Mane nobiscum Domine (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Mane nobiscum Domine

von Papst
Johannes Paul II.
an die Bischöfe, den Klerus und die Gläubigen
zum Jahr der Eucharistie vom Oktober 2004–Oktober 2005
7. Oktober 2004
(Offizieller lateinischer Text: AAS LXXV [1983] 1001-1009)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: VAS 167)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Tabernakel in St. Pelagius Rottweil-Altstadt

EINFÜHRUNG

1 »Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden« (vgl. Lk 24,29). Dies sind die eindringlichen Worte der Einladung, mit denen sich die beiden Jünger, die am Abend des Auferstehungstages nach Emmaus unterwegs sind, an den Wanderer wenden, der sich auf dem Weg zu ihnen gesellt hatte. Mit trüben Gedanken beladen konnten sie sich nicht vorstellen, dass gerade dieser Unbekannte ihr Meister sein würde, der schon von den Toten auferstanden war. Dennoch verspürten sie, während er mit ihnen redete und ihnen den Sinn der Schrift ,,erschloss”, ein inneres ,,Brennen” (vgl. ebd. V. 32). Das Licht des Wortes löste die Blindheit ihres Herzens und ließ ihnen die Augen aufgehen (vgl. ebd. V. 31). Unter den Schatten des zu Ende gehenden Tages und in der Dunkelheit, die ihr Herz zu umhüllen drohte, war jener Wanderer ein Lichtstrahl, der Hoffnung zu wecken vermochte und ihren Geist für den Wunsch nach der Fülle des Lichtes öffnete. ,,Bleib doch bei uns”, drängten sie ihn. Und er akzeptierte. Kurz darauf war das Antlitz Jesu verschwunden. Der Herr jedoch war ,,geblieben”, und zwar unter dem Schleier des ,,gebrochenen Brotes”, vor dem ihnen die Augen aufgegangen waren.

2 Das Bild der Emmausjünger eignet sich gut dafür, einem Jahr Orientierung zu geben, in dem die Kirche sich in besonderer Weise bemühen wird, das Geheimnis der heiligen Eucharistie zu leben. Auf den Straßen unserer Fragen und unserer Unruhe, zuweilen unserer tiefen Enttäuschungen, will der göttliche ,,Wanderer” uns weiterhin Gefährte sein, um uns durch die Auslegung der Heiligen Schrift in das Verstehen der Geheimnisse Gottes einzuführen. Wenn die Begegnung mit dem Herrn zur Fülle gelangt, tritt an die Stelle des ,,Lichtes des Wortes” jenes Licht, das aus dem ,,Brot des Lebens” hervorgeht, mit dem Christus in höchster Form seine Zusage ,,Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt” erfüllt (Mt 28,20).

3 Das ,,Brotbrechen”, wie die Eucharistie im Anfang genannt wurde, steht von je her im Mittelpunkt des Lebens der Kirche. Mittels ihrer macht Christus durch den Zeitenlauf hindurch das Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung gegenwärtig. In ihr empfangen wir Christus in Person als ,,das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist” (Joh 6,51). In Ihm ist uns das Unterpfand des ewigen Lebens gegeben, dank dessen wir das ewige Gastmahl des himmlischen Jerusalem vorauskosten dürfen. Im Gleichklang mit der Lehre der Kirchenväter, der ökumenischen Konzilien und mit meinen Vorgängern habe ich die Kirche mehrfach eingeladen, über die Eucharistie nachzudenken, zuletzt in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia. In diesem Schreiben beabsichtige ich daher nicht, die schon dargebotene Lehre erneut vorzulegen, vielmehr verweise ich darauf, damit sie vertieft und aufgenommen wird. Jedenfalls glaube ich, dass es gerade auf dieses Ziel hin sehr hilfreich sein könnte, ein Jahr zu begehen, das ganz diesem wunderbaren Sakrament gewidmet ist.

4 Bekanntlich wird das Jahr der Eucharistie vom Oktober 2004 bis zum Oktober 2005 dauern. Zwei Ereignisse haben mir die günstige Gelegenheit zu dieser Initiative geboten; diese werden entsprechend den Beginn und das Ende des Jahres der Eucharistie markieren: der Internationale Eucharistische Kongress, der vom 10. bis zum 17. Oktober 2004 in Guadalajara (Mexiko) stattfindet, und die Ordentliche Versammlung der Bischofssynode, die sich im Vatikan vom 2. bis zum 29. Oktober 2005 mit dem Thema ,,Die Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche” beschäftigen wird. Bei meinem Vorhaben hat sodann eine weitere Überlegung nicht gefehlt: In dieses Jahr fällt der Weltjugendtag, der vom 16. bis zum 21. August 2005 in Köln stattfinden wird. Die Eucharistie wird dabei der lebendige Mittelpunkt sein, um den herum — so wünsche ich es — sich die Jugendlichen sammeln, um ihren Glauben und ihren Enthusiasmus zu nähren. Den Gedanken an solch eine eucharistische Initiative trage ich schon länger im Herzen: Tatsächlich stellt sie die natürliche Entwicklung der pastoralen Ausrichtung dar, die ich der Kirche einzuprägen beabsichtigte, besonders seit Beginn der Vorbereitungszeit auf das Große Jubiläum, und die ich dann in den darauffolgenden Jahren wieder aufgegriffen habe.

5 In diesem Apostolischen Schreiben möchte ich die Kontinuität der Ausrichtung unterstreichen, damit es allen leichter wird, ihre geistliche Bedeutung zu erfassen. Hinsichtlich der konkreten Verwirklichung des Jahres der Eucharistie verlasse ich mich auf den persönlichen Einsatz der Hirten der Teilkirchen. Die Verehrung dieses so großen Geheimnisses wird es ihnen nicht daran mangeln lassen, opportune Aktivitäten vorzuschlagen. Meinen Mitbrüdern im Bischofsamt wird es überdies nicht schwer fallen zu erkennen, dass diese Initiative, die relativ kurz auf den Abschluss des Rosenkranzjahres folgt, sich auf einem derart hohen geistlichen Niveau bewegt, sodass sie in keiner Weise die Pastoralprogramme der einzelnen Diözesen beeinträchtigt. Sie kann diese vielmehr wirksam erleuchten, indem sie sie sozusagen in jenem Mysterium verankert, das die Wurzel und das Geheimnis des geistlichen Lebens der Gläubigen wie ebenso jeder Initiative der Ortskirche ausmacht. Ich verlange daher nicht die Unterbrechung der pastoralen ,,Wege”, die die einzelnen Kirchen zurücklegen, sondern dass auf ihnen die eucharistische Dimension, die dem ganzen christlichen Leben zu eigen ist, eine Akzentuierung erfahren möge. Ich möchte meinerseits mit diesem Schreiben einige grundlegende Orientierungen anbieten. Dies geschieht in der Hoffnung, dass das Volk Gottes in seinen verschiedenen Gliedern meinen Vorschlag mit Bereitwilligkeit und eifriger Liebe aufnehmen wird.

