Erster Pastoralbesuch nach Deutschland von Papst Benedikt XVI. im September 2006

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Worte bei der
Apostolischen Deutschland-Reise nach München, Altötting und Regensburg

von Papst
Benedikt XVI.
mit dem Motto: „Wer glaubt, ist nicht allein!“
9. bis 14. September 2006

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 174, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Bonn 2006, 124 S.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

Botschaft des Heiligen Vaters an die Leser der Münchener Kirchenzeitung 15. 8. 2006 Castel Gandolfo

Liebe Leser der Münchener Kirchenzeitung!

Endlich kann ich der herzlichen Einladung zu einem Besuch in meiner bayerischen Heimat folgen. Ich freue mich auf die Begegnung mit den Menschen in Bayern, mit Orten meiner Kindheit und Jugend, meiner Studien und meines Wirkens als Lehrer der Theologie und als Erzbischof von München und Freising.

Mir ist in den römischen Jahren und noch einmal verstärkt nach meiner Wahl zum Nachfolger Petri soviel Zuwendung gerade aus Bayern zuteil geworden, die ich nun dankbar und von ganzem Herzen erwidern möchte. Die Zusammengehörigkeit mit den Menschen in der Heimat, das mir von so vielen immer wieder vertrauensvoll zugesicherte Gebet ist mir in meiner Verantwortung für die große katholische Weltkirche eine wichtige Stütze.

So freue ich mich auf die vielen Menschen, die entlang der Straßen mich begrüßen wollen, die mit mir auf Plätzen und in ehrwürdigen Kirchen beten und das Geheimnis der heiligen Eucharistie feiern werden. Ich weiß mich ihnen verbunden und danke ihnen, dass sie dafür die Mühsal der Pilgerschaft und viele Stunden geduldigen Wartens auf sich nehmen. Die Bischöfe der von meinem Besuch berührten bayerischen Bistümer haben ein Wort aus der Predigt bei meiner Amtseinführung zum Motto für die Tage der Begegnung mit mir gewählt: Wer glaubt, ist nicht allein! Wir werden uns im gemeinsamen Glauben begegnen und als Gemeinschaft der Glaubenden erfahren. Diese Gemeinschaft reicht weit hinein in die Jahrhunderte zu vielen Generationen, die im Geist des Evangeliums das bayerische Volk und seine Kultur christlich geprägt haben.

Diese Gemeinschaft umfasst ebenso die Menschen der Gegenwart, damit ein manchmal müdes Christentum eine pfingstliche Stunde erleben und wieder Mut für einen neuen Aufbruch fassen kann. Ich möchte von Herzen wünschen, dass mein Besuch in der Heimat die Freude am Christentum neu wecken und vor allem die Zuversicht stärken kann, dass die Gemeinschaft der Kirche in die Verantwortung hineingenommen ist, für alle eine menschliche Zukunft zu gestalten. Damit verbinde ich auch die Hoffnung, dass wieder mehr junge Menschen die Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Kirche überwinden und sich für die Berufung zum priesterlichen Dienst wie auch zum Dienst als Ordensfrau oder Ordensmann entscheiden können.

Lassen wir uns in diesen Tagen meines Besuches in Bayern und in der nachfolgenden Zeit von dem tragenden Bewusstsein erfüllen, dass die Kirche nicht von uns und unseren Leistungen her lebt, sondern dass sie allein von der Liebe Christi gehalten wird, auf die wir immer neu vertrauen dürfen.

Samstag, 9. September: Rom - München

Gespräch mit Journalisten auf dem Flug nach München

Auf die Frage nach der gegenwärtigen Situation des Katholizismus in Deutschland antwortete er:

„Erstens fliege ich mit Freude nach Hause. Es ist schön, dass ich wenigstens einmal noch meine alte Heimat sehen darf, auf den Stätten herumgehen, wo ich gewesen bin. Und ich fliege nach Hause in der Freude darauf, dass wir ein großes Fest des Glaubens feiern werden und dass das auch das Miteinander mit euch stärken wird. Ich würde nicht einfach sagen, dass der deutsche Katholizismus müde ist, Müdigkeiten gibt es überall, aber ich habe in diesen Wochen der Vorbereitung gesehen, wie viel Dynamik auch da ist. Unglaublich, wer alles mit wie viel Energie sich eingesetzt hat. Ich weiß gar nicht, wie ich da danken soll. Das kann sich nicht auf meine Person beziehen, es kann sich nur darauf beziehen, dass wir gemeinsam Kirche sein wollen, dass wir also gemeinsam eine Kraft des Friedens für die Nation und die Welt sein möchten. Insofern fliege ich mit großen Hoffnungen nach Hause und bin eben dankbar für alles, was ich gesehen habe, was zeigt: So müde ist der deutsche Katholizismus nicht, wie manche meinen.“

Auf die Frage, warum bei dieser Reise kein Aufenthalt in Berlin vorgesehen sei und ob der Papst einmal nach Berlin kommen möchte, antwortete der Heilige Vater:

„Ja, irgendwie würde es sich vielleicht gehören, dass man, wenn man nach München reist, auch einmal nach Berlin kommt, aber ich bin ja ein alter Mann. Wie viel Zeit mir der Herr noch gibt, weiß ich nicht, und ich bin der Papst für die ganze Weltkirche. Ich denke jetzt vor allem an Konstantinopel, an Brasilien als die nächsten Reisen. Wenn ich noch mal nach Deutschland kommen kann – dann eben auch in die anderen Teile Deutschlands –, würde es mich freuen, würde ich es als ein Geschenk von Gott betrachten.“

Die Frage, ob er auch ein bisschen Heimweh habe, beantwortete Benedikt XVI. mit den Worten:

„Ja schon, denn ich meine, da bin ich eben aufgewachsen. ‚Mein Herz schlägt bayrisch‘ – ist ein Buch herausgegeben worden. Andererseits ist so viel Erinnerung in meiner Seele, dass ich in den Landschaften der Erinnerung immer herumwandern kann, mich gar nicht so weit weg fühle, zumal ich jeden Abend mit meinem Bruder telefonieren kann. Also so ganz arg weit entfernt fühle ich mich nicht.“

Ansprache bei der Ankunft auf dem Münchener Flughafen

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
verehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
meine verehrten Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Landsleute!

Bewegten Herzens betrete ich heute zum ersten Mal nach meiner Erhebung auf den Stuhl Petri bayerischen deutschen Boden. Ich kehre in meine Heimat, zu meinen Landsleuten, zurück in der Absicht, einige Orte zu besuchen, die in meinem Leben eine grundlegende Bedeutung hatten. Ich danke Ihnen, verehrter Herr Bundespräsident, für die herzlichen Worte, mit denen Sie mich willkommengeheißen haben. In diesen Worten habe ich die Resonanz der Empfindungen unseres ganzen Volkes wahrgenommen. Ich danke der Frau Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und dem Herrn Ministerpräsidenten, Dr. Edmund Stoiber, für die Freundlichkeit, mit der sie meine Ankunft auf deutschem und bayerischem Boden ehren. Mein dankbarer Gruß gilt darüber hinaus den Regierungsmitgliedern und den kirchlichen, zivilen und militärischen Persönlichkeiten, die sich hier versammelt haben, sowie allen, die gekommen sind, um mich in dieser für mich so bedeutsamen Reise zu empfangen.

In diesem Augenblick steigen in meinem Innern viele Erinnerungen an die in München und Regensburg verbrachten Jahre auf – Erinnerungen an Menschen und Ereignisse, die tiefe Spuren in mir hinterlassen haben. Im Bewusstsein all dessen, was ich empfangen habe, bin ich hier vor allem, um meine herzliche Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die ich all denen gegenüber empfinde, die zur Formung meiner Persönlichkeit in den Jahrzehnten meines Lebens beigetragen haben. Aber ich bin hier auch als Nachfolger des Apostels Petrus, um die tiefen Bindungen zwischen dem Römischen Bischofssitz und der Kirche in unserer Heimat erneut zu bekräftigen und zu bestätigen.

Es sind Bindungen, die in ihrer jahrhundertelangen Geschichte stets lebendig erhalten wurden durch die Treue zu den Werten des christlichen Glaubens, derer sich gerade die bayerischen Lande besonders rühmen dürfen. Zeugnisse dafür sind berühmte Baudenkmäler, majestätische Kathedralen, Skulpturen und Gemälde von hohem künstlerischen Wert, literarische Werke, kulturelle Initiativen und vor allem viele Schicksale Einzelner und von Gemeinschaften, in denen sich die tiefen christlichen Überzeugungen der Generationen widerspiegeln, die in diesem mir so lieben Land einander gefolgt sind. Die Beziehungen Bayerns zum Heiligen Stuhl waren, abgesehen von einigen Momenten der Spannung, stets geprägt von respektvoller Herzlichkeit. In den entscheidenden Stunden seiner Geschichte hat das bayerische Volk immer seine tiefe Ergebenheit gegenüber dem Stuhl Petri und seine Treue zum katholischen Glauben bestätigt. Die Mariensäule, die auf dem zentralen Platz unserer Hauptstadt München steht, ist ein beredtes Zeugnis dafür.

Der heutige gesellschaftliche Kontext ist in vieler Hinsicht verschieden von dem der Vergangenheit. Trotzdem denke ich, dass uns alle die Hoffnung verbindet, die kommenden Generationen mögen dem geistigen Erbe treu bleiben, das durch alle Krisen der Geschichte hindurch standgehalten hat. Mein Besuch in dem Land, in dem ich geboren wurde, möchte in diesem Sinn auch eine Ermutigung sein: Bayern ist ein Teil Deutschlands, der Geschichte Deutschlands in ihrem Auf und Ab zugehörig, und kann mit Recht stolz sein auf die von der Vergangenheit ererbten Traditionen. Mein Wunsch ist es, dass alle meine Landsleute in Bayern und in Deutschland insgesamt sich aktiv an der Weitergabe der grundlegenden Werte des christlichen Glaubens an die Bürger von morgen beteiligen, der uns alle trägt und der nicht abgrenzt, sondern der öffnet und die Menschen aus den verschiedenen Völkern, Kulturen und Religionen zueinander bringt. Ich hätte gerne meinen Besuch auch auf andere Teile Deutschlands ausgedehnt, um zu all den verschiedenen Ortskirchen zu kommen, besonders zu denen, mit denen mich persönliche Erinnerungen verbinden.

Viele Zeichen der Zuneigung habe ich von überall und besonders aus den bayerischen Diözesen während meines Pontifikatsbeginns und all die Jahre hindurch erhalten dürfen. Das stärkt mich Tag um Tag. So möchte ich diese Gelegenheit benützen, um meinen ganz herzlichen Dank gegenüber Euch allen zum Ausdruck zu bringen.

Ich habe auch lesen und verfolgen können, was in diesen Wochen und Monaten alles getan worden ist, wie viele Menschen sich mit all ihren Kräften daran beteiligt haben, dass dieser Besuch schön wird.

Und jetzt danken wir dem Herrn, dass er uns auch den bayerischen Himmel dazu schenkt, denn den konnten wir nicht bestellen! Vergelt’s Gott also für all das, was geschehen ist von den verschiedensten Seiten – ich werde auch bei anderen Anlässen darauf zurückkommen können –, um einen schönen Ablauf dieses Besuches und dieser Tage zu gewährleisten. Über diesen Gruß an Euch, liebe Landsleute, hinaus – ich sehe vor mir die Stationen meines Weges von Marktl über Tittmoning nach Aschau nach Traunstein nach Regensburg nach München –, über diesen Gruß an Euch hinaus möchte ich natürlich meinen Gruß an alle Einwohner Bayerns und ganz Deutschlands richten und denke dabei nicht nur an die katholischen Gläubigen, denen mein Besuch in erster Linie gilt, sondern auch an die Mitglieder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, besonders an die evangelischen und die orthodoxen Christen.

Und Sie, lieber Herr Bundespräsident, haben mir aus dem Herzen gesprochen: Auch wenn man fünfhundert Jahre nicht einfach bürokratisch oder durch gescheite Gespräche beiseite schieben kann – wir werden uns mit Herz und Verstand darum mühen, dass wir zueinander kommen.

Schließlich grüße ich die Angehörigen anderer Religionen und alle Menschen guten Willens, denen der Friede und die Ruhe des Landes und in der Welt ein Herzensanliegen sind. Möge der Herr die Bemühungen aller segnen, die auf die Schaffung einer Zukunft in echtem Wohlstand und auf der Grundlage der Gerechtigkeit, die den Frieden schafft, ausgerichtet sind. Diese Segenswünsche vertraue ich der Jungfrau Maria an, die in diesem unserem Land als Patrona Bavariae verehrt wird. Ich tue es in der klassischen Formulierung der Fürbitte von Jakob Balde, die zu Füßen der Mariensäule geschrieben steht: Rem regem regimen regionem religionem conserva Bavaris, Virgo Patrona, tuis! – Erhalte, Jungfrau Patronin, Deinen Bayern das Gut, oder wie man im Dialekt sagt „das Sach“, die Regierung, das Land und die Religion!

Euch allen ein herzliches „Grüß Gott!“

Münchener Marienplatz

Ansprache des Heiligen Vaters
Verehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
verehrte liebe Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im Bischofsund Priesteramt, sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder!

Es ist für mich sehr bewegend, wieder auf diesem wunderschönen Platz zu Füßen der Mariensäule zu stehen – an einem Ort – es ist schon gesagt worden –, der für mich zweimal Zeuge entscheidender Wendepunkte in meinem Leben war. Hier haben mich – es wurde erzählt – vor dreißig Jahren die Gläubigen mit großer Herzlichkeit aufgenommen, und ich habe der Muttergottes den Weg anvertraut, den ich nun zu gehen hatte, denn der Sprung vom Professorenstuhl auf den Dienst des Erzbischofs von München und Freising war gewaltig, und nur unter einem solchen Schutz und mit der spürbaren Liebe der Münchener und der Bayern konnte ich es wagen, diesen Dienst in der Nachfolge von Kardinal Döpfner zu übernehmen. Dann war es eben wieder so 1982: Hier habe ich Abschied genommen, und damals war der Erzbischof der Glaubenskongregation, der spätere Kardinal Hamer, dabei und sagte: Die Münchener sind wie Neapolitaner, sie wollen den Erzbischof anrühren und haben ihn gern. Es hat ihn förmlich verwundert, so viel Herzlichkeit hier in München zu sehen, das bayerische Herz an diesem Ort kennenlernen zu dürfen, an dem ich mich noch einmal der Muttergottes anvertraut habe.

Ich danke Ihnen, verehrter lieber Herr Ministerpräsident, für den freundlichen Willkommensgruß, den Sie im Namen der bayerischen Landesregierung und des bayerischen Volkes an mich gerichtet haben. Ich danke besonders herzlich auch meinem lieben Nachfolger im Amt des Hirten der Erzdiözese München und Freising, Herrn Kardinal Friedrich Wetter, für die herzlichen Worte, mit denen er mich hier begrüßt hat. Ich grüße Frau Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, und alle politischen, zivilen und militärischen Persönlichkeiten, die an dieser Begegnung zur Begrüßung und zum Gebet teilnehmen. Einen besonderen Gruß möchte ich an die Priester richten, besonders an diejenigen, mit denen ich als Priester und als Bischof in meinem Heimatbistum München und Freising zusammenarbeiten durfte. Euch alle aber, liebe Landsleute, die Ihr Euch um diesen Platz versammelt habt, möchte ich mit großer Herzlichkeit und Dankbarkeit begrüßen. Ich danke Euch für diesen bayerisch-herzlichen Empfang und danke, wie ich es schon am Flughafen tun durfte, all den vielen, die an der Vorbereitung mitgewirkt haben und jetzt dafür sorgen, dass alles sich in so schöner Weise abspielen kann.

Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit einen Gedanken wieder aufgreifen, den ich in meinen kurzen Erinnerungen im Zusammenhang meiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising dargestellt habe. Ich sollte ja Nachfolger des heiligen Korbinian werden und bin es geworden. An der Legende dieses Heiligen hat mich seit meiner Kindheit die Geschichte fasziniert, wonach ein Bär sein Reittier auf seiner Reise über die Alpen zerrissen hat. Korbinian verwies es ihm streng und lud ihm zur Strafe sein Gepäck auf, das er nun bis nach Rom zu schleppen hatte. So musste der Bär, beladen mit dem Bündel des Heiligen, nach Rom wandern und wurde erst dort von Korbinian freigelassen. Als ich 1977 vor die schwierige Entscheidung gestellt wurde, die Ernennung zum Erzbischof von München und Freising anzunehmen oder nicht – eine Ernennung, die mich aus meiner gewohnten Tätigkeit als Universitätslehrer herausholte in neue Aufgaben und Verantwortungen –, da habe ich sehr nachgedacht, mich dann gerade an diesen Bären erinnert und an die Interpretation, die der heilige Augustinus von den Versen 22 und 23 des Psalms 72 [73] in seiner ganz ähnlichen Situation bei seiner Priesterund Bischofsweihe entwickelt und später in seinen Psalmenpredigten niedergelegt hat. In diesem Psalm fragt sich der Psalmist, warum es den schlechten Menschen dieser Welt oft so gut geht und warum es so vielen guten Menschen in der Welt so schlecht geht. Dann sagt der Psalmist: Ich war dumm, wie ich nachdachte, ich war wie ein Stück Vieh vor dir, aber dann bin ich in den Tempel hineingegangen und habe gewusst, dass ich gerade in meinen Nöten ganz nah bei dir bin und dass du immer mit mir bist. Augustinus hat diesen Psalm mit Liebe immer wieder aufgenommen und hat in diesem Wort: „Ich war wie ein Vieh vor dir“ (iumentum im Lateinischen) die Bezeichnung für die Zugtiere gesehen, die damals in der Landwirtschaft in Nordafrika üblich waren, und er hat sich selbst in dieser Bezeichnung „iumentum“ als Lasttier Gottes wiedererkannt, sich selbst darin gesehen als einen, der unter der Last seines Auftrages der „sarcina episcopalis“ steht. Er hatte von sich aus das Leben eines Gelehrten gewählt und war, wie er dann sagt, von Gott zum „Zugtier“ Gottes bestimmt worden – zum braven Ochsen, der den Pflug im Acker Gottes zieht, die schwere Arbeit tut, die ihm aufgetragen wird. Doch dann erkannte er: Wie das Zugtier ganz nahe bei dem Bauern ist, unter dessen Führung es arbeitet, so bin ich ganz nahe bei Gott, denn so diene ich ihm unmittelbar für das Errichten seines Reiches, für das Bauen der Kirche.

Auf dem Hintergrund der Gedankens des Bischofs von Hippo ermutigt mich der Bär immer neu, meinen Dienst mit Freude und Zuversicht zu tun – vor dreißig Jahren wie auch nun in meiner neuen Aufgabe – und Tag für Tag mein Ja zu Gott zu sagen: Ein Lasttier bin ich für dich geworden, doch gerade so bin ich „immer bei dir“ (Ps 72 [73],23). Der Bär des heiligen Korbinian wurde in Rom freigelassen. In meinem Fall hat der Herr anders entschieden. Und so stehe ich also wieder zu Füßen der Mariensäule, um die Fürsprache und den Segen der Muttergottes zu erflehen, nicht nur für die Stadt München und auch nicht nur für das liebe Bayernland, sondern für die Kirche der ganzen Welt und für alle Menschen guten Willens.

Gebet an der Mariensäule

Heilige Mutter des Herrn,
unsere Vorfahren haben in bedrängter Zeit dein Bild hier im Herzen der Stadt München aufgestellt, um dir Stadt und Land anzuvertrauen. Dir wollten sie auf den Wegen des Alltags immer wieder begegnen und von dir das rechte Menschsein lernen; von dir lernen, wie wir Gott finden und wie wir so zueinander kommen können. Sie haben dir Krone und Zepter, die damaligen Symbole der Herrschaft über das Land gegeben, weil sie wussten, dass dann die Macht und die Herrschaft in den rechten Händen sind – in den Händen der Mutter.

