Pastores dabo vobis (Wortlaut)

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Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Pastores dabo vobis

von Papst Johannes Paul II.
an die Bischöfe, Priester und Gläubigen
über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart
Die VIII. Ordentlichen Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 30. September bis 28. Oktober 1990 statt
25. März 1992
(Offizieller lateinischer Text: AAS 84 [1992] 657-804)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

1 "Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen" (Jer 3,15).

Mit diesen Worten des Propheten Jeremia verspricht Gott seinem Volk, es nie ohne Hirten zu lassen, die sie sammeln und führen sollen: "Ich werde ihnen (d. h. meinen Schafen) Hirten geben, die sie weiden, und sie werden sich nicht mehr fürchten und ängstigen" (Jer 23,4).

Die Kirche als Volk Gottes erlebt immerfort die Verwirklichung dieser prophetischen Ankündigung und hört nicht auf, dem Herrn voll Freude zu danken. Sie weiß, dass Jesus Christus selbst die lebendige, letzte und endgültige Erfüllung der Verheißung Gottes ist. "Ich bin der gute Hirte" (Joh 10, 11).

Der "erhabene Hirte der Schafe" (Hebr 13,20) hat die Apostel und ihre Nachfolger mit dem Auftrag betraut, die Herde Gottes zu weiden (vgl. Joh 21,15ff.; 1 Petr 5,2). Ohne Priester könnte die Kirche vor allem jenen grundlegenden Gehorsam nicht leben, der die eigentliche Mitte ihrer Existenz und ihrer Sendung in der Geschichte bildet: den Gehorsam gegenüber dem Gebot Jesu "Darum geht zu allen Völkern ... und lehrt sie" (Mt 28,19) und Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22)19; vgl. 1 Kor 11,24); das heißt das Gebot Jesu, das Evangelium zu verkünden und jeden Tag das Opfer seines für das Leben der Welt hingegebenen Leibes und vergossenen Blutes zu erneuern.

Im Glauben wissen wir, dass die Verheißung des Herrn in Erfüllung geht. Gerade diese Verheißung gibt ja der Kirche Anlass und Kraft, sich angesichts des Reichtums und der zahlenmäßigen Zunahme an Priesterberufen, wie man sie heute in einigen Teilen der Welt feststellen kann, zu freuen; gleichzeitig stellt sie das Fundament und den Ansporn zu einem Bekenntnis größeren Glaubens und stärkerer Hoffnung dar angesichts des besorgniserregenden Priestermangels, der auf anderen Teilen der Welt lastet.

Wir sind alle aufgerufen, das volle Vertrauen in die dauernde Erfüllung der Verheißung Gottes zu teilen, von dem die Synodenväter mit klarer Festigkeit Zeugnis gegeben haben: "Mit vollem Vertrauen in die Verheißung Christi, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20), und im Bewusstsein des beständigen Wirkens des Heiligen Geistes in der Kirche glaubt die Synode zutiefst, dass in der Kirche die heiligen Diener niemals vollständig fehlen werden ... Auch wenn in einigen Gegenden Priestermangel auftritt, wird doch in der Kirche das Handeln des Vaters, der die Berufungen weckt, niemals aufhören.<ref>Propositio 2.</ref>

Wie ich zum Abschluss der Synode im Hinblick auf die Krise der Priesterberufe sagte, "besteht die erste Antwort, die die Kirche gibt, in einem Akt totalen Vertrauens auf den Heiligen Geist. Wir sind zutiefst überzeugt, dass uns diese vertrauensvolle Hingabe nicht enttäuschen wird, wenn wir dazu der empfangenen Gnade treu bleiben".<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 5: O.R.dt. Nr. 45 vom 9.11.1990, 4.</ref>

2 Der empfangenen Gnade treu bleiben! Denn das Geschenk Gottes hebt die Freiheit des Menschen nicht auf, sondern weckt sie, bringt sie zur Entfaltung und fordert sie ein.

Darum geht das umfassende Vertrauen in die unbedingte Treue gegenüber der Verheißung Gottes in der Kirche mit der schwerwiegenden Verantwortung einher, mitzuwirken beim Tun Gottes, der uns ruft, beizutragen zur Schaffung und Erhaltung von Bedingungen, unter welchen der von Gott gesäte Same Wurzel schlagen und reiche Frucht bringen kann. Die Kirche darf niemals aufhören, den Herrn der Ernte zu bitten, dass er Arbeiter für seine Ernte aussende (vgl. Mt 9,38); sie darf nicht aufhören, sich mit einem klaren und beherzten Berufungskonzept an die jungen Generationen zu wenden und ihnen zu helfen, die Wahrheit des göttlichen Anrufes zu erkennen und ihm großmütig und selbstlos zu entsprechen; und sie darf nicht aufhören, besondere Sorge auf die Ausbildung der Priesteramtskandidaten zu verwenden.

Die Ausbildung sowohl der künftigen Weltpriester wie der Ordenspriester und die eifrige, das ganze Leben lang geltende Sorge um ihre persönliche Heiligung im Amt und um die ständige Weiterbildung und Anpassung ihres pastoralen Einsatzes werden von der Kirche tatsächlich als eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben für die zukünftige Evangelisierung der Menschheit angesehen.

Diese Bildungstätigkeit der Kirche ist eine Weiterführung des Werkes Christi, auf die der Evangelist Markus mit den Worten hinweist: Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,13-15).

Man kann sagen, dass die Kirche in ihrer Geschichte durch die den Kandidaten für das Priesteramt und den Priestern selbst geltende Ausbildungstätigkeit diese Seite des Evangeliums immer von neuem mit Leben erfüllt hat, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und in verschiedener Weise. Heute freilich fühlt sich die Kirche aufgerufen, das, was der Meister mit seinen Aposteln getan hat, mit neuem Eifer wiederzubeleben; veranlasst sieht sie sich dazu von den tiefgreifenden und raschen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen unserer Zeit, von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit des jeweiligen Umfeldes, in dem sie das Evangelium verkündet und bezeugt, von der günstigen zahlenmäßigen Entwicklung der Priesterberufe in verschiedenen Diözesen der Welt, von der Dringlichkeit einer neuen Überprüfung der Inhalte und Methoden der Priesterausbildung, von der Sorge der Bischöfe und ihrer Gemeinden wegen des anhaltenden Priestermangels, von der absoluten Notwendigkeit, dass die "Neu-Evangelisierung" ihre ersten "Neu-Evangelisatoren" in den Priestern haben müsse.

Genau in diesem geschichtlichen und kulturellen Rahmen war die letzte ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode angesiedelt, die der "Priesterbildung im Kontext der Gegenwart" gewidmet war, mit der Absicht, fünfundzwanzig Jahre nach dem Ende des Konzils die Konzilslehre über dieses Thema inhaltlich zu erfüllen und sie im Hinblick auf die heutigen Verhältnisse zu aktualisieren und schärfer zu umreißen.<ref>Vgl. Propositio 1.</ref>

3 In Kontinuität mit den Texten des II. Vatikanischen Konzils über den Priesterberuf und die Priesterausbildung<ref>Wir beziehen uns selbstverständig auf Nr. 28 der dogmatischen Konstitution Lumen gentium und auf die beiden Dekrete über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis und über die Priesterausbildung]] Optatam totius.</ref> sowie in der festen Absicht, deren inhaltsreiche und verbindliche Lehre konkret auf die verschiedenen Situationen anzuwenden, hat sich die Kirche mehrmals mit den Problemen des Lebens, des Amtes und der Ausbildung der Priester auseinandergesetzt.

Die herausragendsten Anlässe dafür waren die Bischofssynoden. Schon auf der ersten im Oktober 1967 abgehaltenen Vollversammlung widmete die Synode fünf Generalsitzungen dem Thema der Erneuerung der Priesterseminare. Diese Arbeit gab den entscheidenden Anstoß zur Abfassung des Dokumentes der Kongregation für das katholische Bildungswesen "Grundordnung für die Ausbildung der Priester".<ref>Hl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die Ausbildung der Priester) (6. Januar 1970): AAS 62 (1970) 321-384.</ref>

Vor allem die zweite ordentliche Vollversammlung von 1971 widmete die Hälfte ihrer Arbeiten dem Weihepriestertum. Die Ergebnisse dieser langen synodalen Auseinandersetzung, die in einigen meinem Vorgänger Papst Paul Vl. unterbreiteten und bei der Eröffnung der Synode von 1974 verlesenen "Empfehlungen" neu aufgegriffen und zusammengefasst wurden, betrafen hauptsächlich die Lehre über das Weihepriestertum und einige Aspekte der priesterlichen Spiritualität und des priesterlichen Dienstes.

Auch bei vielen anderen Gelegenheiten hat das kirchliche Lehramt immer wieder Zeugnis gegeben von seiner Sorge um das Leben und den Dienst der Priester. Man kann wohl sagen, dass es in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil keine lehramtliche Äußerung gegeben hat, die nicht in irgendeiner Weise, explizit oder implizit, auf die Bedeutung der Anwesenheit von Priestern in der Gemeinde, auf ihre Rolle und ihre Unentbehrlichkeit für die Kirche und für das Leben der Welt eingegangen wäre.

In den allerletzten Jahren ist man sich nun vielerorts der Notwendigkeit bewusst geworden, auf das Thema Priestertum zurückzukommen, und zwar so, dass man sich damit von einem Standpunkt her neu auseinandersetzt, der der heutigen kirchlichen wie kulturellen Situation angemessener ist. Die Aufmerksamkeit hat sich dabei vom Problem der Identität des Priesters zu den Fragen verlagert, die mit dem Ausbildungsgang des Priesterberufes und mit der Lebensqualität der Priester zusammenhängen. In der Tat weisen die neuen Generationen der zum Priesteramt Berufenen ganz andere Wesensmerkmale auf als ihre unmittelbaren Vorgänger, und sie leben in einer in vieler Hinsicht neuen Welt, die in ständiger und rascher Entwicklung begriffen ist. Das alles muss bei der Erstellung und Durchführung der Ausbildungsordnungen für den Priesterberuf berücksichtigt werden.

