Pervenuti all'anno (Wortlaut)

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Zirkel und Winkel
Apostolischer Brief
Pervenuti all'anno

von Papst
Leo XIII.
an alle Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe, der katholischen Welt,
welche in Gnade und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle stehen
über den Kampf gegen die Kirche und dem Herd der Antikirchlichen Machenschaften
19. März 1902

(Offizieller italienischer Text: ASS 33 [1901-1902] 513-532)

(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hrsg. Arthur Utz + Birgitta Gräfin von Galen, XXV 28-69, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; in Fraktur auch in: Sämtliche Rundschreiben, erlassen von Unserem Heiligsten Vater Leo XIII., Sechste Sammlung, Herder´sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau 1904; oder in: Leo XIII. - Lumen De Caelo. Erweiterte Ausgabe des "Leo XIII. der Lehrer der Welt". Praktische Ausgabe der wichtigsten Rundschreiben Leo XIII. und Pius XI., Herausgegeben von Carl Ulitzka, Päpstlicher Hausprälat, Ratibor 1934, S. 3-21, Mit kirchlicher Druckerlaubnis)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder!
Heilsgruß und Apostolischen Segen!

Einleitung: Dank des Papstes an Gott

1 Beim Eintritt in das 25. Jahr Unseres Apostolischen Amtes staunen Wir selbst über Unsern langen Weg mitten durch schwere und unablässige Sorgen und fühlen Uns gedrängt, die Gedanken zu Gott zu erheben, der zu so vielen Wohltaten Uns auch noch ein Pontifikat schenken wollte, das in seiner Dauer kaum ein Beispiel in der Geschichte kennt. Zu ihm, dem Vater aller, in dessen Hand die Geschicke Unseres Lebens ruhen, steige daher aus tiefstem Herzen der Lobgesang des Dankes auf. Gewiss, kein menschliches Auge kann die Tiefe des göttlichen Ratschlusses, der Uns ein so unerhofft langes Leben geben wollte, durchdringen, und Wir können ihn hier nur schweigend anbeten; eines jedoch wissen Wir sehr wohl: wenn es ihm gefiel, Unser Leben so lange zu erhalten, und er es noch länger erhalten will, dann obliegt Uns eine sehr hohe Verpflichtung: zu leben für das Wohl und Wachstum seiner reinen Braut, der Kirche; Wir dürfen nicht zurückweichen vor den Sorgen und Mühen, sondern müssen ihr auch den letzten Rest Unserer Kräfte weihen.

DER KAMPF GEGEN DIE KIRCHE

Die Feinde der Kirche

2 Nach diesem schuldigen Tribut der Dankbarkeit an Unsern Vater im Himmel, dem Ruhm und Ehre sei in Ewigkeit, wenden Wir Unsern Blick zu Euch, Ehrwürdige Brüder, die Ihr vom Heiligen Geiste berufen seid, jeder zur Hirtensorge für einen Teil der Herde Jesu Christi, und darum die Kämpfe und Siege, die Freuden und Leiden des Hirtenamtes mit Uns teilt. Nein, niemals werden Wir die vielen und einzigartigen Beweise treuer Ergebenheit vergessen, die Ihr uns während Unseres Pontifikats gegeben und in liebevollem Wetteifer beim gegenwärtigen Jubiläum erneuert habt. Innigst durch die Pflicht des Amtes und durch väterliche Liebe mit Euch verbunden, haben Wir diese Kundgebungen Eurer Treue mit freudigem Herzen begrüßt, weniger weil sie Unserer Person gelten, als vielmehr ob der hohen Bedeutung, die sie gewinnen als Beweise der Anhänglichkeit an den Apostolischen Stuhl, der das Zentrum und der Angelpunkt aller übrigen Bischofssitze der katholischen Welt ist. Wenn es jemals nötig war, dass alle hierarchischen Grade der Kirche, durch wechselseitige Liebe verbunden, in völliger Gleichheit der Gesinnung und des Strebens wetteiferten, so gilt das gewiss für heute. Denn wer wüsste nichts von jener umfassenden Einigkeit unter den feindlichen Mächten, die jetzt darauf ausgehen, das große Werk Jesu Christi zu zerstören? Mit grenzenloser Hartnäckigkeit arbeiten sie daran, auf dem intellektuellen Gebiet den Schatz der himmlischen Lehren zu vernichten und in der gesellschaftlichen Ordnung die heiligen und segensreichen Einrichtungen des Christentums niederzureißen. Doch Ihr selbst stellt all dies täglich mit eigenen Augen fest; mehr als einmal habt Ihr Uns Eure Sorgen und Ängste anvertraut und Klage geführt über das ganze dunkle Chaos von Vorurteilen, falschen Systemen und Irrtümern, die straflos unter den Massen verbreitet werden dürfen. Jeder Tag bringt neue Fallstricke für die Gläubigen, neue Hemmnisse für das segensreiche Wirken der Kirche, um es womöglich ganz lahm zu legen. Zum Schaden fügt man noch den Spott hinzu: man wälzt auf die Kirche selber die Schuld zurück und sagt, sie sei außerstande, die alte Kraft wiederzugewinnen und den stürmischen Drang der Leidenschaften zu zügeln, der alles mit Vernichtung bedroht.

3 Wohl möchten Wir, Ehrwürdige Brüder, lieber über einen angenehmeren Gegenstand zu Euch reden, der besser zu dem frohen Anlass stimmte, der Uns zum Sprechen drängt. Aber es dulden das weder die schweren Bedrängnisse der Kirche, die dringend Erleichterung fordern, noch die Verhältnisse unserer heutigen Gesellschaft, deren Lage sich durch das Aufgeben der großen Traditionen des Christentums sowohl in sittlicher als auch in materieller Rücksicht immer noch mehr verschlechtert; es ist ja ein Gesetz der Vorsehung - und die Geschichte bestätigt es -, dass man die großen Prinzipien der Religion nicht über Bord werfen kann, ohne die Grundlagen der bürgerlichen Wohlfahrt zu erschüttern. Unter diesen Umständen ist es wohl angebracht, den Kampf, der zum größten Schaden der Kirche entbrannt ist, in seiner Entstehung zu betrachten, seine Ursachen, seine verschiedenen Formen, seine unheilvollen Folgen darzulegen und auf die Heilmittel dagegen hinzuweisen, um rechtzeitig die Herzen mit Mut und Zuversicht zu erfüllen. Obwohl es schon oft gesagt wurde, wollen Wir es gleichwohl wiederholen, und weithin erschalle Unser Wort und dringe nicht nur zu den gläubigen Kindern der katholischen Einheit, sondern ebenso zu den Getrennten und auch zu den Unglücklichen, die nicht glauben, da wir ja alle Kinder desselben Vaters sind und bestimmt für dasselbe höchste Ziel; und Unsere Worte seien gleichsam das Vermächtnis, das Wir, nur wenige Schritte von den Pforten der Ewigkeit entfernt, mit den aufrichtigsten Wünschen für das Wohl der ganzen Welt den Völkern hinterlassen wollen.

Die Kirche seit dem Anfang Gegenstand gottloser Angriffe

4 Die heilige Kirche Christi hatte zu jeder Zeit Kämpfe und Verfolgungen für Wahrheit und Recht zu bestehen. Von ihm gestiftet, um in der Welt das Reich Gottes zu verbreiten und durch das Licht des evangelischen Gesetzes die gefallene Menschheit zu einer übernatürlichen Bestimmung zu führen, zum Besitz unvergänglicher, von Gott verheißener Güter, die über unsere Kräfte hinausliegen, stieß sie unvermeidlicherweise mit den Leidenschaften zusammen, die in dem zerrütteten und verderbten Heidentum einen fruchtbaren Boden fanden, mit dem Stolz, der Habsucht, dem zügellosen Streben nach Genuss und mit den Lastern und Unordnungen, die aus ihnen entspringen und die in der Kirche stets einen mächtigen Damm finden werden. Die Tatsache dieser Verfolgungen darf uns nicht wundernehmen, da der göttliche Meister sie uns zur Kenntnisnahme voraussagte und da wir wissen, dass sie so lange dauern werden, wie die Welt stehen wird. Denn was sagte er zu seinen Jüngern, als er sie aussandte, den Schatz seiner Lehren zu allen Völkern zu tragen? "Man wird euch verfolgen von Stadt zu Stadt, man wird euch hassen und gering schätzen um meines Namens willen, man wird euch vor den Richter führen und zu den schwersten Qualen verurteilen." - Und um uns für die Prüfungen zu stärken, wies er auf sein eigenes Beispiel hin: "Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat –Si mundus vos odit, scitote quia me priorem vobis odio habuit" (Joh 15, 18). Das sind die Freuden, das der Lohn, der uns hienieden versprochen ist.

