Virtutis exemplum et magistra (Wortlaut)

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Apostolischer Brief
Virtutis exemplum et magistra

von Papst
Johannes Paul II.
an den Generalobern der Unbeschuhten Karmeliten, P. Felipe Sáinz de Baranda
zum 400. Todesjahr der hl. Theresia von Avila
14. Oktober 1981
(Offizieller lateinischer Text: AAS 73 [1981] 692-700)

(Quelle: Wort und Weisung 1981, S. 548-555)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


"GEGENWART DES HERRN IM KLEINEN HIMMEL UNSERER SEELE"
Dir, geliebter Bruder, Gruß und Apostolischen Segen!

Am 4. Oktober 1582, dem Tag, der nach dem damals gerade eingeführten Gregorianischen Kalender zum 15. Oktober wurde, ist die hl. Theresia von Jesus, Vorbild und Lehrerin der Tugend, nicht etwa durch das Alter beschwert oder durch Krankheit geschwächt, sondern stets von einem leidenschaftlichen Geist und glühender Liebe zu Gott und der Kirche erfüllt, in Alba in der Diözese Salamanca zum himmlischen Bräutigam aufgebrochen. Während sie den langen, vom Geschenk der Gnade erleuchteten Weg durchlief - wahrhaftig ein "Weg der Vollkommenheit", auf dem sie zum Dienst der Liebe im Gebet sich übend schnell aufstieg und immer tiefer in die "Seelenburg" vordrang -, erkannte sie durch ihre Erfahrung, dass die Liebe, je enger sie jemanden mit Gott verbindet, ihn um so heftiger dazu antreibt, mit der Kirche zu fühlen und sich ihr hinzugeben. Ihre Autobiographie, die die Kontemplation des lebendigen Gottes und die Gründung von Klöstern entsprechend ihrer Reform des Karmels zum Gegenstand hat, enthält ganz deutlich eine Denkweise, die weit offen ist für jenes Geheimnis und jene Präsenz, deren Sakrament die Kirche ist. Sterbend rief die hl. Theresia aus: "Ich bin eine Tochter der Kirche", und gab damit deutlich ihre Geisteshaltung zu erkennen, aus der heraus die Betrachtung Gottes in Christus zur liebenden Betrachtung der Kirche wird. Das Verlangen, sich Gott hinzugeben, wird zum Willen, sich der Kirche hinzugeben; das Opfer ihrer selbst um Jesu willen wird zur Ergänzung dessen, was seiner Passion zum Wohl seines Leibes, der Kirche, noch fehlt. Auch das Buch Weg der Vollkommenheit, bei dessen Abfassung sie ihren Blick fest auf Jesus und seine Kirche geheftet hielt (vgl. Kap. 1-3), endet mit dem oben erwähnten Ausruf. Die eigentliche Bedeutung dieses Rufes, nämlich, mit der Kirche zu fühlen, mit ihr zu leben und sie zu unterstützen, wird uns von Theresia als Frucht aus der Fülle mystischen Lebens vorgestellt (vgl. Die Seelenburg, VII, 4, 4).

1. Vierhundert Jahre nach ihrem Tod erscheint uns diese großartige Frau wie umflutet von diesem kirchlichen Licht. Als mein Vorgänger seligen Andenkens Paul VI. sie im Jahre 1970 zur Ki.rchenlehrerin erhob, stellte er das, was sie uns über das Erlernen des Gebetes überlieferte, in den Mittelpunkt, auf dass sie "mit immer größerer Autorität ihren Heilsdienst in ihrer eigenen Ordensfamilie, in der betenden Kirche und in der Welt erfülle" (vgl. A.A.S., 62, 1970, S.592). In dieser Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, dem eine allgemeine Bereitschaft zu innerer Erneuerung folgte, ist der vierhundertste Todestag der hl. Theresia in der Tat ein wirksamer Ansporn für die Seelen, sich den höchsten Gütern zuzuwenden, für die Theresia ihr Leben verzehrte und die die Allgemeine Synode auch den Menschen unserer Zeit nahezu bringen versuchte.