Die Priester schließlich, die ihr Amt schon länger oder erst seit kurzem ausüben, scheinen heute unter der übermäßigen Zersplitterung in den immer noch zunehmenden pastoralen Tätigkeiten zu leiden und fühlen sich angesichts der Schwierigkeiten der modernen Gesellschaft und Kultur genötigt, neu nachzudenken über ihren Lebensstil und über die Prioritäten des pastoralen Einsatzes, während sie immer deutlicher die Notwendigkeit einer ständigen Weiterbildung erkennen.

Die Überlegungen der Bischofssynode von 1990 galten also der Zunahme von Priesterberufungen sowie der Ausbildung, in der die Kandidaten mit Jesus im Blick auf die Nachfolge besser vertraut werden sollen, während sie sich auf den Empfang der Weihe und das Leben aus diesem Sakrament vorbereiten, das sie Christus, dem Haupt und Hirten, dem Diener und Bräutigam der Kirche nachformt. Die Sorge der Synode galt weiterhin der Erstellung von Plänen für die ständige Weiterbildung, die in der Lage sein sollen, den Dienst und das geistliche Leben der Priester realistisch und erfolgreich zu unterstützen.

Desgleichen wollte diese Synode auch auf ein Anliegen der vorhergehenden Synode über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt antworten. Die Laien selbst hatten ja die Bemühungen der Priester im Blick auf die Ausbildung angeregt, damit ihnen bei der Erfüllung der gemeinsamen kirchlichen Sendung angemessene Hilfe geboten werden kann. In der Tat, "je mehr sich das Laienapostolat entfaltet, desto stärker spürt man das Bedürfnis nach gut ausgebildeten, heiligmäßigen Priestern. So artikuliert das Leben des Volkes Gottes selbst die Lehre des II. Vatikanischen Konzils über die Beziehung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem Weihepriestertum. Denn im Mysterium der Kirche hat die Hierarchie Dienstcharakter (vgl. Lumen gentium, 10). je mehr das Verständnis der den Laien eigenen Sendung vertieft wird, desto mehr tritt das hervor, was dem Priester eigen ist".<ref>Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 3: a.a.O.,4.</ref>

4 In der kirchlichen Erfahrung, wie sie für die Synode kennzeichnend ist, nämlich "einem einzigartigen Erleben der Gemeinschaft der Bischöfe in der Universalität, die den Sinn für die Weltkirche, die Verantwortlichkeit der Bischöfe für die Weltkirche und ihren Auftrag in affektiver und effektiver Gemeinschaft um Petrus stärkte",<ref>Ebd.,1.</ref> hat sich klar und deutlich die Stimme der verschiedenen Teilkirchen vernehmen lassen - und bei dieser Synode zum ersten Mal die Stimme einiger Kirchen des Ostens: die einzelnen Teilkirchen haben ihren Glauben an die Erfüllung der Verheißung Gottes verkündet: "Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen" (Jer 3,15), und sie haben ihr pastorales Engagement für die Sorge um geistliche Berufe und um die Ausbildung der Priester erneuert in dem Bewusstsein, dass davon die Zukunft der Kirche, ihre Entfaltung und ihre Heilssendung abhängen.

Indem ich also den reichen Schatz an Überlegungen, Ausrichtungen und Hinweisen, die die Arbeiten der Synodenväter vorbereitet und begleitet haben, wieder aufgreife, verbinde ich mit diesem nachsynodalen Apostolischen Schreiben meine Stimme als Bischof von Rom und Nachfolger des Petrus und wende mich mit ihr an das Herz aller und jedes einzelnen Gläubigen und ganz besonders an das Herz der Priester und Priesteramtskandidaten sowie aller jener, denen der schwierige Dienst ihrer Ausbildung aufgetragen ist. ja, ich möchte mit diesem Apostolischen Schreiben allen Priestern und jedem einzelnen von ihnen, sowohl Welt- wie Ordenspriestern, begegnen.

Mit dem Mund und dem Herzen der Synodenväter mache ich mir die Worte und Gefühle der Schlussbotschaft der Synode an das Volk Gottes zu eigen: "In Dankbarkeit und Bewunderung richten wir unser Wort an euch, unsere ersten Mitarbeiter in unserem apostolischen Dienst. Euer Dienst in der Kirche ist notwendig und kann durch nichts ersetzt werden. Ihr tragt die Bürde des Priesteramtes und steht in täglichem Kontakt mit den Gläubigen. Ihr seid die Diener der Eucharistie, die Spender der göttlichen Barmherzigkeit im Sakrament der Buße, die Tröster der betrübten Seelen, die Führer aller Gläubigen in den Stürmen und Nöten des Lebens.

Aus ganzem Herzen grüßen wir euch, sagen euch Dank und ermahnen euch, mit freudig bereitem Herzen auf diesem Weg zu verbleiben. Lasst euch nicht entmutigen! Unser Tun ist nicht unser, sondern Gottes Werk.

Er, der uns gerufen und ausgesandt hat, bleibt bei uns alle Tage unseres Lebens. Denn wir tun unser Werk im Auftrag Christi".<ref>Achte Weltbischofssynode, Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), III: L'Osservatore Romano,29./30.Oktober 1990, 4.</ref>

KAPITEL I: AUS DEN MENSCHEN ERWÄHLT.
Die Priesterausbildung vor den Herausforderungen am Ende des zweiten Jahrtausends

Der Priester in seiner Zeit

5 Jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott" (Hebr 5,1).

Die Worte des Hebräerbriefes sprechen klar von der Menschlichkeit" des Gottesdieners: er kommt von den Menschen und dient den Menschen, indem er Jesus Christus nachahmt, "der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat" (Hebr 4,15).

Gott ruft seine Priester immer aus einer bestimmten menschlichen und kirchlichen Umgebung, von der sie unweigerlich geprägt werden und in die sie für den Dienst am Evangelium Christi gesandt werden.

Darum hat die Synode das Thema "Priester" in einen bestimmten Kontext gestellt, das heißt in die heutige Situation der Gesellschaft und der Kirche, und Perspektiven auf das dritte Jahrtausend hin eröffnet, wie es sich im übrigen aus der Formulierung des Themas ergibt: "Die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart".

Gewiss "gibt es einen Wesenszug des Priesters, der sich nicht verändert: der Priester von morgen muss nicht weniger als der von heute Christus ähnlich sein. Jesus zeigte, als er auf Erden lebte, aus sich selbst heraus das endgültige Gesicht des Priesters, indem er ein Priesteramt verwirklichte, mit dem die Apostel als erste betraut wurden. Es ist dazu bestimmt, fortzudauern und sich in allen Geschichtsperioden unaufhörlich fortzupflanzen. Der Priester des dritten Jahrtausends wird in diesem Sinn die Reihe der Priester fortsetzen, die in den vorhergegangenen Jahrtausenden das Leben der Kirche beseelt haben. Auch im Jahr 2000 wird die priesterliche Berufung weiterhin der Ruf dazu sein, das einzige und ewige Priestertum Christi zu leben".<ref>Johannes Paul II. Ansprache vor dem Angelus, 14. Januar 1990, 2: L'Osservatore Romano,15./16. Januar 1990,5.</ref> Ebenso gewiss müssen sich das Leben und der Dienst des Priesters "jeder Epoche und jedem Lebensumfeld anpassen ... Wir unsererseits müssen deshalb versuchen, uns so weit wie möglich der höheren Eingebung des Heiligen Geistes zu öffnen, um die Entwicklungslinien der heutigen Gesellschaft zu entdecken, die tiefsten geistlichen Anliegen zu erkennen, die wichtigsten konkreten Aufgaben und anzuwendenden Pastoralmethoden zu bestimmen und so in angemessener Weise den menschlichen Erwartungen zu entsprechen".<ref> Ebd.,3.</ref>

Die Synodenväter, die die bleibende Wahrheit des Priesterlichen Dienstes mit den heutigen Erfordernissen und Merkmalen verbinden mussten, haben auf einige notwendige Fragen zu antworten versucht: Welche Probleme und zugleich welche positiven Anstöße vermittelt das heutige soziokulturelle und kirchliche Umfeld in Kindern, Heranwachsenden und jugendlichen, die für ihre ganze Existenz einen Lebensentwurf im Priesterberuf reifen lassen sollen? Welche Schwierigkeiten und welche neuen Möglichkeiten bietet unsere Zeit für die Ausübung eines priesterlichen Dienstes, der kohärent ist mit der Gabe des empfangenen Sakramentes und mit dem Bedürfnis nach einem entsprechenden geistlichen Leben?

Ich lege nun einige Elemente der Situationsanalyse, die die Synodenväter vorgenommen haben, wieder vor, wobei ich mir jedoch dessen bewusst bin, dass die große Vielfalt der soziokulturellen und kirchlichen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern empfiehlt, nur auf die tiefgreifendsten und verbreitetsten Phänomene hinzuweisen, im besonderen auf jene, die sich auf die Probleme der Erziehung und der Priesterausbildung beziehen.

Das Evangelium heute: Hoffnungen und Hindernisse

6 Vielfältige Faktoren begünstigen, so scheint es, in den heutigen Menschen ein reiferes Bewusstsein der Würde der Person und eine neue Aufgeschlossenheit für die religiösen Werte, für das Evangelium und den priesterlichen Dienst.

So finden wir im Bereich der Gesellschaft trotz vieler Widersprüche ein weithin verbreitetes, starkes Verlangen nach Gerechtigkeit und Frieden, ein ausgeprägteres Verständnis für die Sorge des Menschen um die Schöpfung und um die Achtung vor der Natur, ein offeneres Suchen nach der Wahrheit und dem Schutz des menschlichen Lebens und bei vielen Gruppen der Weltbevölkerung einen wachsenden Einsatz für eine konkretere internationale Solidarität und für eine neue Weltordnung in Freiheit und Gerechtigkeit. Während sich das von Wissenschaft und Technik angebotene Energiepotential immer weiter entwickelt und sich Information und Kultur verbreiten, entsteht auch ein neues Problem im Bereich des Ethischen, nämlich die Frage nach dem Sinn und damit nach einer objektiven Werteskala, die es erlaubt, die Möglichkeiten und Grenzen des Fortschritts festzulegen.

