Nous avons pris (Wortlaut)

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Apostolischer Brief
Nous avons pris

von Papst
Pius XII.
an Prof. Charles Flory, den Präsidenten der «Sozialen Wochen Frankreichs»
anlässlich der zweiunddreißigsten Sozialen Woche
Leitgedanken zum wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau nach dem Kriege
14. Juli 1945

(Offizieller französischer Text: AAS 37 [1945] 210-212)

(Quelle: Arthur Fridolin Utz OP, Joseph-Fulko Groner O.P, Hrsg.: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens, Soziale Summe Pius' XII. (1939-1958), Übersetzerkollegium: Herausgeber und Franz Schmal u. H. Schäufele, Paulus Verlag Freiburg/Schweiz 1954; Imprimatur Friburgi Helv., die 5. Maii 1954 N. Luyten O.P. Imprimatur Friburgi Helv., die 29. Junii 1954 R. Pittet, v.g.; Band I, S. 361-364; Nrn. 753-755)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung

Eine ganz besondere Teilnahme haben Wir der reichhaltigen Abhandlung entgegengebracht, die Sie Uns in treuer Ergebenheit gewidmet haben. Sie betrifft die «Sozialen Wochen Frankreichs», die nach einer langen und schmerzlichen Zwischenpause sich anschicken, ihre verdienstreiche Tradition wieder aufzunehmen. Und da sind Wir zunächst gedrängt, innigen Anteil zu nehmen an dem Leid, das Sie durch den schmerzlichen Verlust des Präsidenten Eugen Duthoit getroffen hat. Der Ausfall dieses großen Christen und verdienten Professors musste von der katholischen Universität Lille und von den «Sozialen Wochen» lebhaft empfunden werden. Wir legen Wert darauf, Ihnen zu sagen, wie sehr es Uns selbst nahe gegangen ist, da Wir doch mehr als einmal Gelegenheit hatten, in besonderer Weise den tiefen Glaubensgeist und die treue Ergebenheit zum Heiligen Stuhl, die den berühmten Dahingegangenen beseelten, schätzen zu lernen.

Indem die Vorsehung Sie nach einem noch nie dagewesenen Zusammenbruch zu seinem Nachfolger berief, vertraut sie Ihnen eine hohe und schwere Aufgabe an, für deren Gelingen Wir von ganzem Herzen den Heiligen Geist anflehen, dass er Sie leiten und erleuchten möge.

Es ist in der Tat ein schweres Unterfangen, ein tiefgreifender und echter Wiederaufbau, zu dem die Einrichtung der «Sozialen Wochen» berufen ist, ihre wertvolle Mitarbeit zu leisten.

Diese ungeheure Arbeit muss, soll sie nicht scheitern, voranschreiten entsprechend einer Idee und einem Plan, die sich auf die unwandelbaren Lehren des Evangeliums und dessen heilsame Anwendungen berufen, die das Päpstliche Lehramt gemäß göttlicher Berufung unablässig für die verschiedenen Umstände der Zeit und des Ortes trifft. Und dies möchte ja auch in kurzen Worten das Thema Ihrer bevorstehenden Sitzungen von Toulouse zum Ausdruck bringen: «Soziale Wandlungen und Befreiung der Person» (Transformations sociales et libération de la personne). Denn es ist nur zu wahr, dass die Nachkriegsverhältnisse, in Frankreich wie auch in allen anderen Ländern, mit einer seltenen Schärfe dringende Bedürfnisse und Ansprüche aufkommen lassen, denen man im übrigen billigerweise nicht jede Berechtigung absprechen kann.

