gegen den Wert der metaphysischen Schlussfolgerung wendet.
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'''32''' Es ist daher tief bedauerlich, dass die in der Kirche angenommene und anerkannte Philosophie heute von manchen gering geschätzt wird, und man sie ohne weiteres als veraltet in der Form und als rationalistisch in ihrem Denkverfahren hinstellt. Fort und fort behauptet man, diese unsere Philosophie vertrete zu Unrecht die Anschauung, es könne eine absolut wahre Metaphysik geben, wogegen man versichert, die Wahrheiten, insbesondere die transzendenten, könnten nicht passender ausgedrückt werden als durch unter sich verschiedene Sätze, die sich gegenseitig ergänzen, so sehr sie auch untereinander in einem gewissen Gegensatz stehen. Die Philosophie, die in unseren Schulen gelehrt wird, könne daher - so gibt man zu - mit ihrer lichtvollen Darlegung und Lösung der Fragen, mit ihrer genauen Begriffsbestimmung und ihren klaren Unterscheidungen als Vorschule für die scholastische Theologie dienlich sein, eine Vorschule, die dem Geist des Mittelalters in hervorragender Weise angepasst sei, aber sie biete nicht die Art des Philosophierens, die unserer modernen Kultur und deren Bedürfnissen entspreche. Ferner wendet man ein, die "[[philosophia perennis]]" sei ausschließlich Philosophie der unveränderlichen Essenzen, wogegen der moderne Geist auf die Existenz der Einzeldinge und auf das beständig im Fluss befindliche Leben gerichtet sein müsse. Während man so unsere Philosophie verachtet, rühmt man dagegen andere philosophische Systeme, sei es des Altertums oder der Jetztzeit, sei es der Völker des Morgen- oder des Abendlandes, in einer Weise, die nahezulegen scheint, es lasse sich jede Philosophie und Geistesrichtung, gewisse, allenfalls notwendige Richtigstellungen und Zusätze vorausgesetzt, mit dem katholischen Dogma vereinbaren. Und doch kann kein Katholik daran zweifeln, dass diese Ansicht durch und durch falsch ist, besonders wo Auffassungen in Frage kommen, wie die des Immanentismus, des Idealismus, des historischen oder dialektischen Materialismus oder auch der Existenzphilosophie, mag sie sich zum Atheismus bekennen oder zum mindesten gegen den Wert des metaphysischen Schlussverfahrens wenden.  
  
'''33''' Schließlich werfen sie der Philosophie unserer Schulen noch vor, dass sie im Erkenntnisvorgang nur den Verstand berücksichtige, die Tätigkeit des Willens aber und der Gemütsbewegungen vernachlässige. Das entspricht nicht der Wahrheit. Denn niemals hat die christliche Philosophie den Nutzen und die Wirksamkeit geleugnet, die die gute Verfassung der Gesamtseele für die volle Erkenntnis und Erfassung der religiösen und sittlichen Wahrheiten haben; im Gegenteil, sie hat immer gelehrt, dass das Fehlen einer solchen Verfassung der Grund dafür sein kann, dass der Verstand unter dem Einfluss der Leidenschaften und des bösen Willens so verdunkelt wird, dass er nicht mehr richtig sieht. Mehr noch, der ”Doctor Communis” glaubt, dass der Verstand in irgendeiner Weise die höheren Güter der natürlichen oder übernatürlichen Sittenordnung begreifen könne, insofern, als er in seinem Innern eine gewisse gemütsmäßige natürliche oder gnadenhafte  ”Naturgleichheit” (Connaturalitas) mit diesen Gütern verspürt<ref> Cfr. S. Thom., [[Summa theologica]], II – II, quaest. 1, art. 4 ad 3 et quaest. 45, art 2, in 6.</ref>. Es versteht sich, wie sehr diese, wenn auch nur im Unterbewusstsein liegende Erkenntnis den Bemühungen der Vernunft helfen kann. Den Willensaffekten die Kraft zuerkennen, der Vernunft zu helfen, zu einer sichereren und festeren Erkenntnis der sittlichen Wahrheiten zu kommen, bedeutet aber nicht, was diese Neuerer behaupten, dass nämlich der Wille und das Gefühl eine gewisse intuitive Kraft haben, und dass der Mensch, wo er durch Verstandestätigkeit nicht mit Sicherheit die Wahrheit erkennen kann, sich an den Willen wendet, mit dem er einen freien Entschluss und eine Wahl zwischen entgegengesetzten Meinungen treffen kann; dabei vermischt er in übler Weise die Erkenntnis und den Willensakt miteinander.
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'''33''' Schließlich macht man der in unseren Schulen überlieferten Philosophie auch den Vorwurf, sie achte beim Denkprozess allein auf den Verstand und vernachlässige die Bedeutung des Willens und des Gemütslebens. Das entspricht nicht den Tatsachen. Denn die christliche Philosophie hat die heilsame Einwirkung einer richtigen inneren Gesamthaltung auf das volle Erkennen und Aufnehmen der religiösen und sittlichen Wahrheiten nie in Abrede gestellt; im Gegenteil, sie hat immer gelehrt, dass der Mangel der genannten inneren Einstellung der Grund sein kann, warum der Verstand unter dem Einfluss der Leidenschaften und eines verkehrten Willens so verdunkelt wird, dass er nicht mehr richtig sieht. Der hl. Thomas hält sogar dafür, der Verstand könne höhere, der natürlichen oder übernatürlichen Ordnung angehörende sittliche Werte einigermaßen erfassen, insofern er in seiner Seele eine gewisse natürliche oder durch die Gnade hinzukommende gemüthafte Naturverwandtschaft mit eben diesen Werten erfährt,<ref>Cfr. S. [[Thomas von Aquin]], [[Summa theologiae]], II – II, quaest. 1, art. 4 ad 3 et quaest. 45, art 2, in 6. </ref> und es ist einleuchtend, wie sehr eine solche, wenngleich einigermaßen dunkle Erkenntnis dem forschenden Verstand von Nutzen sein kann. Es ist indes etwas anderes, einer affektiven Willensdisposition die Kraft zuzuschreiben, dem Verstand bei der Erwerbung einer sicheren und gefestigteren Erkenntnis der sittlichen Wahrheiten behilflich zu sein, und etwas anderes, was jene Neuerer anstreben, dem Strebe- und Gemütsvermögen eine Art Intuition zuzuerkennen und den Menschen, da er auf dem Wege der Verstandestätigkeit nicht mit Sicherheit entscheiden könne, was als wahr anzunehmen sei, auf den Willen zu verweisen, mit dem er in freier Entscheidung unter den entgegengesetzten Anschauungen seine Wahl treffe. Hier werden Erkennen und Wollen ohne die gehörige Unterscheidung vermengt.  
  
 
====e) Aufgabe der Theodizee und der Ethik====
 
====e) Aufgabe der Theodizee und der Ethik====
  
'''34''' Es nimmt kein Wunder, dass diese neuen Ansichten zwei philosophische Fächer in Gefahr bringen, die ihrer Natur nach sehr eng mit dem Glaubensunterricht verbunden sind, die natürliche Gotteserkenntnis (Theodizee) und die natürliche Sittenlehre (Ethik). Sie sind der Ansicht, dass es nicht die Aufgabe dieser beiden Fächer sei, mit Sicherheit irgendeine Wahrheit über Gott oder ein anderes transzendentes Wesen zu beweisen, sondern vielmehr zu zeigen, wie doch die Wahrheiten, die der Glaube über den persönlichen Gott  und seine Gebote lehrt, so eng mit den Bedürfnissen des Lebens zusammenhängen und wie diese Wahrheiten darum von allen anzunehmen seien, um der Verzweiflung aus dem Wege zu gehen und das ewige Heil zu erreichen. Alle diese Behauptungen und Ansichten stehen in offenem Widerspruch mit den Entscheidungen Unserer Vorgänger Leo XIII. und Pius X.; sie sind auch unvereinbar mit Verordnungen des Vatikanischen Konzils. Es wäre unnötig, diese Irrtümer zu betrauern, wenn alle, auch auf dem Gebiet der Philosophie, mit gebührender Ehrfurcht auf das Lehramt der Kirche schauten. Seine Aufgabe ist es nach göttlicher Anordnung nicht nur, den Glaubensschatz der Offenbarung zu bewahren und zu erklären, sondern auch über die philosophischen Fächer zu wachen, damit die katholischen Glaubenslehren durch diese Irrtümer keinen Schaden leiden.
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'''34''' So ist es nicht zu verwundern, dass durch diese neuen Theorien zwei Zweige der Philosophie gefährdet werden, die ihrer Natur nach mit der Glaubenslehre eng zusammenhängen: die Theodizee und die Ethik. Man hält nämlich dafür, Aufgabe dieser Wissenschaften sei nicht, etwas Sicheres über Gott oder etwas anderes Transzendentes zu ermitteln, sondern vielmehr zu zeigen, dass das, was der Glaube über den persönlichen Gott und seine Gebote lehrt, mit den Forderungen des Lebens vollkommen übereinstimme und daher von allen angenommen werden müsse, wenn anders man der Verzweiflung entgehen und das ewige Heil erreichen wolle. All das widerstreitet klar den Kundgebungen Unserer Vorgänger Leo XIII. und Pius X. und lässt sich auch nicht mit den Lehrentscheidungen des Vatikanischen Konzils vereinbaren. Es wäre gewiss unnötig, über diese Abirrungen von der Wahrheit - Klage zu führen, wenn alle auch in philosophischen Fragen mit der gebührenden Ehrfurcht auf das kirchliche Lehramt achten wollten, dem es in der Tat kraft göttlicher Anordnung zusteht, nicht nur die Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheiten zu hüten und zu erklären, sondern auch über die Lehren der Philosophie zu wachen, damit die katholischen Dogmen durch unrichtige Anschauungen nicht Schaden leiden.  
  