Im eigentlich religiösen und christlichen Bereich brechen ideologische Vorurteile und gewaltsame Abschirmungen gegen die Verkündigung der geistlichen und religiösen Werte zusammen, während neue, unverhoffte Möglichkeiten für die Evangelisierung und die Wiederaufnahme des kirchlichen Lebens in vielen Teilen der Welt entstehen. So sind zu beobachten eine wachsende Verbreitung der Kenntnis der Heiligen Schrift; eine Vitalität und Expansionskraft vieler junger Kirchen mit einer immer wichtigeren Rolle bei der Verteidigung und Förderung der Werte der Person und des menschlichen Lebens: ein leuchtendes Zeugnis des Martyriums seitens der Kirchen Mittel- und Osteuropas wie auch das Zeugnis der Treue und des Mutes anderer Kirchen, die noch immer um des Glaubens willen unter Verfolgungen und Bedrängnissen zu leiden haben.<ref> Vgl. Propositio 3.</ref>

Die Sehnsucht nach Gott und nach einer lebendigen und bedeutungsvollen Beziehung zu ihm scheint heute dort, wo eine glaubwürdige und unverkürzte Verkündigung des Evangeliums fehlt, die Verbreitung einer Religiosität ohne christliches Gottesbild und das vielfältige Anwachsen von Sekten zu begünstigen. Ihre Ausbreitung auch in manchen traditionell christlichen Gebieten ist für alle Angehörigen der Kirche und besonders für die Priester ein ständiger Grund zur Gewissensprüfung über die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses für das Evangelium, aber zugleich auch ein Zeichen dafür, wie tief und verbreitet die Suche nach Gott ist.

7 Aber mit diesen und mit anderen positiven Faktoren sind viele problematische bzw. negative Elemente verflochten.

Weitverbreitet scheint noch immer der Rationalismus zu sein, der im Namen eines reduktiven Wissenschaftsverständnisses die menschliche Vernunft für die Begegnung mit der Offenbarung und mit der göttlichen Transzendenz unempfänglich macht.

Weiterhin ist eine ausgedehnte Verteidigung der personalen Subjektivität festzustellen, die darauf angelegt ist, den Menschen in einen zu echten menschlichen Beziehungen unfähigen Individualismus zu sperren. So versuchen viele, vor allem Kinder und jugendliche, diese Einsamkeit durch verschiedene Ersatzmittel, durch mehr oder weniger ausgeprägte Formen von Genusssucht und Flucht aus der Verantwortung zu kompensieren; als Gefangene des flüchtigen Augenblicks suchen sie, möglichst starke und befriedigende individuelle Erlebnisse im Bereich direkter Emotionen und Gefühle zu "konsumieren", was unweigerlich zur Folge hat, dass sie dem Aufruf zu einem Lebensentwurf, der eine geistliche und religiöse Dimension und ein Bemühen um Solidarität einschließt, gleichgültig, ja wie gelähmt gegenüberstehen.

Zudem verbreitet sich auch nach dem Zusammenbruch der Ideologien, die den Materialismus zu einem Dogma und die Ablehnung der Religion zu einem Programm gemacht hatten, überall auf der Welt eine Art praktischer und existentieller Atheismus, der mit einer säkularistischen Auffassung von Leben und Bestimmung des Menschen zusammenfällt. Dieser Mensch, "der ganz mit sich selbst beschäftigt ist, der sich nicht nur zum Mittelpunkt aller Interessen macht, sondern es sogar wagt, sich als Anfang und Grund jeder Wirklichkeit zu bezeichnen",<ref> Paul VI., Homilie bei der Eucharistiefeier zu Beginn der IX. öffentlichen Sitzung des Konzils (7. Dezember 1965): AAS 58 (1966) 55.</ref> wird zunehmend ärmer um jene "seelische Ergänzung", die er um so nötiger braucht, je mehr die ihm reichlich zur Verfügung stehenden materiellen Güter und Mittel ihm Selbstgenügsamkeit vortäuschen. Es ist nicht mehr nötig, Gott zu bekämpfen, man glaubt, einfach auf ihn verzichten zu können.

In diesem Zusammenhang muss besonders die Zersetzung der Familie und die Trübung oder Verzerrung des wahren Verständnisses der menschlichen Sexualität angeführt werden: Es geht dabei um Phänomene, die sich auf die Erziehung junger Menschen und ihre Verfügbarkeit für einen geistlichen Beruf sehr negativ auswirken. Hinzuweisen ist außerdem auf die Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeiten und auf die Konzentration des Reichtums in den Händen einiger weniger als Ergebnis eines unmenschlichen Kapitalismus,<ref> Vgl. Propositio 3.</ref> der den Abstand zwischen reichen und armen Völkern immer weiter vergrößert: Dadurch werden in das Zusammenleben der Menschen Spannungen und Besorgnisse eingeführt, die das Leben der einzelnen und der Gemeinschaften zutiefst erschüttern.

Auch im kirchlichen Bereich sind besorgniserregende negative Erscheinungen zu verzeichnen, die das Leben und den Dienst der Priester direkt beeinflussen. Dazu gehören: die religiöse Gleichgültigkeit bei vielen Gläubigen; der geringe Einfluss der Katechese, die von den viel weiter verbreiteten und mehr auf Gefälligkeit hin ausgerichteten Impulsen der Massenmedien erstickt wird; der missverstandene theologische, kulturelle und pastorale Pluralismus, dem zwar bisweilen gute Absichten zugrunde liegen, der aber schließlich den ökumenischen Dialog erschwert und die notwendige Einheit des Glaubens gefährdet; das Fortbestehen eines Gefühls des Misstrauens, ja beinahe der Unduldsamkeit gegenüber dem hierarchischen Lehramt; die einseitigen und einschränkenden Anstöße aus dem Reichtum der Frohbotschaft, die die Verkündigung und das Zeugnis des Glaubens zu einem ausschließlichen Faktor der menschlichen und sozialen Befreiung oder zu einer glaubensentfremdenden Zuflucht in den Aberglauben und eine Religiosität ohne Gott umwandeln".<ref> Vgl. ebd.</ref> 

Ein sehr bedeutsames, wenn auch verhältnismäßig neues Phänomen in vielen Ländern mit alter christlicher Tradition ist das Vorhandensein von dauerhaften Gruppen verschiedener Rassen und verschiedener Religionen auf dem gleichen Territorium. So entwickelt sich immer mehr die multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft. Mag dies auf der einen Seite Gelegenheit zu einem häufigeren und fruchtbareren Dialog, zu einer offeneren Gesinnung, zu Erfahrungen der Annahme und richtigen Toleranz sein, so kann es auf der anderen Seite Anlass zu Verwirrung und Relativismus sein "vor allem bei Menschen und Bevölkerungen mit nicht wirklich reifem Glauben.

Zu diesen Faktoren - und in enger Verknüpfung mit dem wachsenden Individualismus - kommt das Phänomen der Versubjektivierung des Glaubens hinzu. Das heißt, bei einer wachsenden Zahl von Christen ist wegen ihrer subjektiven Zustimmung zu dem, was ihnen gefällt, was ihrer eigenen Erfahrung entspricht, was ihre eigenen Gewohnheiten nicht stört, eine geringere Empfänglichkeit für das gesamte, objektive Ganze der Glaubenslehre zu bemerken. Auch die an sich berechtigte Berufung auf die Unverletzlichkeit des persönlichen Gewissens des einzelnen kann in diesem Zusammenhang gefährliche Züge von Doppeldeutigkeit annehmen.

Darauf beruht auch das immer weiter verbreitete Phänomen der nur mehr partiellen und bedingten Kirchenzugehörigkeit, die auf das Entstehen neuer Priesterberufe, auf das Selbstbewusstsein des Priesters und auf seinen Dienst in der Gemeinde einen negativen Einfluss ausübt.

Schließlich verursacht in vielen Stellen des kirchlichen Lebens noch heute die mangelnde Präsenz und Verfügbarkeit priesterlicher Kräfte sehr ernste Probleme. Die Gläubigen sind oft über lange Zeit allein gelassen und haben häufig auch keinen angemessenen pastoralen Beistand: Darunter leidet das Wachstum ihres christlichen Lebens insgesamt und noch mehr ihre Fähigkeit, sich stärker für die Evangelisierung einzusetzen.

Die Situation der Jugend im Blick auf Priesterberuf und Priesterausbildung

8 Die zahlreichen Widersprüche und Chancen, von denen unsere Gesellschaften und Kulturen und ebenso die kirchlichen Gemeinschaften gekennzeichnet sind, werden von der Welt der jungen Menschen ganz besonders intensiv und mit unmittelbaren und äußerst gravierenden Auswirkungen auf ihren Reifungsprozess wahrgenommen, erlebt und erfahren. In diesem Sinn trifft das Erwachen und Sich-Entfalten der priesterlichen Berufung bei Kindern, Heranwachsenden und jugendlichen ständig zugleich auf Hindernisse und Anregungen.

Einen äußert starken, verführerischen Zauber auf die jugendlichen übt die sogenannte "Konsumgesellschaft" aus, die sie zu Sklaven und Gefangenen einer individualistischen, materialistischen und hedonistischen Auslegung des menschlichen Daseins macht. Das materiell verstandene "Wohlergehen" ist dabei, sich als einziges Lebensideal durchzusetzen; ein Wohlergehen, das unter jeder Bedingung und um jeden Preis erlangt werden soll: von daher kommt die Ablehnung von allem, was nach Opfer aussieht, und der Verzicht auf die Anstrengung, geistliche und religiöse Werte zu suchen und zu leben. Die ausschließliche "Sorge" um das Haben verdrängt den Vorrang des Seins, was zur Folge hat, dass die personalen und interpersonalen Werte nicht nach dem Maßstab des unverrechenbaren Schenkens, sondern nach der Logik egoistischen Besitzdenkens und der Instrumentalisierung des Mitmenschen interpretiert werden.