I. AUF DER LINIE DES KONZILS UND DES JUBILÄUMS

Den Blick auf Christus gerichtet

6 Vor zehn Jahren hatte ich die Freude, mit dem Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994) den Weg der Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 aufzuweisen. Ich spürte, dass diese historische Gelegenheit sich am Horizont wie eine große Gnade abzeichnete. Gewiss habe ich mir nicht eingebildet, ein einfacher zeitlicher Übergang — mochte er noch so eindrücklich sein — könne schon selbst große Veränderungen mit sich bringen. Nach dem Beginn des Millenniums zeigte sich leider via facti eine Art rauer Kontinuität der vorausgehenden Ereignisse und oftmals der schlimmsten unter ihnen. Langsam hat so ein Szenarium sichtbare Formen angenommen, dass — neben tröstlichen Perspektiven — düstere Schatten der Gewalt und des Blutes erkennen lässt, die nicht aufhören, uns traurig zu stimmen. Als ich die Kirche einlud, das Jubiläum der zwei Jahrtausende seit der Menschwerdung Gottes zu feiern, war ich fest überzeugt — und ich bin es jetzt mehr denn zuvor! —, auf lange Sicht für die Menschheit zu arbeiten.

Christus steht in der Tat nicht nur im Zentrum der Kirchengeschichte, sondern auch der Menschheitsgeschichte. In ihm wird alles eins (vgl. Eph 1,10; Kol 1,15-20). Wie können wir nicht an den Aufbruch denken, mit dem das Zweite Vatikanische Konzil bekannte, indem es Papst Paul VI. zitierte, dass Christus ,,das Ziel der menschlichen Geschichte [ist], der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und der Kultur konvergieren, der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte”. <ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 45.</ref> Die Lehre des Konzils trug zu einer neuen Vertiefung des Wissens um die Natur der Kirche bei, indem es die Herzen der Glaubenden für ein besseres Verstehen der Glaubensgeheimnisse und eben auch der irdischen Wirklichkeit im Lichte Christi öffnete. In Ihm, dem fleischgewordenen Wort, klärt sich nämlich nicht nur das Geheimnis Gottes auf, sondern das Geheimnis des Menschen selbst. <ref>Vgl. ebd., 22.</ref> In Ihm findet der Mensch Erlösung und Vollendung.

7 In der Enzyklika Redemptor hominis zu Beginn meines Pontifikats habe ich ausführlich diese Thematik behandelt, die ich dann bei verschiedenen anderen Anlässen wieder aufgegriffen habe. Das Jubiläum war der günstige Augenblick, die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf diese grundlegende Wahrheit zu lenken. Die Vorbereitung des großen Ereignisses war ganz trinitarisch und christozentrisch. Bei diesem thematischen Ansatz konnte die Eucharistie gewiss nicht ausgelassen werden. Wenn wir uns heute auf den Weg machen, ein Jahr der Eucharistie zu feiern, erinnere ich gern an das, was ich schon in Tertio millenio adveniente geschrieben habe: ,,Das Jahr 2000 soll ein intensiv eucharistisches Jahr sein: Im Sakrament der Eucharistie bietet sich der Erlöser, der vor zweitausend Jahren im Schoß Mariens Mensch geworden ist, weiterhin der Menschheit als Quelle göttlichen Lebens dar“. <ref>Nr. 55: AAS 87 (1995), 38.</ref> Der Internationale Eucharistische Kongress in Rom verlieh diesem Merkmal des Großen Jubiläums konkreten Ausdruck. Es lohnt sich auch, daran zu erinnern, dass ich mitten in der Vorbereitung auf das Jubiläum im Apostolischen Schreiben Dies Domini das Thema des ,,Sonntags” als Tag des auferstandenen Herrn und als besonderer Tag der Kirche den Glaubenden zur Betrachtung vorgeschlagen habe. Damals lud ich alle ein, die Feier der Eucharistie als das Herz des Sonntags wiederzuentdecken. <ref>Vgl. Nrn. 32-34: AAS 90 (1998), 732-734.</ref>

Mit Maria das Antlitz Christi betrachten

8 Das Erbe des Großen Jubiläums findet sich in gewisser Weise im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte zusammengestellt. In diesem programmatischen Dokument empfahl ich eine Perspektive des pastoralen Einsatzes, der auf der Betrachtung des Antlitzes Christi gründet, innerhalb einer kirchlichen Pädagogik, die fähig ist, nach dem ,,hohen Maßstab” der Heiligkeit zu streben, besonders durch die Kunst des Gebets.<ref>Vgl. Nrn. 30-32: AAS 93 (2001), 287-289.</ref> Und wie konnte in dieser Perspektive der liturgische Einsatz und in besonderer Weise die Aufmerksamkeit gegenüber dem eucharistischen Leben fehlen? Damals schrieb ich: ,,Im 20. Jahrhundert, besonders seit dem Konzil, ist die christliche Gemeinde in der Feier der Sakramente, vor allem der Eucharistie, gewachsen. Man muss diese Richtung weiterverfolgen durch besondere Hervorhebung der sonntäglichen Eucharistiefeier und des Sonntags selbst, der als besonderer Tag des Glaubens, als Tag des auferstandenen Herrn und des Geschenkes des Geistes, als wöchentliches Ostern wahrgenommen wird”.<ref>Ebd., 35: a.a.O., 290-291.</ref> Im Zusammenhang mit der Erziehung zum Gebet forderte ich dann dazu auf, das Stundengebet zu pflegen, durch das die Kirche die verschiedenen Stunden des Tages und den Rhythmus der Zeit in der dem liturgischen Jahr eigenen Gliederung heiligt.