 
===2. Die positiven Wissenschaften betreffend===
 
===2. Die positiven Wissenschaften betreffend===
  
'''35''' Es ist jetzt noch zu den Fragen Stellung zu nehmen, die aus den positiven Wissenschaften entspringen und mehr oder weniger mit den Wahrheiten des christlichen Glaubens zusammenhängen. Nicht wenige bitten ja dringend darum, die katholische Religion möge mit dieser Wissenschaft möglichst stark Rechnung halten. Es ist das lobenswert, soweit es sich um bewiesene Tatsachen handelt; es heißt aber, vorsichtig voranzugehen, wenn es sich mehr um Hypothesen handelt – auch wenn sie irgendwie wissenschaftlich begründet sind –, mit denen Lehren der Heiligen Schrift oder der Tradition in Berührung stehen. Wenn diese Hypothesen sich direkt oder indirekt gegen die Offenbarung wenden, so können sie in keiner Weise zugelassen werden. 
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'''35''' Nun bleibt noch etwas zu sagen über Fragen, die zwar zu den so genannten positiven Wissenschaften gehören, aber dennoch mit Wahrheiten des christlichen Glaubens mehr oder minder verknüpft sind. Nicht wenige fordern nämlich nachdrücklich, die katholische Religion solle auf diese Wissenschaften weitestgehend Rücksicht nehmen. Das ist tatsächlich lobenswert, wo es sich um wirklich bewiesene Tatsachen handelt, kann aber dort nur mit Vorsicht Anwendung finden, wo vielmehr Hypothesen in Frage kommen, die zwar im menschlichen Wissen irgendwie ein Fundament haben, aber auch in der Heiligen Schrift und der Überlieferung enthaltene Lehren berühren. Wenn nun derartige Hypothesen direkt oder indirekt der von Gott geoffenbarten Lehre widerstreiten, dann kann die genannte Forderung in keiner Weise anerkannt werden.  
  
 
====a) Biologische und anthropologische Fragen====
 
====a) Biologische und anthropologische Fragen====
  
'''36''' Aus diesem Grund verbietet das Lehramt der Kirche nicht, dass in Übereinstimmung mit dem augenblicklichen Stand der menschlichen Wissenschaften und der Theologie die Entwicklungslehre Gegenstand der Untersuchungen und Besprechungen der Fachleute beider Gebiete sei, insoweit sie Forschungen anstellt über den Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden, lebenden Materie, während der katholische Glaube uns verpflichtet, daran festzuhalten, dass die Seelen unmittelbar von Gott geschaffen sind. Es sollen diese Verhandlungen in der Weise geschehen, dass die Gründe für beide Ansichten, also dieser, die der Entwicklungslehre zustimmt, wie jener, die ihr entgegensteht, mit nötigen Ernst abgewogen und beurteilt, vorausgesetzt, dass alle bereit sind, das Urteil der Kirche anzunehmen, der Christus das Amt anvertraut hat, die Heilige Schrift authentisch zu erklären und die Grundsätze des Glaubens zu schützen<ref> Cfr. Allocut. Pont, ad membra Academiae Scientiarum, 30 novembris 1941 : [[AAS]] voL   XXXIII, p. 506. </ref>. Einige überschreiten nun verwegen diese Freiheit der Meinungsäußerung, da sie so tun, als sei der Ursprung des menschlichen Körpers aus einer bereits bestehenden und lebenden Materie durch bis jetzt gefundene Hinweise und durch Schlussfolgerungen aus diesen bereits mit vollständiger Sicherheit bewiesen; ebenso tun sie, als ob aus den Quellen der Offenbarung kein Grund vorliege, der auf diesem Gebiet nicht die allergrößte Mäßigung und Vorsicht geböte. 
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'''36''' Das kirchliche Lehramt verbietet daher nicht, dass die Entwicklungslehre, entsprechend dem heutigen Stand der Profanwissenschaft und der Theologie, von den Fachleuten beider Gebiete in Forschung und Erörterung behandelt werde, insofern die Untersuchung den Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorliegender und belebter Materie betrifft; denn bezüglich der Seele gebietet uns der katholische Glaube, daran festzuhalten, dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist. Bei dieser Untersuchung soll man die Gründe für beide Ansichten, die zugunsten und die zuungunsten sprechenden, mit gebührendem Ernst, mit der gebührenden Besonnenheit und Mäßigung abwägen und beurteilen, und alle sollen bereit sein, sich dem Urteil der Kirche zu unterwerfen, der von Christus das Amt übertragen ist, die Heilige Schrift authentisch zu erklären und die Dogmen des Glaubens zu schützen.<ref>Cfr. Allocut. Pont, ad membra Academiae Scientiarum, 30 novembris 1941 : A.A.S voL  XXXIII, p. 506. </ref> Über diese Freiheit der Erörterung gehen manche in kühner Vermessenheit hinweg und benehmen sich so, als ob der Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorhandener belebter Materie durch die bisher festgestellten Indizien und die aus diesen Indizien abgeleiteten Schlussfolgerungen schon einfachhin sicher und bewiesen sei, und als ob von seiten der Quellen der göttlichen Offenbarung nichts vorliege, was die größte Mäßigung und Vorsicht in dieser Frage verlange.  
  
'''37''' Wenn es sich aber um eine andere Hypothese handelt, den so genannten Polygenismus, lässt die Kirche nicht die gleiche Freiheit. Darum können Gläubige sich nicht der Meinung anschließen, nach der es entweder nach Adam hier auf Erden wirkliche Menschen gegeben habe, die nicht von ihm, als dem Stammvater aller auf natürliche Weise abstammen, oder dass Adam eine Menge von Stammvätern bezeichne, weil auf keine Weise klar wird, wie diese Ansicht in Übereinstimmung gebracht werden kann mit dem, was die Quellen der Offenbarung und die Akten des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde sagen; diese geht hervor aus der wirklich begangenen Sünde Adams, die durch die Geburt auf alle überging und jedem einzelnen zu eigen ist<ref>Vgl. {{B|Röm|5|12-19}}; [[Konzil von Trient|Conc.Trid.]], sess. V, can. 1 – 4. </ref>.
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'''37''' Wenn man aber von einer anderen Hypothese spricht, dem so genannten Polygenismus, so steht den Kindern der Kirche keineswegs die gleiche Freiheit zu. Denn die Gläubigen können nicht die Ansicht halten, deren Vertreter behaupten, es habe nach Adam auf unserer Erde wirkliche Menschen gegeben, die nicht aus ihm, als dem Stammvater aller, auf dem Wege natürlicher Zeugung ihren Ursprung hätten, oder "Adam" bedeute eine Mehrheit von Stammvätern. Denn es ist durchaus nicht ersichtlich, wie sich eine derartige Ansicht vereinbaren lässt mit dem, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die Äußerungen des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde lehren, die ihren Ursprung hat in der in Wirklichkeit von dem einen Adam begangenen Sünde und die, durch Zeugung auf alle übertragen, in jedem als ihm eigene Sünde vorhanden ist.<ref>Cfr. Rom. V, 12 19; [[Konzil von Trient|Conc. Trid.]], [[Ut fides nostra catholica|sess. V]], can. 1 – 4.</ref>
  
 
====b) Der historische Wert der Genesis====
 
====b) Der historische Wert der Genesis====
  
'''38''' Wie in den biologischen und anthropologischen Wissenschaften, so missachten auch in der Geschichte einige kühn die von der Kirche  vorsichtig gezogenen Grenzen. In besonderer Weise gibt ein System Anlass zur Trauer, das die geschichtlichen Bücher des Alten Testamentes mit allzu großer Freiheit erklärt. Um ihre Gründe zu verteidigen berufen sich die Vertreter dieses Systems auf ein Schreiben, das vor nicht langer Zeit von der Päpstlichen Bibelkommission an den Erzbischof von Paris gerichtet wurde<ref>Die 16 ianuarii 1948 : [[AAS]] vol. XL, pp. 45-48. </ref>. Es weist ausdrücklich darauf hin, dass die ersten elf Kapitel des Buches der Schöpfung doch in einem wahren Sinn, der von den Exegeten noch weiter zu erforschen und zu erklären ist, geschichtlich sind, wenn sie auch eigentlich nicht der Methode der Geschichtsschreibung entsprechen, die von den besten griechischen und lateinischen Autoren, auch von den Fachleuten unserer Zeit, angewandt wurde. Die gleichen Kapitel, so heißt es weiter, berichten in ihrer einfachen und bildhaften, der Denkart eines wenig gebildeten Volkes angepassten Sprache die Hauptwahrheiten, die für unser Heil von grundlegender Bedeutung sind; zugleich geben sie aber auch einen volkstümlichen Bericht vom Ursprung des Menschengeschlechtes und des auserwählten Volkes.
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'''38''' Wie in Biologie und Anthropologie, so überschreiten manche auch in der Geschichtswissenschaft kühn die von der Kirche gesetzten Schranken und Sicherungen. Insbesondere muss man Klage führen über eine allzu große Freiheit in der Erklärung der Geschichtsbücher des Alten Testamentes. Die Verfechter dieser Erklärung berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens mit Unrecht auf das Schreiben, das die [[Päpstliche Bibelkommission]] vor nicht langer Zeit [[Abfassungszeit der Pentateuchquellen|an den Erzbischof von Paris gerichtet]] hat.<ref>Die 16 ianuarii 1948 : [[AAS]] vol. XL, pp. 45-48.</ref> Denn dieses Schreiben weist klar darauf hin, dass die ersten elf Kapitel der Genesis in einem wahren Sinn, der von den Exegeten noch näher zu untersuchen und zu bestimmen ist, Geschichtsdarstellung sind, wenn sie auch nicht mit der Art der Geschichtsschreibung übereinstimmen, deren sich die hervorragenden griechischen und lateinischen Geschichtsschreiber oder auch die modernen Fachgelehrten bedienen, und dass diese Kapitel in einfacher und bildhafter, dem Verständnis eines wenig gebildeten Volkes angepasster Form die Hauptwahrheiten bieten, die für das von uns zu erreichende ewige Heil grundlegend sind, und außerdem eine volkstümliche Darstellung der Anfänge der Menschheit und des Auserwählten Volkes geben. Wenn aber die alten Verfasser der heiligen Bücher etwas aus Volksüberlieferungen geschöpft haben - was zugegeben werden kann -, so darf man nie vergessen, dass sie dies mit Beihilfe der göttlichen Inspiration getan haben, durch die sie in der Auswahl und Beurteilung jener Quellen vor jedem Irrtum bewahrt wurden.  
  