Diese ohne Beispiel dastehende Frau setzte das Zeitalter des Konzils von Trient durch ihr so überaus stark auf die Kirche ausgerichtetes Denken und Fühlen derart in Bewegung, dass man es fast charismatisch nennen könnte. Sie betrachtete nämlich die Kirche als Heilssakrament (vgl. Die Seelenburg, V, 2, 3), das in der heiligen Liturgie wirksam wird (vgl. Autobiographie, 31, 4) durch den vermittelnden Dienst der Hierarchie und des Priestertums, deren Mitglieder lumina Ecclesiae, "Lichter der Kirche" sein sollen. Sie will deshalb, dass das, was sie erfährt und niederschreibt, von der Kirche gebilligt wird und dass ihre Töchter in voller Gemeinschaft mit der Kirche und unter Wahrung des Gehorsams gegenüber der Kirche diese Lehre annehmen (vgl. Weg der Vollkommenheit, Prolog.; ebd., 30, 4). Was sie lehrte, das tat sie auch, und sie konnte von sich selbst bezeugen: "Sie war immer, wie sie es auch jetzt ist, in allem dem heiligen katholischen Glauben demütig ergeben. Mit ihren Gebeten und den Klöstern, die sie gründete, wollte sie seinem Wachstum dienen" (vgl. Geistliche Berichte, IV, 6).

Diese Worte zeigen klar die Liebe zur Kirche, die in Theresias Gebet und in ihren Werken glüht. Ihre besorgten Ermahnungen an ihre geistlichen Töchter, für die Kirche zu beten und sich für sie aufzuopfern, machen aber nicht nur deutlich, dass ihr bei der von ihr durchgeführten Reform vor allem die Kirche vor Augen stand, sondern sie prägen gewissermaßen auch ihren Karmel (vgl. Weg der Vollkommenheit, Kap. 1-3). Sie zeigen das Verlangen, alle Kräfte dafür einzusetzen, dass die Kirche von Tag zu Tag mehr als die Braut erscheint, deren Antlitz ohne Flecken und Falten ist (vgl. Eph 5, 27). Theresia empfindet tief das Martyrium des gespaltenen und geschändeten Leibes Christi (vgl. Weg der Vollkommenheit, 1, 1-2) und erkennt richtig, dass die Liebe zu Gott zu hochherzigem Wirken für die Kirche anspornen muß. Sie sagt: "Denn die Liebe besteht nicht in geistigem Genuß, sondern sie bewirkt, dass wir mit größerer Entschiedenheit Gott in allem zu gefallen suchen, dass wir in eifrigem Streben darauf bedacht sind, ihn nicht zu beleidigen, und dass wir ihn mit größter Inständigkeit bitten, die Ehre und Verherrlichung seines eingeborenen Sohnes stetig zu mehren und die Grenzen der katholischen Kirche immer weiter auszudehnen" (vgl. Seelenburg, IV, 1, 7). In ihrer Autobiographie ruft sie deshalb, nachdem sie von denen gesprochen hat, die der Kirche wirklich dienen, aus: "Glücklich jene, die in diesem Werk eingesetzt sind!" (40, 15). Und während sie von höchster Beunruhigung und Angst angesichts der Spaltung des einen Leibes Christi erfaßt wird, weitet sich ihr Geist, wenn er die neuen Bereiche sieht, die sich der Missionsarbeit in Lateinamerika auftun (vgl. Die Klostergründungen, 1, 7). Denn für sie bedeutet es dasselbe: Christus zu betrachten und die Kirche zu betrachten, die in ihrer irdischen Existenz durch ihr Leben seine Taten und sein Geheimnis zum Ausdruck bringt. Die heilige Ordensmutter, die selbst "bereit war, tausend Leben hinzugeben für die Rettung und das Heil einer einzigen Seele" ( Weg der Vollkommenheit, 1, 2), wollte, dass ihre geistlichen Töchter in freiwilliger Hingabe Härten und Bitterkeiten auf sich nehmen, damit der Herr "seine Kirche schütze"; darauf sollten sie ihr Bestreben richten. Sie sagt ihnen: "Wenn euer Beten und Streben, eure Disziplin und euer Fasten nicht diesem Ziel gilt (nämlich der Kirche und der Hierarchie), dann könnt ihr sicher und gewiß sein, dass ihr nicht den Zweck erfüllt, zu dem euch der Herr an diesem Ort versammelt hat" (ebd., 3, 10).

