Heinrich Seuse Denifle: Unterschied zwischen den Versionen

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Am 16.1.1844 in Imst/Tirol geboren, trat er bereits 1861 in Graz in den [[Dominikaner|Dominikanerorden]] ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 als Ordenslektor und Professor für Philosophie in Graz tätig, wurde er 1883 als Unterarchivar ins Vatikanische Archiv nach Rom berufen. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des [[Mittelalter]]s neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von [[Scholastik]] und [[Mystik]] als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der Mystik des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von [[Meister Eckhardt]] durch den [[Idealismus]] wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Denn wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinunge der Kirche im [[16. Jahrhundert]] zu [[Luther]] und der [[Reformation]].  
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Am 16.1.1844 in Imst/Tirol geboren, trat er bereits 1861 in Graz in den [[Dominikaner|Dominikanerorden]] ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 als Ordenslektor und Professor für Philosophie in Graz tätig, wurde er 1883 als Unterarchivar ins Vatikanische Archiv nach Rom berufen. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des [[Mittelalter]]s neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von [[Scholastik]] und [[Mystik]] als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der Mystik des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von [[Meister Eckhardt]] durch den [[Idealismus]] wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Denn wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinungen der Kirche im [[16. Jahrhundert]] zu [[Luther]] und der [[Reformation]].  
  
 
Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verurteilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner eigenen hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.  
 
Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verurteilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner eigenen hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.  

Version vom 6. Juli 2009, 23:25 Uhr

Heinrich Suso Denifle OP (Taufname: Josef Anton; 16.1.1844 bis 10.6.1905) war einer der bedeutendsten, gegen Ende seines Lebens aber auch umstrittensten Kirchen- und Theologiehistoriker seiner Zeit.


Am 16.1.1844 in Imst/Tirol geboren, trat er bereits 1861 in Graz in den Dominikanerorden ein und wurde 1866 zum Priester geweiht. 1870-1880 als Ordenslektor und Professor für Philosophie in Graz tätig, wurde er 1883 als Unterarchivar ins Vatikanische Archiv nach Rom berufen. Weithin Autodidakt, hat Denifle der Erforschung der Geistesgeschichte des Mittelalters neue Wege erschlossen. Er war bemüht, die überkommene Trennung von Scholastik und Mystik als Irrtum zu erweisen. Er wandte sich zunächst der Mystik des Predigerordens zu und suchte deren Überlieferung zu klären. Gegenüber der Inbeschlagnahme von Meister Eckhardt durch den Idealismus wies Denifle aufgrund entdeckter lateinischer Literatur dessen scholastische Ausrichtung nach. Denn wandte er sich mit großer Energie der Geschichte der Universität des Mittelalters zu. Diese Studien wiederum führten Denifle zur Erforschung der Geschichte des kirchlichen Verfalls im 14. und 15. Jahrhundert. (Der Ertrag war u.a. eine großartige, noch heute eindrucksvoll zu lesende Darstellung des Hundertjährigen Kriegs.) Von dort aus kam er über die Untersuchung der Depravationserscheinungen der Kirche im 16. Jahrhundert zu Luther und der Reformation.

Mit dieser Beschäftigung, die nun Jahrzehnte anhalten sollte, hatte Denifle sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden, das ihn ebenso berühmt wie umstritten werden ließ. Er erfasste scharf und auch nach dem Urteil evangelischer Kirchenhistoriker durchaus treffend das Problem des "jungen Luther" (einschließlich dessen Römerbrief-Vorlesung 1513-1515) und dessen Verhältnis zur Scholastik und beförderte auch die protestantische Lutherforschung dadurch erheblich. Zugleich indes beschädigte Denifle die Wirkung seiner Forschung dadurch, daß allzu oft ein spürbarer konfessioneller "Furor" mit ihm durchging und er, v.a. in seinen Spätschriften, dazu neigte, die Reformation polemisch zu individualisieren und zu psychologisieren: indem er sie als ein Produkt einer nur psychopathologisch zu beurteilenden Einzelperson (nämlich der Luthers, den er als Person moralisch scharf verurteilte) deutete. Vor dem Hintergrund seiner eigenen hellsichtigen Darstellung der kirchlichen Verfalls im ausgehenden Mittelalter mußte dies verwundern. Hier wurde Luther, ex negativo, entschieden zu viel der "Ehre" angetan, wie auch katholische Forscher urteilten.

Ungeachtet des Schattens, der durch seine maßlose Luther-Deutung auf sein wissenschaftliches Oeuvre fiel, bleibt Denifle als ein leidenschaftlicher Forscher von unfaßlicher Arbeitskraft und sicherem Spürsinn zu würdigen, bei dem sich scharfes Urteil mit völliger persönlicher Anspruchslosigkeit paarten.


Zitate über Denifle

"Ausdrücklich möchte ich meinen Dank auch den katholischen Kollegen abstatten, die zahlreiche Einzelfragen der mittelalterlichen Dogmengeschichte mit eindringendem Fleisse und methodischer Schärfe behandelt haben. Einige von ihnen haben auch ausdrücklich oder implicite jene Beurtheilung der Reformation im Vergleich mit dem Mittelalter abgelehnt, mit der Denifle sein wissenschaftliches Lebenswerk nicht gekrönt, sondern zerstört hat." (Adolf von Harnack im Vorwort zur 4. Auflage des dritten Bandes seiner "Dogmengeschichte", Tübingen 1910)


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