Schreiben von Papst Franziskus an Bartholomaios I. am 30. August 2019

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Schreiben

von Papst
Franziskus
an Bartholomaios I.
aus Anlass des Geschenks einiger Reliquienfragmente des heiligen Petrus
Neue und mutige Schritte auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft
30. August 2019

(Offizieller lateinischer Text: AAS X [1900] XX)

(Quelle: Osservatore Romano 27. September 2019, S. 6; Orig. ital. in OR 14. September 2019)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


An Seine Heiligkeit Bartholomaios

Erzbischof von Konstantinopel
Ökumenischer Patriarch

Eure Heiligkeit, lieber Bruder,

mit tiefer Zuneigung und geistlicher Nähe sende ich Ihnen meine herzlichen Wünsche der Gnade und des Friedens in der Liebe des auferstandenen Herrn. In diesen letzten Wochen habe ich oft daran gedacht, Ihnen zu schreiben, um die Gabe einiger Fragmente der Reliquien des Apostels Petrus genauer zu erläutern, die ich Eurer Heiligkeit durch die hochrangige Delegation des Ökumenischen Patriarchats unter der Leitung von Erzbischof Job von Telmissos überreicht habe, der am Patronatsfest der Kirche von Rom teilnahm.

Eure Heiligkeit, Sie wissen wohl, dass die ununterbrochene Tradition der römischen Kirche immer bezeugt hat, dass der Apostel Petrus nach seinem Martyrium im Zirkus des Nero in der angrenzenden Nekropole des Vatikanischen Hügels beigesetzt wurde. Sein Grab wurde bald ein Pilgerort für die Gläubigen aus der ganzen christlichen Welt. Später ließ Kaiser Konstantin an der Stelle des Apostelgrabes die dem heiligen Petrus geweihte vatikanische Basilika errichten.

Im Juni 1939, unmittelbar nach seiner Wahl, beschloss mein Vorgänger Pius XII., Ausgrabungen unter der Vatikanischen Basilika durchführen zu lassen. Die Arbeiten führten zunächst zur Entdeckung des genauen Ortes der Bestattung des Apostels und anschließend, im Jahr 1952, zur Entdeckung einer Grabnische unter dem Hauptaltar der Basilika, die sich neben einer roten Wand aus dem Jahr 150 befindet und mit zahlreichen wertvollen Graffiti bedeckt ist, darunter eines von grundlegender Bedeutung, das auf Griechisch sagt: ??t??? e??. Diese Nische enthielt Knochen, die mit gutem Grund als die des Apostels Petrus angesehen werden können. Von diesen Reliquien, die heute in der Nekropole unter dem Petersdom aufbewahrt werden, ließ der heilige Papst Paul VI. neun Fragmente für die private Kapelle der päpstlichen Wohnung im Apostolischen Palast entnehmen.

Diese neun Fragmente wurden in ein Bronzereliquiar mit der Inschrift Ex ossibus quae in Archibasilicae Vaticanae hypogeo inventa Beati Petri apostoli esse putantur gelegt: »Von den Knochen, die im Hypogäum der Vatikanischen Basilika gefunden wurden und für die Knochen des Apostels Petrus gehalten werden.« Eben dieses Reliquiar, das die neun Fragmente der Gebeine des Apostels enthält, wollte ich Eurer Heiligkeit und der geliebten Kirche von Konstantinopel schenken, der Sie mit so viel Hingabe vorstehen.

Während ich über unsere beiderseitige Entschlossenheit nachdachte, gemeinsam auf eine volle Gemeinschaft hinzuarbeiten, und während ich Gott für die bisherigen Fortschritte dankte, seit sich unsere ehrwürdigen Vorgänger vor über fünfzig Jahren in Jerusalem trafen, kam mir das Geschenk des Patriarchen Athenagoras an Papst Paul VI. in den Sinn: eine Ikone mit einer Darstellung der beiden Brüder Petrus und Andreas, die sie sich umarmen, vereint im Glauben und in der Liebe zu ihrem gemeinsamen Herrn. Diese Ikone, die heute nach dem Willen von Papst

Paul VI. im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ausgestellt wird, ist für uns ein prophetisches Zeichen für die Wiederherstellung der sichtbaren Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen geworden, die wir anstreben und für die wir beten und eifrig arbeiten. So spürte ich in dem Frieden, der vom Gebet herrührt, dass es große Bedeutung haben würde, wenn einige Fragmente der Reliquien des Apostels Petrus neben die Reliquien des Apostels Andreas gestellt würden, der von der Kirche von Konstantinopel als himmlischer Schutzherr verehrt wird.

Ich habe gespürt, dass mir dieser Gedanke vom Heiligen Geist geschenkt wurde, der die Christen auf so vielfältige Weise dazu drängt, die volle Gemeinschaft wiederzufinden, für die unser Herr Jesus Christus am Vorabend seines glorreichen Leidens gebetet hat (vgl. Joh 17,21).

Diese Geste soll eine Bestätigung des Weges sein, den unsere Kirchen zurückgelegt haben, um einander näher zu kommen: ein mitunter herausfordernder und schwieriger Weg, der jedoch von offensichtlichen Zeichen der Gnade Gottes begleitet ist. Die Fortsetzung dieses Weges erfordert vor allem eine geistliche Umkehr und eine erneuerte Treue zum Herrn, der unsererseits ein größeres Engagement und neue und mutige Schritte wünscht. Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten dürfen uns – jetzt und in Zukunft – nicht von unserer Pflicht und unserer Verantwortung als Christen und insbesondere als Hirten der Kirche vor Gott und der Geschichte abbringen.

Die Zusammenführung der Reliquien der beiden Brüder und Apostel kann auch eine ständige Erinnerung und Ermutigung sein, dass auf diesem weiteren Weg unsere Differenzen kein Hindernis mehr darstellen für unser gemeinsames Zeugnis und für unsere Mission zur Evangelisierung im Dienste der Menschheitsfamilie, die heute versucht ist, eine rein weltliche Zukunft aufzubauen, eine Zukunft ohne Gott.

Heiligkeit, geliebter Bruder, es ist mir ein großer Trost, diese Gedanken mit Ihnen zu teilen. In der Hoffnung, Sie so bald wie möglich wiederzusehen, bitte ich Sie, für mich zu beten und mich zu segnen, während ich mit Eurer Heiligkeit eine brüderliche Umarmung des Friedens austausche.

Aus dem Vatikan, 30. August 2019