5 Eine gerechte und vernünftige Beurteilung der Dinge muss einen so tödlichen Hass gänzlich unbegründet finden. Wem bot denn der göttliche Erlöser je Anlass zur Klage? Worin hat er sich je vergangen? Dem Drang einer unendlichen Liebe folgend, stieg er zu den Menschen hernieder. Eine Lehre brachte er ihnen, rein und voll erhebenden Trostes, eine Lehre, stark und kräftig genug, aus der Menschheit einen Bund friedlich liebender Brüder zu bilden; er trug kein Verlangen nach irdischer Ehre und Herrlichkeit, nie hat er fremdes Recht verletzt; im Gegenteil, er war erfüllt von Liebe zu den Kranken und Schwachen, zu den Armen und Unterdrückten und zu den Sündern; und so war sein ganzer Lebensweg gleichsam übersät mit Wohltaten, die er mit freigebiger Hand den Menschen spendete. Man muss darum sagen, dass nur das Übermaß. menschlicher Bosheit, die um so beklagenswerter ist, je ungerechter sie sich auswirkt, die Schuld daran trägt, dass er trotz alledem der Weissagung Simeons gemäß in Wahrheit zum Zeichen des Widerspruches geworden ist: "signum cui contradicetur,, (Lk 2,34).

6 Was Wunder also, wenn die Katholische Kirche das gleiche Los mit ihm teilt? Ihre Aufgabe ist es ja, seine göttliche Sendung fortzusetzen und den Schatz seiner Lehre unversehrt zu bewahren. Die Welt bleibt immer dieselbe. Neben den Kindern Gottes befinden sich stets die Knechte des großen Erbfeindes des Menschengeschlechts, der gleich zu Anfang dem Allerhöchsten den Dienst aufkündigte; das Evangelium bezeichnet ihn als den Fürsten dieser Welt; darum erfasst die Welt gegenüber dem Gesetz und seinem Verkündiger, der im Namen Gottes zu ihr kommt, ein wilder Trotz, der Geist einer Unabhängigkeit, auf die sie kein Recht hat. Ja, wie oft schloss sich nicht in stürmischeren Tagen der Feind zusammen und begann mit unerhörter Grausamkeit, mit empörender Ungerechtigkeit zum Unheil der gesamten menschlichen Gesellschaft den törichten Kampf gegen Gottes Werk! Und wenn eine Form der Verfolgung nicht zum Ziele verhalf, versuchte er es mit einer andern. Das römische Reich griff zur rohen Gewalt und missbrauchte sie drei Jahrhunderte lang, so dass schließlich all seine Provinzen im Schmuck der Märtyrer strahlten und hier im heiligen Rom jeder Fußbreit Erde ihr Blut trank. Als Helfershelferin gesellte sich bald versteckt, bald offen die Irrlehre hinzu; durch Trugschlüsse und durch geheime Ränke suchte sie wenigstens die Eintracht und Einheit in der Kirche zu vernichten. Gleich darauf brachen wie ein verheerendes Unwetter von Norden die Horden der Barbaren, von Süden die Scharen des Islam herein, die nichts hinter sich zurückließen als Trümmer und Wüsteneien. So hatte sich der traurige Hass gegen die Braut Christi von einem Jahrhundert auf das andere vererbt, als das Kaisertum in die Geschichte eintrat. Argwöhnisch und gewalttätig, eifersüchtig auf fremde Größe, mochte auch die eigene noch so viel durch sie gewinnen, richtete es einen Angriff nach dem andern gegen die Kirche, suchte es ihre Freiheit zu knebeln, ihre Rechte sich selber anzumaßen. Das Herz blutet, wenn es die Kirche dadurch so oft in Bedrängnis und unsäglichen Leiden sieht. Und dennoch triumphierte sie über alle Hindernisse, über allen Druck roher Gewalt. Weiter und weiter spannte sie ihr friedliches Gezeit; sie wahrte das glorreiche Erbteil der Künste und Wissenschaften, der Geschichte und Literatur. Tief senkte sie in das Innerste der menschlichen Gesellschaft den Geist des Evangeliums und schuf so eben jene Kultur, welche die christlich genannt wird. Sie brachte den Völkern, die sich ihrem wohltätigen Einfluss unterwarfen, gerechte Gesetze und milde Sitten, sicherte den Schwachen Schutz, den Armen und Unglücklichen mitleidige Liebe, lehrte Würde und Recht eines jeden achten und verschaffte dadurch, soweit es in den Stürmen des Menschenlebens möglich ist, der bürgerlichen Gesellschaft jenen Frieden, der erblüht, wenn Freiheit und Recht im besten Einklang stehen.

Der Kampf gegen die Kirche in der Reformationszeit und zur Zeit der Aufklärung

7 Allein trotz dieser offenkundigen Beweise für ihre innere Güte, die im Lauf der Jahrhunderte so klar und eindeutig hervorleuchten, sehen wir auch in späterer Zeit, nicht weniger als im Altertum und im Mittelalter, die Kirche in Kämpfe verwickelt, die in gewisser Hinsicht sogar noch härter und schmerzlicher sind. Infolge einer Reihe allbekannter geschichtlicher Tatsachen erhob die sogenannte Reformation des 16. Jahrhunderts das Banner der Empörung und suchte durch ihren wilden Kampf gegen das Papsttum die Kirche ins Herz zu treffen. Das Band des einen Glaubens und einer einzigen obersten Gewalt hatte bis dahin die Völker sorglich und sicher unter einem einzigen staatlichen Gezeit geeint; die Einmütigkeit im Denken und Wollen hatte oft ihre Kraft verdoppelt, ihr Ansehen und den Ruhm ihres Namens gehoben. Dies Band der alten Einheit wurde gesprengt, und es entstand die traurige und unheilvolle Spaltung der Christenheit. Wir wollen damit nicht sagen, dass man von Anfang an beabsichtigte, den Einfluss der übernatürlichen Wahrheiten ganz aus der Welt zu schaffen. Aber weil man einerseits die Vorrechte des Apostolischen Stuhles verwarf, auf welchem die Einheit beruht, und andererseits den Grundsatz der freien Forschung aufstellte, wurde das von Gott errichtete Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert und ungezählten Neuerungen, Zweifeln und Widersprüchen, sogar auf den wichtigsten Gebieten, wurden Tür und Tor geöffnet, so dass die Neuerer selbst ihre Erwartungen noch übertroffen sahen.

8 Auf dem so erschlossenen Weg erschien nun die falsche Philosophie des 18. Jahrhunderts mit ihrem Hochmut und ihrer Spottsucht. Und sie ging noch weiter. Sie verhöhnte die Heilige Schrift und verwarf kurzweg jede göttlich geboffenbarte Wahrheit. Ihr Endziel war es, den Glauben, ja jeden Hauch christlichen Geistes im Herzen der Völker zu ersticken. Dieser Quelle entsprangen die Systeme des Rationalismus und Pantheismus, des Naturalismus und Materialismus mit ihrer verderblichen, zersetzenden Wirkung, übrigens alte in neuem Gewand wiedereingeführte Irrtümer, die von den Vätern und Apologeten der ersten christlichen Zeiten längst siegreich wiederlegt worden waren. Aber die Neuzeit lässt sich durch Ihren Stolz irreleiten, da sie über Gebühr der eigenen Einsicht vertraut, und verkennt, in die Irrtümer des Heidentums zurückfallend, sogar die Vorzüge der menschlichen Seele und ihre ewige Bestimmung.