Das spiegelt sich besonders in der Auffassung von der menschlichen Sexualität wider, die ihrer Würde eines Dienstes an der Gemeinschaft und Hingabe zwischen den Personen entkleidet und zu einem bloßen Konsumgut gemacht wird. So führt die affektive Erfahrung vieler junger Menschen nicht zu einem harmonischen, erfreulichen Wachstum der eigenen Persönlichkeit, die sich dem anderen in der Selbsthingabe öffnet, sondern zu einer schwerwiegenden psychologischen und sittlichen Verwirrung, die unweigerlich gewichtige Auswirkungen auf die Zukunft dieser jugendlichen haben muss.

Den Ursprung dieser Neigungen bildet bei sehr vielen jungen Menschen eine verzerrte Freiheitserfahrung. Die Freiheit wird ganz und gar nicht als Gehorsam gegenüber der objektiven und universalen Wahrheit erlebt, sondern als blinde Zustimmung zu den triebhaften Kräften und zum Machtwillen des einzelnen. Dabei wird auf der Ebene der Gesinnung und des Verhaltens das Zerbröckeln des Einvernehmens über die sittlichen Grundsätze sowie auf der religiösen Ebene zwar nicht immer die ausdrückliche Ablehnung Gottes, wohl aber eine religiöse Gleichgültigkeit und ein Leben, das auch in seinen bedeutendsten Augenblicken und in seinen nachhaltigsten Entscheidungen so gelebt wird, als ob es Gott nicht gäbe, irgendwie zur Selbstverständlichkeit. In einem solchen Umfeld wird nicht erst die Realisierung, sondern bereits das Verstehen der Bedeutung einer Berufung zum Priestertum schwierig, die ein spezifisches Zeugnis für den Vorrang des Seins vor dem Haben ist, die Anerkennung des Lebenssinnes als freier und verantwortungsvoller Selbsthingabe an die anderen sowie die Bereitschaft, sich in jener Form ganz in den Dienst des Evangeliums und des Reiches Gottes zu stellen.

Auch im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft stellt die Welt der jugendlichen nicht selten ein "Problem" dar. Wenn bei den jugendlichen noch mehr als bei den Erwachsenen eine starke Neigung zur Versubjektivierung des christlichen Glaubens und eine nur teilweise und bedingte Zugehörigkeit zum Leben und zur Sendung der Kirche vorhanden sind, bereitet es in der kirchlichen Gemeinschaft aus einer Reihe von Gründen tatsächlich Mühe, eine auf den heutigen Stand gebrachte mutige Jugendpastoral in Gang zu bringen: Die jugendlichen laufen Gefahr, sich selbst überlassen zu bleiben, ihrer psychischen Zerbrechlichkeit preisgegeben, unbefriedigt und kritisch gegenüber einer Welt von Erwachsenen, die ihnen, da sie den Glauben inkonsequent und ohne Reife leben, nicht als glaubwürdige Vorbilder erscheinen.

Es wird also die Schwierigkeit offenkundig, den jungen Menschen eine unverkürzte und sie gleichzeitig einbeziehende Erfahrung christlichen und kirchlichen Lebens vorzulegen und sie auf diese Haltung hin zu erziehen. Auf diese Weise bleibt die Perspektive des Priesterberufes weit entfernt von den konkreten und lebendigen Interessen der jugendlichen.

9 Es fehlt jedoch nicht an positiven Situationen und Anregungen, die im Herzen der heranwachsenden jugendlichen eine neue Verfügbarkeit sowie ein echtes, wirkliches Suchen nach solchen ethischen und spirituellen Werten wecken und fördern, die ihrer Natur nach den geeigneten Boden für einen Berufsweg zur Ganzhingabe an Christus und an die Kirche im Priestertum bieten.

Zunächst ist hervorzuheben, dass einige Phänomene, die in der jüngsten Vergangenheit nicht wenige Probleme verursacht haben - wie z. B. radikale Protestbewegungen, anarchistische Ansätze, utopische Forderungen, wahllose Sozialisierungsformen, Gewaltverhalten -, an Bedeutung abgenommen haben.

Man muss zudem erkennen, dass auch die heutigen jugendlichen mit der für ihr Alter typischen Kraft und Frische Träger von Idealen sind, die sich ihren Weg in der Geschichte bahnen: der Durst nach Freiheit, die Anerkennung des unermesslichen Wertes der Person, das Bedürfnis nach Authentizität und Transparenz, eine neue Auffassung und ein neuer Stil von Partnerschaft in den Beziehungen von Mann und Frau, die überzeugte und leidenschaftliche Suche nach einer gerechteren, solidarischeren, geeinteren Welt, die Offenheit und der Dialog mit allen und der Einsatz für den Frieden.

Die so reiche und lebendige Entwicklung zahlreicher Formen freiwilligen Dienstes bei vielen jugendlichen unserer Zeit - eines Dienstes, der den vergessensten und bedürftigsten Schichten unserer Gesellschaft gilt - stellt heute ein besonders wichtiges Erziehungsmittel dar, weil sie die jungen Menschen zu einem selbstloseren und offeneren und solidarischeren Lebensstil mit den Armen anspornt und sie darin unterstützt. Dieser Lebensstil vermag das Verständnis, das Verlangen und die Antwort auf eine Berufung zum ständigen und totalen Dienst für die anderen auch auf dem Weg der vollen Weihe an Gott durch ein Leben als Priester zu erleichtern.

Der jüngst erfolgte Zusammenbruch der Ideologien, die sehr kritische Einstellung gegenüber der Welt der Erwachsenen, die nicht immer das Zeugnis eines Lebens bieten, das sich den moralischen und transzendenten Werten anvertraut, die Erfahrung von Altersgefährten, die in die Droge und in die Gewalt auszuweichen versuchen: all das trägt sehr viel dazu bei, die Grundfrage nach solchen Werten, die wirklich in der Lage sind, dem Leben, dem Leiden und dem Tod Bedeutungsfülle zu geben, dringender und unausweichlich zu machen. Bei vielen jugendlichen brechen die religiöse Frage und das Bedürfnis nach Spiritualität wieder deutlicher auf: Von daher erklärt sich das Verlangen nach Einsamkeits- und Gebetserlebnissen, die Rückkehr zum Lesen der Heiligen Schrift, das immer mehr zu einer persönlichen Gewohnheit wird, und zum Studium der Theologie.

Und wie schon im Bereich des freiwilligen Sozialdienstes, so treten die jugendlichen im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft immer aktiver und als Vorkämpfer auf, vor allem durch die Teilnahme an den verschiedenen Vereinigungen, von den traditionellen, aber erneuerten bis hin zu denen, die mehr an die neuen geistlichen Bewegungen gebunden sind: Die Erfahrung einer Kirche, die von der Treue zu dem Geist, der sie beseelt, und von den Bedürfnissen einer von Christus fernen Welt, die aber seiner dringend bedarf, zur "Neu-Evangelisierung" gedrängt wird, wie auch die Erfahrung einer Kirche, die immer solidarischer mit dem Menschen und den Völkern ist bei der Verteidigung und Förderung der Würde der Person und der Menschenrechte aller und jedes einzelnen, öffnen das Herz und das Leben junger Menschen für äußerst faszinierende und verpflichtende Ideale, die ihre konkrete Verwirklichung in der Nachfolge Christi und im Priestertum finden können.

Von dieser menschlichen und kirchlichen Situation, die von starker Ambivalenz gekennzeichnet ist, wird man natürlich keinesfalls absehen können, weder in der Berufungspastoral und bei der Ausbildung der künftigen Priester noch auch im Bereich des Lebens und des Dienstes der Priester und ihrer ständigen Weiterbildung. Wenn sich also die verschiedenen "Krisenformen" erfassen lassen, denen die Priester von heute bei der Ausübung ihres Dienstes, in ihrem geistlichen Leben und selbst bei der Interpretation von Wesen und Bedeutung des Priesteramtes ausgesetzt sind, so müssen doch auch mit Freude und Hoffnung die neuen positiven Möglichkeiten festgehalten werden, welche der gegenwärtige Abschnitt der Geschichte den Priestern für die Erfüllung ihrer Sendung bietet.

Das Evangelium als Bewertungsmaßstab

10 Die komplexe Situation unserer Zeit, die wir sozusagen im Schnellverfahren durch Hinweise anhand von Beispielen umrissen haben, verlangt, sie nicht nur zu kennen, sondern auch und vor allem zu deuten. Nur so wird es möglich sein, eine angemessene Antwort auf die grundlegende Frage zu geben: Wie sind Priester auszubilden, die wirklich auf der Höhe dieser Zeit stehen und imstande sein sollen, die Welt von heute zu evangelisieren?<ref> Vgl. Lineamenta, Einleitung, Nr. 1.</ref> 

Die Kenntnis der Situation ist wichtig. Eine bloße Datenerhebung genügt nicht, es bedarf einer "wissenschaftlichen". Untersuchung, auf deren Grundlage dann eine genaue und konkrete Beschreibung der tatsächlichen soziokulturellen und kirchlichen Verhältnisse vorgenommen werden kann.

Noch wichtiger aber ist die Deutung der Situation. Sie wird gefordert von der Ambivalenz und bisweilen Widersprüchlichkeit, von der die Lage gekennzeichnet ist, findet man doch hier tief miteinander verflochten Schwierigkeiten und Erfolge, negative Elemente und manchen Grund zur Hoffnung, Behinderungen und Aufgeschlossenheit, wie auf dem Acker im Evangelium, wo guter Same und Unkraut gesät worden waren und miteinander wuchsen" (vgl. Mt 13,24ff.).

Die Deutung, die zu unterscheiden wissen soll zwischen Gut und Böse, zwischen Hoffnungszeichen und Bedrohungen, ist nicht immer leicht. Bei der Priesterausbildung handelt es sich nicht einfach darum, die positiven Faktoren anzunehmen und sich den negativen frontal zu widersetzen. Es geht darum, gerade bei den positiven Faktoren eine sorgfältige Gewichtung vorzunehmen, damit sie sich nicht voneinander absondern und durch ihre Verabsolutierung und gegenseitige Bekämpfung in Gegensatz zueinander geraten. Dasselbe gilt von den negativen Faktoren, sie dürfen nicht pauschal und unterschiedslos zurückgewiesen werden, denn in jedem von ihnen kann irgendein Wert verborgen sein, der darauf wartet, freigelegt und wieder zu seiner vollen Wahrheit gebracht zu werden.