'''39''' Wenn auch die alten Verfasser der Heiligen Bücher einiges aus den volkstümlichen Erzählungen nahmen – was ruhig zugegeben werden kann –, so darf man doch nie vergessen, dass sie es unter dem Beistand göttlicher Eingebung taten, der sie bei der Wahl und der Wertung dieser Dokumente vor allem Irrtum bewahrte. Es können auch die der Heiligen Schrift eingefügten volkstümlichen Erzählungen in keiner Weise mit Mythologien oder dergleichen auf die gleiche Stufe gestellt werden, da diese mehr Frucht einer ausschweifenden Einbildungskraft sind als des Strebens nach Wahrheit und Einfachheit, das in den Büchern des Alten Testamentes sosehr hervorleuchtet; darum muss auch von seinen Verfassern gesagt werden, dass sie alle Profanschriftsteller deutlich übertreffen.
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'''39''' Was aber aus Volksüberlieferungen in die Heilige Schrift aufgenommen worden ist, darf keineswegs mit Mythologien und anderen derartigen Dingen auf gleiche Stufe gestellt werden. Diese entspringen nämlich mehr der freien Phantasie als jenem Streben nach schlichter Wahrheit das in den heiligen Büchern, auch des Alten Testaments, so stark hervorleuchtet, dass man den Verfassern unserer heiligen Bücher offenkundig den Vorrang vor den Profanschriftstellern des Altertums einräumen muss.
  
 
==Schluss : Pflichten der kirchlichen Behörden und Professoren==
 
==Schluss : Pflichten der kirchlichen Behörden und Professoren==
  
'''40''' Wir wissen nun gut, dass die meisten katholischen Lehrer, die die Früchte ihrer Studien den Universitäten, Seminarien und religiösen Kollegien zukommen lassen, weit von diesen Irrtümern entfernt sind, die heute offen oder versteckt durch Neuerungssucht oder übertriebenen apostolischen Eifer Verbreitung finden. Wir wissen aber auch, dass diese neuen Auffassungen die Unvorsichtigen anlocken können; darum wollen Wir ihnen lieber gleich beim Beginn entgegentreten, als dann erst die Heilmittel verordnen, wenn das Übel bereits eingewurzelt ist.
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'''40''' Wir wissen wohl, dass die meisten katholischen Professoren, die die Universitäten, kirchlichen Seminarien und Ordenshochschulen der Früchte ihres Fleißes teilhaftig machen, frei sind von diesen Irrtümern, die heute, sei es aus Neuerungssucht, sei es aus einer ungeordneten apostolischen Einstellung, offen oder insgeheim verbreitet werden. Aber Wir wissen ebenfalls, dass solche neue Anschauungen Unvorsichtige verführen können. Darum ziehen Wir es vor, den ersten Anfängen entgegenzutreten, statt die Heilmittel erst anzuwenden, wenn die Krankheit schon eingewurzelt ist.  
  
'''41''' Um daher Unserer heiligen Pflicht nachzukommen, schreiben Wir nach reiflicher Überlegung im Herrn den Bischöfen und Obern der Ordensgenossenschaften unter schwerer Verpflichtung für ihr Gewissen vor, mit allem Eifer dafür zu sorgen, dass weder in der Schule, bei Zusammenkünften, in Schriften irgendwelcher Art solche Meinungen vorgebracht, noch sie auch Klerikern oder Christgläubigen auf irgendeine Weise vorgetragen werden.
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'''41''' Um es in Ausübung Unseres heiligen Amtes an nichts fehlen zu lassen, schreiben Wir, nach reiflicher Überlegung und Prüfung vor Gott, daher den Bischöfen und den Obern der Ordensgenossenschaften unter schwerer Verpflichtung im Gewissen vor, mit aller Sorgfalt Vorkehrung zu treffen, dass derartige Ansichten in Schulen, Versammlungen und Schriften jeder Art nicht gelehrt oder den Klerikern oder Gläubigen in irgendeiner Form vorgetragen werden.  
  
'''42''' Alle, die in kirchlichen Anstalten lehren, sollen wissen, dass sie das ihnen anvertraute Lehramt nicht ruhigen Gewissens ausüben können, wenn sie die von Uns erlassenen Lehrnormen nicht in religiösem Geist annehmen und beim Unterricht genauestens befolgen. Diese schuldige Ehrfurcht und diesen Gehorsam, die sie fortwährend in ihrem Wirken dem kirchlichen Lehramt entgegenbringen müssen, sollen sie auch dem Verstand und dem Herzen ihrer Schüler einprägen.
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'''42''' Alle diejenigen, die in kirchlichen Anstalten lehren, sollen wissen, dass sie das ihnen anvertraute Lehramt nicht mit gutem Gewissen ausüben können, wenn sie die von Uns hier über die Lehre erlassenen Vorschriften nicht gewissenhaft annehmen und bei der Unterweisung ihrer Schüler aufs genaueste einhalten. Die pflichtmäßige Ehrfurcht und Unterwürfigkeit, die sie bei ihrer hingebenden Arbeit dem kirchlichen Lehramt entgegenbringen müssen, sollen sie auch ihren Schülern in Geist und Herz einpflanzen.  
  
'''43''' Sicher sollen sie mit aller Kraft und Anstrengung ihr Lehrfach fördern, sich aber auch davor hüten, die von Uns zum Schutz der Wahrheit des Glaubens und der katholischen Lehre gezogenen Grenzen zu missachten. Die neuen Fragen, wie sie die moderne Kultur und der Fortschritt aufwirft, sollen sie sehr genau, aber auch mit der gebotenen Klugheit und Vorsicht untersuchen. Schließlich sollen sie nicht in einer falschen Friedensliebe (oder ”Irenismus”) glauben, die Getrennten und Irrenden könnten anders glücklich in den Schoß der Kirche  zurückgeführt werden, als dass sie ehrlich die ganze Wahrheit der Kirche, ohne jegliche Entstellung und jeden Abstrich, entgegennehmen.
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'''43''' Gewiss sollen sie sich mit aller Kraft und Anstrengung bemühen um den Fortschritt der Fächer, die sie lehren; sie müssen sich aber auch davor hüten, die von Uns zum Schutz der Wahrheit des Glaubens und der katholischen Lehre gezogenen Grenzen zu überschreiten. Neuen Fragen, wie sie die moderne Kultur und der Fortschritt der Zeit gebracht haben, mögen sie mit vollem Einsatz ihre Forschungsarbeit zuwenden, aber unter Wahrung der erforderlichen Klugheit und Vorsicht. Endlich sollen sie nicht in falschem Irenismus meinen, die Außenstehenden und Irrenden könnten auf anderem Weg erfolgreich in den Schoß der Kirche zurückgeführt werden als dadurch, dass ihnen allen die volle Wahrheit, wie sie in der Kirche in Geltung ist, ohne jede Entstellung und jeden Abstrich vorgelegt wird.  
  
'''44''' In dieser Hoffnung, die wächst durch Eure Hirtensorge, geben Wir als den Träger himmlischer Gnaden und als den Beweis Unseres väterlichen Wohlwollens Euch allen einzeln, Ehrwürdige Brüder, wie auch Eurem Klerus und Volk von Herzen den Apostolischen Segen.
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'''44''' In dieser Hoffnung, die durch euere Hirtensorge bestärkt wird, erteilen Wir als Unterpfand der himmlischen Gnaden und als Zeichen Unseres väterlichen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen, Ehrwürdige Brüder, euerem Klerus und Volk von Herzen den Apostolischen Segen.  
  
 
<center>Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 12. August 1950,<br>
 
<center>Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 12. August 1950,<br>
im zwölften Jahr unseres Pontifikates</center>
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im zwölften Jahr unseres Pontifikates<br>
 
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[[Pius XII.]] [[Papst|PP.]] </center>
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==Anmerkungen==
 
==Anmerkungen==
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[[Kategorie:Lehramtstexte (Wortlaut)]]
 
[[Kategorie:Lehramtstexte (Wortlaut)]]
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[[Kategorie:Lehramtstexte (Pius XII.)]]

Aktuelle Version vom 31. Dezember 2020, 17:52 Uhr

Enzyklika
Humani generis

von Papst
Pius XII.
an die ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe
und die anderen Oberhirten die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben,
über einige falsche Ansichten, die die Grundlagen der katholischen Lehre zu untergraben drohen
12. August 1950

(Offizieler lateinischer Text: AAS XLII [1950] 561-578)

(Quelle: Herder-Korrespondenz, 6. Jahrgang, Fünftes Heft - Februar 1952, S. 215-221: Offizielle neue "nach dem lateinischen Urtext durchgesehene und verbesserte" Auflage aus der Vatikanischen Druckerei; die erste Auflage der Vatikanischen Druckerei hatte Mängel ! (aus: Herder-Korrespondenz, 5. Jahrgang S. 215); Überschriften aus: Heilslehre der Kirche, Dokumente von Pius IX. bis Pius XII. Deutsche Ausgabe des französischen Originals von P. Cattin O.P. und H. Th. Conus O.P. besorgt von Anton Rohrbasser, Paulus Verlag Freiburg Schweiz 1953; Imprimatur Friburgi Helv., die 22. maii 1953 L. Weber V. G. Die Nummerierung entspricht der englischen Fassung).