9 Der Kampf gegen die Kirche nahm so eine noch bedenklichere Form an als in der voraufgegangenen Zeit, sowohl wegen der Heftigkeit als auch wegen der allgemeinen Verbreitung der Angriffe. Denn der Unglaube unserer Tage begnügt sich nicht damit, nur die eine oder andere Glaubenswahrheit zu bezweifeln oder zu leugnen, errichtet vielmehr seine Angriffe gegen die von der Offenbarung geheiligten und von einer gesunden Philosophie gestützten Prinzipien in ihrem ganzen Umfang, jene heiligen und grundlegenden Prinzipien, die den Menschen über das höchste Ziel seines Daseins aufklären, die ihn zur Pflichterfüllung anhalten, die ihm Mut und Ergebung einflößen und dadurch, dass sie ihm volle Gerechtigkeit und vollkommenes Glück jenseits des Grabes versprechen, ihn lehren, die Zeit der Ewigkeit, die Erde dem Himmel unterzuordnen. Und was setzt man an die Stelle dieser Lehre, dieser unvergleichlichen Kraft des Glaubens? Einen erschreckenden Skeptizismus, der die Herzen mit eisiger Kälte erfüllt und jede edle Regung des Gewissens unterdrückt.

Die Auswirkungen der Gottlosigkeit auf sozialem und politischem Gebiet

Der Materialismus als dominierende Haltung

10 Und solche unheilvolle Lehren blieben nicht bloße Lehren; wie Ihr, Ehrwürdige Brüder, seht, drangen sie leider in das öffentliche Leben und in die staatlichen Einrichtungen ein. Große und mächtige Staaten setzen sie fortwährend in das praktische Leben um, in der Meinung, auf diese Weise den allgemeinen Kulturfortschritt zu fördern, und gleich als ob die Träger der öffentlichen Gewalt nicht alle gesunden Grundsätze des sittlichen Lebens annehmen und in sich selbst widerspiegeln müssten, glauben sie sich vielmehr frei von der Pflicht, Gott öffentlich zu verehren; und nur zu oft kommt es vor, dass sie sich einer vollständigen Indifferenz gegen jede Religion rühmen und gerade die allein von Gott eingesetzte Religion mit allen Mitteln bekämpfen.

11 Dieses System eines praktischen Atheismus musste notwendigerweise eine tiefgehende Zerrüttung der sittlichen Ordnung hervorrufen, da ja die Religion das Hauptfundament jeder Gerechtigkeit und Sittlichkeit ist, was schon die großen Weisen des heidnischen Altertums erkannten. Denn wenn einmal die Bande gelöst sind, die den Menschen mit Gott, dem obersten Gesetzgeber und Richter aller Menschen, verbinden, so gibt es nur mehr eine scheinbare, rein diesseitige oder, wie man sagt, unabhängige Moral, die dadurch, dass sie von dem ewigen Gesetze und den göttlichen Geboten absieht, ganz unausbleiblich auf der abschüssigen Bahn zur letzten, unheilvollen Folgerung führt, nach welcher der Mensch sein eigener Gesetzgeber ist. Der Mensch, unfähig, sich auf den Flügeln der christlichen Hoffnung zu übernatürlichen Gütern emporzuschwingen, wird das ganze Maß der Freuden und Bequemlichkeiten des Lebens genießen; es wächst der Durst nach Vergnügungen, die Sucht nach Reichtum, die gierige Hast nach maßlosem Gewinn ohne Rücksicht auf Recht und Billigkeit, es entbrennt der Ehrgeiz und verlangt mit Ungestüm Befriedigung, wenn auch gegen alle Gesetze, und schließlich wird die Verachtung der Gesetze und der öffentlichen Autorität und eine allgemeine Sittenlosigkeit einreißen, die den Niedergang der Kultur nach sich zieht.

Die Zerstörung der Ehe- und Familienmoral

12 Übertreiben Wir vielleicht die traurigen Folgen der beklagenswerten Zerrüttung? Die Wirklichkeit, die wir mit Händen greifen können, bestätigt nur zu sehr unsere Folgerungen, und es ist klar, dass, wenn man nicht rechtzeitig Abhilfe schafft, die Grundfesten des gesellschaftlichen Lebens wanken und die höchsten Prinzipien des Rechtes und die ewigen Gesetze der Moral aus den Angeln gehoben werden. Darunter haben, angefangen mit der Familie, alle Teile des sozialen Körpers schwer zu leiden. Der laizistische Staat streckte ja ohne Rücksicht auf die ihm gezogenen Grenzen oder auf den wesentlichen Zweck seiner Machtbefugnisse seine Hand aus, um dem ehelichen Bund mit dem religiösen Charakter seine Heiligkeit zu nehmen; er erlaubte sich alle möglichen Eingriffe in das natürliche Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder, und mancherorts zerriss er das unauflösliche Band der ehelichen Gemeinschaft durch die gesetzliche Sanktionierung der unseligen Ehescheidung. Jeder kann die Folgen sehen; in ganz unglaublicher Weise mehren sich die Ehen, die einzig und allein aus niedrigen Leidenschaften eingegangen und darum auch in kurzer Zeit wieder gelöst werden oder doch unnennbare Trauer im Gefolge haben oder ärgerniserregende Untreue, gar nicht zu sprechen von den unschuldigen Kindern, die vernachlässigt oder durch das schlechte Beispiel der Eltern oder durch das von einem offiziell laizistischen Staat ihnen verabreichte Gift verdorben werden.

Die falsche Konzeption der Volkssouveränität

13 Und mit der Familie zerfällt auch die soziale und politische Ordnung; der Grund dafür liegt vor allem in den neuen Ideen, die den rechten Begriff der Herrschergewalt durch falsche Erklärung ihres Ursprungs verkehren. Denn wenn man annimmt, dass die Regierungsgewalt ihrem Wesen nach im Volkswillen und nicht in Gott, dem letzten und ewigen Grund aller Gewalt, ihren Ursprung hat, dann verliert sie vor den Untertanen ihren erhabensten Charakter und artet aus in ein künstliches Regiment, das sich auf ein so wankendes und unzuverlässiges Fundament stützt, wie es der menschliche Wille ist. Sieht man nicht bereits die Folgen in den Staatsgesetzen? Nur zu oft stellen sie nicht die "geschriebene Vernunft", sondern einzig und allein die numerische Macht und das Übergewicht des Willens einer politischen Partei dar. Ebendeshalb schmeichelt man den ungebundenen Begierden der Massen, lässt den Volksleidenschaften die Zügel schießen, selbst wenn sie die friedliche Bürgerarbeit stören, außer im äußersten Fall, wo man zu gewaltsamen und blutigen Unterdrückungen seine Zuflucht nimmt.

Unordnung in den internationalen Beziehungen

14 Ebenso gewann mit der Zurückweisung des Christentums, das ja die Kraft in sich trägt, die Völker zu verbrüdern und gleichsam zu einer großen Familie zusammenzuschließen, nach und nach im Völkerleben ein System von Egoismus und Eifersucht die Oberhand, aufgrund dessen die Nationen einander, wenn auch nicht ausgesprochen missgünstig, so doch mit den argwöhnischen Augen von Rivalen betrachten. Daher sind sie auch leicht versucht, den hohen Begriff der Sittlichkeit und Gerechtigkeit und den Schutz der Schwachen und Unterdrückten bei ihren Unternehmungen außer Acht zu lassen; im Verlangen, den nationalen Reichtum ins Ungemessene zu steigern, kennen sie nur Opportunitäts- und Nützlichkeitsrücksichten und die Politik der vollendeten Tatsachen, in der Überzeugung, von keinem zur Achtung des Rechts gemahnt zu werden. Unheilvolle Anschauungen, die die physische Gewalt zum obersten Gesetz in der Welt machen; daher die zunehmende und maßlose Vermehrung der Kriegsrüstungen oder jener bewaffnete Friede, dessen verderbliche Wirkungen in vieler Hinsicht den schlimmsten Folgen des Krieges gleichkommen.