Nur eine Neuordnung im Sinn der kirchlichen Soziallehre sichert die Würde der menschlichen Person im sozialen Raum

Unsererseits haben Wir es Uns selbst mitten in den feindlichen Auseinandersetzungen zur Pflicht gemacht, die Völker und ihre Führer darauf hinzuweisen, dass sie nach solchen Erschütterungen eine wirtschaftliche und soziale Ordnung zu errichten hätten, die ebenso den Gesetzen Gottes wie der Würde des Menschen besser entspräche, indem sie die Forderungen wahrer Billigkeit und die Grundsätze des Christentums zu einer innigen Einheit verschmelze, welche die einzige Gewähr bildet für Glück, Wohlstand und Frieden für alle. Es sind verwickelte und gewaltige Fragen, die Unsere Radiobotschaften und Unsere Ansprachen zu wiederholten Malen anschnitten, um aufzuzeigen, in welchem Geist und entsprechend welchen Richtpunkten sie gelöst werden müssen. Wie sollten in der Tat die Menschen nach solch harten Leidens-, Angst- und Elendjahren nicht mit gutem Recht eine grundlegende Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erwarten? So ergeben sich jene Pläne für eine Neuorganisierung der Welt der Arbeit, jene Überlegungen zu einer Strukturreform, jene Entwicklung der Begriffe von Eigentum und Unternehmen, die bisweilen mit überstürzter Leidenschaftlichkeit und doktrinärer Unklarheit aufgegriffen wurden, die man jedoch den unbeugsamen Gesetzen der Vernunft und des Glaubens gegenüberstellen muss, wie sie das Lehramt der Kirche seiner Sendung gemäß auseinanderlegt. Nur so kann die menschliche Person, die so oft unter Zwang gehalten wurde, den Vollbesitz ihrer Würde selbst in der Erfüllung ihrer Pflichten wiedererlangen, ohne sich jedoch jemals der obersten Sorge zu entziehen, in billiger Weise überall jedem, der Rechtsansprüche hat, das Seinige zu geben, und die Forderungen des Rechts auf allen Gebieten zu achten.

Daher muss letzten Endes jedes Recht, wie Sie es sehr gut auf die Titelseite Ihres Programms geschrieben haben, auf die Befreiung der menschlichen Person wie auf einen Endpunkt hinzielen. Sie hat Gott an die Spitze der sichtbaren Welt gestellt und in wirtschaftlichen wie in politischen Belangen zum Maß aller Dinge gemacht. Und in dieser Hinsicht kann man hier sehr wohl das Wort des hl. Paulus anwenden: «Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott» (1 Kor. 3, 23).

Die «Sozialen Wochen Frankreichs» als Künder der katholischen Soziallehre gegenüber christentumsfeindlichen Kräften

Wir zweifeln nicht daran, dass die «Sozialen Wochen Frankreichs » so mit ganzer Hingabe, aber auch in aller Umsicht, für das Kommen jener höchsten sozialen Gerechtigkeit arbeiten, nach der die wahren Jünger Christi hungern und dürsten müssen. In Anbetracht der großen Gefahren, welche atheistische und christentumsfeindliche Forderungen beim Wiederaufbau der Welt heraufbeschwören, möchten Wir in Euch gerne die Künder und Elitevertreter jener katholischen und sozialen Aktion sehen, aus der die tüchtigen Architekten des neuen Gebäudes hervorgehen. Im übrigen findet Ihr in der berühmten Hauptstadt der Languedoc als Anreger und Leiter für Eure Arbeiten einen Erzbischof, dessen Name als Führer und Seelenhirt durch seinen ebenso liebenswürdigen wie mutigen Sinn weit über die Grenzen seiner Diözese hinausgetragen wurde. Was Uns angeht, so beten Wir unaufhörlich zum «Vater der Lichter», ein so bedeutsames Werk zu erleuchten und zu befruchten. Und um auf die Soziale Woche von Toulouse die Gnaden von oben noch mehr herabzuziehen, senden Wir allen, voran dem verehrten Msgr. Saliège, seinem hochwürdigsten Weihbischof und den Gliedern der Hierarchie, die Euch in Euren Arbeiten leiten, sowie der Gruppe von ausgezeichneten Professoren und Rednern, die sich um den neuen Präsidenten versammeln, endlich der zahlreichen und eifrigen Schar von Assistenten und Fremden den Apostolischen Segen.

Vatikan, am 14. Juli 1945.
PIUS PP. XII.