Dein Sohn hat seinen Jüngern kurz vor der Stunde des Abschieds gesagt: Wer unter euch groß sein will, der sei euer Bediener, und wer unter euch der erste sein möchte, der sei aller Knecht (Mk 10,43 f.). Du hast in der entscheidenden Stunde deines Lebens gesagt: Siehe, ich bin die Magd des Herrn (Lk 1,38) und hast dein ganzes Leben als Dienst gelebt. Du tust es weiter die Jahrhunderte der Geschichte hindurch: Wie du einst für die Brautleute in Kana leise und diskret eingetreten bist, so tust du es immer: Alle Sorgen der Menschen nimmst du auf dich und trägst sie vor den Herrn, vor deinen Sohn. Deine Macht ist die Güte. Deine Macht ist das Dienen.

Lehre uns, die Großen und die Kleinen, die Herrschenden und die Dienenden, auf solche Weise unsere Verantwortung zu leben. Hilf uns, die Kraft des Versöhnens und das Vergeben zu finden. Hilf uns, geduldig und demütig zu werden, aber auch frei und mutig, wie du es in der Stunde des Kreuzes gewesen bist. Du trägst Jesus auf deinen Armen, das segnende Kind, das doch der Herr der Welt ist. So bist du, den Segnenden tragend, selbst zum Segen geworden. Segne uns und diese Stadt und dieses Land. Zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

Sonntag, 10. September: München

Predigt bei der Eucharistiefeier auf dem Freigelände der Neuen Messe in München-Riem

Liebe Schwestern und Brüder!

Zunächst möchte ich Euch alle ganz herzlich begrüßen: Ich freue mich – und durfte es schon sagen –, dass ich wieder einmal bei Euch sein darf, mit Euch Gottesdienst feiern darf; dass ich noch einmal die vertrauten Stätten besuchen kann, die mein Leben geprägt, mein Denken und Fühlen geformt haben; die Orte, an denen ich glauben und leben gelernt habe. Es ist eine Gelegenheit, all den vielen Lebenden und Verstorbenen zu danken, die mich geführt und begleitet haben. Ich danke Gott für diese schöne Heimat und für die Menschen, die sie zur Heimat gemacht haben.

Wir haben eben die drei Lesungen gehört, die die Liturgie der Kirche für diesen Sonntag ausgewählt hat. Alle drei sind von einem doppelten Thema bestimmt, von dem sie je nachdem die eine oder andere Seite mehr betonen, das aber letztlich doch ein einziges Thema bleibt. Alle drei Lesungen sprechen von Gott als Zentrum der Wirklichkeit und als Zentrum unseres eigenen Lebens. „Seht, Gott ist da!“ ruft der Prophet Jesaja uns in der ersten Lesung zu (35,4). Der Jakobus-Brief und das Evangelium sagen auf ihre Weise dasselbe. Sie wollen uns zu Gott hinführen und uns so auf den rechten Weg bringen. Mit dem Thema Gott ist aber das soziale Thema, unsere Verantwortung füreinander, für die Herrschaft von Gerechtigkeit und Liebe in der Welt verbunden. Dramatisch wird das in der Lesung zu Worte gebracht, in der Jakobus, ein naher Verwandter Jesu, zu uns spricht. Er redet zu einer Gemeinde, in der man anfängt, stolz zu sein, wenn es da auch reiche und vornehme Leute gibt, während die Sorge um das Recht für die Armen zu verkümmern droht. Jakobus lässt in seinen Worten das Bild Jesu durchscheinen, des Gottes, der Mensch wurde und obgleich davidischer, also königlicher Herkunft, ein Einfacher unter den Einfachen wurde, sich auf keinen Thron setzte, sondern am Ende in der letzten Armut des Kreuzes starb. Die Nächstenliebe, die zuallererst Sorge um die Gerechtigkeit ist, ist der Prüfstein des Glaubens und der Gottesliebe. Jakobus nennt sie das „königliche Gesetz“. Er lässt darin das Lieblingswort Jesu durchblicken: das Königtum Gottes, die Herrschaft Gottes. Damit ist nicht irgendein Reich gemeint, das irgendwann einmal kommt, sondern damit ist gemeint, dass Gott jetzt bestimmend werden muss für unser Leben und Handeln. Darum bitten wir, wenn wir sagen: Dein Reich komme; wir beten nicht um irgend etwas Entferntes, das wir selber eigentlich gar nicht zu erleben wünschen. Wir beten vielmehr darum, dass jetzt Gottes Wille unseren Willen bestimme und so Gott in der Welt herrsche; also darum bitten wir, dass Recht und Liebe entscheidend werden in der Ordnung der Welt. Eine solche Bitte richtet sich natürlich zuerst an Gott, aber sie rüttelt auch an unser eigenes Herz. Wollen wir das eigentlich? Leben wir in dieser Richtung? Jakobus nennt das „königliche Gesetz“, das Gesetz von Gottes Königtum, zugleich Gesetz der Freiheit: Wenn alle von Gott her denken und leben, dann werden wir gleich, und dann werden wir frei, und dann entsteht die wahre Geschwisterlichkeit. Wenn Jesaja in der ersten Lesung von Gott spricht – „Gott ist da!“ –, dann redet er zugleich vom Heil für die Leidenden, und wenn Jakobus von der sozialen Ordnung als dringlichem Ausdruck unseres Glaubens spricht, dann redet er ganz selbstverständlich von Gott, dessen Kinder wir sind.

Aber jetzt müssen wir uns dem Evangelium zuwenden, das von der Heilung eines Taubstummen durch Jesus spricht. Auch da sind wieder die beiden Seiten des einen Themas da. Jesus wendet sich den Leidenden zu, denen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind. Er heilt sie und führt sie so in die Möglichkeit des Mitlebens und des Mitentscheidens, in die Gleichheit und Brüderlichkeit ein. Das geht natürlich uns alle an: Jesus zeigt uns allen die Richtung unseres Tuns, die Richtung, wie wir handeln sollen. Der ganze Vorgang hat aber noch eine tiefere Dimension, auf die die Kirchenväter in ihren Auslegungen mit Nachdruck hingewiesen haben und die auch uns heute in hohem Maße angeht. Die Väter sprechen von den Menschen und zu den Menschen ihrer Zeit. Aber was sie sagen, geht auf neue Weise auch uns heute an. Es gibt nicht nur die physische Gehörlosigkeit, die den Menschen weitgehend vom sozialen Leben abschneidet. Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich, nicht mehr in unsere Zeit herein passend. Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott gegenüber verliert sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen. Auf diese Weise aber fehlt uns eine entscheidende Wahrnehmung. Unsere inneren Sinne drohen abzusterben. Mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit überhaupt drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in bedrohlicher Weise reduziert.

Das Evangelium erzählt uns, dass Jesus seine Finger in die Ohren des Tauben legte, etwas von seinem Speichel auf seine Zunge gab und sagte: „Ephata – tu dich auf“. Der Evangelist hat uns das original aramäische Wort aufbewahrt, das Jesus gesprochen hat und führt uns so direkt in jenen Augenblick hinein. Was da erzählt wird, ist einmalig und gehört doch nicht einer fernen Vergangenheit an: Jesus tut dasselbe auf neue Weise auch heute und immer wieder. In unserer Taufe hat Jesus an uns diese Geste des Berührens vollzogen und uns gesagt: „Ephata – tu dich auf!“, um uns hörfähig zu machen für Gott und so auch wieder das Sprechenkönnen zu Gott zu schenken. Aber dieser Vorgang, das Sakrament der Taufe, hat nichts Magisches an sich. Die Taufe eröffnet einen Weg. Sie führt uns ein in die Gemeinschaft der Hörenden und Redenden – in die Gemeinschaft mit Jesus selber, der als einziger Gott gesehen hat und deshalb von ihm erzählen konnte (vgl. Joh 1,18): Durch den Glauben will er uns an seinem Sehen Gottes, an seinem Hören und Reden mit dem Vater beteiligen. Der Weg des Getauftseins muss ein Prozess des Wachstums werden, in dem wir in das Leben mit Gott hineinwachsen und so auch einen anderen Blick auf den Menschen und auf die Schöpfung gewinnen.

Das Evangelium lädt uns ein, wieder zu erkennen, dass es bei uns ein Defizit in unserer Wahrnehmungsfähigkeit gibt – einen Mangel, den wir zunächst gar nicht als solchen spüren, weil ja alles andere sich durch seine Dringlichkeit und Einsichtigkeit empfiehlt; weil ja scheinbar alles normal weitergeht, auch wenn wir keine Ohren und Augen mehr für Gott haben und ohne ihn leben. Aber geht es wirklich einfach so weiter, wenn Gott in unserem Leben, in unserer Welt ausfällt? Bevor wir da weiterfragen, möchte ich ein wenig aus meinen Erfahrungen in der Begegnung mit den Bischöfen der Welt erzählen. Die katholische Kirche in Deutschland ist großartig durch ihre sozialen Aktivitäten, durch ihre Bereitschaft zu helfen, wo immer es nottut. Immer wieder erzählen mir die Bischöfe, zuletzt aus Afrika, bei ihren Ad-Limina-Besuchen dankbar von der Großherzigkeit der deutschen Katholiken und beauftragen mich, diesen Dank weiterzugeben, was ich hiermit einmal öffentlich tun möchte. Auch die Bischöfe aus den baltischen Ländern, die vor den Ferien da waren, haben mir berichtet, wie großartig ihnen deutsche Katholiken beim Wiederaufbau ihrer durch Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft schlimm zerstörten Kirchen halfen. Dann und wann sagt aber ein afrikanischer Bischof zu mir: „Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt komme, stoße ich eher auf Zurückhaltung.“ Offenbar herrscht da bei manchen die Meinung, die sozialen Projekte müsse man mit höchster Dringlichkeit voranbringen; die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben seien doch eher partikulär und nicht so vordringlich. Und doch ist es gerade die Erfahrung dieser Bischöfe, dass die Evangelisierung vorausgehen muss; dass der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muss, damit auch die sozialen Dinge vorangehen; damit Versöhnung werde; damit zum Beispiel Aids wirklich von den tiefen Ursachen her bekämpft und die Kranken mit der nötigen Zuwendung und Liebe gepflegt werden können. Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig. Dann treten die Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten wird zur obersten Fähigkeit, zur Fähigkeit, um Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann: Man geht so nur immer weiter fort von der Versöhnung, vom gemeinsamen Einsatz für die Gerechtigkeit und die Liebe. Die Maßstäbe, nach denen Technik in den Dienst des Rechts und der Liebe tritt, gehen dann verloren, aber auf diese Maßstäbe kommt alles an: Maßstäbe, die nicht nur Theorien sind, sondern das Herz erleuchten und so den Verstand und das Tun auf den rechten Weg bringen.

Die Völker Afrikas und Asiens bewundern zwar die technischen Leistungen und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken vor einer Art von Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen beibringen will. Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht und Nutzen für zukünftige Erfolge der Forschung zum letzten ethischen Maßstab erhebt. Liebe Freunde! Dieser Zynismus ist nicht die Art von Toleranz und von kultureller Offenheit, auf die die Völker warten und die wir alle wünschen. Die Toleranz, die wir dringend brauchen, schließt die Ehrfurcht vor Gott ein – die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist. Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen der anderen setzt aber wiederum voraus, dass wir selbst die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Diese Ehrfurcht kann in der westlichen Welt nur dann regeneriert werden, wenn der Glaube an Gott wieder wächst, wenn Gott für uns und in uns wieder gegenwärtig wird.

Wir drängen unseren Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus ist dem Christlichen zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die Freiheit der Menschen rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm Gehör zu schenken. Wir, die wir hier sind, bitten den Herrn von ganzem Herzen, dass er wieder sein „Ephata“ zu uns sagt; dass er unsere Schwerhörigkeit für Gott, für sein Wirken und sein Wort, heilt und uns sehend und hörend macht. Wir bitten ihn, dass er uns hilft, wieder das Wort des Gebetes zu finden, zu dem er uns in der Liturgie einlädt und dessen ABC er uns im Vaterunser geschenkt hat.

Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott. Welchen Gott brauchen wir? In der ersten Lesung sagt der Prophet zu einem unterdrückten Volk: „Die Rache Gottes wird kommen“ (vgl. 35,4). Wir können uns gut ausdenken, wie die Menschen sich das vorgestellt haben. Aber der Prophet selber sagt dann, worin diese Rache besteht, nämlich in der heilenden Güte Gottes. Und die endgültige Auslegung des Prophetenwortes finden wir in dem, der für uns am Kreuz gestorben ist – in Jesus, dem menschgewordenen Sohn Gottes, der uns hier so eindringlich anschaut. Seine „Rache“ ist das Kreuz: das Nein zur Gewalt, die „Liebe bis ans Ende“. Diesen Gott brauchen wir. Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen, wir verletzen nicht die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegengestellt hat; der dem Bösen und seiner Macht gegenüber als Grenze und Überwindung sein Erbarmen aufrichtet. Ihn bitten wir, dass er unter uns sei und dass er uns helfe, ihm glaubwürdige Zeugen zu sein. Amen.

Angelus-Gebet

Liebe Brüder und Schwestern!

Bevor wir unsere Eucharistiefeier mit dem feierlichen Segen abschließen, wollen wir uns sammeln im Gebet des „Engel des Herrn“. In unseren Überlegungen zu den Lesungen der Messe sind wir uns darüber klar geworden, wie notwendig es ist – für das Leben des Einzelnen wie für das friedliche Zusammenleben aller –, Gott als Zentrum der Wirklichkeit und als Zentrum unseres eigenen Lebens zu sehen. Das Vorbild schlechthin für eine solche Haltung ist Maria, die Mutter des Herrn. Sie war während ihres ganzen Lebens die Hörende, die Jungfrau mit dem offenen Herzen für Gott und für die Menschen. Das haben die Gläubigen von den ersten Jahrhunderten des Christentums an begriffen, und darum haben sie sich in jeder Not und Bedrängnis vertrauensvoll an sie gewandt und ihre Hilfe und ihre Fürsprache bei Gott erfleht.

Hier in unserem bayerischen Land bezeugen das Hunderte von Kirchen und Wallfahrtsorten, die ihr geweiht sind. Es sind Stätten, zu denen das ganze Jahr hindurch unzählige Pilger strömen, um sich der mütterlichen und fürsorglichen Liebe Marias anzuvertrauen. Hier in München erhebt sich im Zentrum der Stadt die Mariensäule, an der vor genau 390 Jahren das Land Bayern feierlich dem Schutz der Gottesmutter anvertraut wurde, und wo ich gestern erneut den Segen der „Patrona Bavariae“ für die Stadt und das Land erfleht habe.

Und – wie könnte man es vergessen? – eine besondere Erwähnung gebührt natürlich dem Wallfahrtsort Altötting, zu dem ich morgen pilgern werde. Dort werde ich die Freude haben, die neue Anbetungskapelle feierlich dem Gebrauch zu übergeben, die als solche gerade an diesem Ort ein ausdrucksstarkes Zeichen für die Rolle Marias ist: Sie ist und bleibt immer die Magd des Herrn, die nicht sich selbst ins Zentrum setzt, sondern uns zu Gott hinführen will und uns einen Lebensstil lehren möchte, in dem Gott als Mitte der Wirklichkeit und als Zentrum unseres eigenen Lebens erkannt wird. An sie wenden wir uns jetzt mit dem Gebet des „Engel des Herrn“.

Worte des Heiligen Vaters vom Balkon des Erzbischöflichen Palais in München

Liebe Freunde!

Jedes Jahr bin ich beim Beginn des Oktoberfestes auf diesem Balkon gestanden. Jetzt freue ich mich, dass ich heute noch einmal da stehen darf, dass so viele Menschen mich begrüßen, dass ich mich richtig zu Hause fühlen darf und von einer solchen Herzlichkeit umgeben bin. Ich sage einfach: Vergelt’s Gott und danke auch dem Lieben Gott für das, für den schönen weiß-blauen Himmel, den er uns schenkt. Ich danke jetzt schon der Musik, die mich schon bei meiner Ankunft so wundervoll begrüßt hat. Ein herzliches Vergelt’s Gott euch allen. Noch einen schönen Sonntag und gesegnete Zeit! Danke.

Ansprache bei der Vesper im Münchener Liebfrauendom

Liebe Kommunionkinder!
Liebe Eltern und Erzieher!
Liebe Schwestern und Brüder!'

Die Lesung, die wir gerade jetzt gehört haben, ist dem letzten Buch der neutestamentlichen Schriften, der sogenannten Offenbarung des Johannes entnommen. Dem Seher wird ein Blick nach oben, in den Himmel, und nach vorn, in die Zukunft, geschenkt. Aber gerade so redet er auch über die Erde und über die Gegenwart, über unser Leben. Wir sind ja im Leben alle unterwegs und gehen auf die Zukunft zu. Und wir wollen den richtigen Weg finden – das wahre Leben entdecken, nicht auf einem Holzweg, nicht in der Wüste enden. Wir möchten nicht am Ende sagen müssen: Ich bin den verkehrten Weg gegangen, mein Leben ist verpfuscht und schief gelaufen. Wir wollen des Lebens froh werden; wir wollen, wie Jesus einmal sagt, „Leben in Fülle haben“. Aber hören wir nun dem Seher der Offenbarung zu. Was hat er uns da gesagt, in dieser Lesung, wie uns gerade vorgetragen wurde? Er spricht von einer versöhnten Welt. Von einer Welt, in der Menschen „aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“ in Freude miteinander vereint sind. Und da fragen wir uns: „Wie geht das zu? Was ist der Weg dahin?“ Nun das erste und Wichtigste ist: Diese Menschen leben mit Gott zusammen; er hat „sein Zelt über ihnen aufgeschlagen“, heißt es in der Lesung. Da fragen wir uns weiter: „Was ist das, das ,Zelt Gottes‘? Wo ist es? Wie kommen wir dahin?“ Der Seher spielt da wohl auf das erste Kapitel des Johannes-Evangeliums an, wo es heißt: Das Wort ist Fleisch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen (Joh 1,14). Gott ist nicht weit weg von uns, irgendwo im fernen Weltraum, wo niemand hinkommen kann. Er hat sein Zelt aufgeschlagen bei uns: In Jesus ist er einer von uns geworden, mit Leib und Blut wie wir. Das ist sein Zelt. Und er ist bei der Himmelfahrt nicht irgendwohin weit weggegangen. Sein Zelt, er selbst mit seinem Leib als einer von uns bleibt bei uns. Wir können du zu ihm sagen, mit ihm reden. Er hört auf uns, und wenn wir aufmerksam sind, hören wir auch, dass er Antwort gibt.

Jetzt noch einmal: In Jesus zeltet Gott unter uns. Aber noch einmal auch: Wo ist das nun genau? Unsere Lesung gibt zwei Antworten darauf. Sie sagt von den versöhnten Menschen, dass sie „ihre Kleider im Blut des Lammes gewaschen haben“ und dass so ihre Gewänder weiß geworden sind. Das klingt für uns sehr seltsam. In der verschlüsselten Sprache des Sehers ist das ein Hinweis auf die Taufe. Das Wort vom „Blut des Lammes“ deutet hin auf die Liebe Jesu, die er bis in den Tod hinein durchgehalten hat. Diese zugleich göttliche und menschliche Liebe ist das Bad, in das er uns in der Taufe eintaucht – das Bad, mit dem er uns so wäscht, sauber macht, dass wir zu Gott passen, mit ihm zusammenleben können. Der Akt der Taufe ist aber nur ein Anfang. Im Mitgehen mit Jesus, im Glauben und im Leben mit ihm rührt seine Liebe uns an, die uns reinigt und uns hell machen will. Die Gewänder sind im Bad dieser Liebe weiß geworden, haben wir gehört. Weiß war nach der Vorstellung der alten Welt die Farbe des Lichts. Die weißen Gewänder bedeuten, dass wir im Glauben Licht werden, das Dunkel, die Lüge, die Verstellung, das Böse überhaupt ablegen und helle, gottgemäße Menschen werden. Das Taufkleid wie das weiße Kleid bei der Erstkommunion, das ihr anhabt, möchte uns daran erinnern und sagen: Werde durch das Mitleben mit Jesus und mit der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, selbst ein heller Mensch, ein Mensch der Wahrheit und der Güte – ein Mensch, aus dem das Gute, die Güte Gottes selbst herausleuchtet.