Der Gläubige findet für die Deutung der geschichtlichen Situation das Erkenntnisprinzip und das Kriterium der konkreten Vollzugsentscheidung in einer neuen und originellen Wirklichkeit, das heißt in der Unterscheidung anhand des Evangeliums; diese Deutung erfolgt im Licht und in der Kraft des Evangeliums, des lebendigen und persönlichen Evangeliums, das Jesus Christus ist, und mit der Gabe des Heiligen Geistes. So erfasst die Unterscheidung am Maßstab des Evangeliums in der geschichtlichen Situation mit ihren Wechselfällen und Bedingtheiten nicht einfach eine präzis feststellbare "Sachlage", der gegenüber man gleichgültig oder passiv bleiben könnte, sondern sie enthält eine "Aufgabe", eine Herausforderung zur verantwortungsvollen Freiheit des Menschen, sowohl des einzelnen wie der Gemeinschaft. Es ist eine "Herausforderung", die sich mit einem "Anruf" verbindet, den Gott gerade in dieser geschichtlichen Situation vernehmen lässt. Auch in ihr und durch sie ruft Gott den Glaubenden und vorher schon die Kirche auf, daran mitzuwirken, dass "das Evangelium der Berufung und des Priestertums" auch unter den veränderten Lebensumständen seine ewige Wahrheit zum Ausdruck bringt. Auch auf die Priesterausbildung sollen die Worte des Il. Vatikanischen Konzils angewandt werden: "Der Kirche obliegt allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 4.</ref>

Diese Unterscheidung nach dem Evangelium gründet sich auf das Vertrauen in die Liebe Jesu Christi, der sich stets unermüdlich seiner Kirche annimmt (vgl. Eph 5,29), und der Herr und Meister, Schlüssel zum Himmelreich, Mittelpunkt und Ziel der gesamten Menschheitsgeschichte ist.<ref> Vgl. Achte Weltbischofssynode, Schlussbotscaft an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), I.</ref> Diese Unterscheidung lebt vom Licht und von der Kraft des Heiligen Geistes, der überall und in jeder Situation den Gehorsam des Glaubens, den freudigen Mut zur Nachfolge Jesu sowie die Gabe der Weisheit weckt, die alles beurteilt selbst aber von niemandem beurteilt werden kann (vgl. 1 Kor 2,15), weil sie auf der Treue des Vaters zu seinen Verheißungen gründet.

So spürt die Kirche, dass sie imstande ist, sich mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen dieser neuen Epoche unserer Geschichte auseinanderzusetzen und auch für die Gegenwart und Zukunft Priester zu gewährleisten, die so gut ausgebildet sind, dass sie überzeugte, leidenschaftliche Träger der "Neu-Evangelisierung", treue und hochherzige Diener Jesu Christi und der Menschen sind.

Wir verhehlen uns keineswegs die Schwierigkeiten. Sie sind weder gering noch leicht. Aber um sie zu überwinden, gibt es unsere Hoffnung, unseren Glauben an die unfehlbare Liebe Christi, unsere Gewissheit, dass für das Leben der Kirche und der Welt der priesterliche Dienst unersetzlich ist.

KAPITEL II: DER HERR HAT MICH GESALBT UND GESANDT.
Wesen und Sendung des Priesteramtes

Der Blick ist auf den Priester gerichtet

11 "Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet" (Lk 4,20). Was der Evangelist Lukas von denen sagt, die an jenem Sabbat in der Synagoge von Nazaret anwesend waren und die Darlegung Jesu über die von ihm vorgelesene Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja hörten, lässt sich auf alle Christen anwenden, die ja zu allen Zeiten berufen sind, in Jesus von Nazaret die endgültige Erfüllung der prophetischen Botschaft zu erkennen: "Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt" (Lk 4,21). Dieses "Schriftwort" lautete: "Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe" (Lk 4,18-19; vgl. Jes 61,1-2). Jesus stellt sich also selbst als den vor, der vom Geist erfüllt ist, den "der Herr gesalbt hat", den "er gesandt hat, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe": Er ist der Messias, der Messias, der Priester, Prophet und König ist.

Auf dieses Antlitz Christi sollen die Augen des Glaubens und der Liebe der Christen gerichtet sein. Ausgehend von dieser "Betrachtung" und unter Bezugnahme auf sie haben die Synodenväter über das Problem der Priesterausbildung unter den heutigen Lebensbedingungen nachgedacht. Eine Antwort kann dieses Problem nicht ohne eine vorausgehende Reflexion über das Ziel, auf das der Ausbildungsweg hingeordnet sein soll, erfahren: Und das Ziel ist das Priesteramt, genauer der Dienst des Priesters als Teilhabe am Priestertum Jesu Christi in der Kirche. Das Wissen um das Wesen und die Sendung des priesterlichen Dienstamtes ist die unverzichtbare Voraussetzung und zugleich die sicherste Führung und der entschiedenste Ansporn, um in der Kirche den pastoralen Einsatz für die Förderung und das Erkennen der Priesterberufe und für die Ausbildung der bereits zum geweihten Amt Berufenen zur Entfaltung zu bringen.

Die richtige und gründliche Kenntnis vom Wesen und der Sendung des priesterlichen Dienstamtes ist der Weg, den man geben muss - und den die Synode tatsächlich gegangen ist - um aus der Krise um die Identität des Priesters herauszufinden: "Diese Krise war" - so sagte ich zum Abschluss der Synode - "in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil entstanden. Sie hatte ihren Grund in einem irrigen, zuweilen sogar bewusst tendenziösen Verständnis der Lehre des Konzils. Hier liegt ohne Zweifel auch eine der Ursachen für die große Zahl von Verlusten, die die Kirche damals erlitt, Verluste, die den pastoralen Dienst und die Berufungen zum Priestertum, besonders die missionarischen Berufungen schwer getroffen haben. Es scheint, als wäre es der Synode von 1990 gelungen, nach diesen schmerzlichen Verlusten neue Hoffnung einzuflößen, indem sie durch so viele Beiträge, die wir in dieser Aula gehört haben, die priesterliche Identität in ihrer ganzen Tiefe wiederentdecken half. Diese Beiträge haben das Bewusstsein von der spezifischen ontologischen Verbundenheit des Priesters mit Christus, dem Hohenpriester und Guten Hirten, deutlich gemacht. Diese Identität liegt dem Wesen der Ausbildung zugrunde, die im Blick auf das Priestertum und damit das ganze Priesterleben hindurch erfolgen muss. Das war der eigentliche Zweck der Synode".<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 4: a.a.O., 4; vgl. auch das Gründonnerstagsschreiben an die Priester (15. März 1991): L'Osservatore Romano, 15 März 1991, 4.</ref>

Deshalb hat es die Synode für notwendig gehalten, in zusammenfassender und grundlegender Weise das Wesen und die Sendung des Weihepriestertums so in Erinnerung zu rufen, wie sie der Glaube der Kirche durch die Jahrhunderte ihrer Geschichte anerkannt und das II. Vatikanische Konzil den Menschen unserer Zeit wieder vor Augen gestellt hat.<ref> Vgl. vor allem II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis und Dekret über die Priesterausbildung]] Optatam totius; vgl. u.a. auch Hl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die Ausbildung der Priester) (6. Januar1970): a.aO., und II. Vollversammlung der Weltbischofssynode (1971).</ref>

Kirche als Mysterium, Communio und Missio

12 "Die priesterliche Identität", - schrieben die Synodenväter, "hat wie jede christliche Identität ihren Ursprung in der göttlichen Trinität",<ref> Vgl. Propositio 7.</ref> die sich den Menschen in Christus offenbart und selbst mitteilt, indem sie in ihm und durch den Geist die Kirche als "Keim und Anfang des Reiches" darstellt.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 5.</ref> Das Apostolische Schreiben Christifideles laici stellt in einer Zusammenfassung der Konzilslehre die Kirche als Mysterium, Communio und Missio vor. Sie "ist Geheimnis, weil die Liebe und das Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes die völlig unverdienten Gaben sind für alle, die aus dem Wasser und dem Geist geboren (vgl. Job 3,5), die berufen sind, die Communio Gottes selbst zu leben, zu bezeugen und in der Geschichte anderen mitzuteilen (Sendung)".<ref> Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt Christifideles laici (30. Dezember 1988), 8: AAS 81 (1989) 405; vgl. auch II. Außerordentliche Bischofssynode (1985).</ref>

Innerhalb des Mysteriums der Kirche als Geheimnis trinitarischer Gemeinschaft in missionarischer Spannung offenbart sich jede christliche Identität und somit auch die spezifische Identität des Priesters und seines Dienstes. Denn der Priester ist kraft seiner sakramentalen Weihe vom Vater gesandt durch Jesus Christus, dem Haupt und Hirten seines Volkes. Ihm ist er in besonderer Weise nachgestaltet, um in der Kraft des Heiligen Geistes im Dienst der Kirche und zum Heil der Welt zu leben und zu wirken.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Man kann die im wesentlichen "relationale" Kennzeichnung der Identität des Priesters so verstehen: Durch das Priestertum, das der Tiefe des unaussprechlichen Geheimnisses Gottes, das heißt der Liebe des Vaters, der Gnade Jesu Christi und der Gabe der Einheit des Heiligen Geistes, entspringt, ist der Priester sakramental in die Gemeinschaft mit dem Bischof und mit den anderen Priestern eingebunden,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 7-8.</ref> um dem Volk Gottes, das die Kirche ist, zu dienen und alle zu Christus hinzuführen, dem Gebet des Herrn entsprechend: "Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir ... Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast" (Joh 17,11.12).