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen !
Thomas von Aquin, der Meister der katholischen Priesterausbildung

Einleitung: Moralische Notwendigkeit der Offenbarung

1 Die Uneinigkeit der Menschen in Fragen der Religion und der sittlichen Ordnung, wie auch ihr Abirren von der Wahrheit, war von jeher für alle Guten, vor allem für die gläubigen und treuen Söhne der Kirche, Quelle und Grund tiefen Schmerzes. Heute gilt dies ganz besonders, da wir überall selbst die Grundlagen der christlichen Kultur angefochten sehen.

2 Es ist nicht zu verwundern, dass außerhalb des Bereiches der Kirche jederzeit solche Uneinigkeit und Abirrung zu finden war. Denn die menschliche Vernunft kann zwar, allgemein gesprochen, mit ihren natürlichen Kräften und Einsichten zu wahrer und sicherer Erkenntnis des einen persönlichen Gottes, des Erhalters und Lenkers der Welt, und zur Erkenntnis des vom Schöpfer in unser Herz gelegten natürlichen Sittengesetzes gelangen; trotzdem stehen aber dem erfolgreichen und nutzbringenden Gebrauch dieser naturgegebenen Befähigung der menschlichen Vernunft: nicht wenige Hindernisse entgegen. Übersteigen doch die Wahrheiten, die sich auf Gott und auf das Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott beziehen, den Bereich der Sinnenwelt; und sollen sie auf das praktische Leben bestimmenden Einfluss gewinnen, so verlangen sie Opferwille und Selbstverleugnung. Für den menschlichen Verstand ist es schwierig, zur Anerkennung derartiger Wahrheiten zu gelangen, einmal wegen des Einflusses der Sinne und der Einbildungskraft, so dann wegen der ungeordneten Begierden, die aus der Erbsünde stammen. So kommt es, dass sich der Mensch in solchen Fragen. gerne einredet, das sei falsch oder wenigstens nicht sicher, was er nicht wahrhaben will.

3 Man muss deshalb die göttliche Offenbarung als moralisch notwendig bezeichnen, damit die religiösen und sittlichen Wahrheiten, die an sich der Vernunft nicht unzugänglich sind, von allen, auch in dem Zustand, in dem die Menschheit sich gegenwärtig befindet, leicht, mit voller Sicherheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt werden können.<ref> Conc, Vatic. D. B., 1876, Const. De Fide cath., cap. 2, De revelatione.</ref>

4 Ja dem menschlichen Geist kann es mitunter sogar schwierig sein, bezüglich der Glaubwürdigkeit der katholischen Glaubenslehre zu einem sicheren Urteil zu kommen, obwohl Gott so viele und so wunderbare Zeichen gegeben hat, durch die der göttliche Ursprung der christlichen Religion schon allein mit dem natürlichen Licht der Vernunft sicher erwiesen zu werden vermag. Kann sich doch der Mensch, von Vorurteilen irregeleitet oder von Leidenschaften und verkehrtem Willen getrieben, nicht nur der gegebenen Evidenz der äußeren Zeichen, sondern auch den übernatürlichen Eingebungen, die Gott uns ins Herz legt, verschließen und widersetzen.

I. Irrtümliche Lehren der Gegenwart

1. Irrtümer über die Vernunft und die Offenbarung

5 Richtet man den Blick auf die, die außerhalb der Kirche Christi stehen, so wird jeder unschwer feststellen können, welche Wege von nicht wenigen unter den Gebildeten hauptsächlich eingeschlagen werden. So finden sich manche, die das sog. Entwicklungssystem, wenngleich es noch nicht einmal auf dem Gebiet der Naturwissenschaften unbestritten feststeht, ohne kluges Abwägen und Unterscheiden annehmen und auf den Ursprung aller Dinge angewendet wissen wollen. Dabei machen sie sich unbedenklich die monistische und pantheistische Auffassung zu eigen, nach der das Weltall einer ständigen Entwicklung unterworfen ist. Diese Auffassung nützen dann die Anhänger des Kommunismus gerne aus, um ihren "dialektischen Materialismus" erfolgreicher zu vertreten und anzupreisen und jeden Gedanken an Gott aus den Herzen herauszureißen.

6 Derartige Aufstellungen der Entwicklungslehre, die alles verwerfen, was absolut, fest und unveränderlich ist, haben den Weg gebahnt für eine neue Philosophie, die sich zum Idealismus, Immanentismus und Pragmatismus hinzugesellt und Existenzphilosophie genannt wird, da es ihr eigen ist, unter Beiseitesetzung des unveränderlichen Wesens der Dinge sich nur mit der Existenz des Einzelnen zu befassen.

7 Hieran reiht sich ein falscher Historizismus, der sich ausschließlich an die Geschehnisse des menschlichen Lebens hält und damit die Grundlagen jeder absoluten Wahrheit und jedes absoluten Gesetzes zerstört, sowohl auf dem Gebiete der Philosophie wie auch auf dem der christlichen Dogmen.

8 Bei einem derartigen Wirrwarr von Anschauungen ist es für Uns ein gewisser Trost, zu sehen, wie Menschen, die nach den Grundsätzen des Rationalismus gebildet wurden, heute nicht selten zu den Quellen der göttlichen Offenbarung zurückzukehren wünschen und das in der Heiligen Schrift niedergelegte Wort Gottes als Grundlage der theologischen Wissenschaft anerkennen und aufstellen. Doch ist es beklagenswert, dass dabei nicht wenige unter ihnen, je fester sie sich an das Wort Gottes halten, desto mehr die menschliche Vernunft beiseite schieben, und je mehr sie geneigt sind, die Autorität des offenbarenden Gottes zu betonen, desto entschiedener das Lehramt der Kirche ablehnen, das doch Christus der Herr eingesetzt hat, um die von Gott geoffenbarte Wahrheit zu hüten und zu erklären. Ein solches Verhalten steht nicht nur in klarem Widerspruch zur Heiligen Schrift, sondern wird auch von der Erfahrung als falsch erwiesen. Oft genug klagen ja gerade die, die von der wahren Kirche getrennt sind, laut über ihre eigene Uneinigkeit in Fragen der Glaubenslehren und legen damit, ohne es zu wollen, Zeugnis ab für die Notwendigkeit eines lebendigen Lehramtes.

2.Gefährliche Haltungen im kirchlichen Bereich

9 Katholische Theologen und Philosophen, die die wichtige Aufgabe haben, ein Hort der göttlichen und menschlichen Wahrheit zu sein und sie den Herzen der Menschen einzupflanzen, dürfen gewiss über diese Anschauungen, die vom rechten Weg mehr oder weniger abweichen, nicht in Unkenntnis sein oder sie unbeachtet lassen. Ja gerade sie müssen diese Anschauungen gründlich kennen; denn Krankheiten können nicht geheilt werden, wenn sie nicht zuerst richtig erkannt sind; sodann ist in solchen falschen Aufstellungen mitunter ein Körnchen Wahrheit enthalten; endlich spornen sie dazu an, gewisse philosophische und theologische Wahrheiten sorgfältiger zu erforschen und durchzudenken.

10 Wenn sich nun unsere Philosophen und Theologen damit begnügten, diese Lehren unter Wahrung der gebotenen Vorsicht zu studieren und daraus die oben genannten Früchte zu ziehen, so läge für ein Einschreiten des kirchlichen Lehramtes kein Grund vor. Wir wissen zwar recht wohl, dass die katholischen Gelehrten diesen Irrtümern gegenüber meistens auf der Hut sind; aber anderseits steht doch fest, dass es heute, wie zur Zeit der Apostel, nicht an solchen fehlt, die über Gebühr auf Neues ausgehen und sogar fürchten, man könnte sie in Fragen der heutigen fortgeschrittenen Wissenschaft für unwissend halten. So haben sie das Bestreben, sich der Leitung des kirchlichen Lehramtes zu entziehen, und laufen damit Gefahr, nach und nach sogar von der gottgeoffenbarten Wahrheit abzuirren und auch andere mit sich in den Irrtum hineinzuziehen.

11 Daneben zeigt sich noch eine andere Gefahr, die um so ernster ist, je mehr sie sich in das Gewand der Tugend kleidet. Viele nämlich, die den Zwiespalt unter den Menschen und die Verwirrung der Geister beklagen, lassen sich von unklugem Eifer hinreißen und verlangen sehnlichst darnach, die Schranken niederzulegen, die rechtlich denkende, ehrenwerte Menschen voneinander scheiden. In dieser "irenischen" Einstellung gehen sie so weit, dass sie die Fragen, die die Menschen trennen, beiseite setzen und nicht nur daran arbeiten, mit vereinten Kräften den Ansturm des Atheismus abzuwehren, sondern auch in Fragen der Glaubenslehre Unvereinbares zu vereinbaren. Und wie es früher Leute gab, die sich die Frage stellten, ob die herkömmliche Art der kirchlichen Apologetik nicht eher ein Hindernis als eine Hilfe sei, die Seelen für Christus zu gewinnen, so fehlt es auch heute nicht an solchen, die so weit zu gehen wagen, dass sie sich allen Ernstes fragen, ob die Theologie und ihre Methode, wie sie in den Schulen mit Billigung der kirchlichen Autorität in Übung sind, nicht nur der Verbesserung, sondern einer vollen Umgestaltung bedürfe, damit das Reich Christi in aller Welt, unter Menschen jeglicher Kultur und jeglicher religiöser Anschauung mit größerem Erfolg ausgebreitet werde.

12 Wenn nun die Betreffenden auf nichts anderes ausgingen, als die kirchliche Wissenschaft und ihre Methode durch Einführung gewisser Neuerungen den Verhältnissen und Anforderungen der Jetztzeit mehr anzupassen, bestünde kaum ein Grund zu Besorgnis. Aber im Übereifer eines unklugen Irenismus erblicken manche, wie es scheint, ein Hindernis für die Wiederherstellung der Einheit unter den getrennten Brüdern in Dingen, die auf Normen und Grundsätzen ruhen, die Christus selbst aufgestellt, und auf Einrichtungen, die er getroffen hat, oder die Bollwerke und Pfeiler für die Unversehrtheit des Glaubens bilden, bei deren Sturz zwar alles eins wird, aber nur in Trümmern.