Theresia erkannte als ihre Berufung und ihre Pflicht das Gebet in der Kirche und mit der Kirche, in und mit jener betenden Gemeinschaft, die der Heilige Geist dazu anspornt, mit Jesus und in Jesus den Vater "im Geist und in der Wahrheit" anzubeten (Joh 4, 23 ff.). Als sie über das Geheimnis der in jener Zeit von Leid heimgesuchten Kirche meditierte, begriff sie, dass die Spaltung der Einheit, der Verrat zahlreicher Christen, der Verfall der Sitten wie eine Verweigerung, Verachtung und Entweihung der Liebe zu betrachten sind; dass die Freundschaft mit Gott in höchstem Maße verletzt worden ist. Menschen, die die Kirche nicht annehmen, nicht mit ihr leben, nicht ihrem Lehramt folgen, weisen Christus und seine Liebe zurück. Die Folgerung daraus wird in einzigartiger Weise an der Reform des Karmels sichtbar, die jedoch nichts von Kampf und Widerspruch an sich hat, sondern gleichsam eine "Freundin Gottes" ist: "Da Gott so viele Feinde, aber nur wenige Freunde hat, war all mein Trachten darauf gerichtet ... , dass zumindest diese wenigen gut sein sollten; mit aller Entschlossenheit entschied ich mich also bei mir selbst, das Geringe, das in mir vorhanden war, einzusetzen, die evangelischen Räte mit der größten mir möglichen Vollkommenheit zu befolgen und mich zu bemühen, dass die wenigen Nonnen, die hier sind, dasselbe tun" (vgl. Weg der Vollkommenheit, 1, 2).

Und so sieht sie auch das Gebet als hochherzige Nachfolge dessen, der "uns so sehr geliebt hat" (vgl. ebd., 11, 1). Es ist "nichts anderes als ein Gespräch unter Freunden, eine persönliche, vertrauensvolle Zwiesprache mit Gott, von dem wir uns geliebt wissen" (vgl. ebd., 8, 5). Im Gebet überlassen wir uns ja der Liebe, die der Heilige Geist in unsere Herzen ausgießt. Er verbindet uns als Brüder und Freunde mit Jesus, der ausruft: "Abba, Vater!" (vgl. Röm 5, 5.8., 15). Theresia ist davon überzeugt, dass in den Gebeten im Heiligen Geist die gesamte Kirche betet. Daher wird jede echte, aus dem Glauben und der 'Liebe erwachsene Betrachtung der höchsten Dinge, sei es bei der heiligen Liturgie, beim Anhören und beim Lobpreis Gottes oder in schweigender Anbetung womit der Vater gepriesen und die Gemeinschaft mit Jesus Christus vollzogen wird -, zugleich zu einer in der Kirche geleisteten "Unterstützung für meinen geliebten Jesus", wie die heilige Frau und Kirchenlehrerin versichert (vgl. Weg der Vollkommenheit, 1, 5, 2).

Wenn also einer betet, wenn er aus dem Gebet lebt, wenn er im Gebet den lebendigen Gott erfährt und sich ihm hingibt, dann hat er auch ein stärkeres Empfinden für die Kirche, in der Christus durch das Wirken der Gnade seine verborgene Gegenwart fortsetzt; er spürt, dass er zu größter Treue gegenüber der Braut Christi gedrängt wird; er fühlt sich im Innersten seiner Seele dazu getrieben, für die Kirche tätig zu sein und mit allen Kräften sich für sie einzusetzen. Wenn das Gebet unter der starken Einwirkung der Liebe Gottes die verborgene Freundschaft mit Gott bezeugt und dahin gelangt, dass daraus die Verbundenheit oder Einheit der Liebe hervorgeht, bei der das Geschöpf seinen Willen völlig dem göttlichen Freund überläßt, dann wird die Freundschaft zum Ansporn für das Apostolat, zur Ursache der Freude für die Kirche und die Menschen, wie eine mächtige Stimme, die in das göttliche Herz eindringt und es zum Wohle seines ganzen Volkes überfließen läßt (vgl. ebd., 32, 12).