Man kann also das Wesen und die Sendung des Priestertums des Dienstes nur in diesem vielfältigen und reichen Zusammenspiel von Beziehungen bestimmen, die aus der innergöttlichen Trinität kommen und sich in die Gemeinschaft der Kirche, als Zeichen und Werkzeug in Christus für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit, hinein fortsetzen.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> Auf diese Weise wird die Communio-Ekklesiologie entscheidend, um die Identität des Priesters, seine eigenständige Würde, seine Berufung und Sendung im Volk Gottes und in der Welt zu begreifen. Der Bezug auf die Kirche ist deshalb bei der Bestimmung der Identität des Priesters zwar notwendig, aber nicht vorrangig. Als Geheimnis ist die Kirche wesentlich auf Jesus Christus bezogen. Sie ist in der Tat eine Fülle, sein Leib, seine Braut. Sie ist das lebendige "Zeichen" und "Erinnerungsbuch" seiner ständigen Gegenwart und seines Wirkens unter uns und für uns. Der Priester findet die volle Wahrheit seiner Identität darin, sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi, des einzigen Hohenpriesters des neuen und ewigen Bundes, zu sein: Er ist ein lebendiges und transparentes Abbild des, Priesters Christus. Das Priestertum Christi, Ausdruck der absoluten "Neuigkeit" der Heilsgeschichte, stellt den einzigen Ursprung und das unersetzliche Modell für das Priestertum des Gläubigen und im besonderen des geweihten Priesters dar. Der Bezug auf Christus ist also der absolut notwendige Schlüssel für das Verständnis aller Dimensionen priesterlicher Wirklichkeit.

Die grundlegende Beziehung zu Christus, dem Haupt und Hirten

13 Jesus Christus hat in sich selbst das vollkommene und endgültige Wesen des Priestertums des Neuen Bundes geoffenbart:<ref> Vgl. Propositio 7.</ref> Er hat es während seines ganzen Erdenlebens getan, aber vor allem in dem zentralen Geschehen seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung.

Wie der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt, ist Jesus, der Mensch ist wie wir und zugleich der eingeborene Sohn Gottes, in seinem Wesen vollkommener Mittler zwischen dem Vater und der Menschheit (vgl. Hebr 8-9), der uns durch die Gabe des Geistes den unmittelbaren Zugang zu Gott erschließt: ,Gott sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater!" (Gal 4,6; vgl. Röm 8,15).

Zur vollen Verwirklichung bringt Jesus sein Wesen als Mittler durch die Selbsthingabe am Kreuz, mit der er uns ein für allemal den Zugang zum himmlischen Heiligtum, zum Haus des Vaters eröffnet (vgl. Hebr 9,24-28). Im Vergleich mit Jesus erscheinen Mose und alle "Mittler" des Alten Testaments zwischen Gott und seinem Volk - die Könige, Priester und Propheten - nur wie "Vorausbilder" und "ein Schatten der künftigen Güter", nicht wie "die Gestalt der Dinge selbst" (vgl. Hebr 10,1).

Jesus ist der angekündigte gute Hirt (vgl. Ez 34), der seine Schafe kennt, der sein Leben für sie hingibt und der alle sammeln will, sodass es nur eine Herde und einen Hirten geben wird (vgl. Joh 10,10-16). Der Hirt ist gekommen, "nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen" (Mt 20,28); der Hirt, der im österlichen Geschehen der Fußwaschung (vgl. Joh 13,1-20) den Seinen das Vorbild des Dienstes hinterlässt, wie sie ihn aneinander vollziehen sollen, und der sich freiwillig als "unschuldiges Lamm" hingibt, das um unserer Erlösung willen geschlachtet wird (vgl. Joh 1,36; Offb 5,6.12).

Durch das einzigartige und endgültige Opfer am Kreuz überträgt Jesus allen seinen Jüngern die Würde und Sendung von Priestern des neuen und ewigen Bundes. So erfüllt sich Gottes Verheißung an Israel: "Ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören" (Ex 19,6). Das ganze Volk des Neuen Bundes - schreibt der hl. Petrus - soll als "ein geistiges Haus" "zu einer heiligen Priesterschaft" aufgebaut werden, "um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen" (1 Petr 2,5). Die Getauften sind die "lebendigen Steine", die das geistige Haus aufbauen, indem sie sich um Christus, den "lebendigen Stein, der ... von Gott auserwählt und geehrt worden ist", zusammenschließen (1 Petr 2,4-5). Die Kirche als das neue priesterliche Volk hat nicht nur in Christus ihr authentisches Bild, sondern empfängt von ihm auch eine wirkliche, ontologische Teilhabe an seinem ewigen und einzigen Priestertum, dem sie sich mit ihrem ganzen Leben anpassen soll.

14 Im Dienste dieses universalen Priestertums des Neuen Bundes ruft Jesus im Laufe seiner irdischen Heilssendung einige Jünger zu sich (vgl. Lk 10,1-12), und mit einem besonderen und glaubwürdigen Auftrag beruft und bestellt er die Zwölf, "die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,14-15).

Deshalb überträgt Jesus schon während seines öffentlichen Wirkens (vgl. Mt 16,18) und dann in vollem Ausmaß nach seinem Tod und seiner Auferstehung (vgl. Mt 28,16-20; Joh 20;21) Petrus und den Zwölf ganz besondere Vollmachten gegenüber der künftigen Gemeinde und für die Evangelisierung aller Völker. Nachdem er sie zu seiner Nachfolge berufen hat, behält er sie bei sich und lebt mit ihnen, wobei er ihnen durch Wort und Beispiel seine Heilslehre mitteilt, und sendet sie schließlich zu allen Menschen. Für die Erfüllung dieses Auftrags überträgt Jesus den Aposteln kraft einer besonderen österlichen Ausgießung des Heiligen Geistes eben die messianische Vollmacht, die ihm vom Vater zukommt und die ihm mit der Auferstehung voll übertragen worden ist: "Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,18-20).

Jesus stellt so eine enge Verbindung her zwischen dem Dienst, der den Aposteln anvertraut wurde, und seiner eigenen Sendung: "Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat" (Mt 10,40); "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat" (Lk 10,16). ja, das vierte Evangelium bekräftigt im Lichte des Ostergeschehens des Todes und der Auferstehung kraftvoll und klar: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20,21; vgl. 130; 17,18). Wie Jesus einen Auftrag hat, der ihm direkt von Gott zukommt und, der die Autorität Gottes selbst konkretisiert (vgl. Mt 7,29; 21,23; Mk 1,27; 11,28; Lk 20,2; 24,19), so haben die Apostel einen Auftrag, der ihnen von Jesus zukommt. Und wie "der Sohn nichts von sich aus tun kann" (Job 5,19), also seine Lehre nicht von ihm stammt, sondern von dem, der ihn gesandt hat (vgl. Job 7,16), so sagt Jesus zu den Aposteln: "Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen" (Joh 15,5): Ihre Sendung kommt nicht von ihnen, sondern ist dieselbe wie die Sendung Jesu. Und das ist nicht aus menschlicher Kraft möglich, sondern durch die "Gabe" Christi und seines Geistes, mithin durch das "Sakrament": "Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert" (Job 20,22-23). Also nicht aus irgendeinem besonderen eigenen Verdienst, sondern einzig und allein durch die unverdiente Teilhabe an der Gnade Christi setzen die Apostel die Heilssendung Christi für die Menschen in der Geschichte fort bis ans Ende der Zeiten.

Zeichen und Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit und Fruchtbarkeit dieser Sendung ist die Einheit der Apostel mit Jesus und in ihm untereinander und mit dem Vater, wie das hohepriesterliche Gebet des Herrn, die Synthese seiner Sendung, bezeugt (vgl. Joh 17,20-23).

15 Die vom Herrn eingesetzten Apostel werden ihrerseits nach und nach ihre Sendung dadurch erfüllen, dass sie in verschiedenen, im letzten aber übereinstimmenden Formen andere Männer als Bischöfe, Presbyter und Diakone berufen, um den Auftrag des auferstandenen Jesus zu erfüllen, der sie zu allen Menschen aller Zeiten gesandt hat.

Das Neue Testament betont eindeutig, dass es der Geist Christi selbst ist, der diese von den Brüdern ausgewählten Männer in ihren priesterlichen Dienst einführt. Durch die Geste der Handauflegung (vgl. Apg 6,6; 1 Tim 4,14; 5,22; 2 Tim 1,6), die die Gabe des Geistes weitergibt, werden sie dazu berufen und befähigt, den Dienst der Versöhnung, der wachsamen Sorge für die Herde Gottes und der Verkündigung fortzusetzen (vgl. Apg 20,28; 1 Petr 5,2).

Darum sind die Priester aufgerufen, die Gegenwart Christi, des einen Hohepriesters, dadurch fortzusetzen, dass sie seinen Lebensstil mit ihrem Leben bezeugen und in der ihnen anvertrauten Herde gleichsam an sich selbst transparent werden lassen. Sehr klar und deutlich wird dies im ersten Petrusbrief umschrieben: "Eure Ältesten ermahne ich, da ich ein Ältester bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi und auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird: Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung; seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde! Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen" (1 Petr 5,1-4).

Die Priester sind in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten; sie verkünden mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot, vor allem durch die Taufe, die Buße und die Eucharistie, sie sorgen wie er liebevoll bis zur völligen Selbsthingabe für die Herde, die sie in der Einheit sammeln und durch Christus im Geist zum Vater führen. Mit einem Wort, die Priester leben und handeln für die Verkündigung des Evangeliums an die Welt und für den Aufbau der Kirche im Namen und in der Person Christi, des Hauptes und Hirten.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Auf diese typische, spezifische Art und Weise nehmen die geweihten Diener an dem einen Priestertum Christi teil. Der Heilige Geist gestaltet sie durch die sakramentale Salbung auf eine neue und spezifische Weise Christus nach, dem Haupt und Hirten, er formt und beseelt sie mit der Hirtenliebe Christi und versetzt sie in der Kirche in die wirkmächtige Lebensaufgabe von Dienern an der Verkündigung des Evangeliums für alle Geschöpfe und Dienern an der Fülle des christlichen Lebens aller Getauften.

Die Wahrheit über den Priester, wie sie aus dem Wort Gottes, das heißt aus Jesus Christus selbst und aus seinem Gründungsplan für die Kirche hervorgeht, wird von der Liturgie in der Präfation der Chrisammesse mit Freude und Dankbarkeit besungen: "Du hast deinen eingeborenen Sohn gesalbt mit dem Heiligen Geist und ihn bestellt zum Hohenpriester des neuen und ewigen Bundes; du hast bestimmt, dass dieses eine Priestertum fortlebe in deiner Kirche. Denn Christus hat dein ganzes Volk ausgezeichnet mit der Würde seines königlichen Priestertums, aus ihm hat er 1 in brüderlicher Liebe Menschen erwählt, die durch Auflegen der Hände teilhaben an seinem priesterlichen Dienste.