9 Später, mit der Ausrufung des Jahres des Rosenkranzes und der Veröffentlichung des Apostolischen Schreibens Rosarium Virginis Mariæ, habe ich das Thema der Betrachtung des Antlitzes Christi von der marianischen Perspektive her durch das neuerliche Angebot des Rosenkranzes wieder aufgegriffen. Dieses traditionelle Gebet, vom Lehramt sehr empfohlen und dem Gottesvolk sehr teuer, hat in der Tat eine ausgesprochen biblische und evangeliumsentsprechende Gestalt, die vorwiegend auf den Namen und das Antlitz Jesu hin ausgerichtet ist in der Betrachtung der Geheimnisse und im Wiederholen des Ave Maria. Sein Fortgang in der Wiederholung stellt eine Art Pädagogik der Liebe dar, die dazu dient, den Geist der Liebe selbst zu entfachen, die Maria ihrem Sohn gegenüber hegte. Als weitere Reifung eines jahrhundertealten Weges wollte ich daher, dass diese bevorzugte Form der Betrachtung in ihren Grundzügen als ,,Kompendium des Evangeliums” durch die Eingliederung der lichtreichen Geheimnisse ergänzt wird.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben Rosarium virginis mariae (16. Oktober 2002), 19.21: AAS 95 (2003), 18-20.</ref> Und wie hätte man nicht die lichtreichen Geheimnisse des Rosenkranzes in der Betrachtung der heiligen Eucharistie gipfeln lassen sollen?

Vom Jahr des Rosenkranzes zum Jahr der Eucharistie

10 Mitten im Jahr des Rosenkranzes veröffentlichte ich die Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, mit der ich das Geheimnis der Eucharistie in seiner untrennbaren und lebenswichtigen Beziehung zur Kirche veranschaulichen wollte. Ich ermahnte alle, das eucharistische Opfer mit dem ihm gebührenden Einsatz zu feiern, während Jesus, gegenwärtig in der Eucharistie, auch außerhalb der Messe ein Kult der Anbetung erwiesen wird, der dem so großen Geheimnis würdig ist. Vor allem warf ich wieder die Forderung nach einer eucharistischen Spiritualität auf, indem ich Maria, die ,,eucharistische Frau”,<ref>Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 53: AAS 95 (2003), 469.</ref> zum Vorbild gab.

Das Jahr der Eucharistie erscheint also vor einem Hintergrund, der von Jahr zu Jahr Bereicherung erfahren hat, wobei er jedoch thematisch immer gut auf Christus und die Betrachtung seines Antlitzes bezogen blieb. In einem gewissen Sinn bietet sich das Eucharistische Jahr als eine Synthese an, als eine Art Höhepunkt des beschrittenen Weges. Vieles könnte gesagt werden, um dieses Jahr gut zu begehen. Ich beschränke mich darauf, einige Perspektiven aufzuzeigen, die allen helfen können, in erleuchteten und fruchtbaren Handlungsweisen zusammenzuwirken.

II. DIE EUCHARISTIE ALS GEHEIMNIS DES LICHTES

„Er legte ihnen dar, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht” (Lk 24,27)

11 Die Erzählung von der Erscheinung des auferstandenen Jesus vor den zwei Jüngern von Emmaus hilft uns, einen ersten Aspekt des eucharistischen Geheimnisses zu beleuchten, der immer in der Frömmigkeit des Volkes Gottes vorhanden sein muss: die Eucharistie als Geheimnis des Lichtes! Wie kann man dies sagen und welche Folgen ergeben sich daraus für die Spiritualität und das christliche Leben?

Jesus hat sich selbst als ,,Licht der Welt” (Joh8,12) bezeichnet. Diese Eigenschaft kommt in jenen Augenblicken seines Lebens, in denen seine göttliche Herrlichkeit klar erstrahlt, wie Verklärung und Auferstehung, gut zum Vorschein. In der Eucharistie hingegen ist die Glorie Christi verhüllt. Das Sakrament der Eucharistie ist ,,mysterium fidei” schlechthin! Dennoch wird Christus gerade durch das Geheimnis seines völligen Verborgenseins zum Geheimnis des Lichtes, dank dessen der Glaubende in die Tiefe des göttlichen Lebens eingeführt wird. Nicht ohne glückliche Eingebung stellt die Ikone der Dreifaltigkeit von Rublëv vielsagend die Eucharistie in die Mitte des dreifaltigen Lebens.

12 Die Eucharistie ist vor allem deshalb Licht, weil in jeder Messe der Wortgottesdienst der Eucharistiefeier in der Einheit der beiden ,,Tische” des Wortes und des Brotes vorausgeht. Diese Kontinuität tritt in der eucharistischen Rede des Johannesevangeliums zu Tage, in der die Verkündigung Jesu von der grundlegenden Darlegung seines Geheimnisses zur Veranschaulichung der eigentlich eucharistischen Dimension voranschreitet: ,,Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank” (Joh 6,55). Wir wissen, dass dieses Wort einen Großteil der Zuhörer in eine Krise stürzte und Petrus veranlasste, sich zum Sprecher des Glaubens der anderen Apostel und der Kirche aller Zeiten zu machen: ,,Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens” (Joh6,68). In der Erzählung der Emmausjünger greift Jesus selbst ein, um zu zeigen, ,,ausgehend von Mose und allen Propheten”, wie die ,,gesamte Schrift” zum Geheimnis seiner Person hinführt (vgl. Lk 24,27). Seine Worte bringen die Herzen der Jünger zum ,,Brennen”, sie entziehen sie dem Dunkel der Traurigkeit und der Verzweiflung und wecken in ihnen den Wunsch, bei ihm zu bleiben: ,,Bleibe bei uns, Herr” (vgl. Lk 24,29).

