Ad-limina-Ansprachen von Papst Johannes Paul II. an die DBK im November 1999

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Kirche als universales Heilssakrament

Hintergrund

Die deutschen Bischöfe wurden von Papst Johannes Paul II. zu ihrem Ad-limina-Besuch in drei Gruppen empfangen. Die Ansprache, die der Papst bei der jeweiligen Audienz hält, ist an das gesamte Bischofskollegium gerichtet und nicht nur an die betreffende Gruppe.

(Quelle: Osservatore Romano 12. November 1999, S. 1):

Am 9. November begann der »Ad-limina«-Besuch der 27 deutschen Diözesanbischöfe im Vatikan. Zu den Teilnehmern der ersten von drei Gruppen unter Führung des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, gehören die Bischöfe von Trier, Essen, Limburg, Münster, Hildesheim, Erfurt, Görlitz und Fulda. Der Besuch begann mit einer gemeinsamen Frühmesse am Grab des Apostels Petrus unter dem Petersdom.

Die zweite Gruppe unter der Leitung des Erzbischofs von München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter, bilden neben den bayerischen und baden-württembergischen Bischöfen auch der Bischof von Speyer, Anton Schlembach, und der Bischof von Mainz und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann.

Als letzte Gruppe kommen unter Führung des Erzbischofs von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, die Bischöfe von Hamburg, Magdeburg, Osnabrück, Paderborn und Aachen. Außer einem gemeinsamen Gottesdienst, den Papst Johannes Paul II. mit den deutschen Bischöfen feiern wird, sind Besuche bei allen vatikanischen Dikasterien vorgesehen.

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ansprache von Johannes Paul II. am 15. November 1999 an die erste Gruppe

(Quelle: Osservatore Romano 19. November 1999, S. 1 und 6; Orig. dt. in O.R. 16.11.99)
Kirche als universales Heilssakrament – ihr Wirken in der Zeit
Herr Kardinal,
liebe Brüder im Bischofsamt !

1. Seid herzlich willkommen im Haus des Bischofs von Rom, der Euch heute mit Freuden empfängt aufgrund des Bandes der Gemeinschaft, das alle Bischöfe als Nachfolger des um Petrus gescharten Apostelkollegiums vereint. Das vornehmste Ziel Eurer gemeinsamen Pilgerfahrt an die Gräber der Apostelfürsten Petrus und Paulus besteht darin, die Gnade Eures Bischofsamtes neu zu entfachen und Kraft zu schöpfen für Eure pastorale Sendung. Mir als dem Nachfolger des hl. Petrus kommt dabei die Auf gabe zu, Euch im Glauben und in Eurem apostolischen Dienst zu bestärken (vgl. Lk 22,32). Zugleich wird mir durch Euch die Möglichkeit geschenkt, die Priester und Diakone, Ordensleute und Laien der Euch anvertrauten Teilkirchen meiner geistlichen Nähe zu versichern: »Der Gott der Geduld und des Trostes schenke Euch die Einmütigkeit, die Christus Jesus entspricht, damit Ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde preist« (Röm 15,5–6).

2. Der Zeitpunkt Eures Ad-limina-Besuches ist ein besonderer. Denn während uns nur noch wenige Wochen von der Schwelle des dritten Jahrtausends trennen, werden in diesen Tagen jene außergewöhnlichen Ereignisse von neuem lebendig, die vor fast genau zehn Jahren die Wende in Eurem Heimatland besiegelt haben. Die Mauer von Berlin ist gefallen. An die Stelle der Stacheldrähte traten offene Türen. Das Brandenburger Tor, jahrzehntelanges Symbol der Trennung, ist wieder das geworden, was es vorher war: das Zeichen der Einheit Deutschlands. Wenn ich Euch, liebe Brüder, als Hirten aus den Diözesen der alten und der neuen Bundesländer in diesen Tagen Eures Ad-limina-Besuches um mich geschart sehe, dann danke ich Gott, der in seiner Vorsehung die Geschichte lenkt, und wiederhole ein Wort aus dem Buch der Psalmen: »Seht doch, wie gut und schön es ist, wenn Brüder in Eintracht beisammen sind« (Ps 133,1). Die Bedeutung des geschichtlichen Augenblicks, den wir gerade erleben, drängt mich, bei diesem Ad-limina-Besuch ein grundlegendes Thema aufzugreifen: die Kirche, die »in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lu men gentium, 1) ist. Bevor ich mit den beiden anderen Gruppen Eurer Brüder im Bischofsamt weitere Gesichtspunkte dieses Themas behandeln werde, möchte ich heute gemeinsam mit Euch auf das Umfeld schauen, das die Kirche als »Haus Gottes unter den Menschen« (vgl. 1 Tim 3,15; Apk 21,3) Eures Landes derzeit umgibt. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist freilich zu komplex, als dass man sie in wenigen Strichen hinreichend nachzeichnen könnte. So müssen einige markante Linien genügen, um das Wesentliche angemessen zu erfassen.

3. Durch die sanfte Revolution, die ohne Blutvergießen der Freiheit die Bahn gebrochen hat, wurden vor zehn Jahren große Hoffnungen geweckt. Das Wort von den blühenden Landschaften war damals in aller Munde. Doch viele derer, die einst Luftschlösser bauten, müssen heute froh sein, wenn sie ihr Lebenshaus auf einigermaßen sicheren Boden stellen können. Ihr habt die Herausforderungen der ver gangenen zehn Jahre b eherzt angenommen und werdet nicht müde, mit Rat und Tat den Menschen zur Seite zu stehen, die ihrer Existenz einen festen Grund geben wollen. Dafür spreche ich Euch und allen, die Euch in Eurem nicht immer leichten Einsatz unterstützen, meine aufrichtige Anerkennung aus.

Ich beglückwünsche Euch zu dem vielen Guten, das die Kirche in Deutschland auszeichnet. Sie ist gesellschaftlich präsent, politisch relevant, sozial engagiert und finanziell großzügig, wo immer sie gebraucht wird. Als Beispiel für viele andere möchte ich an dieser Stelle den wichtigen Dienst nennen, den die kirchlichen Beratungsstellen auf zahlreichen Gebieten, insbesondere für die Schwangeren in Not, leisten. Nicht unerwähnt sollen die Tatkraft und Treue bleiben, mit denen der Verband der Diözesen Deutschlands trotz der sich erschwerenden eigenen finanziellen Verhältnisse den pastoralen Dienst unterstützt, den der Bischof von Rom an der universalen Kirche vollzieht. Meine Gedanken gehen auch nach Berlin, wo es nicht zuletzt durch Euren Beitrag ermöglicht wurde, für den Päpstlichen Vertreter ein angemessenes Gebäude zu errichten. Diese Tatsachen zeigen mir, dass Euer Herz für den Nachfolger Petri schlägt, der »das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und Gläubigen« ist (Lumen gentium, 23). In Anbetracht einer so festen Überzeugung kann man davon ausgehen, dass das Haus der Kirche in Deutschland auch in Zukunft auf Felsen gebaut sein wird.

4. Die Menschen in Eurem Land leben in einer Konsumgesellschaft, in der es dem breiten Durchschnitt der Bevölkerung materiell besser geht als je zuvor. Wenngleich es sich dabei ohne Zweifel um eine Errungenschaft handelt, darf man auch die dunkle Seite nicht ausblenden: Besonders in den neuen Bundesländern kann man nach der Wende geradezu von einem »Konsumschock« sprechen. Im Interesse der Wirtschaft wurden zahlreiche materielle Bedürfnisse geweckt, durch geschickte Werbung kontinuierlich hochgeschraubt und so der Eindruck vermittelt, man könne sich stets alles leisten. Die materiellen Güter sind oft so sehr in den Vordergrund gerückt, dass sie jegliche Sehnsucht nach religiösen und moralischen Werten überdeckt haben. Doch mit der Zeit spürt der Mensch einen Mangel, wenn ihm zwar die Hände gefüllt werden, aber das Herz dabei leer ausgeht: »Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt« (Mt 4,4; vgl . Dtn 8,3).

In diesem Zusammenhang bewegt mich besonders die Sorge um die Bedeutung des Sonntags, der fortschreitend von der Aushöhlung bedroht ist. Ich weiß Eure Initiativen zu würdigen, die Ihr aufwendet, um den Sonntag als Tag des Herrn und Tag des Menschen zu schützen. In meinem Apostolischen Schreiben Dies Domini habe ich diese Gesichtspunkte ausführlich entfaltet. Außerdem möchte ich Euer richtungweisendes Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland nicht unerwähnt lassen, das nach einem ausführlichen Konsultationsprozeß zusammen mit den evangelischen kirchlichen Gemeinschaften entstand und in der Öffentlichkeit große Beachtung fand. Dabei habt Ihr Euch von einem Gedanken leiten lassen, der auch mir sehr am Herzen liegt: Der Mensch als Person darf nicht unter die Räder der wirtschaftlichen Interessen kommen. Die Gefahr dazu liegt nahe. Denn die Konsumgesellschaft, in der Gott oft totgesagt wird, hat genug Götzen geschaffen. Darunter sticht besonders der Götze des Profits um jeden Preis hervor.