In seinem Namen feiern sie immer neu das Opfer, durch das er die Menschen erlöst hat, und bereiten deinen Kindern das Ostermahl. Sie dienen deinem Volk in Werken der Liebe, sie nähren es durch das Wort und stärken es durch die Sakramente. Ihr Leben sollen sie einsetzen für dich und das Heil der Menschen, dem Vorbild Christi folgen und ihre Liebe und ihren Glauben in Treue bezeugen." (Aus: Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, 1975.)

Im Dienst an Kirche und Welt

16 Die grundlegende Beziehung für den Priester ist die zu Jesus Christus, dem Haupt und Hirten: Denn er hat in spezifischer und wirkmächtiger Weise Anteil erhalten an der "Weihe", Salbung und "Sendung" Christi (vgl. Lk 4,18f.). Aber eng verflochten mit dieser Beziehung ist die Beziehung zur Kirche. Es handelt sich nicht einfach um von außen her zusammengeführte "Beziehungen", sondern sie sind in einer Art gegenseitiger Immanenz aus sich heraus miteinander verbunden. Die Beziehung zur Kirche gehört eben zu der einzigartigen Beziehung des Priesters zu Christus, und zwar in dem Sinne, dass die "sakramentale Vergegenwärtigung" Christi die Beziehung des Priesters zur Kirche begründet und beseelt.

In diesem Sinne haben die Synodenväter geschrieben: "Insofern er Christus als Haupt, Hirten und Bräutigam der Kirche repräsentiert, steht der Priester nicht nur in der Kirche, sondern auch der Kirche gegenüber. Das Priestertum gehört zusammen mit dem Wort Gottes und den sakramentalen Zeichen, denen es dient, zu den konstitutiven Elementen der Kirche. Der Dienst des Priesters ist ganz für die Kirche da; der Priester soll die Ausübung des gemeinsamen Priestertums des ganzen Gottesvolkes fördern; er ist nicht nur für die Ortskirche, sondern auch für die Gesamtkirche bestellt (vgl. Presbyterorum ordinis, 10), in Gemeinschaft mit dem Bischof, mit Petrus und unter Perus. Durch das Priestertum des Bischofs ist das Priestertum zweiter Ordnung in die apostolische Struktur der Kirche eingebunden. So tritt der Priester wie der Apostel als Gesandter an Christi Statt auf (vgl. 2 Kor 5,20). Darauf gründet sich der missionarische Wesenszug jedes Priesters.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Das geweihte Amt entsteht also mit der Kirche und hat in den Bischöfen und, in Beziehung und Gemeinschaft mit ihnen, in den Priestern einen besonderen Bezug zu dem ursprünglichen Dienst der Apostel, in dessen "Nachfolge" es wirklich steht, auch wenn es im Vergleich zu ihm ganz verschiedene Existenzformen annimmt.

Man darf also nicht meinen, es gäbe das Weihepriestertum früher als die Kirche, denn es steht völlig im Dienst eben dieser Kirche; aber ebenso wenig darf man es später als die kirchliche Gemeinschaft ansetzen, so als könnte deren Gründung ohne das Priestertum verstanden werden.

Die Beziehung des Priester zu Jesus Christus und in ihm zu seiner Kirche liegt in der Existenz des Priesters selbst aufgrund seiner sakramentalen Weihe bzw. Salbung und in seinem Tun, das heißt in seiner Sendung bzw. seinem Dienst. Im besonderen "ist der Priester Diener des in der Kirche - in Form von Mysterium, Communio und Missio - gegenwärtigen Christus. Dadurch, dass er Anteil erhalten hat an der, Salbung und, Sendung Christi, kann er dessen Gebet, Wort, Opfer und Heilswirken in die Kirche hinein übersetzen. Er ist also Diener der Kirche als Geheimnis, weil er die kirchlichen und sakramentalen Zeichen der Gegenwart des auferstandenen Christus gegenwärtig setzt. Er ist Diener der Kirche als Gemeinschaft, weil er -verbunden mit dem Bischof und in enger Beziehung zum Presbyterium - Im Zusammenführen der verschiedenen Berufungen, Charismen und Dienste die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft aufbaut. Und er ist schließlich Diener der Kirche als Sendung, weil er die Glaubensgemeinschaft zur Verkünderin und Zeugin der frohen Botschaft aufbaut.<ref> Instrumentum laboris, Nr. 16; vgl. Propositio 7.</ref>

So erscheint der Priester in seinem eigentlichen Wesen und in seiner sakramentalen Sendung innerhalb der Struktur der Kirche als Zeichen für den absoluten Vorrang und die Unentgeltlichkeit der Gnade, die der Kirche vom auferstandenen Christus als Geschenk zuteil wird. Durch das Weihepriestertum wird sich die Kirche im Glauben bewusst, dass sie ihr Sein nicht sich selbst, sondern der Gnade Christi im Heiligen Geist verdankt. Die Apostel und ihre Nachfolger stehen als Inhaber einer Vollmacht, die ihnen von Christus, dem Haupt und Hirten, zukommt, mit ihrem Dienst der Kirche gegenüber, als sichtbare Fortsetzung und sakramentales Zeichen Christi, der die Kirche und der Welt als ewige und immer neue Heilsquelle gegenübersteht, er, "der die Kirche gerettet hat, denn sie ist sein Leib" (Eph 5,23).

17 Das geweihte Amt kann aufgrund seiner Natur nur erfüllt werden, weil der Priester durch die sakramentale Einbeziehung in den Priesterstand mit Christus verbunden ist und sich somit in hierarchischer Gemeinschaft mit seinem Bischof befindet. Das geweihte Amt hat eine radikale "Gemeinschaftsform" und kann nur als "Gemeinschaftswerk" erfüllt werden.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache vor dem Angelus, 25 Februar 1990.</ref> Mit diesem Gemeinschaftscharakter des Priestertums hat sich das Konzil lange beschäftigt,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 7-8.</ref> indem es das Verhältnis des Priesters zu seinem Bischof, zu den anderen Priestern und zu den gläubigen Laien jeweils eigens untersuchte.

Der Dienst der Priester ist vor allem verantwortungsvolle und notwendige Verbundenheit und Mitarbeit am Dienst des Bischofs in der Sorge um die Universalkirche und um die einzelnen Teilkirchen; für den Dienst an ihnen bilden sie zusammen mit dem Bischof ein einziges Presbyterium.

Jeder Priester, ob Welt- oder Ordenspriester, ist mit den anderen Mitgliedern dieses Presbyteriums aufgrund des Weihesakraments durch besondere Bande der apostolischen Liebe, des Dienstes und der Brüderlichkeit verbunden. Denn alle Welt und Ordenspriester haben teil an dem einen Priestertum Christi, des Hauptes und Hirten, "sie arbeiten für das gleiche Anliegen, nämlich für den Aufbau des Leibes Christi, der vielfältige Tätigkeiten und vor allem in der heutigen Zeit Neuanpassungen erfordert"<ref> Ebd., 8; vgl. Propositio 7.</ref> und im Laufe der Jahrhunderte mit immer neuen Charismen bereichert wird.

Schließlich stehen die Priester in einer positiven und anregenden Beziehung zu den Laien, denn ihre Gestalt und ihre Aufgabe in der Kirche ersetzen ja nicht das auf die Taufe zurückgehende gemeinsame Priestertum des ganzen Volkes Gottes, sondern fördern es, indem sie es zu seiner vollen kirchlichen Verwirklichung führen. Sie dienen dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe der Laien. Sie anerkennen und unterstützen als Brüder und Freunde die Würde der Kinder Gottes und helfen ihnen, ihre besondere Rolle im Rahmen der Sendung der Kirche voll auszuüben.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 9.</ref>

Das vom Weihesakrament übertragene Amtspriestertum und das gemeinsame oder "königliche" Priestertum der Gläubigen, die sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach unterscheiden, <ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium,10.</ref>

sind einander zugeordnet, stammen doch beide - in verschiedenen Formen - aus dem einen Priestertum Christi. Das Amtspriestertum bedeutet nämlich nicht an sich einen höheren Grad an Heiligkeit im Vergleich zum gemeinsamen Priestertum der Gläubigen; aber durch das Weihepriestertum wird den Priestern von Christus im Geist eine besondere Gabe verliehen, damit sie dem Volk Gottes helfen können, das ihm verliehene gemeinsame Priestertum getreu und vollständig auszuüben.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

18 Wie das Konzil unterstreicht, rüstet die Geistesgabe, die den Priestern in ihrer Weihe verliehen wurde, sie nicht für irgendeine begrenzte und eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale Heilssendung bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8), denn jeder priesterliche Dienst hat teil an der weltweiten Sendung, die Christus den Aposteln aufgetragen hat".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 10.</ref> Aufgrund des Wesens ihres Dienstes sollen sie daher von einem tiefen missionarischen Geist und "von jener wahrhaft katholischen Geisteshaltung" durchdrungen und beseelt sein, die sie dazu befähigt, "über die Grenzen der eigenen Diözese, der Nation oder des Ritus zu blicken und für die Bedürfnisse der ganzen Kirche einzustehen, stets bereit, das Evangelium überall zu verkünden".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester, Optatum totius, 20.</ref>

Außerdem soll der Priester, eben weil er innerhalb des Lebens der Kirche der Mann der Gemeinschaft ist, in der Beziehung zu allen Menschen der Mann der Sendung und des Dialogs sein. Tief verwurzelt in der Wahrheit und in der Liebe Christi und beseelt von dem Wunsch und dem Gebot, seine Heilsbotschaft allen zu verkünden, ist er dazu berufen, zu allen Menschen Beziehungen der Brüderlichkeit, des Dienstes, der gemeinsamen Wahrheitssuche, der Förderung von Gerechtigkeit und Frieden zu knüpfen. An erster Stelle zu den Brüdern und Schwestern der anderen christlichen Kirchen und Konfessionen; aber auch zu dem Gläubigen der anderen Religionen; zu den Menschen guten Willens und ganz besonders zu den Armen und Schwachen und zu allen, die sich, auch ohne es zu wissen oder zu äußern, nach der Wahrheit und nach dem Heil Christi sehnen, gemäß dem Wort Jesu, der gesagt hat: "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken; ... ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten (Mk 2,17).