Das lehrt uns die hl. Theresia mit der Autorität, die dem innewohnt, der den Weg zurückgelegt hat. Aus der praktischen Erfahrung ihres Lebens hatte sie begriffen, dass es keine andere Liebe zu Christus gibt als die Liebe, mit der sich jemand der Kirche hingibt, und dass man nicht die echte, achtungsvolle Gesinnung von Söhnen und Töchtern der Kirche haben kann, wenn sie sich nicht in tatkräftigem Eifer erweist, wozu das Gebet Kraft und Stärke gibt.

Entsprechend der von Theresia vorgeschlagenen Definition des Gebets, nach der es ein freundschaftliches Verweilen bei Gott, eine Zwiesprache mit ihm ist, muß man sich zuvor der lebendigen Gegenwart dessen bewußt werden, der Urheber dieses Gespräches ist, der es als Freund führt, der spricht, wenn auch "ohne vernehmbare Worte" (ebd., 25, 2), und sich auf unaussprechliche Weise schenkt. Die hl. Theresia hält das Gebetsleben für den höchsten Erweis des auf Gott bezogenen Lebens der Christgläubigen, die im Glauben an die göttliche Liebe alle Dinge zurücklassen, um ganz seine von Liebe erfüllte Gegenwart zu erlangen. Die Erfahrung Gottes ist also jene wunderbare Gemeinschaft mit ihm, in welcher der Geist seinem Handeln mit einer gewissen wohlschmeckenden, vom Heiligen Geist eingegossenen Weisheit weit offen steht, während Verstand und Herz dem fleischgewordenen Wort, "jenem geliebten Jesus", anhangen, der "Pforte", durch die man zum Vater gelangt und durch die der Vater seine vertraute Nähe gewährt: "Durch diese Pforte müssen wir eintreten", sagt Theresia, "wenn wir wollen, dass uns von der höchsten Majestät die verborgenen Geheimnisse eröffnet werden. Suche also keinen anderen Weg, auch wenn du zum Gipfel der Kontemplation gelangt bist: auf diesem Weg wirst du ja sicher und geschützt fortschreiten. Unser Herr ist der, von dem und durch den uns alles Gute zukommt" (vgl. Autobiographie, 22, 6-7). Aus diesem Grunde stützt sich diese Lehrmeisterin des heiligen Gesprächs auch immer auf Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, dessen Freundschaft und Gemeinschaft den Weg des geistlichen Lebens erleuchten und zur höchsten Erfahrung des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit führen, wenn das Geschöpf "davon überzeugt ist, dass diese heiligen Personen niemals mehr abwesend sind oder sich von ihm entfernen. Es sieht vielmehr klar und deutlich ... im Innersten seiner Seele, dass diese göttliche. Gemeinschaft in tiefer Verborgenheit gegenwärtig ist, und es fühlt sie in sich" (vgl. Die Seelenburg, VII, 1, 7).

Es handelt sich um die erhabenen Gaben Gottes, die in der innigen Vertrautheit mit ihm, wie sie die Gnade hervorbringt, und in der aus dem Glauben und der Liebe geschöpften Gewißheit der Gegenwart des Herrn "im kleinen Himmel unserer Seele" (vgl. Weg der Vollkommenheit, 28, 5) aufleben und erblühen. Deshalb kann jeder, der in seinem Leben vor allem der Liebe des in ihm wohnenden Gottes treu ist, jeder, der im Glauben sein Angesicht sucht, jeder, der Gottes Willen in seinen Werken erfüllt vor allem durch Hingabe an seine Brüder - jeder kann teilhaben an der Erfahrung, die Gott den Kleinen und Unmündigen in seinem Reich nicht verwehrt, den Kleinen, denen der Vater der Liebe seine Geheimnisse offenbart (vgl. Mt 11, 25). Gott verweigert niemandem das frische Wasser der Kontemplation, wie die hl. Theresia versichert; "ja, mehr noch, er ruft uns ganz offen mit voller Stimme; aber weil er so gut ist, übt er hier nicht den geringsten Zwang auf uns aus, und, was bei weitem mehr ist, er gibt denen, die ihm folgen wollen, reichlich und auf verschiedene Weise zu trinken, damit keiner ungespeist und ungestärkt vergehe oder vor Durst sterbe" ( Weg der Vollkommenheit, 20, 2).