Kirchliches Selbstverständnis und säkulare Medien

5. Ein weiteres Phänomen Eures Umfeldes stellen die Kommunikationsmittel dar. Die modernen Massenmedien sind in ihrer Vernetzung imstande, Nachrichten in Sekundeneile über den Erdball zu verbreiten. Der Mensch als einzelner ist oft nicht mehr nur unterrichtet; er ertrinkt gleichsam so in den Informationen, dass er die Nachrichten gar nicht mehr überschauen, geschweige denn verarbeiten und auswählen kann. So bleibt er nicht selten einsam, verunsichert und orientierungslos zurück. Denn in der pluralistischen Gesellschaft kommt alles wahllos zur Sprache, was nur immer Neuheit und Sensation verheißt. Sicher gibt es auch wertvolle Programme zur Information und Unterhaltung. Doch man muss zu einer kritischen Reife erziehen, die mit Weisheit zu wählen versteht.

Die Informationsgesellschaft ist daher eine Herausforderung für die Hirten. Einerseits gilt es, sich dafür einzusetzen, dass die Menschen in der eben erwähnten kritischen Reife wachsen. Andererseits geht es darum, eine gute Qualität der Nachrichten zu fördern. Denn die Kirche ist berufen, auch die Medien zu »evangelisieren«! Wenn man sie richtig nützt, können sie für die Hirten eine Art »Ambo« werden. Man muss mit Aufmerksamkeit die Männer und Frauen auswählen, die den Auftrag erhalten, die Stimme der Kirche in den Gremien und Räten von Funk und Fernsehen zu erheben. Es sei Eure Sorge, junge Menschen zu fördern, die im Bereich der Publizistik der Wahrheit dienen.

Die tägliche Erfahrung lehrt, dass die Kirche für viele Journalisten ein Thema ist, das anzieht. Diese Tatsache sollte man nicht unterbewerten. Deshalb ist es angezeigt, sich ihnen nicht grundsätzlich zu verweigern. »Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die Euch erfüllt« (1 Petr 3,15). Das schließt jedoch die Pflicht zu einer vernünftigen Zurückhaltung nicht aus, was sowohl der gebotene gegenseitige Respekt als auch das nötige gelassene Bedenken der zu untersuchenden Sache nahelegen. Man muss also von Fall zu Fall genau prüfen, wo es sich wirklich lohnt, das Gesicht für die Kameras herzugeben und mit seiner Stimme die Mikrofone zu füllen.

Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses

6. Schließlich geht Ihr, ehrwürdige Brüder, Eurer bischöflichen Sendung in einer fortschreitend säkularisierten Gesellschaft nach. Religiöse Werte kommen in ihr kaum noch vor. Viele leben so, als ob es Gott nicht gäbe. Der wirtschaftlichen Säkularisation, die sich vor fast 200 Jahren ereignet hat, folgten in dem nun zur Neige gehenden

Jahrhundert Schübe einer geistigen Säkularisierung, deren Ende noch nicht abzusehen ist. In Eurem Land hat dieser Prozeß in Folge der Wiedervereinigung an Fahrt gewonnen. Dieser Befund schlägt sich heute in vielerlei Hinsicht nieder: Das vereinigte Deutschland ist nicht – wie man anfangs dachte – protestantischer, sondern unchristlicher geworden. Der Grundkonsens auf der Basis christlicher Werte scheint zu zerbröckeln. Deshalb muss sich die Kirche die Frage nach der eigenen Rolle in einer Gesellschaft stellen, in der die Bezüge zu Gott immer seltener werden, da es in vielen Bereichen keinen Platz mehr für ihn gibt.

Diese Frage bedrängt besonders Euch, liebe Brüder. Ich weiß um die geschichtlich-kulturelle Rolle, die in Deutschland die Kirche gespielt hat und die ihr noch immer zukommt: Dies schlug sich auch in einer einzigartigen rechtlichen Form nieder – zuletzt in den Verträgen zwischen dem Hl. Stuhl und den neuen Bundesländern. Für dieses Erbe bin ich einerseits sehr dankbar. Es ist wertvoll und schützenswert. Andererseits kann ich gut verstehen, dass Ihr unter dem wachsenden Rückgang kirchlicher Bindungen und am daraus sich ergebenden schwindenden Einfluß der Kirche im gesellschaftlichen Leben leidet. Ich weiß auch, dass Euch die Frage bewegt, ob die Rechte und Pflichten, die der Kirche in Eurem Land zukommen, tatsächlich von dem gedeckt sind, was sie leisten kann. Diese Spannung wirkt sich bis auf die Ebene der Pfarrgemeinden aus. Dort zeigt sie sich bisweilen so, dass Priestern, Diakonen und pastoralen Mitarbeitern eine Art Spagat abverlangt wird: Zum einen sind sie gehalten, die flächendeckende »pastorale Versorgung« einer teilweise gleichgültigen Mehrheit zu gewährleisten, während sie sich in ihrem seelsorglichen Tun aber auch der »Berufungs-« bzw. »Entscheidungskirche« widmen sollen, d.h. denen, die tatsächlich Jesus nachfolgen wollen.

Dies ist kein gordischer Knoten, den man einfach durchschlagen kann. Er läßt sich nur behutsam lösen durch inständiges Beten, redliches Nachdenken und mit der Planung mutiger kleiner Schritte, um der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Zeugnisses vom Glanz der Wahrheit in Eurem Land Gestalt zu geben. Um der Herausforderung der säkularisierten Gesellschaft zu begegnen, ist der freiwillige Weg zur »kleinen Herde« (Lk 12,32) keine echte Alternative. In erster Linie ist die Bereitschaft zum Dialog gefordert, d.h. zur kritischen und argumentativen Auseinandersetzung sowie zum Aushalten von Spannungen, die im Moment nicht lösbar sind. Sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen ist keine Lösung, die dem Evangelium entspricht! Vielmehr geht es darum, sich zu Wort zu melden – ob gelegen oder ungelegen (vgl. 2 Tim 4,2)! Mischt Euch ein, wo Ihr glaubt, die Stimme für Gott und den Menschen erheben zu müssen! Ihr seid nicht von der Welt, aber sondert Euch auch nicht von ihr ab (vgl. Joh 15,19)! Eure Stimme ist nötig in einer säkularisierten Gesellschaft, in der Gott immer mehr totgeschwiegen wird.

7. Die Umstände, von denen die Kirche in Deutschland umgeben ist, sind indes nicht einfach als agnostisch und religiös indifferent anzusehen. Ob hinausgedrängt oder totgeschwiegen – Gott ist da, und in den Herzen vieler Menschen ist die Sehnsucht nach ihm stets lebendig. Denn der Mensch gibt sich letztlich nicht mit reiner Menschlichkeit zufrieden. Er sucht nach einer Wahrheit, die ihn übersteigt. Wenn auch ohne klare Konturen, sucht der Mensch nach dieser Wahrheit, weil er merkt, dass darin der Sinn seines Lebens liegt. Die hl. Teresia Benedicta a Cruce, die ich nach ihrer Heiligsprechung vor gut einem Jahr erst kürzlich anläßlich der Sonderversammlung der Bischofssynode zur Mitpatronin Europas erklärt habe, hat diese innere Erkenntnis in eine Formel gegossen: »Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.«

In der Antwort auf die Gottesfrage liegt die große Chance der Kirche. So sollen die Türen der Kirche offen stehen für alle, die ehrlich nach Gott suchen. Wer die Kirche nach der Wahrheit fragt, darf erwarten, dass er das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich und ohne Abstriche erklärt bekommt (vgl. Dei Verbum, 10). So wird die Suche nach der Wahrheit vor den Gefahren diffuser, irrationaler und synkretistischer Religiosität geschützt, und die Kirche des lebendigen Gottes zeigt sich als »die Säule und das Fundament der Wahrheit« (1 Tim3,15). Der entsprechen. Durch den mannigfaltigen Einsatz ist die Kirche ohne Zweifel in vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft Eures Landes präsent, was selbst von Kreisen anerkannt wird, die ihr fernstehen. Damit dieses Engagement jedoch nicht ihrer eigentlichen Sendung schadet, bitte ich Euch, das christliche Profil der Einrichtungen, die im Namen der Kirche wirken, zu prüfen und gegebenenfalls zu schärfen. Denn eine rein horizontale Nächstenliebe muss immer wieder von der vertikalen der Gottesliebe durchkreuzt werden. Das Kreuz ist ja nicht nur ein Erkennungszeichen, das wir Bischöfe auf der Brust tragen. Es ist das große Plus, das unser christliches Profil ausmacht. Deshalb soll in den katholischen Häusern das Kreuz mehr sein als ein Schmuckstück oder ein Einrichtungsgegenstand. Es sei das Markenzeichen, unter dem der unermüdliche Einsatz der zahllosen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sozialen, schulischen und kulturellen Bereich steht.

Unter den Armen des Kreuzes gedeiht die »Kultur des Lebens«, wo gerade die Menschen geborgen sind, die sonst allzu schnell hinausgedrängt werden: vor allem die Ungeborenen und Todgeweihten. Deshalb muss man die geistliche und moralische Formung des Personals in den kirchlichen oder der Kirche zugeordneten Einrichtungen in jeglicher Hinsicht fördern! Denn echte Solidarität mit den Menschen braucht feste Solidität in Gott. Durch die Sendung seines Sohnes in die Welt hat Gott gezeigt, dass er ein leidenschaftlicher »Freund des Lebens« (Weish 11,26) ist.

Freude und Hoffnung – Quellen geistlichen LebensWahrheit im Glauben muss die Wahrhaftigkeit im Leben

8. Liebe Brüder! Ich möchte diese Gedanken nicht beschließen, ohne Euch etwas anzuvertrauen. Dreimal wurde es mir in meinem bisherigen Pontifikat geschenkt, Euer geliebtes Land als Pilger aufzusuchen. Von vielen Eindrücken bewegt, ist in mir besonders die Melodie eines Liedes nachgeklungen, das die Gläubigen voller Inbrunst gesungen haben: »Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land...« Aus diesem Hymnus sprechen die Freude an der Kirche und auch der Stolz, zu dieser Kirche gehören zu dürfen. Davon sind noch immer ganze Scharen von Gläubigen in Deutschland erfüllt. Ich habe die Priester, Diakone und Ordensleute vor Augen, die durch das Zeugnis ihres Dienstes und ihrer Lebensform die Kirche mittragen. Ich denke an die vielen Frauen und Männer, die ihre Berufung als Laien leben.

Sie arbeiten hauptberuflich oder ehrenamtlich in der Seelsorge mit oder bringen ihre Talente in den Verwaltungsund Pfarrgemeinderäten ein. Nicht vergessen möchte ich die kirchlichen Verbände, von denen einige aufgrund ihres ansehnlichen Alters starken Bäumen gleichen, und die jungen geistlichen Gemeinschaften, die zum Teil noch zarte Pflänzchen sind. Ausdrücklich erwähnen möchte ich die stillen Beter, die dem Wirken der Kirche Atem geben. Überbringt ihnen allen meine herzlichsten Grüße! Besonders an die Jugendlichen gebt die Einladung zum Weltjugendtag im Jahr 2000 weiter: Der Papst erwartet sie!

9. Für die Hoffnung, die ich für Euch und alle Katholiken in Eurem Land hege, finden sich kaum schönere Worte als die des hl. Petrus: »Laßt Euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen, und um die großen Taten dessen zu verkünden, der Euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat« (1 Petr 2,5.9b).

Auf die Fürsprache Marias, die als »goldenes Haus« Modell der Kirche ist, hoffe ich, dass die Kirche in Deutschland auch im neuen Jahrtausend das sei und immer mehr werde, was Ihr in Eurem schönen Hymnus besingt: »ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land«. Mit diesen Gedanken und Hoffnungen, die mich bewegen, erteile ich Euch und allen, die Eurer Hirtensorge anvertraut sind, den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 15. November 1999

Weblink

Ansprache von Johannes Paul II. am 18. November 1999 an die zweite Gruppe

(Quelle: Osservatore Romano 26. November 1999, S. 7-9; Orig. dt. in O.R. 19.11.99)

Herr Kardinal,

liebe Brüder im Bischofsamt !

1. Es ist mir eine große Freude, Euch hier im Apostolischen Palast zu empfangen: »Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!« (2 Kor 13,13). In diesen Gruß des Völkerapostels kleide ich meinen Wunsch für Euren »Ad-limina«-Besuch, der Euch nach Rom geführt hat, »um Kephas kennenzulernen« (Gal 1,18). In unmittelbarer Nähe der Gräber der Apostelfürsten sind unsere Gedanken auf Petrus und Paulus gelenkt, die Begründer der »sehr großen und sehr alten Kirche« (Irenäus von Lyon, Adv. Haer. III, 3,2). Zwar waren sie in Charakter und Berufung verschieden, doch das Zeugnis für ihren Glauben hat sie vereint. Gemeinsam hatten sich die beiden großen Apostel um des Evangeliums willen für Gott und die Menschen aufgezehrt. Auch wenn es bisweilen Spannungen zwischen ihnen gab, haben sie ihre Beziehungen niemals abgebrochen. Sie reichten einander sogar die Hand »im Zeichen der Gemeinschaft« (Gal 2,9). Denn sie wußten, dass es der Herr selbst war, der Petrus zum universalen Hirten seiner Herde (vgl. Joh 21,15–17) bestellt und als sichtbares Fundament kirchlicher Einheit (vgl. Mt 16,18) eingesetzt hatte.

Im gleichen Geist brüderlicher und hierarchischer Communio möchte ich die Überlegungen fortführen, die ich mit der vorhergehenden Gruppe von Bischöfen Eures Landes über die Kirche als das »allumfassende Heilssakrament« (Lumen gentium, 48; Gaudium et spes, 45) angestellt habe. Nachdem ich während der Begegnung mit Euren Mitbrüdern den Schwerpunkt auf die Rolle der Kirche in der Gesellschaft des vereinigten Deutschland legte, will ich heute mit Euch darüber nachsinnen, was Sein und Sendung Eures Hirtenamtes in der Kirche bedeutet, die sich als »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lumen gentium, 1 ) begreift.

Grundlagen kirchlicher Sendung

2. Wie der Sohn vom Vater gesandt ist, so hat er selbst die Apostel gesandt und ihnen geboten: »Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jünger n. Tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles befolgen, was ich Euch geboten habe« (Mt 28,18–20). Diesen feierlichen Auftrag Christi zur Verkündigung der Heilswahrheit haben die Apostel ihren Nachfolgern, den Bischöfen, weitergegeben. Sie sind gesandt, ihn zu erfüllen bis an die Grenzen der Erde (vgl. Apg 1,8), um auf diese Weise beizutragen »zum Aufbau des Leibes Christi« (Eph 4,2), der die Kirche ist.

Sie erfüllen ihren Auftrag in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom. Dieser besitzt ja als Nachfolger des hl. Petrus aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche die höchste, volle, unmittelbare und universale Seelsorgsgewalt (vgl. Christus Dominus, 2). Weil er daher als Hirte aller Gläubigen unter dem Auftrag steht, für das Gemeinwohl der ganzen Kirche und für das Wohl der einzelnen Kirchen zu sorgen, führt er »in der universalen Gemeinschaft der Liebe den Vorsitz« (vgl. Ignatius von Antiochien, Ad Rom., Vorwort).

Als »Stellvertreter der Liebe Christi« (Ambrosius, Expositio in Luc., lib. X) habe ich mich daher kürzlich verpflichtet gesehen, die unter Euch und in den Euch anvertrauten Teilkirchen entstandenen Dissonanzen dadurch aufzulösen, dass ich versuchte, die einzelnen Stimmen wieder in die »eine große Symphonie für das Leben« zusammenklingen zu lassen, der die katholische Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten treu bleiben muss. Ich bete darum, dass die Kirche in Deutschland einmütig und klar das Evangelium des Lebens bezeugt. Umgekehrt zähle ich auch auf Euer Gebet, dass ich meinen Dienst als erster Treuhänder der Wahrheit zum Wohl der Kirche in der ganzen Welt glaubwürdig erfülle. Vielleicht hat mir Gottes Vorsehung gerade deshalb den Stuhl des hl. Petrus anvertraut, damit ich an der Schwelle zum dritten Jahrtausend ein leidenschaftlicher »Anwalt des Lebens« sei. Ich, der ich von Jugend an erleben musste, wie in einem besonders dunklen Kapitel der Geschichte dieses geplagten Jahrhunderts unweit meiner Heimatstadt Wadowice menschliches Leben mit Füßen getreten und systematisch vernichtet wurde!

3. Die Bischöfe sind vom Heiligen Geist eingesetzt und treten an die Stelle der Apostel als Hirten ihrer Teilkirchen. Dafür haben sie eine eigene Gewalt inne, die »von der obersten und all gemeinen Gewalt nicht ausgeschaltet, sondern im Gegenteil bestätigt, bestärkt und in Schutz genommen« (Lumen gentium, 27) wird. Gemeinsam mit dem Papst und unter seiner Autorität sind die Bischöfe gesandt, das Werk Christi, des ewigen Hirten, auf dem Weg durch die Zeit fortzusetzen. Denn Christus hat die Apostel und ihre Nachfolger mit der Vollmacht ausgestattet, alle Völker zu lehren, die Menschen in der Wahrheit zu heiligen und sie geistlich zu leiten (vgl. Chri stus Dominus, 2).

Eingebunden in diese edle Kette der apostolischen Nachfolge habt Ihr an der geistlichen Gabe teil, welche die Apostel ihren Helfern übertragen hatten (vgl. 2 Tim 1,6–7). Durch Handauflegung und Gebet wurden einem jeden von Euch die Ämter der Lehre, der Heiligung und der Leitung übertragen – Ämter, »die jedoch ihrer Natur nach nur in der hierarchischen Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums ausgeübt werden können« (Lumen gentium, 21). Was dieser hohe Anspruch für den Bischof bedeutet, das wollen wir miteinander bedenken.

Bei dieser Gelegenheit bekräftige ich einen Zusammenhang, auf den ich als Bischof von Rom schon vor zwanzig Jahren in meinem ersten Brief zum Gründonnerstag aufmerksam gemacht habe: »Wer die Konzilstexte aufmerksam studiert, weiß, dass man eigentlich nur von einer dreifachen Dimension des Amtes und der Sendung Christi sprechen dar f, statt von drei verschiedenen Funktionen. Diese sind nämlich zuinnerst miteinander verbunden, sie erklären, bedingen und verdeutlichen sich gegenseitig« (Brief an alle Priester 1979, 2).

4. Bevor wir uns der dreifachen Dimension des Hirtenamtes widmen, möchte ich zunächst auf den Kern hinweisen, um das all Euer Tun kreisen soll: »Das Geheimnis Christi als Grundlage der Sendung der Kirche« (Enzyklika Redemptor hominis, 11). Wer in irgendeiner Weise an der Sendung der Kirche teilhat, muss von dieser Grundlage ausgehen, um in seinem Wirken der ihm übertragenen Aufgabe zu entsprechen. Dies gilt in erster Linie für die Bischöfe, die auf einzigartige Weise in das Christusgeheimnis gleichsam »eingeweiht« wurden. Mit der Fülle des Weihesakramentes ausgestattet, ist der Bischof berufen, in der ihm anvertrauten Diözese das ganze Christusgeheimnis unverkürzt vorzulegen und vorzuleben (vgl. Christus Dominus, 12). Es umfaßt einen »unerforschlichen Reichtum« (2 Kor 4,7). Hüten wir diesen Schatz! Machen wir ihn zur Perle unseres Lebens! Werden wir nicht müde, ihn zu betrachten, um daraus immer wieder Licht und neue Kraft für die tägliche Erfüllung unseres Amtes zu schöpfen.

Weil sich die Menschen eher durch das Zeugnis unseres Lebens als durch die Macht unserer Rede ansprechen lassen, möchten sie in uns Persönlichkeiten begegnen, deren Existenz ganz auf Jesus Christus hin ausgerichtet ist, den »eingeborenen Sohn, der am Herzen des Vaters ruht« (Joh 1,18). Sie hoffen, dass auch wir wie die Apostel das vermitteln können, was wir mit unseren Augen gesehen, betrachtet und mit unseren Händen berührt haben» (vgl. 1 Joh 1,11): anderen das im Glauben Erfahrene weitergeben – darin liegt das Ziel der Neu-Evangelisierung. Denn es ist die Aufgabe der Bischöfe, die christliche Lehre und Disziplin in einer Weise darzulegen, »die den Erfordernissen der Zeit angepaßt ist, das heißt, die den Schwierigkeiten und Fragen, von denen die Menschen so sehr b edrängt und geängstigt werden, entspricht« (Christus Dominus, 13). Da das Wort Gottes lebendig und kraftvoll ist (vgl. Hebr 4,12), wird es gerade in denen seine Wirkung nicht verfehlen, die den »Glaubensgehorsam« (Röm 1,5) frei und in Liebe leisten. Das Credo, das jeder Hirte in der Professio Fidei zum Ausdruck bringt, ist daher wesentlich und notwendig für sein Bemühen, die Wahrheiten des Glaubens unbefangen, begeistert und mutig zu lehren und zu leben.

Lehrer und Verkünder des Evangeliums

5. Im dreifachen Amt der Bischöfe kommt nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils der Verkündigung des Evangeliums ein gewisser Vorrang zu. In erster Linie sollen die Hirten »Zeugen Christi vor allen Menschen« (Christus Dominus, 11) sein, »Glaubensboten, die Christus neue Jünger zuführen« (Lumen gentium, 25). Als Männer, »die offen und klar das Wort der Wahrheit ausrichten« (2 Tim 2,15), müssen wir gemeinsam das weitergeben, was wir selbst empfangen haben. Dabei geht es nicht um unser eigenes Wort, das noch so gelehrt sein mag. Denn wir verkündigen nicht uns selbst, sondern die geoffenbarte Wahrheit in Gemeinschaft mit den übrigen Mitgliedern des Bischofskollegiums.

Aus den Berichten, die Ihr über Eure Diözesen erstellt habt, geht hervor, dass Ihr bei der Erfüllung Eures Lehramtes auf ein kulturelles Klima trefft, in dem viele Zeitgenossen sich dem Anspruch nach Gewißheit in der Erkenntnis der Wahrheit mißtrauisch oder gar feindselig entgegenstellen. Heute ist eine Denkart weit verbreitet, die darauf abzielt, die Fragen nach den letzten Wahrheiten aus der Öffentlichkeit zu verbannen und den religiösen Glauben sowie durch moralische Werte begründete Überzeugungen in die Privatsphäre zu verweisen. Dieser Prozeß ist schon so weit fortgeschritten, dass die Frage berechtigt scheint: Welcher Stellenwert wird Gott noch beigemessen, dem sich die Väter der Verfassung Eures Landes ausdrücklich verpflichtet wußten, als sie vor fünfzig Jahren an den Anfang des Grundgesetzes das »Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen« (Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949) setzten?

Es besteht die Gefahr, dass die Gesetze, die einen mächtigen und bildenden Einfluß auf das Denken und Handeln der Menschen haben, immer mehr vom moralischen Fundament losgelöst werden. In diesem Fall jedoch würden auch die Gesetze leiden: Denn auf Dauer würden sie nur noch als Mittel zur äußeren Regelung der Gesellschaft betrachtet ohne jeglichen Bezug zur objektiven moralischen Ordnung. Vor diesem Hintergrund verstehe ich, dass es für Euch nicht immer leicht ist, »das Wort der Wahrheit und das Evangelium vom Heil« (Eph 1,13) zu predigen und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen.

Leider verleitet der psychologische Druck, der von einigen sozialen Feldern des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland ausgeht, auch Katholiken dazu, die Lehre der Kirche und ihre Disziplin in Frage zu stellen. Im Klima eines weit verbreiteten religiösen Individualismus maßen sich sogar manche Glieder der Kirche das Recht an, in Angelegenheiten des Glaubens selbst zu entscheiden, welche Lehren sie annehmen wollen. Gleichzeitig mißachten sie, was ihnen persönlich unannehmbar erscheint. Die Glaubenslehren bilden indes eine organische Ganzheit, die keine willkürlichen Unterscheidungen dieser Art zuläßt. Wer hier nachgibt, kann nicht beanspruchen, in Übereinstimmung mit dem Glauben zu sein, den er bekennt.

Hoherpriester als Förderer liturgischen Lebens

6. Liebe Brüder, Ihr wißt, dass es grundlegende Pflicht des Bischofs als Hirte ist, die Glieder der Euch anvertrauten Teilkirchen zur Annahme der maßgebenden Lehre der Kirche über Glaube und Sitten in ihrem vollem Umfang einzuladen. Wir dürfen den Mut nicht sinken lassen, auch wenn unsere Botschaft nicht überall Zustimmung findet. Mit der Hilfe Christi, der die Welt überwunden hat (vgl . Joh 16,33), besteht die beste Medizin gegen den Irrtum darin, mit mutiger Gelassenheit das Evangelium zu verkünden, »ob man es hören will oder nicht« (2 Tim 4,2).

Diese Bitte spreche ich besonders im Hinblick auf die jungen Menschen aus. Viele von ihnen sind anspruchsvoll im Hinblick auf den Sinn und die Form ihres Lebens. Sie wollen aus ihrer religiösen und moralischen Verworrenheit befreit werden. Helft ihnen dabei! Denn die junge Generation ist für religiöse Werte offen und ansprechbar. Sie hat ein – wenn auch mitunter unbewusstes – Gespür dafür, dass religiöser und moralischer Relativismus nicht glücklich macht und dass Freiheit ohne Wahrheit eine trügerische Illusion ist. Wenn Ihr in Gemeinschaft mit Euren Priestern und Mitarbeitern im katechetischen Dienst das Lehramt der Kirche ausübt, dann solltet Ihr deshalb besonders auf die Bildung der Gewissen achten. Ohne Zweifel ist das sittliche Gewissen als jenes Heiligtum zu ehren, in dem der Mensch mit Gott allein ist, dessen Stimme er im Innersten seines Herzens vernehmen kann (vgl. Gaudium et spes, 16). Aber mit gleichem Eifer ruft den Euch Anvertrauten ins Bewusstsein, dass das Gewissen ein hohes Tribunal ist, dessen Urteil im Licht der moralischen Normen, die von Gott geoffenbart und von der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes authentisch vorgelegt werden, ständiger Schärfung bedarf.

Einer klaren und eindeutigen Unterweisung in diesen Dingen wird der positive Einfluß auf die notwendige Rückkehr zum Sakrament der Versöhnung nicht fehlen, von dem sich heute leider auch in den katholischen Gegenden Eures Landes immer weniger Gläubige beschenken lassen.

7. Eine weitere Hauptaufgabe der Bischöfe liegt im Amt der Heiligung. »Im Bischof sehe man den Hohenpriester seiner Herde, von dem das Leben seiner Gläubigen in Christus gewissermaßen ausgeht und abhängt« (Sacrosanctum Concilium, 41). Daher ist der Bischof gleichsam der erste Liturge in seiner Diözese. Wie es ihm obliegt, hauptsächlicher Ausspender der Geheimnisse Gottes zu sein, so hat er auch die Leitung, Förderung und Aufsicht des gesamten liturgischen Lebens in der ihm anvertrauten Teilkirche inne (vgl. Christus Dominus, 15).

In diesem Zusammenhang möchte ich Euch die beiden Grundsakramente Taufe und Eucharistie besonders ans Herz legen. Kurz nachdem ich auf den Stuhl Petri erhoben wurde, billigte ich eine Instruktion über die Kindertaufe, in der die Kirche die von Anfang an angewandte Praxis der der pastoralen Praxis Eurer Ortskirchen auf der Notwendigkeit, die Taufe nur dann zu spenden, wenn die berechtigte Hoffnung besteht, dass das Kind im katholischen Glauben erzogen wird und das Sakrament somit Früchte tragen kann (vgl. CIC, can. 868,2). Allerdings werden bisweilen die Richtlinien der Kirche strenger ausgelegt, als sie beabsichtigt sind. So geschieht es, dass Eltern die Taufe ihres Kindes ohne hinreichenden Grund aufgeschoben oder ganz versagt wird. Pastorale Klugheit und Liebe scheinen indes eine verständnisvollere Haltung gegenüber jenen anzuraten, die sich wieder redlich der Kirche annähern wollen, indem sie um die Taufe ihres Kindes bitten. Mangel an Berufungen in der eucharistischen Gemeinschaft

Umgekehrt soll dieselbe pastorale Liebe die Hirten davon abhalten, Forderungen zu stellen, die nicht von der Lehre oder den Geboten der Kirche verlangt werden. Es ist richtig, dass Eltern durch ihre Seelsorger auf die Taufe ihres Kindes angemessen vorbereitet werden, aber ebenso wichtig ist es, dass dieses erste christliche Initiationssakrament primär als Geschenk Gottes des Vaters an das Kind angesehen wird. Denn nirgendwo tritt das freie und unverdiente Wesen der Gnade deutlicher ins Licht als bei der Kindertaufe: »Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat« (1 Joh 4,10).

Außerdem können wir nicht von einer geistlichen Erneuerung der Diözese sprechen, ohne einen Blick auf den Stellenwert der Eucharistie zu werfen. Es gehört zu den vordringlichen Aufgaben Eures hohepriesterlichen Amtes, die lebens-Kindertaufe bekräftigt. Mit Recht besteht man in wichtige Bedeutung der Eucharistie als »Höhepunkt und Quelle des ganzen christlichen Lebens« (Lumen gentium, 11) herauszuheben. In der Feier des heiligen Meßopfers gipfelt nicht nur der Dienst der Bischöfe und Priester, sie soll auch die Mitte sein, um die sich das Leben aller anderen Glieder des Leibes Christi bewegt.

Der Mangel an Priestern oder ihre ungleichmäßige Verteilung einerseits und andererseits der besorgniserregende Rückgang der Zahl derer, die regelmäßig die Sonntagsmesse besuchen, bilden eine Herausforderung, der sich Eure Kirchen zu stellen haben. Um darauf in rechter Weise zu antworten, ist es angezeigt, dem Grundprinzip Rechnung zu tragen: Die Pfarrgemeinde muss eine eucharistische Gemeinschaft sein. Daher soll sie von einem geweihten Priester geleitet werden, der kraft seiner heiligen Gewalt und seiner damit verbundenen unersetzlichen Verantwortung das eucharistische Opfer in persona Christi darbringt (Pastores dabo vobis, 48). Freilich weiß ich, dass einige unter Euch – selbst in traditionell katholischen Gebieten – längst nicht mehr in der Lage sind, einen Priester in jede Gemeinde zu senden. Es ist offensichtlich, dass diese Situation eine Behelfslösung erfordert, um die Gemeinden nicht verwaist zu lassen und damit zu riskieren, dass sie geistlich immer mehr verarmen. Wenn deshalb von Euch beauftragte Ordensleute und Laien am Sonntag Wortgottesfeiern vorstehen, dann verdient diese Tatsache Lob in der Notsituation. Doch auf Dauer kann man diesen Zustand nicht als befriedigend bezeichnen.

Im Gegenteil: Die sakramentale Unvollständigkeit dieser Gottesdienste sollte die gesamte Pfarrgemeinde dazu veranlassen, den Herrn noch inständiger mit ihrem Gebet zu bestürmen, dass er Arbeiter sende für seine Ernte (vgl. Mt 9,38).

8. Auf diese Weise gelange ich schließlich zum Leitungsamt, das Euch aufgetragen ist. Sicher habt Ihr dafür das Beispiel des guten Hirten vor Augen, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (vgl. Mt 20,28). Dieses Bild ist anspruchsvoll – umso mehr für den, der sich daran messen lassen muss und weiß, aus den Menschen genommen und daher mit menschlichen Schwächen behaftet zu sein. Doch gerade dieses Bewusstsein wird ihn dazu veranlassen, wohlwollendes Verständnis für jene aufzubringen, die seiner Seelsorge und Leitung anvertraut sind (vgl. Lumen gentium, 27).

Leitung und Führung mit den Priestern

Vor allem lege ich Euch Eure ersten »Hausgenossen« in den Ortskirchen ans Herz. Ich meine die Priester, für die Ihr als Bischöfe das »sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit« (Lumen gen tium, 23) darstellt. Der Dienst in der Seelsorge ist fordernd. Oft scheinen die sichtbaren Erfolge die Mühen nicht zu lohnen, die bisweilen an die Grenze der Belastbarkeit reichen. Viele Seelsorger haben den Eindruck, nicht so sehr im Weinberg des Evangeliums als vielmehr in einem trockenen Steinbruch arbeiten zu müssen. Was soll man sagen, wenn man auf die Überalterung der Priester und den Mangel an Berufungen schaut, der die Zukunft der Diözesen belastet? Ich möchte Euch dazu ermutigen, mit Euren Priestern und Seminaristen eine noch engere Verbindung zu pflegen. Ich weiß um die terminlichen Beanspruchungen, die Euer Amt täglich mit sich bringt. Dennoch gebe ich in väterlicher Sorge die Hoffnungen wider, die das Zweite Vatikanische onzil in so eindringliche und feinfühlige Worte gekleidet hat: »Wegen der Gemeinschaft im gleichen Priestertum und Dienst sollen die Bischöfe die Priester als ihre Brüder und Freunde betrachten. Sie seien nach Kräften auf ihr leibliches Wohl bedacht, und vor allem ihr geistliches Wohl sei ihnen ein Herzensanliegen. (...) Sie sollen sie gern anhören, ja sie um Rat fragen und mit ihnen besprechen, was die Seelsorge erfordert und dem Wohl des Bistums dient« (Presbyterorum Ordinis, 7). »Mit tatkräftigem Erbarmen sollen sie jenen Priestern nachgehen, die irgendwie in Gefahr schweben oder sich in bestimmten Punkten verfehlt haben« (Christus Dominus, 16). Ehrwürdige Brüder! Nehmt die Gelegenheit wahr, um Euren Priestern zu versichern: Der Bischof von Rom ist allen und jedem einzelnen nahe. Die Anwesenheit der Priester ist äußerst wichtig. Ohne Priester würden dem Bischof die Arme fehlen.

9. Liebe Brüder! Lehrer, Hoherpriester und Leiter – mit diesen Begriffen habe ich Euch einige Gedanken vorgelegt, die mir am Herzen liegen und Eure Überlegungen zu dem Euch übertragenen dreifachen Hirtenamt für die Kirche in Eu rem Heimatland anregen sollen. Da ich um den großen Einsatz weiß, mit dem Ihr das bischöfliche Amt ausübt, möchte ich nicht schließen, ohne Euch meine brüderliche und dankbare Wertschätzung auszudrücken. In jeder Lage möge uns der Gedanke trösten, dass uns Jesus Christus nicht als seine Manager angestellt, sondern zu Dienern seiner Geheimnisse geweiht hat.

So vertraue ich Euer Sein und Eure Sendung als Hirten Eurer Herden der Fürsprache Marias an, der Mutter Christi und Mutter der Kirche. Auf Euch, die Priester, Diakone, Ordensleute und Laien in Euren Diözesen, komme die göttliche Gnade in Fülle herab. Ihr Unterpfand ist der Apostolische Segen, den ich allen von Herzen erteile.

Aus dem Vatikan, am 18. November 1999

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Ansprache von Johannes Paul II. am 20. November 1999 an die dritte Gruppe

(Quelle: Osservatore Romano 26. November 1999, S. 9-11; Orig. dt. in O.R. 21.11.99)
Kirche als universales Heilssakrament – Die Kirche Christi als Geheimnis der Liebe Gottes
Herr Kardinal,
liebe Brüder im Bischofsamt !

1. Mit »der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu Euch hat« (Phil 1,8), begrüße ich Euch, die dritte Gruppe der deutschen Bischöfe, zu dieser Begegnung anläßlich Eures »Ad-limina«-Besuches. Ich danke dem himmlischen Vater für den Einsatz, der uns in der Ausbreitung des Evangeliums verbindet (vgl. Phil 1,5), und für die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die uns im Dienst am Volk Gottes untereinander vereint. Mit Euch grüße ich die Teilkirchen, denen Ihr mit Hingabe vorsteht. Von der »Sorge für alle Gemeinden« (2 Kor 11,28) bewegt, bitte ich Euch, den Priestern, Diakonen, Ordensleuten und Laien Eurer Diözesen zu versichern: Der Papst nimmt an ihren Freuden und Nöten Anteil. Er betet um ihr ständiges Wachstum in der Gnade und in der Heiligkeit des Lebens. – In diesem Sinn wird Euer »Ad-limina«-Besuch eine geistliche Pilgerfahrt. Denn Euer Kommen ist nicht nur die Erfüllung einer verwaltungsmäßigen oder juridischen Pflicht des bischöflichen Amtes, sondern auch ein Erweis echter Brüderlichkeit und Verbundenheit in der Liebe Christi, des obersten Hirten (vgl. 1 Petr 5,4), der für die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit seine Diener sendet, »damit sie in Teilhabe an seiner Gewalt alle Völker zu seinen Jüngern machten und sie heiligten und leiteten« (Lumen gentium, 19).

Wie schon während der beiden vorausgegangenen Begegnungen mit Bischöfen Eures Landes, so möchte ich auch heute einen wesentlichen Aspekt des »allumfassenden Heilssakramentes« (Lumen gentium, 48) entfalten. Es sind Gedanken zu einem grundlegenden Thema: die Kirche als Geheimnis. Da wir uns in unserem Hirtendienst täglich auf mannigfaltigen Tätigkeitsfeldern mit so vielen Dingen beschäftigen müssen, sind hin und wieder Augenblicke nötig, die den Vorhang dessen, was unseren Blick nicht selten gefangennimmt, lüften und die Schau dafür freigeben, was unter der Oberfläche als das eigentlich Wesentliche ruht.

Hören auf das Wort und Teilhabe an den Sakramenten

2. Gern greife ich einen Gedanken auf, den mein Vorgänger seligen Angedenkens Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam im Hinblick auf die Kirche und deren Selbstbewusstsein über ihr Sein und ihre Sendung formuliert hat. Die Einladung, die er vor fünfunddreißig Jahren mitten in die Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils hineinsprach, kann heute der Kirche als Lesehilfe dienen, um die »Zeichen der Zeit« an der Schwelle zum dritten Jahrtausend in rechter Weise zu begreifen: »Die Kirche muss in diesem Augenblick über sich selbst nachdenken, um sich in der Kenntnis der göttlichen Absichten bezüglich ihrer selbst zu bestärken, um größeres Licht, neue Energien und mehr Freude in der Erfüllung ihrer Sendung zu finden und um die besten Mittel und Wege auszumachen, die ihre Beziehungen zur Menschheit unmittelbarer, wirksamer und segenbringender werden lassen« (Nr. 1).

Wir dürfen Gott dafür danken, dass sich auch die Kirche unserer Tage in der Kraft des auferstandenen Herrn einsetzt, um »sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Licht offenbar werden wird« (Lumen gentium, 8). Man darf freilich nicht vergessen, dass die Kirche selbst als »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ein Mysterium ist. Aus gutem Grund trägt das erste Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium den Titel »Über das Geheimnis der Kirche«. Denn man kann die Kirche nicht in echter Weise erneuern, wenn man nicht von ihrem Wesen als Geheimnis ausgeht.

Worauf das Konzil eindringlich hingewiesen hatte, das rief die Außerordentliche Bischofssynode zwanzig Jahre nach Abschluss der Kirchenversammlung noch einmal in Erinnerung: »In der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, ist die Kirche in Christus das ›Mysterium‹ der Liebe Gottes, wie sie in der menschlichen Geschichte anwest« (Bot schaft, II). Diese Wahrheit soll das Lehren, den Dienst und das seelsorgerliche Tun der ganzen Kirche prägen. Auf dieser Überzeugung bauen auch sämtliche nachkonziliaren Dokumente des Päpstlichen Lehramtes auf, die eine den Bedürfnissen der Zeit entsprechende Erneuerung der Kirche fördern wollen.

3. Es ist zudem anzumerken, dass sich dieselbe Außerordentliche Synode von 1985 nicht ohne Grund genötigt sah, ihre warnende Stimme zu erheben: Die versammelten Bischöfe räumten ein, dass »das unvollständige und selektive Lesen des Konzils und eine einseitige Darstellung der Kirche als eine nur institutionelle Größe und ihres Geheimnisses beraubt«, zu ernsten Mangelerscheinungen, nicht zuletzt bei bestimmten Laienorganisationen, geführt haben, welche »die Kirche als reine Institution kritisch einschätzen« (Schlussdokument I,4). Die Folge davon ist, dass viele das Recht beanspruchen, die Kirche so zu organisieren, als sei sie eine Art Weltkonzern und damit der rein menschlichen Gestaltungskompetenz unterworfen. Doch in Wirklichkeit ist die Kirche als Geheimnis nicht »unsere«, sondern »Seine« Kirche: das Volk Gottes, der Leib Christi und der Tempel des Heiligen Geistes.

Liebe Brüder im Bischofsamt! Der Apostel Paulus mahnt uns: »Prüft alles, und behaltet das Gute! (1 Thess 5,21). Aufgabe des Bischofs ist es, die Priester und alle, die in der Seelsorge Verantwortung teilen, zu ermutigen, dass sie Schritte zur geistlichen Erneuerung der Gemeinden setzen. Wer rastlos von einer Veranstaltung zur anderen eilt, dem geht rasch der Atem aus. Um der geistlichen Erschöpfung vorzubeugen, ist es immer wieder nötig, im Gebet neu Atem zu holen. Denn nicht die Pfarrei mit dem vollsten Terminkalender ist die lebendigste, sondern die Gemeinde, die als innere Mitte allen Tuns ihre Berufung ernst nimmt, durch das Hören auf das Wort Gottes und die Teilhabe an den Sakramenten die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott zu leben. Auf diese Notwendigkeit haben zahlreiche Vertreter einer von der Lehre des Konzils erfüllten Communio-Ekklesiologie hingewiesen, wobei sich gerade auch Theologen aus Eurem Land große Verdienste erworben haben.