Insbesondere die vorrangige pastorale Aufgabe der Neu-Evangelisierung, die das ganze Volk Gottes betrifft und einen neuen Eifer, neue Methoden und eine neue Ausdruckskraft für die Verkündigung und das Zeugnis des Evangeliums fordert, verlangt heute Priester, die radikal und vollständig in das Geheimnis Christi eingetaucht und fähig sind, einen neuen, von der tiefen Verbundenheit mit dem Papst, den Bischöfen und untereinander und von einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den gläubigen Laien gekennzeichneten pastoralen Lebensstil zu verwirklichen in der Achtung und Förderung der verschiedenen Rollen, Charismen und Dienste innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft.<ref> Vgl. Propositio 12.</ref>

"Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt" (Lk 4,21). Hören wir uns diese Worte Jesu noch einmal im Lichte des Weihepriestertums an, das wir in seinem Wesen und seiner Sendung dargelegt haben. Das "Heute", von dem Jesus spricht, weist auf die Zeit der Kirche hin, eben weil es zur Fülle der Zeit, das heißt der Zeit des vollen und endgültigen Heils, gehört und sie bestimmt. Die Salbung und die Sendung Christi, ausgedrückt in dem Schriftwort "Der Geist des Herrn ... hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe..." (Lk 4,18), sind die lebendige Wurzel, aus der die Weihe und die Sendung der "von Christus erfüllten (vgl. Eph 1,23) Kirche herauswachsen: Mit der Wiedergeburt in der Taufe ergießt sich auf alle Gläubigen der Geist des Herrn, der sie dafür weiht, ein geistiges Haus und eine heilige Priesterschaft aufzubauen, und sie aussendet, die großen Taten dessen zu verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat (vgl. 1 Petr 2,4-10). Der Priester hat an der Salbung und Sendung Christi in besonderer und wirkmächtiger Weise teil, nämlich durch das Weihesakrament, kraft dessen er in seinem Wesen Jesus Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet wird und die Sendung teilt, im Namen und in der Person Christi selbst "den Armen eine gute Nachricht zu bringen".

In ihrer Schlussbotschaft haben die Synodenväter in wenigen, aber um so reicheren Worten die "Wahrheit", besser das "Geheimnis" und das "Geschenk" des Weihepriestertums so zusammengefasst: "Unsere Identität hat ihre letzte Quelle in der Liebe des Vaters. Mit dem von ihm gesandten Sohn, dem Hohenpriester und Guten Hirten, sind wir durch das Weihepriestertum in der Kraft des Heiligen Geistes sakramental verbunden. Das Leben und der Dienst des Priesters sind eine Fortsetzung des Lebens und Wirkens Christi selbst. Das ist unsere Identität, unsere wahre Würde, die Quelle unserer Freude und die Zuversicht unseres Lebens.<ref> Achte Weltbischofssynode, Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), III: a.a.O.,4.</ref>

KAPITEL III: DER GEIST DES HERRN RUHT AUF MIR.
Das geistliche Leben des Priesters

Eine "besondere" Berufung zur Heiligkeit

19 "Der Geist des Herrn ruht auf mir" (Lk 4,18). Der Geist befindet sich nicht nur "über" dem Messias, sondern er "erfüllt" ihn, er durchdringt ihn, er erreicht ihn in seinem Sein und Wirken. Denn der Geist ist der Anfang der "Weihe" und der "Sendung" des Messias: "Der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe . . ." (Lk 4,18) Durch den Geist gehört Jesus vollständig und ausschließlich zu Gott, hat teil an der unendlichen Heiligkeit Gottes, der ihn ruft, ihn erwählt und ihn sendet. So offenbart sich der Geist des Herrn als Quelle der Heiligkeit und Aufruf zur Heiligung.

Dieser selbe "Geist des Herrn" ruht auf mir dem ganzen Volk Gottes, das verstanden wird als Gott "geweihtes" und von Gott "gesandtes" Volk zur Verkündigung des heilbringenden Evangeliums. Die Mitglieder des Volkes Gottes sind "getränkt" und "gezeichnet" vom Geist (vgl. 1 Kor 12,13; 2 Kor 1,21ff, Eph 1,13; 4,30) und zur Heiligkeit berufen.

Im besonderen offenbart und vermittelt uns der Geist die grundlegende Berufung, die der Vater von Ewigkeit her an alle richtet: die Berufung, "heilig und untadelig (zu) leben vor Gott", weil er uns ... im voraus dazu bestimmt hat, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus (Eph 1,4-5). Der Geist offenbart und vermittelt uns nicht nur diese Berufung, er wird in uns auch Anfang und Quelle ihrer Verwirklichung: er, der Geist des Sohnes (vgl. Gal 4,6), macht uns Jesus Christus gleichförmig und lässt uns teilhaben an seinem Leben als Sohn, das heißt an seiner Liebe zum Vater und zu den Menschen: "Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen (Gal 5,25). Mit diesen Worten erinnert uns der Apostel Paulus daran, dass das christliche Dasein "geistliches Leben" ist, das heißt ein vom Geist beseeltes Leben, das von ihm zur Heiligkeit bzw. zur vollkommenen Liebe geführt wird.

Die Aussage des Konzils, "dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 40.</ref> findet eine besondere Anwendung auf die Priester: Sie sind nicht nur als Getaufte berufen, sondern auch und ganz besonders als Priester, das heißt mit einer neuen Würde und unter eigenständigen Bedingungen, die sich aus dem Weihesakrament ableiten lassen.

20 Eine sehr reiche und anregende Zusammenfassung über das "geistliche Leben" der Priester und die Hingabe und Verantwortlichkeit, zu "Heiligen" zu werden, bietet uns das Konzilsdekret über Dienst und Leben der Priester: "Das Weihesakrament macht die Priester Christus, dem Priester, gleichförmig. Denn sie sind Diener des Hauptes zur vollkommenen Auferbauung seines ganzen Leibes, der Kirche, und Mitarbeiter des Bischofsstandes. Schon in der Taufweihe haben sie, wie alle Christen, Zeichen und Geschenk der so hohen gnadenhaften Berufung zur Vollkommenheit empfangen, nach der sie, bei aller menschlichen Schwäche, streben können und müssen, wie der Herr sagt: Ihr aber sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist (Mt 5,48). Als Priester sind sie jedoch in besonderer Weise zum Streben nach dieser Vollkommenheit verpflichtet. Denn im Empfang des Weihesakramentes Gott auf neue Weise geweiht, sind sie lebendige Werkzeuge Christi, des ewigen Priesters, geworden, damit sie sein wunderbares Werk, das mit Kraft von oben die ganze menschliche Gesellschaft erneuert hat, durch die Zeiten fortzuführen vermögen. jeder Priester vertritt also, seiner Weihestufe entsprechend, Christus. Darum erhält er auch die besondere Gnade, durch den Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und am ganzen Volk Gottes besser der Vollkommenheit dessen nachzustreben, an dessen Stelle er steht, und für die Schwäche seiner menschlichen Natur Heilung in der Heiligkeit dessen zu finden, der für uns ein heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sünden geschiedener Hoherpriester (Hebr 4,26) geworden ist".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 12.</ref>

Das Konzil betont vor allem die "gemeinsame" Berufung zur Heiligkeit. Diese Berufung hat ihre Wurzel in der Taufe, die den Priester als "Christgläubigen" (Christifidelis), als Bruder unter Brüdern" charakterisiert, der in das Volk Gottes eingebunden und mit ihm verbunden ist in der Freude, die Heilsgaben zu teilen (vgl. Eph 4,4-6) und in der gemeinsamen Verpflichtung, "gemäß dem Geist voranzugehen und dem einen Meister und Herrn zu folgen. Wir denken an das berühmte Wort des hl. Augustinus: Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes ist ein übernommenes Amt, dieses Gnade; jenes bezeichnet Gefahr, dieses Heil und Rettung.<ref> Hl. Augustinus, Sermo 340, 1: PL 38, 1483.</ref>

Mit gleicher Klarheit spricht der Konzilstext auch von einer "spezifischen" Berufung zur Heiligkeit, genauer von einer Berufung, die sich auf das Weihesakrament als eigentliches und besonderes Sakrament des Priesters gründet, das kraft einer neuen Weihe an Gott realisiert wird. Auf diese Berufung besonderer Art spielt auch der hl. Augustinus an, wenn er dem Satz Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ" noch diese Worte folgen lässt: "Daher werde ich, auch wenn es für mich Grund zu größerer Freude ist, mit euch erlöst als an eure Spitze gestellt worden zu sein, dem Gebot des Herrn folgen und mich mit größtem Einsatz dem Dienst an euch widmen, um nicht gegenüber dem undankbar zu sein, der mich um den Preis erlöst hat, dass er mich zu eurem dienenden Mitbruder gemacht hat.<ref> Ebd.</ref>

Der Konzilstext fährt fort mit dem Hinweis auf einige Elemente, die notwendig sind, um den Inhalt des "Spezifikums" im geistlichen Leben der Priester näher zu bestimmen. Es sind Elemente, die im Zusammenhang stehen mit der "Weihe" der Priester, die sie Jesus Christus, dem Haupt und Hirten der Kirche, "gleichförmig macht"; mit der "Sendung" als dem kennzeichnenden Dienst der Priester, die sie dazu befähigt und verpflichtet, "lebendige Werkzeuge Christ, des ewigen Priesters", zu sein und "im Namen und in der Person Christi selbst" zu handeln; mit ihrem ganzen "Leben", das dazu berufen ist, auf eigenständige Weise die "Radikalität des Evangeliums<ref> Vgl. Propositio 8.</ref> zu bekunden und zu bezeugen.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />