Heinrich Seuse Denifle: Unterschied zwischen den Versionen

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''Heinrich Suso Denifle'' [[OP]] (Taufname: Josef Anton; 16.1.1844 bis 10.6.1905) war einer der bedeutendsten, gegen Ende seines Lebens aber auch umstrittensten Kirchen- und Theologiehistoriker seiner Zeit.  
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'''Heinrich Suso Denifle''' [[OP]] (Taufname: [[Josef]] [[Anton]]; *[[16. Januar]] [[1844]] in Imst/Tirol; † [[10. Juni]] [[1905]]) war einer der bedeutendsten, gegen Ende seines Lebens aber auch umstrittensten Kirchen- und Theologiehistoriker seiner Zeit.  
  
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==Biografie==
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[[Heinrich]] trat er bereits 1861 in Graz in den [[Dominikaner|Dominikanerorden]] ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 ist er als Ordenslektor und [[Professor]] für [[Philosophie]] in Graz tätig. Seit 1880 beteiligt er sich an der Ausgrabung der Werke des heiligen [[Thomas von Aquin]]. 1883 auf von Vorschlag [[Kardinal]] [[Joseph Hergenröthers]] dient er als Unterarchivar des [[Vatikanisches Geheimarchiv|Vatikanischen Geheimarchivs]].  Er ist sachkundiger Berater der [[Wissenschaft]]ler. Verdienste hat er im Bereich der Register-Forschung und Paläographie. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des [[Mittelalter]]s neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von [[Scholastik]] und [[Mystik]] als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der [[Mystik]] des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von [[Meister Eckhardt]] durch den [[Idealismus]] wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Dann wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinungen der Kirche im [[16. Jahrhundert]] zu [[Luther]] und der [[Reformation]].
  
Am 16.1.1844 in Imst/Tirol geboren, trat er bereits 1861 in Graz in den [[Dominikaner|Dominikanerorden]] ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 als Ordenslektor und Professor für Philosophie in Graz tätig, wurde er 1883 als Unterarchivar ins Vatikanische Archiv nach Rom berufen. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des [[Mittelalter]]s neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von [[Scholastik]] und [[Mystik]] als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der Mystik des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von [[Meister Eckhardt]] durch den [[Idealismus]] wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Denn wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinunge der Kirche im [[16. Jahrhundert]] zu [[Luther]] und der [[Reformation]].
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Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verurteilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner eigenen hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.  
 
 
Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verureilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.
 
 
 
Ungeachtet des Schattens, der durch seine maßlose Luther-Deutung auf sein wissenschaftliches Ouevre fiel, bleibt Denifle als ein leidenschaftlicher Forscher von unfaßlicher Arbeitskraft und sicherem Spürsinn zu würdigen, bei dem sich scharfes Urteil mit völliger persönlicher Anspruchslosigkeit paarten.
 
  
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Ungeachtet des Schattens, der durch seine maßlose Luther-Deutung auf sein wissenschaftliches Oeuvre fiel, bleibt Denifle als ein leidenschaftlicher Forscher von unfaßlicher Arbeitskraft und sicherem Spürsinn zu würdigen, bei dem sich ein scharfes Urteil mit völliger persönlicher Anspruchslosigkeit paarte.
  
 
== Zitate über Denifle ==
 
== Zitate über Denifle ==
''"Ausdrücklich möchte ich meinen Dank auch den katholische Kollegen abstatten, die zahlreiche Einzelfragen der mittelalterlichen Dogmengeschichte mit eindringendem Fleisse und methodischer Schärfe behandelt haben. Einige von ihnen haben auch ausdrücklich oder implicite jene Beurtheilung der Reformation im Vergleich mit dem Mittelalter abgelehnt, mit der Denifle sein wissenschaftliches Lebenswerk nicht gekrönt, sondern zerstört hat."''   
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''"Ausdrücklich möchte ich meinen Dank auch den katholischen Kollegen abstatten, die zahlreiche Einzelfragen der mittelalterlichen [[Dogmengeschichte]] mit eindringendem Fleiße und methodischer Schärfe behandelt haben. Einige von ihnen haben auch ausdrücklich oder implicite jene Beurteilung der [[Reformation]] im Vergleich mit dem Mittelalter abgelehnt, mit der Denifle sein wissenschaftliches Lebenswerk nicht gekrönt, sondern zerstört hat."''   
([[Adolf von Harnack]] im Vorwort zur 4. Auflage des dritten Bandes seiner "Dogmengeschichte", Tübingen 1910)  
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([[Adolf von Harnack]] im Vorwort zur 4. Auflage des dritten Bandes seiner "Dogmengeschichte", Tübingen 1910)
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([[Antonio Russo]] Franz Brentano - Heinrich Denifle, Roma, 2014)
  
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==Werke==
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* Hauptwerk: Die katholische Kirche und das Ziel der Menschen, Graz 1872, 1906 (2. Auflage)
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* ''Die deutschen Schriften des Seligen [[Heinrich Seuse]] aus dem [[Predigerorden]]''. Nach den ältesten Handschriften in jetziger Schriftsprache, herausgegeben von P. Fr. [[Heinrich Seuse Denifle]], aus demselben [[Orden]], zur sechsten Säkularfeier des seligen Hinscheidens [[Albert der Große|Albert des Großen]], [[Literarisches Institut von Dr. Max Huttler]] München 1880 (644 Seiten, in Frakturschrift). Das "Exemplar" - so nannte Seuse das Buch seiner Schriften:
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** → Erstes Buch: [[Heinrich Seuse: Autobiografie|Autobiografie]]
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** → Zweites Buch: [[Heinrich Seuse: Büchlein der Ewigen Weisheit|Büchlein der Weisheit]]
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** → Drittes Buch: [[Heinrich Seuse: Büchlein der Wahrheit|Büchlein der Wahrheit]]
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** → Viertes Buch: [[Heinrich Seuse: Briefbüchlein|Briefbüchlein]]
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* Horologium Sapientiae
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* Archiv für Literatur und Kirchengeschichte des Mittelalters (zusammen mit [[Franz Ehrle]]), 7 Bände, Freiburg 1885-1900
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* Das geistliche Leben, Graz 1873 u.ö. (Salzburg 1936)
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* Das Buch von geistlicher Armut, München 1877
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* Taulers Bekehrung, Straßburg 1879
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*  Die Universität des Mittelalters bis 1400, Band. 1, Berlin 1885, Nachdruck Graz 1953
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* Chartularium univ. Parisiensis, 4 Bde. Paris 1889-97
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* Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung, 2 Bände (in 3 und 2 Ergä.Bände), [[Kirchheim Verlag]] Mainz 1904-09, 1904 (2. Auflage).
  
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== Literatur ==
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* [[Martin Grabmann]]: ''P. [[Heinrich Denifle]] O.P. Eine Würdigung seiner Forschungsarbeit'', [[Kirchheim Verlag]] Mainz 1905 (62 Seiten).
  
== Weblink ==
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[[Kategorie:Priester Deutschland|Denifle, Heinrich]]
*[http://www.bautz.de/bbkl/d/denifle_f_h_s.shtml Heinrich Denifle im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon (BBKL)]
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[[Kategorie:Dogmatiker|Denifle, Heinrich]]
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[[Kategorie:Dominikaner|Denifle, Heinrich]]

Aktuelle Version vom 24. März 2022, 15:06 Uhr

Heinrich Suso Denifle OP (Taufname: Josef Anton; *16. Januar 1844 in Imst/Tirol; † 10. Juni 1905) war einer der bedeutendsten, gegen Ende seines Lebens aber auch umstrittensten Kirchen- und Theologiehistoriker seiner Zeit.

Biografie

Heinrich trat er bereits 1861 in Graz in den Dominikanerorden ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 ist er als Ordenslektor und Professor für Philosophie in Graz tätig. Seit 1880 beteiligt er sich an der Ausgrabung der Werke des heiligen Thomas von Aquin. 1883 auf von Vorschlag Kardinal Joseph Hergenröthers dient er als Unterarchivar des Vatikanischen Geheimarchivs. Er ist sachkundiger Berater der Wissenschaftler. Verdienste hat er im Bereich der Register-Forschung und Paläographie. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des Mittelalters neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von Scholastik und Mystik als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der Mystik des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von Meister Eckhardt durch den Idealismus wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Dann wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinungen der Kirche im 16. Jahrhundert zu Luther und der Reformation.

Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verurteilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner eigenen hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.

Ungeachtet des Schattens, der durch seine maßlose Luther-Deutung auf sein wissenschaftliches Oeuvre fiel, bleibt Denifle als ein leidenschaftlicher Forscher von unfaßlicher Arbeitskraft und sicherem Spürsinn zu würdigen, bei dem sich ein scharfes Urteil mit völliger persönlicher Anspruchslosigkeit paarte.

Zitate über Denifle

"Ausdrücklich möchte ich meinen Dank auch den katholischen Kollegen abstatten, die zahlreiche Einzelfragen der mittelalterlichen Dogmengeschichte mit eindringendem Fleiße und methodischer Schärfe behandelt haben. Einige von ihnen haben auch ausdrücklich oder implicite jene Beurteilung der Reformation im Vergleich mit dem Mittelalter abgelehnt, mit der Denifle sein wissenschaftliches Lebenswerk nicht gekrönt, sondern zerstört hat." (Adolf von Harnack im Vorwort zur 4. Auflage des dritten Bandes seiner "Dogmengeschichte", Tübingen 1910) (Antonio Russo Franz Brentano - Heinrich Denifle, Roma, 2014)

Werke

  • Hauptwerk: Die katholische Kirche und das Ziel der Menschen, Graz 1872, 1906 (2. Auflage)
  • Die deutschen Schriften des Seligen Heinrich Seuse aus dem Predigerorden. Nach den ältesten Handschriften in jetziger Schriftsprache, herausgegeben von P. Fr. Heinrich Seuse Denifle, aus demselben Orden, zur sechsten Säkularfeier des seligen Hinscheidens Albert des Großen, Literarisches Institut von Dr. Max Huttler München 1880 (644 Seiten, in Frakturschrift). Das "Exemplar" - so nannte Seuse das Buch seiner Schriften:
  • Horologium Sapientiae
  • Archiv für Literatur und Kirchengeschichte des Mittelalters (zusammen mit Franz Ehrle), 7 Bände, Freiburg 1885-1900
  • Das geistliche Leben, Graz 1873 u.ö. (Salzburg 1936)
  • Das Buch von geistlicher Armut, München 1877
  • Taulers Bekehrung, Straßburg 1879
  • Die Universität des Mittelalters bis 1400, Band. 1, Berlin 1885, Nachdruck Graz 1953
  • Chartularium univ. Parisiensis, 4 Bde. Paris 1889-97
  • Luther und Luthertum in der ersten Entwicklung, 2 Bände (in 3 und 2 Ergä.Bände), Kirchheim Verlag Mainz 1904-09, 1904 (2. Auflage).

Literatur