Klassenkampf

15 Und diese beklagte sittliche Zerrüttung wurde der Same, aus dem die Unruhe im Volke, die Unzufriedenheit und der Geist der Widersetzlichkeit erwuchsen; daher so viele Aufstände und Ungesetzlichkeiten, die die Vorboten schlimmerer Stürme sind. Die elende Lage eines so großen Teiles des niederen Volkes, das sicherlich Anspruch auf Befreiung und Erleichterung hat, dient nur allzu gut den Absichten geschickter Agitatoren, vor allem aus dem sozialistischen Lager, die dem Volke törichte Versprechungen machen, um ihre finsteren Pläne durchzusetzen.

Anarchie

16 Eine Bewegung auf abschüssiger Bahn geht unaufhaltsam bis zum tiefsten Punkt, und so sehen wir auch hier, dass die Logik die Prinzipien rächte, indem sich tatsächlich eine Gesellschaft von Verbrechern mit so rohen Instinkten zusammenschloss, die von ihrem ersten Auftreten an überall das größte Entsetzen wachrief. Dank ihrer festen, internationalen Organisation vermag sie überall ungehindert die ruchlose Hand zu erheben und schrickt selbst vor der äußersten Gewalttat nicht zurück. Ihre Anhänger zerreißen jegliche Bande, die sie mit der Gesellschaft, dem Gesetz, der Religion und der Moral verbanden; sie nennen sich Anarchisten und betreiben mit allen Mitteln, die eine blinde, wilde Leidenschaft eingeben kann, den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung, und weil diese Ordnung Einheit und Leben von der Autorität erhält, sind ihre Anschläge vorzüglich gegen diese gerichtet. Wer erinnert sich nicht mit Schaudern und Entrüstung jener mörderischen Angriffe, denen im Verlaufe weniger Jahre Kaiser, Kaiserinnen, Könige und Präsidenten mächtiger Republiken zum Opfer gefallen sind, einzig deswegen, weil sie die höchste Autorität vertraten?

DIE VERMEINTLICHEN, FRAGWÜRDIGEN HEILMITTEL GEGEN DIE UNORDNUNG

Die ungezügelte Freiheit

17 Angesichts solcher Tatsachen und Gefahren ist es unsere Pflicht, alle, die guten Willens sind, besonders jene, die eine führende Stellung einnehmen, von neuem zu ermahnen und zu beschwören, auf geeignete Gegenmaßnahmen zu sinnen und sie mit kluger Energie ins Werk zu setzen. Dabei handelt es sich vor allem darum, sie zu erkennen und ihren Wert zu prüfen. Wir hörten schon die Segnungen der Freiheit bis zum Himmel erheben und sie als das unvergleichliche Heilmittel anpreisen, das vor allem anderen Frieden und Wohlfahrt bringen solle. Aber die Tatsachen haben ihre Unzulänglichkeit an den Tag gebracht. Wirtschaftliche Konflikte, Klassenkämpfe sind überall entbrannt, und von einem ruhigen bürgerlichen Leben gewahrt man noch nicht einmal die Anfange. Alle können bezeugen, dass die Freiheit, wie man sie heute versteht, die der Wahrheit und dem Irrtum, der guten und schlechten Sache in gleicher Weise dient, nichts erreicht, als dass alles Edle, Heilige, Hochherzige niedergetreten wird, dagegen dem Verbrechen, dem Selbstmord und der Entfesselung der niedrigsten Leidenschaften die Bahn freigegeben wird.

Die rein zivilisatorische Bildung

18 Man hat auch behauptet, die Verbesserung des Unterrichts, die die große Menge gebildet und aufgeklärt mache, würde sie in genügender Weise vor ungesunden Bestrebungen bewahren und innerhalb der Schranken der Ehrbarkeit und Rechtlichkeit halten. Wenn nur nicht die raue Wirklichkeit uns jeden Tag mit Händen greifen ließe, wohin eine Bildung führt, der eine solide religiöse und sittliche Erziehung fehlt. Der jugendliche Sinn, unerfahren und von den Leidenschaften verwirrt, lässt sich durch die falschen Grundsätze blenden, die eine zügellose Tagespresse ungescheut mit vollen Händen aussät, die Verstand und Willen verderben und jenen Geist des Hochmuts und der Unbotmäßigkeit nähren, der so oft den häuslichen und öffentlichen Frieden stört.

Der wissenschaftliche und technische Fortschritt

19 Große Hoffnungen setzte man auch in den wissenschaftlichen Fortschritt; und das letzte Jahrhundert hat hierin sicherlich Unerwartetes und Wunderbares aufzuweisen. Aber haben sie auch jene reichen Früchte gebracht, jene von so vielen ersehnte und gehoffte Erneuerung? Wohl hat die Wissenschaft in ihrem Flug dem Menschengeist neue Welten erschlossen, seine Herrschaft über die Natur erweitert, und in hundertfacher Weise hat man diese Errungenschaften im Leben verwertet. Dennoch empfinden es alle, und viele sprechen es offen aus, dass die Erfolge hinter den Erwartungen weit zurückgeblieben sind. Man kann nicht anders urteilen, wenn man die geistigen und sittlichen Zustände betrachtet, die Statistik der Verbrechen, die dumpfe Gährung in den untersten Schichten der Bevölkerung, die Herrschaft der rohen Gewalt über das Recht. Abgesehen von dem Elend des Volkes, genügt auch schon ein nur flüchtiger Blick, um die unsagbare Traurigkeit zu gewahren, die auf den Gemütern lastet, und die tiefe Leere in den Herzen. Der Mensch hat sich die Materie dienstbar gemacht, aber sie konnte ihm nicht geben, was sie selbst nicht besaß; und die großen Fragen, die seine höchsten Interessen betreffen, hat die menschliche Wissenschaft nicht gelöst; das Verlangen nach dem Wahren, dem Guten, dem Unendlichen bleibt ungestillt; die vermehrten Reichtümer und Freuden der Erde und die erhöhten Bequemlichkeiten des Lebens haben die Unruhe des Herzens keineswegs gemindert.

20 Sollen also die Errungenschaften der Kultur, der Wissenschaft, der Zivilisation, einer gemäßigten und vernünftigen Freiheit missachtet oder ignoriert werden? Ganz gewiss nicht: Wir müssen sie im Gegenteil wahren und fördern und hochhalten als ein wertvolles Kapital; denn es sind ebenso viele von Natur aus gute Mittel, die Gott selbst gewollt und auf das Wohl der Menschheitsfamilie hingeordnet hat. Sie müssen aber den Absichten des Schöpfers gemäß gebraucht und dürfen nicht von dem religiösen Element losgetrennt werden, denn in ihm ruht die Kraft, die ihnen ihren Wert verleiht und sie wahrhaft fruchtbar macht. Hier liegt das Geheimnis des Problems. Jede Schwächung und Zerrüttung eines Organismus hat ihren Grund im Aufhören des Einflusses jener Ursachen, die ihm Form und Bestand geben, und um ihm wieder frisches, gesundes Leben einzuflößen, müssen ohne Zweifel jene belebenden Kräfte in ihm wider wirksam gemacht werden. In dem sinnlosen Versuch, sich von Gott loszureißen, hat die bürgerliche Gesellschaft das übernatürliche und die göttliche Offenbarung verworfen und sich so der lebensspendenden Kraft des Christentums entzogen und damit der sichersten Garantie für die Ordnung, dem mächtigsten Band der Verbrüderung, der unversiegelten Quelle jeglicher Tugend für den Einzelnen wie für die Gesellschaft: auf diesen törichten Abfall geht die Zerrüttung des praktischen Lebens zurück. In den Schoß des Christentums also muss die in die Irre gegangene Gesellschaft zurückkehren, wenn ihr an Ruhe und Wohlfahrt etwas gelegen ist.

DAS EINZIG WIRKSAME HEILMITTEL

Heimkehr ins Christentum

21 Wie das Christentum in keine Seele Einkehr hält, ohne sie zu vervollkommnen, so tritt es auch in das öffentliche Leben eines Staates nicht ein, ohne die Ordnung neu zu kräftigen; mit der Idee einer weisen Vorsehung, eines unendlich guten und gerechten Gottes, pflanzt es das Pflichtgefühl in das Gewissen, versüßt es die Leiden, besänftigt es feindselige Gefühle, verleiht es Heldenmut. Wenn es die heidnischen Völker umzuwandeln vermochte - und eine solche Umwandlung bedeutete eine wahre Erweckung von Tode zum Leben - dergestalt, dass die Barbarei in dem Maße zurückwich, als das Christentum vordrang, so wird es in gleicher Weise auch heute nach den schrecklichen Erschütterungen durch den Unglauben die Völker und Staaten wieder in die Bahn der Ordnung zurückführen können.