Nach der hl. Theresia ist die Erfahrung Gottes ein Geschenk, das eng mit der Treue zum Gebet verbunden ist. Aus diesem Grund mahnt sie dringend, dass "wir uns der Kontemplation zuwenden sollen" (ebd., 18, 3). Gott aber, der immer Getreue, will, wenn er die Seele bereit sieht, nichts anderes als sie mit Gaben überhäufen (vgl. Gedanken über die Gottesliebe, 5, 1). Er "will unserem Willen keine Gewalt zufügen; er gibt sich uns erst dann ganz hin, wenn wir uns selbst ganz und zutiefst ihm hingeben" (Weg der Vollkommenheit, 28, 12). So erkennt man, warum die Heilige den geistlichen Menschen ermahnt, am Gebet festzuhalten, "mag er unterwegs auch zuvor seine Seele aushauchen" (ebd., 21, 2).

"Ich bin fest davon überzeugt, dass allen, die unterwegs nicht stehenbleiben, dieses lebendige Wasser der Kontemplation nicht im geringsten mangeln wird" (vgl. ebd., 19, 15). Das ist das erhabene Geschenk, das Gott gewährt, auf dass wir seine Gegenwart erfahren, eine Gabe, die den Menschen erfreut und ihn zu der Stufe der Liebe und des Heiles führt, deren Sakrament in der Welt die Kirche ist.

2. Die Zeit, in der wir leben und die von einem neuen Kirchen- und Gebetsverständnis gekennzeichnet ist, scheint eine Zeit der Gnade zu sein, die in besonderer Weise für die Lehre und Erfahrung der hl. Theresia geeignet ist. Sie, die mit einer Kraft ausgestattet ist, die sie aus ihrer praktischen Lebenserfahrung und Lebensweise schöpft, fordert alle dazu auf, Christus und seinen mystischen Leib zu lieben, damit sie durch die Wirkung des Heiligen Geistes, der diesen Leib beseelt, "kosten und sehen, wie gütig der Herr ist" (vgl. Ps 34, 9). Diese Botschaft habe ich gleich zu Beginn meines Pontifikats in den Vordergrund gestellt; und so habe ich in meiner ersten Ansprache in der Sixtinischen Kapelle und später immer wieder dazu ermahnt, die Treue gegenüber der Kirche zu bewahren (vgl. Wort und Weisung, 1978, S. 53 f.); zugleich habe ich ihre Söhne wiederholt ermuntert, nicht abzulassen vom Gebet, von der Anbetung, vom Hören auf Gott, der in uns spricht, von der Kontemplation; und am Schluß meiner Enzyklika Dives in misericordia habe ich die Anbetung und Anrufung des göttlichen Erbarmens gleichsam als ein Recht und eine Pflicht der Kirche eingeprägt (vgl. ebd., Nr. 15). Dort habe ich gewissermaßen die vorrangige Verpflichtung zur Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe herausgestellt, die durch das Gebet zustande kommt und aus der Erfahrung des Erbarmens hervorgeht und die in den ewigen Lobgesang des göttlichen Erbarmens übersetzt wird, wie es bei der hl. Theresia geschieht.

Diese Aufforderung wendet sich in erster Linie an jene, die sich in spezieller Weise der Nachfolge des ehelosen, armen und gehorsamen Christus geweiht haben und die ich oft an ihre besondere Verbundenheit mit der Kirche erinnert habe, nämlich dass "sich besonders im Ordensleben die Treue zu Christus niemals von der Treue zur Kirche trennen läßt" (vgl. AAS, 71, 1979, S. 1255). Ich habe sie aufgefordert, sich durch das Gebet mit Christus zu verbinden, und versicherte mit Ernst, dass "ohne Gebet das Ordensleben ohne Sinn ist, dass es von seiner Quelle losgerissen wird, sein Wesen einbüßt und das ihm gesteckte Ziel nicht erreicht" (vgl. ebd.).

Wenn wir der hl. Theresia gedenken, wollen wir das auf alle Ordensleute, im besonderen aber auf diejenigen beziehen, die diese Heilige zur Mutter und Begründerin ihrer besonderen Lebensform haben, durch die sie sich innerhalb des Gottesvolkes auszeichnen. In ihrer eigenen Ordensfamilie wiederholt die Mutter und Gesetzgeberin als Vorbild des neuen Lebens - das im übrigen immer das Leben der Heiligen ist - für ihre Söhne und Töchter die folgenden Worte, die sichtlich verpflichtende Kraft haben: "Ich bin eine Tochter der Kirche." Und sie ruft ihnen die wichtigste Verpflichtung in Erinnerung, an die sie in der Kirche gebunden sind (vgL Weg der Vollkommenheit, 17, 1), nämlich die höchst bedeutsame, die ihnen die Ordensregel auferlegt (vgl. ebd., 4, 2): den Auftrag zu unablässigem Gebet (vgl. ebd., 21, 10), und zwar in einer armen und strengen inneren und äußeren Lebensweise (vgl. ebd., 4, 2), durch die sich die wahren Freunde des Kreuzes Christi auszeichnen. An sie richtet die hl. Theresia erneut die Worte: "Alle, die wir dieses heilige Ordenskleid der Karmeliten tragen, sind berufen, uns um Gebet und Kontemplation zu bemühen" (vgl. Seelenburg, V, 1, 2). Die Unbeschuhten Karmeliten und Karmelitinnen müssen, wenn sie treu und beständig am Gebet und der Gebetsgewohnheit festhalten, zu jener Erfahrung des lebendigen Gottes gelangen, die ihre Würde, ihre besondere Berufung, ihren Heilsdienst ausmacht. Sie müssen sich bemühen, sich von Tag zu Tag mehr als Anbeter im Geist und in der Wahrheit zu erweisen, die der Vater sucht und die - wie die hl. Theresia schrieb - davon überzeugt sind, dass dieser eingeschlagene "Weg zur Vollkommenheit" nicht nur ihnen selbst, sondern unzähligen Seelen zum Wohl gereicht (vgl. Autobiographie, 11, 4).

Die Unbeschuhten Karmelitinnen, die den wahren Geist ihrer Regel auch heute noch bewahren, mögen dem treu sein, was die "Wüste", jener "leere Raum", in ihrem Leben von ihnen fordert, nämlich, dass sie ihrer Berufung und Sendung entsprechend, im Vollsinn und in besonderer Weise kontemplativ sein müssen. Ihre Klausur hat keinen Sinn ohne dieses kontemplativ geführte Leben, das die hl. Theresia kurz vor ihrem Tod im III. Kapitel des Buches der Klostergründungen so großartig beschrieben hat. Meine besorgte Ermahnung - die ich auch in meiner Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute im Jahr 1980 zum Ausdruck gebracht habe - nämlich, dass "eine gerechte Strenge bei der Forderung, die Klausur zu beachten", geboten sei, kann sich wohl auf die Vorschriften der hl. Theresia berufen. Ganz in ihrem Sinne, die überzeugt war, dass das Gute nicht verborgen ist (vgl. Weg der Vollkommenheit, 15, 6), sagte ich damals, "die Klausur isoliert die kontemplativen Ordensleute nicht von der Gemeinschaft des mystischen Leibes. Sie stellt sie vielmehr in das Herz der Kirche" (vgl. O.R. dt. vom 4. April 1980, S. 9). Sie sollen daher voll Liebe ihrer Pflicht und ihrer Berufung Genüge tun, sich nach dem Vorbild der hl. Theresia vom Kinde Jesus bemühen, "im Herzen der Kirche zu sein", und sich an eben deren Ermahnung erinnern, dass "wir allein durch das Gebet und unser Bemühen um völlige Hingabe der Kirche nützlich sein können" (Derniers entretiens, 8, VII, 16).