13 Derartige neue Anschauungen, ob sie nun aus verwerflicher Neuerungssucht oder aus einem lobenswerten Beweggrund stammen, werden nicht immer in gleichem Umfang, mit gleicher Deutlichkeit und mit gleichen Ausdrücken vorgetragen; auch sind ihre Vertreter unter sich dabei nicht immer völlig eins. Denn was die einen heute mehr verschleiert vorlegen in vorsichtig gewählten Wendungen und mit gewissen Unterscheidungen, lehren morgen andere mit größerer Kühnheit offen und hemmungslos, und das nicht ohne Anstoß für viele, insbesondere für den jungen Klerus, und nicht ohne Schädigung der kirchlichen Autorität. Wenn man sich bei der Veröffentlichung von Büchern gewöhnlich noch größere Zurückhaltung aufzuerlegen pflegt, so spricht man schon ungehemmter in Schriften, die unter der Hand rundgegeben werden, in Vorträgen und in geschlossenen Zirkeln. Solche Ansichten werden nicht nur unter dem Welt- und Ordensklerus verbreitet, sondern auch in Laienkreisen, vor allem bei den Lehrern und Erziehern der Jugend.

3. Theologischer und dogmatischer Relativismus

14 Was nun die Theologie betrifft, so gehen einige darauf aus, den Sinn der Dogmen möglichst abzuschwächen und das Dogma von der Ausdrucksweise, die seit langem in der Kirche gebräuchlich ist, und von den philosophischen Begriffen, deren sich die katholischen Gelehrten bedienen, freizumachen, um statt dessen bei der Darlegung der katholischen Lehre zur Sprechweise der Heiligen Schrift und der Kirchenväter zurückzukehren. Wenn das Dogma der Elemente, die der göttlichen Offenbarung angeblich nur äußerlich anhaften, erst entkleidet sein werde, dann lasse es sich, so hoffen sie, mit Aussicht auf Erfolg mit den Lehrmeinungen der von der Kirche Getrennten vergleichen, und so werde man schrittweise zu einer wechselseitigen Angleichung des katholischen Dogmas und der Anschauungen der Andersgläubigen gelangen.

15 Sei die katholische Lehre einmal auf diesen Stand gebracht, so werde damit, meinen sie, ein Weg geschaffen, auf dem man, wie es die heutigen Verhältnisse erheischen, das Dogma auch in den Begriffen der modernen Philosophie ausdrücken könne, des Immanentismus, des Idealismus, der Existenzphilosophie oder irgendeines anderen Systems. Das könne und müsse, betonen manche mit noch größerer Dreistigkeit, auch deshalb geschehen, weil sich ihrer Ansicht nach die Geheimnisse des Glaubens niemals durch vollständig zutreffende, sondern nur durch sog. angenäherte und ständig wandelbare Begriffe ausdrücken lassen, durch Begriffe, die die Wahrheit zwar in etwa andeuten, aber notwendigerweise auch entstellen. Sie halten es daher nicht für widersinnig, sondern für durchaus notwendig, dass die Theologie, entsprechend den verschiedenen philosophischen Systemen, deren sie sich im Lauf der Zeit als ihrer Werkzeuge bedient, die alten Begriffe durch neue ersetzt. Auf diesem Wege werde es gelingen, in zwar verschiedenen, in gewisser Hinsicht sogar entgegengesetzten, aber nach ihrer Meinung gleichwertigen Fassungen dieselben göttlichen Wahrheiten so wiederzugeben, wie es der Natur des Menschen entspricht. Sie fügen hinzu, die Dogmengeschichte bestehe in der Aufweisung der verschiedenen aufeinanderfolgenden Formen, in die die geoffenbarten Wahrheiten je nach den verschiedenen im Lauf der Jahrhunderte auftauchenden Lehrsystemen und Anschauungen gekleidet worden seien.

16 Die bisherigen Ausführungen zeigen klar, dass derartige Bemühungen nicht nur zum dogmatischen Relativismus hinführen, sondern ihn schon tatsächlich enthalten. Diesen Relativismus begünstigt nur allzu sehr die Geringschätzung, mit der man der traditionellen, allgemein angenommenen Lehre und der Terminologie, in der sie ausgedrückt wird, begegnet. Gewiss sieht jedermann, dass derartige Fachausdrücke, wie sie in den Schulen und vom kirchlichen Lehramt selbst gebraucht werden, eine Vervollkommnung und Verfeinerung erfahren können; außerdem ist bekannt, dass die Kirche im Gebrauch dieser Ausdrücke nicht immer konstant war. Auch ist klar, dass sich die Kirche nicht an ein beliebiges kurzlebiges philosophisches System binden kann; aber was von den katholischen Theologen übereinstimmend in jahrhundertelanger Arbeit aufgestellt worden ist, um einigermaßen zu einem Verständnis und einer Erfassung des Dogmas zu kommen, ruht nicht auf einem so hinfälligen Fundament. Denn es ruht auf Prinzipien und Begriffen, die der wahren und richtigen Erkenntnis der geschaffenen Dinge entstammen; bei Gewinnung und Formung dieser Erkenntnisse war die göttliche Offenbarung, wie ein Stern, dem menschlichen Geist mittels der Kirche eine Leuchte. Daher ist es nicht zu verwundern, dass einige derartige Begriffe von ökumenischen Konzilien nicht nur verwendet, sondern selbst festgelegt wurden, so dass es nicht erlaubt ist, davon abzugehen.

17 Vieles und Wertvolles ist in jahrhundertelanger Arbeit von Männern nicht gewöhnlicher Geisteskraft und Heiligkeit unter der wachsamen Aufsicht des kirchlichen Lehramtes und nicht ohne Erleuchtung und Führung des Heiligen Geistes erfasst, zum Ausdruck gebracht und nach und nach vervollkommnet worden, um die Wahrheiten des Glaubens immer bestimmter auszudrücken. All dies beiseite zu lassen, zu verwerfen oder seines Wertes zu entkleiden und an seine Stelle Begriffe, die auf unsicheren Voraussetzungen ruhen, und wandelbare und ungenaue Ausdrücke einer neuen Philosophie zu setzen, die wie die Blumen des Feldes heute sind und morgen vergehen, ist daher nicht nur im höchsten Grade unklug, sondern heißt auch das Dogma selbst gewissermaßen zu einem vom Winde hin und her bewegten Rohr machen. Die Geringschätzung der Ausdrücke und Begriffe, deren sich die scholastischen Theologen zu bedienen pflegen, führt von selbst dazu, der sog. spekulativen Theologie ihre Kraft zu nehmen, da diejenigen, die so vorangehen, der Ansicht sind, sie biete keine echte Sicherheit, weil sie sich auf theologisches Schluss verfahren stütze.

4. Falscher Begriff vom Lehramt der Kirche

18 In der Tat gehen die Vertreter der neuen Richtung leider von der Geringschätzung der scholastischen Theologie leicht einen Schritt weiter zur Vernachlässigung, ja sogar zur Verachtung des kirchlichen Lehramtes selbst, das diese Theologie mit seiner Autorität so nachdrücklich gutheißt. Sehen sie doch dieses kirchliche Lehramt als Hemmschuh des Fortschrittes und Hindernis der Wissenschaft an; manche Nichtkatholiken hinwieder betrachten es als eine Art unberechtigten Zügels, der einige aufgeschlossenere Theologen an der Erneuerung ihres Faches hindere. Und doch muss das kirchliche Lehramt für jeden Theologen in Sachen des Glaubens und der Sitten nächste und allgemeine Norm der Wahrheit sein, da ja ihm Christus der Herr die ganze Glaubenshinterlage, die Heilige Schrift und die göttliche überlieferung, zur Bewahrung, Verteidigung und Erklärung anvertraut hat. Trotzdem wird die Verpflichtung, die den Gläubigen obliegt, auch jene Irrtümer zu fliehen, die der Häresie mehr oder weniger nahekommen, und sich daher auch "an die Kundgebungen und Erlasse zu halten, durch die derartige Ansichten vom Heiligen Stuhl verurteilt und verboten werden",<ref>CIC, e an. 1324; cfr. Conc. Vat., D, B. 1820, Cost. De Fide cath., cap. 4, De fide et ratione, post canones.</ref> bisweilen in einer Weise übergangen, als ob sie überhaupt nicht bestünde. Was die Römischen Päpste in ihren Rundschreiben über die Natur und Verfassung der Kirche darlegen, wird von manchen geflissentlich außer acht gelassen, und dies deshalb, damit ein mehr unbestimmter Begriff, der, wie sie erklären, aus den alten Kirchenvätern, besonders den Griechen, geschöpft sei, sich durchsetze. Denn die Päpste, so behaupten sie immer wieder, beabsichtigen nicht, über Fragen, die unter den Theologen strittig sind, ein Urteil abzugeben; man müsse daher auf die alten Quellen zurückgehen und die neueren Kundgebungen und Erlasse des kirchlichen Lehramts nach den Schriften des Altertums auslegen.

19 Das mag nun treffend gesagt erscheinen, ist aber nicht frei von Trug. Es ist ja gewiss richtig, dass die Päpste den Theologen im allgemeinen Freiheit lassen in Fragen, die von bedeutenden Gottesgelehrten so oder anders verstanden werden; aber die Geschichte lehrt auch, dass manches, was zuerst Gegenstand freier Meinung war, später keine Freiheit der Meinung mehr zuließ.

20 Man darf auch nicht die Ansicht hegen, das, was in den Päpstlichen Rundschreiben gesagt wird, verlange an sich keine Zustimmung, weil die Päpste in solchen Schreiben nicht von ihrer höchsten Lehrgewalt Gebrauch machen. Denn es ist das Ordentliche Lehramt, das hier spricht, von dem ganz ebenso das Wort gilt: ?,Wer euch hört, höret mich"<ref>{{#ifeq: Evangelium nach Lukas | Humani generis (Wortlaut) |{{#if: Lk|Lk|Evangelium nach Lukas}}|{{#if: Lk |Lk|Evangelium nach Lukas}}}} 10{{#if:16|,16}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref> und meist gehören die Dinge, dIe in den Enzykliken gesagt und eingeschärft werden, auch schon sonstwie zur katholischen Lehre. Wenn aber Päpste in Ihren amtlichen Kundgebungen zu einer bisher strittigen Frage mit Absicht Stellung nehmen, so ist allen klar, dass diese Sache nach Meinung und Wille eben dieser Päpste nicht mehr als Gegenstand freier Meinungsäußerung unter den Theologen betrachtet werden kann.

21 Richtig ist auch, dass die Theologen immer wieder auf die Quellen der göttlichen Offenbarung zurückgehen müssen: ist es doch ihre Aufgabe zu zeigen, inwiefern das, was das lebendige Lehramt verkündet, in der Heiligen Schrift und in der göttlichen Überlieferung, sei es ausdrücklich, sei es einschließlich, enthalten ist. Es kommt hinzu, dass beide Quellen der von Gott geoffenbarten Lehre so reiche und so bedeutsame Schätze der Wahrheit bergen, dass sie in der Tat nie ganz ausgeschöpft werden können. Daher erfahren die theologischen Wissenschaften durch das Studium der heiligen Quellen immer wieder eine Verjüngung, wogegen eine Spekulation, die das beständige Zurückgreifen auf die Glaubenshinterlage vernachlässigt, erfahrungsgemäß unfruchtbar wird. Aber das ist kein genügender Grund, die Theologie, auch nicht die sog. positive, mit der reinen Geschichtswissenschaft auf gleiche Stufe zu stellen. Denn Gott hat seiner Kirche zugleich mit den genannten heiligen Quellen das lebendige Lehramt gegeben, damit es auch das, was in der Glaubenshinterlage nur dunkel und gleichsam Einschlussweise enthalten ist, aufhelle und herausstelle. Diese Glaubenshinterlage hat der göttliche Erlöser nicht den einzelnen Gläubigen und selbst nicht den Theologen, sondern ausschließlich dem kirchlichen Lehramt zur authentischen Erklärung anvertraut. Wenn nun die Kirche, wie es im Lauf der Jahrhunderte zu wiederholten Malen geschehen ist, dieses ihr Amt ausübt - sei es in der Form der ordentlichen, sei es in der der außerordentlichen Betätigung -, so ist offensichtlich, dass eine Methode, in der Klares aus Unklarem erklärt wird, durch und durch falsch ist, dass vielmehr von allen notwendigerweise die entgegengesetzte Ordnung befolgt werden muss. Daher fügte Unser Vorgänger unvergesslichen Angedenkens, Pius IX., der Erklärung, es sei die vornehmste Aufgabe der Theologie, zu zeigen, wie eine von der Kirche definierte Lehre in den Glaubensquellen enthalten sei, nicht ohne schwerwiegenden Grund die Worte bei: "in eben dem Sinn, in dem sie [von der Kirche] definiert worden ist".<ref>Pius IX., Inter gravissimas, 28 oct. 1870, Acta, voI, I,p. 260. </ref>

5. Missverstandene Auslegung der Heiligen Schrift

22 Kehren wir nunmehr zu den oben berührten neueren Ansichten zurück. Hier wird auch manches von einigen vorgetragen und anderen beigebracht, was der göttlichen Autorität der Heiligen Schrift abträglich ist. Manche vermessen sich, den Sinn der Definition des Vatikanischen Konzils über Gott als den Urheber der Heiligen Schrift zu verfälschen, und vertreten von neuem die schon mehrmals von der Kirche verworfene Ansicht, die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift beziehe sich nur auf das was über Gott sowie über die sittliche und religiöse Ordnung ausgesagt wird. Fälschlich sprechen sie sogar von einem menschlichen Sinn der heiligen Bücher, unter dem der göttliche Sinn verborgen liege, dem allein sie die Irrtumslosigkeit zuerkennen. Bei der Auslegung der Heiligen Schrift wollen sie keinerlei Rücksicht genommen wissen auf die "Analogie des Glaubens" und auf die kirchliche Überlieferung. Daher ist ihrer Ansicht nach die Lehre der heiligen Väter und des kirchlichen Lehramtes gewissermaßen am Maßstab der Heiligen Schrift, und zwar so wie diese von den Exegeten nach rein menschlicher Methode ausgelegt wird, zu bemessen, und nicht umgekehrt, eben diese Heilige Schrift auszulegen im Geiste der Kirche, die Christus der Herr zur Hüterin und Erklärerin der Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheit bestellt hat.

23 Außerdem muss der Literalsinn der Heiligen Schrift und ihre Auslegung, wie sie unter der Aufsicht der Kirche von so vielen und bedeutenden Exegeten erarbeitet worden ist, nach den von diesen Leuten erdachten Grundsätzen einer neuen Exegese weichen, die sie als symbolische und geistige bezeichnen. Durch diese Exegese würden die Bücher des Alten Testaments, die heute in der Kirche wie in einem versiegelten Quell verborgen lägen, endlich einmal allen eröffnet. Diese Methode, behaupten sie, behebe alle die Schwierigkeiten, die nur solche behindern, die sich an den Literalsinn halten.

24 Jedermann sieht, wie weit sich all dies entfernt von den Grundsätzen und hermeneutischen Regeln, die Unsere Vorgänger seI. Anged. Leo XIII. in dem Rundschreiben "Providentissimus" und Benedikt XV. in dem Rundschreiben "Spiritus Paraclitus" und auch Wir selbst in dem Rundschreiben "Divino afflante Spiritu" mit Fug und Recht aufgestellt haben.

6. Zehn theologische Irrtümer der Gegenwart

25 Es ist nicht zu verwundern, dass derartige Neuerungen auf fast allen Gebieten der Theologie bereits giftige Früchte gezeitigt haben. Es wird in Zweifel gezogen, ob die menschliche Vernunft imstande sei, durch Beweise, die den geschaffenen Dingen entnommen sind, ohne Hilfe der göttlichen Offenbarung und der göttlichen Gnade das Dasein eines persönlichen Gottes darzutun; es wird geleugnet, dass die Welt einen Anfang gehabt hat; es wird behauptet, die Erschaffung der Welt sei notwendig, da sie aus der notwendigen Freigebigkeit der göttlichen Liebe erfolge; gleicherweise wird das ewige und unfehlbare Vorauswissen der freien Handlungen der Menschen Gott abgesprochen: alles Dinge, die den Erklärungen des Vatikanischen Konzils entgegen sind.<ref>Cfr. Conc. Vat., Const. De Fide cath., cap. 1, De Deo rerum omnium creatore.</ref>

26 Von einigen wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Engel Geschöpfe mit Persönlichkeitscharakter sind; ob zwischen Materie und Geist ein wesentlicher Unterschied bestehe. Andere nehmen der übernatürlichen Ordnung die Eigenart einer wirklich ungeschuldeten Gabe, da sie behaupten, Gott könne keine vernunftbegabten Wesen schaffen, ohne sie zu seiner beseligenden Anschauung zu bestimmen und zu berufen. Damit nicht genug: unter Hintansetzung der Definitionen des Konzils von Trient verderben sie den Begriff der Erbsünde und zugleich den der Sünde überhaupt als einer Beleidigung Gottes, und ebenso den der Genugtuung, die Christus für uns geleistet hat. Es fehlt auch nicht an solchen, die behaupten, die Lehre von der Transsubstantiation, die ja auf einem veralteten Substanzbegriff ruhe, sei so umzugestalten, dass die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligen Eucharistie in einem gewissen symbolischen Sinn verstanden werde, insofern die konsekrierten Spezies nur wirksame Zeichen seien für die geistige Gegenwart Christi und für seine in seinem mystischen Leib sich vollziehende innigste Vereinigung mit den Gläubigen, dessen Gliedern.

27 Einige meinen auch, sie seien nicht gebunden durch die von Uns vor einigen Jahren in Unserem Rundschreiben dargelegte und auf den Offenbarungsquellen gründende Lehre, dass der mystische Leib Christi und die Katholische Römische Kirche eins und dasselbe sind.<ref>Litt. Enc. Mystici corporis christi, AAS vol. XXXV, p. 193 sq. </ref> Wieder andere machen die Notwendigkeit, zur wahren Kirche zu gehören, um das ewige Heil zu erlangen, zu einer leeren Formel. Andere endlich tun dem vernunftbegründeten Charakter der "Glaubwürdigkeit" der christlichen Lehre ungerechten Eintrag.

II. Darlegung der katholischen Lehre

28 Es steht fest, dass diese und ähnliche Ansichten bereits bei manchen Unserer Söhne umgehen, die sich durch unklugen Seeleneifer oder vermeintliche Wissenschaftlichkeit täuschen lassen. Ihnen gegenüber sehen Wir Uns zu Unserem großen Schmerz genötigt, ganz bekannte Wahrheiten zu wiederholen und auf die offenkundigen Irrtümer sowie die Gefahren des Irrtums nicht ohne bange Sorge hinzuweisen.