Heimkehr ins Christentum bedeutet Heimkehr in die Kirche

22 Aber noch ist nicht alles gesagt. Die Rückkehr zum Christentum wird kein wahres und vollkommenes Heilmittel sein, wenn sie nicht Rückkehr und Liebe bedeutet zu der einen, heiligen, katholischen, apostolischen Kirche. Denn das Christentum ist verwirklicht und verkörpert in der katholischen Kirche, einer in höchstem Maße geistlichen und vollkommenen Gesellschaft, die der mystische Leib Christi und deren sichtbares Oberhaupt der Papst ist, der Nachfolger des Apostelfürsten. Sie setzt als die Tochter und Erbin des Erlösungswerkes die Sendung des Erlösers fort; sie verbreitete das Evangelium über die Erde und verteidigt es mit ihrem Blute, und im Vertrauen auf die ihr verheißene göttliche Hilfe und immerwährende Dauer erfüllt sie, ohne jemals mit dem Irrtum zu paktieren, den ihr gewordenen Auftrag, die Lehre Christi unverfälscht bis zum letzten der Jahrhunderte zu bewahren. Als die berufene Lehrerin der Sittenlehre des Evangeliums wird sie nicht nur zur Trösterin und Retterin der Seelen, sondern auch zu einer unversiegbaren Quelle für Gerechtigkeit und Liebe und zur Vorkämpferin und Hüterin der wahren Freiheit und der einzig möglichen Gleichheit. Indem sie die Lehre ihres göttlichen Stifters zur Anwendung bringt, hält sie bei allen Rechten und Vorrechten innerhalb der Gesellschaft in abgewogener Unparteilichkeit die rechten Grenzen aufrecht. Die Gleichheit, die sie verkündet, lässt die offenbar von der Natur geforderten sozialen Unterschiede unangetastet; um die Anarchie, die der vom Glauben emanzipierten und sich selbst überlassenen Vernunft folgt, zu verhindern, sorgt sie dafür, dass die Freiheit, die sie bringt, die Rechte der Wahrheit nicht verletze, die höher stehen als die Freiheit, ebenso nicht die Rechte der Gerechtigkeit, die höher stehen als die der Majorität und der Gewalt, und nicht die Rechte Gottes, die höher stehen als Menschenrechte.

Segensreiches Wirken der Kirche für die Gesellschaft

23 Nicht minder zahlreich sind ihre segensreichen Wirkungen im Familienleben. Denn nicht nur steht sie fest gegen alle Listen, mit denen die Zügellosigkeit der Ungläubigen dasselbe bedroht, sie begründet und behütet auch den Ehebund und seine Unauflöslichkeit, schützt und fördert in ihm Ehrbarkeit, Treue und Heiligkeit. In gleicher Weise gibt sie der bürgerlichen und staatlichen Ordnung Stütze und festen Halt; denn einerseits hebt sie wirksam die Autorität und andererseits steht sie doch vernünftigen und berechtigten Reformbestrebungen der Untertanen wohlwollend gegenüber; sie macht Ehrfurcht und Gehorsam gegen die Obrigkeit zur Pflicht und verteidigt stets und überall die unveräußerlichen Rechte des Gewissens. So wird der Gehorsam gegen die Kirche die Völker gleich weit fernhalten von der Knechtschaft und vom Despotismus.

24 Gerade im Hinblick auf diese göttliche Kraft war es seit Beginn Unseres Pontifikats Unser eifriges Bemühen, die heilbringenden Bestrebungen der Kirche in das rechte Licht zu stellen und mit dem Schatz ihrer Lehre auch ihre segensreiche Wirksamkeit möglichst weit auszubreiten. Diesem Zweck galten die hauptsächlichen Erlasse in Unserem Pontifikat, besonders die Enzykliken über die christliche Philosophie, die menschliche Freiheit, die christliche Ehe, die Freimaurerei, die öffentlichen Gewalten, die christliche Staatsordnung, den Sozialismus, die Arbeiterfrage, die Hauptpflichten der christlichen Bürger und über verwandte Gegenstände. Jedoch beabsichtigten Wir nicht nur, dem Verstande Licht und Aufklärung zu bringen, sondern Unser heißester Wunsch ging dahin, die Herzen zu bewegen und zu läutern und durch Unser Bemühen die christlichen Tugenden unter den Völkern aufblühen zu sehen. Wir hörten daher nicht auf, zu mahnen und zu raten, um den Sinn der Gläubigen auf die unvergänglichen Güter hinzulenken und sie so die Hinordnung des Materiellen auf das Geistige, des Menschen auf Gott, der irdischen Pilgerfahrt auf das ewige Leben zu lehren.. Gesegnet von dem Herrn, konnte Unser Wort dazu beitragen, viele Menschen in ihren Überzeugungen zu stärken, sie besser aufzuklären in den schwierigen Fragen der Gegenwart, ihren Eifer anzuspornen und die verschiedenartigsten Werke zu fördern, die in allen Ländern entstanden und noch entstehen, besonders zum Wohl der enterbten Klassen, indem es jene christliche Liebe wieder wachrief, die ihr bevorzugtes Wirkungsfeld inmitten des Volkes findet. Wenn die Ernte, Ehrwürdige Brüder, nicht reichlicher war, so wollen wir Gott in den Geheimnissen seiner Gerechtigkeit anbeten und ihn zugleich anflehen, sich der Blindheit so zahlloser Menschen zu erbarmen, auf welche leider die bange Klage des Apostels ihre Anwendung findet: "Deus huius saeculi excaecavit mentes infidelium, ut non fulgeat illis illuminatio evangelii gloriae Christi,,(2 Kor 4,4) - "Der Gott dieser Welt hat die Herzen der Ungläubigen verblendet, dass ihnen die Erleuchtung des Evangeliums der Herrlichkeit Christi nicht strahle."

DIE VORWÜRFE DER ATHEISTEN GEGEN DIE KIRCHE

25 In dem Maße aber, wie die Katholische Kirche ihren Eifer für das sittliche und materielle Wohl der Völker entfaltet, erheben sich leider voll Neid die Söhne der Finsternis gegen sie und lassen keine Mittel unversucht, um den Glanz ihrer göttlichen Schönheit zu verdunkeln und ihre belebende und erlösende Tätigkeit zu hemmen. Wie viele Trugschlüsse bringen sie vor, wie viele Verleumdungen! Und einer ihrer heimtückischsten Kunstgriffe ist es, die Kirche vor unerfahrenen Massen und argwöhnischen Regierungen so darzustellen, als sei sie eine Gegnerin des wissenschaftlichen Fortschritts, eine Feindin der Freiheit, als maße sie sich die Rechte des Staates an und erlaube sich Eingriffe in das Gebiet der Politik. Törichte Anklagen, tausendmal wiederholt und tausendmal widerlegt von der Vernunft, von der Geschichte und durch das übereinstimmende Zeugnis aller rechtschaffenen Menschen und aller Freunde der Wahrheit!

Die Kirche, Feindin der Wissenschaft und der Kultur?