13 In der Konstitution Sacrosanctum Concilium verlangten die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass der ,,Tisch des Wortes” den Gläubigen die Schätze der Schrift reich erschließt.<ref>Vgl. Nr. 51.</ref> Daher haben sie erlaubt, dass in der Feier der Liturgie insbesondere die biblischen Lesungen in der allen verständlichen Sprache vorgetragen werden. Christus selbst spricht, wenn in der Kirche die Heilige Schrift gelesen wird.<ref>Vgl. ebd., 7.</ref> Zugleich haben die Konzilsväter dem Zelebranten die Homilie als Teil der Liturgie selbst empfohlen: Sie soll dazu dienen, das Wort Gottes zu veranschaulichen und es auf das christliche Leben hin zu aktualisieren.<ref>Vgl. ebd., 52.</ref> Vierzig Jahre nach dem Konzil kann das Jahr der Eucharistie ein wichtiger Anlass dafür werden, in den christlichen Gemeinden diesen Aspekt zu überprüfen. Denn es reicht nicht aus, dass die Abschnitte aus der Bibel in verständlicher Sprache vorgetragen werden, wenn die Verkündigung nicht mit jener Sorgfalt und vorausgehenden Vorbereitung, jenem ergebenen Hinhören und besinnlichen Schweigen einhergeht, die nötig sind, damit das Wort Gottes das Leben berührt und es erhellt.

„Sie erkannten ihn, als er das Brot brach” (vgl. Lk 24,35)

14 Es ist von Bedeutung, dass die beiden Emmausjünger, die durch die Worte des Herrn entsprechend vorbereitet worden waren, ihn bei Tisch an der einfachen Geste des ,,Brotbrechens” erkannten. Wenn einmal der Verstand erleuchtet und das Herz erwärmt ist, dann ,,sprechen” die Zeichen. Die Eucharistie vollzieht sich ganz im dynamischen Kontext von Zeichen, die eine dichte und helle Botschaft in sich tragen. Durch die Zeichen öffnet sich in gewisser Weise das Geheimnis dem Auge des Glaubenden.

Wie ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia betont habe, ist es wichtig, dass kein Aspekt dieses Sakraments vernachlässigt wird. In der Tat steht der Mensch immer in der Versuchung, die Eucharistie auf eigene Gesichtspunkte zu reduzieren; hingegen ist er es, der sich in Wirklichkeit den Dimensionen des Mysteriums öffnen muss. ,,Die Eucharistie ist ein zu großes Gut, um Zweideutigkeiten und Verkürzungen zu dulden”.<ref>Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 10: AAS 95 (2003), 439.</ref>

15 Es besteht kein Zweifel, dass unter den verschiedenen Aspekten der Eucharistie jener des Gastmahles am meisten ins Auge fällt. Die Eucharistie entstand im Kontext des Paschamahles am Abend des Gründonnerstages. Daher ist ihrer Struktur die Bedeutung der Tischgemeinschaft eingeschrieben: ,,Nehmt und esst ... Dann nahm er den Kelch ... und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trinkt alle daraus” (Mt 26,26.27). Dieser Aspekt drückt die Gemeinschaftsbeziehung gut aus, die Gott mit uns aufnehmen will und die wir selbst untereinander entfalten müssen.

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass das eucharistische Mahl auch und zuerst einen tiefen Opfercharakter besitzt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 10: AAS 95 (2003), 439; Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion Redemptionis sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind (25. März 2004), 38: L'Osservatore Romano, 24. April 2004, Suppl., S. 3.</ref> Christus legt uns darin das Opfer wieder vor, das er ein für allemal auf Golgota dargebracht hat. Wenn er darin auch als Auferstandener gegenwärtig ist, so trägt er doch die Zeichen seines Leidens, zu dessen ,,Gedächtnis” jede heilige Messe gefeiert wird. Daran erinnert uns die Liturgie in der Akklamation nach der Wandlung: ,,Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir ...”. Während die Eucharistie das Vergangene vergegenwärtigt, versetzt sie uns zugleich in die Zukunft der letzten Wiederkunft Christi am Ende der Geschichte. Dieser "eschatologische” Aspekt verleiht dem eucharistischen Sakrament eine mitreißende Dynamik, die den christlichen Weg mit dem Schritt der Hoffnung ausstattet.

„Ich bin bei euch alle Tage ...” (Mt 28,20)

16 Diese Dimensionen der Eucharistie verdichten sich in einem Aspekt, der mehr als alle anderen unseren Glauben auf die Probe stellt: das Geheimnis der ,,Realpräsenz”. Mit der Gesamttradition der Kirche glauben wir, dass unter den eucharistischen Gestalten Jesus wirklich gegenwärtig ist. Es handelt sich um eine Gegenwart — wie Papst Paul VI. vortrefflich erklärte —, die ,,wirklich” genannt wird nicht im ausschließlichen Sinn, als ob die anderen Formen der Gegenwart nicht wirklich wären, sondern hervorhebend, denn kraft der Realpräsenz wird der ganze und vollständige Christus in der Wirklichkeit seines Leibes und seines Blutes substanziell gegenwärtig.<ref>Vgl. Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), 764; Heilige Ritenkongregation, Instruktion Eucharisticum mysterium über den Kult des eucharistischen Mysteriums, 9: AAS 59 (1967), 547.</ref> Deswegen verlangt der Glaube von uns, vor der Eucharistie zu stehen im Bewusstsein, vor Christus selbst zu stehen. Gerade seine Gegenwart verleiht den übrigen Dimensionen — des Gastmahls, des Pascha-Gedächtnisses, der eschatologischen Vorausnahme — eine Bedeutung, die weit über einen reinen Symbolismus hinausgeht. Die Eucharistie ist das Geheimnis der Gegenwart, durch das sich die Verheißung Christi, immer bei uns zu sein bis ans Ende der Welt, auf höchste Weise verwirklicht.

Feiern, anbeten, betrachten

17 Die Eucharistie — ein großes Geheimnis! Es ist ein Geheimnis, das vor allem gut gefeiert werden muss. Die heilige Messe muss in die Mitte des christlichen Lebens gestellt werden. Jede Gemeinde soll alles tun, um sie gemäß den Vorschriften würdevoll zu feiern, unter Teilnahme des Volkes, wobei von den verschiedenen Diensten in der Ausübung der für sie vorgesehenen Aufgaben Gebrauch gemacht wird. Dazu gehört eine ernste Aufmerksamkeit gegenüber dem Aspekt der Sakralität, die den Gesang und die liturgische Musik kennzeichnen muss. Eine konkrete Aufgabe dieses Jahrs der Eucharistie könnte in jeder Pfarrgemeinde das gründliche Studium der Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch sein. Der bevorzugte Weg, um in das Geheimnis der unter den heiligen ,,Zeichen” verwirklichten Erlösung eingeführt zu werden, besteht darin, den Ablauf des liturgischen Jahres treu mitzuverfolgen. Die Hirten sollen sich für die den Kirchenvätern so kostbare "mystagogische” Katechese einsetzen. Sie trägt dazu bei, die Bedeutung der Handlungen und Worte der Liturgie zu entdecken, indem sie den Gläubigen hilft, von den Zeichen zum Geheimnis zu gelangen und in dieses ihr ganzes Dasein mit hineinzunehmen.