1. Die Philosophie betreffend :

a) Richtige Einschätzung des menschlichen Verstandes

29 Es ist allgemein bekannt, welche Bedeutung die Kirche der menschlichen Vernunft beilegt, wo es sich darum handelt, das Dasein des einen persönlichen Gottes mit Sicherheit zu beweisen, die Grundlagen des christlichen Glaubens durch die von Gott gegebenen Zeichen unwiderleglich darzutun, das Gesetz, das Gott in das menschliche Herz gelegt hat, richtig zum Ausdruck zu bringen und endlich zu einem gewissen Grad der Erkenntnis der Glaubensgeheimnisse zu gelangen, und zwar nicht ohne reiche Frucht.<ref>Cfr. Conc. Vat., D. B., 1796. </ref>

b) Die traditionelle Philosophie

Diese Aufgabe wird indessen die Vernunft nur dann gehörig und sicher erfüllen können, wenn sie eine entsprechende Durchbildung erfahren hat, d. h. mit jener gesunden Philosophie ausgestattet ist, die als aus der Vorzeit langer christlicher Jahrhunderte überkommenes Erbgut in Geltung ist und die dazu noch ein Ansehen höherer Ordnung besitzt, weil das kirchliche Lehramt selbst ihre Prinzipien und Hauptlehren, die hochbegabte Männer nach und nach herausgearbeitet und genau gefasst haben, am Maßstab der göttlichen Offenbarung gemessen hat. Diese Philosophie, die in der Kirche anerkannt und angenommen ist, schützt den wahren und echten Wert der menschlichen Erkenntnisse, die unerschütterlichen metaphysischen Prinzipien - das des hinreichenden Grundes, der Kausalität und der Finalität -, und gewährleistet die Erreichung sicherer und unwandelbarer Wahrheit.

c) der wahre philosophische Fortschritt

30 In dieser Philosophie wird gewiss manches behandelt, was mit Fragen des Glaubens und der Sitten weder direkt noch indirekt zusammenhängt und daher von der Kirche der freien Erörterung der Fachleute überlassen wird; aber in vielen anderen Fragen, besonders hinsichtlich der oben erwähnten Prinzipien und Hauptlehren, besteht nicht die gleiche Freiheit. Man darf zwar auch in solchen wesentlichen Fragen die Philosophie in ein passenderes und reicheres Gewand kleiden, sie durch zutreffendere Fassungen sicherstellen, sie von gewissen weniger geeigneten Schulbehelfen frei machen, sie auch mit Vorsicht bereichern durch manches, was der menschliche Geist fortschreitend erarbeitet hat. Aber niemals ist es berechtigt, sie zu untergraben, durch falsche Prinzipien zu entstellen oder in ihr einen zwar großartigen, aber veralteten Bau zu erblicken. Denn die Wahrheit und jede philosophische Fassung derselben kann nicht von einem Tag auf den andern verändert werden, vor allem, wo es sich um Prinzipien handelt, die dem menschlichen Geist unmittelbar bekannt sind, oder um Lehren, die sich auf die Weisheit der Jahrhunderte stützen und auch darauf, dass sie mit der göttlichen Offenbarung in Einklang stehen und durch sie bestätigt werden. Was immer der menschliche Geist in ehrlicher Forscherarbeit zu finden vermag, kann tatsächlich der bereits gefundenen Wahrheit nicht widerstreiten. Denn Gott, die höchste Wahrheit, hat den menschlichen Verstand geschaffen und leitet ihn, nicht damit er der richtig erworbenen Wahrheit täglich Neues entgegensetze, sondern damit er, unter Beseitigung etwa eingeschlichener Irrtümer, Wahrheit auf Wahrheit baue in der gleichen Ordnung und Harmonie, in der die Natur selbst, aus der wir die Wahrheit schöpfen, aufgebaut erscheint. Darum soll der Christ, sei er Philosoph oder Theologe, nicht übereilt und leichthin alles, was Tag für Tag an Neuem ausgesonnen wird, aufnehmen, sondern er soll es mit größter Sorgfalt prüfen und mit rechter Waage wägen, um die schon gewonnene Wahrheit nicht zu verlieren oder zu verderben, was sicher nicht ohne schwere Gefährdung und Schädigung des Glaubens selbst erfolgen würde.

d) Die Lehre des heiligen Thomas von Aquin

31 Erfasst man diese Sachlage klar, so sieht man leicht ein, warum die Kirche verlangt, dass die künftigen Priester ihre philosophische Ausbildung "nach der Methode, der Lehre und den Grundsätzen des Doctor Angelicus" erhalten.<ref>CIC, can. 1366, 2.</ref> Ist ihr doch aus jahrhundertelanger Erfahrung bekannt, dass die Methode und Eigenart des Aquinaten besondere Vorzüge besitzt, sei es für die Ausbildung der Anfänger, sei es für die Durchdringung noch unerforschter Wahrheiten; seine Lehre aber weiß sie in harmonischem Einklang mit der göttlichen Offenbarung und kennt sie als überaus wirksam, um die Grundlagen des Glaubens sicherzustellen und die Früchte eines gesunden Fortschrittes mit Nutzen und ohne Gefahr zu ernten.<ref>AAS vol. XXXVIII, 1946, p. 387. </ref>

32 Es ist daher tief bedauerlich, dass die in der Kirche angenommene und anerkannte Philosophie heute von manchen gering geschätzt wird, und man sie ohne weiteres als veraltet in der Form und als rationalistisch in ihrem Denkverfahren hinstellt. Fort und fort behauptet man, diese unsere Philosophie vertrete zu Unrecht die Anschauung, es könne eine absolut wahre Metaphysik geben, wogegen man versichert, die Wahrheiten, insbesondere die transzendenten, könnten nicht passender ausgedrückt werden als durch unter sich verschiedene Sätze, die sich gegenseitig ergänzen, so sehr sie auch untereinander in einem gewissen Gegensatz stehen. Die Philosophie, die in unseren Schulen gelehrt wird, könne daher - so gibt man zu - mit ihrer lichtvollen Darlegung und Lösung der Fragen, mit ihrer genauen Begriffsbestimmung und ihren klaren Unterscheidungen als Vorschule für die scholastische Theologie dienlich sein, eine Vorschule, die dem Geist des Mittelalters in hervorragender Weise angepasst sei, aber sie biete nicht die Art des Philosophierens, die unserer modernen Kultur und deren Bedürfnissen entspreche. Ferner wendet man ein, die "philosophia perennis" sei ausschließlich Philosophie der unveränderlichen Essenzen, wogegen der moderne Geist auf die Existenz der Einzeldinge und auf das beständig im Fluss befindliche Leben gerichtet sein müsse. Während man so unsere Philosophie verachtet, rühmt man dagegen andere philosophische Systeme, sei es des Altertums oder der Jetztzeit, sei es der Völker des Morgen- oder des Abendlandes, in einer Weise, die nahezulegen scheint, es lasse sich jede Philosophie und Geistesrichtung, gewisse, allenfalls notwendige Richtigstellungen und Zusätze vorausgesetzt, mit dem katholischen Dogma vereinbaren. Und doch kann kein Katholik daran zweifeln, dass diese Ansicht durch und durch falsch ist, besonders wo Auffassungen in Frage kommen, wie die des Immanentismus, des Idealismus, des historischen oder dialektischen Materialismus oder auch der Existenzphilosophie, mag sie sich zum Atheismus bekennen oder zum mindesten gegen den Wert des metaphysischen Schlussverfahrens wenden.

33 Schließlich macht man der in unseren Schulen überlieferten Philosophie auch den Vorwurf, sie achte beim Denkprozess allein auf den Verstand und vernachlässige die Bedeutung des Willens und des Gemütslebens. Das entspricht nicht den Tatsachen. Denn die christliche Philosophie hat die heilsame Einwirkung einer richtigen inneren Gesamthaltung auf das volle Erkennen und Aufnehmen der religiösen und sittlichen Wahrheiten nie in Abrede gestellt; im Gegenteil, sie hat immer gelehrt, dass der Mangel der genannten inneren Einstellung der Grund sein kann, warum der Verstand unter dem Einfluss der Leidenschaften und eines verkehrten Willens so verdunkelt wird, dass er nicht mehr richtig sieht. Der hl. Thomas hält sogar dafür, der Verstand könne höhere, der natürlichen oder übernatürlichen Ordnung angehörende sittliche Werte einigermaßen erfassen, insofern er in seiner Seele eine gewisse natürliche oder durch die Gnade hinzukommende gemüthafte Naturverwandtschaft mit eben diesen Werten erfährt,<ref>Cfr. S. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II – II, quaest. 1, art. 4 ad 3 et quaest. 45, art 2, in 6. </ref> und es ist einleuchtend, wie sehr eine solche, wenngleich einigermaßen dunkle Erkenntnis dem forschenden Verstand von Nutzen sein kann. Es ist indes etwas anderes, einer affektiven Willensdisposition die Kraft zuzuschreiben, dem Verstand bei der Erwerbung einer sicheren und gefestigteren Erkenntnis der sittlichen Wahrheiten behilflich zu sein, und etwas anderes, was jene Neuerer anstreben, dem Strebe- und Gemütsvermögen eine Art Intuition zuzuerkennen und den Menschen, da er auf dem Wege der Verstandestätigkeit nicht mit Sicherheit entscheiden könne, was als wahr anzunehmen sei, auf den Willen zu verweisen, mit dem er in freier Entscheidung unter den entgegengesetzten Anschauungen seine Wahl treffe. Hier werden Erkennen und Wollen ohne die gehörige Unterscheidung vermengt.

e) Aufgabe der Theodizee und der Ethik

34 So ist es nicht zu verwundern, dass durch diese neuen Theorien zwei Zweige der Philosophie gefährdet werden, die ihrer Natur nach mit der Glaubenslehre eng zusammenhängen: die Theodizee und die Ethik. Man hält nämlich dafür, Aufgabe dieser Wissenschaften sei nicht, etwas Sicheres über Gott oder etwas anderes Transzendentes zu ermitteln, sondern vielmehr zu zeigen, dass das, was der Glaube über den persönlichen Gott und seine Gebote lehrt, mit den Forderungen des Lebens vollkommen übereinstimme und daher von allen angenommen werden müsse, wenn anders man der Verzweiflung entgehen und das ewige Heil erreichen wolle. All das widerstreitet klar den Kundgebungen Unserer Vorgänger Leo XIII. und Pius X. und lässt sich auch nicht mit den Lehrentscheidungen des Vatikanischen Konzils vereinbaren. Es wäre gewiss unnötig, über diese Abirrungen von der Wahrheit - Klage zu führen, wenn alle auch in philosophischen Fragen mit der gebührenden Ehrfurcht auf das kirchliche Lehramt achten wollten, dem es in der Tat kraft göttlicher Anordnung zusteht, nicht nur die Hinterlage der von Gott geoffenbarten Wahrheiten zu hüten und zu erklären, sondern auch über die Lehren der Philosophie zu wachen, damit die katholischen Dogmen durch unrichtige Anschauungen nicht Schaden leiden.