26 Die Kirche Feindin der Wissenschaft und der Kultur? Gewiss, sie ist eine wachsame Hüterin des geoffenbarten Glaubensgutes; aber diese Wachsamkeit macht sie nur zu einer hochverdienten Gönnerin der Wissenschaft und zur Pflegerin jeder wahren Kultur. Nein, dadurch dass der Geist sich den Offenbarungen des göttlichen Wortes erschließt, das die höchste Wahrheit und der Urgrund aller Wahrheit ist, wird nie und in keiner Weise die Vernunfterkenntnis beeinträchtigt; vielmehr werden die Strahlen aus der göttlichen Welt dem menschlichen Verstand noch mehr Kraft und Klarheit geben, indem sie ihn in den wichtigeren Fragen vor quälender Unsicherheit und vor Irrtum bewahren. Neunzehn Jahrhunderte des Ruhmes übrigens, den der Katholizismus sich in allen Zweigen des Wissens erwarb, genügen vollauf, um diese unwahre Behauptung zu zerstören. Der katholischen Kirche muss man in der Tat das Verdienst zuschreiben, die christliche Weisheit, ohne welche die Welt noch heute in der Finsternis des heidnischen Aberglaubens und in niedriger Barbarei läge, verbreitet und verteidigt zu haben, die kostbaren Schätze der Literatur und der Wissenschaft des Altertums erhalten und der Nachwelt überliefert, die ersten Volksschulen eröffnet und Universitäten geschaffen zu haben, die noch in unseren Tagen in ihrem alten Ruhm bestehen, endlich, den berühmtesten Künstlern ihre Hand dargeboten und sie in ihren Schutz genommen und der Literatur die höchsten, reinsten und rühmlichsten Ideen eingegeben zu haben.

Die Kirche, Feindin der Freiheit?

27 Die Kirche, Feindin der Freiheit? Wie verdreht man doch einen Begriff, der eines der kostbarsten Geschenke Gottes in sich schließt und nun dazu dienen muss, um Missbräuche und Zügellosigkeit zu rechtfertigen! Wenn man unter Freiheit Gesetzlosigkeit versteht und ungebundene Willkür, so wird die Kirche sie gewiss verurteilen, aber auch jeder rechtlich denkende Mensch; aber wenn man unter Freiheit das vernunftgemäße Recht versteht, überall ungehindert nach den Normen des ewigen Gesetzes das Gute zu wirken, worin ja gerade die Freiheit bestehen muss, wenn sie der Menschen würdig sein und der Gesellschaft nützen soll -, so begünstigt, fördert und schirmt sie niemand mehr als die Kirche. Sie war es ja, die durch ihre Lehre und ihr Wirken die Menschheit von dem Druck der Sklaverei befreite, indem sie das große Gesetz der Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen verkündete; sie trat zu allen Zeiten als Schirmerin der Schwachen und Unterdrückten gegen die Übergriffe der Mächtigen auf; sie bezahlte die Freiheit des christlichen Gewissens mit dem teuren Preis des Märtyrerblutes; sie gab dem Kinde und der Frau die naturgemäße Würde zurück, gesellschaftliche Gleichberechtigung und Achtung; sie hat mitgeholfen, die bürgerliche und staatliche Freiheit der Völker zu schaffen und aufrecht zu erhalten.

Die Kirche, Feindin des Staates?

28 Die Kirche maßt sich die Rechte des Staates an und erlaubt sich Eingriffe in das Gebiet der Politik? Aber die Kirche weiß und lehrt, dass ihr göttlicher Stifter befahl, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott zu geben, was Gottes ist, und so die unabänderliche und ewige Scheidung der zwei Gewalten festsetzte, deren jede innerhalb ihres eigenen Gebietes vollkommen unabhängig ist; eine glückliche Scheidung, die so viel zur Entfaltung der christlichen Kultur beigetragen hat. Ihrem Geist der Liebe liegt jede feindselige Absicht fern; sie will nur dem Staate zur Seite stehen, um ihre Tätigkeit zwar demselben Objekt, dem Menschen und der Gesellschaft, zuzuwenden, aber in der Weise und mit dem hohen Ziel, wie es ihrer göttlichen Sendung entspricht. Wo man ihr Werk ohne Argwohn aufnähme, würde sie nur die Erreichung der unzähligen oben genannten Vorteile erleichtern. Die Kirche selbstsüchtiger Zwecke zu verdächtigen, ist nichts anderes als eine alte Verleumdung, deren sich ihre mächtigen Feinde als Vorwand bedienten, um ihre Verfolgungen zu beschönigen; und die Geschichte, vorurteilsfrei betrachtet, bezeugt es vollauf, dass die Kirche, statt jemals den Versuch zu Gewalttaten zu machen, vielmehr selbst, nach dem Bild ihres göttlichen Stifters, oft das Opfer von Gewalttaten und Ungerechtigkeiten geworden ist, und dies gerade deshalb, weil ihre Stärke in der Macht des Gedankens und der Wahrheit, nicht der Waffen liegt.

DIE FREIMAUREREI ALS HERD DER ANTIKIRCHLICHEN MACHENSCHAFTEN

29 Solche und ähnliche Beschuldigungen entspringen also aus reiner Böswilligkeit. Und bei diesem unredlichen und verderblichen Werk geht allen anderen eine im Dunkeln arbeitende Vereinigung voran, die sich in der Gesellschaft seit langen Jahren wie eine tödliche Krankheit festgesetzt hat und ihre Gesundheit und Lebenskraft zerstört. Als beständige Verkörperung der Revolution ist sie das Zerrbild einer Gesellschaft, deren Zweck es ist, die zu Recht bestehende Gesellschaft im geheimen zu regieren, und ihr ganzer Daseinszweck besteht im Krieg gegen Gott und seine Kirche. Es wäre nicht einmal nötig, sie beim Namen zu nennen; denn alle denken bei dieser Schilderung sofort an die Freimaurerei, von der Wir ausdrücklich in Unserer Enzyklika Humanum genus vom 20. April 1884 gesprochen haben; Wir haben darin ihre schädlichen Tendenzen, ihre falschen Lehren, ihr verhängnisvolles Wirken aufgedeckt. Diese Vereinigung die mit ihrem Riesennetz fast alle Nationen umspannt und sich mit anderen Geheimbünden vereint, die sie dann an verborgenen Fäden leitet, hat es dadurch, dass sie ihre Anhänger mit Vorteilen, die sie ihnen verschafft, anlockt und die Dirigenten bald durch Versprechungen, bald durch Drohungen nach ihren Absichten lenkt, dahin gebracht, dass sie in alle Gesellschaftsklassen eingedrungen ist und sozusagen einen unsichtbaren Staat ohne Verantwortungen im gesetzlichen Staat bildet. Beseelt vom Geiste des Satans, der sich, wie der Apostel sagt, bei Gelegenheit in einen Engel des Lichts (2 Kor 11, 14) zu verwandeln weiß, rühmt er sich seiner Humanitätsbestrebungen, beutet aber alles für den Zweck des Geheimbundes aus, und während er behauptet, keine politischen Ziele im Auge zu haben, entfaltet er eine weitgreifende Tätigkeit in der Gesetzgebung und Verwaltung des Staates; während er äußerlich die bestehende Obrigkeit und selbst die Religion respektiert, strebt er als höchstes Ziel (und seine eigenen Statuten bestätigen dies) die Vernichtung von Staat und Kirche an, die ihm als Feinde der Freiheit gelten.

30 Es stellt sich immer klarer heraus, dass dem Einfluss und der Mitwirkung dieses Verbandes die ständigen Schikanen gegen die Kirche sowie auch die zunehmende Schärfe der letzten Angriffe zum großen Teil zugeschrieben werden müssen. Und in der Tat, die Gleichzeitigkeit der Verfolgung, die kürzlich wie ein Gewitter bei heiterem Himmel losbrach, ohne Ursachen, die der Wirkung angemessen gewesen wären; die gleiche Art der Vorbereitung durch die Tagespresse, öffentliche Versammlungen und Theatervorstellungen; der überall erfolgte Einsatz derselben Waffen der Verleumdung und der Volksaufhetzung - dies alles weist auf einen einheitlichen Plan und die Herkunft der Losung von ein und derselben Zentralleitung hin. Eine Erscheinung übrigens, die mit jenem längst zuvor gefassten Plan in Verbindung steht, der in großem Umfange in die Tat umgesetzt zu werden beginnt, um die von Uns schon aufgezählten Schäden zu vervielfältigen, vor allem um den religiösen Unterricht zurückzudrängen bis zur vollständigen Abschaffung und so eine indifferente und ungläubige Generation heranzubilden, um mittels der Presse die Sittenlehre der Kirche anzugreifen, ihre frommen Gebräuche verächtlich zu machen und ihre Feste zu entheiligen.