Die Unbeschuhten Karmeliten aber, von denen Theresia wollte, dass sie "kontemplative Eremiten" (Brief an P. Marianus vom 21.10.1576) und "himmlische Männer" seien (Brief an Pater Gratianus vom 21. 10. 1576), wurden von ihr auch dazu angespornt, einen Weg apostolischer Wirksamkeit einzuschlagen, und zwar in dem Sinne, dass sie den Schwestern beistehcn, der Regel entsprechend zur Vollkommenheit zu gelangen (vgl. Die Klostergründungen, 2, 5; 10, 14), den Kleinen und Unmündigen das Evangelium zu verkündigen (vgl. ebd., 14, 8) und zugleich eine größere Kraft im theologischen und missionarischen Bereich zu entfalten. Deshalb wollte sie, dass es bei ihnen "Lehrer und für das Lehramt in Aussicht Gestellte" gebe, da sie sehr wohl wußte, dass ein wahrhaft gelehrter Mann bei der Leitung und Führung der Seelen kaum je versagt (vgl. Autobiographie, 5, 3), und sie überzeugt war, dass wahre Wissenschaft, mit Demut verbunden, sehr große Bedeutung für den Gebetsweg hat. Genau diese Wirkung nahm die hl. Theresia bei ihrem ersten geistlichen Sohn wahr, dem hl. Johannes vom Kreuz, Lehrer und Führer der Wege Gottes, der als erster das neue Leben im Karmelitenkloster in Durclo eingeführt hat. Nach seinem Vorbild sollen die Unbeschuhten Karmeliten in unserer heutigen Welt Führer und Lehrer der Menschen sein, die nach der Gemeinschaft und Erfahrung Gottes dürsten. Das ist ihre Sendung, die aus ihrer Berufung erwächst.

Mit liebevollem Herzen wendet sich die heilige Ordensmutter auch den Instituten und Kongregationen zu, die ihrem Geist und ihrer Form der Vollkommenheit im apostolischen Leben folgen, dem sie sich widmen und das in der Kirche und besonders in verschiedenen Bereichen der Nächstenliebe und sozialen Hilfe so außerordentlich fruchtbar ist. Sie fordert deren Mitglieder auf, Menschen zu sein, die sich dem Gebet widmen und die jede Begegnung mit den Brüdern dazu nützen, diese zur Gemeinschaft mit Gott einzuladen. Diese Mahnung der hl. Theresia ist gleichsam ein Ansporn, der sie zum Gebet und zur Tat ermuntert, wobei sie jedoch die Einheit des Lebens, die die Treue zur Kontemplation gebietet, unbedingt bewahren müssen: "Je mehr jemand im Gebet vorangekommen ist, desto tatkräftiger ist er bei der Tröstung seiner Nächsten und bei der Sorge für das Heil der Seelen, und wenn er auch nur eine Seele aus dem Zustand der Sünde herausführt, ist es, als würde er vielen das Leben schenken" (vgl. Gedanken über die Gottesliebe, 7, 8).

Die hl. Theresia lebt und spricht noch immer in der Kirche. Möge sich das von neuem Eifer erfaßte Denken in wirksamer Weise dem Vorbild und der Lehre ihres Lebens zuwenden, vor allem in dem eben begonnenen Gedenkjahr.

Nun erteile ich dir, geliebter Sohn, den Unbeschuhten Karmeliten und Karmelitinnen und allen, die der Lehre der hl. Theresia folgen, als Unterpfand der himmlischen Gaben von Herzen den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 14. Oktober 1981,

im dritten Jahr meines Pontifikats.

Joannes Paulus PP. II.

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