2. Die positiven Wissenschaften betreffend

35 Nun bleibt noch etwas zu sagen über Fragen, die zwar zu den so genannten positiven Wissenschaften gehören, aber dennoch mit Wahrheiten des christlichen Glaubens mehr oder minder verknüpft sind. Nicht wenige fordern nämlich nachdrücklich, die katholische Religion solle auf diese Wissenschaften weitestgehend Rücksicht nehmen. Das ist tatsächlich lobenswert, wo es sich um wirklich bewiesene Tatsachen handelt, kann aber dort nur mit Vorsicht Anwendung finden, wo vielmehr Hypothesen in Frage kommen, die zwar im menschlichen Wissen irgendwie ein Fundament haben, aber auch in der Heiligen Schrift und der Überlieferung enthaltene Lehren berühren. Wenn nun derartige Hypothesen direkt oder indirekt der von Gott geoffenbarten Lehre widerstreiten, dann kann die genannte Forderung in keiner Weise anerkannt werden.

a) Biologische und anthropologische Fragen

36 Das kirchliche Lehramt verbietet daher nicht, dass die Entwicklungslehre, entsprechend dem heutigen Stand der Profanwissenschaft und der Theologie, von den Fachleuten beider Gebiete in Forschung und Erörterung behandelt werde, insofern die Untersuchung den Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorliegender und belebter Materie betrifft; denn bezüglich der Seele gebietet uns der katholische Glaube, daran festzuhalten, dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist. Bei dieser Untersuchung soll man die Gründe für beide Ansichten, die zugunsten und die zuungunsten sprechenden, mit gebührendem Ernst, mit der gebührenden Besonnenheit und Mäßigung abwägen und beurteilen, und alle sollen bereit sein, sich dem Urteil der Kirche zu unterwerfen, der von Christus das Amt übertragen ist, die Heilige Schrift authentisch zu erklären und die Dogmen des Glaubens zu schützen.<ref>Cfr. Allocut. Pont, ad membra Academiae Scientiarum, 30 novembris 1941 : A.A.S voL XXXIII, p. 506. </ref> Über diese Freiheit der Erörterung gehen manche in kühner Vermessenheit hinweg und benehmen sich so, als ob der Ursprung des menschlichen Leibes aus schon vorhandener belebter Materie durch die bisher festgestellten Indizien und die aus diesen Indizien abgeleiteten Schlussfolgerungen schon einfachhin sicher und bewiesen sei, und als ob von seiten der Quellen der göttlichen Offenbarung nichts vorliege, was die größte Mäßigung und Vorsicht in dieser Frage verlange.

37 Wenn man aber von einer anderen Hypothese spricht, dem so genannten Polygenismus, so steht den Kindern der Kirche keineswegs die gleiche Freiheit zu. Denn die Gläubigen können nicht die Ansicht halten, deren Vertreter behaupten, es habe nach Adam auf unserer Erde wirkliche Menschen gegeben, die nicht aus ihm, als dem Stammvater aller, auf dem Wege natürlicher Zeugung ihren Ursprung hätten, oder "Adam" bedeute eine Mehrheit von Stammvätern. Denn es ist durchaus nicht ersichtlich, wie sich eine derartige Ansicht vereinbaren lässt mit dem, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die Äußerungen des kirchlichen Lehramts über die Erbsünde lehren, die ihren Ursprung hat in der in Wirklichkeit von dem einen Adam begangenen Sünde und die, durch Zeugung auf alle übertragen, in jedem als ihm eigene Sünde vorhanden ist.<ref>Cfr. Rom. V, 12 – 19; Conc. Trid., sess. V, can. 1 – 4.</ref>

b) Der historische Wert der Genesis

38 Wie in Biologie und Anthropologie, so überschreiten manche auch in der Geschichtswissenschaft kühn die von der Kirche gesetzten Schranken und Sicherungen. Insbesondere muss man Klage führen über eine allzu große Freiheit in der Erklärung der Geschichtsbücher des Alten Testamentes. Die Verfechter dieser Erklärung berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens mit Unrecht auf das Schreiben, das die Päpstliche Bibelkommission vor nicht langer Zeit an den Erzbischof von Paris gerichtet hat.<ref>Die 16 ianuarii 1948 : AAS vol. XL, pp. 45-48.</ref> Denn dieses Schreiben weist klar darauf hin, dass die ersten elf Kapitel der Genesis in einem wahren Sinn, der von den Exegeten noch näher zu untersuchen und zu bestimmen ist, Geschichtsdarstellung sind, wenn sie auch nicht mit der Art der Geschichtsschreibung übereinstimmen, deren sich die hervorragenden griechischen und lateinischen Geschichtsschreiber oder auch die modernen Fachgelehrten bedienen, und dass diese Kapitel in einfacher und bildhafter, dem Verständnis eines wenig gebildeten Volkes angepasster Form die Hauptwahrheiten bieten, die für das von uns zu erreichende ewige Heil grundlegend sind, und außerdem eine volkstümliche Darstellung der Anfänge der Menschheit und des Auserwählten Volkes geben. Wenn aber die alten Verfasser der heiligen Bücher etwas aus Volksüberlieferungen geschöpft haben - was zugegeben werden kann -, so darf man nie vergessen, dass sie dies mit Beihilfe der göttlichen Inspiration getan haben, durch die sie in der Auswahl und Beurteilung jener Quellen vor jedem Irrtum bewahrt wurden.

39 Was aber aus Volksüberlieferungen in die Heilige Schrift aufgenommen worden ist, darf keineswegs mit Mythologien und anderen derartigen Dingen auf gleiche Stufe gestellt werden. Diese entspringen nämlich mehr der freien Phantasie als jenem Streben nach schlichter Wahrheit das in den heiligen Büchern, auch des Alten Testaments, so stark hervorleuchtet, dass man den Verfassern unserer heiligen Bücher offenkundig den Vorrang vor den Profanschriftstellern des Altertums einräumen muss.

Schluss : Pflichten der kirchlichen Behörden und Professoren

40 Wir wissen wohl, dass die meisten katholischen Professoren, die die Universitäten, kirchlichen Seminarien und Ordenshochschulen der Früchte ihres Fleißes teilhaftig machen, frei sind von diesen Irrtümern, die heute, sei es aus Neuerungssucht, sei es aus einer ungeordneten apostolischen Einstellung, offen oder insgeheim verbreitet werden. Aber Wir wissen ebenfalls, dass solche neue Anschauungen Unvorsichtige verführen können. Darum ziehen Wir es vor, den ersten Anfängen entgegenzutreten, statt die Heilmittel erst anzuwenden, wenn die Krankheit schon eingewurzelt ist.

41 Um es in Ausübung Unseres heiligen Amtes an nichts fehlen zu lassen, schreiben Wir, nach reiflicher Überlegung und Prüfung vor Gott, daher den Bischöfen und den Obern der Ordensgenossenschaften unter schwerer Verpflichtung im Gewissen vor, mit aller Sorgfalt Vorkehrung zu treffen, dass derartige Ansichten in Schulen, Versammlungen und Schriften jeder Art nicht gelehrt oder den Klerikern oder Gläubigen in irgendeiner Form vorgetragen werden.

42 Alle diejenigen, die in kirchlichen Anstalten lehren, sollen wissen, dass sie das ihnen anvertraute Lehramt nicht mit gutem Gewissen ausüben können, wenn sie die von Uns hier über die Lehre erlassenen Vorschriften nicht gewissenhaft annehmen und bei der Unterweisung ihrer Schüler aufs genaueste einhalten. Die pflichtmäßige Ehrfurcht und Unterwürfigkeit, die sie bei ihrer hingebenden Arbeit dem kirchlichen Lehramt entgegenbringen müssen, sollen sie auch ihren Schülern in Geist und Herz einpflanzen.

43 Gewiss sollen sie sich mit aller Kraft und Anstrengung bemühen um den Fortschritt der Fächer, die sie lehren; sie müssen sich aber auch davor hüten, die von Uns zum Schutz der Wahrheit des Glaubens und der katholischen Lehre gezogenen Grenzen zu überschreiten. Neuen Fragen, wie sie die moderne Kultur und der Fortschritt der Zeit gebracht haben, mögen sie mit vollem Einsatz ihre Forschungsarbeit zuwenden, aber unter Wahrung der erforderlichen Klugheit und Vorsicht. Endlich sollen sie nicht in falschem Irenismus meinen, die Außenstehenden und Irrenden könnten auf anderem Weg erfolgreich in den Schoß der Kirche zurückgeführt werden als dadurch, dass ihnen allen die volle Wahrheit, wie sie in der Kirche in Geltung ist, ohne jede Entstellung und jeden Abstrich vorgelegt wird.

44 In dieser Hoffnung, die durch euere Hirtensorge bestärkt wird, erteilen Wir als Unterpfand der himmlischen Gnaden und als Zeichen Unseres väterlichen Wohlwollens euch allen und jedem einzelnen, Ehrwürdige Brüder, euerem Klerus und Volk von Herzen den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 12. August 1950,

im zwölften Jahr unseres Pontifikates

Pius XII. PP.

Anmerkungen

<references />