31 Es versteht sich von selbst, dass das katholische Priestertum, das berufen ist, die Religion zu verbreiten und ihre Geheimnisse zu verwalten, mit größter Erbitterung angegriffen wird, um seine Autorität und sein Ansehen beim Volk herabzusetzen. Ja, die Herausforderungen nehmen täglich zu: man missdeutet seine Handlungen, verdächtigt und beschuldigt es in gemeinster Weise; und dies alles wächst im Verhältnis zur Straflosigkeit, die man erwarten kann. So treten neue Übel zu jenen hinzu, die der Klerus schon seit einiger Zeit erduldet infolge der Wehrpflicht, die ihn der angemessenen religiösen Vorbildung entzieht, und infolge der Enteignung der Kirchengüter, die der fromme Edelmut der Gläubigen gestiftet hatte.

32 Und die Orden und religiösen Genossenschaften, die in der Befolgung der evangelischen Räte nicht weniger den Ruhm der Religion als der Gesellschaft ausmachen, sind, gerade als hätten sie dadurch in den Augen der Feinde der Kirche eine neue Schuld auf sich geladen, der Gegenstand des Hasses und der Verachtung geworden. Und mit Schmerz müssen Wir daran erinnern, wie sie auch neuerdings von unverdienten gehässigen Maßnahmen betroffen wurden, die jeder rechtlich Denkende im höchsten Grad verurteilen muss. Nichts vermochte sie davor zu schützen: nicht ihr unbescholtenes Leben, gegen das nicht einmal der Feind ernste und begründete Anschuldigungen vorbringen konnte; nicht das Naturrecht, das die Bildung von Vereinigungen zu einem guten Zwecke erlaubt, nicht das Staatsgesetz, das sie sanktioniert hat; noch auch die Dankbarkeit des Volkes für die wertvollen Dienste, die ihm die Orden geleistet haben in Wissenschaft und Kunst, durch Urbarmachung und Bewirtschaftung des Bodens und durch die ausgedehnte karitative Tätigkeit für die große Masse der Armen. Männer und Frauen, aus dem Volke hervorgegangen, die freiwillig auf die Freuden der Familie verzichtet haben, um in friedlichem Zusammenwirken ihre Jugend, ihr Talent, ihr ganzes Tun und Leben dem Wohle des Nächsten zu weihen, werden geächtet wie eine Rotte von Übeltätern, und dies angesichts der stetig erweiterten Freiheitsrechte.

33 Doch es ist kein Wunder, dass die liebsten Kinder so schwer heimgesucht werden, wenn der Vater selber, das Haupt der katholischen Kirche, der Papst in Rom, keine bessere Behandlung findet! Die Tatsachen sind genau bekannt. Mit der weltlichen Herrschaft hat man ihm jene Unabhängigkeit geraubt, deren er für seine weltweite göttliche Sendung bedarf. Man hat ihn genötigt, sich in seiner eigenen Stadt Rom im eigenen Hause einzuschließen. Der Druck einer feindlichen Macht, die durch nichtssagende Zusicherungen und zweifelhafte Versprechungen für sein Ansehen und seine Freiheit bürgen wollte, hat ihn in eine unnatürliche Lage gedrängt, die ungerecht und seines erhabenen Amtes unwürdig ist. Wir wissen nur zu gut, welche Hindernisse man dem Papst in den Weg legt, wie oft man seine Absichten missdeutet und seine Würde verletzt. So wird es immer klarer, dass es im Plane lag, durch den Raub der weltlichen Herrschaft allmählich die geistliche Gewalt des Oberhauptes der Kirche zu untergraben, was übrigens seine wahren Urheber schon unzweideutig zugegeben haben. Allein das Unterfangen ist im Hinblick auf seine Folgen nicht nur politisch unklug, sondern auch für die gesellschaftliche Ordnung gefährlich. Denn die Streiche, die man gegen den Glauben führt, treffen zugleich in das Herz der Gesellschaft. Gott, der dem Menschen eine wesenhaft soziale Natur gab, hat in seiner Vorsehung die Kirche gegründet und sie auf den Berg Sion gestellt, wie die Heilige Schrift sich ausdrückt, auf dass sie als Leuchte diene und auf dass der befruchtende Strahl ihres Lichtes in den mannigfachsten Gestaltungen der menschlichen Gesellschaft das Leben zur Entfaltung bringe, in dem sie sie Grundsätze himmlischer Weisheit lehrt, durch deren Befolgung sie ihre Verhältnisse aufs beste ordnen kann. Eine Gesellschaft also, die sich dem Einfluss der Kirche entzieht, auf den ihr Bestand zu einem beträchtlichen Teil gegründet ist, muss immer tiefer sinken oder in Trümmer zerfallen, da sie trennt, was Gott verbunden wissen wollte.

DIE UNERSCHÜTTERLICHE VITALITÄT DER KIRCHE

34 Wir sind nie müde geworden, bei jeder Gelegenheit diese Wahrheiten nachdrücklich zu betonen, und wollten es jetzt bei diesem außerordentlichen Anlasse ausdrücklich wieder tun. Gebe Gott, dass die Gläubigen daraus die nötige Tatkraft und Einsicht schöpfen, ihr Tun wirkungsvoller auf das allgemeine Wohl hin zu koordinieren; und mögen auch die Gegner daraus die Erkenntnis schöpfen, dass sie sich einer Ungerechtigkeit schuldig machen, wenn sie die Kirche verfolgen, die liebevolle Mutter und treue Wohltäterin der Menschheit.

35 Wir möchten jedoch nicht, dass das traurige Bild ihrer augenblicklichen Lage die Gläubigen im festen Vertrauen auf Gottes Beistand wankend mache. Er wird schließlich den Sieg verleihen, wann und wie er will. Tiefbetrübt sind Wir bis ins innerste Herz hinein, aber frei von Angst um den Bestand der Kirche, die unsterblich ist. Die Verfolgung ist, wie Wir schon zu Anfang sagten, ihr Erbteil; denn Gott weiß durch sie höhere, kostbarere Zwecke zu erreichen in der Prüfung und Läuterung seiner Kinder. Aber obgleich er solche Anfeindungen und Widerstände zulässt, offenbart er dabei doch zugleich seinen göttlichen Beistand, der durch neue, ungeahnte Mittel Bestand und Wachstum des Werkes sichert, so dass die Mächte, welche sich zum Untergang seiner Kirche verschworen haben, nicht obsiegen. Die neunzehn Jahrhunderte ihres Bestehens inmitten der unaufhörlich wechselnden Ebbe und Flut menschlichen Geschicks lehren, dass die Stürme, ohne ihre Grundfesten zu erschüttern, vorübergehen.

36 Und mit Recht schöpfen wir Mut; denn auch in der Gegenwart fehlt es nicht an hoffnungsvollen Anzeichen, die unsere Zuversicht nicht wanken lassen. Die Schwierigkeiten sind ungewöhnlich groß und beängstigend, das ist wahr, aber es spielen sich doch auch Vorgänge unter unseren Augen ab, die von einer wunderbaren Erbarmung und Weisheit zeugen, mit der Gott seine Versprechungen erfüllt. Ja, während so viele Mächte sich gegen die Kirche verbünden und menschliche Hilfe ihr fast gänzlich fehlt, steht sie noch immer groß da in der Welt und breitet sie ihr Reich aus unter den Völkern aller Himmelsstriche. Nein, der Fürst dieser Welt kann seine Herrschaft von ehedem nicht wiedererobern, seit Christus sie ihm abgerungen hat; die Angriffe Satans können zwar viel Unheil verursachen, sie werden aber ihr Ziel nicht erreichen. Schon jetzt ist unter dem Beistand des Heiligen Geistes, dessen lebendiger Hauch die Kirche durchweht, ein himmlischer Friede nicht nur im einzelnen in die Herzen der Guten, sondern in die ganze katholische Welt eingezogen; ein Friede, der sich ungetrübt entfaltet aus der Einigkeit der Bischöfe mit dem Apostolischen Stuhl, einer Einigkeit, die enger und inniger ist als je zuvor und einen wunderbaren Gegensatz bildet zu der Agitation, der Zwietracht und der Hektik der Geheimbünde, die sich stetig ausbreiten und den Frieden der Gesellschaft stören! Dieselbe harmonische Einheit verbindet die Bischöfe mit ihrem Klerus und diesen wiederum mit der katholischen Laienwelt und ist eine treibende Kraft zu den verschiedensten Werken eifervoller Liebe. Fester und frei von menschlichen Rücksichten schließen sich die katholischen Laien zu einmütigem Handeln zusammen und raffen sich in hochherzigem Wetteifer auf zur Verteidigung der heiligen Sache des Glaubens. Ja, das ist die Einigkeit, die Wir schon früher so sehr betonten und jetzt von neuem einschärfen und die Wir segnen, auf dass sie immer mehr erstarke und wie eine uneinnehmbare Mauer dem Ansturm der Feinde Gottes trotze.