Die zweite Antwort auf die Frage, wo wir Jesus finden, gibt uns der Seher wieder in seiner verschlüsselten Sprache. Er sagt, dass das Lamm die vielen Menschen aus allen Kulturen und Völkern zu den Quellen des Lebenswassers führt. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Das wussten die Menschen, deren Heimat an die Wüste grenzt, sehr genau. So ist für sie das Quellwasser zum Symbol des Lebens überhaupt geworden. Das Lamm, das heißt Jesus, führt die Menschen zu den Quellen des Lebens. Zu diesen Quellen des Lebens gehört die Heilige Schrift, in der Gott selber zu uns spricht und uns sagt, wie man richtig lebt. Zu diesen Quellen gehört aber dann mehr: Die eigentliche Quelle ist nämlich Jesus selbst, in dem Gott sich uns schenkt. Und das tut er am meisten in der heiligen Kommunion, in der wir sozusagen direkt am Quell des Lebens trinken können: Er kommt zu uns und vereinigt sich mit einem jeden von uns. Wir können es feststellen: Durch die Eucharistie, das Sakrament der Kommunion, bildet sich eine Gemeinschaft über alle Grenzen und Sprachen hin – wir sehen es hier, es sind Bischöfe aus allen Sprachen und Erdteilen da –, durch die Kommunion bildet sich die weltweite Kirche, in der Gott mit uns redet und lebt. Und so sollen wir die heilige Kommunion empfangen: als Begegnung mit Jesus, mit Gott selber, der uns zu den Quellen des wirklichen Lebens führt.

Liebe Eltern! Ich möchte Euch herzlich einladen, Euren Kindern glauben zu helfen und sie auf ihrem Weg zur ersten Kommunion, der danach ja weiter geht, auf ihrem Weg zu Jesus und mit Jesus zu begleiten. Bitte, geht mit Euren Kindern in die Kirche zur sonntäglichen Eucharistiefeier. Ihr werdet sehen: Das ist keine verlorene Zeit, das hält die Familie richtig zusammen und gibt ihr ihren Mittelpunkt. Der Sonntag wird schöner, die ganze Woche wird schöner, wenn Ihr gemeinsam den Gottesdienst besucht. Und bitte, betet auch zu Hause miteinander: beim Essen, vor dem Schlafengehen. Das Beten führt uns nicht nur zu Gott, sondern auch zueinander. Es ist eine Kraft des Friedens und der Freude. Das Leben in der Familie wird festlicher und größer, wenn Gott dabei ist und seine Nähe im Gebet erlebt wird.

Liebe Religionslehrer und Erzieher! Euch bitte ich von Herzen, die Frage nach Gott, nach dem Gott, der sich uns in Jesus Christus gezeigt hat, in der Schule gegenwärtig zu halten. Ich weiß, dass es schwer ist, in unserer pluralistischen Welt den Glauben in der Schule zur Sprache zu bringen. Aber es reicht eben nicht, wenn die Kinder und jungen Menschen in der Schule nur Kenntnisse und technisches Können, aber keine Maßstäbe erlernen, die der Kenntnis und dem Können Richtung und Sinn geben. Regt die Schüler an, nicht nur nach diesem und jenem zu fragen – das ist auch gut –, aber zu fragen vor allem auch nach dem Woher und Wohin unseres Lebens. Helft ihnen zu erkennen, dass alle Antworten, die nicht bis zu Gott hinkommen, zu kurz sind.

Liebe Seelsorger und alle, die in der Pfarrgemeinde helfend tätig sind! Euch bitte ich, alles zu tun, damit die Pfarrei eine innere Heimat für die Menschen wird – eine große Familie, in der wir zugleich die noch größere Familie der weltweiten Kirche erleben – durch den Gottesdienst, die Katechese und durch alle Weisen des pfarrlichen Lebens miteinander den Weg des wahren Lebens zu gehen lernen. Alle drei Lernorte – Familie, Schule, Pfarrgemeinde – gehören zusammen und helfen uns, zu den Quellgründen des Lebens zu finden, und, liebe Kinder, liebe Eltern, liebe Erzieher, wir alle wollen doch wahrhaft das „Leben in Fülle“ haben. Amen.

Montag, 11. September: Altötting

Predigt bei der Eucharistiefeier auf dem Kapellplatz in Altötting

Liebe Schwestern und Brüder!

In Lesung, Antwortgesang und Evangelium dieses Tages treffen wir dreimal Maria, die Mutter des Herrn, in je verschiedener Weise als Betende an. In der Apostelgeschichte finden wir sie in der Mitte der Gemeinschaft der Jünger, die sich im Abendmahlssaal versammelt haben und nun den zum Vater aufgestiegenen Herrn anrufen, dass er seine Verheißung erfülle: „In wenigen Tagen werdet ihr mit dem Heiligen Geist getauft werden“ (Apg 1,5). Maria führt die werdende Kirche im Gebet an, sie ist gleichsam die betende Kirche in Person. Und so steht sie mit der großen Gemeinschaft der Heiligen als deren Mitte noch immer vor Gott und bittet für uns, bittet ihren Sohn darum, dass er der Kirche und der Welt neu seinen Geist sende und das Angesicht der Erde erneuere.

Wir haben auf die Lesung geantwortet, indem wir mit Maria den großen Lobgesang gesungen haben, den sie angestimmt hat, als Elisabeth sie ihres Glaubens wegen seliggepriesen hatte. Dies ist ein Gebet des Dankes, der Freude an Gott, der Lobpreisung für seine großen Taten. Der Grundton dieses Liedes ist gleich im ersten Wort angegeben: Meine Seele macht den Herrn groß. Gott groß machen, das heißt ihm Raum geben in der Welt, im eigenen Leben, ihn einlassen in unsere Zeit und unser Tun – das ist das tiefste Wesen des rechten Betens. Wo Gott groß wird, wird der Mensch nicht klein: Da wird auch der Mensch groß, und die Welt wird hell.

Schließlich: Im Evangelium richtet Maria zugunsten von Freunden, die in Verlegenheit sind, eine Bitte an ihren Sohn. Auf den ersten Blick kann dies als ein ganz menschliches Gespräch zwischen Mutter und Sohn erscheinen, und ein Gespräch von tiefster Menschlichkeit ist es ja auch. Aber Maria redet Jesus doch nicht einfach als einen Menschen an, auf dessen Phantasie und Hilfsbereitschaft sie etwa bauen würde. Sie vertraut menschliche Not seiner Macht an – einer Macht, die über menschliches Können und Vermögen hinausgeht. Und so sehen wir sie im Gespräch mit Jesus doch als bittende, als fürbittende Mutter. Es lohnt sich, in dieses Evangelium tiefer hineinzuhören: um Jesus und Maria besser zu verstehen, aber gerade auch, um von Maria das rechte Beten zu erlernen. Maria richtet keine eigentliche Bitte an Jesus; sie sagt ihm nur: „Sie haben keinen Wein mehr“ (Joh 2,3). Hochzeiten im Heiligen Land dauerten eine ganze Woche lang; das ganze Dorf war beteiligt, und so wurden große Mengen Weines gebraucht. Nun sind die Brautleute in Verlegenheit, und Maria sagt es Jesus ganz einfach. Sie bittet nicht um irgendetwas Bestimmtes, schon gar nicht darum, dass Jesus seine Macht ausübe, ein Mirakel wirke, Wein produziere. Sie vertraut Jesus nur einfach die Sache an und überlässt es ihm, was er daraufhin tut. So sehen wir in den einfachen Worten der Mutter Jesu zweierlei: Einerseits ihre liebevolle Fürsorge für die Menschen, ihre mütterliche Wachheit, mit der sie die Bedrängnis der anderen wahrnimmt; wir sehen ihre herzliche Güte und Hilfsbereitschaft. Zu dieser Mutter pilgern die Menschen seit Generationen hier nach Altötting. Ihr vertrauen wir unsere Sorgen, Nöte und Bedrängnisse an. Die helfende Güte der Mutter, der wir uns anvertrauen – hier sehen wir sie zum ersten Mal in der Heiligen Schrift. Aber zu diesem ersten und uns allen vertrauten Aspekt kommt noch ein zweiter, den wir leicht übersehen: Maria überlässt alles dem Herrn. Sie hat in Nazareth ihren Willen in Gottes Willen hineingegeben: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Das ist ihre bleibende Grundhaltung. Und so lehrt sie uns beten: Nicht unseren Willen und unsere Wünsche – so wichtig, so einsichtig sie uns auch sein mögen – Gott gegenüber durchsetzen wollen, sondern sie zu ihm hintragen und ihm überlassen, was er tun wird. Von Maria lernen wir die helfende Güte, aber auch die Demut und die Großzügigkeit, Gottes Willlen anzunehmen und ihm zu vertrauen, ihm zu glauben, dass seine Antwort, wie sie auch sein wird, das wahrhaft Gute für uns, für mich ist.

Das Verhalten und die Worte Marias, glaube ich, können wir sehr gut begreifen; umso schwerer fällt es uns, die Antwort Jesu zu verstehen. Schon die Anrede gefällt uns nicht: „Frau“ – warum sagt er nicht: Mutter? Nun, diese Anrede drückt die Stellung Marias in der Heilsgeschichte aus. Sie weist voraus auf die Stunde der Kreuzigung, in der Jesus zu ihr sagen wird: Frau, siehe deinen Sohn – Sohn, siehe deine Mutter. Sie weist so voraus auf die Stunde, in der er die Frau, seine Mutter, zur Mutter aller Jünger machen wird. Und sie weist zurück auf den Bericht von der Erschaffung Evas: Adam sah sich als Mensch allein in der Schöpfung bei all ihrem Reichtum. Da wird Eva geschaffen, und nun hat er die Gefährtin gefunden, auf die er wartete und die mit dem Wort „Frau“ benannte. So steht Maria als die neue, die endgültige Frau im Johannes-Evangelium, als die Gefährtin des Erlösers, als unsere Mutter: Die scheinbar abweisende Anrede drückt die Größe ihrer Sendung aus.

Aber noch weniger gefällt uns, was Jesus dann in Kana zu Maria sagt: „Was willst du von mir, Frau?“ Wörtlich heißt es sogar: „Was habe ich mit dir zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Wir möchten einwenden: Viel hast du zu tun mit ihr. Sie hat dir Fleisch und Blut gegeben, deinen Leib. Und nicht nur den Leib; sie hat dich mit ihrem aus dem Herzen kommenden Ja getragen und dich mit mütterlicher Liebe ins Leben, in die Gemeinschaft des Volkes Israel eingeführt und eingelebt. Wenn wir so mit Jesus reden, sind wir aber schon auf dem Weg, seine Antwort zu verstehen. Denn all das muss uns daran erinnern, dass es bei der Menschwerdung Jesu zwei Dialoge gibt, die zusammengehören und zu einem einzigen ineinander verschmelzen. Da ist zunächst der Dialog, den Maria mit dem Erzengel Gabriel führt und in dem sie sagt: „Mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38). Dazu aber gibt es eine Parallele, sozusagen einen innergöttlichen Dialog, von dem uns der Hebräer-Brief erzählt, wenn er sagt, dass die Worte des Psalms 40 gleichsam zu einem Gespräch zwischen Vater und Sohn geworden sind, in dem sich die Menschwerdung eröffnet. Der ewige Sohn sagt zum Vater: „Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, einen Leib hast du mir bereitet ... Siehe, ich komme ... deinen Willen zu tun“ (Hebr 10,5–7; Ps 40,6–8). Das Ja des Sohnes „Ich komme, deinen Willen zu tun“ und das Ja Marias „Mir geschehe nach deinem Wort“ – dieses doppelte Ja wird zu einem einzigen Ja, und so wird das Wort Fleisch in Maria. In diesem doppelten Ja nimmt der Sohnesgehorsam Leib an; schenkt Maria mit ihrem Ja ihm den Leib. „Frau, was habe ich mit dir zu tun?“ Was sie im tiefsten miteinander zu tun haben, ist dieses zweifache Ja, in dessen Zusammenfallen die Menschwerdung geschehen ist. Auf diesen Punkt ihrer tiefsten Einheit miteinander führt der Herr mit seiner Antwort hin, dorthin verweist er die Mutter. Dort, in dem gemeinsamen Ja zum Willen des Vaters findet sich die Lösung. Und zu diesem Punkt sollen auch wir immer neu hingehen lernen; dort wird Antwort auf unsere Fragen.

Von da aus verstehen wir nun auch den zweiten Satz der Antwort Jesu: Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Jesus handelt nie einfach aus Eigenem; nie um nach außen zu gefallen. Er handelt immer vom Vater her, und gerade das eint ihn mit Maria, denn dorthin, in diese Willenseinheit mit dem Vater, wollte auch sie ihre Bitte legen. Deswegen kann sie erstaunlicherweise nach der scheinbar abweisenden Antwort Jesu ganz einfach zu den Dienern sagen: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Jesus wirkt kein Mirakel, spielt nicht mit seiner Macht in einer eigentlich ganz privaten Angelegenheit. Nein, er wirkt ein Zeichen, mit dem er seine Stunde ankündigt, die Stunde der Hochzeit, die Stunde der Vereinigung zwischen Gott und Mensch. Er „macht“ nicht einfach Wein, sondern er verwandelt die menschliche Hochzeit in ein Bild des göttlichen Hochzeitsfestes, zu dem der Vater durch den Sohn einlädt und in dem er die Fülle des Guten schenkt, die in der Fülle des Weines dargestellt ist. Die Hochzeit wird zum Bild jenes Augenblickes, in dem Jesus die Liebe bis zum Äußersten führt, seinen Leib aufreißen lässt und so sich für immer uns schenkt, Einheit mit uns wird – Hochzeit zwischen Gott und Mensch. Die Stunde des Kreuzes, die Stunde, von der das Sakrament kommt, in dem er wirklich sich uns mit Fleisch und Blut gibt, seinen Leib in unsere Hände und unser Herz legt – das ist die Stunde der Hochzeit. Und so wird auf wahrhaft göttliche Weise auch die Not des Augenblicks gelöst und die anfängliche Frage weit überschritten. Jesu Stunde ist noch nicht da, aber im Zeichen der Verwandlung von Wasser in Wein, im Zeichen der festlichen Gabe nimmt er seine Stunde jetzt schon vorweg.

Seine „Stunde“ ist das Kreuz. Seine endgültige Stunde ist seine Wiederkunft. Immerfort nimmt er gerade auch diese endgültige Stunde vorweg in der heiligen Eucharistie, in der er immer jetzt schon kommt. Und immer neu tut er es auf die Fürbitte seiner Mutter, auf die Fürbitte der Kirche hin, die in den eucharistischen Gebeten ihn anruft: Komm, Herr Jesus! Im Hochgebet bittet die Kirche ihn immer neu um diese Vorwegnahme der Stunde – darum, dass er jetzt schon komme und sich uns schenke. So wollen wir uns von Maria, von der Gnadenmutter von Altötting, von der Mutter aller Glaubenden auf die Stunde Jesu zuführen lassen. Bitten wir ihn, dass er uns schenkt, ihn immer mehr zu erkennen und zu verstehen. Und lassen wir das Empfangen nicht auf den Augenblick der Kommunion beschränkt sein. Er bleibt da in der heiligen Hostie und wartet immerfort auf uns. Die Anbetung des Herrn in der Eucharistie hat in Altötting in der alten Schatzkammer einen neuen Ort gefunden. Maria und Jesus gehören zusammen. Mit ihr wollen wir im Gespräch mit dem Herrn bleiben und so ihn besser empfangen lernen. Heilige Mutter Gottes, bitte für uns, wie du in Kana für die Brautleute gebeten hast. Führe uns zu Jesus – immer von neuem. Amen.

Predigt bei der Vesper mit Ordensangehörigen und Priesterseminaristen in der Altöttinger Basilika St. Anna

Liebe Freunde!

Wir sind hier am Gnadenort Altötting in der Basilika der heiligen Anna gegenüber dem Heiligtum ihrer Tochter, der Mutter des Herrn, versammelt – Seminaristen auf dem Weg zum Priestertum, Priester, Ordensleute, Mitglieder des Werkes für geistliche Berufe –, versammelt, um nach unserer Berufung für den Dienst Jesu Christi zu fragen und bei der heiligen Anna, in deren Haus die größte Berufung der Heilsgeschichte gereift ist, unsere Berufung zu erlernen. Maria empfing ihre Berufung aus dem Mund des Engels. In unsere Stube tritt der Engel nicht sichtbar ein, aber mit jedem von uns hat der Herr seinen Plan; ein jeder wird von ihm bei seinem Namen gerufen. So ist unser Auftrag, hörend zu werden, fähig, seinen Anruf zu vernehmen, mutig und treu zu werden, damit wir ihm folgen und am Schluss als zuverlässige Knechte befunden werden, die recht mit der anvertrauten Gabe gewirkt haben.

Wir wissen, der Herr sucht Arbeiter für seine Ernte. Er selber hat es gesagt: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9,37 f.). Dazu haben wir uns hier versammelt, diese Bitte zum Herrn der Ernte hinaufzuschicken. Ja, die Ernte Gottes ist groß und wartet auf Arbeiter – in der sogenannten dritten Welt, in Lateinamerika, in Afrika, in Asien warten die Menschen auf Boten, die ihnen das Evangelium des Friedens, die Botschaft von dem menschgewordenen Gott bringen. Und auch im sogenannten Westen, bei uns in Deutschland wie auch in den Weiten Russlands gilt, dass die Ernte groß sein könnte. Aber es fehlen die Menschen, die bereit sind, sich zu Gottes Erntearbeitern zu machen. Es steht heute wie damals, als den Herrn das Mitleid erschütterte über Menschen, die ihm wie Schafe ohne Hirten erschienen – Menschen, die gewiss alles Mögliche wussten, aber nicht sehen konnten, wie ihr Leben recht zu ordnen sei. Herr, schau die Not dieser unserer Stunde an, die Boten des Evangeliums braucht, Zeugen für dich, Wegweiser zum „Leben in Fülle“! Sieh die Welt und lass dich auch jetzt vom Mitleid erschüttern! Sieh die Welt an und schicke Arbeiter! Mit dieser Bitte klopfen wir an der Tür Gottes an; aber mit dieser Bitte klopft dann der Herr auch an unser eigenes Herz. Herr, willst du mich? Ist es nicht zu groß für mich? Bin ich nicht zu klein dazu? Fürchte dich nicht, hat der Engel zu Maria gesagt. Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, sagt er durch den Propheten Jesaja zu uns (43,1) – zu jedem einzelnen von uns.