18 Insbesondere ist es notwendig, sowohl in der Feier der Messe als auch im eucharistischen Kult außerhalb der Messe das lebendige Bewusstsein der realen Gegenwart Christi zu pflegen, indem Sorgfalt darauf verwendet wird, diese Gegenwart mit dem Ton der Stimme, den Gesten, den Bewegungen, mit der Gesamtheit des Verhaltens zu bezeugen. In diesem Zusammenhang erinnern die Vorschriften — und ich selbst hatte kürzlich die Gelegenheit, dies zu bekräftigen<ref>Vgl. Botschaft Spiritus et Sponsa zum 40. Jahrestag der Konstitution Sacrosanctum concilium über die heilige Liturgie (4.Dezember 2003), 13: AAS 96 (2004), 425.</ref> — an die Bedeutung, die den Momenten der Stille sowohl bei der Feier der Eucharistie als auch bei der eucharistischen Anbetung gegeben werden muss. Mit einem Wort, es ist notwendig, dass die Art und Weise des Umgangs mit der Eucharistie seitens der in der Liturgie Mitwirkenden und der Gläubigen von tiefem Respekt geprägt sind.<ref>Vgl. Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion Redemptionis sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind (25. März 2004): L'Osservatore Romano, 24. April 2004, Suppl.</ref> Die Gegenwart Jesu im Tabernakel muss ein Anziehungspunkt für eine immer größere Anzahl von Seelen sein, die von Liebe zu ihm erfüllt sind und fähig sind, lange da zu bleiben, um seine Stimme zu hören und gleichsam seinen Herzschlag zu spüren. ,,Kostet und seht, wie gütig der Herr ist” (Ps 34,9). Die eucharistische Anbetung außerhalb der heiligen Messe soll während dieses Jahres zu einer besonderen Aufgabe für die einzelnen Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften werden. Verweilen wir lange auf den Knien vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn, indem wir mit unserem Glauben und unserer Liebe die Nachlässigkeit, die Vergessenheit und sogar die Beleidigungen wiedergutmachen, die unser Erlöser in vielen Teilen der Welt erleiden muss. Vertiefen wir in der eucharistischen Anbetung unsere persönliche und gemeinschaftliche Betrachtung, indem wir uns auch der Gebetshilfen bedienen, die vom Wort Gottes und von der Erfahrung vieler alter und neuer Mystiker durchdrungen sind. Selbst der Rosenkranz — verstanden in seiner tiefen biblischen und christozentrischen Bedeutung, die ich im Apostolischen Schreiben Rosarium Virginis Mariæ ans Herz gelegt habe — kann ein Weg sein, der für die eucharistische Betrachtung besonders geeignet ist, wird sie doch in Gemeinschaft mit Maria und in der Schule Mariens vollzogen.<ref>Vgl. ebd., 137: a.a.O., S. 7.</ref>

Das Hochfest Fronleichnam mit seiner traditionellen Prozession soll in diesem Jahr mit besonderer Inbrunst begangen werden. Der Glaube an Gott, der in seiner Menschwerdung zum Gefährten auf unserer Reise wurde, soll überall verkündet werden, besonders auf unseren Straßen und in unseren Häusern als Ausdruck unserer dankbaren Liebe und als Quelle unerschöpflichen Segens.

III. DIE EUCHARISTIE ALS QUELLE UND EPIPHANIE DER GEMEINSCHAFT

„Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch” (Joh 15,4)

19 Auf die Bitte der Jünger von Emmaus, ,,bei” ihnen zu bleiben, antwortet Jesus mit einem viel größeren Geschenk: Durch das Sakrament der Eucharistie fand er Gelegenheit, ,,in” ihnen zu bleiben. Die Eucharistie empfangen bedeutet in tiefe Gemeinschaft mit Jesus eintreten. ,,Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch” (Joh 15, 4). Diese Beziehung eines zuinnersten, wechselseitigen ,,Verbleibens”, erlaubt uns in gewisser Weise, den Himmel auf der Erde vorwegzunehmen. Ist dies nicht das größte Verlangen des Menschen? Ist es nicht das, was Gott sich vorgenommen hat in der Verwirklichung seines Heilsplans in der Geschichte? Er hat in das Herz des Menschen den ,,Hunger” nach seinem Wort gelegt (vgl. Am 8,11), einen Hunger, der nur in der vollen Einheit mit ihm gestillt werden wird. Die eucharistische Gemeinschaft ist uns geschenkt, um uns auf dieser Erde an Gott zu ,,sättigen” in Erwartung der vollen Befriedigung im Himmel.

Ein Brot, ein Leib

20 Diese besondere Vertrautheit aber, die sich in der eucharistischen ,,Gemeinschaft” mit dem Herrn vollzieht, kann außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft weder richtig verstanden noch voll gelebt werden. Dies alles habe ich in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia mehrfach hervorgehoben. Die Kirche ist der Leib Christi: Man ist in dem Maß ,,mit Christus” auf dem Weg, in dem man in Beziehung ,,zu seinem Leib” steht. Um diese Einheit zu bilden und zu fördern, trägt Christus mit der Ausgießung des Heiligen Geistes Sorge. Und er selbst hört nicht auf, diese Einheit durch seine eucharistische Gegenwart zu nähren. Es ist wirklich das eine eucharistische Brot, das uns zu dem einen Leib vereint. Dies bekräftigt schon der Apostel Paulus: ,,Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot” (1 Kor 10,17). Im eucharistischen Geheimnis baut Christus die Kirche als Gemeinschaft auf gemäß dem höchsten, im hohepriesterlichen Gebet beschworenen Vorbild: ,,Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast” (Joh 17,21).