4. Wir stehen am Ende der Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000. Dieses Jahr ist der ersten Person der göttlichen Dreifaltigkeit gewidmet. Die Betrachtungen über Gott, den Vater, führen unweigerlich zur Kirche, was der hl. Cyprian in einer trefflichen Formel zugespitzt hat: »Gott kann der nicht zum Vater haben, der nicht die Kirche zur Mutter hat« (De ecclesiae uni tate, 6). Diese Aussage, zu der sich der Bischof von Karthago aus den Erfahrungen der Decischen Verfolgungen und den Ereignissen um die Abgefallenen veranlaßt sah, mündet in dem Wunsch, »dass womöglich keiner von den Brüdern (und Schwestern) zugrundegehe und dass die Mutter den einen Leib des einmütigen Volkes freudig in ihren Schoß einschließe« (De ecclesiae unitate, 23). Wir alle wissen, welch großer Abstand besteht zwischen der Botschaft, die der Kirche anvertraut ist, und der menschlichen Armseligkeit derer, die das Evangelium verkünden. Wie immer auch die Geschichte über diese Schwächen urteilen mag, wir dürfen dieses Versagen nicht vergessen. Im Gegenteil: wir müssen unser Möglichstes tun, damit es der Verbreitung des Evangeliums nicht schade. Deshalb »betet, hofft und wirkt die Mutter Kirche unaufhörlich und ermahnt ihre Söhne (und Töchter) unablässig zur Läuterung und Erneuerung, damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer erstrahle« (Lumen gentium, 15).

Wahrheit mit Liebe – Güte mit Einsicht

5. Wie sich die Kirche in ihrer mütterlichen Sorge mit den Söhnen und Töchtern solidarisiert, so steht sie ihnen gleichzeitig gegenüber. Die Ma ter ist auch Magistra; sie hat die Autorität, ihre Kinder zu erziehen, zu lehren und so zum Heil zu führen. Mutter Kirche gebiert, nährt und formt ihre Söhne und Töchter. Sie sammelt und sendet ihre Kinder, denen sie zugleich die Gewißheit gibt, in ihrem Mutterschoß geborgen zu sein. Zugleich betrauert sie die Abgefallenen und hält Türen zur Versöhnung offen. Gerade um Versöhnung geht es immer.

Euch Hirten kommt dabei eine besondere Verantwortung zu: Als »Väter Eurer Gemeinden« habt Ihr das Recht und die Pflicht, die »mütterliche Autorität« der Kirche so auszuüben, wie es das Zweite Vatikanische Konzil klar ausgedrückt hat: Bei der Verkündigung sollen die Bischöfe »die mütterliche Sorge der Kirche um alle Menschen, seien sie gläubig oder ungläubig, unter Beweis stellen und sich mit besonderer Sorge der Armen und Schwachen annehmen. (...) Da es der Kirche aufgegeben ist, mit der menschlichen Gesellschaft, in der sie lebt, ins Gespräch zu kommen, ist es in erster Linie Pflicht der Bischöfe, zu den Menschen zu gehen und das Gespräch mit ihnen zu suchen und zu fördern. Damit immer Wahrheit mit Liebe, Einsicht mit Güte gepaart sind, muss sich dieser Heilsdialog sowohl durch Klarheit der Rede als auch zugleich durch Demut und Sanftmut auszeichnen, ferner durch gebührende Klugheit, die jedoch mit Vertrauen verbunden sein muss, das ja die Freundschaft fördert und somit darauf hinwirkt, die Geister zu einen« (Christus Dominus, 13).

Gelebte Einheit mit Papst und Bischöfen

6. Der mütterlichen Zuneigung der Kirche muss ein Gehorsam entsprechen, der ihren Söhnen und Töchtern aus dem Herzen kommt. In einer Zeit, da nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche so viel von Mündigkeit die Rede ist, breitet sich eine Geisteshaltung immer mehr aus, die meint, im »Abnabeln von der Kirche« zur wahren Freiheit gelangen zu können. Als Bischöfe versucht Ihr, solchen irrigen Tendenzen eine neue Richtung zu geben, indem Ihr klar und eindeutig das verkündet und vorlebt, was stets eine Lebensmaxime der großen Heiligen war: Auch in persönlich schwierigen Situationen haben sie sich niemals vom Schoß der Mutter Kirche getrennt. Dabei möchte ich noch einmal an die Analogie des Cyprian erinnern und sie vervollkommnen: Nur wer der Mutter Kirche folgt, der gehorcht auch Gott dem Vater. Der Bischof von Karthago hat diesen Gedanken fortgeführt, indem er auf die ernsten Konsequenzen hinwies, die über seine Zeit hinaus gültig bleiben: »Was immer sich vom Mutterleib trennt, das kann für sich gesondert nicht leben und atmen, das verliert die Möglichkeit des Heiles« (De eccle siae unitate, 23).

7. Diese Überlegungen sind keineswegs wirklichkeitsfremd. Auch Ihr als Hirten Eurer Herden in Deutschland habt vor allem in diesen Jahren erfahren müssen, welches Pensum an Kraft und Energie das Leitungsamt kosten kann, wenn einzelne Gruppen versuchen, durch konzertierte Aktionen und permanenten Druck in der Kirche Veränderungen herbeizuführen, die nicht dem Willen Jesu Christi entsprechen. Angesichts dieser Lage besteht die Aufgabe des Bischofs darin, voranzugehen, den Weg zu weisen, klarzustellen, zu beschwichtigen und immer zu sammeln versuchen – alles mit den Mitteln des Dialogs. Ich bitte Euch: Werdet nicht mutlos! Laßt bei allem Hinhören und Entgegenkommen nicht zu, dass irgendeine menschliche Kraft die unauflösbaren Bande, die zwischen Euch und dem Nachfolger Petri bestehen, lockern kann!

An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, ein Wort an die Laien zu richten. Ich spreche meine tief empfundene Anerkennung den unzähligen Männern und Frauen aus, die ihrer Berufung als auserwähltes Geschlecht und königliche Priesterschaft (vgl. 1 Petr 2,9) glaubwürdig folgen. Im Licht ihres Tuns erinnere ich gleichzeitig an die Haltungen, mit denen die Laien ihren Bischöfen und Priestern begegnen sollen: »Den geweihten Hirten sollen sie ihre Bedürfnisse und Wünsche mit der Freiheit und dem Vertrauen, wie es den Kindern Gottes und den Brüdern in Christus ansteht, eröffnen. (...) Gegebenenfalls soll das durch die dazu von der Kirche festgesetzten Einrichtungen geschehen, immer in Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit, mit Ehrfurcht und Liebe gegenüber denen, die aufgrund ihres geweihten Amtes die Stelle Christi vertreten« (Lumen gen tium, 37). Die Einheit mit dem Bischof ist ja die wesentliche und unerläßliche Grundhaltung des gläubigen Katholiken. Denn man kann nicht vorgeben, auf der Seite des Papstes zu sein, ohne auch zu den mit ihm verbundenen Bischöfen zu stehen. Ebenso wenig kann man behaupten, mit den Bischöfen zu sein, ohne zum Haupt des Kollegiums zu stehen.

Gemeinsames Zeugnis für das Leben

8. Ehrwürdige Brüder! Daß Ihr es Eurerseits nicht versäumt, vor Euren Gläubigen Zeugnis zu geben von der innerkirchlichen Communio, würdige ich mit Wertschätzung. Denn ich bin mir bewusst, dass es Eure erste Sorge ist, jegliche pastorale Initiative in einen solchen Rahmen zu stellen, dass sie sich in voller Übereinstimmung mit dem um den Nachfolger Petri gescharten Weltepiskopat befindet.

Dabei denke ich besonders an das Problem des Lebensschutzes. Hier kommt es wesentlich darauf an, dass das Zeugnis aller Bischöfe der ganzen Kirche eindeutig und einmütig ausfällt. Den Schreiben, die von mir selbst oder in meinem Auftrag verfaßt wurden, könnt Ihr entnehmen, wie sehr mir Beratung und Hilfe der schwangeren Frauen am Herzen liegen. Ich hoffe, dass diese bedeutsame Tätigkeit der Kirche in Eurem Land gemäß meiner Weisung bald endgültig neu geordnet wird. Ich bin überzeugt: Eine kirchliche Beratung, die sich durch ihre Qualität auszeichnet, wird ein sprechendes Zeichen für die Gesellschaft und ein wirksames Mittel sein, um Frauen in Not für das Leben zu gewinnen, das sie in ihrem Leibe tragen.