Wohin gehen wir, wenn wir Ja sagen zum Ruf des Herrn? Die kürzeste Beschreibung der priesterlichen Sendung, die in analoger Weise auch für die Ordensleute gilt, hat uns der Evangelist Markus geschenkt, der bei der Erzählung von der Berufung der Zwölf sagt: „Er machte zwölf, damit sie bei ihm seien und damit er sie sende“ (Mk 3,14). Bei ihm sein und als Gesandter auf dem Weg zu den Menschen – das gehört zusammen und bildet zusammen das Wesen des geistlichen Berufs, des Priestertums. Bei ihm sein und gesandt sein – das ist nicht voneinander zu trennen. Nur wer bei „Ihm“ ist, lernt ihn kennen und kann ihn recht verkünden. Und wer bei ihm ist, behält es nicht für sich, sondern muss weitergeben, was er gefunden hat. Es geht ihm wie dem Andreas, der seinem Bruder Simon sagte: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41). Der Evangelist fügt hinzu: „Und er führte ihn zu Jesus“ (Joh 1,42). Gregor der Große hat in einer Predigt einmal gesagt: In welche Weiten die Engel auch mit ihren Sendungen gehen, sie bewegen sich immer innerhalb Gottes. Sie sind immer bei ihm. Bei den Engeln dachte er auch an die Bischöfe und Priester: Wo immer sie hingehen, sie sollten doch immer „bei ihm“ bleiben. Die Praxis zeigt es uns: Wo Priester das Sein beim Herrn wegen der großen Aufgaben immer kürzer und geringer werden lassen, da verlieren sie bei aller vielleicht heroischen Aktivität am Ende die innere Kraft, die sie trägt. Was sie tun, wird zuletzt zu leerem Aktivismus. Bei ihm sein, wie geht das? Nun, das erste und Wichtigste ist für den Priester die täglich von innen her gefeierte heilige Messe. Wenn wir sie wirklich als betende Menschen feiern, unser Wort und unser Tun mit dem uns vorausgehenden Wort und der Gestalt der Eucharistiefeier vereinigen, wenn wir in der Kommunion uns wirklich von ihm umfangen lassen, ihn empfangen – dann sind wir bei ihm.

Das Stundengebet ist eine grundlegende Weise des Seins bei ihm: Da beten wir als des Gesprächs mit Gott bedürftige Menschen, aber da nehmen wir auch die anderen Menschen mit, die nicht Zeit und Möglichkeit zu solchem Beten haben. Damit unsere Eucharistiefeier und das Stundengebet von innen gefüllt bleiben, müssen wir auch immer wieder die Heilige Schrift geistlich lesen; nicht nur Worte aus der Vergangenheit enträtseln, sondern nach dem gegenwärtigen Zuspruch des Herrn an mich suchen, der heute durch dieses Wort mit mir spricht. Nur so können wir das heilige Wort als gegenwärtiges Wort Gottes zu den Menschen dieser unserer Zeit bringen.

Eine wesentliche Weise des Mitseins mit dem Herrn ist die eucharistische Anbetung. Altötting hat dank Bischof Schraml eine neue Schatzkammer erhalten. Wo einst die Schätze der Vergangenheit, Kostbarkeiten der Geschichte und der Frömmigkeit aufbewahrt wurden, ist jetzt der Ort für den eigentlichen Schatz der Kirche: die ständige Gegenwart des Herrn im Sakrament. Der Herr erzählt uns in einem seiner Gleichnisse von dem im Acker verborgenen Schatz. Wer ihn gefunden hat, so sagt er uns, verkauft alles, um den Acker erwerben zu können, weil der versteckte Schatz alle anderen Werte übertrifft. Der verborgene Schatz, das Gut über alle Güter, ist das Reich Gottes – ist er selbst, das Reich in Person. In der heiligen Hostie ist er da, der wahre Schatz, für uns immer zugänglich. Im Anbeten dieser seiner Gegenwart lernen wir erst, ihn recht zu empfangen – lernen wir das Kommunizieren, lernen wir die Feier der Eucharistie von innen her. Ich darf dazu ein schönes Wort von Edith Stein, der heiligen Mitpatronin Europas, zitieren, die in einem Brief geschrieben hat: „Der Herr ist im Tabernakel gegenwärtig mit Gottheit und Menschheit. Er ist da, nicht Seinetwegen, sondern unseretwegen: weil es Seine Freude ist, bei den Menschen zu sein. Und weil Er weiß, dass wir, wie wir nun einmal sind, Seine persönliche Nähe brauchen. Die Konsequenz ist für jeden natürlich Denkenden und Fühlenden, dass er sich hingezogen fühlt und dort ist, sooft und solange er darf“ (Gesammelte Werke VII, 136 f.). Lieben wir es, beim Herrn zu sein. Da können wir alles mit ihm bereden. Unsere Fragen, unsere Sorgen, unsere Ängste. Unsere Freuden. Unsere Dankbarkeit, unsere Enttäuschungen, unsere Bitten und Hoffnungen. Da können wir es ihm auch immer wieder sagen: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte. Hilf mir, ein guter Arbeiter in deinem Weinberg zu sein.

Hier in dieser Basilika denken wir dabei an Maria, die ganz im Mitsein mit Jesus lebte und deshalb auch ganz für die Menschen da war und es bis heute ist: Die Votivtafeln zeigen es uns ganz praktisch. Und wir denken an die heilige Mutter Anna. So denken wir auch an die Bedeutung der Mütter und der Väter, der Großmütter und der Großväter, an die Bedeutung der Familie als Raum des Lebens und des Betens, in dem Beten gelernt wird und Berufungen reifen können.

Hier in Altötting denken wir natürlich auch ganz besonders an den guten Bruder Konrad. Er hat auf ein großes Erbe verzichtet, weil er ganz Jesus Christus nachfolgen, ganz mit ihm sein wollte. Er hat sich, wie es der Herr im Gleichnis empfiehlt, wirklich auf den letzten Platz gesetzt, als demütiger Pfortenbruder. In seiner Pfortenstube hat er genau das verwirklicht, was uns Markus über die Apostel sagt: Mit ihm sein und gesandt sein zu den Menschen. Er konnte von seiner Zelle aus immer auf den Tabernakel hinschauen, immer „bei ihm sein“. Von diesem Blick her hat er die nicht zu zerstörende Güte gelernt, mit der er den Menschen begegnete, die fast ohne Unterbrechung an seiner Pforte anläuteten – auch manchmal eher bösartig, um ihn bloßzustellen; auch manchmal ungeduldig und laut: Ihnen allen hat er ohne große Worte durch seine Güte und Menschlichkeit eine Botschaft geschenkt, die mehr wert war als bloße Worte. Bitten wir den heiligen Bruder Konrad, dass er uns hilft, den Blick auf den Herrn gerichtet zu halten und dass er uns so hilft, Gottes Liebe zu den Menschen zu bringen. Amen.

Dienstag, 12. September: Regensburg

Predigt bei der Eucharistiefeier auf dem Islinger Feld in Regensburg

Liebe Brüder und Schwestern!

„Wer glaubt, ist nie allein.“ Lasst mich noch einmal das Leitwort dieser Tage aufnehmen und die Freude darüber ausdrücken, dass wir es hier sehen dürfen: Der Glaube führt uns zusammen und schenkt uns ein Fest. Er schenkt uns die Freude an Gott, an der Schöpfung, am Miteinandersein. Ich weiß, dass diesem Fest viel Mühe und Arbeit vorangegangen ist. Durch die Berichte der Zeitungen habe ich ein wenig verfolgen können, wie viele Menschen ihre Zeit und ihre Kraft eingesetzt haben, damit dieser Platz so würdig bereitet wurde; dass das Kreuz auf dem Hügel hier steht als Gottes Friedenszeichen in dieser Welt; dass Zufahrt und Abfahrt, Sicherheit und Ordnung gewährleistet sind; dass Quartiere bereitstehen und so fort. Ich hatte mir gar nicht vorstellen können und weiß es auch jetzt nur im großen Allgemeinen, wie viel Kleinarbeit dazu gehörte, dass wir alle jetzt so beieinander sein können. Für all das kann ich nur einfach ein ganz herzliches Vergelt’s Gott sagen. Möge der Herr Euch all das lohnen, und möge die Freude auf jeden einzelnen 100fach zurückfallen, die wir dank Eurer Vorarbeit hier empfangen dürfen. Es ist mir zu Herzen gegangen, wie viele Menschen, besonders aus den Berufsschulen Weiden und Amberg, Firmen und Einzelne, Männer und Frauen, zusammengearbeitet haben, um auch mein kleines Haus und meinen Garten schön zu machen. Auch da kann ich nur ganz beschämt Vergelt’s Gott sagen ob all dieser Mühe. Ihr habt das alles nicht nur für einen Einzelnen, für meine armselige Person getan; Ihr habt es im letzten in der Solidarität des Glaubens getan, Euch von der Liebe zum Herrn und zur Kirche leiten lassen: All dies ist ein Zeichen wahrer Menschlichkeit, die aus dem Berührtsein durch Jesus Christus wächst.

Zu einem Fest des Glaubens haben wir uns versammelt. Aber da steigt nun doch die Frage auf: Was glauben wir denn da eigentlich? Was ist das überhaupt, Glaube? Kann es das eigentlich noch geben in der modernen Welt? Wenn man die großen Summen der Theologie ansieht, die im Mittelalter geschrieben wurden, oder an die Menge der Bücher denkt, die jeden Tag für und gegen den Glauben verfasst werden, möchte man wohl verzagen und denken, das sei alles zu kompliziert. Vor lauter Bäumen sieht man am Ende den Wald nicht mehr. Es ist wahr: Die Vision des Glaubens umfasst Himmel und Erde; Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, die Ewigkeit und ist darum nie ganz auszuschöpfen. Und doch ist sie in ihrem Kern ganz einfach. Der Herr selber hat ja zum Vater darüber gesagt: „Den Einfachen hast du es offenbaren wollen – denen, die mit dem Herzen sehen können“ (vgl. Mt 11,25). Die Kirche bietet uns ihrerseits eine ganz kleine Summe an, in der alles Wesentliche gesagt ist: das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis. Es wird gewöhnlich in zwölf Artikel eingeteilt – nach der Zahl der Apostel – und handelt von Gott, dem Schöpfer und Anfang aller Dinge, von Christus und seinem Heilswerk bis hin zur Auferstehung der Toten und zum ewigen Leben. Aber in seiner Grundkonzeption besteht das Bekenntnis nur aus drei Hauptstücken, und es ist von seiner Geschichte her nichts anderes als eine Erweiterung der Taufformel, die der auferstandene Herr selber den Jüngern für alle Zeiten übergeben hat, als er ihnen sagte: „Geht hin, lehrt die Völker und tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19).

Wenn wir das sehen, zeigt sich zweierlei: Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott – an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens. An den Gott, der sich auf uns Menschen einlässt, der unsere Herkunft und unsere Zukunft ist. So ist Glaube immer zugleich Hoffnung, Gewissheit, dass wir Zukunft haben und dass wir nicht ins Leere fallen. Und der Glaube ist Liebe, weil Gottes Liebe uns anstecken möchte. Das ist das Erste: Wir glauben einfach an Gott, und das bringt mit sich auch die Hoffnung und die Liebe.

Als zweites können wir feststellen: Das Glaubensbekenntnis ist nicht eine Summe von Sätzen, nicht eine Theorie. Es ist ja verankert im Geschehen der Taufe – in einem Ereignis der Begegnung von Gott und Mensch. Gott beugt sich über uns Menschen im Geheimnis der Taufe; er geht uns entgegen und führt uns so auch zueinander. Denn Taufe bedeutet, dass Jesus Christus uns sozusagen als seine Geschwister und damit als Kinder in die Familie hinein adoptiert. So macht er uns damit alle zu einer großen Familie in der weltweiten Gemeinschaft der Kirche. Ja, wer glaubt, ist nie allein. Gott geht auf uns zu. Gehen auch wir Gott entgegen, dann gehen wir aufeinander zu! Lassen wir keines der Kinder Gottes allein, so weit es in unseren Kräften steht!

Wir glauben an Gott. Das ist unser Grundentscheid. Aber nun noch einmal die Frage: Kann man das heute noch? Ist das vernünftig? Seit der Aufklärung arbeitet wenigstens ein Teil der Wissenschaft emsig daran, eine Welterklärung zu finden, in der Gott überflüssig wird. Und so soll er auch für unser Leben überflüssig werden. Aber sooft man auch meinen konnte, man sei nahe daran, es geschafft zu haben – immer wieder zeigt sich: Das geht nicht auf. Die Sache mit dem Menschen geht nicht auf ohne Gott, und die Sache mit der Welt, dem ganzen weiten Universum, geht nicht auf ohne ihn. Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Schöpfergeist, der alles wirkt und sich entfalten lässt oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im letzten also doch auch etwas Unvernünftiges. Wir Christen sagen: Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde – an den Schöpfer Geist. Wir glauben, dass das ewige Wort, die Vernunft am Anfang steht und nicht die Unvernunft. Mit diesem Glauben brauchen wir uns nicht zu verstecken, mit ihm brauchen wir nicht zu fürchten, uns auf einem Holzweg zu befinden. Freuen wir uns, dass wir Gott kennen dürfen, und versuchen wir, auch anderen die Vernunft des Glaubens zugänglich zu machen, wie es der heilige Petrus den Christen seiner Zeit und so auch uns ausdrücklich in seinem ersten Brief aufgetragen hat (1 Petr 3,15).

Wir glauben an Gott. Das stellen die Hauptteile des Glaubensbekenntnisses heraus, und das betont besonders der erste Teil davon. Aber nun folgt sofort die zweite Frage: An welchen Gott? Nun, eben an den Gott, der Schöpfergeist ist, schöpferische Vernunft, von der alles kommt und von der wir kommen. Der zweite Teil des Glaubensbekenntnisses sagt uns mehr. Diese schöpferische Vernunft ist Güte. Sie ist Liebe. Sie hat ein Gesicht. Gott lässt uns nicht im Dunklen tappen. Er hat sich gezeigt als Mensch. So groß ist er, dass er es sich leisten kann, ganz klein zu werden. „Wer mich sieht, sieht den Vater“, sagt Jesus (Joh 14,9). Gott hat ein menschliches Gesicht angenommen. Er liebt uns bis dahin, dass er sich für uns ans Kreuz nageln lässt, um die Leiden der Menschheit bis an Gottes Herz hinaufzutragen. Heute, wo wir die Pathologien und die lebensgefährlichen Erkrankungen der Religion und der Vernunft sehen, die Zerstörungen des Gottesbildes durch Hass und Fanatismus, ist es wichtig, klar zu sagen, welchem Gott wir glauben und zu diesem menschlichen Antlitz Gottes zu stehen. Erst das erlöst uns von der Gottesangst, aus der letztlich der moderne Atheismus geboren wurde. Erst dieser Gott erlöst uns von der Weltangst und von der Furcht vor der Leere des eigenen Daseins. Erst durch das Hinschauen auf Jesus Christus wird die Freude an Gott voll, wird zur erlösten Freude. Richten wir in dieser festlichen Feier der Eucharistie unseren Blick auf den Herrn, der hier am Kreuz vor uns aufgerichtet ist, und bitten wir ihn um die große Freude, die er in seiner Abschiedsstunde den Jüngern verheißen hat (Joh 16,24).

Der zweite Teil des Bekenntnisses schließt mit dem Ausblick auf das Letzte Gericht und der dritte mit dem der Auferstehung der Toten. Gericht – wird uns da nicht doch wieder Angst gemacht? Aber wollen wir nicht alle, dass einmal all den ungerecht Verurteilten, all denen, die ein Leben lang gelitten haben und aus einem Leben voller Leid in den Tod gehen mussten, dass ihnen allen Gerechtigkeit widerfährt? Wollen wir nicht alle, dass am Ende das Übermaß an Unrecht und Leid, das wir in der Geschichte sehen, sich auflöst; dass alle am Ende froh werden können, dass das Ganze Sinn erhält? Diese Herstellung des Rechts, diese Zusammenfügung der scheinbar sinnlosen Fragmentstücke der Geschichte in ein Ganzes hinein, in dem die Wahrheit und die Liebe regieren: das ist mit dem Weltgericht gemeint. Der Glaube will uns nicht angst machen, aber er will uns zur Verantwortung rufen. Wir dürfen unser Leben nicht verschleudern, nicht missbrauchen, es nicht einfach für uns selber nehmen; Unrecht darf uns nicht gleichgültig lassen, wir dürfen nicht seine Mitläufer oder sogar Mittäter werden. Wir müssen unsere Sendung in der Geschichte wahrnehmen und versuchen, dieser unserer Sendung zu entsprechen. Nicht Angst, aber Verantwortung – Verantwortung und Sorge um unser Heil, um das Heil der ganzen Welt ist notwendig. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Wenn aber Verantwortung und Sorge zu Angst werden möchten, dann erinnern wir uns an das Wort des heiligen Johannes: „Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt. Wenn aber einer sündigt, haben wir einen Anwalt beim Vater: Jesus Christus, den Gerechten“ (1 Joh 2,1). „Wenn unser Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles“ (1 Joh 3,20).

Wir feiern heute das Fest Mariä Namen. So möchte ich all den Frauen, die diesen Namen tragen, meine herzlichen Segenswünsche zu diesem ihrem Festtag aussprechen; meine Mutter und meine Schwester gehören dazu, der Bischof hat es schon gesagt. Maria, die Mutter des Herrn, hat vom gläubigen Volk den Titel Advocata erhalten; sie ist unsere Anwältin bei Gott. So kennen wir sie seit der Hochzeit von Kana: als die gütige, mütterlich sorgende und liebende Frau, die die Not der anderen wahrnimmt und sie zum Herrn hinträgt, um zu helfen. Heute haben wir im Evangelium gehört, wie der Herr sie dem Lieblingsjünger und in ihm uns allen zur Mutter gibt. Die Christen haben zu allen Zeiten dankbar dieses Vermächtnis Jesu aufgenommen und bei der Mutter immer wieder die Geborgenheit und die Zuversicht gefunden, die uns Gottes und unseres Glaubens an Ihn froh werden lässt. Nehmen auch wir Maria als den Stern unseres Lebens an, der uns in die große Familie Gottes hineinführt. Ja, wer glaubt, ist nie allein. Amen.

Vorlesung des Heiligen Vaters: Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen

gehalten bei der Begegnung mit Vertretern der Wissenschaft in der Aula der Universität Regensburg

Eminenzen, Magnifizenzen, Exzellenzen,
verehrte Damen und Herren!

Es ist für mich ein bewegender Augenblick, noch einmal in der Universität zu sein und noch einmal eine Vorlesung halten zu dürfen. Meine Gedanken gehen dabei zurück in die Jahre, in denen ich an der Universität Bonn nach einer schönen Periode an der Freisinger Hochschule meine Tätigkeit als akademischer Lehrer aufgenommen habe. Es war – 1959 – noch die Zeit der alten Ordinarien-Universität. Für die einzelnen Lehrstühle gab es weder Assistenten noch Schreibkräfte, dafür aber gab es eine sehr unmittelbare Begegnung mit den Studenten und vor allem auch der Professoren untereinander. In den Dozentenräumen traf man sich vor und nach den Vorlesungen. Die Kontakte mit den Historikern, den Philosophen, den Philologen und natürlich auch zwischen beiden Theologischen Fakultäten waren sehr lebendig. Es gab jedes Semester einen sogenannten Dies academicus, an dem sich Professoren aller Fakultäten den Studenten der gesamten Universität vorstellten und so ein wirkliches Erleben von Universitas möglich wurde – auf das Sie, Magnifizenz, auch gerade hingewiesen haben – die Erfahrung nämlich, dass wir in allen Spezialisierungen, die uns manchmal sprachlos füreinander machen, doch ein Ganzes bilden und im Ganzen der einen Vernunft mit all ihren Dimensionen arbeiten und so auch in einer gemeinschaftlichen Verantwortung für den rechten Gebrauch der Vernunft stehen – das wurde erlebbar. Die Universität war auch durchaus stolz auf ihre beiden Theologischen Fakultäten. Es war klar, dass auch sie, indem sie nach der Vernunft des Glaubens fragen, eine Arbeit tun, die notwendig zum Ganzen der Universitas scientiarum gehört, auch wenn nicht alle den Glauben teilen konnten, um dessen Zuordnung zur gemeinsamen Vernunft sich die Theologen mühen. Dieser innere Zusammenhalt im Kosmos der Vernunft wurde auch nicht gestört, als einmal verlautete, einer der Kollegen habe geäußert, an unserer Universität gebe es etwas Merkwürdiges: zwei Fakultäten, die sich mit etwas befassten, was es gar nicht gebe – mit Gott. Dass es auch solch radikaler Skepsis gegenüber notwendig und vernünftig bleibt, mit der Vernunft nach Gott zu fragen und es im Zusammenhang der Überlieferung des christlichen Glaubens zu tun, war im Ganzen der Universität unbestritten.