21 Wenn die Eucharistie die Quelle der kirchlichen Einheit ist, dann ist sie auch deren höchster Ausdruck. Die Eucharistie ist die Epiphanie der Gemeinschaft. Deswegen stellt die Kirche Bedingungen für die vollgültige Teilnahme an der Feier der Eucharistie.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 44: AAS 95 (2003), 462; Codex des kanonischen Rechtes, can. 908; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 702; Päpstlicher Rat für die Förderung der Einheit der Christen, Directorium Œcumenicorum (25. März 1993), 122-125.129-131: AAS 85 (1993), 1086-1089; Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Ad exsequendam (18. Mai 2001): AAS 93 (2001), 786.</ref> Die verschiedenen Einschränkungen sind dazu da, damit wir uns immer mehr bewusst werden, welche Erfordernisse die Gemeinschaft verlangt, die Jesus von uns erbittet. Diese ist eine hierarchische Gemeinschaft, die auf dem Bewusstsein der verschiedenen Aufgaben und Dienste beruht und auch im eucharistischen Hochgebet durch die Erwähnung des Papstes und des Diözesanbischofs ständig bekräftigt wird. Sie ist eine brüderliche Gemeinschaft, die mit einer ,,Spiritualität der Gemeinschaft” gepflegt werden will, welche uns zu einer Gesinnung von gegenseitiger Öffnung, Zuneigung, Verständnis und Vergebung bewegt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte (6. Januar 2004), 43: AAS 93 (2001), 297.</ref>

„Ein Herz und eine Seele” (Apg 4,32)

22 Bei jeder heiligen Messe sind wir aufgerufen, uns am Ideal der Gemeinschaft messen zu lassen, das das Buch der Apostelgeschichte als Vorbild für die Kirche aller Zeiten umreißt. Es ist die um die Apostel gesammelte Kirche, die vom Wort Gottes zusammengerufen ist und fähig ist zu einem Teilen, das nicht nur die geistlichen, sondern auch die materiellen Güter selbst betrifft (Apg 2,42-47; 4,32-35). In diesem Jahr der Eucharistie lädt uns der Herr ein, uns so weit als möglich diesem Ideal anzunähern. Mit besonderem Einsatz sollen die Momente begangen werden, die schon von der Liturgie des ,,Stationsgottesdienstes” vorgeschlagen werden, bei dem der Bischof in der Kathedrale mit seinen Priestern und Diakonen zelebriert, unter Teilnahme des Volkes Gottes in all seinen Gliedern. Hier hauptsächlich ,,manifestiert” sich die Kirche.<ref>Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 41.</ref> Es ist aber lobenswert, andere bedeutungsreiche Gelegenheiten festzulegen, auch auf Pfarrebene, damit der Gemeinschaftssinn wächst, der aus der Eucharistiefeier neue Inbrunst bezieht.

Der Tag des Herrn

23 Es ist mein besonderer Wunsch, dass in diesem Jahr ein spezieller Einsatz unternommen werde, um den Sonntag als Tag des Herrn und Tag der Kirche neu zu entdecken und voll zu begehen. Glücklich wäre ich, wenn man neu darüber nachdächte, was ich bereits im Apostolischen Schreiben Dies Domini ausgeführt habe. ,,In der Tat erleben die Christen in der Sonntagsmesse auf besonders intensive Weise wieder die Erfahrung, die von den versammelten Aposteln am Abend des ersten Tages der Woche gemacht wurde, als sich ihnen der Auferstandene zeigte (vgl. Joh 20,19). In jener kleinen Kerngruppe von Jüngern, in der Frühzeit der Kirche, war in gewisser Weise das Gottesvolk aller Zeiten gegenwärtig”.<ref>Nr. 33: AAS 90 (1998), 733.</ref> Während dieses Gnadenjahres mögen die Priester in ihrem seelsorglichen Einsatz eine noch größere Aufmerksamkeit der Sonntagsmesse als jener Feier schenken, bei der sich die Pfarrgemeinde gesammelt wiederfindet. Sie sieht dabei gewöhnlich auch die verschiedenen Gruppen, Bewegungen und Vereinigungen teilnehmen, die es in ihr gibt.

IV. DIE EUCHARISTIE ALS PRINZIP UND PLAN DER ,,MISSION”

„Noch in derselben Stunde brachen sie auf” (Lk 24,33)

24 Nachdem die beiden Emmausjünger den Herrn erkannt hatten, brachen sie noch in derselben Stunde auf (vgl. Lk 24,33), um über das Gesehene und Gehörte zu berichten. Wer eine wahre Erfahrung des Auferstandenen gemacht hat und sich durch seinen Leib und sein Blut nährt, kann die erlebte Freude nicht für sich behalten. Die Begegnung mit Christus, die in der Vertrautheit mit der Eucharistie stetig vertieft wird, erweckt in der Kirche und in jedem Christen den Drang zum Zeugnisgeben und zur Evangelisierung. Dies habe ich in der Predigt hervorgehoben, mit der ich das Jahr der Eucharistie ankündigte. Ich zitierte die Worte des heiligen Paulus: ,,Sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt” (1 Kor 11,26). Der Apostel setzt das Mahl und die Verkündigung in eine enge Beziehung zueinander: In Gemeinschaft mit Christus im Ostergedächtnis zu treten heißt zugleich, die Verpflichtung zu spüren, Boten und Verkünder des Ereignisses zu werden, das durch diesen Ritus vergegenwärtigt wird.<ref>Vgl. Homilie zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi (10. Juni 2004), 1: L'Osservatore Romano, 11.-12. Juni 2004, S. 6.</ref> Die Entlassung am Schluss jeder Messe stellt einen Auftrag dar, welcher den Christen zum Einsatz für die Verbreitung des Evangeliums und die christliche Beseelung der Gesellschaft drängt.

25 Für diese Sendung gibt die Eucharistie nicht nur die innere Kraft, sondern liefert auch — in gewissem Sinne — den Plan. Die Eucharistie ist wirklich eine Seinsweise, die von Jesus auf jeden Christen übergeht und durch sein bzw. ihr Zeugnis in die Gesellschaft und in die Kultur ausstrahlen möchte. Damit das geschieht, ist es nötig, dass jeder Gläubige in der persönlichen wie der gemeinschaftlichen Betrachtung die Werte in sich aufnimmt, welche die Eucharistie ausdrückt, die Geisteshaltung, die sie anregt, und die Lebensvorsätze, die sie auslöst. Ist hierin nicht auch der besondere Auftrag zu sehen, der aus dem Jahr der Eucharistie entspringen könnte?