37 So ist es auch nicht verwunderlich, dass auch in unseren Tagen so viele religiöse Vereinigungen in der Kirche gleich Schösslingen am Fuß des Baumes hervorsprossen, wiedererstarken und sich wieder aufs neue zusammenschließen. Keine Form christlicher Frömmigkeit, die in ihnen nicht ihre Pflege findet, mag sie sich auf den Erlöser und seine anbetungswürdigen Geheimnisse beziehen, auf seine mächtigste Mutter oder auf einen Heiligen, der in besonderem Tugendglanze strahlt. Und gleichzeitig wird keine Form christlicher Nächstenliebe vergessen; mit allen Mitteln arbeiten sie überall an der religiösen Erziehung der Jugend, in der Krankenpflege, an der Hebung der öffentlichen Sittlichkeit und für die Unterstützung der besitzlosen Klassen. Und wie rasch würde sich diese Bewegung mit noch ganz anderen Erfolgen ausbreiten, wenn nur nicht so häufig ungerechte und feindselige Maßnahmen ihr Hindernisse in den Weg legten.

38 Und der Herr, der die Kirche so lebenskräftig erhält in den zivilisierten Ländern, in denen sie schon seit langem besteht, gibt uns auch durch neue Hoffnungen Trost dank dem Eifer seiner Missionare; die bestandenen Gefahren, die Entbehrungen und Opfer jeder Art haben sie nicht entmutigt, ihre Zahl ist vielmehr noch gewachsen, und so gehen sie hin, gewinnen ganze Landstriche dem Evangelium und der Gesittung und bewahren dabei eine bewundernswerte Ausdauer, obwohl ihnen mit Herabsetzung und Verleumdung vergolten wird, wie einst ihrem göttlichen Meister.

39 Unsere Betrübnis ist also durch viel Tröstliches gemildert, inmitten der Beschwernisse des Kampfes finden Wir vieles, das uns Stärke und Hoffnung gibt. Diese Tatsache sollte jeden einsichtigen Beobachter, den nicht die Leidenschaften verblendet haben, nachdenklich machen und ihn erkennen lassen, dass Gott, der den Menschen hinsichtlich des letzten Zieles seines ganzen Lebens nicht sich selber überließ und deshalb zu ihm gesprochen hat, auch jetzt in seiner Kirche spricht, die so sichtbar von göttlichem Beistand unterstützt wird, dass Gott selbst es offenkundig macht, auf welcher Seite Wahrheit und Heil zu finden ist. Jedenfalls wird dieser fortwährende Beistand dazu dienen, unseren Herzen die feste Hoffnung einzupflanzen, dass in dem Augenblicke, den die göttliche Vorsehung bestimmt hat, die Wahrheit die Nebel, mit denen man sie verhüllen will, zerreißen und in nicht ferner Zukunft heller erstrahlen wird und dass der Geist des Evangeliums die müden und kranken Glieder dieser zerrütteten Gesellschaft wieder beleben wird.

AUFMUNTERUNG ZUM KAMPF UND GEBET GEGEN DEN ATHEISMUS

40 So viel an Uns liegt, Ehrwürdige Brüder, bemühen Wir Uns, den Tag der Erbarmungen Gottes zu beschleunigen und bereitwillig mitzuwirken, wie es Unsere Pflicht ist, bei der Verteidigung und Ausbreitung seines Reiches auf Erden. Bei Euch bedarf es der Aufmunterung nicht; Eure Hirtensorge ist Uns bekannt. Möge die Flamme, die in Euren Herzen brennt, immer mehr auch alle Diener des Herrn entzünden, die an Eurer Arbeit teilnehmen. Sie stehen in unmittelbarer Berührung mit dem Volk und kennen genau seine Wünsche, seine Bedürfnisse, seine Leiden wie auch die Listen und Verführungskünste, mit denen man es umgarnt. Und wenn sie, erfüllt von dem Geist Jesu Christi, erhaben über alle politischen Leidenschaften, ihre Arbeit mit der Eurigen vereinen, wird es ihnen mit Gottes Segen gelingen, Wunder zu wirken: mit ihrem Wort werden sie die Massen erleuchten, durch die Milde ihres Umgangs die Herzen an sich ziehen und ihnen liebevoll behilflich sein zu steter Verbesserung ihrer Lage. - Und der Klerus wird dabei von der klugen, tätigen Mitarbeit aller gutgesinnten Gläubigen unterstützt; so werden die Söhne, welche die liebende Sorge ihrer Mutter, der Kirche, erfuhren, ihr mit der Verteidigung ihrer Ehre und ihres Ansehens nach Gebühr vergelten. Jeder kann beitragen zu diesem pflichtgemäßen, höchst verdienstlichen Werke: die Gelehrten und die Schriftsteller mit Verteidigungsschriften und in der Tagespresse, diesem Machtmittel, das unsere Gegner so sehr missbrauchen, die Familienväter und die Lehrer durch eine christliche Erziehung der Kinder, die Behörden und Volksvertreter durch Festigkeit in den rechten Grundsätzen und durch Makellosigkeit des Charakters, alle durch ein furchtloses Bekenntnis ihres Glaubens. - Unsere Zeit verlangt eine hochherzige Gesinnung, großmütige Entschlüsse, strenge Wahrung der Disziplin. Diese muss sich vor allem in einer vertrauensvollen vollkommenen Befolgung der Richtlinien des Heiligen Stuhles äußern, denn dies ist das beste Mittel, die Gefahr entzweiender Parteimeinungen zu beheben oder doch abzuschwächen und alle Kräfte zu einen im Dienste eines höheren Zweckes, des Sieges Jesu Christi in seiner Kirche.

41 Das ist die Pflicht der Katholiken; der endliche Erfolg hängt ab von dem, der liebevoll und weise über seine unbefleckte Braut wacht, von dem geschrieben ist: "Jesus Christus heri et hodie, ipse et in saecula" (Hebr 13, 8) -, Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit." Zu ihm richten Wir auch in diesem Augenblick Unser demütiges und inständiges Gebet; zu ihm, der in unendlicher Liebe für die irrende Menschheit sich in seinem erhabenen Opfertod zur Sühne hingab; zu ihm, der, wenn auch unsichtbar, auf dem geheimnisvollen Schiffe seiner Kirche steht und dem Meer und den tobenden Winden gebieten und den Sturm stillen kann. - Und Ihr, Ehrwürdige Brüder, werdet ihn gewiss vereint mit Uns anflehen, auf dass das Unglück schwinde, das auf der Gesellschaft lastet, auf dass der Strahl des göttlichen Lichtes alle die erleuchte, die, vielleicht mehr aus Unwissenheit als aus Böswilligkeit, die Religion Christi hassen und verfolgen, auf dass die Menschen, die guten Willens sind, in heiligem Eifer neuen Mut schöpfen. So möge denn bald der Triumph der Wahrheit und des Rechts nahen, mögen bald der Menschenfamilie glücklichere Tage des Friedens und der Ruhe beschieden sein!

Segen

42 Empfangt indessen als Unterpfand der heißerflehten Gnaden für Euch und für alle Eurer Hirtensorge anvertrauten Gläubigen den Apostolischen Segen, den Wir Euch aus vollem Herzen spenden!

Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 19. März 1902,

im fünfundzwanzigsten Jahr Unseres Pontifikats

Papst Leo XIII.

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