All dies ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich kürzlich den von Professor Theodore Khoury (Münster) herausgegebenen Teil des Dialogs las, den der gelehrte byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte. Der Kaiser hat vermutlich während der Belagerung von Konstantinopel zwischen 1394 und 1402 den Dialog aufgezeichnet; so versteht man auch, dass seine eigenen Ausführungen sehr viel ausführlicher wiedergegeben sind als die seines persischen Gesprächspartners. Der Dialog erstreckt sich über den ganzen Bereich des von Bibel und Koran umschriebenen Glaubensgefüges und kreist besonders um das Gottesund das Menschenbild, aber auch immer wieder notwendigerweise um das Verhältnis der, wie man sagte, „drei Gesetze“ oder „drei Lebensordnungen“: Altes Testament – Neues Testament – Koran. Jetzt, in dieser Vorlesung möchte ich darüber nicht handeln, nur einen – im Aufbau des ganzen Dialogs eher marginalen – Punkt berühren, der mich im Zusammenhang des Themas Glaube und Vernunft fasziniert hat und der mir als Ausgangspunkt für meine Überlegungen zu diesem Thema dient.

In der von Professor Khoury herausgegebenen siebten Gesprächsrunde (διάλεξις – Kontroverse) kommt der Kaiser auf das Thema des Djihād, des heiligen Krieges, zu sprechen. Der Kaiser wusste sicher, dass in Sure 2, 256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist eine der frühen Suren aus der Zeit, wie uns die Kenner sagen, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den heiligen Krieg. Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von „Schriftbesitzern“ und „Ungläubigen“ einzulassen, wendet er sich in erstaunlich schroffer, uns überraschend schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Der Kaiser begründet, nachdem er so zugeschlagen hat, dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. „Gott hat kein Gefallen am Blut“, sagt er, „und nicht vernunftgemäß, nicht ‚σὺν λόγω‘ zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung ... Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann ...“.

Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Herausgeber, Theodore Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, dass Ibn Hazm so weit gehe zu erklären, dass Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und dass nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben.

An dieser Stelle tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst? Ich denke, dass an dieser Stelle der tiefe Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben sichtbar wird. Den ersten Vers der Genesis, den ersten Vers der Heiligen Schrift überhaupt abwandelnd, hat Johannes den Prolog seines Evangeliums mit dem Wort eröffnet: Im Anfang war der Logos. Dies ist genau das Wort, das der Kaiser gebraucht: Gott handelt „σὺν λόγω“, mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft. Johannes hat uns damit das abschließende Wort des biblischen Gottesbegriffs geschenkt, in dem alle die oft mühsamen und verschlungenen Wege des biblischen Glaubens an ihr Ziel kommen und ihre Synthese finden. Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist. Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall. Die Vision des heiligen Paulus, dem sich die Wege in Asien verschlossen und der nächtens in einem Gesicht einen Mazedonier sah und ihn rufen hörte: Komm herüber und hilf uns (Apg 16,6–10) – diese Vision darf als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen gedeutet werden.

Dabei war dieses Zugehen längst im Gang. Schon der geheimnisvolle Gottesname vom brennenden Dornbusch, der diesen Gott aus den Göttern mit den vielen Namen herausnimmt und von ihm einfach das „Ich bin“, das Dasein aussagt, ist eine Bestreitung des Mythos, zu der der sokratische Versuch, den Mythos zu überwinden und zu übersteigen, in einer inneren Analogie steht. Der am Dornbusch begonnene Prozess kommt im Innern des Alten Testaments zu einer neuen Reife während des Exils, wo nun der landlos und kultlos gewordene Gott Israels sich als den Gott des Himmels und der Erde verkündet und sich mit einer einfachen, das Dornbusch-Wort weiterführenden Formel vorstellt: „Ich bin’s.“ Mit diesem neuen Erkennen Gottes geht eine Art von Aufklärung Hand in Hand, die sich im Spott über die Götter drastisch ausdrückt, die nur Machwerke der Menschen seien (vgl. Ps 115). So geht der biblische Glaube in der hellenistischen Epoche bei aller Schärfe des Gegensatzes zu den hellenistischen Herrschern, die die Angleichung an die griechische Lebensweise und ihren Götterkult erzwingen wollten, dem Besten des griechischen Denkens von innen her entgegen zu einer gegenseitigen Berührung, wie sie sich dann besonders in der späten Weisheits-Literatur vollzogen hat. Heute wissen wir, dass die in Alexandrien entstandene griechische Übersetzung des Alten Testaments – die Septuaginta – mehr als eine bloße (vielleicht wenig positiv zu beurteilende) Übersetzung des hebräischen Textes, nämlich ein selbständiger Textzeuge und ein eigener wichtiger Schritt der Offenbarungsgeschichte ist, in dem sich diese Begegnung auf eine Weise realisiert hat, die für die Entstehung des Christentums und seine Verbreitung entscheidende Bedeutung gewann. Zutiefst geht es dabei um die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen rechter Aufklärung und Religion. Manuel II. hat wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des Griechischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht „mit dem Logos“ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.

Hier ist der Redlichkeit halber anzumerken, dass sich im Spätmittelalter Tendenzen der Theologie entwickelt haben, die diese Synthese von Griechischem und Christlichem aufsprengen. Gegenüber dem sogenannten augustinischen und thomistischen Intellektualismus beginnt bei Duns Scotus eine Position des Voluntarismus, die schließlich in den weiteren Entwicklungen dahin führte zu sagen, wir kennten von Gott nur seine Voluntas ordinata. Jenseits davon gebe es die Freiheit Gottes, kraft derer er auch das Gegenteil von allem, was er getan hat, hätte machen und tun können. Hier zeichnen sich Positionen ab, die denen von Ibn Hazm durchaus nahekommen können und auf das Bild eines Willkür-Gottes zulaufen könnten, der auch nicht an die Wahrheit und an das Gute gebunden ist. Die Transzendenz und die Andersheit Gottes werden so weit übersteigert, dass auch unsere Vernunft, unser Sinn für das Wahre und Gute kein wirklicher Spiegel Gottes mehr sind, dessen abgründige Möglichkeiten hinter seinen tatsächlichen Entscheiden für uns ewig unzugänglich und verborgen bleiben. Demgegenüber hat der kirchliche Glaube immer daran festgehalten, dass es zwischen Gott und uns, zwischen seinem ewigen Schöpfergeist und unserer geschaffenen Vernunft eine wirkliche Analogie gibt, in der zwar – wie das Vierte Laterankonzil 1215 sagt – die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten, aber eben doch die Analogie und ihre Sprache nicht aufgehoben werden. Gott wird nicht göttlicher dadurch, dass wir ihn in einen reinen und undurchschaubaren Voluntarismus entrücken, sondern der wahrhaft göttliche Gott ist der Gott, der sich als Logos gezeigt und als Logos liebend für uns gehandelt hat. Gewiss, die Liebe „übersteigt“, wie Paulus sagt, die Erkenntnis und vermag daher mehr wahrzunehmen als das bloße Denken (vgl. Eph 3,19), aber sie bleibt doch Liebe des Gottes-Logos, weshalb christlicher Gottesdienst, wie noch einmal Paulus sagt, „λογικη λατρεία“ ist – Gottesdienst, der im Einklang mit dem ewigen Wort und mit unserer Vernunft steht (vgl. Röm 12,1).

Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt. Wenn man diese Begegnung sieht, ist es nicht verwunderlich, dass das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann.

Der These, dass das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, steht die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums entgegen, die seit dem Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht. Wenn man näher zusieht, kann man drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms beobachten, die zwar miteinander verbunden, aber in ihren Begründungen und Zielen doch deutlich voneinander verschieden sind. Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit den Anliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts verknüpft. Die Reformatoren sahen sich angesichts der theologischen Schultradition einer ganz von der Philosophie her bestimmten Systematisierung des Glaubens gegenüber, sozusagen einer Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm kommendes Denken. Der Glaube erschien dabei nicht mehr als lebendiges geschichtliches Wort, sondern eingehaust in ein philosophisches System. Das Sola Scriptura sucht demgegenüber die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist. Metaphysik erscheint als eine Vorgabe von anderswoher, von der man den Glauben befreien muss, damit er ganz wieder er selber sein könne. In einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren Radikalität hat Kant mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen, aus diesem Programm heraus gehandelt. Er hat dabei den Glauben ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert und ihm den Zugang zum Ganzen der Wirklichkeit abgesprochen.

Die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts brachte eine zweite Welle im Programm der Enthellenisierung mit sich, für die Adolf von Harnack als herausragender Repräsentant steht. In der Zeit, als ich studierte, wie in den frühen Jahren meines akademischen Wirkens war dieses Programm auch in der katholischen Theologie kräftig am Werk. Pascals Unterscheidung zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs diente als Ausgangspunkt dafür. In meiner Bonner Antrittsvorlesung von 1959 habe ich mich damit auseinanderzusetzen versucht und möchte dies alles hier nicht neu aufnehmen. Wohl aber möchte ich wenigstens in aller Kürze versuchen, das unterscheidend Neue dieser zweiten Enthellenisierungswelle gegenüber der ersten herauszustellen. Als Kerngedanke erscheint bei Harnack die Rückkehr zum einfachen Menschen Jesus und zu seiner einfachen Botschaft, die allen Theologisierungen und eben auch Hellenisierungen voraus liege: Diese einfache Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung der Menschheit dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral verabschiedet. Er wird im Letzten als Vater einer menschenfreundlichen moralischen Botschaft dargestellt. Dabei geht es Harnack im Grunde darum, das Christentum wieder mit der modernen Vernunft in Einklang zu bringen, eben indem man es von scheinbar philosophischen und theologischen Elementen wie etwa dem Glauben an die Gottheit Christi und die Dreieinheit Gottes befreie. Insofern ordnet die historisch-kritische Auslegung des Neuen Testaments, wie er sie sah, die Theologie wieder neu in den Kosmos der Universität ein: Theologie ist für Harnack wesentlich historisch und so streng wissenschaftlich. Was sie auf dem Weg der Kritik über Jesus ermittelt, ist sozusagen Ausdruck der praktischen Vernunft und damit auch im Ganzen der Universität vertretbar. Im Hintergrund steht die neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, wie sie in Kants Kritiken klassischen Ausdruck gefunden hatte, inzwischen aber vom naturwissenschaftlichen Denken weiter radikalisiert wurde. Diese moderne Auffassung der Vernunft beruht auf einer durch den technischen Erfolg bestätigten Synthese zwischen Platonismus (Cartesianismus) und Empirismus, um es verkürzt zu sagen. Auf der einen Seite wird die mathematische Struktur der Materie, sozusagen ihre innere Rationalität vorausgesetzt, die es möglich macht, sie in ihrer Wirkform zu verstehen und zu gebrauchen: Diese Grundvoraussetzung ist sozusagen das platonische Element im modernen Naturverständnis. Auf der anderen Seite geht es um die Funktionalisierbarkeit der Natur für unsere Zwecke, wobei die Möglichkeit der Verifizierung oder Falsifizierung im Experiment erst die entscheidende Gewissheit liefert. Das Gewicht zwischen den beiden Polen kann je nachdem mehr auf der einen oder der anderen Seite liegen. Ein so streng positivistischer Denker wie J. Monod hat sich als überzeugten Platoniker bezeichnet.

Dies bringt zwei für unsere Frage entscheidende Grundorientierungen mit sich. Nur die im Zusammenspiel von Mathematik und Empirie sich ergebende Form von Gewissheit gestattet es, von Wissenschaftlichkeit zu sprechen. Was Wissenschaft sein will, muss sich diesem Maßstab stellen. So versuchen dann auch die auf die menschlichen Dinge bezogenen Wissenschaften wie Geschichte, Psychologie, Soziologie, Philosophie sich diesem Kanon von Wissenschaftlichkeit anzunähern. Wichtig für unsere Überlegungen ist aber noch, dass die Methode als solche die Gottesfrage ausschließt und sie als unwissenschaftliche oder vorwissenschaftliche Frage erscheinen lässt. Damit aber stehen wir vor einer Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft, die in Frage gestellt werden muss.

Darauf werde ich zurückkommen. Einstweilen bleibt festzustellen, dass bei einem von dieser Sichtweise her bestimmten Versuch, Theologie „wissenschaftlich“ zu erhalten, vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrig bleibt. Aber wir müssen mehr sagen: Wenn dies allein die ganze Wissenschaft ist, dann wird der Mensch selbst dabei verkürzt. Denn die eigentlich menschlichen Fragen, die nach unserem Woher und Wohin, die Fragen der Religion und des Ethos können dann nicht im Raum der gemeinsamen, von der so verstandenen „Wissenschaft“ umschriebenen Vernunft Platz finden und müssen ins Subjektive verlegt werden. Das Subjekt entscheidet mit seinen Erfahrungen, was ihm religiös tragbar erscheint, und das subjektive „Gewissen“ wird zur letztlich einzigen ethischen Instanz. So aber verlieren Ethos und Religion ihre gemeinschaftsbildende Kraft und verfallen der Beliebigkeit. Dieser Zustand ist für die Menschheit gefährlich: Wir sehen es an den uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft, die notwendig ausbrechen müssen, wo die Vernunft so verengt wird, dass ihr die Fragen der Religion und des Ethos nicht mehr zugehören. Was an ethischen Versuchen von den Regeln der Evolution oder von Psychologie und Soziologie her bleibt, reicht ganz einfach nicht aus.

Bevor ich zu den Schlussfolgerungen komme, auf die ich mit alledem hinaus will, muss ich noch kurz die dritte Enthellenisierungswelle andeuten, die zurzeit umgeht. Angesichts der Begegnung mit der Vielheit der Kulturen sagt man heute gern, die Synthese mit dem Griechentum, die sich in der alten Kirche vollzogen habe, sei eine erste Inkulturation des Christlichen gewesen, auf die man die anderen Kulturen nicht festlegen dürfe. Ihr Recht müsse es sein, hinter diese Inkulturation zurückzugehen auf die einfache Botschaft des Neuen Testaments, um sie in ihren Räumen jeweils neu zu inkulturieren. Diese These ist nicht einfach falsch, aber doch vergröbert und ungenau. Denn das Neue Testament ist griechisch geschrieben und trägt in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift war. Gewiss gibt es Schichten im Werdeprozess der alten Kirche, die nicht in alle Kulturen eingehen müssen. Aber die Grundentscheidungen, die eben den Zusammenhang des Glaubens mit dem Suchen der menschlichen Vernunft betreffen, die gehören zu diesem Glauben selbst und sind seine ihm gemäße Entfaltung.

Damit komme ich zum Schluss. Die eben in ganz groben Zügen versuchte Selbstkritik der modernen Vernunft schließt ganz und gar nicht die Auffassung ein, man müsse nun wieder hinter die Aufklärung zurückgehen und die Einsichten der Moderne verabschieden. Das Große der modernen Geistesentwicklung wird ungeschmälert anerkannt: Wir alle sind dankbar für die großen Möglichkeiten, die sie dem Menschen erschlossen hat und für die Fortschritte an Menschlichkeit, die uns geschenkt wurden. Das Ethos der Wissenschaftlichkeit – Sie haben es angedeutet, Magnifizenz – ist im Übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung, die zu den wesentlichen Entscheiden des Christlichen gehört. Nicht Rücknahme, nicht negative Kritik ist gemeint, sondern um Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs geht es. Denn bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen, und müssen uns fragen, wie wir ihrer Herr werden können. Wir können es nur, wenn Vernunft und Glaube auf neue Weise zueinander finden; wenn wir die selbstverfügte Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare überwinden und der Vernunft ihre ganze Weite wieder eröffnen. In diesem Sinn gehört Theologie nicht nur als historische und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren weiten Dialog der Wissenschaften hinein.

Nur so werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen fähig, dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluss des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen. Dabei trägt, wie ich zu zeigen versuchte, die moderne naturwissenschaftliche Vernunft mit dem ihr innewohnenden platonischen Element eine Frage in sich, die über sie und ihre methodischen Möglichkeiten hinausweist. Sie selber muss die rationale Struktur der Materie wie die Korrespondenz zwischen unserem Geist und den in der Natur waltenden rationalen Strukturen ganz einfach als Gegebenheit annehmen, auf der ihr methodischer Weg beruht. Aber die Frage, warum dies so ist, die besteht doch und muss von der Naturwissenschaft weitergegeben werden an andere Ebenen und Weisen des Denkens – an Philosophie und Theologie. Für die Philosophie und in anderer Weise für die Theologie ist das Hören auf die großen Erfahrungen und Einsichten der religiösen Traditionen der Menschheit, besonders aber des christlichen Glaubens, eine Erkenntnisquelle, der sich zu verweigern eine unzulässige Verengung unseres Hörens und Antwortens wäre. Mir kommt da ein Wort des Sokrates an Phaidon in den Sinn. In den vorangehenden Gesprächen hatte man viele falsche philosophische Meinungen berührt, und nun sagt Sokrates: Es wäre wohl zu verstehen, wenn einer aus Ärger über so viel Falsches sein übriges Leben lang alle Reden über das Sein hasste und schmähte. Aber auf diese Weise würde er der Wahrheit des Seienden verlustig gehen und einen sehr großen Schaden erleiden. Der Westen ist seit langem von dieser Abneigung gegen die grundlegenden Fragen seiner Vernunft bedroht und könnte damit einen großen Schaden erleiden. Mut zur Weite der Vernunft, nicht Absage an ihre Größe – das ist das Programm, mit dem eine dem biblischen Glauben verpflichtete Theologie in den Disput der Gegenwart eintritt. „Nicht vernunftgemäß, nicht mit dem Logos handeln ist dem Wesen Gottes zuwider“, hat Manuel II. von seinem christlichen Gottesbild her zu seinem persischen Gesprächspartner gesagt. In diesen großen Logos, in diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein. Sie selber immer wieder zu finden, ist die große Aufgabe der Universität.

Anmerkung: Der Heilige Vater hat sich vorbehalten, diesen Text später mit Anmerkungen versehen zu veröffentlichen. Die vorliegende Fassung ist also als vorläufig zu betrachten.

Predigt bei der Ökumenische Vesper im Dom zu Regensburg

'Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir sind versammelt, Orthodoxe, Katholiken und evangelische Christen – und jüdische Freunde sind mit uns –, um gemeinsam das Abendlob Gottes zu singen, dessen Herzstück die Psalmen sind, in denen sich Alter und Neuer Bund vereinigen, unser Gebet sich mit dem glaubenden und hoffenden Israel verbindet. Dies ist eine Stunde der Dankbarkeit dafür, dass wir so miteinander die Psalmen beten dürfen und aus der Zuwendung zum Herrn hin zugleich ein werden miteinander.