Dank sagen

26 Ein grundsätzliches Element dieses Plans ergibt sich aus der Bedeutung des Wortes ,,Eucharistie” selbst: Danksagung. In Jesus, in seiner Hingabe, in seinem bedingungslosen ,,Ja” zum Willen des Vaters fußt das ,,Ja”, das ,,Danke”, das ,,Amen” der ganzen Menschheit. Die Kirche ist aufgerufen, die Menschen an diese große Wahrheit zu erinnern. Es ist dringend erforderlich, dies vor allem in unserer säkularisierten Welt zu tun, die in Gottvergessenheit lebt und eine eitle Selbstgenügsamkeit des Menschen pflegt. Dem eucharistischen Plan im Alltag, dort, wo wir arbeiten und leben — in der Familie, in der Schule, in der Fabrik wie in den verschiedensten Lebensbedigungen —, eine Gestalt zu geben, heißt unter anderem zu bezeugen, dass sich die menschliche Wirklichkeit nicht ohne Bezug zum Schöpfer begründen lässt: ,,Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts”.<ref>Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 36.</ref> Der übernatürliche Bezug, der uns zu einem ewigen ,,Danke” für alles, was wir haben und sind, —also zu einer eucharistischen Haltung — verpflichtet, beeinträchtigt nicht die legitime Autonomie der irdischen Wirklichkeiten,<ref>Vgl. ebd.</ref> sondern begründet sie in einer viel wahreren Weise, indem sie sie zugleich in ihren rechten Grenzen einordnet.

In diesem Jahr der Eucharistie setze man sich von Seiten der Christen dafür ein, mit größerer Kraft die Gegenwart Gottes in der Welt zu bezeugen. Wir sollen keine Furcht haben, von Gott zu reden und die Zeichen des Glaubens auf hoher Stirn zu tragen. Die ,,Kultur der Eucharistie” fördert eine Kultur des Dialogs, die in ihr Kraft und Nahrung findet. Hier irren diejenigen, die meinen, dass der öffentliche Verweis auf den Glauben ein Angriff auf die rechte Autonomie des Staates und der öffentlichen Einrichtungen sei oder dass dieser sogar zu einer Haltung der Intoleranz ermutigen könne. Wenn es auch in der Vergangenheit unter den Gläubigen nicht an Fehlern in diesem Bereich gemangelt hat —wie ich anlässlich des Jubiläums bekannt habe —, so kann man dies nicht den ,,christlichen Wurzeln” anlasten, sondern der Inkohärenz der Christen gegenüber ihren eigenen Wurzeln. Wer auf Art des gekreuzigten Christus ,,Danke” sagen lernt, kann ein Märtyrer werden, aber nie ein Peiniger.

Der Weg der Solidarität

27 Die Eucharistie ist nicht nur ein Ausdruck der Lebensgemeinschaft der Kirche, sondern auch ein Projekt der Solidarität für die gesamte Menschheit. Die Kirche erneuert beständig in der Feier der Eucharistie ihr Bewusstsein, ,,Zeichen und Werkzeug” nicht nur der inneren Gemeinschaft mit Gott, sondern auch der Einheit des ganzen Menschengeschlechtes zu sein.<ref>Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> Jede Messe, auch wenn sie im Verborgenen und in einer abgelegenen Region der Erde gefeiert wird, trägt immer das Zeichen der Universalität. Der an der Eucharistie teilnehmende Christ lernt daraus, sich zum Förderer von Gemeinschaft, Frieden und Solidarität zu machen, und zwar in allen Lebensumständen. Das zerrissene Bild unserer Welt, die das neue Jahrtausend mit einem Spektrum von Terrorismus und Kriegstragödien begonnen hat, ruft die Christen mehr denn je dazu auf, die Eucharistie wie eine große Schule der Liebe zu leben, in der sich Männer und Frauen bilden, die auf verschiedenen Verantwortungsebenen im sozialen, kulturellen und politischen Leben Strukturen des Dialogs und der Gemeinschaft weben.

Im Dienst an den Geringsten

28 Es gibt noch einen Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, weil sich an ihm in beträchtlichem Maße die Echtheit der Teilnahme an der Eucharistie erweist, die in der Gemeinde gefeiert wird: es ist der Anstoß, den die Gemeinde aus ihr im Hinblick auf einen tatkräftigen Einsatz für die Errichtung einer gerechteren und brüderlichen Welt bezieht. In der Eucharistie hat unser Gott seine Liebe bis aufs äußerste gezeigt, indem er alle Kriterien der Herrschaft, die zu oft die menschlichen Beziehungen bestimmen, umkehrt und in radikaler Weise das Kriterium des Dienstes formuliert: ,,Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein” (Mk 9,35). Nicht von ungefähr finden wir im Johannesevangelium den Einsetzungsbericht der Eucharistie nicht, wohl aber den der ,,Fußwaschung” (vgl. Joh 13,1-20): Indem er sich herabbeugt, um die Füße seiner Jünger zu waschen, erklärt Jesus in unmissverständlicher Weise den Sinn der Eucharistie. Der heilige Paulus betont mit Nachdruck, dass eine Feier der Eucharistie nicht zulässig ist, wenn in ihr nicht die im konkreten Teilen mit den Ärmsten bezeugte Nächstenliebe aufleuchtet (vgl. 1 Kor 11,17-22.27-34).

Warum sollte in diesem Jahr der Eucharistie nicht ein Zeitraum geschaffen werden, in dem die Diözesen und Pfarrgemeinden sich in besonderer Weise dafür einsetzen, dass jeder der vielen Armutserscheinungen in unserer Welt mit brüderlicher Anstrengung begegnet wird? Ich denke an das Drama des Hungers, der hundertmillionen Menschen quält, ich denke an die Krankheiten, welche die Entwicklungsländer geißeln, ich denke an die Einsamkeit vieler älterer Mitmenschen, an die Beschwernisse der Arbeitslosen und an die Widrigkeiten, mit denen die Immigranten konfrontiert sind. Diese Übel kennzeichnen — wenn auch in unterschiedlichem Maße — selbst die reichen Länder. Wir können uns nicht täuschen: an der gegenseitigen Liebe und insbesondere an der Sorge für die Bedürftigen erkennt man uns als wahre Jünger Christi (vgl. Joh 13,35; Mt 25,31-46). Dies ist das Kriterium, auf Grund dessen die Echtheit unserer Eucharistiefeiern überprüft wird.  