9. Wenn ich im Zusammenhang des Verhältnisses zwischen den geweihten Hirten und den Laien von der königlichen Priesterschaft spreche, dann möchte ich an das gemeinsame Priestertum erinnern. Dank sei Gott, dass das Zweite Vatikanische Konzil diese tiefe Wahrheit wieder neu ins Licht gerückt hat! Im Neuen Bund gibt es nur ein einziges Opfer und einen einzigen Priester: Jesus Christus. An diesem Opfer Christi haben alle Getauften, Männer wie Frauen, Anteil, denn sie »sollen sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen« (Röm 12,1). Diese Teilhabe betrifft nicht nur die priesterliche, sondern auch die prophetische und königliche Sendung Christi. Außerdem kommt dadurch die organische Verbundenheit der Kirche mit Christus zum Ausdruck, die der Epheserbrief in das Bild von Bräutigam und Braut kleidet (vgl. Eph 5,21–33). Wir befinden uns hier mitten im Ostergeheimnis, das Gottes bräutliche Liebe in ihrer Tiefe offenbart. Christus ist der Bräutigam, weil er sich verschenkt hat: Seinen Leib hat er hingegeben und sein Blut für uns vergossen (vgl. Lk 22,19–20). Die Tatsache, dass Jesus »seine Liebe bis zur Vollendung erwiesen« hat (Joh 13,1), hebt den bräutlichen Sinn der Liebe Gottes hervor. Als Erlöser ist Christus der Bräutigam der Kirche. So dürfen wir in der Eucharistie, in der sich Christus den Leib der Kirche aufbaut, zu Recht das Sakrament des Bräutigams und der Braut sehen.

Daraus ergibt sich ein grundlegender Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften und dem Priestertum der geweihten Amtsträger (vgl . Interdikasteriale Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester). Die Kirche braucht geweihte Priester, die bei sakramentalen Vollzügen »in persona Christi« handeln und den Bräutigam Christus gegenüber der Kirche als Braut repräsentieren. Oder anders gesagt: Die geweihten Hirten vertreten als Glieder des einen Leibes der Kirche dessen Haupt, das Christus ist. Daher sind jegliche Versuche, entweder den Laienstand zu klerikalisieren oder den Klerus zu laisieren, zurückzuweisen. Sie entsprechen nicht der geheimnisvollen Ordnung der Kirche, die ihr Stifter gewollt hat.

Ebensowenig dienen Tendenzen, die den Wesensunterschied zwischen Klerus und Laien einebnen wollen, der Weckung von Berufungen. Ich bitte Euch, liebe Brüder, die Sehnsucht nach geweihten Priestern in Euren Pfarrgemeinden unvermindert wachzuhalten. Auch eine lange Wartezeit, die der derzeitige Priestermangel mit sich bringen mag, darf eine Gemeinde nicht dazu verleiten, sich mit einem Notstand als Regel abzufinden. Priester und Laien brauchen einander notwendig. Sie können sich gegenseitig nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

Rolle der Frau in Gesellschaft und Kirche

10. Noch etwas verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung: In Eurem Land wächst eine gewisse Unzufriedenheit, was die Haltung der Kirche zur Stellung der Frau anbelangt. Leider hat sich noch nicht überall das Bewusstsein die Bahn gebrochen, dass alle Aussagen, die zum gemeinsamen Priestertum der Getauften gemacht werden, auf Männer und Frauen gleichermaßen zutreffen.

Ohne Zweifel ist die Würde groß, die den Frauen zukommt und der es immer noch mehr zu entsprechen gilt! Umgekehrt findet jedoch der Unterschied zu wenig Beachtung, der zwischen den menschlichen und bürgerlichen Rechten einer Person einerseits und jenen Rechten, Pflichten und damit verbundenen Funktionen, die jemand in der Kirche hat, andererseits besteht. Gerade deshalb habe ich vor einiger Zeit kraft meines Auftrags, die Brüder zu stärken, daran erinnert, »dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben« (Ordinatio sacer dotalis, 4).

Als authentische Hirten Eurer Diözesen habt Ihr die Pflicht, von einzelnen oder Vereinigungen vorgetragene gegenteilige Auffassungen zurückzuweisen und zu jenem offenen und klaren Dialog in Wahrheit und Liebe einzuladen, den die Mutter Kirche über die Zukunft ihrer Töchter weiterführen muss.

Zögert dabei nicht zu betonen, dass das kirchliche Lehramt diese Entscheidung nicht als Akt seiner Macht, sondern im Wissen um die Gehorsamspflicht gegenüber dem Willen des Herrn der Kirche selbst gefällt hat.

Daher kommt der Lehre, dass das Priesteramt den Männern vor behalten ist, kraft des ordentlichen und allgemeinen kirchlichen Lehramtes jener Charakter der Unfehlbarkeit zu, von dem schon Lumen gentium sprach und dem ich im Motu proprio Ad tuendam fidem eine rechtliche Form gegeben habe: Wenn die einzelnen Bischöfe, wenn auch räumlich getrennt, »in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri authentisch in Glaubensund Sittensachen lehren und eine bestimmte Lehre übereinstimmend als endgültig verpflichtend vortragen, so verkündigen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi« (Lumen gentium, 25; vgl. Ad tuendam fidem, 3).

Denjenigen, die die Lehre der Kirche nicht verstehen oder annehmen können, sollen wir freilich helfen, dass sie ihre Herzen und ihren Geist der Herausforderung öffnen, die der Glaube an sie stellt. Als authentische Lehrer der Kirche, die Mutter und Lehrerin ist, muss es zu unseren höchsten Prioritäten gehören, unseren Gemeinschaften im Glauben Stütze und Halt zu geben. Dabei dürfen wir auch davor nicht zurückschrecken, gegebenenfalls Verwirrungen zu entflechten und Abwege zu korrigieren. So rufe ich die Gaben des Heiligen Geistes auf Euer Bemühen herab, der Rolle der Frau – sowohl für die Erneuerung der Gesellschaft als auch für die Wiederentdeckung des wahren Gesichts der Kirche – eine echte, der christlichen Lehre eigene Prägung zu verleihen.

11. Liebe Brüder! Bei dieser Begegnung haben wir die Kirche in erster Linie als Mysterium betrachtet. Ein Geheimnis entzieht sich letztlich dem Zugriff menschlicher Vernunft. Nur mit den Augen des Glaubens läßt es sich liebend betrachten und in seiner Tiefe erfassen. Die Bilder der Kirche von der Mutter und Lehrerin, von der Braut und vom Leib haben uns immer wieder auf Christus verwiesen, der Bräutigam und Haupt seiner Kirche ist. Ihm fühlen wir uns in unserem Hirtendienst besonders verpflichtet. So waren die Worte, die ich in den Begegnungen an Euch gerichtet habe, klar und deutlich. Ich verheimliche Euch nicht, dass ich mich in diesen Monaten manchmal wie der Apostel Paulus fühlte, als er sich mit den bekannten Worten an die Gemeinde von Korinth gewandt hatte: »Ich schrieb Euch aus großer Bedrängnis und Herzensnot, unter vielen Tränen, nicht um Euch zu betrüben, nein, um Euch meine übergroße Liebe spüren zu lassen« (2 Kor 2,4).

Sagt Euren Priestern, Diakonen und Ordensleuten: Der Papst ist ihnen nahe! Versprecht den Männern und Frauen, den Jugendlichen und Alten, den Kranken und Behinderten: Im Schoß der Mutter Kirche finden alle eine Zuflucht. Bemüht Euch mit Geduld, Vertrauen und Liebe, der einem jeden von Euch anvertrauten Ortskirche zur Seite zu stehen und sie wie eine Braut dem himmlischen Hochzeitsmahl entgegenzuführen.

Die Jungfrau Maria bitte ich um ihren Schutz und rufe sie an, damit sie Fürsprache einlege für Euch und alle, die Eurer Hirtensorge anvertraut sind.

Welch kindliches Vertrauen spricht aus den Worten eines alten Gebetes, das in Eurer Heimat weit verbreitet ist: Jungfrau, Mutter Gottes mein, laß mich ganz dein eigen sein! Es begleite Euch alle und jeden einzelnen der Apostolische Segen, den ich Euch von Herzen erteile!

Aus dem Vatikan, am 20. November 1999

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