Ganz herzlich möchte ich zunächst die Teilnehmer an dieser Vesper begrüßen, die aus der orthodoxen Kirche kommen. Ich betrachte es immer als ein großes Geschenk der Vorsehung, dass ich als Professor in Bonn in zwei jungen Archimandriten, den späteren Metropoliten Stylianos Harkianakis und Damaskinos Papandreou, die orthodoxe Kirche sozusagen persönlich, in Personen kennenund so liebenlernen durfte. In Regensburg kamen dank der Initiativen von Bischof Graber neue Begegnungen hinzu: bei den Symposien auf dem Spindlhof und durch die Stipendiaten, die hier studiert haben. Ich freue mich, manch vertraute Gesichter wiedersehen zu dürfen und alte Freundschaften neu belebt zu finden. Ich wenigen Tagen wird in Belgrad der theologische Dialog wieder aufgenommen werden über das Grundthema der Koinonia, der Gemeinschaft – in den zwei Dimensionen, die uns der erste Johannes-Brief gleich zu Beginn im ersten Kapitel benennt: Unsere Koinonia ist zunächst Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist; sie ist die vom Herrn durch seine Menschwerdung und die Geistsendung ermöglichte Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott selbst. Diese Gottesgemeinschaft schafft dann auch die Koinonia untereinander, als Teilhabe am Glauben der Apostel und so als Gemeinschaft im Glauben, die sich in der Eucharistie verleiblicht und über alle Grenzen hin die eine Kirche baut (vgl. 1 Joh 1,3). Ich hoffe und bete, dass diese Gespräche fruchtbar sind und dass die uns verbindende Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, die Gemeinschaft in dem von den Aposteln überlieferten Glauben sich vertieft und zu jener vollen Einheit reift, an der die Welt erkennen kann, dass Jesus Christus wahrhaft der Gesandte Gottes, Gottes Sohn ist, der Heiland der Welt (vgl. Joh 17,21). „Damit die Welt glaube“, müssen wir eins sein: Der Ernst dieses Auftrags muss unseren Dialog beseelen.

Ganz herzlich begrüße ich auch die Freunde aus den verschiedenen Traditionen der Reformation. Auch da werden in mir viele Erinnerungen wach – Erinnerungen an Freunde aus dem Jäger-Stählin-Kreis, die heimgegangen sind; mit diesen Erinnerungen verbindet sich die Dankbarkeit für die Begegnungen dieser Stunde. Ich denke natürlich ganz besonders an das Ringen um den Rechtfertigungskonsens mit all seinen Phasen bis hin zu der denkwürdigen Begegnung mit dem heimgegangenen Bischof Hanselmann hier in Regensburg, die wesentlich dazu beitragen durfte, zur gemeinsamen Antwort zu finden. Ich freue mich, dass inzwischen auch der „Weltrat der methodistischen Kirchen“ sich diesem Konsens angeschlossen hat. Der Rechtfertigungskonsens bleibt eine große und – wie ich meine – noch nicht recht eingelöste Verpflichtung für uns: Rechtfertigung ist ein wesentliches Thema in der Theologie, aber im Leben der Gläubigen heute kaum anwesend, wie mir scheint. Auch wenn durch die dramatischen Ereignisse der Gegenwart das Thema der Vergebung untereinander wieder seine volle Dringlichkeit zeigt – dass wir zuallererst die Vergebung von Gott her, die Gerechtmachung durch ihn brauchen, das steht kaum im Bewusstsein. Dass wir Gott gegenüber ernstlich in Schulden sind, dass Sünde eine Realität ist, die nur von Gott her überwunden werden kann: das ist dem modernen Bewusstsein weithin fremd geworden. Im letzten steht eine Abschwächung unseres Gottesverhältnisses hinter diesem Verblassen des Themas der Rechtfertigung und der Vergebung der Sünden. So wird es wohl unsere allererste Aufgabe sein, den lebendigen Gott wieder in unserem Leben und in unserer Zeit und Gesellschaft neu zu entdecken.

Hören wir nun mit dieser Absicht dem zu, was der heilige Johannes uns eben in der Lesung sagen wollte. Ich möchte drei Aussagen dieses vielschichtigen und reichen Textes besonders unterstreichen. Das Zentralthema des ganzen Briefes erscheint im Vers 15: „Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott.“ Johannes stellt hier noch einmal, wie zuvor schon in den Versen 2 und 3 des vierten Kapitels, das Bekenntnis, die Confessio heraus, die uns überhaupt als Christen unterscheidet: den Glauben daran, dass Jesus der im Fleisch gekommene Sohn Gottes ist. „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“, heißt es am Ende des Prologs zum vierten Evangelium (Joh 1,18). Wer Gott ist, wissen wir durch Jesus Christus: den einzigen, der Gott ist. In die Berührung mit Gott kommen wir durch ihn. In der Zeit der multireligiösen Begegnungen sind wir leicht versucht, dieses zentrale Bekenntnis etwas abzuschwächen oder gar zu verstecken. Aber damit dienen wir der Begegnung nicht und nicht dem Dialog. Damit machen wir Gott nur unzugänglicher, für die anderen und für uns selbst. Es ist wichtig, dass wir unser Gottesbild ganz und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen. Damit wir es können, muss unsere eigene Gemeinschaft mit Christus, unsere Liebe zu ihm wachsen und tiefer werden. In diesem gemeinsamen Bekenntnis und in dieser gemeinsamen Aufgabe gibt es keine Trennung zwischen uns. Dass dieser gemeinsame Grund immer stärker werde, darum wollen wir beten.

Damit sind wir schon mitten in dem zweiten Punkt, den ich ansprechen wollte. Er kommt im Vers 14 zur Sprache, wo es heißt: „Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.“ Das Zentralwort dieses Satzes heißt: μαρτυρου μεν – wir bezeugen, wir sind Zeugen. Das Bekenntnis muss Zeugnis werden. In dem zugrunde liegenden Wort μάρτυς klingt auf, dass der Zeuge Jesu Christi mit seiner ganzen Existenz, mit Leben und Sterben für sein Zeugnis eintritt. Der Verfasser des Briefes sagt von sich: „Wir haben gesehen.“ Weil er gesehen hat, kann er Zeuge sein. Er setzt aber voraus, dass auch wir – die nachfolgenden Generationen – sehend zu werden vermögen und dass auch wir als Sehende Zeugnis ablegen können. Bitten wir den Herrn, dass er uns sehend macht. Helfen wir uns gegenseitig zum Sehen, damit wir auch die Menschen unserer Zeit sehend machen können und dass sie durch die ganze selbst gemachte Welt hindurch Gott wieder erkennen können; durch alle historischen Barrieren hindurch Jesus wieder wahrnehmen dürfen, den von Gott gesandten Sohn, in dem wir den Vater sehen. Im Vers 9 heißt es, dass Gott den Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir leben. Können wir nicht heute sehen, dass erst durch die Begegnung mit Jesus Christus das Leben wirklich Leben wird? Zeuge für Jesus Christus sein bedeutet vor allem auch: Zeuge für eine Weise des Lebens sein. In einer Welt voller Verwirrung müssen wir wieder Zeugnis geben von den Maßstäben, die Leben zu Leben machen. Dieser großen gemeinsamen Aufgabe aller Glaubenden müssen wir uns mit großer Entschiedenheit stellen: Es ist die Verantwortung der Christen in dieser Stunde, jene Maßstäbe rechten Lebens sichtbar zu machen, die uns in Jesus Christus aufgegangen sind, der alle Worte der Schrift in seinem Weg vereinigt hat: „Auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7).

Damit sind wir bei dem dritten Stichwort angekommen, das ich aus dieser Lesung hervorheben wollte: Agape – Liebe. Dies ist das Leitwort des ganzen Briefes und besonders des Abschnitts, den wir eben gehört haben. Agape, Liebe, wie Johannes sie lehrt, ist nichts Sentimentales und nichts Verstiegenes; sie ist ganz nüchtern und realistisch. Ein wenig darüber habe ich in meiner Enzyklika „Deus caritas est“ zu sagen versucht. Die Agape, die Liebe ist wirklich die Summe von Gesetz und Propheten. Alles ist in ihr „eingefaltet“, muss aber im Alltag immer neu entfaltet werden. Im Vers 16 unseres Textes findet sich das wundervolle Wort: „Wir haben der Liebe geglaubt.“ Ja, der Liebe kann der Mensch glauben. Bezeugen wir unseren Glauben so, dass er als Kraft der Liebe erscheint, „damit die Welt glaube“ (Joh 17,21). Amen.

Mittwoch, 13. September

Grußwort bei der Einweihung der neuen Orgel in der Alten Kapelle von Regensburg

Liebe Freunde!

Dieses altehrwürdige Gotteshaus, die Basilika Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle, ist prachtvoll renoviert – wir sehen es – und erhält mit dem heutigen Tag eine neue Orgel, die in dieser Stunde gesegnet und so feierlich ihrem Zweck, der Verherrlichung Gottes und der Auferbauung des Glaubens, übergeben wird.

Von einem Kanoniker dieses Stiftes, Carl Joseph Proske, gingen im 19. Jahrhundert wesentliche Impulse zur Erneuerung der Kirchenmusik aus. Der gregorianische Choral und die altklassische Vokalpolyphonie wurden in den liturgischen Ablauf integriert. Die Pflege der liturgischen Kirchenmusik in der Alten Kapelle war von überregionaler Bedeutung und machte Regensburg zu einem Zentrum der kirchenmusikalischen Reformbewegung, deren Auswirkung bis in die Gegenwart reicht.

In der Liturgie-Konstitution des II. Vaticanums (Sacrosanctum Concilium) wird verdeutlicht, dass „der mit dem Wort verbundene gottesdienstliche Gesang ein notwendiger und integrierender Bestandteil der feierlichen Liturgie ist“ (vgl. Nr. 112). Das bedeutet, dass Musik und Gesang mehr sind als eine (auch überflüssige) Zierde des Gottesdienstes. Sie gehören zum Vollzug der Liturgie, ja, sie sind selbst Liturgie. Feierliche Kirchenmusik mit Chor, Orgel, Orchester und Volksgesang ist also keine die Liturgie umrahmende und verschönende Zutat, sondern eine wichtige Weise tätiger Teilnahme am gottesdienstlichen Geschehen. Die Orgel wird seit alters und zu Recht als die Königin der Instrumente bezeichnet, weil sie alle Töne der Schöpfung aufnimmt und – es wurde gesagt – die Fülle des menschlichen Empfindens von der Freude bis zur Traurigkeit, vom Lob bis zur Klage zum Schwingen bringt. Darüber hinaus weist sie, wie alle gute Musik, über das Menschliche hinaus auf das Göttliche hin. Die Vielfalt ihrer Klangfarben, vom Leisen bis zum überwältigenden Fortissimo, erhebt sie über alle anderen Instrumente. Alle Bereiche des menschlichen Seins kann sie zum Klingen bringen. Die vielfältigen Möglichkeiten der Orgel mögen uns irgendwie an die Unbegrenztheit und Herrlichkeit Gottes erinnern.

Im Psalm 150, den wir eben gehört und innerlich mitgebetet haben, werden Hörner und Flöten, Harfen und Zithern, Zimbeln und Pauken genannt, all diese Instrumente sollen zum Lob des dreifaltigen Gottes beitragen. In einer Orgel müssen die vielen Pfeifen und die Register eine Einheit bilden. Klemmt es hier oder dort, ist eine Pfeife verstimmt, dann ist dies zunächst vielleicht nur für ein geübtes Ohr vernehmbar. Sind mehrere Pfeifen nicht mehr richtig gestimmt, gibt es Disharmonien, und es wird unerträglich. Auch die Pfeifen dieser Orgel sind Temperaturschwankungen und Ermüdungseinflüssen ausgesetzt. Das ist ein Bild für unsere Gemeinschaft. Wie in der Orgel eine berufene Hand immer wieder die Disharmonien zum rechten Klang vereinen muss, so müssen wir auch in der Kirche in der Vielfalt der Gaben und der Charismen immer neu durch die Gemeinschaft des Glaubens den Einklang im Lob Gottes und in der geschwisterlichen Liebe finden. Je mehr wir uns durch die Liturgie in Christus verwandeln lassen, umso mehr werden wir fähig sein, auch die Welt zu verwandeln, indem wir die Güte, die Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit Christi ausstrahlen.

Die großen Komponisten haben je auf ihre Weise mit ihrer Musik letztlich Gott verherrlichen wollen. Johann Sebastian Bach hat viele seiner Partituren mit den Buchstaben S.D.G. überschrieben; Soli Deo Gloria – Gott allein die Ehre. Und Anton Bruckner setzte den Satz voraus: Dem lieben Gott gewidmet. Mögen alle Besucher dieser herrlichen Basilika von der Pracht dieses Bauwerkes über die Liturgie mit dem Wohlklang der neuen Orgel und dem festlichen Gesang zur Freude am Glauben geführt werden. Das ist mein Wunsch am Tag der Einweihung dieser neuen Orgel.

Gebet des Heiligen Vaters

Großer Gott,
du willst, dass wir Menschen dir
in der Freude des Herzens dienen.
Deshalb lassen wir Musik und Instrumente zu deinem Lob erklingen.
Du hast deinem Diener Mose
den Auftrag gegeben,
Posaunen anzufertigen,
damit sie bei der Feier des Opfers erschallen. Mit Flöten und Harfenklang
hat das auserwählte Volk
dir seine Loblieder gesungen.
Dein Sohn ist Mensch geworden
und hat jenen Lobgesang
auf diese Erde gebracht,
der im Himmel durch alle Ewigkeit erklingt. Der Apostel mahnt uns,
dir aus vollem Herzen zu singen
und zu jubeln.
In dieser festlichen Stunde bitten wir dich: Segne a diese Orgel,
damit sie zu deiner Ehre ertöne
und unsere Herzen emporhebe zu dir.
Wie die vielen Pfeifen
sich in einem Klang vereinen,
so lass uns als Glieder deiner Kirche
in gegenseitiger Liebe
und Brüderlichkeit verbunden sein,
damit wir einst mit allen Engeln und Heiligen in den ewigen Lobgesang
deiner Herrlichkeit einstimmen.
Das gewähre uns durch Christus,
unseren Herrn.
Amen.

Donnerstag, 14. September

Ansprache bei der Begegnung mit Priestern und Diakonen aus der Erzdiözese München und Freising im Freisinger Mariendom

Liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder!

Dies ist für mich ein Augenblick der Freude und einer großen Dankbarkeit, Dankbarkeit für alles, was ich auf diesem Pastoralbesuch in Bayern erleben und empfangen durfte: So viel Herzlichkeit, so viel Glaube, so viel Freude an Gott, dass es mich tief getroffen hat und als neue Kraft mit mir geht.

Dankbarkeit dann besonders dafür, dass ich nun am Ende noch in den Freisinger Dom zurückkehren durfte und dass ich ihn in seiner leuchtenden neuen Gestalt sehen darf. Dank Kardinal Wetter, Dank den anderen beiden bayerischen Bischöfen, Dank aber allen, die mitgearbeitet haben, Dank der Vorsehung, die die Renovierung des Domes ermöglicht hat, der nun in dieser neuen Schönheit dasteht.

Jetzt, da ich in diesem Dom stehe, steigen so viele Erinnerungen in mir wieder auf, auch wenn ich die alten Weggefährten sehen darf, und die jungen Priester, die die Botschaft, die Fackel des Glaubens, weitertragen.

Es tauchen Erinnerungen daran auf – Kardinal Wetter hat es eben schon angedeutet –, wie ich hier bei der Priesterweihe auf dem Boden hingestreckt lag und gleichsam eingehüllt in die Allerheiligenlitanei, in die Bitte aller Heiligen, wusste, dass wir auf diesem Weg nicht allein sind, sondern dass die große Schar der Heiligen mit uns geht und dass die lebendigen Heiligen, die Gläubigen von heute und von morgen, uns mittragen und begleiten. Dann der Augenblick der Handauflegung ... und schließlich, als Kardinal Faulhaber uns das Wort Jesu zurief: „Iam non dico vos servos sed amicos“ – „Ich nenne Euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde“, da habe ich Priesterweihe erfahren als Einweihung in die Gemeinschaft der Freunde Jesu, die gerufen sind, mit ihm zu sein und seine Botschaft zu verkünden.

Erinnerung dann daran, dass ich hier selbst Priester und Diakone weihen durfte, die nun im Dienst des Evangeliums stehen und die Botschaft durch viele Jahre hindurch – und es sind jetzt schon Jahrzehnte! – weitergetragen haben und immer noch weitertragen.

Und dann denke ich natürlich an die Korbinian-Prozessionen. Damals war es noch so, dass man den Schrein öffnete. Und da der Bischof hinter dem Schrein stand, konnte ich direkt auf den Schädel des heiligen Korbinian schauen und mich in der Prozession der Jahrhunderte sehen, die den Weg des Glaubens geht – sehen, dass wir in dieser großen „Prozession aller Zeiten“ mitgehen dürfen und sie fortführen in die Zukunft hinein, was ganz deutlich wurde, wenn der Weg durch den Kreuzgang und an den vielen dort versammelten Kindern vorbeiführte, denen ich das Segenskreuz aufdrücken durfte.

In diesem Augenblick spüren wir es wieder, dass wir in der großen Prozession, in der Pilgerschaft des Evangeliums stehen, dass wir zugleich Pilger und Pilgerführer sein dürfen und dass wir denen nachgehen, die Christus nachgegangen sind, mit ihnen ihm selbst nachgehen und so ins Licht hineingehen.

Jetzt sollte ich zur eigentlichen Predigt kommen, und da möchte ich nur auf zwei Punkte näher eingehen. Der eine bezieht sich auf das eben gehörte Evangelium, das wir alle so oft gehört und ausgelegt und in unserem Herzen betrachtet haben. „Die Ernte ist groß“, sagt der Herr, und wenn er sagt, „...ist groß“, dann meint er es nicht nur für jenen Augenblick und für die Wege Palästinas, über die er in seinem Erdenleben pilgerte, dann gilt das auch für heute. Das heißt: In den Herzen der Menschen wächst Ernte. Das heißt, noch einmal: In ihnen ist das Warten auf Gott da. Das Warten auf eine Weisung, die Licht ist, die den Weg zeigt. Das Warten auf ein Wort, das mehr ist als Wort. Das Hoffen, das Warten auf die Liebe, die über den Augenblick hinaus uns ewig trägt und empfängt. Die Ernte ist groß und wartet in allen Generationen auf Ernteleute. Und in unterschiedlicher Weise gilt in allen Generationen auch immer das andere Wort: „Der Arbeiter sind wenige.“

„Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sendet!“ Das bedeutet: Die Ernte ist da, aber Gott will sich der Menschen bedienen, damit sie eingebracht werde. Gott braucht Menschen. Er braucht solche, die sagen: Ja, ich bin bereit, dein Erntearbeiter zu werden, ich bin bereit zu helfen, dass diese Ernte, die in den Menschen reift, wirklich in die Scheunen der Ewigkeit eingehen und Gottes ewige Gemeinschaft der Freude und der Liebe werden kann.

„Bittet den Herrn der Ernte!“ Das will auch sagen: Wir können Berufungen nicht einfach „machen“, sie müssen von Gott kommen. Wir können nicht, wie vielleicht in anderen Berufen, durch gezieltes Management, entsprechende Strategien sozusagen, einfach Leute rekrutieren. Die Berufung muss immer den Weg vom Herzen Gottes aus zum Herzen des Menschen finden. Und trotzdem: Gerade, damit sie im Herzen der Menschen ankommen kann, ist auch unser Mittun gefordert. Den Herrn der Ernte darum bitten, das bedeutet gewiss zuallererst, dass wir darum beten, dass wir an seinem Herzen rütteln und sagen: „Tu es doch! Wecke die Menschen auf! Entzünde in ihnen die Begeisterung, die Freude für das Evangelium und die Freude daran! Lass sie erkennen, dass es der Schatz über allen Schätzen ist und dass, wer es entdeckt hat, es weitergeben muss!“

Wir rütteln am Herzen Gottes. Aber Gott bitten geschieht eben nicht nur in den Gebetsworten, sondern darin, dass Gebet Tun wird, dass aus unseren betenden Herzen dann der Funke der Freude an Gott, der Freude am Evangelium, der Bereitschaft zum „Ja-Sagen“ in die anderen Herzen überspringt. Als betende Menschen, als von seinem Licht Erfüllte, kommen wir zu den anderen, ziehen sie in unser Gebet und so in die Gegenwart Gottes hinein, der dann das Seine tut.