SCHLUSS

29 O Sacrum Convivium, in quo Christus sumitur! Das Jahr der Eucharistie erwächst aus dem Staunen, mit dem die Kirche diesem großen Geheimnis begegnet. Es ist ein Staunen, das nicht aufhört, meinen Geist zu erfüllen. Die Enzyklika Ecclesia de Eucharistia ist daraus entstanden. Ich empfinde es als eine große Gnade im beginnenden siebenundzwanzigsten Jahr meines Petrusamtes, dass ich nun die ganze Kirche dazu aufrufen kann, dieses unaussprechliche Sakrament in besonderer Weise zu betrachten, zu preisen und anzubeten. Das Jahr der Eucharistie sei für alle eine kostbare Gelegenheit für ein erneuertes Bewusstsein dieses unvergleichlichen Schatzes, den Christus seiner Kirche anvertraut hat. Es sei ein Ansporn für eine lebendigere und innigere Feier der Eucharistie, aus der ein von der Liebe durchdrungenes christliches Leben entspringen möge.

Viele Initiativen könnten in dieser Hinsicht nach dem Urteil der Hirten der Teilkirchen verwirklicht werden. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung wird es nicht versäumen, dazu nützliche Empfehlungen und Vorschläge zu machen. Ich erwarte nicht, dass man außergewöhnliche Dinge unternimmt. Alle Initiativen seien aber von einer tiefen Innerlichkeit geprägt. Wenn die Frucht dieses Jahres auch nur in der Verlebendigung der Feier der Sonntagsmesse und in der Förderung der eucharistischen Anbetung außerhalb der heiligen Messe in allen christlichen Gemeinschaften bestünde, hätte dieses Gnadenjahr ein bedeutsames Ergebnis erreicht. Es ist gut, nach hohen Zielen zu streben und sich nicht mit dem Mittelmaß zufriedenzugeben, da wir immer auf Gottes Hilfe zählen können.

30 Euch, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, vertraue ich dieses Jahr in der Gewissheit an, dass ihr meine Einladung mit eurem ganzen apostolischen Eifer annehmen werdet. Ihr Priester, die ihr täglich neu die Konsekrationsworte sprecht und Zeugen wie Künder des großen, sich in euren Händen vollziehenden Geheimnisses der Liebe seid, lasst euch ansprechen von der Gnade dieses besonderen Jahres, indem ihr jeden Tag die heilige Messe mit der Freude und der Inbrunst des ersten Mals feiert und gerne im Gebet vor dem Tabernakel verharrt.

Dies sei ein Gnadenjahr für euch Diakone, die ihr ganz nahe am Dienst des Wortes und am Dienst des Altars teilnehmt. Auch ihr Lektoren, Akolythen und außerordentliche Kommunionhelfer: Seid euch der Gabe bewusst, die euch mit den euch anvertrauten Aufgaben im Hinblick auf eine würdige Feier der Eucharistie gemacht wird. Besonders wende ich mich an euch, zukünftige Priester: Sucht im Seminarleben die Erfahrung zu machen, wie schön es ist, nicht nur täglich an der heiligen Messe teilzunehmen, sondern lange im Zwiegespräch mit dem eucharistischen Jesus zu verweilen. Ihr Ordensleute seid durch eure Weihe an Gott zu einer längeren und tieferen Betrachtung gerufen. Erinnert euch, dass Jesus im Tabernakel euch an seiner Seite erwartet, um in eure Herzen jene innere Erfahrung seiner Freundschaft einfließen zu lassen, die eurem Leben allein Sinn und Erfüllung geben kann.

Ihr Gläubigen alle, entdeckt das Geschenk der Eucharistie neu als Licht und Kraftquelle für euer tägliches Leben in der Welt, in der Ausübung der jeweiligen Berufe und im Kontakt mit den verschiedensten Situationen. Entdeckt dieses Geschenk wieder neu, um ganz und gar die Familie in ihrer Schönheit und Aufgabe zu leben.

Sehr viel erwarte ich schließlich von euch, liebe Jugendliche, während ich unsere Verabredung für den Weltjugendtag in Köln in Erinnerung rufe. Das Thema ,,Wir sind gekommen, um ihn anzubeten” (vgl. Mt 2,2) eignet sich in besonderer Weise dafür, um euch die rechte Haltung nahezubringen, wie wir dieses eucharistische Jahr leben können. Bringt zu diesem Treffen mit dem unter dem eucharistischen Schleier verborgenen Jesus die ganze Begeisterung eurer Jugend, eurer Hoffnung und eurer Liebesfähigkeit mit!

31 Vor unseren Augen sind die Beispiele der Heiligen, die in der Eucharistie die Nahrung für ihren Weg der Vollkommenheit gefunden haben. Wie oft haben sie Tränen der Ergriffenheit in der Erfahrung eines so großen Geheimnisses vergossen und welch unsagbare Stunden ,,hochzeitlicher” Freude haben sie vor dem Altarssakrament verbracht! Es helfe uns vor allem die heilige Jungfrau Maria, die mit ihrer ganzen Existenz die Logik der Eucharistie verkörpert hat. ,,Die Kirche, die auf Maria wie auf ihr Urbild blickt, ist berufen, sie auch in ihrer Beziehung zu diesem heiligsten Mysterium nachzuahmen”.<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 53: AAS 95 (2003), 469. </ref> Das eucharistische Brot, das wir empfangen, ist das makellose Fleisch des Sohnes: "Ave verum Corpus natum de Maria Virgine”. In diesem Gnadenjahr möge die Kirche mit der Hilfe Marias neuen Elan für ihre Mission erhalten und in der Eucharistie immer mehr die Quelle und den Höhepunkt ihres ganzen Lebens erkennen.

Allen erteile ich als Unterpfand der Gnade und der Freude meinen Segen.

Aus dem Vatikan, am 7. Oktober, dem Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz,

im Jahr 2004, dem sechsundzwanzigsten meines Pontifikats.

Johannes Paul II. PP.

Anmerkungen

<references />

Weblinks