In diesem Sinn wollen wir immer neu den Herrn der Ernte bitten, an seinem Herzen rütteln und mit ihm in unserem Gebet auch die Herzen der Menschen anrühren, dass Gott nach seinem Willen darin das „Ja“ reifen lasse, die Bereitschaft; und dann die Beständigkeit, durch all die Wirrnisse der Zeit, durch die Hitze des Tages und durch das Dunkel der Nacht treu in seinem Dienst zu bleiben und von ihm her immer wieder zu erkennen – auch wenn es mühselig ist –, dass diese Mühsal schön ist, dass sie nützlich ist, weil sie zum Eigentlichen hilft, dass nämlich Menschen das empfangen, worauf sie bauen: Gottes Licht und Gottes Liebe.

Der zweite Punkt, den ich behandeln möchte, ist eine ganz praktische Frage. Die Zahl der Priester ist geringer geworden, auch wenn wir in diesem Augenblick sehen dürfen, dass es uns wirklich gibt, dass auch heute junge und alte Priester da sind, und dass junge Menschen vorhanden sind, die sich auf den Weg zum Priestertum machen. Aber die Lasten sind schwerer geworden. Zwei, drei, vier Pfarreien zusammen zu betreuen und dies mit all den neuen Aufgaben, die hinzugekommen sind, das kann entmutigend sein. Immer wieder wird die Frage an mich herangetragen, jeder Einzelne stellt sie sich, stellt sie seinen Mitbrüdern: Wie sollen wir denn das machen? Ist das nicht ein Beruf, der uns ausbrennt, in dem wir am Ende eben keine Freude mehr haben können, weil wir sehen, dass es rundherum nicht reicht, was wir auch tun mögen? All das überfordert uns! Was soll man dazu sagen?

Nun, ich kann natürlich keine Patentrezepte geben, aber ich möchte doch ein paar Grundregeln vermitteln. Die erste nehme ich aus dem Philipperbrief (vgl. 2,5–8), wo der heilige Paulus allen – und natürlich ganz besonders denen, die im Erntefeld Gottes arbeiten – sagt, dass wir „die Gesinnung Jesu Christi“ haben sollen. Seine Gesinnung war es, dass er es angesichts des Menschenschicksals in seiner Herrlichkeit gleichsam nicht mehr aushielt, sondern heruntersteigen und das Unglaubliche, die ganze Armseligkeit eines menschlichen Lebens annehmen musste bis in die Stunde des Kreuzesleidens hinein. Das ist die Gesinnung Jesu Christi: sich gedrängt fühlen, zu den Menschen das Licht des Vaters zu bringen, ihnen zu helfen, damit Reich Gottes aus ihnen und in ihnen werde. Und die Gesinnung Jesu Christi ist es zugleich, dass er immer zutiefst in der Gemeinschaft mit dem Vater verwurzelt, in sie eingesenkt ist. Wir sehen es sozusagen äußerlich daran, dass die Evangelisten uns immer wieder erzählen, dass er sich auf den Berg zurückzieht, er allein, um zu beten. Sein Wirken kommt aus dem Eingesenktsein in den Vater: Gerade dieses Eingesenktsein in den Vater bedeutet, dass er herausgehen und durch alle Dörfer und Städte ziehen muss, um Gottes Reich, das heißt seine Gegenwart, sein „Dasein“ mitten unter uns zu verkündigen, damit es in uns Gegenwart werde und durch uns die Welt verwandle, damit sein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, und der Himmel auf die Erden komme.

Diese beiden Aspekte gehören zur Gesinnung Jesu Christi: Einerseits Gott von innen her kennen, Christus von innen her kennen, mit ihm beieinander sein. Nur wenn das gegeben ist, entdecken wir den „Schatz“ wirklich. Und dann müssen wir andererseits auch zu den Menschen gehen, dann können wir ihn nicht für uns behalten und müssen ihn weitergeben.

Diese Grundregel der Gesinnung Jesu Christi mit ihren beiden Seiten würde ich dann ins Praktische noch einmal umsetzen und sagen: Es muss das Miteinander von Eifer und Demut, das heißt der Anerkennung der eigenen Grenzen, geben. Einerseits der Eifer: Wenn wir Christus wirklich immer neu begegnen, können wir ihn nicht für uns behalten. Dann drängt es uns, zu den Armen, zu den Alten, zu den Schwachen und ebenso auch zu den Kindern und zu den Jugendlichen, zu den Menschen auf der Höhe ihres Lebens zu gehen. Dann drängt es uns, „Evangelisten“, Apostel Jesu Christi zu sein. Aber dieser Eifer, damit er nicht leer wird und uns zerstört, muss sich mit der Demut, der Bescheidung, mit der Annahme unserer Grenzen verbinden.

So vieles müsste getan werden – ich sehe, ich kann es nicht. Das gilt für die Pfarrer – ich ahne wenigstens, wie sehr –, das gilt auch für den Papst; der sollte so viel tun! Und meine Kräfte reichen einfach nicht dafür aus. So muss ich lernen, das zu tun, was ich kann, und das andere Gott und den Mitarbeitern zu überlassen und zu sagen: „Am Ende musst es ja Du machen, denn die Kirche ist Deine Kirche. Und du gibst mir nur so viel Kraft, wie ich eben habe. Sie sei Dir geschenkt, denn sie kommt von Dir. Aber das andere überlasse ich eben dir.“ Ich glaube, diese Demut, das anzunehmen – „Hier hört meine Kraft auf, ich überlasse es Dir, Herr, dass Du das andere tust“ – diese Demut ist entscheidend. Und dann darauf vertrauen: Er wird mir auch Mitarbeiter schenken, die weiterhelfen und die tun, was ich nicht kann.

Und noch einmal, auf eine dritte Ebene „übersetzt“, heißt dieses Miteinander von Eifer und Bescheidung dann auch das Miteinander von Dienst in all seinen Dimensionen und von Innerlichkeit. Wir können den anderen nur dienen, wir können nur geben, wenn wir auch selbst empfangen, wenn wir selber nicht leer werden. Und darum gibt uns die Kirche gleichsam die Freiräume vor, die einerseits Räume dieses neuen inneren „Ausund Einatmens“ und andererseits zugleich Mittelpunkt und Quellgründe des Dienens sind.

Da ist zunächst die tägliche Feier der Heiligen Messe: Vollziehen wir sie nicht wie etwas, das eben „dran ist“ und das ich halt „machen muss“, sondern feiern wir sie von innen her! Geben wir uns in die Worte, in die Handlungen, in das Geschehen hinein, das da wahr ist! Wenn wir die Messe betend feiern, wenn wir dieses „Dies ist mein Leib“ wirklich aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus heraus sprechen, der uns die Hände aufgelegt hat und uns ermächtigt hat, mit diesem seinem Ich zu sprechen, wenn wir glaubend und betend von innen her Eucharistie begehen, dann ist sie nicht eine äußere Pflicht, dann ist die „ars celebrandi“ von selbst da, die eben darin besteht, es vom Herrn her und mit ihm und so recht für die Menschen zu tun. Dann werden wir dabei selbst immer neu beschenkt und bereichert, und geben zugleich das, was mehr ist als unser Eigenes, die Gegenwart des Herrn, an die Menschen weiter.

Der andere Freiraum, den uns die Kirche sozusagen auflegt und dadurch auch befreiend vorgibt, ist das Stundengebet. Versuchen wir, es wirklich mitzubeten, mitzubeten mit dem Israel des Alten und des Neuen Bundes, mitzubeten mit den Betern aller Jahrhunderte, mitzubeten mit Jesus Christus als dem tiefsten Ich, dem tiefsten Subjekt dieser Gebete. Und indem wir so beten, nehmen wir auch die anderen Menschen, die dafür nicht Zeit oder Kraft oder Fähigkeit haben, ins Beten hinein. Wir selber als betende Menschen beten stellvertretend auch für die anderen und tun damit einen pastoralen Dienst ersten Grades. Dies ist nicht ein Rückzug ins Private, sondern dies ist eine pastorale Priorität, dies ist ein seelsorgliches Tun, in dem wir selber neu Priester werden, neu von Christus angefüllt werden, die anderen in die betende Kirche hineinnehmen und zugleich die Kraft des Gebetes, die Gegenwart Jesu Christi, hineinströmen lassen in diese Welt.

Das Motto dieser Tage hat gelautet: „Wer glaubt, ist nie allein!“ Dieses Wort gilt und soll gelten gerade auch für uns Priester, für jeden von uns. Und wieder gilt es in einem doppelten Sinn. Wer Priester ist, ist nie allein, weil Jesus Christus immer bei ihm ist. Er ist bei uns; seien wir auch bei ihm! Aber es muss auch in dem anderen Sinn gelten: Wer Priester wird, wird in ein Presbyterium hineingefügt, in eine Gemeinschaft von Priestern mit dem Bischof. Und er ist Priester im Mitsein mit seinen Mitbrüdern. Mühen wir uns darum, dass dies nicht nur eine theologische und juristische Figur bleibt, sondern dass es für jeden von uns erfahrbar wird. Schenken wir uns dieses Mitsein, gerade denen, von denen wir wissen, dass sie unter Einsamkeit leiden, dass Fragen und Nöte auf sie hereinstürzen, vielleicht Zweifel und Ungewissheit! Schenken wir uns dieses Mitsein, dann werden wir in diesem Mitsein mit dem anderen, mit den anderen umso mehr und umso freudiger immer neu auch das Mitsein Jesu Christi erleben. Amen! Dies ist die Ansprache, die Papst Benedikt XVI. am Donnerstag, 14. September 2006, im Freisinger Mariendom vor Priestern und Diakonen gehalten hat.

Da der Papst ausdrücklich auch auf den ursprünglich vorgesehenen Text hingewiesen hat, wird auch dieser im Wortlaut dokumentiert.

Text der ursprünglich geplanten Ansprache des Heiligen Vaters

Verehrte Mitbrüder im Bischofsund im Priesteramt,
liebe Ständige Diakone!

Dieses ist im Programm die letzte Begegnung vor meiner Abreise aus meinem geliebten Bayern, und ich bin sehr froh, dass sie mit Euch, liebe Priester und Diakone, den lebendigen und erwählten Steinen der Kirche, stattfindet. Einen brüderlichen Gruß richte ich an Kardinal Friedrich Wetter für seine herzlichen Worte, mit denen er die Gefühle von Euch allen zum Ausdruck gebracht hat, die Ihr Euch hier versammelt habt: Herzlichen Dank! Wenn ich hier in diesem herrlichen Freisinger Dom den Blick umherschweifen lasse, kommen mir viele Erinnerungen in den Sinn aus all den Jahren, in denen mein Weg zum Priestertum und dann die Ausübung des Amtes mit diesem Ort verbunden waren. Und wenn ich an die Generationen von Gläubigen denke, die vom Eintreffen der ersten Missionare an im Laufe der Geschichte diesem Land seine christliche Prägung verliehen haben, indem sie uns den Schatz unseres Glaubens überlieferten, dann danke ich Gott aus tiefstem Herzen. Der „Herr der Ernte“ hat es diesem Land im Laufe der Jahrhunderte nie an „Arbeitern“, an Dienern des Wortes und des Altares fehlen lassen, durch die er selbst unsere Vorfahren auf den irdischen Wegen stärken und zur ewigen Heimat führen wollte. Diesen Dienst haben heute wir zu erfüllen, liebe Mitbrüder, und ich freue mich, jetzt als Bischof von Rom bei Euch zu sein, um Euch in Liebe zu ermutigen, in dem Euch anvertrauten Dienst nie müde zu werden, sondern mit Zuversicht voranzuschreiten.

Wir haben eben die biblische Lesung aus dem 9. Kapitel des Matthäusevangeliums (V. 35–38) gehört. In ihr kann man die Anzeichen einer inneren Grundeinstellung Jesu wahrnehmen, die uns näher interessiert. Es ist eine Haltung, die eigentlich sein ganzes öffentliches Leben kennzeichnet. Hier wird sie in einem Bild aus der Landwirtschaft ausgedrückt. Mit einem Blick, der vom Herzen ausgeht, erkennt Jesus unter den Menschen seiner Umgebung die „Ernte“ Gottvaters, die reif ist, eingeholt zu werden; und es ist eine reiche Ernte: „Die Ernte ist groß“, sagt er (V. 37; vgl. auch Lk 10,2). Denselben Blick finden wir auch im vierten Kapitel des Johannesevangeliums, dort, wo Jesus sich nach dem Gespräch mit der Samaritanerin an seine Jünger wendet und sagt: „Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte“ (V. 35). Christus sieht die Welt als den „Acker Gottes“ (vgl. Mt 13,38–43), auf dem eine reiche Ernte heranreift, zu deren Einholung es der Arbeiter bedarf. Eine ähnliche Sichtweise lässt sich auch im Markusevangelium (4,26–29) erahnen. Die Grundeinstellung Jesu, die in all diesen Aussagen durchscheint, ist ein tiefer Optimismus, der auf dem Vertrauen auf die Macht des Vaters, des „Herrn der Ernte“ (Mt 9,38), beruht. Diese Zuversicht Jesu wird für uns ein Grund zur Hoffnung, wenn wir seine Fähigkeit bedenken, durch den Schleier des Augenscheinlichen hindurch das geheimnisvolle, doch unwiderstehliche Handeln des Vaters zu erkennen. Der Same des Wortes Gottes ist immer fruchtbar. Deshalb wächst die Ernte Gottes, auch wenn das einem bloß menschlichen Auge nicht offenbar wird.

Das Leben des Priesters, das Wesen seiner Berufung und seines Dienstes, liegt ganz und gar in dieser Perspektive, die Jesus uns aufgezeigt hat. Es ist die Aussicht, die ihn selbst drängte, durch Städte und Dörfer zu ziehen, in den Synagogen zu lehren, das Evangelium vom Reich Gottes zu verkünden und die Kranken zu heilen (vgl. Mt 9,35). Wie der Sämann im Gleichnis, streute er mit scheinbar übertriebener Großzügigkeit den Samen aus, von dem ein Teil auch auf den Weg, auf felsigen Boden oder in die Dornen fiel (vgl. Mt 13,3–8). In Wirklichkeit war es eine Großzügigkeit, die sich auf das Vertrauen auf die Macht des Vaters stützte, der fähig ist, den felsigen oder mit Dornen überwucherten Boden in fruchtbares Erdreich zu verwandeln. Auch der Priester muss sich von diesem Vertrauen auf die Kraft der Gnade durchdringen lassen – war er doch selber einst ein Erdreich, das zunächst vom göttlichen Sämann urbar gemacht werden musste, damit es fähig wurde, den Samen aufzunehmen und sich entwickeln zu lassen, bis er die vollständige und ausgereifte Antwort hervorbringen konnte: die Antwort eines in der Priesterweihe ausgesprochenen und dann Tag um Tag in Gemeinschaft mit Christus in der Feier des eucharistischen Opfers erneuerten „Ja“. Die fortschreitende eigene Angleichung an die Empfindungen seines Meisters wird den Priester dazu führen, dessen vertrauensvolle Sichtweise zu teilen. Indem er immer tiefer in die Denkweise Jesu eindringt, wird er lernen, die Menschen seiner Umgebung als „Ernte Gottes“ zu sehen, die reif ist, in die „Scheune“ des Himmels gebracht zu werden (vgl. Mt 13,30). Die Gnade wird durch ihn wirken, so dass er in anderen Menschen ehrliche und großmütige Antworten auf den Ruf Gottes auslösen kann.

Man muss sich jedoch immer vor Augen halten, was unser Bibeltext sagt: Der „Herr der Ernte“ ist es, der die Arbeiter für seine Ernte „aussendet“ (Mt 9,38). Jesus hat seine Jünger nicht beauftragt, hinauszugehen und andere Freiwillige zu rufen oder Werbekampagnen zu starten, um neue Anhänger zu gewinnen, sondern er hat sie aufgefordert, Gott zu „bitten“. Was bedeutet das? Etwa, dass die Berufungspastoral sich auf das Gebet zu beschränken hat? Natürlich nicht. „Den Herrn der Ernte bitten“ besagt etwas Tieferes: Nur wenn man in inniger Gemeinschaft mit dem Herrn der Ernte bleibt, nur wenn man ein Leben führt, das gewissermaßen eingesenkt ist in sein „Herz“ voller Liebe und Mitleid für die Menschheit, kann man weitere Arbeiter in den Einsatz für das Reich Gottes hineinziehen. Man bewegt sich also nicht innerhalb einer Logik der Zahlen und der Leistung, sondern in der Kategorie der gegenleistungsfreien Gabe. Man bewegt sich in der Logik des Weizenkorns, das gerade dann Frucht bringt, wenn es in der Erde versinkt und stirbt.

Die „Arbeiter“ für die Ernte Gottes sind diejenigen, die es verstehen, in Christi Fußstapfen zu treten. Das setzt voraus, dass man sich selber „loslässt“ und sich völlig mit seinem Willen in Einklang bringt. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn es richtet sich gegen die uns wesenseigene „Schwerkraft“, die uns zu unserem eigenen Ego hinzieht. Sie überwinden wir nur, wenn wir einen österlichen Weg des Sterbens und Auferstehens beschreiten. Auf diesem Weg ist Christus uns nicht nur vorausgegangen, sondern er begleitet uns, ja er kommt uns sogar entgegen, wie er einst dem Simon Petrus entgegenkam, als dieser über das Wasser zu ihm gehen wollte und dann zu sinken begann (vgl. Mt 14,28–31). Solange Petrus seinen Blick fest in dem Jesu verankert hielt, konnte er über das aufgepeitschte Wasser des Sees von Galiläa gehen, weil er sozusagen im Gravitationsfeld seiner Gnade blieb. Als er jedoch seine Augen von ihm abwandte, bemerkte er, wie heftig der Wind war, bekam Angst und begann er unterzugehen. Da ließ Jesus ihn die Kraft seiner rettenden Hand spüren und nahm damit gewissermaßen vorweg, was die letzte und endgültige Rettung des Apostels werden sollte: die „Auferstehung“ nach dem „Untergang“ der Verleugnung. Durch diesen österlichen Weg wird der Jünger zu einem wirklichen Zeugen des Herrn.

Und was ist die Aufgabe des Zeugen? Worin besteht sein Dienst? Der hl. Augustinus hat das Wesen der Aufgabe des Priesters mit zwei Begriffen zu verdeutlichen versucht, die klassisch geworden sind. Er definiert ihn zunächst als „servus Christi“ (vgl. Sermo Guelf. 9,4; Ep. 130; Ep. 228,2 u. a.) Nun, dem Begriff „servus – Knecht, bzw. Diener“ wohnt die Vorstellung einer Beziehung inne: Der Knecht ist ein solcher in Bezug auf einen Herrn. Den Priester als „servus Christi“, als „Diener Christi“, zu bezeichnen, bedeutet zu unterstreichen, dass seine Existenz wesentlich relational bestimmt ist: in seinem ganzen Sein ist er hingeordnet auf Christus. Das schmälert in keiner Weise seine Zuordnung zur Gemeinde, sondern bildet sogar deren Grundlage: Gerade weil er Knecht, bzw. „Diener Christi“ ist, ist er „in seinem Namen Diener seiner Diener“ (Briefkopf von Ep. 217 an Vitale; vgl. auch De pecc. mer. Et rem. III; Ep. 130; Sermo Guelf. 32,3 u. a.). Dank der sakramentalen Prägung, die er in der Weihe erhalten hat, gehört er ganz Christus und ist in dessen vorbehaltlose Hingabe an den „Leib“, die Kirche, mit hineingenommen. Diese ontologische Fassung des Priesteramtes, das ins Sein des Betroffenen hineinreicht, schafft in ihm die Voraussetzungen für eine Radikalität des Dienens, die im profanen Bereich nicht denkbar wäre. Die andere Definition, auf die Augustinus häufig zurückkommt, um den Priester zu charakterisieren, ist die der „vox Christi“. Er entwickelt diese Überlegungen in seinen Meditationen über die Gestalt Johannes des Täufers (vgl. Serm. 288; 293,3; Serm. Dolbeau 3 u. a.) Der Vorläufer Jesu bezeichnet sich selbst als einfache „Stimme“, die gesandt ist, um Christus, das „Wort“, zu verkündigen. Auch der Priester – bemerkt Augustinus – hat die Aufgabe, „vox Verbi“ (vgl. Serm. 46, 30–32), „praedicator Verbi“ (vgl. Serm. 71, 13/22), bzw. „Verbi prolator“ (vgl. En. in ps. 134,1; Serm. 23,1 u. a.) zu sein. Das ist eine bei Augustinus häufig wiederkehrende Thematik, in der noch einmal das relationale Bestimmtsein der Existenz des Priesters deutlich wird: Als „Stimme“ ist er bezogen auf das „Wort“, das Christus ist. Hier offenbaren sich die Größe und die Demut des priesterlichen Amtes. Wie Johannes der Täufer sind der Priester und der Diakon nur die „Vorläufer“, die Diener des Wortes. Nicht sie selbst stehen im Mittelpunkt, sondern Christus, dem sie mit ihrem gesamten Leben „Stimme“ sein müssen.

Gerade aus dieser Überlegung ergibt sich die Antwort auf eine Frage, die sich jeder verantwortliche Seelsorger, besonders in der augenblicklichen Situation zunehmenden Priestermangels, stellen muss: Wie kann man in dem manchmal aufreibenden Aktivismus des Dienstes die innere Einheit wahren? Der Ansatz zur Lösung dieses Problems liegt in der inneren Gemeinschaft mit Christus, dessen Speise es war, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34). Es ist wichtig, dass die in der Weihe geschenkte ontologische Beziehung zu Christus im Bewusstsein und so im Handeln lebendig werde: Alles, was ich tue, tue ich in der Gemeinschaft mit ihm. Gerade indem ich es tue, bin ich bei ihm. Das Vielfältige und äußerlich oft geradezu Gegensätzliche meiner Aktivitäten findet sich auf der Ebene der Grundmotivation vereint: Es ist alles Mitsein mit Christus, werkzeugliches Handeln in der Gemeinschaft mit ihm. Daraus ergibt sich eine neue Sichtweise der priesterlichen Askese. Sie ist nicht neben dem seelsorglichen Tun anzusiedeln, als eine zusätzliche Last und ein weiteres Pensum, das meinen Tag noch mehr überfrachtet. Im Wirken selbst lerne ich mich überwinden, mein Leben lassen und hergeben; in der Enttäuschung und im Misserfolg lerne ich verzichten, Schmerz annehmen, mich loslassen. In der Freude des Gelingens lerne ich Dankbarkeit. Im Vollzug der Sakramente empfange ich sie selber innerlich mit ... Diese Askese des Dienstes, der Dienst selbst als eigentliche Askese meines Lebens ist zweifellos ein sehr wichtiges Motiv, das freilich immer wieder ein inneres Ordnen des Tuns vom Sein her verlangt.

Trotzdem braucht der Priester, auch wenn er den Dienst als Askese, das sakramentale Tun als persönliche Begegnung mit Christus zu leben versucht, Augenblicke des Atemholens, damit diese innere Richtung überhaupt real werden kann. Jesus selbst lud seine Jünger dazu ein, als sie nach ihrer ersten missionarischen Aussendung zurückkamen: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Ein großherziges Sichgeben an die anderen ist ohne die Zucht und die ständige Wiedergewinnung einer wahren gläubigen Innerlichkeit nicht möglich. Die Wirkkraft des pastoralen Handelns hängt letztlich vom Gebet ab; andernfalls wird der Dienst zu leerem Aktivismus. Darum kann man die Zeit der unmittelbaren Begegnung mit Gott im Gebet mit gutem Recht als die pastorale Priorität schlechthin bezeichnen: Sie ist das Atemholen der Seele, ohne das der Priester notwendig „außer Atem“ kommt, ohne den „Sauerstoff“ des Optimismus und der Freude bleibt, den er braucht, um sich Tag um Tag aussenden zu lassen als Arbeiter für die Ernte des Herrn. Amen!

Ansprache bei der Abschiedszeremonie am Internationalen Flughafen Franz Josef Strauß, München

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Mitglieder der Regierung,
meine verehrten Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Im Moment, da ich Bayern verlasse, um nach Rom zurückzukehren, möchte ich an alle, die hier zugegen sind – und in ihnen an alle Bürger meiner Heimat – einen herzlichen Gruß und ein Wort eines wirklich ganz von Herzen tief empfundenen Dankes sagen. Unauslöschlich trage ich in meinem Herzen den bewegenden Eindruck, den die Begeisterung und die spürbar starke Religiosität der großen Massen von Gläubigen in mir ausgelöst hat, die in andächtiger Sammlung beim Hören des Wortes Gottes und im Gebet verharrten und mich auf Straßen und Plätzen begrüßt haben. Ich habe bemerken können, wie viele Menschen in Bayern sich auch jetzt bemühen, in Gemeinschaft mit ihren Hirten auf den Wegen Gottes zu gehen, und sich engagieren, um ihren Glauben in der heutigen säkularisierten Welt zu bezeugen und als formende Kraft gegenwärtig werden zu lassen. Dank dem unermüdlichen Einsatz der Organisatoren hat alles in Ruhe und Ordnung und in Freude ablaufen können. Eben darum ist mein erstes Wort bei diesem Abschied ein Wort des Dankes an alle, die dafür mitgeholfen haben. Herzlich „Vergelt’s Gott“ kann auch ich nur sagen.

Zunächst natürlich denke ich an Sie, Herr Ministerpräsident, dem ich für die Worte danke, die Sie gesprochen haben und in denen Sie ein großes Zeugnis für unseren christlichen Glauben als formende Kraft unseres öffentlichen Lebens abgelegt haben. Herzlichen Dank dafür! Ich danke den staatlichen und kirchlichen Persönlichkeiten, die hier zusammengekommen sind, besonders denen, die zum vollständigen Gelingen dieses Besuches beigetragen haben, bei dem ich überall freudig mir verbundene Menschen dieses Landes begegnen konnte, denen auch ich im Herzen immer tief verbunden bleibe. Es waren intensive Tage, und in meinem Gedächtnis konnte ich viele Ereignisse der Vergangenheit, die mein Leben geprägt haben, noch einmal neu erleben. Überall bin ich mit größter Zuvorkommendheit und Aufmerksamkeit, ich muss mehr sagen: mit größter Herzlichkeit empfangen worden; das hat mich tief beeindruckt. Ich kann mir die Schwierigkeiten, die Sorgen und Mühen wohl einigermaßen vorstellen, die die Organisation meines Besuches in Bayern mit sich gebracht hat: Viele Menschen aus den Dienststellen der Kirche, aus zivilen Behörden sowohl des Landes als auch des Staates wie vor allem auch eine ganz große Zahl von freiwilligen Helfern waren damit beschäftigt. Allen sage ich ein ganz herzliches „Vergelt’s Gott“, mit der Zusicherung meines Gebetes für Euch alle.

Ich bin nach Deutschland, nach Bayern, gekommen, um meinen Landsleuten die immerwährenden Wahrheiten des Evangeliums als gegenwärtige Wahrheit und Kraft nahezubringen und die Gläubigen zu stärken in der Treue zu Christus, dem Sohn Gottes, der Mensch geworden ist zu unserem Heil. Im Glauben bin ich gewiss, dass sich in ihm, in seinem Wort, der Weg finden lässt, um nicht nur die ewige Glückseligkeit zu erlangen, sondern auch um eine menschenwürdige Zukunft schon auf dieser unserer Erde zu bauen. Von diesem Bewusstsein angetrieben, hat die Kirche unter der Führung des Geistes die Antworten auf die Herausforderungen, die im Laufe der Geschichte auftraten, immer neu im Wort Gottes gefunden. Das hat sie ganz speziell auch für die Probleme zu tun versucht, die sich vor allem von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an im Zusammenhang mit der sogenannten „Arbeiterfrage“ stellten. Ich unterstreiche das bei diesem Anlass, weil gerade heute, am 14. September, der 25. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika Laborem exercens ist, in der der große Papst Johannes Paul II. die Arbeit als eine „fundamentale Dimension menschlicher Existenz auf Erden“ bezeichnet (Nr. 4) und daran erinnert hat, dass „die erste Grundlage für den Wert der Arbeit der Mensch selbst ist“ (Nr. 6). Sie ist darum „ein Gut für den Menschen“, merkte er an, „weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpasst, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ‚mehr Mensch wird‘“ (Nr. 9). Auf der Basis dieser Grundintuition gab der Papst in der Enzyklika einige Orientierungen, die bis heute aktuell sind. Auf diesen Text, der durchaus prophetischen Wert besitzt, möchte ich auch die Bürger meiner Heimat verweisen, weil ich sicher bin, dass seine praktische Anwendung auch für die heutige gesellschaftliche Situation in Deutschland von großem Nutzen sein wird.

Zum Abschied von meiner geliebten Heimat vertraue ich nun Gegenwart und Zukunft Bayerns und ganz Deutschlands der Fürsprache aller Heiligen an, die im treuen Dienst Christi auf deutschem Boden gelebt und in ihrem Leben die Wahrheit jener Worte erfahren haben, welche die verschiedenen Stationen des Besuches als Leitmotiv begleitet haben: „Wer glaubt, ist nie allein.“ Diese Erfahrung hat sicher auch der Autor unseres Bayernhymnus gemacht. Mit seinen Worten, mit den Worten unserer Hymne, die auch ein Gebet sind, möchte ich meiner Heimat gern noch einen Segenswunsch hinterlassen: „Gott mit dir, du Land der Bayern, deutsche Erde, Vaterland! / Über deinen weiten Gauen ruhe seine Segenshand! / Er behüte deine Fluren, schirme deiner Städte Bau / Und erhalte dir die Farben seines Himmels weiß und blau!“

Allen ein herzliches „Vergelts’s Gott“ und: „Auf Wiedersehen!“, so Gott will.

Anhang: Erklärungen aus dem Vatikan zur Kritik aus der islamischen Welt an der Vorlesung von Papst Benedikt XVI. am 12. September in Regensburg

Erklärung von Pater Federico Lombardi SJ, Leiter des vatikanischen Pressesaals am 14. September

„Was die Reaktion einiger islamischer Vertreter auf Stellen in der Papstrede an der Universität Regensburg betrifft, ist die Feststellung angezeigt, dass das, was dem Papst am Herzen liegt, eine klare und radikale Zurückweisung einer religiösen Motivation von Gewalt ist. Das ergibt sich aus einer aufmerksamen Lektüre des Textes. Es war sicher nicht die Absicht des Heiligen Vaters, den Djihād und das islamische Denken darüber zu analysieren – und erst recht nicht, die Sensibilität islamischer Gläubiger zu verletzen.

Im Gegenteil: In den Ansprachen des Heiligen Vaters taucht deutlich die Warnung an die westliche Kultur auf, ,die Missachtung Gottes und den Zynismus, der es für ein Freiheitsrecht hält, das Heilige herabzuwürdigen‘ (Ansprache vom 10. September), zu vermeiden. Die religiöse Dimension recht in Betracht zu ziehen, ist tatsächlich eine essentielle Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog mit den großen Kulturen und Religionen in der Welt. In den Schlussfolgerungen seiner Ansprache in der Universität Regensburg hat Benedikt XVI. deshalb betont: ,Die zutiefst religiösen Kulturen der Welt sehen im Ausschluss des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft einen Angriff auf ihre tiefsten Überzeugungen. Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und die Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zu einem Dialog der Kulturen.‘

Der Wille des Heiligen Vaters zu einer respektvollen, dialogischen Haltung gegenüber den anderen Religionen und Kulturen ist also klar, darunter natürlich auch dem Islam.“ (Übersetzung: Radio Vatikan)

Erklärung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Kardinal Bertone am 16. September

Angesichts der Reaktionen von muslimischer Seite auf einige Passagen der Rede von Papst Benedikt XVI. in der Universität von Regensburg möchte ich den Klärungen und Präzisierungen des Direktors des Presseamtes des Heiligen Stuhles noch Folgendes hinzufügen:

– Die Haltung des Papstes zum Islam ist unmissverständlich diejenige, die sich im Konzilsdokument Nostrae Aetate findet: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten (Nr.3)“.

– Die Option des Papstes zugunsten des interreligiösen und interkulturellen Dialogs ist ebenfalls unmissverständlich. Bei dem Treffen mit Vertretern einiger muslimischer Gemeinschaften in Köln sagte er am 20. August 2005, dass dieser Dialog zwischen Christen und Muslimen „nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden“ darf. Und er fügte hinzu: „Die Erinnerungen der Vergangenheit müssen uns davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Wir wollen Wege der Versöhnung suchen und lernen, so zu leben, dass jeder die Identität des anderen respektiert“.

– Was das Urteil des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos betrifft, das er in der Rede von Regensburg wiedergab, hat der Papst nicht beabsichtigt und beabsichtigt keinesfalls, es sich zueigen zu machen. Er hat die Worte nur als Anlass benutzt, um – in einem akademischen Kontext und wie es sich aus einer vollständigen und aufmerksamen Lektüre des Textes ergibt – einige Reflexionen zum Thema der Beziehung zwischen Religionen und Gewalt im Allgemeinen zu entwickeln. Und er folgerte daraus eine klare und radikale Zurückweisung der religiösen Motivation von Gewalt, von welcher Seite sie auch kommt. Es lohnt sich, sich in Erinnerung zu rufen, was Benedikt XVI. selbst jüngst in seiner Gedenkbotschaft zum 20. Jahrestag des interreligiösen Friedensgebetstreffens bestätigte, zu dem sein Vorgänger Johannes Paul II. im Oktober 1986 nach Assisi eingeladen hatte: „(...) Die Manifestationen der Gewalt darf man nicht den Religionen als solchen anlasten, sondern den kulturellen Grenzen, in denen sie im Laufe der Zeit gelebt und entwickelt wurden. (...) Tatsächlich finden sich Zeugnisse einer inneren Verbindung zwischen Gottesbeziehung und einer Ethik der Liebe in allen großen religiösen Traditionen“.

– Der Heilige Vater bedauert daher zutiefst, dass einige Passagen seiner Rede als Beleidigung des Empfindens gläubiger Muslime klingen konnten und dass sie in einer Weise interpretiert wurden, die keinesfalls seinen Intentionen entspricht. Andererseits hat er, angesichts der tiefen Religiosität gläubiger Muslime, die westliche säkularisierte Kultur vor einer „Verachtung Gottes und einem Zynismus“ gewarnt, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht.

– Indem er seinen Respekt und seine Hochachtung gegenüber denen unterstreicht, die sich zum Islam bekennen, wünscht sich der Papst, dass man helfe, seine Worte in ihrem richtigen Sinn zu verstehen, damit möglichst bald dieser schwierige Moment überwunden wird. Damit das Zeugnis an den „alleinigen Gott, den lebendigen und in sich seienden, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat“ gestärkt wird und damit auch die Zusammenarbeit „für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ wächst. (Übersetzung: Katholische Nachrichten-Agentur – KNA)

Papst Benedikt XVI. beim Angelusgebet in Castelgandolfo am 17. September

Liebe Brüder und Schwestern, die Apostolische Reise nach Bayern, die ich in den vergangenen Tagen unternommen habe, war eine starke spirituelle Erfahrung. Darin vermischten sich persönliche Erinnerungen an mir vertraute Orte mit pastoralen Perspektiven für eine wirksame Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit. Ich danke Gott für den inneren Trost, dies erleben zu können.

Zugleich bin ich allen dankbar, die aktiv zum Gelingen der Pastoralreise beigetragen haben. Darüber werde ich, wie es Tradition ist, bei der Generalaudienz am kommenden Mittwoch ausführlicher sprechen.

In diesem Moment möchte ich nur hinzufügen, dass ich zutiefst die Reaktionen bedauere, die durch einen kurzen Abschnitt meiner Rede in der Universität von Regensburg ausgelöst wurden, der als die Gefühle gläubiger Muslime verletzend aufgefasst wurde. Dabei handelte es sich um das Zitat eines mittelalterlichen Textes, der in keiner Weise mein persönliches Denken ausdrückt. Gestern hat der Herr Kardinal-Staatssekretär dazu eine Erklärung veröffentlicht, in der er den tatsächlichen Sinn meiner Worte erläutert hat. Ich hoffe, dass dies dazu beiträgt, die Gemüter zu beruhigen und die wahre Bedeutung meiner Rede deutlich zu machen, die in ihrer Gesamtheit eine Einladung zu einem offenen und aufrichtigen Dialog war und ist, in hohem gegenseitigen Respekt. (Übersetzung: Katholische Nachrichten-Agentur – KNA)

Papst Benedikt XVI. bei der Generalaudienz am 20. September

Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Audienz gibt mir Gelegenheit, mit euch Rückschau auf meinen Pastoralbesuch in Bayern zu halten. Ich danke dem Herrn, dass er mir diese unvergessliche Reise in meine bayerische Heimat geschenkt hat, die ich erstmals als Nachfolger Petri besuchen konnte. Mein inniger Dank gilt meinen Landsleuten für die herzliche Aufnahme und vor allem den vielen, die mit Hingabe zum Gelingen dieser Reise beigetragen haben.

Mit meinem Besuch wollte ich die Bande zwischen der Kirche in Deutschland und dem Stuhl Petri festigen; ich wollte die Menschen im Glauben an Jesus Christus stärken, den wir in der Gemeinschaft der Kirche bekennen. Ein besonderes Anliegen war es mir, das Verhältnis von Glaube und Vernunft und die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs sowie des Dialogs zwischen Wissenschaft und Religion aufzuzeigen. Hier bedarf es der Selbstkritik und, wie ich in München hervorgehoben habe, der Toleranz, die „die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist“, einschließt. Mit diesen Worten möchte ich nochmals klar meinen tiefen Respekt vor den Weltreligionen und vor den Muslimen bekunden, mit denen wir gemeinsam eintreten „für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ (Nostra Aetate, 3).

Die Stationen meiner Reise waren Orte, die meinen Lebensweg geprägt haben und mit denen ich verbunden bleibe: München, Altötting, Regensburg und Freising. Die bewegenden Gottesdienste, die frohen Begegnungen mit unzähligen Landsleuten und Pilgern haben mich und viele Menschen zutiefst berührt.

Ich habe meine Reise, so wie einst meinen Hirtendienst im Erzbistum München und Freising, unter den Schutz der Patrona Bavariae gestellt. Der Fürsprache Mariens, der Mutter der Kirche, vertraue ich auch meinen Petrusdienst an. Maria führt uns hin zu ihrem Sohn; sie lehre uns, dem Herrn Ohr und Herz zu öffnen, stets neu auf sein Wort zu hören und seine Botschaft der Liebe in unserer Welt zu verkünden. –– – Mit diesen Gedanken und Erinnerungen heiße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen. Besonders grüße ich die Teilnehmer an der Diözesanwallfahrt des Erzbistums Salzburg mit Erzbischof Alois Kothgasser. Liebe Freunde, wer glaubt, ist nie allein. Geben wir unseren Mitmenschen die Hoffnung weiter, die von Jesus Christus kommt, dem Erlöser der Welt. Der Herr segne euch alle!

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